JÜRGEN JANKOFSKY

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jankopedia

 

 

 

IV

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die allergrößte Ironie der Geschichte wäre es, wenn wir in unserem endlosen Streben nach Bequemlichkeit und Glück eine Welt erschaffen, in der es beides nicht mehr gibt.

 

Bill Bryson

 

 

 

Gilt, dass wir ein langes Leben prinzipiell für gelungener halten als ein kurzes?

 

Harald Welzer

 

 

 

 

 

 

 

Franz von Assisi

 

* wohl 1182 als Giovanni di Pietro di Bernardone in Assisi, † 3.10.1226 in Portiuncula, italienischer Ordensgründer

 

 

 

Als Franz von Assisi auf der Suche nach dem Sinn des Lebens dreimal willkürlich die Bibel aufgeschlagen hatte, will er drei Jesus-Worte gefunden haben, die ihm fortan als Maxime seines Handelns galten:

 

„Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach! (Mt 19,21 EU)“

 

„Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Wanderstab und keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd. (LK 9,3 EU)“

 

„Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. (LK 9,23 EU)“

 

In seinem Testament schreibt Franz von Assisi: So hat der Herr mir, dem Bruder Franziskus, gegeben, das Leben der Buße zu beginnen: Denn als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt.

 

Alsbald scharten sich Leute um ihn, die ebenso dachten. Der Franziskaner-Orden entstand. „Der von Franziskus gegründete Orden breitete sich binnen weniger Jahre in ganz Europa aus, im Heiligen Römischen Reich etwa bis zur Ostsee, wo bereits 1230 eine Niederlassung in Riga gegründet wurde. Die im 13.Jahrhundert expandierenden Städte in Mitteleuropa waren offen für die Zuwanderung armer, aber arbeitsfähiger Menschen. Die Lebensweise der neuen, päpstlich anerkannten Wanderprediger ohne Klaustrum, also ohne fest umgrenzten Klosterbezirk, bot offenbar überzeugende soziale und geistliche Lösungen. Die Weigerung der Franziskaner, Besitz, Macht über andere und sozialen Aufstieg anzustreben, waren Ursachen für ihre große Verbreitung und Popularität, genauso wie ihre Zuwendung zu den Armen und Ausgegrenzten. In Speyer wohnten sie nach Angabe des Chronisten Jordan von Giano außerhalb der Mauern bei den Aussätzigen’. Die Minderbrüder stellten eine ‚vom Evangelium Jesu Christi her gelebte Alternative zur herrschenden Wirtschaft und Gesellschaft, ja zur damals herrschenden Mentalität, Kultur und Religiosität’ dar und waren deshalb erfolgreich. Von Vorteil war, dass die Franziskaner an vielen Orten von den Fürsten und Stadtoberen gefördert und zur Klostergründung ermuntert wurden“, weiß Wikipedia.

 

Und nachdem mir der Herr Brüder gegeben hat, zeigte mir niemand, was ich zu tun hätte, sondern der Höchste selbst hat mir geoffenbart, dass ich nach der Vorschrift des heiligen Evangeliums leben sollte.

 

Und eine weitere, bis in die heutige Zeit wirkende Neuerung, hat Franz von Assisi in die Welt gebracht: Im Jahr 1223 hat er in Greccio erstmals das Weihnachtsevangelium in Form eines Krippenspiels aufführen lassen. Eine heilige Messe wurde in Anwesenheit von Tieren in einer Stallhöhle über einer echten Krippe gefeiert. Klöster übernahmen diese Idee in vereinfachter Form durch bildliche oder figürliche Darstellungen, Franziskanern wie Jesuiten dienten dann Krippendarstellungen als anschauliches Material für die Katechese, und schließlich wurden Krippen zu einem Weihnachtsbrauch weltweit.

 

Franz von Assisi wurde schon zwei Jahre nach seinem Tod heiliggesprochen. Fast 800 Jahre später nannte sich erstmals ein Papst nach ihm: Franziskus.

 

  

 

 

Johann Gottfried Gregorius

 

* 13 oder 14.3.1631 in Merseburg, † 1675 in Moskau, deutscher Dramatiker

 

 

Wer hätte gedacht, dass es der kleine Johann Gottfried Gregorius aus Merseburg einmal weit bringen würde? Zwar stammte er aus wohlhabendem Hause – sein Vater war der Arzt Victrinus Gregorius und die bei seiner Geburt im Jahre 1631 gerade fünfzehnjährige Mutter Anna Maria immerhin die Tochter des 1618 verschiedenen Merseburger Bürgermeisters Markus Donat – doch lange sollte das Familienglück nicht währen. Der Vater verstarb früh, Merseburg litt unter den Heimsuchungen des Dreißigjährigen Krieges, auch das Gregorius’sche Haus in der Breiten Straße dürfte nicht verschont worden sein. Irgendwann heiratete die Mutter nach Mühlhausen und Johann Gottfried geriet unter die Soldaten, diente den Schweden, ritt für die Polen. 

Erst 1662 sollte Johann Gottfried Gregorius (oder Gregorii, wie er sich nun nannte) seine Vaterstadt Merseburg wieder sehen. Inzwischen Lehrer und Hilfsprediger in der Moskauer Vorstadt Sloboda, hatte er an der Jenaer Universität binnen eines halben Jahres die Magisterwürde erlangt, war vom sächsischen Oberkonsitorium examiniert und als Pastor ordiniert worden und suchte nun beim Merseburger Herzog Christian I. um ein Interzessionsschreiben nach. Und Bezug nehmend auf das herzliche Einvernehmen, welches zwischen den Vorfahren des russischen Zaren und den Kurfürsten und Herzögen von Sachsen geherrscht hatte, wurde ihm eine solche Bürgschaft auch ausgestellt. Herzog Christian I. schrieb an den Zaren Alexej Michailowitsch:

 

„Euer Durchlauchtigkeit möge auch ferner die deutsche Nation sich empfohlen sein lassen und möge besonders den Magister Johann Gottfried Gregorii, der in unserer Residenzstadt Merseburg geboren ist, mit besonderer Liebe gegen jedes Unrecht zu schützen geruhen, ihn, der aus Liebe zum göttlichen Wort, in Selbsterniedrigung, freiwillig sich zu einem Verbannten gemacht hat, der Heimat, Vaterhaus, Verwandtschaft freiwillig verlässt und sein Leben auf unendlich weiten Wegen vielen Gefahren aussetzt, nur um der göttlichen Berufung zu gehorchen und das Versprechen, das er betreffs seiner Rückkehr gegeben, unverbrüchlich zu halten.“

 

1667 reiste Gregorii noch einmal nach Deutschland, bat in Dresden, Straßburg, Stuttgart, Frankfurt a.M., Nürnberg, Ulm, Esslingen, Gotha und Berlin um Unterstützung für seine durch einen Kirchenneubau in Not geratene Moskauer Gemeinde. Am großzügigsten zeigten sich der sächsische und der brandenburgisch-preußische Kurfürst, die je 1000 Reichstaler spendeten. Merseburg hingegen musste Gregorii bei seinem ersten Besuche so arm und ausgezehrt vom Kriege erschienen sein, dass er es offenbar nicht wagte, auch hier wegen finanzieller Hilfe vorzusprechen.

 

Während dieser Reise zeigte sich Gregorii aber nicht nur als Oberhaupt einer Gemeinde begabt – einem Stuttgarter Freund widmete er zum Abschied folgendes Gedicht:

 

1.  Der tapfre Reuße wird ein Barbar zwar genenne,

 

     Und ist kein Barbar doch, wie dieses Buch bekenne;

 

     Wie mein Herr Wirt auch weiß, ich bezeug es frey,

 

     Daß in dem Barbarland fast nichts barbarisch sey.

 

2.  Man sieht das Erdreich hier voller reicher Früchte stehen;

 

     Wie mancher schöne Fluß giebt manche frembde Fisch?

 

     Der Wald giebt Meet und Wild zugleich auf unsern Tisch;

 

3.  Das Holz auch in die Küch’; und vor des Winters Schrekken

 

     Kann, was der Bauer fängt, Fuchs, Wolf und Zobel decken

 

     Den vorhin warmen Leib, der oftmahls wird bedacht

 

     Mit gutem Brandtewein, den selbst die Liebste macht.

 

4.  Der Bauer, der ist fromm, läßt Gott und Einfalt walten,

 

     Die Einfalt lehrt ihn, schlecht und recht Gebot zu halten,

 

     Die Einfalt wehrt der Sünd, die Einfalt macht ihn treu,

 

     Die Einfalt ist zugleich der Glaub und Ketzerey.

 

5.  Der Bürger ist nicht frech, vergnügt in seinem Handel,

 

     Er ehrt Gott und den Tzarn, ist redlich auch im Wandel,

 

     Doch kommt man ihm zu nah, so glaubt Er eifersvoll,

 

     Er sey dazu geborn, dass Er sich rächen soll.

 

6.  Er sey lang oder kurz, Und wie soll ich gnug preisen

 

     Den unverglichenen Tzar, den GroßHerzog der Reußen?

 

     Der unser teutsches Volk mehr als die Reußen liebt

 

     Und ihen Kirch und Sitz, Sold, Ehr und Schätze giebt.

 

7.  O höchst geprießner Tzar, Gott wolle Dich belohnen,

 

     Wer möchte doch nicht gern in diesem Lande wohnen?

 

     Da man auch mit mehr Furcht den Höchsten liebt und ehrt,

 

     Als hier, wo Gottes Wort zum Ekel wird gelehrt.

 

8.  Ade, ihr teutschen Freund, zu tausend guten Zeiten,

 

     Ich preiß Euer Land und Eure Herrlichkeiten,

 

     Doch kann bei wildem Volk ich noch vergnügter sein,

 

     Freund Allgayr auch Ade, gedenk am besten mein!

 

Kein Wunder, dass Gregorii mit solcher Gesinnung und Begabung schließlich zum ersten Theaterdirektor Russlands wurde!

 

Am 4. Juni 1672, sechs Tage nach der Geburt eines Knaben, der dann als Zar Peter der Große heißen sollte, befahl dessen Vater, Zar Alexej Michailowitsch, den „Ausländer Magister Johann Gottfrid“ zur Feier dieses Ereignisses eine Komödie auszurichten und dazu in Preobrsehnsk ein Haus mit der nötigen Ausstattung zu errichten. Und schon nach vier Monaten war das Stück geschrieben, übersetzt und eingeübt sowie das Theater gebaut! Die prachtvolle Ausstattung besorgte der Holländer Peter Gabrilow Inglis. Zehn Stunden dauerte die Aufführung Gregoriis „Komödie des Artaxerxes“! Und 64 Schauspieler wurden dafür benötigt! Doch der Aufwand hatte sich gelohnt. Das ihm vom Autor überreichte Textbuch ließ der Zar in Saffian mit Gold einbinden und Gregorii wurde mit 40 kostbaren Zobelfellen belohnt.

 

Um Gergoriis Theater, das offenbar so recht dem neuen russischen Zeitgeist, der allmählichen Öffnung für westliche Einflüsse entsprach, stets in seiner Nähe zu haben, ließ es der Zar in die oberen Räume der Kreml-Apotheke verlegen. Und die nächste Aufführung ließ nicht lange auf sich warten!

 

Nicht minder erfolgreich hatte Gregorii die Komödie „Judith“ geschrieben und inszeniert. Bald folgten die Stücke „Der junge Tobias“, „Joseph“, „Bajazet und Tamerlan“ sowie „Adam und Eva“. Und schließlich stand der deutsche Magister Gregorii sogar noch der ersten Theaterschule des Zarenreiches vor, bildete 26 ausschließlich russische Eleven aus.

 

Somit war der gebürtige Merseburger Johann Gottfried Gregorius am Ende in Moskau gleichzeitig Pastor und Leiter der deutschen evangelischen Schule, Dramatiker, Theaterdirektor und Direktor einer Schauspielschule. Lange konnte sich Gregorii seines Erfolges jedoch nicht erfreuen. Er verstarb im 44. Lebensjahr. Und ein Jahr später verbot der neue Zar Fjedor Alexejewitsch das weltliche Theaterspiel in seinem Reich. Erst Peter der Große, anlässlich dessen Geburt Gregorii zum Theatermann wurde, sollte Russland konsequenter an Europa heranzuführen versuchen.

 

 

 

Max Hoelz

 

* 14.10.1889 in Moritz bei Riesa, † 15.9.1933 bei Gorki, UdSSR, deutscher Anarchist

  

Meine Ruhe, nichts als meine wohlverdiente Ruhe wollte ich haben, nach der Schicht Gedanken nachhängen, die ich bei einem Bier am besten zu ordnen und zu verdauen hoffte, da setzte sich dieser Mensch an meinen Tisch, gegen Ostern Gasthaus Daspig. Seitdem ich die Kneipe betreten hatte, fixierte mich dieser Typ. Angestrengt hatte ich ins Bierglas oder aus dem Fenster gestarrt. Außer uns beiden und dem nur gelegentlich erscheinenden Wirt war niemand hier.

 

Statt wenigstens anstandshalber zu fragen, ob er an meinem Tisch Platz nehmen dürfe, behauptete dieser Mensch, zu seiner Zeit sei es undenkbar gewesen, dass man sich unter Arbeitern derart aus dem Wege ging. Probleme?

 

Nach den Klamotten zu urteilen, die ihn umschlotterten, musste seine Zeit Jahre, ach was, Jahrzehnte her sein. Dabei erschien er mir um einiges jünger als ich, Anfang dreißig vielleicht.

 

Über der Thekenbeleuchtung Trinkt Sternburg Bier ragte eine altersbraune, verschnörkelte Gaslampe in den Schankraum. Wie viele Renovierungen mochte die überdauert haben, wie viele Biersorten und Wirte? Mein nunmehriger Tischgenosse folgte meinem Blick und meinte dann, wohl um sich interessant zu machen, mein Schweigen zu brechen, diese Funzeln seien hier, kaum dass das Werk stand, wie Pilze aus den Decken geschossen. Der Fortschritt eben! Sehr witzig.

 

Ich schielte nach dem Wirt, wollte zahlen. Der jedoch schien einmal mehr einer einträglicheren Nebenbeschäftigung nachzugehen, war nicht zu entdecken. Mein Tischgenosse setzte sich bequem. Ein Idyll hatte ich, als ich hier einkehrte, sicher nicht erwartet einen Platz, der mich wenigstens in meiner Freizeit mal vom Werk freikommen und halbwegs zu mir finden ließ, allerdings. Keine Frage, ich fühlte mich belästigt.

 

Einfach aufstehen und gehen? Was hatte ich schon - zwei Bier, zwei Korn? Doch dann dürfte ich mich im Gasthaus Daspig bestimmt nie wieder blicken lassen. Schade, ohne diesen muffig riechenden, aufdringlichen Menschen wäre diese Kneipe durchaus gastlich. Und nicht mal der triste Fensterblicke zum Wasserwerk würde stören, denn was war dieser Ausblick im Vergleich mit dem alltäglichen Anblick des ganzen Werkes, Riesenwerkes, allgegenwärtig, überall und jederzeit.

 

Schöne Aussicht habe das Gasthaus zu seiner Zeit noch geheißen, nuschelte mein Gegenüber. Er nickte gen Wasserwerk, als wolle er fragen, ob ich dort arbeite. Und da ich weiterhin schwieg, erklärte er schließlich, das Wasserwerk zwar nicht so gut wie den Ammoniakbetrieb oder das Silo, für einen Erfahrungsaustausch aber sicherlich gut genug zu kennen. Na, danke - das hätte mir jetzt gerade gefehlt.

 

Ich trank mein noch halbvolles Bierglas in einem Zuge leer. Mein Tischgenosse zwirbelte sich den Schnauzer, kerbte dann mit schwarzrissigem Daumennagel seinen Bierdeckel. Mir fiel auf, dass mein Gegenüber vor einer völlig schalen Neige saß, schon seitdem ich den Schankraum betreten hatte, offenbar. Ach, das war es! Dem Manne konnte geholfen werden. Ich überrechnete, was meine zwei Bier, zwei Korn plus ein Bier, ein Korn für diesen armen Schlucker hier kosten würde (sicher Preisstufe eins, oder?), wollte gerade nach meinem, nach der letzten Löhnung noch leidlich gefüllten Portemonnaie fischen, das abgezählte Geld über den Tisch schieben, mir also einen passablen Abgang verschaffen, da erschien der Wirt. Und bevor ich irgendetwas sagen konnte, hatte mein Freund bereits eine Runde bestellt. Taktik oder nicht, ich fühlte mich dermaßen durchschaut, dass ich, kaum dass die Biere und Klaren auf dem Tisch standen, dem Wirt meinen Deckel zum Anschreiben hinschob. Nein, kein Protest, diese Runde ging auf mein Konto. Möge es nützen, Prost!

 

Doch bewirkte ich das Gegenteil des Erhofften. Mein Gegenüber zog sich keinesfalls wieder zurück, sondern begann, aus Dankbarkeit wohl, mir eine Geschichte zu erzählen:

 

Rudi, habe die Mutter selig immer gesagt, die Wirtschaft ernährt uns nicht mehr, sieh dich alsbald nach Arbeit um! Weit brauchte er da ja nicht zu blicken, wurde doch mitten im Kriege hier, mitten in Mitteldeutschland, weit entfernt von den Fronten also, das Leunawerk aus den Feldern gestampft. Und nachdem der Vater gefallen und die Mutter gleich so manchem Nachbar Grund und Boden an die Schlotbarone verkaufen musste, wollte sie nicht enteignet werden, blieb ihm, Rudi, wohl oder übel nichts anderes übrig, als sich im Werk zu verdingen. Angefangen habe er als Stift in der Ammoniakfabrik, Me 13, und konnte sich ewig nicht an den Rotz und Tränen treibenden, scharfen Gestank, in dem Kollegen aber wie selbstverständlich ihre Frühstücksbrote verzehrten, gewöhnen. Das jedoch sei mit Sicherheit nicht der Grund gewesen, weswegen man ihn nach dem Kriege in die Ammonsulfatsalpeterabteilung versetzte. Dort wurde erweitert. Denn in immer mächtigeren Versammlungen und endlich mit einem Generalstreik hatte die Belegschaft gefordert und letztlich auch durchgesetzt, dass die Kriegsproduktion, Sprengstoffe, auf eine eindeutig friedlichen Zwecken dienende umgerüstet wurde - Düngemittel. Nie wieder sollten Leuna-Produkte Tod bringen können!

 

Ich räusperte mich. Was tischte mein Freund mir da für olle Kamellen auf! Hatte er nicht mitbekommen, was nunmehr Ende der 1980er Jahre Werksgespräch war? Japaner hatten angefragt, ob sie die Leunaer Ammoniakanlagen kaufen könnten. Dieser Kaufwunsch löste in der Chefetage, und sicher nicht nur da, Erstaunen aus. Was wollte man im High-Tech-Land Nummer eins mit jenen altväterlichen Reaktoren? Bald stellte sich aber heraus, dass kein Chemiekonzern, sondern ein Museum sein Interesse angemeldet hatte, denn immerhin war in eben diesen Reaktoren weltweit erstmals unter Industriebedingungen Ammoniak aus Luft erzeugt worden. Das wollten die Japaner würdigen. Natürlich konnte solchem Ansinnen nicht entsprochen werden, außerdem funktionierten diese ersten großtechnischen Haber-Bosch-Anlagen irgendwie noch immer, produzierten unter Hochdruck für den Plan! Infolge jener Anfrage sollten nun aber Überlegungen im Schwange sein, die Ammoniakfabrik zum Technischen Denkmal zu erklären, durch eine blauweiße Denkmalschutz-Plakette die unsäglichen Arbeitsbedingungen in diesem Uraltbetrieb womöglich sogar zu legitimieren.

 

Mein Gegenüber lächelte freundlich, doch verständnislos, trank einen Schluck Bier und erzählte weiter:

 

Im Silo, der größten Düngerlagerhalle Deutschlands, der ganzen Welt womöglich, arbeitete Rudi nun also. Mit der Morgensirene, sechsmal die Woche auf die Sekunde genau halb acht, bis zur Feierabendsirene dreiviertel fünf (sonnabends dreiviertel eins) lockerte, schaufelte, karrte, wog, schüttete, schaufelte, karrte, lockerte er ihm selten mehr als ein Sandkörnchen anmutende Mengen der in den schier endlosen, festungsähnlichen Betonkammern eingelagerten Düngerwüsten, unermüdlich, wie gehetzt. Da der Lohn trotzdem kaum fürs Lebensnotwendigste reichte, ja, man für sein sauer verdientes Geld immer weniger kaufen konnte, besuchte er bald regelmäßig Versammlungen, hockte auch des Öfteren hier in der Schönen Aussicht oder im Heiteren Blick mit Genossen zusammen. Für deren vereinigte Partei war im Februar, bei den Wahlen zum Preußischen Landtag, im hiesigen Regierungsbezirk von jedem vierten Wähler gestimmt worden, auch von Rudi natürlich. Was sie redeten machte ihm Hoffnung und Mut. Immer wieder war da von Rosa und einer Zusammenbruchstheorie die Rede. Wenn sie, die Proleten, immer weiter verelendeten, würden die Kapitalisten bald nichts mehr absetzen können. Das System sei an der Wurzel getroffen, bräche in absehbarer Zeit von selbst zusammen. Warum so lange warten, Genossen? Versetzen wir dem Kapitalismus den Todesstoß!

 

Und als dann in der Presse immer lauter die Entsendung von Sicherheitspolizei nach Mitteldeutschland, angeblich zur Verhinderung von Bandendiebstählen in Industrie und Landwirtschaft, zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung gefordert wurde, als bei Ammendorf Maxe Hoelz mit einem Dynamitanschlag gegen die Reichsbahn ein Signal setzte, als es im Mansfeldischen losschlug, wurde Rudi, obwohl von zu Hause aus nicht eben der Mutigste, zum Kämpfer. Gegen Ostern einundzwanzig war das.

 

Ich blickte meinem Tischgenossen in die Augen. Zusammenbruchstheorie? So oft ich inmitten meiner Mitschüler zur Gedenkstätte der Märzkämpfer nach Leuna-Kröllwitz marschierte, vornweg stets Oberstudienrat Wenzel (Gleichschritt!), hatte ich von solcher Theorie nie reden gehört. Alle Jahre wieder nur von Helden und deren Vermächtnis, alle Jahre wieder bis zum Überdruss, bis zur Verständnislosigkeit. Was also wollte mir mein Freund da unterjubeln? Traditionsreiches Gedankengut vom alsbald bevorstehenden und automatisch alle Weltprobleme lösenden Sieg des Kommunismus etwa? So aber sah mein Tischgenosse eigentlich nicht aus. Allein dieses Jackett! Das könnte tatsächlich schon in der Zeit, über die er hier, warum auch immer, fortgesetzt schwadronierte, getragen worden sein. Und unablässig kerbte er seinen Bierdeckel. Wahrscheinlich war er doch nichts als ein Schnorrer. Ich ging pinkeln.

 

Über ein kurz entschlossenes Ausbüxen brauchte ich mir dabei allerdings keine Gedanken zu machen. Mein Freund folgte mir, erzählte unablässig weiter:

 

Zur Kröllwitzer Fahsnacht hatte Rudi Anna kennen gelernt. Anna war in Kriegsdorf in Stellung, im Rittergut, und schien ziemlich religiös. Oder sollten ihre Anspielungen auf den Erlöser einen recht irdischen Sinn haben? Rudi verteidigte Anna beim Fahsnachtstanz jedenfalls gegen jedwede Ansprüche der Kröllwitzer Burschen. Am Ende sahen die ihn an, als wäre er einer der im Werk gebliebenen einstigen Kriegsgefangenen, Russe, Amerikaner, Serbe, Franzose oder Neger oder was. Sollten sie doch Händel anfangen, die Burschen! Rudi fürchtete sich nicht. Gleich beim ersten Tanz hatte er Anna, über sich selbst staunend, zugeflüstert, wenn sie nicht ausschließlich mit ihm tanze, werde er zur nächsten Fahsnacht wohl den Nachtwächter darstellen müssen, Laterne und Hellebarde schleppend, zu nichts besserem mehr nütze als anzusagen, was die Glocke geschlagen habe und verirrten Zechbrüdern heimzuleuchten. Um Himmelswillen, dagegen werde sie etwas tun, hatte Anna versprochen. Hand in Hand schlenderten sie schließlich unter die Weiden am Gänseanger, liefen dann eng umschlungen die Kopfsteinpflasterstraße am Wasserwerk, am Gasthaus vorbei gen Siedlung. Zu sich nach Hause durfte Rudi Anna natürlich nicht bringen, so nahe liegend das auch gewesen wäre, immerhin aber bis vor die Haustür in Kriegsdorf, kilometerweit entfernt. Rudi schwärmte, die holprige, baumlose Straße komme ihm plötzlich wieder wie in seiner Kindheit vor. Was für eine prächtige Kirschallee war das doch! Grün und rosa und morellenrot erschien Rudi die Februarnacht. Wie wäre es, wenn man sich zu Ostern verlobte? Anna war begeistert. Zu Ostern, am Tag der Auferstehung, oh ja, das wäre himmlisch!

 

Übermütig jagten Rudi und Anna über Sand- und Steinhaufen der Siedlungsbaustelle. Vielleicht könnten zeitgemäß auch sie eine Werkswohnung beziehen, hier ein Heim finden? Warum sollten ihre Kinder hier nicht zur Schule gehen, später im Werk ihren Unterhalt verdienen? Wie Kinder tollten Rudi und Anna zur Saale hinunter, sprangen von Schwelle zu Schwelle der neuen Eisenbahnbrücke zum anderen Ufer und in die Aue hinein, erreichten Kriegsdorf im Morgenrot.

 

Ich nahm wieder Platz. Mein Gegenüber befummelte nervös den bekerbten Bierdeckel. Also gut, ich bestellte die nächste Runde. Als der Wirt das Gewünschte endlich brachte, schob mein Freund ihm seinen Bierdeckel, im Gegenzug sozusagen, jedoch keineswegs zum Anschreiben über den Tisch. Wahrscheinlich nahm ihn das Erzählen einfach zu sehr in Anspruch:

 

Wie so mancher seiner Kollegen war Rudi vor Ostern nicht nur einer der Kampfgruppen, sondern auch der Partei beigetreten. Er verspürte in jenen verwirrten Zeiten ein starkes Bedürfnis, für eine neue Ordnung sorgen zu müssen. Ja, durch Anna hatte Rudi eine Geborgenheit kennen gelernt, die ihn bekräftigte in allem was er dachte und tat und nach der er sich umso mehr sehnte, desto bedrohlicher die Meldungen über Aktionen der Sicherheitspolizei, der Sipo, in Eisleben, Hettstedt, Sangerhausen und Bitterfeld wurden. Rudi war entschlossen, eine Ordnung der Geborgenheit, der Ruhe und des Glücks, zu erkämpfen, auf den Spuren von Maxe Hoelz sozusagen. Und auch in Merseburg braute sich offenbar etwas zusammen.

 

Seit Montag, seit der Generalversammlung, war Rudi nicht mehr aus dem Werk, und seit Mittwoch, seit Beginn des Generalstreiks, nicht mehr aus den Klamotten gekommen. Keinesfalls wurde das Werk stillgelegt durch die Streikenden, die Produktion nur gedrosselt (der Sipo keinerlei Vorwand zum Angriff!), Notschichten waren zu besetzen. Unermüdlich baute Rudi mit Kollegen und Genossen, die sich Gründonnerstag, nach der Löhnung, kurz entschlossen auch noch bereit waren im Werk zu bleiben, ihre Rechte zu verteidigen, Barrikaden, übte, stand Wache. Leuna durfte nicht in Sipo-Hände fallen! Hier, ja hier, sollte die entscheidende Schlacht geschlagen werden! Von Leuna aus sollte das Signal zum Todesstoß geblasen werden, dass die Sirenen des Aufstandes im ganzen Land aufheulten!

 

Karfreitag war Rudi bei der Entwaffnung der Werkspolizei, dann bei der Besetzung des Verpflegungsmagazins dabei, riss zum Werk führende Straßen auf, kappte Telefonmaste, errichtete Verteidigungsstellungen. Wie die meisten Kämpfer in den dreizehn eilends aufgestellten Kompanien hielt er jedoch mehr von einem Überraschungsangriff auf die Merseburger Garnison, als vom Verschanzen. Die Aufstandsleitung aber war anderer Meinung. Das hätte Maxe Hoelz sicher anders gesehen.

 

Ostersonnabend gab's bei einer Patrouille in der Nähe des Vorwerks Bäumchen den ersten Schusswechsel. In den Dorfkirchen rings ums Werk läuteten die Glocken Sturm. Die Kumpel im Geiseltal schlossen sich dem Generalstreik an. Ostersonntag verschärfte der Merseburger Regierungspräsident den Ausnahmezustand. Ostermontag besetzte Rudis Kampfgruppe im Schutze ihres Panzerzuges Spergau, musste bis Mittag aber einer Sipo-Übermacht, anrückenden Verstärkungen offenbar, weichen.

 

Und für den Dienstag war im gesamten Reich, dem Beispiel Leunas folgend, die Abstimmung über einen landesweiten Generalstreik vorgesehen. Das Fanal!

 

Im Morgengrauen wurde Rudi in die Baracke 774, zum Stab, gerufen. Rings ums Werk waren merkwürdige Sipo-Bewegungen beobachtet worden. Rudi sollte mit seiner Gruppe schleunigst die Mannschaften am Bahndamm vor dem Haupttor verstärken. Die aber hatten sich schon hinter den vermeintlich Schutz bietenden, übermannshohen, hölzernen Werkszaun zurückgezogen. Und als dann urplötzlich Haubitzbeschuss einsetzte, in nächster Nähe Granaten einschlugen, das riesige Gasometer hinterm Haupttor wie eine gigantische Fackel aufflammte, all das Heulen und Krachen und Knallen und Bersten gespenstisch beleuchtete, zogen sich die Genossen nicht, wie für einen eventuellen Angriff besprochen, in die Maschinenhäuser zurück (da diese doch sicherlich von den Angreifern geschont werden sollten), sondern stürmten kopflos in Richtung Siedlung davon. Was, wenn einer der Ammoniakbehälter getroffen würde - Gastod, tausendfach? Rudi rannte durch dieses Chaos zum Stab, wollte Meldung erstatten, doch die Baracke 774 war leer. Waren die Kommandeure ihren in Not geratenen Verbänden zu Hilfe geeilt? Aber die Kämpfer flohen, flohen scharenweise! Rudi wurde von panischer Verlassenheit gebeutelt, hetzte seiner Gruppe nach. Vom Wasserwerk bellte heftiges Maschinengewehr herüber. Nur hie und da schlug dem nun überall im Werk und sogar in der Barackenstadt krepierenden Haubitzgranaten todesmutig Gewehrfeuer entgegen.

 

Rudi jedoch lief schon durch die Siedlung, entging wie durch ein Wunder der Sipo, die in der Nähe der Schulbaracke entmutigend viele Kämpfer gefangen hielt, wollte zur Eisenbahnbrücke und über die Saale. Von dort aber stürzten Genossen mit stieren Augen, röchelnd, von Maschinengewehrsalven verfolgt, wie ein Schrei an ihm vorbei und die die Arme der Greifer. Ein Hexenkessel. Alles schien hermetisch abgesperrt.

 

Rudi schlug sich durchs Gebüsch der Saale-Anlagen, wusste nicht mehr wohin, konnte aber unmöglich stehen bleiben. Rudi floh, floh sich selbst nun, floh... Dann, oberhalb der Badeanstalt entdeckte er im jenseitigen Ufergestrüpp ein Floß, ein wie eine Fähre benutzbares Floß, holte es über und überbrückte glücklich die eisigen Wasser der Saale. War von einem, im Schutze der Nacht aus Kröllwitz herangeführten, oberhalb der Badeanstalt versteckten Floß nicht zwischen KAPD-Funktionären, der Aufstandsleitung, getuschelt worden, als er im Morgengrauen die Stabsbaracke verließ - im äußersten Notfall...? Diese Feiglinge, diese Arschlöcher, hätte Maxe Hoelz wohl gesagt.

 

Im Gegensatz zu den alles andere als heldenhaften Kommandeuren entkam Rudi nicht. Kurz vor Kriegsdorf wurde er erkannt, ins Werk verschleppt und gleich siebzehnhundert Leuna-Kämpfern ins Silo gepfercht.

 

Vielleicht war das das Schlimmste: da gefangen zu sein, wo man arbeitete. Rechts, links, vor, hinter, über und unter einem dieser erdrückend wuchtige, klammgraue Beton. Hoffnungslos. Unerreichbar hoch oben schießschartige Fenster. Darunter auf Gitterrosten die bleichen, zuweilen grinsenden, dann wieder brüllenden Schergen. Und statt des vertrauten Düngerstaubes, des weißen, feinen Düngerstaubes, nichts als Schniefen und Stöhnen, Keuchen, Schluchzen, Flüstern und Knurren der Geschlagenen und Verletzten, Verängstigten, Verhöhnten, den mutlos sich und die Welt nicht mehr Verstehenden in den beiden Kammern des Silo. Idealer Kerker. Ab und zu stach ein Scheinwerferstrahl in die Masse Mensch. Ab und zu wurden Männer hinausgeschleift. Ab und zu kam einer nicht wieder. Bei Kröllwitz und Rössen, bei Daspig wie in der Siedlung, längs der Saale und auf dem Werksgelände, in den Baracken, den Maschinenhäusern, hinter dem Silo, überall eben, wo's der Sipo verdächtig nach rotem Leuna roch, wurde geprügelt, zerschlagen, verstümmelt, erdrosselt, erschossen. Ringsum hörte man den Tod, hörte ihn wie den Wind, der sich aufheulend in den Betonnischen fing. Und stündlich, dann täglich, wurden Versprengte, Geflohene, Entnervte in den betäubend dunklen, kotigen Silomief gesperrt. Stumpf aß und trank man kärgliche Rationen. Aasgeschmack, Grabgeruch.

 

Mein Tischgenosse nickte vor sich hin, so als wäre er während seines Erzählens senil geworden, kerbte auch nicht mehr seinen Bierdeckel, was er zeit des Erzählens unablässig getan hatte. Ja, während mein Deckel inzwischen etliche Rundenstriche zierten, waren im blütenweißen meines Freundes nun Buchstaben erkennbar, drei, wenn ich recht sah. Ein R und ein I und ein P wohl. Merkwürdig, was sollte das darstellen, die Abkürzung irgendeines Vereins vielleicht? RIP. Ein Verein womöglich, dem ich diskret beitreten sollte? Deswegen diese ganze Erzählerei? RIP. Das alles hier also eine Art Werbung, Agitation, Propaganda? Zahlte ich nicht längst genug Mitgliedsbeiträge an Vereine, in denen man halt zu sein hatte, Gewerkschaft und Konsum und dergleichen. Aber nein, meinem Tischgenossen schienen meine Gedanken einmal mehr offenbar. Er lächelte. Das seinen bloß Initiale, die von Rudolf Irmfried Pehnert nämlich, seine Initiale. Seine Initiale? Rudolf?

 

Bevor ich meiner Verblüffung, meinem Zweifel oder was auch immer Luft machen konnte, fragte mein Gegenüber mich jedoch schon, was ich fürs Werk tue, vielleicht sogar in Rudis Sinn? Denn im Werk arbeitete ich doch, oder?

 

Ich nickte. Schicht für Schicht vorm Monitor oder in der Anlage, warum wohl hockte ich hier, wollte meine Ruhe, nichts als meine Ruhe. Was aber tat ich eigentlich im Werk? Was ich tun musste, was alle taten, um gut zu verdienen, um ihre Ruhe zu haben, oder?. Wäre das nicht auch eine Theorie wert: Was verelendet und bricht letztlich zusammen, wenn man Schicht um Schicht behäbiger wird? Wem wird dann ein Todesstoß versetzt?

 

Dämmrig war es geworden, das Gasthaus füllte sich. Missmutig schaltete der Wirt die Beleuchtung ein, das Gaslicht über der Theke allerdings nicht. Funktionierte wohl nicht mehr, die Funzel, diente offensichtlich allein nostalgischen Zwecken.

 

Vielleicht fühlte sich mein Tischgenosse in diesem Licht durchschaut, oder versuchte er mich endlich gesprächiger zu machen? Jedenfalls bestellte er eine weitere Runde und ließ diese tatsächlich auf seinem RIP-Deckel anschreiben. Na, da schau an. Kam ich etwa doch noch auf meine Kosten?

 

Durch den wie Zigarettenrauch im Lokal hängenden Kneipenlärm forderte ich meinen Tischgenossen auf, mir seine Geschichte zu Ende zu erzählen.

 

Zu Ende erzählen? Mein Gegenüber starrte mich entgeistert an. Ich prostete ihm zu. Er werde mir doch nicht weismachen wollen, dass da nicht noch was käme, 'ne Moral zumindest. Denn in das Geschichtsbild, das mir bislang über die Märzkämpfe vermittelt worden war, alles Helden, die Genossen, passe die Rudi-Story beim besten Willen nicht. Und seien Anna und Rudi schließlich zusammengekommen, hatten sie sich noch verlobt, hatten sie geheiratet zu guter Letzt und Kinder bekommen?

 

Mein Tischgenosse kniff die Lippen zusammen, blickte mich mitleidig an und schüttelte resigniert den Kopf. Oder sollte dieses Kopfschütteln bedeuten: du hast genug, mein Lieber, für heute mehr als genug? Auch der Wirt schien mich auf einmal anzustarren und bedeutungsvoll den Kopf zu schütteln. Oder bildete ich mir mitleidiges Kopfschütteln, Anstarren und wer weiß was alles noch nur ein? Bekam ich langsam nichts mehr in die richtige Ordnung?

 

Mein Gegenüber stand wortlos auf und verließ den Schankraum ohne im Mindesten zu schwanken dabei. Ich saß und wusste nicht so recht wohin mit mir. Aber niemand kümmerte das. Und mein Freund kam und kam nicht zurück.

 

So ging ich ihm endlich nach, fand ihn jedoch weder in der Toilette, noch im Hof und auch vorm Tor nicht. War mein Freund nichts als ein Zechpreller oder was? Da war doch, verdammt, noch eine Rechnung offen!

 

"Rip!" rief ich, wieder und wieder nach Rip und geriet auf den Dorffriedhof nebenan. "Rip, eh Rip, wo steckst du?" Ich hörte Glocken Ostern einläuten, sah mich unversehens einer arg verwitterten Inschrift gegenüber: ...gefallenen ...Kämpfern ...Gedenken ...Lebenden ... Mahnung..., zuckte ob dieser neuerlichen Merkwürdigkeit die Schultern, fühlte mich aber, weiter und weiter suchend, zunehmend beunruhigt.

 

  

 

Schota Rustaweli

 

* etwa 1172 in Rustawi, Georgien, † etwa 1216 in Jerusalem, georgischer Dichter

  

Schota Rustaweli gilt als einer der bedeutendsten Literaten des Mittelalters. Viktoria Ruika-Franz, die sein Epos „Der Recke im Tigerfell“ nennt ihn in ihrem Nachwort sogar einen „der ganz großen Schriftsteller unseres Planeten“, und sie schreibt: „Der Dichter gehörte […] zum Dienstadel, dessen Vertreter nicht durch Herkunft, sondern um bestimmter Verdienste willen zu Landbesitz und Adelsrang gekommen waren. Als hochgebildeter, welt- und spracherfahrener Mann war er seiner Epoche weit voraus. Was er bei Hofe und im Lande beobachtete, verletzte seinen Gerechtigkeitssinn. Bitter beklagte er ‚Pracht und Niedertracht’ der Zeit. Die mündliche Überlieferung bewahrte seinen Ausspruch ‚Wenn der Mann nichts taugt, was hilft ihm die Herkunft?’ Kein Wunder, dass Rustaweli den auf ihre vornehme Geburt pochenden Adelsherren und den mächtigen Kirchenfürsten ein Dorn im Auge war. Sie sorgten dafür, dass sein Werk totgeschwiegen und sein Namen aus den Chroniken und Zeitdokumenten entfernt wurde. In einem Kloster, einer Zufluchtsstätte für politische Verbannte, beschloss der Dichter außerhalb seiner Heimat seine Tage. Rustawelis Wort aber lebt und kündet von seinem Streben. So wie er sehnen sich seine Helden nach Gerechtigkeit und Glück, Sie kämpfen gegen das Böse in der Welt und setzen alle ihre Fähigkeiten ein, um das Unheil zu besiegen. Klug wie Gelehrte und schön wie Sterne sind die kühnen Recken, und dass sie aus wahrer Liebe und aufrichtiger Freundschaft handeln, verleiht ihnen Riesenkräfte. ‚Das Böse ist vergänglich, nur das Gute ist von Dauer’, sagt Rustaweli. Aber ein Mensch richtet wenig aus. ‚Wer nicht Freunde sucht auf Erden, ist sich selbst der ärgste Feind.’ Erst das Bündnis der Tapferen sichert den Erfolg.“

 

Der österreichische Schriftsteller Arthur Gundaccar von Suttner, der mit seiner Frau, der späteren Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, von 1876 bis 1886 in Georgien lebte, und wohl auch an einer Prosafassung des „Recken“ gearbeitet hatte meinte: „Das georgische Volk kann stolz darauf sein, daß sein Nationalepos keine Nachahmung Homers oder Vergils, sondern ein echt georgisches Literaturdokument darstellt.“

 

Der österreichische Essayist Hugo Huppert sagte: „Monumental in seinem Gesamtaufbau weist das Poem vom ‚Recken im Tigerfell’ stellenweise mosaikartige Kompositionen auf: Intermezzos, Einsprengsel von relativ selbstständigem Charakter. In der westeuropäischen Dichtung hat der mosaikartige Aufbau später größere Verbreitung gefunden. […] Ganz besonders hervorzuheben sind Rustawelis zahlreiche Aphorismen und Sentenzen. […] Unter den Aphorismen Rustawelis gibt es solche, die nun seit Jahrhunderten populär und sprichwörtlich geworden sind. Manche stimmen inhaltlich mit bekannten westeuropäischen ‚geflügelten Worten’ überein, so zum Beispiel die in Georgien berühmte […] zeile […]  ‚Besser ist ein Tod in Ehren als ein Leben voller Schande’, die einem analogen Spruch aus dem frühen angelsächsischen Beowulf-Poem verwandt erscheint.“

 

Eine erste Gesamtausgabe von „Wepchis-tkaossani“ besorgte 1712 der kunstsinnige georgische König Wachtang VI. 2013 wurde das Manuskript des „Recken im Tigerfell“ zum Weltdokumentenerbe erklärt.

 

 

 

Treulos ist die Welt und tückisch, nur Betrug ist ihr Ertrag;

 

bloß ein Augenblick das Leben, kürzer als ein Wimperschlag

 

Wohin sterbt ihr? Was betreibt ihr? Wißt, am Ende steht Schmach

 

     und Plag.

 

Selig, wem das Schicksal wohlwill vor und nach dem Sterbetag

 

 

 

 

 

 

 

Sinn Sisamouth

 

* 23.8.1932 in Stung Treng, † 18.5.1976 in Kaoh Thum, kambodschanischer Sänger

  

Dem Terror der Roten Khmer fielen etwa zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer, ca. ein Drittel der Bevölkerung Kambodschas, darunter auch beliebte Sänger und Sängerinnen wie Chhoun Malai, Huoy Meas, Liev Tuk, Mao Sareth, Ros Seray Sothea, Stift Ran und Touch Teng sowie der als „König der Khmer-Musik“ bekannte Sinn Sisamouth.

 

Mit sechs spielte Sinn Sisamouth diverse Saiteninstrumente und begeisterte zudem durch sein Gesangstalent, mit sechzehn begann er zu komponieren. Er studierte Medizin, praktizierte in einem Krankenhaus in Pnomh Penh, wurde dann aber vom nationalen königlichen Radiosender als Sänger eingestellt. Mitte der 1950er Jahre wurde er durch seine klassische Ballade „Violon Sneha“ zum Star. Die Königin Sisowath Kossamak lud ihn ein, Mitglied des klassischen königlichen Tempel-Ensembles zu werden, dem Vong Phleng Preah Troap. Seine Stimme wurde mit der von Nat King Cole verglichen. Sein Repertoire reichte von traditioneller Khmer-Musik und romantischen Balladen zum Latin-Jazz  letztlich bis zum Psychodelic Rock, wofür er mit jungen Rockmusikern zusammenwirkte. Und er komponierte auch den Soundtrack für zahlreiche populäre kambodschanische Filme. Angeblich soll er in den 20 Jahren seines Lebens als Berufsmusiker jeden Tag ein Lied geschrieben haben, für sich und andere kambodschanische Sänger und Sängerinnen. Immerhin erschien 1973 ein Song-Book mit 500 Liedern Sinn Sisamouths.

 

Der Legende nach soll Sinn Sisamouth vor seiner Hinrichtung die Soldaten des Erschießungskommandos gebeten haben, ein letztes Lied singen zu dürfen, um zu versuchen wohl, die Emotionen der Killer zu wecken. Es nützte nichts.

 

Jahrzehnte nach seinem Tod kommt seinem Wirken in den Dokumentarfilmen „Don’t Think I’ve Forgotten“ und „Elvis of Cambodia“ eine zentrale Rolle zu.

 

  

 

 

Can Themba

 

* 21.6.1924 als Daniel Canadoise D’Orsay Themba in Marabastadt, † 1968 in Manzini, Swasiland, südafrikanischer Schriftsteller

  

Manzini erreichen wir erst nach Einbruch der Dunkelheit, kurven ewig herum, da wir unsere Herberge nicht finden können (natürlich hat sich auch wieder niemand (sprich: der Fahrer- über die Strecke informiert, geschweige denn Karten parat…). Und dann erleben wir mal wieder ein afrikanisches Lehrstück: Unser Fahrer fragt an einer Tankstelle (in einem seltsamen Englisch-Bantu-Gemisch), ob hier jemand unsere Herberge kennt. Niemand kennt unsere Herberge. Nun zeigt er Zettel einen herum. Darauf steht eine Telefonnummer. Wir haben aber kein Handy mit einer Swasiland-Handykarte. Großes Palaver. Dann gibt der Tankwart unserem Fahrer sein Handy. Der ruft in der Herberge an, fragt aber nicht nach dem Weg, sondern (warum auch immer?), ob noch Zimmer frei sind. Und bekommt natürlich die Auskunft, dass alle Zimmer reserviert seien. Da wir das zuerst nicht kapieren, drehen wir noch einige Ehrenrunden, bevor ich dann drauf dränge, dass wir uns eine hiesige Handykarte kaufen, selbst anrufen, und schließlich gegen 20.00 Uhr an einem Supermarkt unsere herantelefonierten Herbergseltern treffen, die nun vor uns herfahren… Ob wir die kilometerlange, abenteuerliche, sehr abenteuerliche zum Quartier führende Piste aber (selbst bei Tageslicht) allein gefunden und befahren hätten, wage ich zu bezweifeln. Ende gut, alles gut: wir wohnen die nächsten Tage in einem wunderschön in den Hügeln über Manzini gelegenen Farmhaus. Kleine Terrasse vor dem gemütlichen 2-Bett-Zimmer nach europäischen Standard – wie herrlich sitzt es sich hier in der Nacht nach all den mosambikanischen Unzumutbarkeiten! Was für ein wohltuendes Gezirpe, Geflatter, Gequake statt Geschrei, Gedröhn, Gehupe ringsum! Riesige Nachfalter umschwirren mich – ja, das könnte seit Tagen mal wieder eine erholsame Nacht werden.

 

Irgendwie wollen statistische Angaben zu Swasiland mit dem, was ich hier (bislang) sah und erlebte, nicht so recht zusammenpassen: Swasiland, eine der noch wenigen absoluten Monarchien, hat neben Botswana die höchste Rate an AIDS-Infizierten der Welt: ca. 50% der Bevölkerung! Durchschnittliche Lebenserwartung: 29 Jahre! Tendenz sinkend! Die Hälfte der heute 15-jährigen wird statistisch gesehen also nicht das 30. Lebensjahr erreichen! Ganze Generationen demnächst verschwunden sein! Dazu sollen 60% der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze von 1$ pro Tag vegetieren, die restlichen 40% jedoch wohlhabend bis reich sein… Tragisch: Medizinmänner raten AIDS-kranken Männern mit einer Jungfrau zu schlafen! Und die südafrikanische Gesundheitsministerin propagiert als AIDS-Allheilmittel allen Ernstes Rote Beete!

 

Alles sehr schwer vorstellbar, zumal wenn du nach dem Frühstück satt auf deiner Terrasse sitzt, die im Baum hinterm Swimmingpool lärmenden Webervögel beobachtest und weit über die grünen Hügel Swasilands hinausblickst. Wir sind hier wohl etwa auf 1.000 m und die Hügelkette am Horizont soll sogar bis 1.800 m ansteigen, so dass es im Winter hier sogar schneit…

 

Wir fahren in die Hauptstadt von Swasiland, fahren gut 40 km über eine vierspurige, in bestem Zustand befindliche Autobahn nach Mbabane. 50.000 Einwohner soll Mbabane haben, das scheint mir eher hoch gegriffen – sehr kompaktes, überschaubares Zentrum, mit einer Mall, Supermärkten, vielen kleinen Geschäften, alles in einem Talkessel gelegen (im Reiseführer steht: wie Rom auf sieben Hügeln erbaut, nun gut). Viel Grün und immer wieder herrlich lichtblau blühende Jacaranda-Bäume. Wir schlendern ein bisschen herum, tauschen Geld (das heißt hier: Lilangeni – Mehrzahl: Emalangeni!), kaufen hie und da das eine und andere Andenken, ich beispielsweise ein Tuch mit dem Konterfei des Königs Msawati III.!

 

Irgendwann kommt ein dicker Police Officer (englische Uniform – in dieser einstigen englischen Kolonie scheint alles very british) auf mich zu, ich denke schon, es geht wieder los mit dem Geschmiere, aber nein, der klopft mir die Schulter und lacht sich halbtot: Hey, hey, Osama bin Laden, hey, hey! Wir schütteln uns die Hände und er beteuert immer wieder: It’s a joke, it’s a joke, Sir!

 

Wir fahren ein Stück über die Autobahn zurück, sehen riesige Stadion-Baustellen (der König will präsent sein können, falls es mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika Probleme geben sollte) kommen ins Ezulwini Valley, wo offenkundig das Andenkenhandwerk blüht. Allenthalben Stand an Stand, die Verkäuferinnen (selten nur Männer zu sehen) sind sehr freundlich, niemals aufdringlich. Und die Preise erstaunlich niedrig. Zum wiederholten Male fällt mir auf, dass Taiwan Projekte in Swasiland unterstützt, so auch diese Andenkenkooperativen (wie auf großen Werbetafeln ersichtlich). Auch Zypern soll hier sehr aktiv sein. In Mosambik war immer wieder zu sehen und hören, dass Brasilien präsent ist, mit einem großen Kulturzentrum in Maputo beispielsweise. Bilden sich in dieser Welt also auch Bündnisse aus, um Interessen durchzusetzen, von denen man im europäischen Alltag nichts erfährt? Einmal ein bemerkenswerter Verbund von kleinen Staaten, ein andermal einer der portugiesisch sprachigen?

 

Über eine schöne Nebenstrecke gelangen wir zurück nach Manzini, geraten in die rush hour, was für ein Gedränge am Busbahnhof. Aber du hast hier niemals das Gefühl von Unsicherheit. Auffällig jedoch, dass tatsächlich nur junge Leute zu sehen sind, kaum mal einer über 30 zu sein scheint!

 

Um 18.00 Uhr werden hier allerdings die Bürgersteige hochgeklappt. Schlagartig wirkt alles wie entvölkert. Und als wir in einem Bottle-Shop noch etwas zu trinken kaufen, rät uns der Verkäufer, wir Weißen sollten jetzt besser rasch von hier verschwinden. Es könnte ungemütlich werden!

 

Am nächsten Morgen unterhalte ich mich beim Koffer-in-den-Bus-laden noch ein bisschen mit unserer Wirtin, will zum Beispiel wissen, ob ich die Literatur über Swasiland falsch gelesen habe, überall steht was von erschreckender Armut, wir aber haben ein ansprechendes, verhältnismäßig wohlhabendes Land gesehen. Ja, sagt sie, in einem Korridor entlang der guten Straßen und in den Städten und um die Städte herum sieht es recht gut aus, aber fernab der Wege lebt man tatsächlich unterm Existenzminimum. Dennoch sei sie vor 20 Jahren aus Südafrika hierher gekommen, lebe gern hier, da die Swasi ein freundliches, aufgeschlossenes Volk seien, man als Weißer hier nichts auszustehen, nichts zu befürchten habe. Den Elektrozaun ums Grundstück hätten sie nur, damit sich die Gäste völlig sicher fühlten. Sie selber bräuchten so was eigentlich nicht…

 

Aus Südafrika stamme sie? frage ich. Von daher kam doch auch der Schriftsteller Can Themba nach Manzini, dessen Wahlspruch war: „Live fast, die young and have a good-looking corpse“. Wie passend! Ob sie von dem gehört habe? Schulterzucken.

 

An der Grenze nach Südafrika gibt’s dann aber doch noch einen leisen Misston: Wir haben schon alle Stempelstellen durchlaufen, fahren sozusagen schon im Niemandsland, da werden wir von einem Typen im Trainingsanzug angehalten, hinter ihm drei schräge Typen in Blaumännern. Angeblich fehlt mal wieder irgendein Papierchen, zumindest beharrt der Trainingsanzugtyp, der offenkundig tatsächlich den Swasi-Zoll darstellt, dieses zu sehen. Sonst keine Weiterfahrt. Grinsen. Es sei denn – 200 Emalangeni… Wir versuchen zu verhandeln, keine Chance. Wir sitzen fest. Da stülpe ich meine Hosentaschen um, zeige alles Geld vor, das ich noch habe: 110 Emalangeni. Die Typen nicken, lassen das Geld in ihren Hosentaschen verschwinden, stellen mir allerdings eine Quittung aus: über 200 Emalangeni!

 

 

 

Yi Xing

 

* 683 als Zhāng Suì, † 727, chinesischer Astronom

  

Yi Xing bedeutet „Der Allfähige“, und keine Frage, der Mönch Yi Xing leistete als Astronom, Mathematiker und Ingenieur Großes:

 

Armillarsphären, astronomische Geräte zur Darstellung der Bewegung von Himmelskörpern, waren in China seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. bekannt. Yi Xing entwickelte einen solchen Apparat aber bedeutend weiter, seine „Weltmaschine“ war durch eine Unruh geregelt und wasserbetrieben, alle Teile rotierten also automatisch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Erst im Mittelalter wieder tauchten vergleichbare Konstruktionen in Arabien auf, in der frühen Neuzeit sogar erst in Europa.

 

Um den Kalender zu verbessern, richtete Yi Xing ein System von 20 Observatorien ein, vom 17. Breitengrad in Vietnam bis zum 50. Breitengrad am Baikalsee. So gelang es ihm auch Sonnen- und Mondfinsternisse vorauszusagen und erkannte, dass Sonnen- und Mondfinsternisse nie die ganze Erde betrafen, sondern zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Weltgegenden auftreten.

 

Und Yi Xing entdeckte die Eigenbewegung von Fixsternen und kam zu der Erkenntnis, dass Sterne nicht auf einer über die Erde gestülpten Kugelschale fixiert sein können, wie zu seiner Zeit in China angenommen. Im 8. Jahrhundert!

 

Im 20. Jahrhundert wurde nach Yi Xing ein Asteroid benannt.

 

 

  

 

Martin Kippenberger

 

* 25.2.1953 in Dortmund, † 7.3.1997 in Wien, deutscher Künstler

  

Im Jahr 1990 schuf Martin Kippenberger sein Werk „Zuerst die Füße“: ein ans Kreuz genagelter grasgrüner Frosch mit Bierkrug und Ei in den Händen, und veranlasste damit den Präsidenten des Südtiroler Nationalrates in den Hungerstreik zu treten, um die Entfernung dieser Skulptur aus dem Museum für Moderne Kunst in Bozen zu erreichen. Es gab Mahnwachen vor dem Museum, diverse Proteste und sogar Papst Benedikt XVI. bestärkte den Präsidenten durch einen Brief, in dem er schrieb, dass der gekreuzigte Frosch die religiösen Gefühle vieler Menschen verletze.

 

Dennoch wurde „Zuerst die Füße“, das Martin Kippenberger als ein selbstironisch reflektierendes Selbstporträt verstand, nicht vor dem regulären Ende aus der Sonderausstellung entfernt.

 

Respekt der Museumsdirektorin, Chapeau!

 

 

 

Jean Moulin

 

* 20.6.1899 in Béziers, † 8.7.1943 bei Metz, französischer Widerstandskämpfer

 

Im Alter von 38 Jahren wurde Jean Moulin zum Präfekten eines Départements berufen, zum jüngsten jener Zeit. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs wurde er 1940 verhaftet, entlassen und trat der Résistance bei.

 

Wikipedia weiß: „Mit Hilfe eines amerikanischen Diplomaten in der unbesetzten Zone reiste Moulin im September 1941 über Spanien und Portugal unter dem Decknamen Joseph Jean Mercier nach London und traf neben André Dewavrin und anderen Exilfranzosen auch General Charles de Gaulle, den er über den Umfang und die Bedeutung eines integrierten inneren Widerstands durch eine im Oktober 1941 verfasste Studie mit dem Titel The Activities, Plans and Requirements of the Groups formed in France aufklärte. Anfangs unentschieden, wem unter den Exilfranzosen und Briten er vertrauen konnte, überzeugte ihn die patriotische Haltung de Gaulles. Dieser entsandte ihn daraufhin als seinen persönlichen Beauftragten in die unbesetzte Zone, um die Zersplitterung der verschiedenen Widerstandsgruppen zu überwinden und zur Résistance zu vereinigen. In der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 1942 sprang er mit dem Fallschirm in den Alpilles nahe Avignon ab. Er brachte ein Funkgerät und eine große Summe Geldes mit, die er u.a. für den Aufbau einer Widerstandspresse verwendete, und lernte Georges Bidault und Albert Camus kennen. Sein Hauptquartier errichtete Moulin in Kyon.“

 

Er nahm die Kampfnamen „Rex“ und „Max“ an und de Gaulles ernannte ihn im Oktober 1942 zum Präsidenten eines Koordinierungskomitees, was ihn offiziell von Seiten der Exilregierung zum Organisator des Widerstandes in Frankreich machte. Anfang 1943 reiste Moulin nach London, um den Exilfranzosen um de Gaulle den Gedanken nahezubringen, eine Art Untergrundparlament zu schaffen.

 

Am 21. März 1943 kehrte Moulin als persönlicher Beauftragter de Gaulles für ganz Frankreich mit dem Auftrag zurück, den CNR, den Conseil National de la Résistance (Nationaler Widerstandsrat), zu bilden. Er sprang unerkannt aus einem Flugzeug über dem südfranzösischen Gebirgsmassiv Alpilles ab. In diesem neuen Widerstandsrat sollten alle acht bewaffneten Widerstandsgruppen und die wiedererwachten französischen Parteien und Gewerkschaften mitwirken – eine schwierige Aufgabe, weil jede Gruppe ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren versuchte. […]

 

Für den Erfolg seiner Mission dürfte entscheidend gewesen sein, dass de Gaulle und Moulin politisch weitsichtig genug waren, auf die politischen Forderungen der Résistance-Leitung, insbesondere der Kommunisten, einzugehen, die schnell versuchten, den CNR mit ihren Leuten zu unterwandern.“

 

Am 21. Juni 1943 wurde Jean Moulin in Caluire-et-Cuire am Rande Lyons im Haus eines Arztes festgenommen, wo ein Treffen von hochrangigen Résistance-Mitgliedern stattfinden sollte. Jean Moulin wurde auf Befehl Klaus Barbies, des Chefs der Sicherheitspolizei in Lyon, schwer gefoltert. Als man ihn aufforderte, die Namen weiterer Résistance-Mitglieder aufzuschreiben, soll er stattdessen die Karikatur seines Folterers auf das Blatt gemalt haben. Schließlich wurde er in einen Waggon verfrachtet, der ihn in ein Konzentrationslager bringen sollte. Im Bahnhof von Metz wurde jedoch am 8. Juni 1943 Jean Moulins Tod durch Herzversagen festgestellt.

 

Seine Leiche wurde eingeäschert und auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beigesetzt, 1964 jedoch ins Panthéon überführt. Dabei beschrieb der französische Kulturminister André Malreaux Jean Moulin als einen Mann, der weder eine Pistole getragen, noch Brücken oder Züge in die Luft gesprengt habe, und sagte: „Er schuf keine Regimenter, aber er schuf eine Armee.“

 

 

 

 

Antoine de Saint-Exupéry

 

* 29.6.1900 als Antoine Marie Jean-Baptiste Comte de Saint-Exupéry in Lyon, † 31.7.1944 nahe der Île de Riou bei Marseille, französischer Schriftsteller

  

Der Herausgeber Reinhard Schmidt sagte: „Als Kind soll sich Antoine de Saint-Exupéry gewünscht haben, einmal als großer Flieger bewundert zu werden. Das ist ihm gelungen. Die Aura, die ihn als Schriftsteller umgibt, rührt daher, daß er lebte, was er schrieb – sowohl die Abenteuer als auch die Moral, die er aus ihnen zog. Man solle sich mit anderem beschäftigen als sich selbst, verlangte der Kleine Prinz.“

 

Wer kennt ihn nicht, den Kleinen Prinz – immerhin wurde dieses wohl berühmteste Werk Antoine de Saint-Exupérys mehr als 140 Millionen mal verkauft, gilt somit als eines der erfolgreichsten Bücher überhaupt.

 

Die Literaturwissenschaftlerin Brigitte Burmeister urteilte: „Ein Autor von Weltruhm mit ungewöhnlicher Ausstrahlung, Identifikationsfigur und moralische Instanz, für viele ein Weiser, ein Prophet – ‚Saint-Ex’, nach seinem frühen Tod zum Mythos geworden, gehört er bis heute zu den meistgelesenen französischen Schriftstellern dieses Jahrhunderts. Keiner seit André Gide hat eine derart weltweite Verbreitung erfahren, ist so häufig übersetzt und gelesen, auch niemand, nach Valéry, öfter zitiert worden.“

 

In einem seiner letzten Briefe schrieb Antoine de Saint-Exupéry im Mai 1944: …die Menschen unserer heutigen Zeit sind auf dem Holzweg. Die Zivilisation des Telephons ist unerträglich. Eine Karikatur des Beieinanderseins ersetzt das wirklich Beieinandersein. Von einem geht man weiter zum nächsten, wie man durch eine Drehung des Knopfs am Radio binnen einer Sekunde von Johann Sebastian Bach zum neuesten Schlager wechselt. Man schließt sich in nichts mehr ein, man ist nirgends mehr. Ich hasse diese sich bis zur Auflösung verdünnende Menschheit. Wo ich bin, dort bin ich, als wäre es für die Ewigkeit. Setze ich mich auf eine Bank, dann will ich mich für alle Ewigkeit darauf setzen. Ich habe ein recht auf fünf Minuten Ewigkeit, dort auf meiner Bank…

 

Und in seinem allerletzten Brief: Bestimmt bin ich der älteste unter allen Kampffliegern der Welt. […] Sollte ich abgeschossen werden, werde ich rein gar nichts bedauern.

 

Lange Zeit gab sein Verschwinden Rätsel auf, sogar von Selbstmord war die Rede. Dann fand 1998 ein Marseiller Fischer östlich der Ile de Riou in seinen Netzen Saint-Exupérys Silberarmband, 2000 ortete ein Taucher Teile des Flugzeugs Saint-Exupérys, die drei Jahre später geborgen und ein weiteres Jahr später als die Aufklärungsmaschine, die er flog, identifiziert. 2008 dann ergaben Recherchen, dass Saint-Exupérys Lockheed F-5 am 31. Juli 1944 von einem deutschen Jagdflieger abgeschossen worden war.

 

Burmeister: „Saint-Exupérys Humanismus fordert immer noch zu einer Auseinandersetzung heraus – zum Versuch, auf die Sehnsucht nach Menschlichkeit Antworten zu finden, die von der Mündigkeit der Individuen, von ihrem Eigensinn, von ihren wirklichen Existenzbedingungen, Wünschen, Ängsten und Bedürfnissen ausgehen.“

 

Ja, man sieht nur mit dem Herzen gut.

 

 

 

 

Robert Louis Balfour Stevenson

 

* 13.11.1850 in Edinburgh, † 3.12.1894 in Apia, Samoa, schottischer Schriftsteller

 

„Robert Louis Stevenson war ein gewissenhafter Künstler. Bei allem Streben nach technischer Vollendung war er kein glatter Perfektionist, sondern vielmehr ein Autor, der in voller Kenntnis der Gefahren und Versuchungen des literarischen Gewerbes und selbst angesichts der ökonomisch stets bedrohlichen Geschmackstyrannei der bourgeoisen Mittelschichten festhielt an den literarischen Standards, die er für unabdingbar hielt“, urteilte der Anglist Karl-Heinz Wirzberger, „Sah er sich gezwungen und glaubte er, es noch verantworten zu können, seine im Grunde im hohen Maß realistische Sicht der Gesellschaft und des Lebens hinter einer romantisch-exotischen Themenwahl zu verbergen, um so den Angriffen der spätbürgerlichen Literaturkritik den Boden zu entziehen, so kannte Stevenson hinsichtlich der inneren Wahrheit seiner Werke, der Treue des Details und der Ehrlichkeit der künstlerischen Absicht keinen Kompromiß.“

 

Jorge Luis Borges bekannte: „Von Kindheit an ist Robert Louis Stevenson für mich eine der Formen des Glücklichseins gewesen.“

 

Henry James sagte über Stevensons wohl bekanntestem Buch: „Ich nenne ‚Die Schatzinsel‘ herrlich, weil sie mir in wunderbarer Weise in dem, was sie anstrebt, gelungen zu sein scheint“.

 

Arthur Conan Doyle berichtete, dass er Stevenson nie kennengelernt habe, aber ihm viel im literarischen Sinn verdanke. „Ich werde mich stets des Vergnügens erinnern, mit welchem ich seine frühen Geschichten im ‚Cornhill Magazine’  las, längst noch, ehe mir der Name des Autors ein Begriff war. Noch heute halte ich den ‚Pavillon in den Dünen’ für eine der bedeutendsten Kurzgeschichten der Welt.“

 

Jack London schrieb in einem Brief an einen Freund: „Glaub mir, Stevensons ‚Father Damien-Brief’  tut in jeder einzelnen Minute mehr Wirkung – und das wird mit Sicherheit auch in Zukunft so bleiben – als alles, was ich je geschrieben habe und jemals schreiben werde.“

 

Bertolt Brecht verfasste „Glossen zu Stevenson“, empfand „Der Junker von Ballantrae als außerordentliches Beispiel eines Abenteuerromas „in dem die Sympathie des Lesers zu dem Abenteurer selbst (von der allein doch alle anderen Abenteuerromane leben) sich erst mühsam durchsetzen muß. Wie gesagt, eine Erfindung allerersten Ranges.“

 

Und Cesare Pavese erklärte: „Mit Stevenson hielten die stilistischen Forderungen der französischen Naturalisten, in exotischen Zauber gehüllt, ihren Einzug in die englische Literatur. Man darf sagen, daß hier die Anfänge der bedeutendsten Prosa unseres Jahrhunderts zu suchen sind.“[

 

Tja, da bleibt wohl nur noch aufzulisten, was Robert Louis Stevenson zeit seines kurzen Lebens, das exotisch in seinem selbst gewählten Südsee-Exil zu Ende ging, allein an Romane weiter veröffentlichte: „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, „Prince Otto“, „Der schwarze Pfeil“, „Catriona“, „Die Herren von Hermiston“. Dazu kommen Erzählungen und Kurzgeschichten, Gedichte, Stücke, Reiseberichte, Essays. Und mehr als 20 Filme wurden nach seinen Vorlagen gedreht.

  

Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste

 Yo-ho-ho und ’ne Buddel voll Rum!

 

 

 

 

Theodor Herzl

 

* 2.5.1860 in Pest, † 3.7.1904 in Edlach an der Rax, österreichich-ungarischer Publizist

  

Theodor Herzl bin ich zu Dank verpflichtet:

 Flughafen Ben-Gurion, endlose Schlangen bei der Ausreise, penible Kontrollen, besonderer Methode der israelischen Grenzer: man wird verhört. Haben Sie einen Araber getroffen?... Hat ihnen ein Araber etwas geschenkt?... Haben sie ihr Gepäck immer unter Kontrolle gehabt? etc.pp… Und reagiert man nicht so, wie man reagieren sollte, geht das Prozedere von vorn los, und wird notfalls wiederholt und wiederholt… Als ich an die Reihe komme, mustert der Beamte meinen schwarzen Vollbart und sagt: „You looks like Herzl. Do you know were Herzl was?“ – „Of course, the father of Zionism!“ Der Grenzer lacht, klopft mir auf die Schulter, stempelt meinen Pass und schon kann ich Bier trinken gehen, während all die Mitglieder unserer Delegation, die sich über diese Befragungen lustig gemacht hatten, noch ewig schwitzen müssen, die glattrasierten vor allem.

 

  

 

Puteh Ramlee

 

* 22.3.1929 als Tan Sri Teuku Zakaria Bin Teuku Nyak Puteh in Penang, Künstlername P. Ramlee, † 29.5.1973 in Kuala Lumpur, malayischer Sänger und Schauspieler

  

P. Ramleh gilt als Ikone der malaiischen Unterhaltung. Er komponierte 401 Songs und war im Laufe seiner Karriere an 66 Filmen beteiligt.

 

Im Alter von 44 Jahren starb P. Ramleh durch einen Herzinfarkt.

 

Postum wurde ihm der zweithöchste staatliche Titel Malaysias verliehen: „Tan Sri - Kommandant des Ordens der Loyalität gegenüber der Krone von Malysia”, und die Regierung von Sarawak gab ihm zudem den Ehrentitel „Datuk Amar - Knight Commander of the Star of Hornbill Sarawak”.

 

Diverse Orte, Stadtviertel und Gebäude wurden nach ihm benannt, so die Ramlee Mall in Kuala Lumpur.

 

 

 

 

Maria Stuart

 

* 8.12.1542 in Linlithgow Palace als Mary Stewart, † 18.2.1587 in Fotheringhay Castle, schottische Königin

  

Maria Stuart war sechs Tage alt, da wurde sie nach dem Tod ihres Vaters Königin von Schottland, und sie war noch kein Jahr alt, als man sie auch formell krönte. Mit fünfzehn heiratete sie in Paris den ein Jahr jüngeren französischen Thronfolger Franz II. und soll danach gesagt haben: „All I can tell you is that I account myself one of the happiest women in the world.“ Mit sechzehn wurde sie auch Königin von Frankreich, da Franz II. nach einem Turnierunfall seines Vaters die Thronfolge antreten musste, allerdings starb er schon im Jahr darauf. Die Königinwitwe Maria Stuart kehrte nach Schottland zurück. Dort hatte die Reformation Unruhen ausgelöst, das Volk war gespalten, die Protestanten hatten schon eine Mehrheit und die Katholikin Maria Stuart wurde auch misstrauisch aus dem protestantischen England beäugt. Zudem war die englische Königin Elisabeth I. nach Ansicht der katholischen Kirche nicht rechtens auf den Thron gekommen, da sie die Scheidung ihres Vaters Heinrich VIII. von dessen erster Ehefrau und somit die Heirat mit Elisabeths Mutter Anne Boleyn, Heinrichs zweiter Frau, nicht anerkannte. Maria Stuart war jedoch die rechtmäßige Urenkelin Heinrich VIII. und die Franzosen machten sogar ihren Anspruch auf den englischen Thron geltend. Und Papst Pius V. exkommuniziert Elisabeth I. und forderte in seiner Bulle „Regnans in Excelsis“ die katholische Minderheit in England auf, sich der „Ketzerin“ auf dem Thron zu entledigen, um mit Hilfe Maria Stuarts die katholische Kirche wieder in ihre angestammten Rechte einzusetzen.

 

Mit zweiundzwanzig heiratete Maria Stuart ihren drei Jahre jüngeren Cousin Lord Darnley, der Engländer und katholisch war und sogar erbrechtlich Ansprüche auf den englischen Thron hatte. Das führte zu Unruhen im protestantischen schottischen Lager und verärgerte und verunsicherte Elisabeth I. Ihr neuer Gatte verdächtigte jedoch Maria alsbald, ein Verhältnis mit ihrem Privatsekretär zu haben, verschwor sich mit Protestanten um allein König von Schottland zu werden, überfiel seine Frau und tötete deren Privatsekretär. Seine Mitverschwörer stellten Maria unter Hausarrest, sie konnte jedoch fliehen. Im Jahr darauf wurde Darnley ermordet und kaum jemand zweifelte daran, dass Maria von diesem Komplott zumindest wusste. Obendrein heirate sie nur drei Monate darauf den Mann, den viele für den Mörder Darnleys hielten. Nun rebellierten sogar die ihr bis dahin ergebenen schottischen Adligen und forderten ihre Abdankung. Nach militärischen Niederlagen wurde sie gefangen gesetzt und dankte schließlich tatsächlich ab.

 

Nach weiteren Wirrnissen ersuchte sie dann Elisabeth I. ihr beizustehen. Die schien aus politischen Erwägungen heraus nicht abgeneigt, Maria wieder auf den schottischen Thron zu bringen, forderte jedoch zuvor eine gerichtliche Untersuchung des Mordes an Darnley. Maria weigerte sich jedoch vor Gericht zu erscheinen und verbrachte daraufhin 18 Jahre in Kerkern. Selbst hier schien Maria immer wieder in Verschwörungen verwickelt, nicht zuletzt in die Ermordung Elisabeths durch spanische Truppen.

 

So tagte denn im Jahr 1586 eine Kommission, die Maria Stuart des Hochverrats für schuldig befand und das englische Ober- und Unterhaus forderten ihre Hinrichtung.

 

Im Alter von 44 Jahren wurde Maria Stuart in der Großen Halle von Schloss Fotheringhay geköpft.

 

Der Ablauf ihrer Hinrichtung wurden letztlich zur Legende: Wie eine Nonne soll sie in einem schwarzen Kleid, am Gürtel zwei Rosenkränze, erschienen sein. Und sie am Schafott die dunkle Überbekleidung ablegte, trug sie darunter einen dunkelroten Samtunterrock und ein dunkelrotes Satinmieder – Rot für Märtyrertum, Mut und königliches Blut. Der Scharfrichter soll unerfahren und nervös gewesen sein; benötigte drei Schläge mit der Axt, um Marias Kopf vom Körper zu trennen. Der erste Schlag traf den Hinterkopf. Der zweite Schlag traf zwar den Hals, durchtrennte aber nicht alle Muskelstränge. Erst der dritte Schlag trennte den Kopf vom Rumpf. Danach soll der Henker ihren Kopf mit den Worten „Es lebe die Königin!“ an den Haaren emporgehoben haben, um ihn der Menge zu präsentieren. Er ergriff dabei aber ihre Perücke und Marias Kopf, mit kurzgeschorenem grauem Haar, fiel herunter und holperte über die Hinrichtungsstätte.

 

 

 

 

Frank Victor Swift

 

* 26.12.1913 in Blackpool, † 6.2.1958 in München, britischer Journalist

  

Der englische Fußballverband wählte Frank Victor Swift zu einem der besten 100 Spieler der ersten 100 Jahre der englischen Liga. Er war Torwart und hatte so große Hände, dass er Bälle ohne Schwierigkeiten einhändig fangen konnte.

 

Nach seiner Zeit als Fußballprofi arbeitete er als Sportreporter für „News of the world“. Als solcher begleitete er die Mannschaft von Manchester United zum Europapokal-Viertelfinalspiel nach Belgrad. Auf dem Rückflug stürzte ihr Flugzeug nach dem Auftanken in München ab und Frank Victor Swift kam mit 22 anderen Passagieren, darunter 8 Spieler von Manchester United, ums Leben.

 

 

 

 

Francis Scott Key Fitzgerald

 

* 24.9.1896 in St. Paul, Minnesota, † 21.12.1940 in Hollywood, amerikanischer Schriftsteller

  

„Seine Lebensgeschichte hört sich an, als handle es sich um die Inhaltsangabe eines seiner Romane, und in der Tat reflektieren alle Romane und Stories nahezu unmittelbar diese Geschichte eines Mannes, der geglaubt hatte, die vorgefundene amerikanische Welt im Rahmen der von ihr bestimmten Spielregeln überlisten zu können“, sagte der Germanist Klaus-Dieter Sommer über Francis Scott Fitzgerald, „Die Träume, die er träumte, und die Gefährdungen, von denen er sprach, sind nicht nur Mitteilungen aus einer fernen fremden Welt, sondern die literarischen Auskünfte eines Menschen, der um seine Artgenossen besorgt war und mit dem uns unsere Bestrebungen um eine endliche Menschwerdung des Menschen in einer dem Menschen gemäßen Welt verbinden.“

 

Francis Scott Fitzgerald gilt neben Ernest Hemingway, John Dos Passos und E.E. Cummings als Autor der „Lost Generation“, die desillusioniert infolge des Ersten Weltkrieges bei aller Unterschiedlichkeit, ein tiefes Misstrauen gegen überkommene Werte verband.

 

Seine zweifellos wichtigsten Romane sind: „Der große Gatsby“ (1925) und „Zärtlich ist die Nacht“ (1934). T. S. Elliott nannte „The great Gatsby“ den „ersten Entwicklungsschritt, den der Amerikanische Roman seit Henry James gemacht habe“.

 

Infolge seines Alkoholismus starb Francis Scott Fitzgerald nach zwei Herzinfarkten im Alter von 44 Jahren.

 

 

 

 

Billie Holiday

 

* 7.4.1915 in Philadelphia als Elionora Harris, gerufen Eleanora Fagan, † 17.7.1959 in New York, amerikanische Jazz-Sängerin

  

Southern trees bear a strange fruit,

 

Blood on the leaves and blood at the root,

 

Black body swinging in the Southern breeze,

 

Strange fruit hanging from the poplar trees.

 

Die Südstaaten-Bäume tragen merkwürdige Früchte,

 

Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel.

 

Schwarzer Körper baumelt im Südstaaten-Wind;

 

Merkwürdige Früchte hängen von den Pappeln.

  

 

Als Eleanora elf war, wurde sie an Heiligabend vergewaltigt, als sie zwölf war, begann ihre Mutter in einem Bordell zu arbeiten, mit dreizehn arbeitete dann auch Eleanora als Prostituierte „für 5 $ pro Freier“. Sie wurde mehrmals verhaftet und begann schließlich zu singen. Mit vierzehn trat sie in New York zum ersten Mal in einem Club auf und nannte sich fortan Billie Holiday. Später gab ihr Freund Lester Young ihr den Spitznamen Lady Day.

  

 

Pastoral scene of the gallant South,

 

The bulging eyes and the twisted mouth,

 

Scent of magnolias sweet and fresh,

 

And the sudden smell of burning flesh.

 

Idyllische Szene im prächtigen Süden,

 

Die hervortretenden Augen und der verzogene Mund.

 

Magnolienduft, süß und frisch,

 

Und der plötzliche Geruch nach verbranntem Fleisch.

 

 

Als Achtzehnjährige nahm sie mit Benny Goodman ihre erste Platte auf, „Your Mother’s Son-In-Law“ und „Riffin’ the Scotch“, letzterer Song wurde ihr erster Hit. Im Jahr darauf  sang sie “Saddest Tale” in Duke Eliingtons Symphony in Black: A Rhapsody of Negro Life.” Der Jazz-Kritiker Stephan Richter urteilte: „… in Wahrheit lebten in Holidays Liedern nicht die Komponisten auf, sondern ihre Stimme, ihre Persönlichkeit, die jedes Wort zu ihrem eigenen macht, jede Textzeile in ihrem Sinn neu schreibt.“ Dann sang sie bei Count Basie und Artie Shaw. „Billie Holiday litt unter ihrer Diskriminierung als Schwarze. Vor allem bei den Tourneen mit gemischten Bands wie der von Artie Shaw 1938 machten sie und die anderen schwarzen Musiker täglich entwürdigende Erfahrungen. Als besonders demütigend empfand sie Auftritte, für die ihr Gesicht mit Make-up dunkler geschminkt wurde, da dem weißen Publikum angeblich Billie Holidays Teint zuweilen als zu hell erschien“, weiß Wikipedia, „1939 sang sie erstmals den Song „Strage Fruit, der auf dem gleichnamigen Gedicht des jüdischen Lehrers Abel Meeropol (alias Lewis Allan) basiert und eindringlich die Lynchjustiz an Schwarzen thematisiert. Während die Produzenten von Columbia das Thema „zu heiß“ fanden, erklärte Commodore Records sich bereit, es aufzunehmen, und die Platte wurde einer ihrer größten Erfolge. Seither verband das Publikum Billie Holiday mit diesem Stück und wollte es immer wieder von ihr hören. Die Aufführungen im Café Society waren minutiös inszeniert; bevor sie das Stück sang, ließ sie das Publikum vorher von den Kellnern um Ruhe bitten. Das Licht wurde während des langen Intros heruntergedimmt und ein einziger Scheinwerfer erhellte Billie Holidays Gesicht. Mit dem Verklingen des letzten Tons erlosch das Licht, worauf sie dann im Dunkeln verschwand.“

 

Here is a fruit for the crows to pluck,

 

For the rain to gather, for the wind to suck,

 

For the sun to rot, for the tree to drop,

 

Here is a strange and bitter crop.

 

Dies ist eine Frucht, um von den Krähen zerhackt zu werden,

 

Auf der der Regen sich sammelt, an der der Wind rüttelt,

 

Die in der Sonne verrottet, die vom Baume fällt,

 

Dies ist eine merkwürdige und bittere Ernte.

  

Billie Holiday wurde zum Star, „God Bless the Child“ beispielsweise verkaufte sich mehr als seine Million Mal, mit neunundzwanzig sang sie in der Metropolitan Opera – als erste Jazz-Sängerin überhaupt. Mit zweiunddreißig aber wurde sie erstmals wegen Drogenbesitzes verhaftet, kam ins Gefängnis, zwei Jahre später erfolgte die nächsten Verhaftung. Und in den 1950er dann begann Billie Holidays gesundheitlicher Abstieg, ihr Drogenkonsum wirkte sich sogar hörbar auf ihre Stimme aus. Als 1961 postum ihr Album „The Essential Billie Holiday - Carnegie Hall Concert“, ein Mitschnitt ihres letzten Konzertes erschien, schrieb Gilbert Milstein für das Cover:  „Die Probe war zusammenhangslos, ihre Stimme klang dünn und schleppend, ihr Körper müde gebeugt. Aber ich werde niemals die Metamorphose an diesem Abend vergessen. Das Licht erlosch, die Musiker begannen zu spielen und die Erzählung begann. Miss Holiday trat zwischen den Vorhängen hervor in das sie erwartende Scheinwerferlicht, in eine weiße Robe gehüllt und mit einer weißen Gardenie im schwarzen Haar. Aufrecht und schön, souverän und lächelnd. Und als sie den ersten Teil ihrer Erzählung beendet hatte, begann sie zu singen – mit unverminderter Kraft – mit all ihrer Kunst. Ich war sehr bewegt. Mein Gesicht und meine Augen brannten in der Dunkelheit. Und ich erinnere mich an eine Sache. Ich lächelte.“

 

Im Alter von 44 Jahren starb Billie Holiday unter entwürdigenden Umständen im New Yorker Metropolitan Hospital: Polizisten umstanden ihr Krankenbett, da sie die große Sängerin einmal mehr wegen Drogenbesitzes verhaften wollten.

  

Strange fruit hanging from the poplar trees…

 

 

 

 

Steve Marriott

 

* 30.1.1947 als Stephen Peter Marriott in London, † 20.4.1991 in Essex, britischer Rockgitarrist und Sänger

  

 

„Er war sicherlich der talentierteste Mensch, mit dem ich je zusammengearbeitet habe.
Er war wie ein Bruder für mich und ich war am Boden zerstört, als er starb.
Er lebte immer am Rande und ich wartete immer auf einen Anruf, dass er gestorben war,
aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass es unter diesen Umständen so wäre.
Er hat nie die Anerkennung, die er verdient. Er sollte in die Rock & Roll Hall of Fame
aufgenommen werden, weil er der größte weiße Soulsänger war, den England je
hervorgebracht hat. Ich bin mir sicher, wenn Sie Rod Stewart und Paul Rodgers
in einem privaten Moment erwischen und sie fragen, wer der Hauptmann ist,
würden sie Steve Marriott sagen“, schrieb Jerry Shirley, der Schlagzeuger der Bands,
die Steve Marriott nach den legendären „Small Faces“ gegründet hatte, von „Humble Pie“.

 

Einer der ersten und größten Hits der „Small Faces“ war „All or nothing“: Come on children, yeah / All or nothing yeah / All or nothing… Einer der einzigartigen Humble-Pie-Songs war “Thirty days in a hole“. Da singt Steve Marriott: Newcastle Brown, I’m tellin’ ya, it can sure smack you down - Newcastle Brown, ich sage dir, es kann dich sicher umhauen. Und Ale war es am Ende wohl auch, was ihm das Leben kostete. Er kam von erfolgreichen Studioaufnahmen aus den USA zurück, hatte offenbar schon im Flugzeug gefeiert, zischte auf dem Nachhauseweg noch ein, zwei Ale, brannte sich dann im Bett noch eine Zigarette an und schlief ein…

 

Der Feuerwehrmann, der ihn fand, war Small-Faces-Fan und gab zu Protokoll: „Es war ein harter Kampf, nach oben zu kommen. Wir durchsuchten die Schlafzimmerbereiche und es war sehr heiß, wir wussten sofort, dass niemand das Feuer überlebt haben konnte. Wir begannen die Wände abzutasten und entdeckten ihn auf dem Boden zwischen Bett und Wand liegend. Ich würde sagen, er war im Bett und versuchte zu fliehen. Sobald ich die Leiche deutlich sah, wusste ich, wer es war. Ich war früher Fan, es ist schwer meine Gefühle in Worte zu fassen. […] Ich sah ihn dort liegen und dachte, wie schade das alles ist. Ich habe mit vielen Bränden zu tun, aber dieses war wie ein Spaziergang in die Vergangenheit. Wir haben es geschafft, alle seine Gitarren und sein Musikequipment zu retten. […] Es war, als würde man einen Teil unseres Lebens für immer verloren sehen.“

 

Bei seiner Beerdigung sangen die Trauernden, unter ihnen Peter Frampton, Joe Brown, PP Arnold, Terence Stamp, Greg Ridley und Jerry Shirley:

 

Come on children, yeah

 

All or nothing yeah

 

All or nothing…

 

 

 

 

Baruch de Spinoza

 

* 24.11.1632 in Amsterdam, † 21.2.1677 in Den Haag, niederländischer Philosoph

  

Im Alter von 23 Jahren äußerte sich Baruch de Spinoza kritisch über die zentralen Gedanken der jüdischen Glaubenslehre und die Amsterdamer Talmud-Tora-Gemeinde, deren Mitglied er bis dahin war, verhängte daraufhin einen Cherem, einen Bannfluch, über ihn: „Nach dem Beschlusse der Engel und dem Urteil der Heiligen bannen, verwünschen, verfluchen und verstoßen wir Baruch de Espinoza, mit Zustimmung des heiligen Gottes, gepriesen sei Er, und dieser ganzen heiligen Gemeinde ..., mit dem Bannfluche, womit Josua Jericho fluchte, mit dem Bannfluche, mit dem Elisa den Knaben fluchte, und mit all den Verwünschungen, die im Gesetz geschrieben stehen. Verflucht sei er am Tage und verflucht sei er bei der Nacht; verflucht sei er, wenn er sich niederlegt, und verflucht sei er, wenn er aufsteht, verflucht sei er bei seinem Ausgang und verflucht sei er bei seinem Eingang. Möge Gott ihm niemals verzeihen, möge der Zorn und Grimm Gottes gegen den Menschen entbrennen ... und seinen Namen unter dem Himmel austilgen, und möge Gott ihn zu seinem Unheil ausscheiden von allen Stämmen Israels ... Wir verordnen, daß niemand mit ihm mündlich oder schriftlich verkehre, niemand ihm irgend eine Gunst erweise, niemand mit ihm unter einem Dach verweile, niemand auf vier Ellen in seine Nähe komme, niemand eine von Ihm verfaßte oder geschriebene Schrift lese.“

 

In seiner umfänglichen Verteidigungsschrift entwickelte er dann Ansichten weiter, nahm sie schließlich in seinen theologisch-politischen Traktat aufnahm und begründete somit seinen Ruf als einer der Begründer der modernen Bibel- und Religionskritik. Zudem gilt er als einer der ersten säkularen Juden. Seinen Lebensunterhalt bestritt er vor allem durch das Schleifen von Brillengläsern.

 

Heinrich Heine urteilte: „Wenn man den Spinoza einst aus seiner starren, altcartesianischen, mathematischen Form erlöst und ihn dem großen Publikum zugänglicher macht, dann wird sich vielleicht zeigen, daß er mehr als jeder andere über Ideendiebstahl klagen dürfte. Alle unsere heutigen Philosophen, vielleicht oft ohne es zu wissen, sehen sie durch die Brillen, die Baruch Spinoza geschliffen hat.“

 

Baruch de Spinoza starb im Alter von 44 Jahren wahrscheinlich infolge seiner Tuberkulose-Erkrankung.

 

250 Jahre nach seinem Tod erklärte 1927 Joseph Klausner, ordentlicher Professor für hebräische Literatur an der Hebrew University in Jerusalem, das jüdische Volk habe mit dem Ketzer-Bannfluch gegen Spinoza eine schreckliche Sünde begangen und solle den aufheben. Er sagte: „Spinoza, dem Juden, rufen wir … zu: Der Bann ist aufgehoben! Das Unrecht des Judentums gegen dich ist hiermit aufgehoben, und deine Sünde, die du auch immer an ihm begangen haben magst, sei dir vergeben. Unser Bruder bist du, unser Bruder bist du, unser Bruder bist du.“ Allerdings bewirkte dies, außer intellektuellen Diskussionen, nichts. Selbst als weitere 26 Jahren später der erste Ministerpräsident Israels, David Ben Gurion, Spinoza als „den ersten Zionisten der letzten 300 Jahre“ bezeichnete und somit unter Juden eine weltweite Debatte auslöste, die jedoch auch nicht zur Aufhebung des Bannfluchs führte. Die Befugnis dazu hatte nur die Gemeinde, die ihn ausgesprochen hatte. Letztens fand im Dezember 2015 in Amsterdam ein Symposium mit Wissenschaftler aus der ganzen Welt statt, bei dem „die philosophischen Ansichten Spinozas, die historischen Umstände des Verbots, die Vorteile und die Nachteile der Aufhebung des Cherems“ öffentlich debattiert worden. Aber auch das nützte nichts, der Rabbiner der Gemeinde meinte, dass Spinoza nicht weiser als seine Vorgänger und Spinozas Ansichten im Laufe der Zeit nicht weniger problematisch geworden seien, und lehnte die Aufhebung des Cherems einmal mehr ab.

 

Mal sehen, vielleicht eröffnet Spinozas 350. Todestag im Jahre 2027 eine neue Chance für seine Rehabilitation.

 

  

 

 

Karl Leberecht Immermann

 

* 24.4.1796 in Magdeburg, † 25.8.1840 in Düsseldorf, deutscher Schriftsteller

  

Karl Immermann studierte in Halle Jura und arbeitete dann als Auskultator in Oschersleben, als Referendar in Magdeburg, als Vortragender Auditeur an einem Militärgericht in Münster, als Kriminalrichter in Magdeburg und schließlich als Landgerichtsrat in Düsseldorf.

 

Nach ersten schriftstellerischen Versuchen während des Studiums begann er in Münster auch ernsthaft zu schreiben, verfasste vor allem Theaterstücke, aber auch Lyrik und Prosa. In Düsseldorf leitete er zudem das Stadttheater und entwickelte ein eigenständiges Theater-Konzept, die „Immermann’sche Musterbühne“.

 

In Immermanns Todesjahr wurde noch der Roman „Der Oberhof“, veröffentlicht, sein letztes Werk „Tristan und Isolde“ erschien, nachdem es Ludwig Tieck vollendet hatte, postum.

 

 

 

Donald Johnson “Don” Ellis

 

* 25.7.1934 in Los Angeles, † 17.12.1978 in North Hollywood, amerikanischer Jazzmusiker

  

Schon bei seiner ersten Plattenveröffentlichung im Jahr 1960 experimentierte Don Ellis mit Zwölftonreihen. Seine späteren Bands brachten sogar komplexe metrische Strukturen zum Swingen. Er setzte bei seinen Kompositionen oft elektronische Instrumente und Effektgeräte ein und integrierte indische, osteuropäische wie arabische Elemente. Zugleich erprobte er auch neue Besetzungen, beschäftigte zeitweise drei Bassisten und vier Perkussionisten. Als Trompeter erfand er eine Trompete mit vier Ventilen, um Vierteltöne spielen zu können. Beim Improvisieren benutzte sein Band zuweilen Karten, um die Abfolgen der Chorusse zu bestimmen, andere Male verwendeten die Musiker ihre Instrumente, um die Arbeiten von Malern zu interpretieren.

 

Don Ellis schrieb auch eine Sinfonie: „Contrasts for Two Orchestras and Trumpet“, die 1967 unter Leitung von Zubin Mehta uraufgeführt wurde. Wenige Jahre später bat der Regisseur William Friedkin ihn, die Musik für den Film „The French Connection“ zu schreiben. Don Ellis nahm an, spielte den Soundtrack mit seinem eigenen Orchester ein und erheilt dafür in der Kategorie „Best Instrumental Arrangement“ einen Grammy. 1977 komponierte er dann auch Musik für „Star Wars“.

 

Letztmals trat Don Ellis am 21. April 1978 in Los Angeles auf. Knapp acht Monate später starb er im Alter von 44 Jahren nach dem Besuch eines Jon-Henricks-Konzertes infolge eines Herzinfarkts.

 

 

 

 

Woody Shaw

* 24.12.1944 als Woody Brown jr. in Laurinburg, North Carolina, † 10.5.1989 in New York City, amerikanischer Jazz-Trompeter

 

Im Alter von elf Jahren begann Woody Shaw an der Arts High School in Newark Trompete und Musiktheorie zu studieren. Mit Achtzehn jammte er schon mit Chick Corea, Willie Bobo und Eric Dolphy. Im Jahr darauf tourte er in Deutschland und Paris mit Kenny Clarke, Bud Powell, Art Taylor. Und im Folgenden spielte er mit Jazz-Größen wie Horace Silver, Max Roach, Pharaoh Sanders, Archie Shepp, Art Blakey, George Gruntz, Bennie Maupin, Bobby Hutcherson, Dexter Gordon, Freddie Hubbard oder Mal Waldron.

Woody Shaw spielte diverse Alben ein und tourte auch Ägypten, Indien und den Mittleren Osten. Im Alter von 44 Jahren verlor er bei einem U-Bahn-Unfall einen Arm und starb zehn Wochen später an Nierenversagen.

  

 

 

Julius Wilhelm Zincgref

 

* 3.6.1591 in Heidelberg, † 12.11.1635 in St. Goar, deutscher Lyriker

 

In seinem Buch „Apophthegmata, der Teutschen scharfsinnige kluge Sprüch“ gab Julius Wilhelm Zincgref mitten im Dreißigjährigen Kreig auch diese Episode zum Besten:

 

Ein einfältiger Mann fragte einen Gewappneten, was er vorhätte.

 

Der antwortete, er wolle in den Krieg ziehen.

 

Was tun?

 

Leute umbringen. Städte und Dörfer anstecken. Auf daß man Frieden habe, antwortete jener.

 

Warum macht man dann nicht Frieden, ehe man solche Untat anrichtet?

 

Weithin bekannt wurde Julius Zincgref vor allem durch seine Aphorismen.

 

Dem, der die Übehand hat, geben nachher alle Gesetze und Menschen recht.

 

Der Literaturhistoriker Max von Waldberg schrieb: Schon als typisches Beispiel für die Verheerungen, die all der Jammer und das Elend der Zeit damals anrichteten, ist Zincgref eine beachtenswerte Erscheinung. An ihm und seinem ununterbrochen gehemmten und gestörten Lebenslauf ist deutlich zu erkennen, welche Summe von Begabung, von Ansätzen zu großen Leistungen durch den ‚blutleckenden Krieg’ vernichtet wurden und der Humanismus, gerade als er das deutsche Leben zu durchdringen begann und aus einer fremden Geisteshaltung sich in einen Faktor nationaler Bildung zu verwandeln im Begriffe war, in all seinen Wirkungen aufgehalten wurde.“

 

Die Alten hatten ein Gewissen ohne Wissen; wir heutzutag haben das Wissen ohne Gewissen.

 

Zincgrefs Biograf Johann Leonhard Weidner urteilte: „Ein Mann, dem ein langes Leben wegen seiner Kinder zu wünschen wäre gewesen, der auch dem Vaterlande wohl hätte nützen mögen.“

 

Es ist besser, einen Freund haben, der viel wert ist, als viele haben, die nichts wert sind.

 

In seinem Nachwort zu einer Reclam-Ausgabe der „Apophthegmata“ sagte Karl-Heinz Klingenberg: Das feudale gesellschaftliche Gefüge mit Kaiser, Landesherren und Adel stellt Zincgref zwar nicht grundsätzlich in Frage, aber seine im Kern volksverbundene, demokratische Haltung ist nicht zu übersehen, sie spricht aus seiner Kritik am Adel, der seine Vorrechte schamlos missbraucht und die Bauern erbarmungslos ausplündert, höfisches Leben ist für ihn nahezu gleichbedeutende mit Lüge, Heuchelei und Unmoral.“

 

Welches ist das beste Deutsch? Dasjenige, das von Herzen geht.

 

Martin Opitz widmete ihm ein Gedicht:

 

„Recht also, liebster Freund, du lässest dich für die Zeiten,

 

Die Sitten, diesen Grimm der Kriege nicht bestreiten;

 

Und da das Vaterland Verfolgung leiden muß,

 

Bringst Du es wiederum durch Schreiben auf den Fuß,

 

[…]

 

Laß du, o Zincgref! auch den guten Zweck nicht liegen,

 

Zu helfen, wie du thust, das Finsterniß besiegen,

 

Das teutsche Reden Zier bisher umhüllet har.“

 

Es ist keine bessere Harmonie, als wenn Herz und Mund übereinstimmen.

 

Klingenberg: „Ganze Generationen haben Zincgerfs scharfsinnige Sprüche dankbar als Quelle genutzt, so, um nur die Bedeutendsten zu nennen, Logau und Lessing und nicht zuletzt Goethe in seiner Spruchdichtung. Viele Geschichten, Bilder und Wendungen, die noch heute lebendig sind, erhielten in Zincgrefs Sammlung ihre eigentümliche Ausformung und haben so die Wirren und unermeßlichen Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges nicht nur überdauert, sondern wurden vielmehr einer der Kristallisationspunkte für die Herausbildung eines neuen Selbstverständnisse und eines wieder erwachenden Nationalbewusstseins.“

 

Es ist kein Fisch ohne Gräten und kein Mensch ohne Mangel.

 

Julius Wilhelm Zincgref starb vierundvierzigjährig mitten im Dreißigjährigen Krieg an der Pest.

 

Der ist elend, der den Tod wünscht; noch elender aber, der ihn fürchtet.

  

 

 

 

Eugenio „Nicolò“ Barsanti

 

* 12.10.1821 in Pietrasanta, † 18.4.1864 in Seraing, Belgien, italienischer Ingenieur

  

Nicht Nicolaus Otto, sondern Eugenio Barsanti entwickelte gemeinsam mit Felice Matteucci den ersten Verbrennungsmotor, patentiert am 12. Juni 1857 in London als „Specification of Eugene Barsanti and Felix Matteucci, Obtaining Motive Power by the Explosion of Gasses".

 

Allerdings war ihr Motor noch nicht leicht genug, um in ein Automobil einbaut werden zu können. Und bevor Eugenio Barsanti den Prototyp verbessern konnte, starb er im Alter von 44 Jahren an Typhus.

 

 

  

 

 

Carlos Gardel

 

* 11.12.1890 in Toulouse als Charles Romuald Gardès, † 24.6.1935 in Medellín, Tango-Sänger und -Komponist

  

Im Jahr 1893 kam Carlos Gardel mit seiner Mutter nach Argentinien, wo er zum wohl berühmtesten Tango-Sänger aller Zeiten aufstieg. Noch heute gilt in Buenos Aires die Redensart: „Gardel singt mit jedem Tag besser“. Ab den 1920er Jahren etablierte er den Tango auch in Europa. Während einer Tournee kam Carlos Gardel auf dem Höhepunkt seiner Karriere bei einem Flugzeugunfall in Kolumbien ums Leben. Tangos  wie „El día quem e quieras“, „Volver“, „Soledad“ oder „Mi Buenos Aires querido“ komponierte er selbst.

 

Und des Tangos wegen kamen auch Jeanny und ich eines Tages, knapp 80 Jahre nach Gardels Tod, nach Buenos Aires:

 

Ankunft eines samstags morgens in Ezeiza, Schweiß treibendes Einreise-Procedere (aber lange Schlangen gehören ja angeblich zum guten Ton hier). Fahrt durch endlose wie geclont erscheinende Vorstädte gen Zentrum. Dabei war die erste riesige Werbetafel (die ich sah) nicht für den argentinischen Papst Franziskus, sondern für Fidel Castro (genau genommen für einen Nachtclub dieses Namens – insofern also gut, dass noch kein derartiges Etablissement entsprechend werbeträchtig benamst wurde, oder?).

 

Erster Besichtigungspunkt natürlich: der Plaza de Mayo. Keine Frage, dass ich die Fernsehbilder noch im Auge habe, als hier Mütter mit weißen Kopftüchern auf Kochtöpfe schlagend lautstark forderten, etwas über den Verbleib ihrer während der argentinischen Militärdiktatur verschwundenen Kinder zu erfahren. Heute ist in der Mitte des Platzes ein Protestcamp von Veteranen des Falkland-Krieges zu entdecken… Und selbstredend die Casa Rosada, der Präsidentenpalast (tatsächlich rosa!), von dessen Balkon Edita predigte.

 

Mein Versuch nationalistisch zu erscheinen, scheitert daran, dass ich von keinem der fliegenden Händler eine der breit angebotenen argentinischen Flaggen erwerben kann – obwohl ich’s möchte: es gelingt mir hier schlichtweg nicht, mein Geld in Pesos zu tauschen. Ezeiza erwies sich als erster Flughafen der Welt (den ich erlebte) ohne Wechselstube. Und selbst im Zentrum der Millionenstadt Buenos Aires ist nicht eine Wechselstube zu entdecken nirgendwo. Zwar habe ich noch einen 20-Dollar-Schein, und Dollars würde einer der Händler nach einigem Hin und Her akzeptieren, aber er will drei Dollar für die Flagge, drei!, doch Wechseln oder Rausgeben (selbst in Pesos) absolut nicht. Da biste baff.

 

Wir besichtigen die wuchtige Kathedrale (am Eingang: Franziskus-Plakat, aber nur ein kleines…), laufen dann die Avenida de Mayo hinauf. Objektkünstler haben die Straße blockiert, haben mitten in der Stadt einen Garten mit surrealistischen Baumhäusern und Konstruktionen angelegt, der Dali alle Ehre machen würde. Doch schon erreichen wir die breitestes Straße der Welt, die Avenida de 9. Julio, laufen bis zum wahrzeichenhaften Obelisken und haben ein neues Problem: vier, fünf Taxifahrer wissen mit der Adresse, die ich Ihnen auf einem Kärtchen vorhalte, nichts anzufangen, kennen offenbar den Liegeplatz unseres Schiffes nicht, brausen wortlos davon, keine Nachfrage, kein Bemühen. Seltsam, brauchen die Argentinier kein Geld? Schließlich findet sich aber doch ein Fahrer, ein freundlicher und hilfsbereiter (der sogar in Pesos herausgibt).

 

So starten wir denn auch unsere zweite Exkursion per Taxi, besichtigen das neue, schicke Hafenviertel Puerto Madero, dann das Altstadtviertel San Telmo, erreichen die Ferie, den Sonntagsmarkt auf der Plaza Dorrego. Nichts, was es an Trödel hier nicht gäbe. Und an einer Ecke spielen fantastische Gitarristen Tango-Evergreens und Piazolla. Und ein Tango-Paar, beide wohl weit über die Siebzig, tanzt dazu herzzerreißend authentisch. Kann gut sein, dass wir hier eine Stunde standen und staunten…

 

Weiter durch burlesque Galerien in Seitengassen, dann die Defensa hinauf bis zum Plaza de Mayo: schier endlose Fortsetzung des Trödelmarktes. Und in einer Eckkneipe gibt’s dann sogar Mate, das argentinische Getränk schlechthin! Auf einem Tablett serviert man mir eine glockenförmige Tasse, dazu einen Beutel voller getrockneter Kräuter: diese randvoll in die Tasse füllen, aus der mitservierten Thermoskanne heißes Wasser aufgießen und mit dem Löffel, der dann auch als Trinkröhrchen dient (unten eine Art Filter, oben ein Saugmundstück) umrühren und gut ziehen lassen… Gallig schmeckt’s, aber natürlich gieße ich immer wieder von neuem auf und nuckle abenteuerlustig am Löffelmundstück.

 

Und in einem Seitengang einer riesigen Markhalle, wo ein altes Grammophon uralte Tangos dudelt, werden Jeanny und ich dann fast zu Porteños, zu Einheimischen, drücken zumindest ’ne Wange aneinander und wagen ein, zwei Tango-Schwünge…

 

Doch dann die nächste Taxi-Episode: Der Fahrer, den ich anspreche, weiß zwar, wo der Kreuzfahrt-Terminal ist, und auch der ausgehandelte Fahrpreis von 5 Dollar klingt gut. Als ich dann jedoch mal wieder mit einem 20-Dollar-Schein bezahlen will (neben dem habe ich am Ende des Tages nur zwei 1-Dollar-Scheine im Portemonnaie), setzt ein großes Palaver ein. Wenn ich’s richtig kapiere hält er mir einen Vortrag, dass doch wohl jeder vernünftige Mensch wisse, dass man in Buenos Aires Taxis nur mit 1- oder 5-oder 10-Dollar-Scheinen bezahlen könne. Und auch mein Angebot, mir statt Dollars Pesos rauszugeben, fruchtet nicht. Und schon wieder läuft die 1-,5-,10-Dollar-Belehrung an. Tja, wie kommt man aus so ’ner Nummer, sprich: aus diesem Taxi raus? Ganz einfach: ich drücke dem Palavernden meine zwei 1-Dollar-Scheine in die Hand, sage: Gracias! und steige aus. (Kein Zufall also vielleicht, dass Buenos Aires als Stadt mit der höchsten Psychiaterdichte der Welt gilt?)

 

Tomás Eloy Martinez charakterisierte Buenos Aires in seinem unbedingt lesenswerten Buch „Der Tangosänger“ so: „Es überraschte mich, dass Buenos Aires von den zweiten und dritten Stockwerken an aufwärts so majestätisch war und in den Erdgeschossen so baufällig, als wäre der Glanz der Vergangenheit in der Höhe hängengeblieben oder weigerte sich, herabzukommen oder zu verschwinden.“

 

Ein anderer, weitaus berühmterer Porteño, Jorge Luis Borges, beschreibt seine Vaterstadt so:

 

Mythische Gründung von Buenos Aires

  

Also auf diesem trägen und schlammigen Fluß wären damals

 

all die Boote gekommen, mir die Heimat zu gründen?

 

Die bunten Schiffchen tanzten bestimmt auf den Wellen am Ufer,

 

zwischen treibenden Büschen in der Brühe der Strömung.

 

 

 

Um die Sache gut zu bedenken, laßt uns vermuten,

 

daß der Fluß damals blau war, wie im Himmel entsprungen,

 

samt seinem roten Sternchen für den Ort, an dem Juan Diaz

 

frühstückte und an dem ihn abends die Indios verspeisten.

 

 

 

Sicher ist, tausend Männer und weitere Tausende kamen

 

über ein Meer herüber, das damals fünf Monde breit war

 

und das noch bevölkert war von Sirenen und Drachen

 

und von Magnetsteinen, die die Kompassnadeln verführten.

 

 

 

Einige scheue Landstücke nahmen sie an der Küste,

 

schliefen befremdet. Angeblich war das am Riachuelo,

 

aber das ist ein Schwindel, erfunden im Viertel von Boca,

 

es war ein ganzer Block in meinem Viertel, Palermo.

 

(…)

 

Den Horizont überwand eine erste Drehorgel, klapprig

 

in der Bewegung, mit Habaneras und fremdem Geleier.

 

Sicherlich stimmte der Wagenstall schon für Yrigoyen,

 

und irgendein Klavier spielte Tangos von Saborido.

 

 

 

Ein Zigarrenladen räucherte wie eine Rose

 

diese Öde. Der Abend war schon tief voll vom Gestern,

 

eine Illusion von Vergangenheit teilten die Menschen.

 

Eines nur fehlte noch: der Gehsteig von gegenüber.

 

 

 

Daß Buenos Aires jemals begonnen hat, kann ich kaum glauben:

 

mir erscheint es so ewig wie die Luft und das Wasser.

 

 

 

Weitere Argentinier, deren Werk ich schätze, las ich als Einstimmung, als Vorbereitung auf diese Reise (nochmals): W. H. Hudson, Julio Cortezar und vor allem Rudolfo Enrique Fogwills eindringlich mahnendes Buch über den Falklandkrieg.

 

Nicht zu vergessen, dass der unweit in Rosario geborene Ché auf den Straßen dieser Stadt wandelte, doch auch ein Mann, der sich Ricardo Clement nannte, und doch hier gefunden und gefangen wurde: Josef Eichmann.

 

Also rasch noch eine Strophe von Borges wunderbarem Tango-Gedicht:

 

Der Windstoß Tango, diese Teufelei,

 

trotzt immer noch den überfüllten Jahren;

 

der Mensch, der Staub und Zeit ist, dauert kürzer

 

denn leichte Melodie, die nichts als Zeit ist…

 

 

 

 

David Herbert D.H.” Lawrence

 

* 11.9.1885 in Eastwood, Nottinghamshire, † 2.3.1930 in Vence, Frankreich, englischer Schriftsteller

  

„Nach Aussage damaliger britischer Pressestimmen wurde 1928 in Italien in zunächst nur tausend Exemplaren ‚das unflätigste Buch der englischen Literatur’ gedruckt, erinnernd an ‚die Kloake französischer Pornographie“, verfaßt von einem ‚entarteten Schmutzfinken’ und ‚gierig aufgegriffen von verkommenen Buchhändlern und den Kreisen der Dekadenz’. Den Anlaß zu solchen hysterischen Ausbrüchen philiströsen Muckertums gab David Herbert Lawrence mit seinem Roman ‚Lady Chatterley’s Lover’. Man braucht weder in Lawrence einen erleuchteten Apostel zu sehen, wie seine exaltierten Jünger, noch die Augen vor seiner verworrenen Ideologie und seiner bilderstürmerischen Maßlosigkeit zu verschließen, um das Herfallen jener Kritikermeute über einen schöpferischen Künstler zu verdammen, der aus seinem Ingrimm gegen die Geldherrschaft kein Hehl gemacht und auf verzweifelter Suche nach Wegen zur Überwindung der Entfremdung die Tabus der bürgerlichen Feigenblatt-Moral souverän missachtet hatte“, schrieb der Literaturhistoriker Anselm Schlösser, „Im Rückblick nach einem halben Jahrhundert stellt sich uns Lawrence Werk als Erbe dar, dessen Aneignung kritische Sichtung verlangt. Man mag darüber streiten, wie viel davon alt und abgetan und bedeutungslos geworden ist, welche Bestandteile Rost angesetzt haben und welche mit Patina überzogen erscheinen. Die Trennlinie zwischen Überlebtem und lebendigem Vermächtnis läßt sich nicht leichthin bestimmen: Jedes einzelne Werk enthält von beidem etwas, allerdings in unterschiedlichen Anteilen; wo da etwa die Grenze zu ziehen wäre, muß offenbleiben. Beckmesserei ist fehl am Platze, bei einem Autor wie Lawrence schon ganz und gar. Aber wenn man eine Rangskala nach Maßgabe der gesellschaftlichen Aussage und des humanistischen Gehalts aufzustellen hätte, stünden ohne jeden Zweifel zwei Romane an der Spitze, nämlich „Söhne und Liebhaber“ als Bilanz und künstlerische Bewältigung der Konflikte seiner Jugend und „Lady Chatterley“ als Quintessenz seiner Auseinandersetzung mit der kalten Welt des Profits, welcher er sein lebenslanges Postulat der Herstellung warmherziger menschlicher Beziehungen entgegenstellt.“

 

Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt, „Lady Chatterley“ allein sechs Mal.

 

D. H. Lawrence starb vierundvierzigjährig im Beisein seiner Frau und seines langjährigen Freundes Aldous Huxley an Tuberkulose.

 

 

  

 

Friedrich Spee von Langenfeld

 

* 25.2.1591 in Kaiserswerth, † 7.8.1635 in Trier, deutscher Jesuit

  

Friedrich Spee von Langenfeld verfasste ein Andachtsbuch über die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, das „Goldene Tugendbuch“ sowie eine Sammlung von Kirchenliedern, die „Trutznachtigall oder geistig-poetisch Lustwäldlein“, aber auch die Schrift „Cautio Criminalis“, durch die er als Kritiker der Hexenprozesse berühmt wurde.

 

Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb: „Sein deutsches Buch Gülden-Tugend-Kleinod schien mir ein ganz göttliches Buch zu sein und ich wünschte es in den Händen aller Christen. Es gibt viele Autoren der mystischen Theologie, aber ich weiß nicht, ob je einer ein so solides Andachtsbuch geschrieben hat. […] Wunderbar ergriffen wurde ich, so oft ich seine Ausführung über die Natur und Wirksamkeit der göttlichen Liebe las. Ich weiß nicht, ob je ein Schriftsteller, der für das Volk geschrieben, diese so wichtige Materie nach ihrem Wert behandelt hat mit Ausnahme dieses einen Autors.“

 

Friedrich Spee von Langenfeld infizierte sich bei der Pflege kranker Soldaten mit der Pest und starb im Alter von 44 Jahren.

 

  

 

 

Anton PawlowitschTschechow

 

* 29.1.1860 in Taganrog, † 15.7.1904 in Badenweiler, russischer Schriftsteller

  

In einem Brief an seinen Verleger beschrieb der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Anton Tschechow im Jahr 1899 seinen Werdegang zum Autor: Was die adligen Schriftsteller von der Natur bekommen haben, das erkauften sich die Rasnotschinzen [nicht adlige Intellektuelle] auf Kosten ihrer Jugend. Schreiben Sie mal eine Erzählung, wie ein junger Mensch, Sohn eines Leibeigenen, früher Ladenjunge, Chorknabe, Gymnasiast und Student, erzogen zur Ehrfurcht vor der Rangordnung, zum Küssen von Popenhänden und zur Verehrung fremder Gedanken, der sich für jedes Stück Brot bedankte, der oft geschlagen wurde, der ohne Überschuhe zu den Stunden ging, der sich prügelte, Tiere quälte, der gern bei reichen Verwandten zu Mittag aß, der vor Gott und den Menschen ohne jede Notwendigkeit nur aus dem Bewusstsein seiner Nichtigkeit handelte – schreiben Sie, wie dieser junge Mann aus sich tröpfchenweise den Sklaven herauspresste und wie er eines schönen Morgens aufwacht und fühlt, dass in seinen Adern nicht mehr Sklavenblut, sondern echtes Menschblut fließt.

 

Lew Tolstoi sagte einmal: „Sehen Sie, Tschechow – das war ein unvergleichlicher Künstler… Ja, ja… Eben ein unvergleichlicher… Ein Künstler, der im Leben steht… Und der große Wert seines Schaffens liegt darin, dass es nicht nur jedem Russen verständlich und nahe ist, sondern überhaupt jedem Menschen.“

 

John Galsworthy notierte 1932: „Ich möchte sagen, dass Tschechow in den letzten zwanzig Jahren für die jungen Schriftsteller in mehreren Ländern der mächtigste Magnet gewesen ist“.

 

In einem Brief aus dem Jahre 1888 schrieb Tschechow: Ich glaube nicht, dass Schriftsteller solche Fragen wie Pessimismus, Gott usw. klären sollten. Sache des Schriftstellers ist es darzustellen, wer, wie und unter welchen Umständen über Gott und den Pessimismus gesprochen oder gedacht hat. Der Künstler soll nicht Richter seiner Personen und ihrer Gespräche sein, sondern nur ein leidenschaftsloser Zeuge. Beurteilen werden es die Geschworenen, das heißt die Leser. Meine Sache ist nur, Talent zu haben, das heißt die Fähigkeit zu besitzen, die wichtigen Äußerungen von den unwichtigen zu unterscheiden, Figuren zu beleuchten und ihre Sprache zu sprechen.

 

Marga Erb urteile in ihrem Nachwort zu Tschechows „Notizen eines Jähzornigen“: „Sein künstlerisches Programm entspricht dieser Erkenntnis, des Verfassungskommentars. Es baut auf den kritischen, denkenden Leser. Tschechows komisch-tragische und tragisch-komische Gestalten, Bilder, Wahrheiten, die ohne Aufhebens leise vorüberziehen, erregen, beunruhigen, aktivieren. Das ist das Ergebnis seiner Arbeit an der Sprache, seiner strengen Auswahl im Material und in der Formgebung. […] Mit seinen Erzählungen, Dramen, Skizzen hat er aber auch einen nicht unwesentlichen Anteil an der Entwicklung des revolutionären Geistes in Russland gehabt…“

 

Der Literatur-Nobelpreisträger Iwan Bunin bezeichnete Tschechow als sein literarisches Vorbild, schrieb ihm in einem Brief: „Sie sind unter den zeitgenössischen Schriftstellern mein Lieblingsschriftsteller“.

 

„Obwohl sich sein Lungeneiden ständig verschlimmerte, hörte Tschechow nicht auf, sich für die Beseitigung staatlicher Missstände einzusetzen und gegen das Leid und die Not seiner Mitmenschen anzukämpfen“; schrieb der Slawist Helmut Graßhoff, „Als Tschechow im süddeutschen Kurort Badenweiler am 15. Juli 1904 starb, hinterließ er der Menschheit ein reiches literarisches Erbe…“

 

Und nicht zuletzt „sein Gewehr“ dürfte noch lange nachhallen: Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben… und Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert.

 

 

 

 

 

Helmuth Viking Eggeling

 

* 21.10.1880 in Lund, † 19.5.1925 in Berlin, schwedischer Künstler 

 

 Helmuth Viking Eggeling gilt als Urvater des Musikvideos.

 

Nach dem Ersten Weltkrieg war er in Zürich mit Dadaisten befreundet: Jean Arp, Marcel Janco, Hans Richter, Tristan Tzara, und begann mit Bleistift Variationen grafischer Elemente auf bis zu 15 m langen Papierrollen zu zeichnen. Die Betrachter mussten an den Rollen vorbeigehen, um die Veränderungen der geometrischen Muster zu beobachten. So entstand 1919 aus 5.000 einzelnen Zeichnen die „Horizontal-Vertikal-Messe“, die als „Horizontal-Vertikal-Orchester“ auch zu einem 10-Minuten-Film wurde.

 

Dann entwickelte Helmuth Viking Eggeling aber die Theorie, dass es für den Betrachter wesentlich leichter wäre, die Veränderungen der Formen nicht mittels einer Bewegung durch den Raum, sondern beim bequemen Sitzen zu erfahren.

 

So experimentierte er ab 1921 mit filmischen Synthesen aus abstrakten Bildern, Bewegung, Musik und Rhythmus. 1923-24 entstand in den Babelsberger UFA-Ateliers der 7 ¾-minütige Schwarz-Weiß-Film „Symphonie Diagonal“. Der Film wurde am 3. Mai 1925 im Rahmen der Matinee, „Der absolute Film“, öffentlich aufgeführt. 

Sechzehn Tage später starb Helmuth Viking Eggeling im Alter von 44 Jahren.

 

 

 

Per Hasselberg

* 1.1.1850 als Karl Petter Åkeson in Hasselstad, † 25.7.1894 in Stockholm, schwedischer Bildhauer

 

Nach einer Lehre als Ornamentbildhauer studierte Per Hasselberg dank eines Stipendiums an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris und arbeitete dann bis zu seinem 40. Lebensjahr in der französischen Hauptstadt als Bildhauer. Nach seiner Rückkehr nach Schweden eröffnete er ein Atelier in Östermalm.

Zu seinen bekanntesten Werken zählen: „Snöklockan- Schneeglöckchen“, „Farfadern - Großvater“, „Grodan – Kröte“ und „Näcktrosen – Seerose“.

Per Hasselberg starb im Alter von 44 Jahren infolge eines Aneurysmas der Hauptschlagader.

 

 

  

 

 

Stephen Robert „Steve“ Irwin

 

* 22.2.1962 in Upper Ferntree Gully, † 4.9.2006 im Batt Reef, australischer Dokumentarfilmer

  

Steve Irwins Spitzname war „The Crocodile Hunter“. Unter diesem Titel startete 1996 eine 345-teilige Fernsehserie, die von 500 Millionen Menschen in 137 Ländern gesehen wurde. Alle so erzielte Gewinne kamen seinem Tierschutzverein und seinem „Australia Zoo“ zu.

 

Steve Irwin sagte einmal, er wolle mit seiner Serie zeigen, dass auch unbeliebte Tiere ein Recht auf Leben und unseren Schutz haben. Und wenn er dabei von einem Tier gebissen würde, sei das wohl seine Schuld, weil er ja wisse, worauf er sich einlasse.

 

Steve Irwin starb im Alter von 44 Jahren bei Unterwasseraufnahmen am Great Barrier Reef an den Folgen des Stichs eines Stachelrochens in sein Herz.

  

 

 

 

Jacques Étienne Montgolfier

 

* 6.1.1745 in Annonay, † 2.8.1799, französischer Erfinder

  

Jacques Étienne Montgolfier erfand gemeinsam mit seinem Bruder Joseph Michel den Heißluftballon.

 

Erstmals ließen sie ihre Montgolfière im Dezember 1782 in ihrem Heimatort Annonay unbemannt aufsteigen, ein halbes Jahr später erreichten ihr verbessertes Gerät schon eine Höhe von 2.000 Meter.

 

Draufhin bat der französische König Ludwig XVI. die Montgolfiers ihre „fliegende Kiugel“ in Parus vorzuführen. Am 19. September 1783 ließen die Brüder in Anwesenheit des Königs vom Schloss Versailles aus einen Heißluftballon mit einem Hammel, einer Ente und einem Hahn aufsteigen. Der Flug dauerte gut acht Minuten, und da die Tiere das Experiment überlebten, gab der König die Erlaubnis zu einem Aufstieg mit Menschen.

 

So stieg dann am 15. Oktober 1783 der Physiker Jean-François Pilâtre de Rozier als erster Mensch in einer Montgolfière bis zu einer Höhe von 26 Metern auf. Der Ballon war dabei noch mit Seilen am Boden verankert. Und am 21. November 1783 hoben Rozier und der Offizier François d’Arlandes erstmals in einer frei fliegenden Montgolfière erstmals für knapp eine halbe Stunde ab. Ursprünglich sollten Sträflinge als Versuchspersonen eingesetzt werden, nach Protesten ließ man diesen Gedanken jedoch fallen.

 

Den Brüdern Montgolfier zu Ehren wurden ein Asteroid und ein Mondkrater benannt.

 

  

 

 

Paul Jackson Pollock

 

* 28.1.1912 in Cody, Wyoming, † 11.8.1956 in East Hampton, New York, amerikanischer Maler

  

Jackson Pollock begründete das Action Painting. Seine großformatigen im Drip-Painting-Verfahren ausgeführten Bilder trugen ihm den Spitznamen „Jack the Dripper“ ein.

 

Sein Gemälde „No. 5.. 1948 war einst das teuerste Bild der Welt: nach einem Bericht der „New York Times“ vom 2. November 2006 wurde das Bild bei einer privaten Transaktion für 140 Millionen Dollar verkauft.

 

Jackson Pollock starb im Alter von 44 Jahren bei einem unter Alkoholeinfluss selbst verschuldeten Verkehrsunfall.

 

  

 

 

Otto Julius Bierbaum

 

* 28.6.1865 in Grünberg, Schlesien, Pseudonyme Martin Möbius und Simplicissimus, † 1.2.1910 in Dresden, deutscher Autor

  

1903 veröffentlichte Otto Julius Bierbaum „Eine empfindsame Reise im Automobil“, das erste Autoreisebuch der deutschen Literatur. Im Jahr zuvor war er mit einem Adler-Cabriolet von Deutschland über Prag und Wien nach Italien und zurück durch die Schweiz gefahren und überquerte dabei als erster deutscher Automobilist den Gotthardpass.

 

Otto Julius Bierbaum schrieb auch gern für den „Simplicissimus“. Über Stefan George und seine Fangemeinde spottete er einmal: Feierlich sein ist alles! Sei dumm wie ein Thunfisch, temperamentlos wie eine Qualle, stier besessen wie ein narkotisierter Frosch, aber sei feierlich, und du wirst plötzlich Leute um dich sehen, die vor Bewunderung nicht mehr mäh sagen können.

 

Otto Julius Bierbaum starb vierundvierzigjährig nach langer Krankheit. Anlässlich seines 100. Todestages wurde an seinem Geburtshaus eine Gedenktafel enthüllt, darauf sein berühmtes Motto: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

 

 

 

 

Joseph Roth

 

* 2.9.1894 in Brody, Ost-Galizien, † 27.5.1939 in Paris, österreichischer Schriftsteller

  

Nur wenige Stunden dürfte Joseph Roth in Merseburg und Umgebung gewesen sein, sein Reisebericht aber dürfte Bestand haben, solange die Problematik die ihn hier schon 1930 bewegte, nicht aus der Welt ist.

 

Am 14. Dezember hatte der großartige Romancier in der „Frankfurter Zeitung“ einen Brief „aus dem Harz veröffentlicht und dessen Fortsetzung angekündigt. Doch dann erschien als nächster Artikel Joseph Roths jener weitsichtige Reisebrief aus Merseburg.

 

Von irgendwoher musste Joseph Roth vom Abriss des Geiseltaldorfes Runstedt erfahren und sich unverzüglich auf den Weg gemacht haben. Vielleicht hatten ihn Freunde mit dieser Nachricht überrascht, vielleicht war er durch eine Zeitungsnotiz aufmerksam geworden. Oder sollte er im nicht allzu weit von Merseburg entfernten Harz einen Runstedter kennengelernt haben, einen Vertriebenen, dessen Haus, Hof und Garten dem Abraumbagger schon zum Opfer gefallen waren? Kohle, Kohle, Runstedt stand auf einem Riesenfeld Kohle, und unaufhaltsam fraß der Tagebau das Dorf.

 

Joseph Roth dürfte Anfang Dezember 1930 hierher geeilt sein, irgendwann nachdem er zumindest den ersten Teil seiner Harz-Reportage beendet und an die Redaktion geschickt hatte. Von Berlin aus könnte er den D 140 benutzt haben, der kurz nach 10 Uhr in Merseburg hielt - Umsteigen in die Straßenbahn nach Frankleben, Marsch nach Runstedt.

 

Und ich ging zu Fuß durch die sterbende Natur, es war wie ein Krankenbesuch, nein, wie ein Leichenzug. Und der Sterbende war schon eine Leiche und sein eigener Friedhof zugleich, aber nicht er, sondern sein Mörder roch nach Verwesung, und verglichen mit ihm, der den Verurteilten ja überleben sollte, war die Agonie noch lebendig und das Überlebende war leichenhaft. Oh, welch eine Welt! Der Moder ist hier gesünder als das Leben, die Fäulnis ist fruchtbar und mordet die Gesundheit, der Gestank tötet den Duft und das Geheul betäubt den Gesang: und davon leben wir!

 

So spontan diese Reise schien, dürfte Joseph Roth sie doch gut vorbereitet haben. Klar musste ihm sein, dass während seines Aufenthaltes keine Zeit für aufwendige Recherchen bliebe. Hier waren seine Sinne gefordert, präzise bis in den Schmerz, hier durfte nicht nur verstanden, musste vielmehr erfühlt werden, was geschah, jede nur mögliche Minute. Die mehr als tausendjährige Geschichte Runstedts war ihm also mit Sicherheit ebenso bekannt, wie die Mechanismen, die den Abriss dieses Geiseltaldorfes bewirkten.

 

Denn das Dorf Runstedt wurde von einem mächtigen Gegner vernichtet, jenem gewaltigen Unternehmen, das von unserer merkwürdigen technischen Begabung zeugt, dem Lande ohne Zweifel unermeßlichen Nutzen bringt, dessen Namen ehrfurchtsvolles Schweigen in der Welt auslöst und das dennoch, wie ein häßliches und notwendiges Geschwür, die Natur in Mitteldeutschland frißt, Gestank verbreitet und produktive Wüsten schafft, das Gesicht der Erde vernichtet und in ihren Eingeweiden ruchlos und zweckhaft kramt. Ich meine die wunderbaren Leunawerke.

 

1927 hatte dieser Chemiekoloss, der bei Produktionsbeginn, zehn Jahre zuvor, noch Ammoniakwerk Merseburg hieß und anfangs Sprengstoffe, dann Düngemittel ausstieß, eine bedeutende Erweiterung erfahren: die so genannte Hydrierungsanlage. Fortan brauchte der Moloch Leuna Kohle nicht mehr nur zur Energie- und Gasgewinnung, sondern immer unersättlicher auch zur Herstellung von Leuna-Benzin. Die alten Gruben des Geiseltals genügten den wachsenden Ansprüchen alsbald nicht mehr. Und wie würde erst der Wehrmachtsbedarf die Produktion steigern!

 

Umgestülpt wird der Leib der Erde, ihr Inneres zuoberst gekehrt, geringschätzt werden die Früchte, die ihr Schoß freiwillig gespendet hat, die geheimen Schätze und Urgründe dieser Früchte werden aus dem aufgeschnittenen Schoß hervorgezerrt und in jene Nahrung verwandelt, die eine Zwillingsschwester des Giftes ist und die nährt, indem sie tötet, und umbringt, indem sie nährt. Wie diese Nahrung eine Schwester des Giftes ist, so ist unser Friede ein Bruder des Krieges. Wir können düngen, aber wir können auch schießen. Auf unserem Segen ruht unser Fluch.

 

Sollte Joseph Roth gehofft haben in den Ruinen Runstedts Gesprächspartner zu finden, war seine Suche wohl nicht sehr erfolgreich. Bezeichnenderweise vermerkte er in seinem Bericht nur Begegnungen mit Abrissarbeitern, Altwarenhändlern und dem Hüter eines Friedhofs. Nicht dem des Runstedters Gottesackers aber, nein, der war schon nach Frankleben verlegt. In Runstedt war es Joseph Roth offenbar nicht mehr vergönnt auch nur einen einzigen Runstedter zu entdecken, keinen jungen, keinen alten, keinen toten. Und das, was vom Dorfe selbst noch stand, würde in einigen Monaten restlos im Tagebau verschwunden sein.

 

Die Weltwirtschaft veranstaltet ihre eigenen Jüngsten Gerichte... Sie geht über Leichen und verschafft ihnen dann neue Quartiere. Sie zieht Christi Kreuze aus der Erde und fabriziert Gelbkreuze unter dem Schutz von Hakenkreuzen. Weg ist weg! Ab mit Schaden! Gegen die Technik kommt keener an!

 

Angesichts dessen wird Joseph Roth wohl gewusst haben, wann dieser Text erscheinen musste: Weihnachten natürlich, zum Fest der Freude, zum Fest der Geburt des Herrn, des Erlösers. Wann sonst könnte der Kontrast zu all dem bei Merseburg Gesehenen deutlicher, die Chance, Trauer und Wut und Betroffenheit mitzuteilen, größer sein? Oder sollten solche Überlegungen sogar den Termin dieser Reise fixiert haben? Wie auch immer, der Reisebericht erschien am 25. Dezember 1930.

 

Ich sah die riesenhaften Schlote im Halbkreis heranrücken, gegen Tote und Lebende, gegen Friedhöfe und Höfe, immer näher rückten sie, den Rauch, der alles zuerst verpesten sollte, schickten sie voraus. Es war ein Generalangriff der Schlote, immer enger wird ihr Halbkreis, immer dichter schließt sich ihr fürchterlicher Bogen.

 

Spätestens als Joseph Roth wieder in der Straßenbahn saß, gen Merseburg fuhr, dürfte ihm auch der Titel eingefallen sein, der seinem Anliegen gerecht werden konnte, da er die Dimension der geschilderten Gefährdung schlagartig erweiterte: „Der Merseburger Zauberspruch“.

 

Weg ist weg! Ab mit Schaden" Gegen die Technik kommt keener an... Falls Joseph Roth noch selben Tags nach Berlin zurückwollte, es ihn an den Schreibtisch zog, könnte er, um in Halle den D15 zu erreichen, von Merseburg aus im Personenzug kurz nach 16 Uhr die Gegend verlassen haben, von der er sagen würde, er wisse nicht, ob sie verzaubert oder verflucht sei:

 

Hier vollzieht sich der Untergang der Welt, auf daß sie gedüngt werde.

 

 

 

 

Johann Heinrich Barth

 

* 16.2.1821 in Hamburg, † 25.11.1865 in Berlin, deutscher Afrikaforscher

  

Heinrich Barth gilt er als Pionier der Afrikaforschung. Er gehört zu den wenigen Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts, die den Afrikanern ausgesprochen unvoreingenommen begegneten und bereit waren, mit den Vertretern des afrikanischen Islam in einen interkulturellen Dialog einzutreten. Sein Konzept einer interdisziplinären Afrikawissenschaft kam erst nach 1950 allmählich zum Tragen.

 

Heinrich Barth sprach fließend Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Türkisch sowie Arabisch, und beherrschte mehrere Dialekte des Tamaschaq, der Sprache der Tuareg, die maurisch-arabischen Dialekte Nordwestafrikas, das Haussa, das Fulfulde und das Kanuri.

 

Auf seiner wohl bedeutendste, sechs Jahre dauernden Afrika-Reise erforschte er die Gebiete südlich des Tschadsees und den Flusslauf des Benue, drang weiter bis zur berühmten Handelsstadt Timbuktu vor und kehrte anschließend an den Ausgangspunkt Tripolis zurück.

 

Heinrich Barth starb im Alter von 44 Jahren „unter großen Schmerzen“ an einer „Zerberstung des Magens“, wie Rudolf Virchow feststellte, möglicherweise die Spätfolge einer Schussverletzung, die Heinrich Barth auf seiner ersten Reise in Libyen erlitten hatte.

 

  

 

Eruchan

 

* Juli 1870 als Jerwant Srmakeschchanlian in Konstantinopel, † 24.4.1915 bei Harpunt, armenischer Schriftsteller

  

Nach dem Abitur arbeitete Eruchan für die Zeitschrift „Arevelk“ und veröffentlichte dort sowie im Journal „Masis“ eine Reihe von Novellen, mit denen er die Traditionen der westarmenischen realistischen Literatur weiterführte.

 

1896 floh er vor türkischen Pogromen nach Bulgarien, 1904 weiter

 

 nach Ägypten. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Lehrer an den Nationalgymnasien von Varna, Alexandria und Kairo, veröffentlichte aber unter den Pseudonymen Gahtakan und Aschug auch weiter Texte, in denen er vor allem das Leid der armenischen Flüchtlinge schilderte.

 

Nach der Machtübernahme durch die Jungtürken, die eine tolerante, weltoffene Politik versprachen, kehrte Eruchan 1908 nach Konstantinopel zurück und wurde Chefredakteur von „Aravelk“, unterrichtete jedoch auch an den armenischen Nationalgymnasien Gedrogan und Charberd.

 

Erewan gilt als eines der bekanntesten Opfer des jungtürkischen Terrors. Weithin bekannt wurde er vor allem durch seinen Roman „Amirajin aghdschike“.

 

Gleich zu Beginn des Völkermords an den Armeniern, am so genannten „Roten Sonntag“ wurde Eruchan zusammen mit einem Priester verhaftet, gefoltert und ermordet. Seine Frau und seine beiden Kinder starben auf dem Todesmarsch nach Deir-ez-Zor.

 

 

 

 

Georg Seidel

 

* 28.9.1945 in Dessau, † 3.6.1990 in Berlin, deutscher Autor

  

„Seidel war Dichter, aber er hat kein Künstlerdasein geführt. Er ist nicht weggegangen. Unser Alltag, scheinbar gar nichts mehr kunstwürdig. Quälte ihn wirklich, und die Frage: Was ist mit den Menschen geschehen? Wer sollte für so was Interesse haben? – Die Beteiligten. In die Vergangenheit kann man nicht zurückschreiben. Was es Zeugnissen über die Innenansichten des Lebens in der DDR gibt und vielleicht noch geben wird, ist von Leuten geschrieben worden, die sich nicht schützen konnten oder nicht mehr schützen wollten, die verzweifelt gesehen haben, wer sie sind und wo sie sich befinden. Diese Autoren haben auch einen hohen Preis gezahlt. Eingeengt, abgeschnitten, eigenbrötlerisch oder verstummt. Viele von ihnen haben schließlich das Land doch verlassen. Georg Seidel ist gestorben“, sagt Irina Liebmann zwei Jahre nach Georg Seidels Tod in ihrem Nachwort zum Reprint seines „In seiner Freizeit las der Angeklagte Märchen“.

 

Seidel schreibt: „Ich glaube nicht daran, daß man mit Kunst die Welt verändern kann, ich weiß nur, daß das Vorhandensein von Kunst die Veränderung ist, selbst wenn die Kunst nicht wahrgenommen wird.“

 

Liebmann: „Seidel hat sich nicht beirren lassen. Er haßte die Enge, die Hässlichkeit überall, die Macht, die über Menschen ausgeübt wurde, und er hat zu diesen Gefühlen ebenso gestanden wie zu den Menschen, die das auch fühlten. Das hat seine ganze Kraft gekostet. In den Texten ist er geblieben. Da weht Wind raus auf einmal – ich lese, ich erinnere mich, ich staune, ich lache.“

 

Seidel: „Als wir sahen, daß es nichts zu sehen gibt, weil wir nur sahen, was wir immer zu sehen kriegen, da dachten wir, also denken sie, die uns sehen, immer das gleiche, verwandeln uns augenblicklich in Regenwürmer und verschwanden im Erdreich, wurden aber mit Hilfe von Starkstromstößen ans Tageslicht zurückbefördert, sahen die Sonne, freuten  uns über den schönen Frühlingstag und wußten trotzdem: Eine richtige Geschichte ist das auch nicht. Dann gingen wir Brot kaufen, um uns eine Brotsuppe zu kochen. Als wir aber das Wasser sahen, wurde uns so schlecht, daß wir Bier trinken mussten. Vom Bier bekamen wir einen Schädel, der so groß war, daß wir nicht mehr durch die Kneipentür ins Freie kamen. So blieben wir also in der Kneipe. Da sitzen wir noch.“

 

In der Schule hatte Georg Seidel den Spitznamen „Dichter“, da sein Deutschlehrer von jedem, der unangenehm auffiel, eine Strafarbeit in Reimen verlangte und Seidel, diese Strafen zumeist für die ganze Klasse abarbeitete. Er lernte Werkzeugmacher, verweigerte den „Ehrendienst“ an der Waffe, wurde Bausoldat, durfte danach nicht am Literaturinstitut studieren, ging nach Berlin, wurde Beleuchter im Deutschen Theater, beginnt fürs Theater zu schreiben, einige Stücke werden sogar aufgeführt, dann sogar im Ausland. Er wird Regieassistent und nennt sich ab 1987 freier Autor.

 

Liebmann: „Georg Seidel starb am 3. Juni 1990 in Berlin, im ersten Frühling nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze, als die DDR ausgeknipst war wie ein falsches Radioprogramm und die Menschen noch sehr oft von Ost nach West gingen und volle Plastiktüten tragend zurückkamen, kopfschüttelnd auf den Bürgersteigen liefen in der Sonne und manchmal stehenblieben sogar und die Häuser betrachteten, die Straßen, sich selber dazwischen, wie das aussah, wo sie gelebt hatten.“

 

Seidel: „Ich begreife nicht. Was ich aus mir gemacht habe, wie das geworden ist, was ich zu sich sagt. Ich begreife nicht Welt und was das ist Luft, das die Flugzeuge trägt, Düsenjäger, ich kann mein Leben nicht mehr verändern, ich liege im Sterben, aber kann man mich nicht noch einmal herausreißen, dieses Ende, anders, anders und andere Anfänge, eine andere Mitte, andere Schlussstriche. (…) ich habe meine Personenkennzahl als Telephonnummer benutzt, ein Großhandel meldete sich, ein Großhandel für Plastwaren und Gummi. Der Mensch ist nicht nur verantwortlich für andere Menschen, der Mensch ist auch für sich selber verantwortlich.“

 

Liebmann: „Georg Seidel ist an Krebs gestorben, zu Hause, unter der Einflugschneise des Flughafens Tegel, im eigenen Bett, gepflegt von seiner Frau, begleitet und verabschiedet von seinen vielen Freunden.“

 

  

 

 

Johann Hermann Schein

 

* 30.1.1586 in Grünhain, † 29.11.1630 in Leipzig, deutscher Komponist

  

Johann Hermann Schein wird in die Reihe der „drei großen SCH“ eingeordnet: in aufeinanderfolgenden Jahren geboren (1585, 1566, 1587) wirkten Samuel Scheidt in Halle, Heinrich Schütz in Dresden und Johann Hermann Schein in Leipzig wesentlich auf die Musik ihrer Zeit. Zudem waren die drei Komponisten befreundet.

 

Trotz eines Lungen- und eines Nierensteinleidens arbeitete Johann Hermann Schein unermüdlich weiter als Komponist, Organist, Musikdirektor der Stadt Leipzig, Leiter der Thomasschule und Thomaskantor.

 

Als er wenige Wochen vor seinem 45. Geburtstag starb, widmete ihm sein Freund Heinrich Schütz den Grabgesang „Das ist je gewisslich wahr“.

 

 

 

 

Henry David Thoreau

 

* 12.7.1817 in Concord, Massachusetts, † 6.5.1862 ebd., amerikanischer Dichter und Philosoph

 

 

Sollen wir uns denn immer nur bemühen, ein Mehr an irdischem Besitz zu erlangen und uns nicht manchmal lieber mit weniger begnügen?

 

Martin Luther King sagte: „Ich bin überzeugt, dass es ebenso sehr unsere moralische Pflicht ist, dem Bösen die Gefolgschaft zu verweigern, wie sie dem Guten anzutragen. Kein anderer Mensch hat diese Überzeugung so wortmächtig und leidenschaftlich weitergetragen wie Thoreau. Seine Werke und sein persönliches Zeugnis machen ihn zu unser aller Vorbild kreativen Ungehorsams.“

 

Die Menschen sind die Werkzeuge ihrer Werkzeuge geworden.

 

Der Amerikanist Utz Riese meinte: „Es gibt nicht allzu viele Denker, deren poetische Essays so unmittelbar emanzipatorische Bewegungen stimuliert haben wie diejenigen Henry D. Thoreaus. Kein Geringerer las Mahatma Gandhi hat die Prinzipien des gewaltlosen Widerstands, die er zunächst in Südafrika und dann mit bahnbrechendem Ergebnis in Indien verwirklichte, zu einem Teil auf Thoreaus Theorien gegründet.“  - und der Anglist Walther Paul Fischer „Sein höheres Ziel war die Bejahung des Lebens, das ihn wertvoller dünkt, auch wenn es bescheiden ist. Und dies ist letztlich die Lehre, die aus Thoreaus Munde das junge Amerika dem müden Europa zuruft: Fliehe das Leben nicht und beschimpfe es nicht… Lies mutig dein Geschick; sieh zu, was vor die liegt, und schreite tapfer in die Zukunft!

 

„Thoreau war kein großer Redner, und auch seine Verse sind nicht weiter bemerkenswert; seine Domäne ist die essayistische Prosa“, schrieb der Übersetzer Manfred Allié. „Er denkt in Antagonismen – eine Dialektik, die dem Leser die Synthese überlässt -, seine Paradoxa, Parallelismen, eklektischen Zitate, das oft gewollte Krude sind Mittel, zum genauen Hinsehen zu zwingen: sein ganzer Stil ist auf maximalen Erkenntnisgewinn ausgerichtet. […] sein Glaube, ein einzelner Mensch könne durch exemplarisches Handeln die Gesellschaft verändern, hat auch etwas Quichottisches.“

 

Sein Freund Ralph Waldo Emerson urteilte: „Er zog es vor reich zu sein, indem er seine Bedürfnisse beschränkte.“ Und Henry Miller klagte, Thoreau sei „eine Münze von einer Art, wie sie heute leider nicht mehr geprägt wird.“

 

Henry David Thoreau starb im Alter von 44 Jahren an Tuberkulose.

 

  

 

 

Maxie Wander

 

* 3.1.1933 als Elfriede Brunner in Wien, † 21.11.1977 in Potsdam, österreichische  Schriftstellerin

  

Maxie Wanders Ehemann Fred Wander sagt in seinem Vorwort zu ihren postum erschienenen Band „tagebücher und briefe“: „Maxie Wander hat den Widerhall ihres ersten Bandes ‚Guten Morgen, du Schöne“ noch erlebt und war verblüfft davon. Tausende hatten es in kurzer Zeit gelesen, von einigen Hundert erhielt sie Nachricht über die Erregung, die sie bei ihnen erzeugt hatte. Ich möchte mit einem Satz schließen, den ich vor vielen Jahren für sie geschrieben habe: ‚Wenn Du einem Menschen begegnest, soll er mit einem Lächeln weitergehen, und sein Puls soll um drei Grade stärker schlagen, weil Du ihm eine Ahnung von seinen verborgenen Kräften und den in ihm schlummernden Ideen verschafft  hast.’“

 

Die Journalistin Birgit Dahlke urteilte über „Guten Morgen, du Schöne“: „Die ursprünglichen Protokolle sind zu Porträts verdichtet, die Autorin adaptiert den Gestus, Soziolekt und Ton der Befragten und reichert ihn mit dem Bild an, das sie sich selbst von der Gesprächspartnerin und deren sozialer Situation gemacht hat. Aus der Tonbandmitschrift wird Literatur.“

 

Einen Monat vor ihrem Tod schrieb Maxie Wander aus dem Krankenhaus an ihre Schwester: „Liege im Bett, Wärmeflasche am Bauch, der seit zwei Tagen rebelliert. Gestern mußte die Ärztin her, um mir eine Schmerzspritze zu geben. Die Leber ist wieder vergrößert. Ich bin verdrossen, weil dieser Rückschlag so massiv und unerwartet kam…“

 

Und in ihrem allerletzten Brief an Freunde vom 11. November 1977: „Manchmal glaube ich nicht mehr daran, daß ich wieder gesund werde. Die Ärzte werden seit vielen Wochen mit dem Fieber nicht  fertig. Große Schwäche, Schmerzen, Übelkeit – nichts wird besser. […] …was soll ich mit dieser Krankheit machen?“

 

Im Alter von 44 Jahren starb Maxie Wander an Krebs.

 

 

  

 

Breno Accioly

 

* 22.3.1921 in Santana do Ipanema, † 13.3.1966 in Rio de Janeiro, brasilianischer Schriftsteller

  

Im Jahr als Breno Accioly, Autor diverser fantastisch-grausamen und absurd-existentiellen Erzählung, beim Versuch einen schizophrenen Schub in den Griff zu bekommen an einer Übermedikation in Rio de Janeiro starb, könnte ich zum ersten Mal „Abenteuer in Rio“ im Kino gesehen haben.

 

Knapp fünfzig Jahre später erlebten Jeanny und ich dann tatsächlich Abenteuer in Rio:

 

Mit Sonnenaufgang erreichen wir Rio de Janeiero, schippern an Ipanema vorbei, an der Copacabana, dem Zuckerhut, sehen die Christusstatue auf dem Corcovado langsam aus dem Morgennebel aufsteigen: grandios!

 

Stefan Zweig, der 1940 nach Brasilien emigriert war, schrieb: „Es gibt – wer sie einmal gesehen hat, wird mir nicht widersprechen – keine schönere Stadt auf Erden.“ (Dennoch nahm er sich 1942 unweit von hier, in Petropolis, das Leben – aus Verzweiflung über die scheinbar unaufhaltsame Zerstörung seiner geistigen Heimat Europa…)

 

Unser Tagesguide meint, wir hätten unerhörtes Glück: tagelang schlechtes Wetter hier, gestern noch sintflutartige Regenfälle – heute aber sollte es keine Schwierigkeiten mehr geben, die Sehenswürdigkeiten dieser Weltmetropole zu besichtigen.

 

Der Verkehr allerdings ist chaotisch, täglich wechselnde Baustellen und Umleitungen. Es wird gebaut, gebaut, gebaut: Rio ist eine der Gastgeberstädte der Fußballweltmeisterstadt 2014 sowie vor allem der Olympischen Spiele 2016.

 

Doch irgendwie manövrieren wir uns durch die Dauerstaus, vorbei am kilometerlangen Sambódromo, wo in wenigen Tagen die Karnevalszüge von Zehntausenden auftanzen werden, gen Corcovado. Auffahrt durch dichten Tropenwald (mitten in der Stadt) mit einer Zahnradbahn. Was für ein Gedränge auf der Aussichtplattform vor dem weltberühmten Christus! 50% der Besucher scheinen auf dem Betonboden zu liegen und die anderen 50% zu fotografieren, wie sie mit weit ausgebreiteten Armen (und entsprechendem Gesichtsausdruck) die Statue zu imitieren versuchen…

 

Dann ist die Innenstadt völlig zugestaut, äußerst mühselig geht’s Richtung Ipanema. Ärzte sollen wohl an einer neuralgischen Kreuzung dagegen demonstrieren, dass alsbald eine größere Anzahl kubanischer Ärzte eingestellt werden sollen, die für wesentlich weniger Geld als die hiesigen zu praktizieren bereit wären und so die Gehälter drückten (erzählt der Guide).

 

Bemerkenswert hierbei: in Brasilien muss niemand für einen Arztbesuch oder Krankenhausaufenthalt bezahlen, wurde das gesamte Sozialsystem, seitdem die Sozialisten unter Lula an die Macht kamen, reformiert. Auch der Besuch (staatlicher) Schulen und Hochschulen ist kostenfrei. Und ein Mann der 35 Jahre und eine Frau die 30 Jahre lang gearbeitet hat, kann mit dem Durchschnittslohn der letzten 10 Jahre in Rente gehen (erzählt der Guide). Schau an, so also sieht eine aufstrebende Dritte-Welt-Macht von innen aus… (Wobei seit geraumer Zeit auch immer wieder Bilder von Massendemonstrationen gegen überdimensionierte Stadienneubauten und sonstige Prunkstätten sogar in deutschen Nachrichten auftauchen, das hiesige Sozialsystem also offenbar noch nicht so funktioniert, wie es funktionieren sollte.)

 

Mittagessen in einer Churrascaria, einem Grillrestaurant. Die Kellner schneiden dir am Tisch das Fleisch, immer so viel du möchtest, von langen Spießen. Köstlich und man kommt kaum mit dem Kauen nach.

 

Weiter zum Zuckerhut. Auffahrt mit einer Drahtseilbahn. Unvergesslicher Rundumblick über die Bucht und die Stadtviertel, die Strände, die Hügel, die Inseln der 6-Millionen-Einwohner-Stadt. Im Minutentakt starten Flugzeuge von einem Airport auf den man blickt und kurven schon quasi auf Augenhöhe an einem vorbei…

 

Und was für ein Glück wir heute tatsächlich hatten, sehen wir am Ende des Tages: die Christusstatue verschwindet wieder in dichtem Nebel. Hätten wir unsere Rundfahrt in anderer Reihenfolge gemacht, hätten wir wohl bestenfalls die Hälfte von dem sehen können, was wir gesehen haben.

 

Am nächsten Morgen zur Copacabana. Ein Tag am wohl berühmtesten (wenn auch künstlichem) Strand der Welt. An Baden ist jedoch nicht zu denken, gewaltige Brecher, tief hängende Wolken, dann sogar Regen. Strandwanderung also bis zum Fort Copacabana und zurück über die breite Promenade. Bars und Imbissstände aller 50 Meter. Und wenn ich befürchtet hätte, an diesem Superstrand abgezockt zu werden, hätte ich mich absolut getäuscht. Der Caipirinha ist hier noch gehaltvoller und schmackhafter und: preiswerter! (8 Reals, das sind keine 3 Euro) als auf Imhabela. Und auch von irgendwelchen Räuberbanden, die immer mal wieder Touristen terrorisierend durch Journaillen geistern, ist weit und breit nichts zu entdecken. Wenn jetzt also eines der Traumvehikel unserer Kindheit, das rosafarbene und grünbesternte Cabriolet, in dem Belmondo in „Abenteuer in Rio“ über Kinoleinwände kurvte, auftauchte, würde’s mich nicht wundern…

 

  

 

 

Nataniel Aguirre

 

* 10.10.1843 als Daniel Aguirre Gonzáles de Prada in Cochabamba, † 11.9.1888 in Montevideo, bolivianischer Dichter

  

Nataniel Aguirres Roman „Juan de la Rosa“ gilt als der beste lateinamerikanische Roman des 19. Jahrhunderts. Nataniel Aguirre wirkte aber auch als bolivianischer Abgeordneter, Präfekt von Cochabamba, als Diplomat und Minister.

 

Zudem trieb er soziale Ideen voran, so die einer großen Agrarreform und die der Wertschätzung der indigenen Bevölkerung. Er sagte einmal: „Lasst uns den armen Inder zu einem Bürger wie uns machen.“

 

Nataniel Aguirre starb im Alter von 44 Jahren auf dem Weg nach Brasilien in Uruguay, wo er die Interessen seines Heimatlandes vertreten sollte.

 

 

 

 

Marvin Gaye

 

* 2.4.1939 als Marvin Pentz Gay jr. in Washington, D.C., † 1.4.1984 in Los Angeles, amerikanischer Sänger

  

Marvin Gaye gilt als einer der erfolgreichsten Soul-Sänger. Das Musikmagazin „Rolling Stone“ listet ihn auf Platz 6 der größten Sänger und auf Platz 18 der größten Musiker aller Zeiten.

 

Immer wieder werden seine größten Hits gecovert: „Ain’t No Mountain High Enough”, Your Precious Love”, Ain’t Nothing Like the Real Thing”, You’re All I Need to Get By”, „I Heard It Through the Grapevine oder „Sexual Healing“. Sein Album What’s going on” listete der Rolling Stones” im Jahr 2020 auf Platz 1 der 500 besten Alben. Postum wurde er in die „Hall of Fame für Rhythm and Blues Music“ sowie in die „Songwriters Hall of Fame“ aufgenommen.

 

Marvin Gaye wurde einen Tag vor seinem 45. Geburtstag im Streit von seinem Vater erschossen.

 

 

  

 

Tosaka Jun

 

* 27.9.1900 in Tokio, † 9.8.1945 in Nagano, japanischer Philosoph

  

Wegen seiner kritischen Einstellung gegenüber der japanischen Regierung und vor allem gegen deren Kriegspolitik kam der Philosoph Tosaka Jun mehrmals ins Gefängnis.

 

Zeit Lebens veröffentlichte er zehn philosophische Bücher, so „Die Logik der Ideologie“, „Denken und Brauchtum“, „Literatur als Denken“, „Die japanische Ideologie“ oder „Japan als Region der Welt“. Unter dem Pseudonym Rosa Luxemburg schrieb er auch Haikus.

 

Seine letzte Haft trat er im September 1944 in Tokio an, wurde dann jedoch aufgrund der zunehmenden amerikanischen Luftangriffe nach Nagano verlegt. Hier erkrankte er im Juli 1945 wegen Unterernährung und Krätze an einer akuten Nierenentzündung und starb wenige Tage vor der japanischen Kapitulation wenige Wochen vor seinem 45. Geburtstag.

 

 

  

 

Petra Kelly

 

* 29.11.1947 als Petra Karin Lehmann in Günzburg, † vermutlich 1.10.1992 in Bonn, deutsche Politikerin

  

Petra Kelly gründete Anfang 1980 die Partei „Die Gründen“ mit. Im Jahr zuvor war sie aus der SPD, in die sie 1972 inspiriert durch Willi Brandts Ostpolitik eingetreten war, ausgetreten und schrieb Bundeskanzler Helmut Schmidt einen offenen Brief: „Die Sozialdemokratische Partei und Sie...sind dem sich aufdrängenden Zusammenhang zwischen Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdungen nicht gerecht geworden“, und sie kündigte eine „neue Form der politischen Vertretung“ an, „wo nicht nur der Lebensschutz und der Frieden endlich Priorität erhalten werden, wo aber auch der Grundsatz von der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen echt praktiziert wird.“

 

Ab 1983 wirkte sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag, und als sie 1990 nicht wieder gewählt wurde, schrieb sie in einem weiteren offenen Brief über „Selbstzerfleischung und fruchtlose, die politischen Aktivitäten lähmende Flügelkämpfe“ der Grünen und forderte die Partei auf, „zu den authentischen grünen Prioritäten in allen Politikbereichen“ zurückzufinden. Dann bewarb sie sich als Vorstandssprecherin der Grünen, erreichte aber auch hier nicht mehr die erforderlichen Stimmen.

 

Joschka Fischer bekannte: „Petra und ich waren uns immer sehr fremd geblieben – und haben uns gegenseitig wenig verstanden, ja oft gegeneinander in der Partei gestritten.“ 1992 wurde die schwer kranke Petra Kelly wenige Wochen vor ihrem 45. Geburtstag von ihrem Lebensgefährten, dem Ex-General und Atomwaffen-Gegner Horst Bastian, unter nie vollständig geklärten Umständen getötet, danach erschoss Bastian sich selbst.

 

Auf der Trauerfeier sagte ihr Freund, der russische Dissident Lew Kopelew: „Ich glaube an keinen Selbstmord. Sie wären nicht freiwillig von uns gegangen, ohne es uns zu erklären. Es geschah etwas Schreckliches, Grausames, vielleicht wird es einmal aufgeklärt.“

 

Der untersuchende Kriminalhauptkommissar erklärte: hingegen man müsse „nach dem bisherigen Ermittlungsstand und den Untersuchungen der Rechtsmedizin und der Sachverständigen davon ausgehen, dass Frau Kelly erschossen worden ist und anschließend sich Herr Bastian erschossen hat. Es ist ein absoluter Nahschuss, ein sogenannter aufgesetzter Schuss, gewesen. Und da gibt’s einfach nur die Möglichkeit, entweder lag ein Einverständnis vor, oder es ist eben im Schlaf geschehen.“

 

Und der Sohn Horst Bastians, ein Arzt, berichtete: „Dann hat er uns mal besucht und sich schon deutlich darüber ausgelassen, dass er Petra für seelisch krank hält – womit er sicher recht hat, das war auch mein Eindruck –, und welche Therapie-Möglichkeiten es denn gäbe. Aber er hat das schon gemerkt, dass mit ihr was nicht in Ordnung war, um das so mal auszudrücken. […] „Ich wusste sehr wohl, dass mein Vater ein problematischer Mensch ist, was seine Gewaltbereitschaft anbetrifft. Ich habe Petra Kelly oft genug sagen hören: ‚Wenn du mal nicht mehr lebst, will ich auch nicht mehr leben‘, und ‚ohne dich will ich nicht auf der Welt sein‘. Sodass sich bei meinem Vater diese Auffassung verdichtet haben könnte, wenn ich sterbe, dann ist es mit ihrem Leben auch vorbei.“

 

Christa Nickel, die einstige Drogenbeauftragte der Bundesregierung meinte in der Bestürzung über den Tod von Petra Kelly und Horst Bastian einen Wendepunkt bei den „Grünen“ erkannt zu haben: „Auf der Trauerfeier, da hatte ich das Gefühl, dass das vor allen Dingen auch die Basis so betroffen hat, im Innersten, dass daraus eine Kraft entstanden ist zu sagen: Das ändern wir. Und ab da ging es meiner Meinung nach auch für die Grünen als Partei ein Stück weit wieder bergauf.“

 

 

 

 

Ludwig Aßner

 

* 1889 in Landsberg am Lech, † nach 1933, deutscher Politiker

  

Ludwig Aßner war nach der Novemberrevolution Leibchauffeur von Kurt Eisner. Dann errang er für den Völkischen Block ein Mandat im Bayerischen Landtag, legte es jedoch nach heftigem Protest Adolf Hitlers nieder.

 

Nachdem Hitler dann zum Reichskanzler ernannt wurde schickte Ludwig Aßner ihm einen mit Gift präparierten Brief. Doch ging dieses Attentat auf Hitler wie so viele andere fatalerweise schief.

 

Wann und wo und wie Ludwig ums Leben kam, blieb unbekannt.

 

 

 

 

Ataï

 

* wohl 1833 in La Foa, † 1.9.1878 in Fonimoulou, neukaledonischer Häuptling

 

 

Am 1. September des Jahres 1878 fiel ich im Kampf gegen die weißen Käsefresser. Sie schlugen mir den Kopf vom Leib, legte ihn in Formalin ein, zeigte ihn triumphierend in Noumea herum und entführten ihn schließlich ins Pariser Museum für Monstrositäten.

 

Eine Kommunardin, Louise Michel, die Jahre zuvor ihrerseits in Paris den Aufstand geprobt hatte und in meine Heimat, nach Neukaledonien, verbannt worden war, beschrieb in ihren Memoiren ebenso kenntnisreich wie nachfühlend die Umstände meines Todes: „Ataï wurde von einem Verräter erschlagen. Mögen die Verräter überall verdammt sein! Nach dem kanakischen Gesetzt kann ein Häuptling nur durch einen anderen Häuptling oder im Auftrag erschlagen werden. Nondo, ein von Weißen gekaufter Häuptling gab also Segou seine Vollmacht, indem er ihm die Waffen übergab, mit denen Ataï erschlagen werden sollte. Mit einigen der Seinen kehrte Ataï zu seinem Lager zurück und war zwischen den Hütten und Amboa angelangt, als Segou aus der Reihe der Weißen hervortrat und auf den mächtigen Häuptling zeigte, der an seinen schneeweißen Haaren erkennbar war. Er trug seine Schleuder um den Kopf gewickelt, in der rechten Hand einen Gendarmensäbel, in der Linken ein Beil, seine drei Söhne und der Barde Andia, der eine Lanze wie einen Speer benutzte, standen um ihn herum. Ataï wandte sich den Reihen der Weißen zu, und da sah er Segou. „Ach“, sagte er, „da bist du!“ Der Verräter schwankte einen Moment unter dem Blick des Häuptlings, aber er will zu Ende kommen und wirft eine Lanze, die ihm den rechten Arm durchbohrt. Dann hebt Ataï das Beil, das er in der linken Hand hielt; seine Söhne fallen, einer ist tot, die anderen sind verwundet. Andia stürzt hervor und schreit: „Tango! Tango!“ - „Verfluchter! Verfluchter!“ – und fällt, zu Tode getroffen. So wie man einen Baum fällt, erschlägt Segou Ataï mit dem Beil, dieser hebt die Hände zu seinem halb abgeschlagenen Kopf, und erst nach mehrmaligen Zuschlägen ist Ataï tot. Von Berg zu Berg hörte man dann den Todesschrei der Kanak wie ein Echo… Der Kopf Ataïs wurde nach Paris geschickt.“

 

Im Jahre 1882 wurde mein Schädel von Théophile Chudzinski untersucht und der Bericht über diese Peinlichkeit in der „Revue d’anthropologie de Paris“ veröffentlicht. Er wurde beschriftet mit „Ataï, Häuptling der aufständischen Neu-Kaledonier“ und dann mehr und mehr vergessen. Jedoch nicht in Neukaledonien!

 

Nie hatten meine kanakischen Brüder unseren Freiheitskampf aufgegeben, und so nannten sich  in den 1960er Jahren Widerständler sogar „Gruppe 1878“. 1983 baten die Leute aus Thio-Canala, woher Segou stammte, meinen Clan um Vergebung. Im Jahr darauf brach dann erneut unser Aufstand gegen die Käsefresser, die uns ja gern und immer wieder als Kannibalen, Menschenfresser diffamierten, los. Nach vier Jahren mussten wir zwar erneut die Waffen strecken, aber es gab eine Vereinbarung, die „Matignon-Verträge“, in denen auch die Rückgabe meines Schädels festgeschrieben wurde.

 

Nun allerdings schien der auf Museums-Dachböden ewig unauffindbar. Der Schriftsteller Didier Daeninckx schrieb jedoch im Jahre 2002 einen Roman über mich und brachte so eine Suche in Gang, der 2011 tatsächlich Erfolg beschieden war.

 

Am 28. August 2014 schließlich übergab George Pau-Langevin, seines Zeichens französischer Minister für Überseegebiete, meinen Schädel in einer Meditations-Zeremonie im Pariser Naturkundemuseum an meinen Nachfahren Bergé Kawa, seines Zeichens Großchef aus dem Bezirk La Foa.

 

Das fand weltweit Beachtung, nicht zuletzt wohl, da Museen in allen einstigen Kolonialstaaten voller Schädel, Knochen, Skelette von einst Kolonisierten waren. In der deutschen Zeitung „Die Welt“ wurde berichtet: „Er war der Held eines der aussichtslosen Aufstände, mit denen die Kanaken, die Ureinwohner von Neukaledonien, gegen ihre französischen Kolonialherren revoltierten. Ataï, der 1833 geborene Chef des Kawa-Clans, erhob sich 1878 gegen die Inbesitznahme seiner Ländereien auf der südpazifischen Inselgruppe durch französische Siedler und aus Frankreich deportierter Zuchthäusler – und bezahlte das wie rund 1200 Kanaken mit seinem Leben. Der Kopfgeldjäger eines rivalisierenden Clans brachte den Franzosen das Haupt des Aufständischen. Lange galt der Kopf Ataïs als verschollen. Bis er in einem Museum entdeckt wurde. Am 28. August wurde er in einem Sarg seinen Nachfahren zurückgegeben, ebenso wie der Kopf von Ataïs Kampfgefährten Andia.“

 

Am 2. September 2014, also genau 136 Jahre und 1 Tag nach seinem Tode, kam sein Schädel, und der Schädel Andias, genannt ‚Le Meche’, der Docht“ (sic!), der ebenfalls in Frankreich entehrt worden war, wieder in der Heimat an. Ein Jahr lang trauerten unsere Stammesbrüder nun um uns, bevor wir unsere wohlverdiente Ruhe fanden.

 

Wie hatte doch mein Freund Andia gesungen:

 

Die Geister blasen den Sturm, die Geister der Väter;

 

sie warten auf die Tapferen; ob Freunde oder Feinde,

 

die Tapferen sind willkommen jenseits des Lebens…

 

 

  

 

Bleda

 

* um 400, † um 445, Hunnen-Herrscher

 

Bleda war der ältere Bruder Attilas. Nach dem Tod ihres Vaters Mundzuk wurde das Hunnenreich unter den beiden Brüdern aufgeteilt. Dann ließ Attila jedoch seinen Bruder ermorden, stieg zum Alleinherrscher auf und verheerte alsbald nicht mehr nur oströmische Gebiete, sondern fiel auch in Westeuropa bis nach Gallien und Rom ein.

 

Der römische Historiograph Ammianus Marchellinus beschrieb die Hunnen so: „Niemand bei ihnen kann auf die Frage, woher sie stammen, eine Antwort geben, denn irgendwo wurde er gezeugt, weit fort davon geboren und in noch größerer Entfernung erzogen. Im Falle eines Waffenstillstands treulos, sind sie bei jedem Hauch einer neu sich zeigenden Hoffnung ständig leicht erregbar und geben sich ganz ihrer triebhaften Raserei hin. Wie Tiere, die keinen Verstand haben, kennen sie keinen Begriff von Ehre und Ehrlosigkeit, führen zweideutige und dunkle Reden und unterliegen keinem Einfluss von Ehrerbietung vor einer Religion oder auch nur einem Aberglauben. Doch brennen sie von unmäßiger Begierde nach Gold. So wankelmütig sind sie, und ihr Zorn ist so leicht erregbar, dass sie sich oft an ein und demselben Tag ohne jegliche Ursache von ihren Bundesgenossen trennen und sich ebenso schnell wieder versöhnen, ohne dass jemand sie besänftigt.“

 

Im Nibelungenlied taucht Bleda als Blödelin“ auf, in Ungarn als „Buda“ im Namen der späteren Landeshauptstadt.

 

 

 

 

Brun von Querfurt

 

* um 974 in Querfurt, † 14.2. oder 9.3.1009 im Grenzgebiet Preußen-Russland- Litauen, deutscher Missionar

  

Querni lag auf einer Decke im Querfurter Freibad und las:

 

Einst herrschte auf der Burg Querfurt Graf Gebhard I. Als seine Frau schwanger war, musste er als Ritter für längere Zeit von zu Hause fort. So wurde er während seiner Abwesenheit Vater – Vater von Neunlingen! Seine Frau befiel nach dieser Neunlingsgeburt jedoch die pure Angst, hatte der Graf doch des Öfteren geäußert, dass es schon bei Zwillings- oder Drillingsgeburten nicht mit rechten Dingen zugehen könne. So verfiel die Gräfin in ihrer Verzweiflung darauf, nur den kräftigsten der neun Jungen, den sie auf den Namen Burckhart taufen ließ, zu behalten. Die anderen acht Jungen ließ sie von einer Magd in einem Kessel versteckt heimlich davontragen, um sie im Weller-Bach unterhalb der Burg zu ertränken. Auf dem Wege dorthin begegnete der Magd jedoch der Bruder Gebhard I., der Heilige Brun. Auf seine Frage, was im Kessel so herzerweichend wimmere, antwortete sie, es seien junge Hunde, die sie ersäufen solle. Der Heilige Brun ließ sich aber nicht beirren und verlangte zu sehen, was sie wegschleppte. Nun gestand die Magd, was geschehen war, woraufhin der Heilige Brun die acht Jungen sofort im nächsten Brunnen taufte. Alle acht erhielten nach ihm den Namen Bruno. Schließlich brachte der Heilige Brun alle Jungen einzeln bei ihm wohlbekannten Querfurter Familien unter, mit dem Gebot allerdings, über deren Herkunft striktes Stillschweigen zu wahren. So gediehen denn auch diese acht Kinder prächtig. Und als der Heilige Brun seinem Bruder Gebhard I. einige Jahre später die ganze Geschichte eröffnete, konnte der Graf es kaum erwarten, alle seine Söhne zu sehen, und er richtete vor Freude ein großes Fest aus.

 

Tief war Querni in diese alte Zeit versunken, da sprach ihn ein Herr an: „Entschuldige, mein Junge, aber ich war lange Zeit nicht mehr hier und weiß nicht, wo ich meine Brüder suchen soll. Könntest du mir behilflich sein? Ich heiße Burckhart Neunling!“

 

„Wie viele Brüder haben sie denn?“

 

„Acht natürlich!“, sagte Herr Neunling.

 

„Acht?“ wiederholte Querni ungläubig, „aber das ist ja wie…“ – „Ja, wie in der Sage“, unterbrach ihn Herr Neunling. „Du weißt doch, Sagenfiguren sind unsterblich – das heißt, so lange ihre Geschichten noch gelesen werden!“ „Das kann ich nicht glauben“, flüsterte Querni.

 

„Komm, lass uns keine Zeit verschenken!“ drängte Herr Neunling. Querni zweifelte zwar noch immer an dem, was ihm da widerfuhr, aber er stieg mit Herrn Neunling zu Burg hinauf. Durch die dicken Mauern des Westtores gelangten sie ins Innere. Mit seinen Eltern war Querni schon mehrmals hier gewesen, dennoch beeindruckten ihn all diese uralten Gemäuer stets aufs Neue. Er blieb stehen und blickte zum Rundturm, den Dicken Heinrich, auf.

 

„Glaubst du, einen meiner Brüder darin zu finden?“ fragte Herr Neunling. Querni zuckte die Schultern „Nein, eigentlich nicht, ist ja alles vermauert. Er lief auf den viereckigen Bergfried, den Marterturm, zu. Doch auch der war nicht zugänglich. „Wir haben uns nie was zuschulden kommen lassen, niemals!“ rief Herr Neunling, „Einer meiner Brüder kann unmöglich im Marterturm sitzen, nein!“ Doch Querni wies auf einer dritten Burgturm. „Und hier vielleicht, das ist immerhin der Paradiesturm, hat vielleicht was mit dem Heiligen Brun zu tun, ja, hier kann man rein. Vielleicht haben wir Glück?“

 

Auf dem Wege zu diesem Aussichtsturm gerieten sie in eine Gruppe von Touristen, denen ein Fremdführer Geschichten über die Burg Querfurt erzählte, die Neunlings-Sage soeben. Querni blickte immer wieder vom Fremdenführer zu Herrn Neunling und flüsterte dem dann zu: „Ob das einer ihrer Brüder ist? Er sieht ihnen ähnlich. Und was der alles so weiß über die Burg!“

 

„Meinst du?“ flüsterte Herr Neunling zurück, „Übrigens, du kannst Burckhart zu mir sagen!“

 

Der Fremdenführer führte die Touristen in die Burgkirche, erklärte deren romanischen Baustil. In einer Seitenkapelle blieb er stehen. „Hier sehen sie das Grabmal Gebhardts des Vierzehnten von Querfurt. Es gilt wegen der lebensnahen Darstellung der Figur des Grafen als eine der künstlerischen Meisterleistungen seiner Zeit.“

 

„Gebhardt der Vierzehnte“, wunderte sich Burckhart Neunling, „das wäre ja dann der Uuurururururururururururenkel meines Vaters!“ „Ach ja?“ staunte Querni.

 

„Ich bitte um Ruhe!“ rief der Fremdenführer. „Könnte ich bitte mal ihre Eintrittskarten sehen?“ „Ich, äh, wir“, stotterte Burckhart Neunling. „Dachte ich’s mir doch!, sagte der Fremdführer mit lauter Stimme, „sie haben sich in die Gruppe eingeschlichen, stimmt’s!“ „Wir suchen den Bruder von Herrn Neunling“, sagte Querni, „ich meine, von Burckhart, verstehen sie! Heißen sie eventuell Bruno?

 

„Entweder sie zahlen sofort nach, oder…“, drohte der Fremdenführer. „Komm“, sagte Burckhart zu Querni, „versuchen wir’s woanders. Aber die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend!

 

Gegenüber der Burgkirche entdeckten sie den Eingang zum Burgmuseum. Sie bezahlten ordentlich und schlenderten durch die Ausstellungsräume. Querni beobachte einen Mann im weißen Kittel, der in einer Vitrine einen buntbemalten Porzellanesel nach hier, eine ehrwürdige Chronik nach dort rückte. „Sieht aus wie das Schlossgespenst“, raunte Querni Burckhardt zu. „Frag ihn doch, ob er’s ist!“

 

Schon hallte jedoch eine Frauenstimme durch die Räume: „Bruno!“ Der Weißbekittelte richtete sich auf, lauschte dem verhallenden Ruf nach und ging davon. Querni und Burckhart blickten sich an. Sollte dieser Bruno ein Neunling sein?

 

Die beiden liefen ihm nach. Doch war er nirgendwo zu entdecken. Die Frau an der Kasse erklärte, der Herr Bruno wäre ins Burg-Café gegangen. Aber auch hier fanden Querni und Burckhart ihn nicht. „Gibt es hier auch unterirdische Gänge?“ fragte Querni. „Na, klar!“ rief Burckhart und schlug mit der flachen Hand ans Gemäuer. Es gab einen hohlen Klang. Er lief in den Burghof, rannte zu den Bastionen und blickte in den Burggraben hinunter. Sein mutmaßlicher Bruder schien sich jedoch in Luft aufgelöst zu haben.

 

„Vielleicht hattest du recht“, sagte Burckhart zu Querni, „es muss ein Gespenst gewesen sein.“ „Komm, wir fragen noch mal die Kassenfrau!“ ermunterte ihn Querni. Die Kassenfrau erklärte ihnen nun, dass der Herr Bruno hier Restaurator wäre und somit verantwortlich für die Pflege angejahrter Museumsstücke sei. Und sie versprach, dem Herrn Bruno auszurichten, dass er im Freibad unterhalb der Burg erwartet werde.

 

„Die Pflege angejahrter Stücke“, murmelte Burckhart auf dem Wege in die Stadt, „das steht einer Sagenfigur doch gut zu Gesicht, nicht wahr?“ „Ja, wir haben den ersten Bruder aufgespürt“, sagte Querni, „und nun zur Stadtmauer und zum Schießgraben!“

 

Am Entenplan wurden sie von einer dicken Frau angehalten. „Stehenbleiben!“ rief sie, „Wisst ihr nicht, wer in dem Dingsda, in dem Haus hier mit der Dingsda, mit der Gedenktafel meine ich, gewohnt hat? Warum lauft ihr so achtlos daran vorbei?“

 

„Bruno der Zweite?“ vermutete Querni.

 

„Quatsch“, sagte die Frau, „Hier lebte und starb einer der größten Söhnen von Dingsda, ich meine: von Querfurt!“ „Johannes Schlaf“, las Burckhart, „Achtzehnhundertzweiundsechzig bis Neunzehnhunderteinundvierzig.“ „Jawohl“, bestätigte die Frau, „der Dichter Johannes Schlaf!“

 

„Gedichtet habe ich auch schon!“ behauptete Querni: „Quergestreifte Quallen quietschen Querfurter Quodlibets…“ „Quatsch!“ ereiferte sich die Frau. „Herr Schlaf war ein richtiger Dingsda, ein richtiger Dichter, versteht ihr! Der schrieb Dramen und Romane, Novellen und Gedichte, Erzählungen und Märchen und noch viel viel mehr!“ „Ist ja gut“, sagte Burckhart, „Wir haben tatsächlich noch nichts gelesen von Herrn Schlaf. Wenn sie uns vielleicht etwas empfehlen könnten?“ „Empfehlen?“ rief die Frau, „Na klar – Geschichten aus Dingsda!“

 

„Und wie heißt dieses Buch wirklich?“ fragte Querni, „ich meine…“ „Es heißt Geschichten aus Dingsda! Das muss man doch wissen als Querfurter. Querfurt ist Dingsda. Immer wenn Johannes Schlaf Dingsda schreibt, meint er Querfurt, ist doch ganz einfach!“

 

„Sie heißen bestimmt nicht Müller“, vermutete Burckhart, „sondern Dingsda?“ „Woher wissen sie das?“ staunte die Frau, „Sind wir uns schon einmal begegnet?“ „Nicht das ich wüsste“, sagte Burckhardt und stellte sich vor: „Gestatten: Neunling, Burckhart Neunling!“ „Sehr angenehm“, erwiderte Frau Dingsda und betrachte Burckhart eingehend. „Seltsam, sie sehen meinem Gatten, wenn ich’s recht betrachte, ähnlich, sehr ähnlich sogar!“ „Wie heißt denn ihr werter Gatte?“ „Herr Dingsda natürlich“, sagte Frau Dingsda. „Nein, ich meine mit Vornamen!“ bohrte Burckhart weiter. „Bruno!“

 

Burckhart zwinkerte Querni zu. „das ist ja interessant, hochinteressant!“ Querni freute sich mit ihm und dichtete: „Quirliger Quark qualifiziert quasselnde Quizmaster.“

 

Frau Dingsda strich ihm anerkennend über den Kopf. „Fantasie hast du, Junge. Herr Schlaf hätte seine Freude an dir!“ „Wenn sie so freundlich wären“, sagte Burckhart, „und ihrem Gatten übermitteln würden, dass wir ihn einladen.“ „Wozu?“ wollte Frau Dingsda wissen. „Und wohin?“ „Ins Freibad“, sagte Querni.“ Und Burckhart ergänze: „Es geht um Literatur in Dingsda.“ „Na, da wird er sicher kommen“, sagte Frau Dingsda und winkte den beiden freundlich hinterdrein.

 

Sie erreichten nun den Schießgraben. Schon näherte sich der Fremdenführer mit der Touristengruppe. Fotoapparate wurden gezückt, Videokameras. Besonders ablichtenswert fanden die Touristen offenbar einen auf die alte Stadtmauer gesprayten Spruch: „Bruno ist doof!“ Dem Fremdenführer schien das sichtlich peinlich. „Narrenhände beschmieren Stadtmauer und Wände“, rief er verärgert. „Recht hat er“, fügte Burckhart hinzu. „Über tausend Jahre haben die Bürger der Stadt hinter diesen Mauern Schutz gefunden. Jetzt braucht sie keiner mehr, denken wahrscheinlich einige Leute – fall sie denken. Warum haben manche Menschen keine Ehrfurcht vor ihrer Geschichte?“

 

Querni konnte darauf keine Antwort geben, doch auch er schämte sich wohl für die Narrenhände. Da bemerkte Herr Burckhart das Namensschild an der Jacke des Fremdenführers.

 

„Oh, ich verstehe“, sagte er, „Sie heißen auch Bruno. Aber sie müssen sich das nicht zu sehr zu Herzen nehmen!“ „Ganz im Gegenteil“, mischte sich Querni ein, „Bruno ist einer der schönsten Vornamen in Querfurt!“ Der Fremdenführer lächelte geschmeichelt.

 

„Wie meint er das?“ fragte ein Tourist.

 

„Erinnern sie sich an die Sage von den Neunlingen“, riet Burckhart, und dem Fremdenführer flüsterte er zu: „Heute Nachmittag im Freibad – großes Neunlingstreffen! Also, bis dann!“

 

Verblüfft blickte der Fremdenführer den in Richtung Stadtfriedhof gehenden beiden nach. An der Friedhofskapelle trafen Burckhart und Querni wieder auf Frau Dingsda.

 

Sie harkte den Boden um eine weitausladende, knorrige Linde. „Kommt, fasst mit an!“ rief sie. „Die Schlaf-Linde braucht Pflege!“ „Schlaf-Linde?“ wunderte sich Burckhart, „haben sie kein Schlafzimmer?“ Wollt ihr mich veralbern?“ sagte Frau Dingsda, „Schon als Johannes Schlaf Schüler am Merseburger Domgymnasium war, besang er eine Querfurter Linde, versteht ihr, das ist ein geschichtsträchtiger Baum, ein Stolz für die Stadt!“

 

Um sie zu besänftigen ließ sich Querni einen weiteren Stabreim einfallen: „Querfurter Querulanten quirlen quietschvergnügt Quecksilber.“

 

Burckhart fragte, ob sie ihren Gatten schon die Einladung übermittel habe. „Nein“, brummelte Frau Dingsda und harkte weiter, „er arbeitet noch im Mischfutterwerk.“ Querni stand vor einer Steinkugel. Sie ruhte auf einem quadratischen Sockel, in den ein Bronzebildnis Johannes Schlafs eingelassen war. „Dieses Denkmal setzte die Stadt dem Dichter zu seinem sechzigsten Geburtstag, erklärte Frau Dingsda. „Auf dem Stadtgottesacker, der übrigens einer der ältesten Friedhöfe Deutschlands ist, wurde er beerdigt.“

 

Querni beobachte drei Gärtner, die soeben aus der Friedhofskapelle traten. Als sie nahe genug heran waren, fragte er: „Entschuldigung, heißt einer von ihnen vielleicht Bruno?“ „Wie kommst du denn darauf, Junge? Woher kennst du mich denn?“ Bevor Querni einem Glatzkopf jedoch die Frage erklären konnte, zog Burckhart den Mann zur Seite und redete leise auf ihn ein.

 

„Alles klar“, sagte er schließlich zu Querni, „er wollte nach der Arbeit eh ins Bad.“ „Prima, die Hälfte deiner Brüder haben wir gefunden!“ freute sich Querni.

 

Auf dem trapezförmigen Markt war buntes Treiben im Gange. Händler boten lautstark Gemüse, Fisch, Stoffe, Keramik, Spielzeug und Süßwaren an. Im Gedränge entdeckten Burckhart und Querni wieder Herrn Bruno, den Fremdenführer, mit seinen Touristen. Am Bratwurststand langten die kräftig zu – „echte Thüringer!“. „Eine Bratwurst könnte ich auch vertragen“, sagte Querni. „Einverstanden“, sagte Burckhart. Und nachdem Querni seine Bratwurst verzehrt hatte, meinte er: „Ein Eis würde mir jetzt auch noch schmecken!“

 

Der Frermdenführer Bruno widmete sich gerade dem Rathaus: „Zuerst gab es hier wohl sechs Ratsherren und dazu einen Schultheiß, einen Bürgermeister also.“ „Könnten uns die Ratsherren vielleicht einen Rat geben?“ fragte Burckhart dazwischen, „die haben womöglich ein Bruno-Register angelegt, ein Verzeichnis aller Querfurter Brunos?“ Der Fremdenführer Bruno erwiderte: „Wir können ja nachfragen. Das Rathaus steht für jeden Bürger offen.“

 

Die Touristen und Burckhardt verschwanden mit Bruno im Rathaus. Querni aber zog es vor, sich bei einem Eisverkäufer anzustellen. Und als die Schar wieder auf dem Markt erschien, hockte Querni still auf einer Bank. „Schade“, berichtet Burckhart, „es gibt zwar einen auskunftsfreudigen Bürgermeister, aber leider kein Bruno-Register.“

 

„Mir ist nicht gut“, stöhnte Querni und hielt sich den Bauch. „Das hat man davon, wenn man nicht bei der Sache bleibt und nur den Genuss im Kopf hat!“ sagte Burckhart. „Ja“, hauchte Querni und warf den Rest seiner Rieseneistüte in einen Papierkorb. Burckhart entdeckte in einem Barockhaus am Obermarkt eine Apotheke. Kurzentschlossen nahm er Querni huckepack und trug ihn dorthin.

 

„Bruno, ein Notfall“! rief die Apothekerin. Sofort erschien der Apotheker Bruno. Quernis Bauchschmerzen schienen sofort zu entschwinden, als er den Namen Bruno hörte. „Was ist denn, mein Junge?“ „Danke, es geht schon wieder“, sagte Querni und versuchte zu lächeln, „Und wenn sie mir versprechen, heute Nachmittag ins Freibad zu kommen, wäre das die allerbeste Medizin!“ Der Apotheker fühlte sich offenbar veralbert, doch nachdem ihm Burckhart eindringlich ins Ohr geflüstert hatte, begann auch er zu lächeln. Er gab Querni ein paar Dragees und empfahl, sich eine Weile auf den Kirchplatz zu setzen, dort sei es schattig und ruhig. So gelangten sie in die Stadtkirche. Die Augen der beiden Brunosucher mussten sich nach dem grellen Tageslicht erst an die Dämmerung gewöhnen. Sie entdeckten einen prächtigen Hochaltar, eine sehenswerte Sandsteinkanzel und gediegene Emporen in den Seitenschiffen. Als Querni einen Mann bemerkte, der vor dem Altar eine Kerze entzündete, lief er augenblicklich zu ihm hin und fragte: „Sie heißen bestimmt Bruno, oder?“ „Ja“, antwortete der Mann verdutzt und verbrannte sich am Streichholz fast die Finger. Querni winkte Burckhart heran. „Bruno Nummer sechs!“ verkündete er stolz. Schon flüsterte Burckhart auch auf diesen Bruno wieder eindringlich ein, bis sich seine Miene erhellte. Und schon versprach auch Bruno Nummer sechs, ins Freibad zu kommen. „Wunderbar!“ freuten sich die beiden.

 

Querni und Burckhart stiefelten nun zum Braunsbrunnen, laut einer Tafel benannt nach dem Heiligen Brun. Und dort, nahe des Flüsschens Querne, begegnete ihnen der siebente Bruno, ja, unverkennbar. Er säuberte die Brunnenfiguren. Rasch kamen sie ins Gespräch, und als Bruno Nummer sieben vom Treff im Freibad hörte, zeigte er sich hocherfreut. „Keine Frage“, sagte er, „natürlich bin ich dabei. Doch eigentlich müssten wir uns hier versammeln. Oder kennt ihr die Brunnenfiguren nicht?“

 

„Nein“ gestand Querni. Burckhart überlegte und sagte dann: „Dieser Mann da im langen Gewand könnte Onkel Brun sein, oder?“ „Richtig“ sagte der Brunnenputzer Bruno. „Und der kleine Junge daneben soll einer der Neunlinge sein, die der Heilige Brun hier taufte!“ „Schau an“, sagte Burckhart erstaunt, „hier also soll das gewesen sein!“

 

„Ja“, bestätigte der Brunnenputzer Bruno, „es gibt sogar eine Fassung der Neunlings-Sage, wonach der Heilige Brun hier sein Schwert in den Boden gerammt haben soll, woraufhin diese Quelle erst zu sprudeln begann.“

 

„Eine Quelle mitten in der Stadt“, sagte Burckhart, „doch diese Eselfigur dort – was bedeutet die?“ „Das weiß ich!“ rief Querni und gab schon die Wiesenmarkt-Sage zum besten: An der Stelle, wo der Esel, auf den die Magd den Korb mit den acht Neunlingen geschnallt hatte, stockte, wurde alsbald eine Kapelle errichtet. Und da sich am Gedenktag für den Heiligen Brun, immer am Mittwoch nach Ostern, hier alljährlich mehr und mehr Menschen einfanden, bauten auf der so genannten Eselswiese, rund um die Kapelle also, dann zahlreiche Händler ihre Stände auf – so entstand der Querfurter Wiesenmarkt. Und für Kinder gab es hier sogar etwas ganz Besonderes: kleine Wiesenesel aus Ton, eines der ältesten Spielzeuge weit und breit, Deutschlands wohl sogar. So hatte ein störrischer, nicht fortzubewegender Esel letztlich allerhand bewegt.

 

Der Brunnenputzer Bruno nickte beifällig. „Geschichtsforscher sagen zwar, dass der Name Eselswiese auf das wüst gewordene Dorf Esenstedt und der Wiesenmarkt auf einen in der Esenstedter Kapelle einst stattgefundenen regen Ablasshandel zurückzuführen sei, aber die Sage gefällt mir bessere!“ „Ist doch klar“, sagte Burckhart, „schließlich sind wir Sagenfiguren.“

 

Querni sagte: „Mit fällt sogar noch ein Spruch ein!“ „Schon wieder so ’n Stabreim?“ murrte Burckhart. „Nein“, sagte Querni, „einer zum Wiesenmarkt:

 

Zu Dürrenberg wird Salz gekocht, / Zu Artern auch und Kösen; / Zu Hettstedt Kupfererz gepocht/ Und Silber aufgelesen. / Und an dem Rand des Quernebachs / Steht Querfurt’s Burg noch heut’gen Tags. / Berühmter Markt hat diese / Auf ihrer Eselswiese.“

 

„Wart ihr schon mal am Knoblauchmittwoch zum Brunnenfest?“ fragte der Brunnenputzer Bruno. „“Zum Brunnenfest?“ Querni kicherte. „Am Knoblauchmittwoch?“

 

„Ja“, erklärte der Brunnenputzer Bruno, „Am Mittwoch nach Pfingsten säubern die Pfingstburschen den Braunsbrunnen. Das müsst ihr mal erleben, da ist was los!“

 

„Schön“, sagte Burckhart“, „doch uns fehlt noch der achte Bruno, der letzte Neunling. Die Zeit drängt!“ Da stoppte auf der Straße ein Truck, hupte. Der Fahrer lehnte aus dem Fenster und rief: „Kennt ihr euch aus in Quiffte? Ich habe mich irgendwie verfahren hier.“ „Wo wollen sie denn hin?“ rief Querni zurück. „Ins Freibad!“ „Na, da sind sie doch genau richtig! Kommen sie! Sie heißen bestimmt Bruno!“ „Ja, aber woher weißt du…?“

 

Schon lag Querni wieder auf seiner Decke im Freibad. Er sah Bruno den Restaurator und Bruno den Fremdenführer, er sah Bruno den Friedhofsgärtner und Bruno den Apotheker, Bruno den Küster, Bruno den Brunnenputzer und Bruno den Trucker, und neben Frau Dingsda sah er einen Herrn, der zweifellos deren Ehemann Bruno war. Alle acht hatten eine Badehose an auf der stand: SCHWIMMCLUB BRUNO e.V.

 

„Schönen Dank, dass Du auf die Sachen aufgepasst hast!“ sagte jemand hinter Querni. Als er sich umdrehte stand da Burckhart auf dessen T-Shirt ein Namensschild prangte: Herr BURCKHART, Bademeister.

 

Querni rieb sich die Augen. Sollte er das alles nur geträumt haben? Am Kiosk stand die Kassenfrau aus dem Museum im Bikini und unter Sonnenschirmen lagen die Touristen und all die anderen Leute, denen er während der Neunlingssuche begegnet war.

 

„Ja, schönen Dank, Junge!“ riefen die acht Brunos im Chor. „So“, sagte Herr Burckhart, „und nun zur versprochenen Überraschung!“ Frau Dingsda, gekleidet in einen himmelblauen Badeanzug, bückte sich und zog einen tönernen Spielzeug-Wiesenesel aus einer der herumstehenden Taschen. „Wir vom Schwimmclub Bruno Eh Vau wollen dir als kleines Dankeschön unser Vereinsmaskottchen überreichen!“ „Hurra, hurra!“ riefen alle Brunos im Chor.

 

„Weißt du, wie so ein Wiesenesel funktioniert?“ fragte Frau Dingsda. „Na ja“, sagte Querni und lächelte unsicher. „Ganz einfach“, erklärte Herr Burckhart, „links und rechts des Eselschweifes sind Stutzen, in die musst du nacheinander hineinblasen!“ Querni nickte folgsam, legte sein Sagenbuch beiseite, nahm den Spielzeugesel und blies vorsichtig in die erste Öffnung. Ein heller Ton erklang. Die Brunos klatschten Beifall. Ermutigt blies Querni kräftigere in die zweite Öffnung und noch kräftiger dann in die nächste – doch, was war das? – Eine Rußwolke stob ihm entgegen und verschmierte sein Gesicht! Die Brunos lachten. „Na, nun weißt du, wie ein Wiesenesel funktioniert, nicht wahr!“

 

„Ein Glück, dass es genug Wasser im Freibad gibt!“ „Hopp, ab unter die Dusche und dann erst ins Becken!“ „Ja erst unter die Dusche! Wer bei so einer Hitze zuviel schmökert, kriegt leicht ’nen Sonnenstich!“

 

„Ich weiß nicht“, sagte Querni, „irgendwie kann ich das alles nicht glauben.“ Als er sich jedoch verstohlen ins Ohrläppchen kniff, schien er den aufsteigenden Schmerzt sehr wohl zu spüren. „Keine Sorge“, sagte Herr Burckhart, „du kannst im Wasser bleiben, so lange du willst. Die Brunos achten auf deine Sachen mindestens ebenso gut, wie du auf ihre geachtet hast! Stimmt’s, Vereinsbrüder?“ „Versprochen!“ riefen die Brunos. Frau Dingsda drückte Querni ein Stück Seife in die Hand und flüsterte: „Quiffter Querköppe quittieren quasiges Quieken.“

 

  

 

 

Matija Gubec

 

* 1538 als Ambroz Gubec in Vrhovac, † 15.2.1573 in Zagreb, kroatischer Nationalheld

  

Matija Gubec führte den Windischen Bauernaufstand an, der als wichtigstes sozialgeschichtliches Ereignis des Hrvatsko Zagorje, des kroatischen Hochlandes gilt.

 

Als Erkennungszeichen hatten sich die Aufständischen eine Hahnenfeder an den Hut gesteckt. Bei Donja Stubica siegten sie gegen die königlichen Truppen, bei Gurkfeld in der Unterkrain wurden sie vernichtend geschlagen.

 

Matia Gubec wurde gefangengenommen, in Zagreb auf dem Platz des Heiligen Marko mit glühenden Zangen gefoltert und durch das Aufsetzen einer glühenden Krone hingerichtet.

 

So ging er als Bauernkönig in die kroatische Geschichte ein und der Legende nach sitzt Matija Gubec mit seinen Mannen noch immer im Innern eines Berges an einem steinernen Tisch, an den reichlich Wein für alle ausgeschenkt wird. Langsam winde sich der Bart des Bauernkönigs um den Tisch, und nach der neunten Umwindung öffne sich der Berg und der große Held wird an der Spitze seines Heeres wieder erscheinen.

 

 

 

 

Hans Holbein d.J.

 

* wohl 1498 in Augsburg, † 29.11.1543 in London, deutscher Maler

  

Hans Holbeins Vater – Hans Holbein d. Ä. - war ein hochangesehener Maler, und auch sein Onkel Sigmund und sein Bruder Ambrosius malten. Er selbst zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Renaissance. Vor allem durch seine Porträts wurde er berühmt, nicht zuletzt das von Heinrich VIII.

 

Im Jahre 1536 wurde Hans Holbein d.J. Hofmaler des englischen Königs. Als sich ein Lord einmal über eine Beleidigung Holbeins bei Heinrich VIII: beschwerte, soll der geantwortet haben: „Wisset, daß ich aus sieben Bauern in einer Minute sieben Lords, wie ihr es seid machen kann, daß ich aber aus sieben Lords von Eurem Schlage nicht einen einzigen Holbein machen kann.“

 

Dann fiel Holbein aber in Ungnade. Auf Brautschau schickte Heinrich VIII. den Maler nach Dänemark und Kleve, um potentielle Kandidatinnen für seine vierte Ehe zu finden. Holbeins Porträt von Anna von Kleve gefiel ihm so gut, dass er sie umgehend heiratete. Da ihm die reale Anna dann jedoch weit weniger gefiel als die gemalte, durfte Hans Holbein d.J. nie wieder ein Mitglied der königlichen Familie porträtieren.

 

Wer weiß, ob es tatsächlich zu sechs Frauen gekommen wäre, die Heinrich VIII. zum Traualtar führte, hätte der englische Schwerenöter erkannt, dass sein Hofmaler, der bald darauf in London an der Pest starb, kein Realist war.

 

  

 

 

Chögyel Phagpa

 

* 1235, Drogön Chögyel Phagba Lodrö Gyeltshen, † 1280, Vizekönig von Tibet

 

Chögyel Phagba gehört zu den „Fünf Ehrwürdigen Meistern“ des tibetanischen Sakya-Buddhismus und gilt als bedeutendste politische Figur der Sakya-Schule.

 

Chögyel Phagba wirkte unter Herrschaft der Mongolen als tibetanischer Vizekönig, entwickelte die Phagspa-Schrift, die als einheitliche Schrift für die wichtigsten Sprachen im mongolischen Großreich konzipiert war, sich jedoch letztlich nicht durchsetzen konnte. Zudem verfasste er mehrere Abhandlungen über Astronomie und Kalenderrechnung. Seine Monatszählung findet bis heute in Tibet Anwendung.

 

Chögyel Phagba lebte lange Zeit am Hofe Kublai Khans in Peking und kehrte erst vier Jahre vor seinem Tod nach Tibet zurück.

 

 

 

 

Properz

 

* um 47 v. Chr. als Sextus Aurelius Propertius in Assisi, † vor 2 v. Chr., römischer Dichter

 

Properz zählt mit Cornelis Gallus, Tibull und Ovid als Dichter der römischen Liebeselegie. Schon mit seinem ersten Elegienbuch „Monobiblos“ bewies der junge Properz seine Experimentierfreude, erweiterte, aufbauend auf dem Epigramm herkömmliche Motive. Insgesamt veröffentlichte Properz vier Elegienbücher. In allen spielt eine Cynthia eine Rolle.

 

Im letzten Band erscheint die verstorbene Cynthia dem Dichter als Gespenst im Schlaf, beschimpft ihn wegen seiner wiederholten Untreue und unzureichender Totenwache, und verlangt, dass er alle Gedichte über sie verbrennt. In der folgenden Elegie ist sie dann aber wieder lebendig und überrascht Properz beim Versuch mit zwei Frauen Sex zu haben, der aber an seiner unzureichenden Erektion scheitert. Cynthia vertreibt die beiden Frauen, verprügelt Properz, versöhnt sich jedoch zu guter Letzt mit dem nunmehr wieder potenten Dichter.

 

Wow, große Dichtkunst eben!

 

  

 

 

Thomas Stamford Bingley Raffles

 

* 5.7.1781 in Port Morant, Jamaika, † 5.7.1826 in London, britischer Forscher und Staatsmann

  

Sir Thomas Raffles begründete das moderne Singapur. Jeanny und ich weilten zweimal in diesem fernöstlichen Stadtstaat:

 

 29. Januar 2009 

 Im Flieger nach Singapur – erste Station einer Reise, die unsere (gottseidank) noch nicht verblasste Neugier auf die Welt mal wieder ein bisschen befriedigen, eine Reise, die in Shanghai enden soll. Ich fliege mit dem Gefühl, ein halbwegs aufgeräumtes Büro zu verlassen, keine Alltagsprobleme mit mir rumzuschleppen, fühle bei aller Reiseaufgeregtheit so etwas wie eine innere Reiseruhe, hoffe offen für Neues, Anderes, Weiterbringendes sein zu können.

 

Erste interessante Selbstbeobachtung: Der Zubringerflieger hob in Leipzig ewig nicht ab, mehrmals brach das elektronische System zusammen, mussten die Bordcomputer (nach beruhigend wirken sollenden Durchsagen der Piloten) neu hochgefahren und die Triebwerke neu gestartet werden. Und wir stiegen nicht aus! (Obwohl Jeanny immer mal wieder nach meiner Hand tastete…) Auszusteigen hätte ja bedeutet, dieses so mühselig wie voller Vorfreude zusammengebastelte Reiseabenteuer nicht antreten, all die Buchungsbestätigungen, Tickets, Voucher für all die geplanten Etappen wegschmeißen zu können. Denn wenn wir in München den Flug nach Singapur verpasst hätten (der uns schon mal umgebucht wurde, so dass wir wissen: es gibt in dem uns zur Verfügung stehenden Zeitfenster keinen anderen), würden wir dort unweigerlich das Schiff verpassen, mit dem es weitergehen soll. Also bleibt man sitzen… Schauen wir besser nicht zurück, nehmen dies nicht als Omen, schauen wir voraus: Singapur, „Löwenstadt“ (dem Namen nach) und zugleich einer der vier asiatischen „Tigerstaaten“ – wir kommen!

  

30. Januar 2009

 

Morgens halb neun landen wir, und nach dem grauen deutschen Winter wirkt die üppige Vegetation (immerhin sind wir plötzlich knapp oberhalb des Äquators) belebend. Gewöhnungsbedürftig allerdings die extreme Luftfeuchtigkeit bei etwa 30° C…

 

Sofort fällt auf: nirgendwo liegt Müll herum, kein Papier, keine Plastiktüten flattern, alles wirkt wie geleckt, dazu hochmodern. Wie stand’s doch in meinem Reiseführer: Singapur sei Südostasien für Einsteiger. Nun gut.

 

Wer jemals in exotischen Ländern war spürt augenblicklich: hier herrscht ein straffes, herrscht ein strenges Regime, eines, das auf der einen Seite offenkundig Wohlstand bringt, andererseits drastisch Strafen androht, das Gemeinwesen also zu ordnen versucht. Papier auf den Fußweg werfen kann hier schon mal 1000 Singapur-Dollar (etwa 500 Euro) kosten. Die Prügelstrafe wird nicht eben selten angewandt, und bezogen auf seine Einwohnerzahl (4 Millionen) gibt es hier die meisten Hinrichtungen weltweit. Nicht zu vergessen, in Singapur kann sogar bestraft werden, wer beim Lügen erwischt wird!

 

In einem Staat, der vom Handel, vom Transit, vom Tourismus profitiert, kann es eigentlich nicht verwundern, dass Service groß geschrieben wird. Dennoch staune ich, wie selbstverständlich wir am Flughafen Changi erwartet und ins Hotel chauffiert werden, und dort nach nur kurzem Warten in unser Zimmer können – kurz nach 10.00 Uhr! Undenkbar wohl in Deutschland, da hätten wir in einer muffig-schwülen Lobby bis 14.00 Uhr vor uns hingeschwitzt…

 

Während ich mich trotz Nachtflugs gut fühle, nicht mal Jetleg spüre, geht es Jeanny auf einmal ziemlich schlecht. Das Klima? Die Übermüdung? Eine aufkeimende Grippe? Oder alles zusammen? Auf keinen Fall ist ihr nach Stadtrundgang zumute. So ziehe ich erst einmal allein los: Orchard Road, dann mit der U-Bahn zum Raffles Place, und schließlich sogar bis Chinatown. Hier ist noch fürs chinesische Neujahrsfest geschmückt (das letztes Wochenende gefeiert wurde). Rote Lampions allenthalben und gewöhnungsbedürftig kitschige Plastikkühe – klar, Jahr des Rindes. (Im chinesischen Kalender steht das Rind für Beharrlichkeit und Geduld. Nehme ich also das als Omen.)

 

Mitten in Chinatown entdecke ich einen Hindu-Tempel und eine stattliche Moschee. Ja, das friedliche Zusammenleben von Chinesen, Indern und Malaien soll hier mit zum Wohlstand beigetragen haben. Das kann jedoch nicht immer so gewesen sein, da in den 1960er Jahren blutige Unruhen zwischen Chinesen und Nicht-Chinesen dazu führten, dass Singapur aus der Malaiischen Förderation ausgeschlossen wurde. Und dabei war diese Förderation auch erst wenige Jahre keine britische Kronkolonie mehr, stand noch auf wackligen Fundamenten. Wie sehr erst der winzige Stadtstaat Singapur! Heilsamer Schock augenscheinlich - angesichts drohendem Untergangs.

 

Schwerer Tropenregen am Nachmittag. Gut, dass ich da wieder im Hotel bin, um nach dem Rechten zu sehen. Jeanny geht es etwas besser. Aber um morgen beim Einschiffen fit zu sein, bleibt sie lieber im Bett. Ich ziehe nochmals solo los. Nach dem Regen herrscht hier die reinste Waschküche. Dankbar nutze ich wieder die U-Bahn, die absolut sauber, zuverlässig, preiswert und bis in die Bahnhöfe hinein angenehm klimatisiert ist, schlendere dann die Promenade am Singapur-River entlang. Äußerst reizvolle Kontraste zwischen moderner westlicher Hochhaus-, westlicher Kolonialbauten- und fernöstlicher Ufergaststättenarchitektur.

 

Im Esplanade-Park entdecke ich eine lange Imbissbuden-Gasse, hochfrequentiert, also wage ich’s auch, suche natürlich das Exotischste raus, was Malaiisches: Nasi Lemak, Kokosreis mit Chili-Sauce, krossem Huhn, Dörrfisch, Spiegelei und Bohnen auf Bananenblatt. Köstlich (doch hoffentlich muss ich Jeanny nicht bald Gesellschaft leisten…).

 

Und dann gerate ich sogar noch in die Chingoy-Parade, buntes Festtagstreiben: Trachtengruppen aller Völker der Region wohl (sogar Singapurer Dudelsackpfeifer), Umzüge, Konzerte, Puppenspiele und Menschen über Menschen – und stets freundlich, stets aufmerksam. Was für eine quirlige, was für eine beeindruckende Stadt!

  

31. Januar 2009

 

Nach dem Frühstück fühlt sich Jeanny stark genug für einen Stadtbummel. Per U-Bahn fahren wir bis zur City Hall, gelangen durch endlos lange und unglaublich gepflegte Untergrundgänge bis zum Esplanade Theatre, kein Dreck, keine Graffiti – ja, sogar echte Kunst hängt hier an den Tunnelwänden, darunter der Hinweis: bitte die Bilder nicht berühren. Es wäre mal den Versuch wert, was aus solcher Ausstellung in der Berliner U-Bahn würde!

 

Wir schlendern zum Merlion-Park, wo das steingewordene Singapurer Wappentier in hohem Bogen Wasser speit. Merlion, halb Löwe, halb Fisch. Ein Prinz soll der Sage nach dieses Wesen hier einst im Dschungel gesehen und der alten Ansiedlung, die bis dahin Tamassek, Stadt am Meer, hieß, den heutigen Namen gegeben haben. Schöne Umkehrung des deutschen Nicht-Fisch-nicht-Fleisch… In Singapur wirkt eben manches anders.

 

Auch beeindruckt mich wiederum, wie freundlich, diszipliniert und gutsituiert die Singapurer sind. Sollte das hier Campanellas Sonnenstaat sein? Hier scheint jeder verstanden zu haben, dass eigene Freiheit auch die Freiheit des anderen ist. Respekt.

  

28. Februar 2018

 

Singapur. Manches erkennen wir sogleich wieder hier, anderes gab es bei unserem ersten Besuch vor neune Jahren noch nicht. So die Sehenswürdigkeiten, die wir nun vor allem besichtigen, die Super Trees, der Flower Dome – das größte Gewächshaus der Welt immerhin - und der Cloud Forest der Gardens by the bay. Damals gab’s das Land, auf dem diese Attraktionen errichtet wurden, noch gar nicht. Da war nur Meer. Singapur schüttet fleißig Land auf, vergrößert sich ständig.

 

Die Super Trees stehen in einem bestens gepflegten Parkteil (wobei nach wie vor die ganze Millionenstadt wie geleckt erscheint), ragen etwa zwischen 25 und 50 Meter hoch auf - ihre Betonstämme von exotischen Pflanzen berankt – ihr Stahlgeäst bietet des Nachts eine imposante Lichtshow. Und zwischen zwei Supertrees spannt sich auf Asthöhe ein Skywalk. Schön, einfach schön.

 

Und nachgerade fantastisch erscheinen uns die beiden gigantischen Glashallen des Flowers Domes und des Cloud Forest. Was für eine Fülle von Pflanzen aus allen Regionen der Welt – nicht wenige haben wir noch nie gesehen – was für eine kluge Anordnung und Gestaltung der Ausstellung – die multimedialen Bestandteile natürlich auf dem aktuellsten Stand der Technik… Das Cloud-Forest-House erweist sich als ein gewaltiger künstlicher Felsen samt Wasserfall, Höhlen und Serpentinenwegen voller Überraschungen: diese Farbenpracht durchschwebt von feinen künstlichen Nebeln und hie und da tauchen Kultgegenstände und Masken indigener Völker auf. Und in den Museumsräumen behutsam Didaktisches zur Bedeutung und zur unbedingten Erhaltung, zur Rettung der Regenwälder…

 

Eine Milliarde Dollar soll diese Anlage gekostet haben. Keine Frage, weise angelegtes Geld. Und die Besucherströme (gut, dass wir frühmorgens, sogleich bei der Öffnung hier waren) dürften gutes Geld in die Stadtkasse bringen. Das sollte sich so mancher deutsche Kämmerer mal ansehen, genau ansehen.

 

Zum Abschluss ins mittlerweile (obwohl ebenso jung wie die Gardens by the bay) weltberühmte Marina Bay Sands Hotel, ja, wo man auf dem Dach, im 57. Stock im Pool schwimmend die Skyline vor Augen hat. Baden dürfen wir nicht, das ist Hotelgästen vorbehalten, aber immerhin im 56. Stock den Rundumblick genießen.

 

Bei unserem ersten Besuch Singapurs hatten wir das andere weltberühmte Hotel dieser Stadt besichtigt, das altehrwürdige Raffles, wo auch Joseph Conrad abgestiegen war und sein Bildporträt mit „Lord Jim“ unterschrieben hatte. Hier wurde angeblich der Singapure Sling erfunden. Klar, dass wir uns am Abend einen solchen genehmigen.

 

  

 

Alexander Selkirk

 

* 1676 als Alexander Selcraig in Lower Largo, Five, † 13.12.1721 vor der afrikanischen Westküste, schottischer Seemann

  

Alexander Selkirk dürfte eine der bekanntesten Figuren der Weltgeschichte sein, allerdings unter dem Namen Robinson Crusoe.

 

An Bord eines englischen Kaperschiffes erreichte Selkirk im Jahr 1704 den Juan-Fernandez-Archipel vor der chilenischen Küste, um Süßwasser und Vorräte für die Weiterfahrt aufzunehmen. Dabei stellte sich heraus, dass das Schiff durch Bohrmuscheln stark beschädigt war. Selkirk entschloss sich, auf der unbewohnten Insel Más a Tierra zu bleiben. Tatsächlich ging das Schiff alsbald unter, und fast die ganze Mannschaft ertrank jämmerlich.

 

Selkirk richtete sich auf der Insel ein und überlebte, ähnlich, wie es Daniel Defoe in seiner weltberühmten Erzählung beschrieb. 1709 wurde er gerettet. Der Kapitän des Schiffes, das ihn gefunden hatte, veröffentlichte 1712 seinen Bericht „Cruising Voyage“ über Selkirks Abenteuer, der dann wohl auch Defoe begeisterte.

 

Alexander Selkirk starb im Alter von 45 Jahren wahrscheinlich an Gelbfieber als Leutnant an Bord eines englischen Kriegsschiffes vor der westafrikanischen Küste.

 

Im 20. Jahrhundert wurde die Insel, auf der er gelebt hatte, in Robinson Crusoe und eine noch immer unbewohnte Nachbarinsel in Alejandro Selkirk umbenannt.

 

  

 

 

Tecumseh

 

* 1768 in Ohio, eigentlich Tecumtha oder Tikamthi, † 5.10.1813 in Moraviantown, Ontario, nordamerikanischer Indianerführer

  

Tecumseh, „Der sich duckende Berglöwe“, war Häuptling der Shawnee und versuchte zeitlebens möglichst vieler Stämme gegen die europäischen Kolonisten zu vereinen, um diese durch Stärke zum Frieden zu zwingen.

 

1791 kämpfte er in der Schlacht am Wabash River mit, die als größter indianischer Sieg über eine europäische oder amerikanische Armee gilt. Vier Jahre später aber wurden seine Truppen in der Entscheidungsschlacht von Fallen Timbers schwer geschlagen.

 

Bis zu seinem Tode im Jahr 1813+ in der Schlacht am Thames River mühte sich Tecumseh jedoch immer wieder zwischen Indianern und Siedlern zu vermitteln, so den Ureinwohnern Amerikas wenigstens einen Rest eigenen Territoriums zu sichern. Sein Tod markiert das Ende dieser Hoffnungen.

 

 

 

 

Johannes van der Aeck

 

* getauft 3.2.1637 in Leiden, † 21.3.1682 ebd., holländischer Maler und Weinhändler

  

Leben konnte er nicht von seiner Kunst, der Maler Johannes van der Aeck. Möglicherweise würde er nie auf den Gedanken gekommen sein, Ölgemälde zu erschaffen, wenn seine Stiefmutter nicht die Witwe des früh verstorbenen Malers Jacques de Rousseaux gewesen wäre. Ja, vielleicht wollte er Liebkind sein, wollte er Eindruck schinden. Dabei betrieb sein Vater, der ehemalige Leutnant zur See Nicolaes van der Aeck, doch einen gut gehenden Weinhandel.

 

Nachdem Johannes van der Aeck geheiratet hatte, trat er der Leidener Lukasgilde bei, der Malerzunft seiner Stadt, nicht zuletzt wohl, um seinen Erfolg, seine Verkaufserlöse zu steigern. Doch obwohl er hier alsbald reüssierte, erst Hoofdman und dann sogar Dekan der Gilde wurde, und er sich zudem offensichtlich auf Tronien und Auftragporträts spezialisierte, wollte sich ein Ruhm als Maler nicht so recht einstellen.

 

So verfiel Johannes van der Aeck nach dem Tode seines Vaters, nachdem er im Jahre 1676 dessen Weinhandlung geerbt hatte vermutlich darauf, eine völlig neue Art Stillleben zu kreieren, samt und sonders im Goldenen Schnitt: Stillleben mit Burgunder, Stillleben mit Chardonney, Stillleben mit Riesling, mit Zweigelt, mit Müller-Thurgau, mit Sauvignon, Muskateller, Traminer, Vernatscht…

 

Leider gingen seine Aufzeichnungen über die tieferen Zusammenhänge von Weinhandel und Malerei, über all seine Stillleben wie die Stillleben selbst im Laufe der Zeit in Leiden verloren. Den goldenen Schnitt dürfte Johannes van der Aeck also zeitlebens nicht gemacht haben.

 

  

 

 

Tengku Amir Hamzah

 

* 28.2.1911 in Tanjung Pura, † 20.3.1946 in Kuala Begumit, indonesischer Dichter

  

„Amir war kein Anführer mit lauter Stimme, der das Volk trieb, weder in seinen Gedichten noch in seiner Prosa. Er war ein Mann der Emotionen, ein Mann der Ehrfurcht, seine Seele leicht erschüttert von der Schönheit der Natur, Traurigkeit und Freude wechselten sich frei ab. Alle seine Gedichte waren vom Hauch der Liebe durchdrungen: für die Natur, für das Zuhause, für Blumen, für eine Geliebte. Unendlich sehnte er sich in den dunkelsten Tagen nach Freude, nach einem ‚Leben mit einem bestimmten Zweck’. Nicht ein Gedicht des Kampfes, kein einziger Aufruf zur Ermächtigung, […] seine Naturlieder waren eine intime Durchdringung einer Person, deren Liebe zu seinem Land nie in Frage gestellt wurde“, sagte der indonesische Literaturkritiker Hans Bague Jassin und nannte Tengku Amir Hamzah, der als einziger Dichter seines Heimatlandes von internationaler Bedeutung vor der indonesischen Nationalrevolution und Nationalheld dieses Inselstaates gilt, den „König der Poeten der Poedjangga Baroe-Ära."

 

Seine Gedichte umfassen zwei Sammlungen, die zuerst in der von ihm mit gegründeten Literaturzeitschrift „Poedjangga Baroe“ veröffentlicht wurden: „Nyanyi Sunyi – Lieder der Stille“ (1937) und „Buah Rindu – Frucht der Sehnsucht“ (1941). Sein letztes, auf einer Radioansprache basierendes Buch „Sastera Melayu Lama dan Raja-Rajanya - Alte malaiische Literatur und ihre Könige“ erschien 1942

 

Nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Indonesiens wurde Tengku Amir Hamzah im Oktober 1945  erster Gouverneur des Distriks Langkat. Im Jahr darauf kamen Gerüchte auf, er habe mit zurückkehrenden niederländischen Kolonialherren gespeist und er wurde seines Amtes enthoben, im Zuge von sich ausbreitenden Unruhen verhaftet und schließlich von kommunistischen Rebellen verhaftet, gefoltert, ermordet und in einem Massengrab, das er mit anderen Gefangenen selbst ausheben musste, verscharrt.

 

Drei Jahre später wurde sein Leichnam in der Azizi-Moschee in Tanjung Pura, Langkat, feierlich beigesetzt. In seiner Gefängniszelle fand man seine wohl letzten Zeilen:

  

Wahai maut, datanglah engkau

 

Lepaskan aku dari nestapa

 

Padamu lagi tempatku

 

Berpaut Disaat ini gelap gulita

  

 

O Tod, komm du,

 

Befreie mich vom Elend,

 

Mein Platz ist bei dir,

 

Es ist stockfinster

 

 

 

Govaert Flinck

* 25.1.1615 in Kleve, † 2.2.1660 in Amsterdam, niederländischer holländischer Maler und Zeichner

 

Nach einer angebrochenen Kaufmannslehre erhielt Govaert Flinck im Alter von 14 Jahren seinen ersten Zeichenunterricht in Leeuwarden, drei Jahr später ging er nach Amsterdam und wurde Schüler Rembrandt van Rijns.

Vor allem als Porträtmaler sollte sich Govaert Flinck alsbald einen Namen machen, weltberühmt sein in der St. Petersburger Eremitage ausgestelltes „Bildnis eine jungen Mannes“. Nicht zuletzt von Haus Oranien erhielt er Aufträge für Porträts. Und im Amsterdamer Rijksmuseum ist sein Monumentalgemälde „Die Friedensfeier“ zu bewundern, das im Jahr des Westfälischen Friedens entstand.

 

 

 

 

  

Camille Jenatzy

 

* 4.11.1868 in Schaerbeek, † 8.12.1913 bei Habay-la-Neuve, belgischer Konstrukteur

  

Camille Jenatzy, genannt „Diables Rouges - Roter Teufel“, fuhr als erster Mensch mit einem Landfahrzeug schneller als 100 km/h, konkret am 29. April 1899 in Archères bei Paris 105,88 km/h! – Und dies mit einem von ihm selbst konstruierten zigarrenförmigen Elektroauto, genannt: „Le Jamais Contente – Die nie Zufriedene“! Das war zu jener Zeit zugleich ein neuer Geschwindigkeitsweltrekord!

 

Camille Jenatzy wurde im Alter von 45 Jahren versehentlich auf der Jagd erschossen.

 

 

  

Francisco „Pancho“ Villa

 

* 5.6.1878 als Doroteo Arango Arámbula in San Juan del Rio, † 20.7.1923 in Parral, mexikanischer Revolutionär

  

Pancho Villa gilt als mexikanischer Robin Hood. Er war ein Guerilla-Kommandant, der in der mexikanischen Revolution gegen die Díaz-Diktatur kämpfte. Nach dem Ende der mexikanischen Revolution wurde er von der neuen Regierung als Ikone dargestellt, obwohl vermutet wurde, dass er von ebendieser Regierung ermordet worden war. Man beschrieb ihn als Freiheitskämpfer, Gueriilero, Outlaw, Volksheld, Warlord, Gouverneur, Hollywood-Star, General und nicht zuletzt als Revolutionär. Zahlreiche Balladen und Corridos, Bänkelgesänge, porträtieren ihn als unermüdlichen Kämpfer für die Rechte des kleinen Mannes. „Die Karriere Pancho Villas als Robin Hood Mexikos begann um 1900, als er sich mit seinen Anhängern in den Sierras etablierte. Zwischen 1900 und 1909 wurde er zum Helden der armen Landbevölkerung. 1910 schloss sich Villa seinem politischen Vorbild Francisco Madero und dessen Revolutionstruppen an. Aus Pistoleros wurden Revolutionäre. Er finanzierte seine Truppe, indem er von den endlosen Weiden in Nordmexiko Vieh stahl und an der Grenze zu den USA verkaufte oder gegen Gewehre und Munition eintauschte“, weiß Wikipedia, „Francisco Madero wurde im November 1911 Präsident von Mexiko und während der folgenden Regierungszeit diente Villa unter General Victoriano Huerta. Unter Ausnutzung seiner politischen Unerfahrenheit wurde er dazu benutzt, rebellische Gruppierungen, die sich gegen die Regierung Maderos stellten, zu entwaffnen. Diese entstammten einerseits dem Umfeld des anarchistischen Partido Liberal Mexicano und andererseits der bäuerlichen Landbevölkerung. Í…] Da Madero keine der Reformen umsetzte, die er in seinen Schriften gefordert hatte, und auch nur mit der Gnade der ‚unreformierten’ Armee regierte, schloss sich Villa den erneut aufflammenden Aufständen der Bauern gegen Madero an.

 

Nach einem Armeeputsch wurde Madero „auf der Flucht“ erschossen, und Pancho Villa nahm den Kampf gegen die Putschisten auf. „Mehr noch als diese ersten Siege aber ließen Villas Akte „sozialer Gerechtigkeit“ seine Popularität in der Bevölkerung Chihuahuas ansteigen. So ließ er beispielsweise korrupte lokale Verwaltungsträger und als „Ausbeuter“ verrufene Hacienda-Verwalter kurzerhand hinrichten, die Lebensmittellager diverser Haciendas öffnen – oder besser: enteignen – und deren Produkte in großer Menge an arme Familien in Stadt und Land verteilen oder zu niedrigen Preisen verkaufen. Indem er bei seinen Truppen auf strikte Disziplin achtete, scharf gegen Kriminalität aller Art vorging, für Ordnung und Sicherheit sorgte und Besitzungen von US-Amerikanern sehr bewusst von Konfiskationen aussparte, erwarb er sich auch das Wohlwollen diverser Repräsentanten der Vereinigten Staaten in Mexiko.“

 

Pancho Villas Heer wurde alsbald zu einer der größten Revolutionsarmeen, die bis dahin je zusammengekommen waren. Er fand sogar das Interesse Hollywoods, mehrere Filme wurden gedreht, in denen er zum Teil sogar selbst auftrat. Den weitaus besser ausgerüsteten Regierungstruppen hatte Pancho Villa jedoch schließlich nichts entgegenzusetzen. Er agierte als Partisan bis dann sogar US-Militär gegen ihn vorging. Nun gelang es ihm nochmals, ein beachtliches Revolutionsheer in den Kampf zu führen und Siege zu erringen. Nachdem nach Niederlagen, Desertionen und Verrat letztlich nur noch 400 Männer zu ihm hielten, kapitulierte Pancho Villa. Um den Bürgerkrieg ein für alle Mal zu beenden schenkte eine neue Regierung ihm eine Hacienda und billigten ihm eine Generalspension zu.

 

Dann allerdings wurde ein Attentat auf den mexikanischen Robin Hood verübt, sein Auto von Dumdum-Geschossen durchlöchert…

 

 

  

 

Wilbur Wright

 

* 16.4.1867 in Millville, Indiana, † 30.5.1912 in Dayton, Ohio, amerikanischer Flugpionier

  

Als erste Menschen sollen Wilbur Wright und sein Bruder Orville am 17. Dezember 1903 mit einem Motorflugzeug abgehoben haben. Orville war 12 Sekunden in der Luft und legte 37 Meter zurück, Wilbur in 59 Sekunden 260 Meter. Mindestens sieben andere Flugpioniere wollen seit 1897 aber vor den Brüdern Wright mit einem Motorflugzeug geflogen sein. Nachdenkenswert immerhin erscheint ein Vertrag, den Orville Wright kurz vor seinem Tod im Jahr 1948 mit dem Smithsonian Institut über die Überlassung ihres berühmten „Flyer“ schloss: „Weder der Smithsonian Institution noch ihren Rechtsnachfolgern, weder einem Museum noch einer anderen Einrichtung unter der Verwaltung der Smithsonian Institution oder ihrer Rechtsnachfolger ist es gestattet, eine Verlautbarung des Inhalts zu veröffentlichen oder zu gestatten, dass ein anderes Flugmodell oder auch ein Entwurf eines Flugmodells eher als der Wright-Aeroplan von 1903 in der Lage war, aus eigener Kraft einen Mann zu fliegen. Bei Zuwiderhandlung fällt der ‚Flyer’ wieder in das Eigentum des Spenders zurück.“

 

Wilbur Wright sagte einmal: „Das einzig gefährliche am Fliegen ist die Erde.“ Er starb im Alter von 45 Jahren an Typhus.

 

 

 

 

Johann Heinrich Zedler

 

* 7.1.1706 in Breslau, † 21.3.1751 in Leipzig, deutscher Verleger

  

Johann Heinrich Zedler begründete das „Grosse vollstaendige Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Kuenste“, das sich zu umfassendsten deutschsprachigen Enzyklopädie des 18. Jahrhunderts entwickelte. Vollständiger Titel: Grosses vollstaͤndiges | UNIVERSAL | LEXICON | Aller Wissenschafften und Kuͤnste, | Welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz | erfunden und verbessert worden, | Darinnen sowohl die Geographisch-Politische | Beschreibung des Erd-Kreyses, nach allen Monarchien, | Käyserthümern, Königreichen, Fürstenthümern, Republiquen, freyen Herr- | schafften, Ländern, Städten, See-Häfen, Vestungen, Schlössern, Flecken, Aemtern, Klöstern, Ge- | bürgen, Pässen, Wäldern, Meeren, Seen, Inseln, Flüssen, und Canälen; samt der natürlichen Abhandlung | von dem Reich der Natur, nach allen himmlischen | lufftigen, feurigen, wässerigen und irrdischen Cörpern, und allen | hierinnen befindlichen Gestirnen, Planeten, Thieren, Pflantzen, Metallen, Mineralien, | Saltzen und Steinen [etc.] | Als auch eine ausführliche Historisch-Genealogische Nachricht von den Durchlauchten | und berühmtesten Geschlechtern in der Welt, | Dem Leben und Thaten der Käyser, Könige, Churfürsten | und Fürsten, grosser Helden, Staats-Minister, Kriegs-Obersten zu | Wasser und zu Lande, den vornehmsten geist- und weltlichen | Ritter-Orden [etc.] | Ingleichen von allen Staats-Kriegs-Rechts-Policey und Haußhaltungs- | Geschäfften des Adelichen und bürgerlichen Standes, der Kauffmannschaft, Handthierungen, | Künste und Gewerbe, ihren Innungen, Zünfften und Gebräuchen, Schiffahrten, Jagden, | Fischereyen, Berg-Wein-Acker-Bau und Viehzucht [etc.] | wie nicht weniger die völlige Vorstellung aller in den Kirchen-Geschichten berühmten | Alt-Väter, Propheten, Apostel, Päbste, Cardinäle, Bischöffe, Prälaten und | Gottes-Gelehrten, wie auch Concilien, Synoden, Orden, Wallfahrten, Verfolgungen der Kirchen, | Märtyrer, Heiligen, Sectirer und Ketzer aller Zeiten und Länder, | Endlich auch ein vollkommener Inbegriff der allergelehrtesten Männer, berühmter Universitäten | Academien, Societäten und der von ihnen gemachten Entdeckungen, ferner der Mythologie, Alterthümer, Müntz-Wissenschafft, | Philosophie, Mathematic, Theologie, Jurisprudentz und Medicin, wie auch aller freyen und mechanischen Künste, samt der Erklärung aller | darinnen vorkommenden Kunst-Wörter u.s.f. enthalten ist…

 

Noch heute nennt man dieses Lexikon: „Den Zedler“.

 

Aber Johann Heinrich Zedler gab als Verleger auch eine vollständige Ausgabe Luthers Schriften heraus, zudem diverse Monografien und Zeitschriften.

 

Im September 1727 bewarb er nach seinem Umzug nach Leipzig sein allererstes Druckwerk wie folgt: Bey Johann Heinrich Zedler, Buchhändler allhier in der Grimmischen Gasse in Kerstens Hause ist kürzlich zum Vorschein kommen: Johann Gotthard Beyers, Ursprüngliche Quellen des Indifferentismi, oder Ursachen der närrischen Meynung, man kan in allen Religionen selig werden; zur Befestigung der Wahrheit und Ausrottung der Irrthümer eröffnet, und dem Druck überlassen.

 

Drei Jahre später dann kündigte der 24-Jährige Jungunternehmer selbstbewusst für die Leipziger Ostermesse (das dann allerdings erst zur Michaelis-Messe erschien) 1731 sein Universal-Lexikon an: In des Commercien-Rath, Johann Heinrich Zedlers Buchhandlung allhier, ist der Titel sammt der Nachricht von dem grossen Universal-Lexico aller Wissenschafften, ohne Entgeld zu haben. Er lässt solches durch Subscription drucken, damit er dieses grosse Werck dem Publico um die Hellfte des sonst gewöhnlichen Preißes liefern kan, und nimmt biß künfftige Leipziger Oster-Messe 2 Rthl. Prænumeration zu dessen ersten Bande an. Er will auch denen ersten Hunderten, so sich dazu einfinden werden, ihre Exemplaria auf sauber Schreibe-Papier um eben den obigen Preiß liefern; derjenige, so zu 20 Exemplaren die Prænumeration colligiret oder schaffet, soll ein Exemplar umsonst haben. Es wird dieses gantze Werck ohngefähr aus 8 Folianten bestehen, und die Prænumeration nirgends als in Leipzig in des Verlegers Handlung gegen Scheine angenommen werden.

 

Er hatte jedoch hart gegen die alteingesessene Leipziger Verlegerschaft anzukämpfen, es hagelte Anzeigen und Strafen, Bücher wurden sogar beschlagnahmt. Um finanziellen Schwierigkeiten zu entkommen, erfand Zedler eine Bücher-Lotterie, dennoch ging er 1738 in Konkurs.

 

Sein Verlag wurde von einem Leipziger Geschäftsmann übernommen und weitergeführt. Über Zedler selbst ist in einem Lexikonartikel des Jahres 1749 zu lesen: „Uebrigens so hat er noch verschiedene grosse Wercke, die zum Theil bereits unter der Presse sind, theils noch in Zukunfft heraus kommen sollen, projectiret.“ Zedler habe sich „bereits einer geraumen Zeit her denen Handlungs-Geschäfften entzogen, und die meiste Zeit des Sommers auf seinem Land-Gute zu Wolfshayn“ es allerdings „nicht unterlassen, durch nützliche Erfindungen denen Gelehrten, und durch kluge Rathschläge der Buchhandlung nützlich zu seyn.“

 

Johann Heinrich Zedler starb zwei Jahre darauf im Alter von 45 Jahren.

 

 

 

 

Alexander Nikolajewitsch Afanassjew

 

* 23.7.1826 in Bogutschar, Gouvernement Woronesh, Russland, † 5.10.1871 in Moskau, russischer Märchensammler

 

Ich soll euch ein Märchen erzählen? Mein Märchen ist wunderschön. Es kommen wunderbare Wunder darin vor, seltsame Dinge.

 

In einem Reich in einem Land lebte einmal Alexander Nikolajewitsch, der hatte im Feld einen Ofen erbaut auf Säulen. Auf dem lag er bis zum Ellbogen in Schwabenmilch. Da kam die Füchsin zu ihm und sagte: „Gevatter Afanassjew willst du nicht aufschreiben, was sich die Leute in deinem Land seit Menschengedenken erzählen?“

 

So machte sich Alexander Nikolajewitsch auf den Weg. Weiter und weiter ging er durch den dunklen Wald, immer weiter und der Wald wurde immer schwärzer und dichter. Die Wipfel reichten bis zum Himmel. Das zweite paar Schuhe war durchgetreten, die zweite Mütze vertragen, das zweite Brot aufgezehrt, die zweite Krücke zerbrochen, - da sah er ein Hüttchen stehen, auf Hühnerfüßen und sich drehen.

 

„Hüttchen, Hüttchen, sieh mir ins Angesicht und kehre dem Wald den Rücken. Ich will hinein um Brot bitten.

 

Das Hüttchen machte halt, den Rücken zum Wald. Er trat ein, da lag Baba Jaga von einem Eck bis zum andern, die Lippen über dem Ofen, die Nase an der decke.

 

„Pfui, pfui, pfui! Ich habe bis jetzt noch nie von einem Russen etwas gesehen, etwas gehört, und jetzt streift gar ein Russe durch die weiter Welt!“

 

„Ja, Mütterchen, ich will zuhören und aufschreiben, was sich meine Landsleute so erzählen seit Menschengedenken.“

 

„Gut, wenn du mich kraulst und mir die Stube fegst will ich dir sogar berichten, was man sich über deine Geburt erzählt!“

 

„Wirklich?“

 

„Ja, setzt dich!“

 

Und da erzählte die Alte: Die Mutter der schönen Wassilissa trauerte, dass keine Nachricht von ihren Kindern komme, dass außer der Tochter auch die Söhne verschollen wären. Einst ging sie mit den Bojarinnen im Garten spazieren. Der Tag war heiß und sie wollte trinken. Im Garten brach aus dem Abhang eines Hügels ein Strahl Quellwasser hervor, den fing eine weiße Marmormulde auf. Sie schöpfte mit einer goldenen Kelle das tränenhelle reine Wasser und trank hastig, dabei schluckte sie plötzlich eine Erbse. Die Erbse quoll und ihr wurde es schwer zumute. Die Erbse wuchs und wuchs und die Zariza trug schwer an ihr. Nach einiger Zeit bekam sie einen Sohn. Er erheilt den Namen Alexander Nikolajewitsch und wuchs, nicht nach Jahren – nein, nach Märchen, glatt und rundlich. Er blickte umher und lachte, hüpfte und sprang, lief über den Sand, war so voll Kraft, dass er alsbald als berühmter Erzähler dastand.

 

„Ja, Gevatter Afanassjew, so war das, so und nicht anders!“

 

 

 

 

Wassili Makarowitsch Schukschin

 

* 25.7.1929 in Srotski, Altai, † 2.10.1974 in Kletskaja, sowjetischer Autor und Schauspieler

  

Über Wassili Schukschins Märchen „Bis zum dritten Mal der Hahn kräht“ schrieb die Lektorin Lola Debüser: „Schukschin […] fragt nach den Orientierungspunkten eines Menschen im Leben. Sein guter, von Natur begnadeter Volksheld scheitert, weil er sich über Ziel und Mittel keine Gedanken macht. Schukschins Märchenheld agiert nicht […] in einem festgefügten Schattenreich. Er wird mit verschiedenen parasitären gesellschaftlichen Grüppchen und Schichten konfrontiert, mit originalitätssüchtigen Intellektuellen, Konsumjägern aller Schattierungen – mit einem hemmungslosen Opportunismus. Schukschins Märchen-Iwan ist lebenstüchtig, findig, und er meistert irgendwie alle Stationen seines Weges zum verheißungsvollen Märchenziel. Dennoch entpuppt sich Iwans Sieg letztlich als eine Niederlage und Iwan in einer Hinsicht als Wirklich dumm. Für ein absurdes Ziel – die das Volksmärchen parodierenden Jagd nach der sinnlosen Bescheinigung – hat er sich überrumpeln, erniedrigen, ausnutzen lassen. Er ist laufend Kompromisse eingegangen, hat sogar dem Bösen zum Sieg verholfen. Gewissenlos ist Iwan jedoch nicht: Traurig und verwirrt kehrt er zurück, ein tiefes Schuldgefühl plagt ihn. Also waren seine Abenteuer doch nicht sinnlos: Er hatte Gelegenheit, sich selbst kennenzulernen. Sein Versagen bringt ihn zum Nachdenken, seine Irrwege werden ihn ‚zu Klugheit kommen lassen’. Schukschin fordert einen innengelenkten prinzipienfesten Volkscharakter. Unmißverständlich ist Iwan auch als Repräsentant des Volkes angelegt. Seine Verbündeten sind der bäurische altrussische Recke Ilja Muromez und der nach dem Bauernrevolutionär Stepan Rasin stilisierte Ataman. […] Schukschin hat seinen Iwan weder verteufelt noch idealisiert, dadurch hebt er auch den einfachen traditionellen Märchenkontrast von Sein und Schein realistisch auf.“

 

Wassili Schukschin wirkte auch als Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler. 1974 wählten ihn die Leser der Zeitschrift „Sowetski ekran“ für seine Verkörperung des Häftlings Jegor Prokudin in der Tragödie „Kalina Krassnaja“ zum besten Schauspieler des Jahres. 1975 wurde er für seine Darstellung des Soldaten Petr Lopachin in Sergei Bondartschuks Scholochow-Film „Sie kämpften für die Heimat“ noch einmal so geehrt – postum.

 

Wassili Schukschin sagte einmal: Der Schriftsteller schreibt sein ganzes Leben lang einen einzigen großen Roman, Man versteht das zu schätzen, nachdem der Roman vollendet und dessen Autor gestorben ist. Er wurde nur 45 Jahre alt.

 

Wladimir Wyssotzki sang zu seinem Gedenken:

 

„Hängt Rot am Schneeballstrauch noch dran,

 

Gibt keinen Grund, daß Winter werde.

 

Auf Nowodewitschje ein Mann

 

Legt sich dort in die warme Erde.

  

Er pfiff auf Omen voller Hohn,

 

Sie tratschten hinter ihm verstohlen:

 

»Erst wird der Tod sich jene holen,

 

Die ihn gespielt im Leben schon.«

 

 

Dann laß dir doch, Makarytsch, Zeit,

 

Weg mit dem Krampf und laß dich gehen,

 

Schreib um das Ende, das entzweit,

 

Bleib hier, mußt es noch einmal drehen.

 

 

Zu Tränen rührt das Land der Tote,

 

Als er, die Kugel schon im Bauch,

 

Gleich einem Hund am Boden kroch.

 

Daneben dieser Schneeballstrauch

 

Wuchs, dieser Schneeballstrauch, der rote.

 

 

Dem Tod die Besten stets gehören,

 

Er fängt sie, löscht sie einzeln aus.

 

Welch Bruder ging uns da hinaus!

 

Kann nichts mehr hoffen, nicht mehr stören…“

 

 

 

 

Esteban Echeberría

 

* 2.9.1805 in Buenos Aires, † 19.1.1851 in Montevideo, argentinischer Autor

  

Esteban Echeberrías Lyrikband „La Cautiva – Die Gefangene“ gilt als Nationalgedicht Argentiniens. Und auch in seinen Werken Elvira ó la novia del Plata – Elvira oder die silberne Braut“ und „Cartas a un Amigo – Briefe an einen Freund“ wandte er als erster argentinischer Autor die Ideale der Romantik, die er auf einer Europareise kennen- und schätzen gelernt hatte, auf die Gegeben- und Örtlichkeiten seines Heimatlandes an.

 

Esteban Echeberría verfasste aber auch die Schrift „Dogma Socialista de la Asociación de Mayo“, die zu den wichtigsten politischen Texten des Liberalismus in Lateinamerika zählt und später zur ideologischen Grundlage der argentinischen Verfassung wurde.

 

Da er mit dieser Publikation jedoch die damaligen argentinischen Regierung kritisierte, war Esteban Echeberría letztlich gezwungen nach Uruguay ins Exil zu gehen, wo er im Alter von nur 45 Jahren in Armut und Einsamkeit an Tuberkulose starb.

 

 

 

 

Hara Tamiki

 

* 15.11.1905 in Hiroshima, † 13.3.1951 bei Hachiōchi, japanischer Schriftsteller

  

Der aus Hiroshima stammende Hara Tamiki zog im Alter von 18 Jahren nach Tokio, heiratete und verfasste Gedichte, Kurzgeschichten und Märchen. Nach dem Tod seiner Frau floh er vor den zunehmenden Bombenangriffen auf Tokio zurück in seine Heimatstadt.

 

Hier erlebte und überlebte er dann den 6. August 1945, jenen Tag der die Weltgeschichte veränderte. Und Hara Tamiki begann umgehend darüber zu schreiben. So entstanden die frühesten literarischen Zeugnisse über die Atombombenabwürfe auf Hirsohima und Nagasaki: „Genbaku hisaiji no nōto - Aufzeichnungen aus den Tagen, als wir zu Atombombenopfern wurden“ und „Natsu no hana – Sommerblumen“, deren Veröffentlichung er nicht mehr erlebte. Beide Werke unterlagen bis 1952 der amerikanischen Zensur.

 

Im Jahr davor hatte sich Hara Tamiki vor einen Zug geworfen. Ihm zu Ehren setzten Freunde später einen Gedenkstein an der Mauer der Burg Hiroshima.

 

 

 

 

Montserrat Roig i Fransitorra

 

* 13.6.1946 in Barcelona, †10.11.1991 ebd., katalanische Schriftstellerin

  

Montserrat Roig i Fransitorra engagierte sich gegen den Francismus und seit Mitte der 1970er Jahre in der Leitung der traditionellen katalanischen Kulturinstitution Ateneu Barcelonès. Für ihre Bücher erhielt sie diverse Preise wie den „Premi Sant Jordi de novel-la“. Im Alter von 45 Jahren starb sie an Brustkrebs.

 

Jeanny und ich gelangten inmitten der katalanischen Separationsbestrebungen nach Barcelona:

 

Als wir diese Reise buchten, vor einem Jahr etwa, war da nicht die leiseste Ahnung, dass es mit diesem Zielort problematisch werden könnte. In den letzten Monaten kochten jedoch katalanische Unabhängigkeits-Bestrebungen hoch und höher, wurde ein Abspaltungs-Referendum (das von der spanischen Zentralregierung als ungesetzlich eingestuft wurde) mit massiver Polizeipräsenz und sogar –gewalt behindert, rief das katalanische Regionalparlament nach endlosem Hin und Her schließlich die Unabhängigkeit aus und wurde dies wiederum in Madrid als Rebellion gewertet, wurden Mitglieder der Regionalregierung verhaftet, andere, so der katalanische Ministerpräsident Puigdemont, flohen nach Brüssel. Einige dieser „Puigisten“ sind wohl mittlerweile auf Kaution wieder frei, alle werden sich aber vor der spanischen Justiz verantworten müssen. Und für Dezember sind Neuwahlen angesetzt. Bis dahin und damit hofft Madrid offenbar die pari-pari-Situation zu verändern (etwa die Hälfte der katalanischen Bevölkerung ist für und die andere Hälfte gegen die Separierung).

 

Seit dem 11. Jahrhundert versuchte Katalonien immer mal wieder unabhängig zu werden, begründet in der eigenen Sprache und Kultur und jüngst in der prosperierenden Industrie – ein Wohlstand aber, der zu großen Teilen an ärmere spanische Provinzen abgegeben werden muss, so dass das Bruttosozialprodukt des erfolgreichen, aufstrebenden Kataloniens im letzten Drittel der spanischen Provinzen rangiert. Klar erregt das Unmut und wäre wahrscheinlich mit einer besser ausgestatteten Autonomie Kataloniens (vergleichbar der des Baskenlandes vielleicht) rasch geregelt. Offenbar will jedoch weder Madrid noch Barcelona halsstarrig sehen, dass die letzte Ausrufung der katalanischen Unabhängigkeit im Jahre 1934 einer der Wege hin zum spanischen Bürgerkrieg waren…

 

Nachdem in Barcelona gestern wohl 750.000 Menschen für die Freilassung ihrer Politiker demonstriert hatten, besucht heute, am Sonntag also, erstmals seit Beginn der Unruhen der spanische Ministerpräsident Rajoy Katalonien, um für seine Regierungspartei zu werben.

 

So lange wir heute durch die Stadt schlendern. Bleibt jedoch alles ruhig. Polizei an allen Ecken und Enden, nun gut. Und auf einer entfernten Kreuzung zieht mal ein rothemdiger Demonstrationszug seines Wegs, das ist alles.

 

Wir laufen im Sonnenschein vom Kolumbus-Denkmal zur Rambla, zur Kathedrale, zum Gaudi-Museum, zum Triumphbogen und schier endlich weiter durchs Häusergewirr bis zur Sagrada Familia, Gaudis Zuckerbäckerkirche. Zurück zum Hafen dann mit der U-Bahn, das ist einiges bequemer.

 

Und dank meines PEN-Kollegen Carlos Collado Seidel weiß ich sogar, dass wir Schriftsteller den Katalanen dankbar sein müssen: „Als kurioses Detail sei… angemerkt, dass der ‚Welttag des Buches’ auf einen katalanischen Brauch zurückgeht. So werden am 23. April, dem Namenstag des katalanischen Schutzpatrons Sant Jordi, die Menschen, die man schätzt, traditionell mit einer Rose und einem Buch beschenkt.“

 

 

 

 

Ernst Toller

 

* 1.12.1893 in Samotschin, Provinz Posen (Preußen), † 22.5.1939 in New York, deutscher Schriftsteller

  

Ilja Ehrenburg schrieb über Ernst Toller: „Er war ein junger, begabter Dichter; Rilke und Thomas Mann lobten seine Verse. Er hätte die Revolution im Gedicht preisen können. Doch er entschied sich anders: Er wurde einer der Führer der bayrischen Revolution. […] Die Kritiker sagten oft und wiederholen es bis heute, Toller hätte es an politischer Erfahrung gefehlt. Das sei unbestritten. Dafür besaß er im Überfluß Gewissen: eine unbequeme Eigenschaft, die sich immer am Besitzer rächt.“

 

An die Dichter

 

Anklag ich euch, ihr Dichter,

 

Verbuhlt in Worte, Worte, Worte!

 

Ihr wissend nickt mit Greisenköpfen,

 

Berechnet Wirbelwirkung, lächelnd und erhaben,

 

Ihr im Papierkorb feig versteckt!

 

Auf die Tribüne, Angeklagte!

 

Entsühnt euch!

 

Sprecht euch Urteil

 

Menschenkünder ihr!

 

Und seid…?

 

So sprecht doch! Sprecht!

 

Bodo Uhse sagte über Ernst Toller: „Alles ist Aufschrei, Bekenntnis, Deklamation. Zeit zur Reife war nicht gegeben.“

  

Alp

 

Auf einer Stange morsch und faul

 

Hockt das Völkergewissen.

 

Um die Stange tanzen drei Kinderknochen,

 

Aus dem Leib einer jungen Mutter gebrochen.

 

Es blökt den Takt das Schaf bäh bäh.

  

Ernst Toller nahm sich im Exil, fünfundvierzigjährig, das Leben.

 

 

 

 

Olympe de Gouges

 

* 7.5.1748 als Marie Gouze in Montauban, † 3.11.1793 in Paris, französischer Frauenrechtlerin

  

Olympe de Gouges verfasste im Revolutionsjahr 1791 die „Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne - Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ – offensichtlich, da in der Menschenrechtserklärung der französischen Revolutionäre „in unterschiedlichem Ausmaß ... Juden, Schwarze [und das] Proletariat“ sowie vor allem Frauen ausgeschlossen waren.

 

Darin sagte Olympe de Gouges mutig:

 

Das an Schönheit wie an Mut, die Beschwernisse der Mutterschaft betreffend, überlegene Geschlecht … erklärt die folgenden Rechte der Frau und Bürgerin:

 

Artikel 1: Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten. Die gesellschaftlichen Unterschiede können nur im allgemeinen Nutzen begründet sein. [… ]

 

Artikel 4: Freiheit und Gerechtigkeit beruhen darauf, dass dem anderen abgegolten wird, was ihm zusteht. So stößt die Frau bei der Wahrnehmung ihrer natürlichen Rechte nur an die ihr von der Tyrannei des Mannes gesetzten Grenzen; diese müssen durch die von der Natur und Vernunft diktierten Gesetze neu gezogen werden. [… ]

 

Artikel 6: Das Gesetz soll Ausdruck des Willens aller sein; alle Bürgerinnen und Bürger sollen persönlich oder über ihre Vertreter zu seiner Entstehung beitragen. [… ]

 

Artikel 10: … Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Gleichermaßen muss ihr das Recht zugestanden werden, eine Rednertribüne zu besteigen. [… ]

 

Artikel 13: … Zu Fron und lästigen Pflichten wird die Frau ohne Unterschied herangezogen und muss deshalb bei der Zuteilung von Stellungen und Würden, in niederen und höheren Ämtern sowie im Gewerbe berücksichtigt werden. [… ]

 

Artikel 16: … die Verfassung ist null und nichtig, weil an ihrer Ausarbeitung die Mehrheit der Bevölkerung … nicht mitgewirkt hat.“

 

Unter Robespierre wurde Olympe de Gouges verhaftet. Aus dem Gefängnis schrieb sie an das Revolutionstribunal: Unerschrocken, gerüstet mit den Waffen der Redlichkeit, trete ich euch entgegen und verlange von euch Rechenschaft über euer grausames Treiben, das sich gegen die wahren Stützen des Vaterlandes richtet. […] Ist nicht in Artikel 11 der Verfassung die Meinungs- und Pressefreiheit als kostbarstes Gut des Menschen verankert? Wären denn diese Gesetze und Rechte, ja die ganze Verfassung nichts weiter als hohle Phrasen, jedes Sinnes entleert? Wehe mir, ich habe diese traurige Erfahrung gemacht.

 

Olympe de Gouges wurde zum Tode verurteilt und auf dem Place de la Concorde guillotiniert.

 

Mann, bist du überhaupt imstande, gerecht zu sein? […] Kannst du mir sagen, wer dir die unumschränkte Macht verliehen hat, die Angehörigen unseres Geschlechts zu unterdrücken?

 

  

 

Friedrich Schiller

 

* 10.11.1759 als Johann Christoph Friedrich Schiller in Marbach am Neckar, ab 1802 von Schiller, † 9.5.1805 in Weimar, deutscher Dichter

  

Als ich anfing zielgerichtet zu schreiben, gaben mir vor allem zwei Essays erste theoretische Orientierungen: Kleists „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ sowie Schillers „Über naive und sentimentalische Dichtung“.

 

Die Dichter sind überall, schon ihrem Begriffe nach, die Bewahrer der Natur. Wo sie dieses nicht ganz mehr sein können und schon in sich selbst den zerstörerischen Einfluß willkürlicher und künstlicher Formen erfahren oder doch mit demselben zu kämpfen gehabt haben, da werden sie als die Zeugen und als die Rächer der Natur auftreten. Sie werden entweder Natur sein, oder sie werden die verlorene suchen. Daraus entspringen zwei ganz verschiedene Dichtungsweisen, durch welche das ganze Gebiet der Poesie erschöpft und ausgemessen wird. Alle Dichter, die es wirklich sind, werden, je nachdem die Zeit beschaffen ist, in der sie blühen, oder zufällige Umstände auf ihre allgemeine Bildung und auf ihre vorübergehende Gemütsstimmung Einfluß haben, entweder zu den naiven oder zu den sentimentalischen gehören.

 

Als dann auch ich versuchte, Schreibanfängern Orientierungen zu geben, empfahl ich gern und nicht zuletzt Kleists „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ und Schillers „Über naive und sentimentalische Dichtung“.

 

Der Inhalt der dichterischen Klage kann […] niemals ein äußrer, jederzeit nur ein innerer idealistischer Gegenstand sein; selbst wenn sie einen Verlust der Wirklichkeit betrauert, muß sie ihn erst zu einem idealischen schaffen. In dieser Reduktion des Beschränkten auf ein Unendliches besteht eigentlich die poetische Behandlung. Der äußere Stoff ist daher an sich selbst immer gleichgültig, weil ihn die Dichtkunst niemals so brauchen kann, wie sie ihn findet, sondern nur durch das, was sie selbst daraus macht, ihm die poetische Würde gibt.

 

Und ich riet in meinen Schreibwerkstätten und –seminaren stets dazu herauszufinden, wie ein Autor sich am besten auf seine Aufgabe konzentrieren könne. Ein jeder müsse letztlich selbst erkunden, wann und wo und wie es ihm am besten gelänge, das auszuformulieren, was ihm als vager Gedanke aufgekeimt sei.

 

Über Schiller beispielsweise wurde behauptet, dass er in seinem Arbeitszimmer Äpfel verfaulen ließ und deren Geruch der Katalysator seines Schreibens gewesen sei. Seine Frau soll zu Goethe gesagt haben, dass „die Schieblade immer mit faulen Äpfeln gefüllt sein müsse, indem dieser Geruch Schillern wohl tue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne.“

 

Vielleicht erleichterte der Faule-Apfel-Geruch Friedrich Schiller aber einfach nur das Atmen. In jungen Jahren war er schwer an Nervenfieber erkrankt, an Malaria also, die zu jener Zeit im Rhein-Neckar-Gebiet noch weit verbreitet war. Er kränkelte dann immer wieder, brach als gut Dreißigjähriger in Sachsen-Weimar mindestens dreimal wegen einer Tuberkulose-Erkrankung zusammen, und starb schließlich im Alter von 45 Jahren an einer akuten Lungenentzündung.

 

 

 

 

Isaak Emmanuilowitsch Babel

 

* 13.7.1894 in Odessa, † 27.1.1940 in Moskau, sowjetischer Schriftsteller

  

Schlendern über den Promorskoje Boulevard, vorbei am Londonskaja Hotel, wo Isidora Duncan in Isaak Babels Zimmer tanzte, vorbei am Rathaus mit Puschkin-Denkmal und der imposanten Oper, durch Straßen mit Häusern aus der Gründerzeit (die meisten schmuck restauriert) bis zum neuen, erst 2011 eingeweihten Isaak.Babel-Denkmal, Ecke Zhukarskogo / Richelyevskaya uliza.

 

Jahrzehntelang erinnerte nichts an den Autor der „Odessaer Geschichten“ und der „Reiterarmee“ in seiner Heimatstadt. Nun zumindest dieses Denkmal (das ich jedoch erst nach langer Internet-Recherche finden, und auf das hier nichts, absolut nichts, hinweist). Der Jude Babel, der in der Sowjetunion lebte und schrieb und unter Stalin umgebracht wurde, scheint offensichtlich nicht so recht zur ukrainischen Identitätsfindung beitragen zu können. Vielleicht sogar, da Sätze, die er schrieb, auch noch heute präzise passen: Odessa kannte Zeiten der Blüte, und es kennt Zeiten des Welkens, eines poetischen Vergehens, in dem ein Hauch Sorglosigkeit und sehr viel Hilflosigkeit liegen.

 

Wie könnte aber man allein seine genialen Beschreibungen, des einstigen Schmuggler- und Händlerviertels Odessas, touristisch aufarbeiten und nutzen! – Auf den Spuren Babels (und/oder Gilels und/der Oistrachs…) durch die Moldawanka…

 

Isaak Babel, für mich einer der wichtigsten Erzähler des 20. Jahrhunderts – und überhaupt. Wann immer ich eindringlich nach Vorbildern befragt wurde, dürfte ich ihn neben Büchner und Dos Passos stets genannt haben. Einer seiner Nachdichter, Fritz Mierau, sagte mal: „Das Einfache als das Unerhörte zu Erzählen – den Satz als Weltereignis – war Babels erklärtes Ziel.“

 

 

 

 

Karoline Marie Luise Brachmann

 

* 9.2.1777 in Rochlitz, † 17.9.1822 in Halle/Saale, deutsche Dichterin

  

Luise Brachmann war in Weißenfels, wo sie seit 1787 lebte, mit Novalis befreundet, der ermöglichte, dass einige ihrer Gedichte 1798 und 1799 in Schillers „Horen“ und dem „Musenalmanach“ erschienen und Schiller dann sogar ihren ersten Gedichtband herausgab. Der aus Weißenfels stammende Literaturkritiker Adolph Müller bezeichnete sie sogar als „deutsche Sappho“, und auch Clemens Brentano und Friedrich de la Motte Fouqué zollten ihr Anerkennung.

 

Dennoch versuchte sie sich im Alter von 23 Jahren wegen einer „Ehrverletzung“ infolge einer Affäre erstmals ums Leben zu bringen. Und nachdem Novalis und Schiller tot waren, versuchte sie ihren Lebensunterhalt durch Vielschreiberei zu sichern, Ritterromane und dergleichen. Ihre Texte wurde oberflächlich und Luise Brachmann wegen mehr und mehr fehlender literarischer Erfolge depressiv.

 

Dann verliebte sich Luise Brachmann in einen französischen Offizier, der allerdings in der Völkerschlacht bei Leipzig fiel. Und nachdem sie sich mit einem 20 Jahre jüngeren preußischen Offizier verlobt hatte, dem sie eine Reise nach Wien finanzierte, da er angeblich Schauspieler werden wollte, der von dort aber das Verlöbnis per Brief löste, fuhr sie zu einer Freundin nach Halle und ertränkte sich in der Saale.

 

Die Jahrzehnte später in Weißenfels gestorbene Erzählerin Louise von François schrieb: „…meine arme Luise, sie war ganz und gar nur ein Weib: ganz Güte, Liebe, Hingebung. Ja, Hingebung im wörtlichen Sinne. Nicht das Hemd behielt sie, sie gab es hin für den Begehrenden, und nackt und bloß blieb sie zurück. Ihre Sucht zu sterben war Sehnsucht, Sehnsucht, frei von den Hemmnissen des Leibes, ganz ein liebender Geist, sich hinzugeben an einen höheren Geist.“

 

  

 

Lamoral von Egmond

 

* 18.11.1522 auf Schloss La Hamaide im Heenegau, † 5.6.1568 in Brüssel, Statthalter von Flandern

 

 

 

Graf Lamoral von Egmond, Fürst von Gavre war Statthalter von Flandern und Artois, Herr der Hohen Herrlichkeit von Purmerend, Purmerland und Ilpendam, Baron von Fiennes, Herr von Hoogwoud und Aartswoud, Sotteghem, Armentières und Auxy.

 

Eines Tages meinte Egmont aber, in den Niederlanden gegen die streng katholische Politik der spanischen Herrscher ein gewisses Maß an religiöser Toleranz sowie ein Regiment hiesiger Aristokraten durchsetzen zu wollen. Er reiste sogar nach Spanien, um die Forderungen der Opposition dem König vorzutragen, wurde von dem jedoch mit Schmeicheleien ruhig gestellt und ritt unverrichteter Dinge wieder heim. Und nach der Eskalation der niederländischen Unruhen half er den Spaniern dann sogar bei der Unterdrückung seiner protestantischen Landsleute.

 

Die Spanier hatten sein Aufmucken allerdings nicht vergessen und nahmen ihn schließlich gefangen, stellten ihn vor den Blutrat und verurteilten ihn als Hochverräter und Rebell zum Tode. Seine Enthauptung auf dem Grote Markt von Brüssel markiert zugleich den Beginn des achtzigjährigen Krieges, in dem die Niederländer sich von der spanischen Herrschaft befreiten.

 

Goethe setzte ihm mit seinem Trauerspiel „Egmont“ ein literarisches Denkmal.

 

  

 

Ilsabetha „Betty“ Gleim

 

* 13.8.1781 in Bremen, † 27.3.1827 ebd, deutsche Autorin

  

Betty Gleim, Großnichte des Halberstädter Dichters Ludwig Gleim, gilt als bedeutende Persönlichkeit der Bremer Frauenbewegung. Sie sagte einmal: den Männern gefallen ist zu wenig.

 

So gründete sie eine „Lehranstalt für Mädchen“, verfasste entsprechende pädagogische Abhandlungen und Lehrbücher sowie ein Kochbuch, mit dem sie beweisen wollte, dass sich Haufrauenarbeit und intellektuelle Ansprüche nicht widersprechen müssen: „Bremisches Kochbuch. Nebst einem Anhange wichtiger Haushaltungsregeln und der Angabe und Vergleichung der vornehmsten deutschen Maße und Gewichte wodurch dasselbe für ganz Deutschland brauchbar wird“. Das erlebte immerhin 13 Auflagen!

 

 

 

 

Adolph Knigge

 

* 16.10.1752 als Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge in Bredenbeck, † 6.5.1796 in Bremen, deutscher Schriftsteller

  

Adolf Knigge sagte über die Großen dieser Erde, Fürsten, Vornehmen und Reichen: Stimme ihnen nicht bei: daß sie, was sie sind und was sie haben, nur durch Übereinkunft des Volkes sind und haben, daß man ihnen diese Vorrechte wieder nehmen kann, wenn sie Missbrauch davon machen, daß unsre Güter und unsre Existenz nicht ihr Eigentum, sondern daß alles, was sie besitzen, unser Eigentum ist, weil wir dafür alle ihre und der Ihren Bedürfnisse befriedigen und ihnen noch obendrein Rang und Ehre und Sicherheit geben und Geiger und Pfeifer bezahlen; endlich, daß in diesen Zeiten der Aufklärung bald kein Mensch mehr daran glauben wird, daß ein einziger, vielleicht der Schwächste der ganzen Nation, ein angeerbtes Recht haben könnte, hunderttausende wieserdern und bessern Menschen das Fell über die Ohren zu ziehn…

 

In seinem Nachwort zu Knigges „Über den Umgang mit Menschen“ schrieb Wolfgang Becker: „… wer verbindet mit seinem Namen heute noch die Vorstellung eines vom Geiste der Aufklärung geprägten politischen Schriftstellers? Wer denkt heute noch daran, dass sein berühmtes Buch Über den Umgang mit Menschen am Vorabend der Französischen Revolution erschien? Und wenn dieses Buch im strengen Sinne auch kein ‚Revolutionsbuch’ ist wie verschiedene seiner Romane und Satiren, so atmet es doch den Geist der Aufklärung und wendet sich vornehmlich an die Klasse, die in Frankreich die entscheidende Kraft des politischen Umsturzes wurde, das Bürgertum. Auf jeden Fall war sein Umgang mit Menschen alles andere als ein Etikettebuch, wie es später immer wieder missverstanden wurde und in dem Begriff ‚sich nach Knigge benehmen’ noch heute fortlebt.

 

Verliere nie die Zuversicht zu dir selber, das Bewusstsein deiner Menschenwürde!

 

  

 

Betty Ann Ong

 

* 5.2.1956 in San Francisco, † 11.9.2001 in New York, amerikanische Flugbegleiterin

 

Betty Ann Ong war Flugbegleiterin des American Airlines Fluges 11, der Boeing also, die am 11. September 2001 als erste von den Al-Kaida-Attentätern auf dem Flug von Boston nach Los Angeles entführt wurde.

 

Betty Ong rief unmittelbar nachdem die Terroristen das Flugzeug in ihre Gewalt gebracht hatten das Bodenpersonal an und übermittelte mutig, was an Bord geschah, bis der Jet in den Nordturm des New Yorker World Trade Centers krachte.

 

Betty Ong wurde nur 45 Jahre alt.

 

 

 

 

Roger Cicero

 

* 6.7.1970 als Paul Marcel Cicero Ciceu in Berlin, † 24.3.2016 in Hamburg, deutscher Sänger

 

Was kommt am Ende der Straße

 

Auf der ich gra'd rase

 

Am Ende der Pläne

 

Trophäen und Probleme

 

Hab' das Finale fast gesehen

 

Welchen Film kann ich noch drehen?

 

Hab' kein'n Fuß in der Tür

 

Mehr bei mir

 

Komm' ich mit dem der ich mal war

 

Eigentlich morgen noch klar?

 

Bin für mich selber nur noch Rohmaterial

 

Ich bau mich um und lebe noch mal…

 

sang Roger Cicero zwei Jahre vor seinem Tod.

 

 

Was immer auch kommt

 

Es kommt mir entgegen

 

Inmitten des Dschungels

 

Aus Mitteln und Wegen

 

Was immer auch kommt

 

Nichts kann mehr so bleiben

 

Es gibt noch kein Wort

 

Mich neu zu beschreiben

 

Was immer auch kommt

 

Es kommt mir gelegen

 

Ich werde mich löschen

 

Und selbst überleben

 

Was immer auch kommt

 

 

Roger Cicero sang für Horst Jankowski und Peter Herbolzheimer, beim Montreux Jazz Festival und beim Eurovison Song Contest.

 

 

Entrümpel' all diese Räume

 

Ich brauch' neue Träume

 

Muss weg von der Schiene

 

Aus blinder Routine

 

Nehm' alle Bilder aus dem Rahmen

 

Geb meinen Nachbarn neue Namen

 

Geh mein Herz nochmal durch

 

Freund für Freund

 

Ich werd' mich heut von mir trenn'n

 

Und lern' mich morgen neu kenn'n

 

Der Moment in dem du alles stornierst

 

Ist der Moment in dem du kapierst

 

  

Roger Cicero starb wie sein Vater, der Jazz-Pianist Eugen Cicero, durch eine Hirnschlag.

 

 

 

Dimitar Dimow

* 25.6.1909 in Lowetsch, † 1.4.1966 in Bukarest, bulgarischer Arzt und Schriftsteller

 

Dimitar Dimow studierte Veterinärmedizin und praktizierte in Burgas als Tierarzt und lehrte später als Professor für Anatomie, Embryologie und Histologie in Sofia.

Als Schriftsteller debütierte er im Alter von 29 Jahren mit dem Roman „Oberleutnant Benz“. Weitere Romane folgten, so „Tabak“, der einer der meistgelesenen Romane Bulgariens wurde. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde er zum Präsident des Bundes der bulgarischen Schriftsteller gewählt.

 

  

  

 

Girolamo Savonarola

 

* 21.9.1452 als Girolamo Maria Francesco Matteo Savonarola in Ferrara, † 23.5.1498 in Florenz, italienischer Mönch

  

Im Alter von 22 Jahren brach Girolamo Savonarola sein Medizinstudium ab und trat in das Dominikanerkloster San Domenico von Bologna ein, um nicht wie ein Tier unter Schweinen, sondern als vernünftiger Mensch zu leben. Alsbald entwickelte er sich zu einem gesuchten Buß-Prediger, der eine grundlegende Kirchenreform forderte.

 

Seine flammenden Reden gegen die Verkommenheit der herrschenden Schichten wurden zunehmend bejubelt. Er prangerte kirchliche Missstände, Reichtum schlechthin, ungerechte Herrschaft und die Ausrichtung des zeitgenössischen Renaissance-Humanismus an Idealen der Antike an. Nachdem er das Sterbedatum von Papst Innozenz VIII. zutreffend vorausgesagt hatte, wurde er sogar als Prophet gesehen.

 

Zum Verhängnis wurde ihm jedoch, dass er sich gegen den neuen Papst und für den französischen König als Heilsbringer für Italien aussprach. Als dessen Eroberungszug schmählich gescheitert war, sich aber noch Florenz unter französischer Herrschaft befand, sprach sich Savonarola hier für eine Regierung des Volkes aus.

 

Daraufhin untersagte Papst Alexander VI. Savonarola, weiterhin zu predigen. „Für kurze Zeit hielt dieser sich auch daran, prangerte aber bald wieder die Missstände in der Kirche an. Anfang Februar 1497 ließ Savonarola große Scharen von Jugendlichen und Kindern („Fanciulli“) durch Florenz ziehen, die „im Namen Christi“ alles beschlagnahmten, was als Symbol für die Verkommenheit der Menschen gedeutet werden konnte. Dazu zählten nicht nur heidnische Schriften (oder solche, die von Savonarola dazu gezählt wurden) oder pornographische Bilder, sondern auch Gemälde, Schmuck, Kosmetika, Spiegel, weltliche Musikinstrumente und -noten, Spielkarten, aufwendig gefertigte Möbel oder teure Kleidungsstücke. Teilweise lieferten die Besitzer diese Dinge auch selbst ab, sei es aus tatsächlicher Reue oder aus Angst vor Repressalien. Am 7. Februar 1497 wurden all diese Gegenstände auf einem riesigen Scheiterhaufen auf der Piazza della Signoria verbrannt. Der Maler Sandro Bottichelli warf einige seiner Bilder selbst in die Flammen“, weiß Wikipedia.

 

Am 13. Mai 1497 exkommunizierte der Papst Savonarola als „Häretiker, Schismatiker und Verächter des Heiligen Stuhls“. Dann drohte er sogar dem Magistrat der Stadt Florenz Repressalien an, wenn sie den Bußprediger nicht gefangen nähme. Savonarola kündigte nun als Beweis der Richtigkeit seiner Forderungen eine Feuerprobe an. Diese wurde jedoch verhindert und ein Mob schleppte Savonarola aus seinem Kloster. Er wurde eingekerkert, gefoltert und zum Tode verurteilt.

 

Im Alter von 45 Jahren wurde Savonarola schließlich vor einer riesigen Menschenmenge auf der Piazza della Signoria, demselben Platz, auf dem er das „Fegefeuer der Eitelkeiten“ hatte veranstalten lassen, zunächst gehängt und dann verbrannt. Seine Asche wurde in den Arno gestreut.

 

  

 

John Cipollina

 

* 24.8.1943 in Berkeley, Kalifornien, † 29.5.1994 in San Francisco, amerikanischer Rock-Gitarrist

 

John Cipollina gilt als einer der „Väter“ des West Coast Psychedelic Rock. Einen der Titel, den er mit Quicksilver Messenger Service einspielte, hätte ich in meiner Rockerzeit liebend gern auch auf die Bühne gebracht: „The Fool“, fand dafür aber nie die passende Band.

  

And you hear it in the morning... Says the Golden Sun,

 

Life's song is moving ever onward, from and to the sound of One,

 

Turning in, turning out, spirals high, never down.

 

Wonder, wonder wanders loving, loving lovers.

 

Freefall, tumblin' walls...

 

One world...

 

One... one truth, Heaven's above, Life is Love.

 

Life is love.

 

Love is life.

 

It's love... Love.

 

John Cipollina, litt seit seiner Kindheit an Asthma und wurde dennoch zum Kettenraucher. Nach einem schweren Asthma-Anfall starb er im Alter von 45 Jahren durch ein Lungenemphysem.

 

 

 

 

Vincent Crane

 

* 21.5.1943 als Vincent Cheesman in Reading † 14.2.1989 in London, britischer Keyboarder

  

Time take my life / It’s gotta bring me down. / Down down till I’m free…, intonierte Vincent Crane mit Atomic Rooster.

 

Einige Jahre zuvor hatte er Arthur Brown spektakulär bei „Fire“ begleitet. Und er stand auch mit Rory Gallagher oder Peter Green auf der Bühne.

 

Vincent Crane starb am Valentinstag 1989 im Alter von 45 Jahren an einer Überdosis Schmerztabletten.

 

Time take my life / It’s gotta bring me down. / Down down till I’m free…

 

 

 

Kim Jong-nam

* 10.5.1971 in Pjöngjang, † 13.2.2017 in Sepang, Malaysia, nordkoreanischer Politiker

 

Kim Jong-nam war der älteste Sohn des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-il. Allerdings wurde nicht er, sondern sein jüngerer Bruder King Jong-un als Nachfolger aufgebaut, woraufhin er im Oktober 2010 öffentlich die „Erbfolgedynastie“ der Kims infrage stellte. Da hatte er bereits mindestens vor einem Jahr in Macau um politisches Asyl nachgesucht.

2017 wurde schließlich auf ihn im Flughafen Kuala Lumpur ein Anschlag mit Nervengift verübt, infolge dessen er im nahen Putraya Hospital verstarb.

Zwei Jahre später berichtete das „Wall Street Journal“, das Kim Jong-nam ein Informant des CIA gewesen sei.

 

 

 

 

Charles Cros

 

* 1.10.1842 in Fabrezan, † 9.8.1888 in Paris, französischer Dichter und Erfinder

  

Charles Cros gründete den Dichterkreis „Cercle des poètes Zutigues“ und schrieb die Werke: „Un drame interastral“, „Le Coffret de santal“, „Le Fleuve“, „La Vision du Grand Canal des Deux Mers“ und „Le Collier de griffes“.

 

Zudem entwickelte er mehrere verbesserte Methoden der Fotografie und diverse Neuerungen in der Telegrafie.

 

Und schließlich reichte Charles Cros der Pariser Naturwissenschaftliche Akademie eine Schrift ein, in der er berichtete, dass die Schwingungen von Sxhallwellen durch einen auf einer vibrierenden Membran befestigten Stift gemessen werden können und sich somit die Schwingungen in Metall gravieren ließen, damit eine an einer Membran befestigten Nadel dann über die eingravierten Schwingungen laufen und die Töne reproduzieren würde.

 

Bevor er jedoch zumindest ein Modell seines Tonaufzeichnungsgerätes, seines „Paléophons“, bauen konnte, führte Thomas Alva Edison in den USA den ersten funktionierenden Phonographen vor…

 

  

 

Charles Richard Drew

 

* 3.6.1904 in Washington D.C., † 1.4.1950 in North Carolina, amerikanischer Arzt

  

Im Outro von Black man” singt Stevie Wonder:Who was the father of blood plasma and the director of the Red Cross blood bank? – Dr. Charles Drew, a Black man.”

 

Ja, Charles Richard Drew entwickelte im Jahr 1930 für seine Promotion das Verfahren, Blutkonserven in Blutplasma und Zellkonzentrat zu trennen und getrennt einzufrieren, um sie haltbarer zu machen. Und während des Zweiten Weltkrieges war er Direktor des „Blood for Britain“-Spendenprojekts, dann tatsächlich Direktor der Blutbanken des Roten Kreuzes.

 

Bekannt wurde Charles Richard Drew, als er öffentlich dagegen protestierte, dass weiße US-Soldiers nur Blut von weißen Spendern erhalten sollten.

 

Er kam im Alter von 45 Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Angeblich sei er schwerverletzt ob seiner Hautfarbe von einem nahen Krankenhaus abgewiesen wurden. Das allerdings stellte sich als Versuch einer Legendenbildung heraus.

 

30 Jahre nach seinem Tod wurde Charles Richard Drew eine Briefmarke der Serie „Great Americans“ gewidmet.

 

 

 

 

Gertrud von Helfta

 

* 6.1.1256, † 17.11.1301, deutscher Mystikerin

  

Gertrud von Helfta gehört zu den herausragenden Frauen des Mittelaters; als einzige deutsche Heilige trägt sie den Beinamen die Große“.

 

Sie übersetzte Teile der Bibel, schrieb Erbauungsbücher, in denen sie Aussprüche von Heiligen kompilierte zahlreiche Gebete und diverse andere „aufbauende Schriften“ sowie ihre beiden Hauptwerke, die „Exercitia spiritualia“  und – wohl mit Unterstützung durch Mitschwestern   den „Legatus divinae pietatis“

 

Gertrud von Helfta „verfügte über eine umfassende Kenntnis der theologischen Literatur ihrer Zeit; als literarische Quellen nachweisbar sind u.a. Augustinus vonHippo, Gregor der Große, Beda Venerabilis, Bernhard von Clairvaux, Hugo von St. Viktor, Albetus Magnus, Thomas von Aquin sowie auch Pseudo-Dionysius Areopagita, Richard von St. Viktor und Wilhelm von Saint-Thierry“, weiß Wikipedia. „Aus der Sehnsucht des liebenden Gottes nach dem Menschen, wie sie insbesondere in der Menschwerdung Gottes deutlich wurde, leitet sich bei Gertrud […] die unvergleichliche Würde eines jeden Menschen ab, der in der Begegnung mit Gott zu Selbständigkeit, Selbstbewusstsein und innerer Freiheit findet. In ‚tugendhaftem’ Handeln wird der Mensch dann auch ‚fruchtbringend’ für andere.[

 

Der Schweizer Mediävist Kurt Ruh meinte, Gertrud von Helfta verfügte „über das ganze Repertoire der Liebessprache, die das 12. Jahrhundert entwickelt hat“ und formte damit „Glanzpunkte der sakralen geistigen Liebessprache“.

 

Gertrud von Helfta starb wahrscheinlich im Alter von 45 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.

 

  

 

Yukio Mishima

 

* 14.1.1925 als Hiraoka Kimitake in Tokio, † 25.11.1970 ebd., japanischer Autor

  

Bereits als Kind spürte ich, dass die Welt auf einem Gegensatz beruhte. Den Worten, die ihr einen neuen Anstrich geben, und der Realität, die mit den Worten nichts zu tun hatte. Gemeinhin haben Menschen zuerst einen Körper, dann lernen sie sprechen. Bei mir waren es die Worte, die zuerst kamen.

   

Mishima schrieb mehr als 20 Romane, mehr als 20 Erzählungsbände, mehr als 20 Bühnenwerke, 8 Essaybände, 3 Novellen, Drehbücher, Schauspiele, Gedichte sowie ein Libretto. Er gilt als einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.

 

Schriftsteller sind die größten aller Voyeure. Diese Sichtweise habe ich gehasst. Ich wollte nicht nur sehen, sondern auch gesehen werden.

  

Mishima wirkte auch erfolgreich als Schauspieler, Model und politischer Aktivist.

  

Worte sind trügerisch. Doch Taten kennen keine Lügen.

  

Mishima sorgte sich um die Identität Japans, lehnte den zunehmende westlichen, materialistischen Einfluss auf sein Heimatland ab gründete sogar eine eigene Miliz, die Tatenokai, und unternahm eine Putschversuch, um die Macht des japanischen Kaisers zu restaurieren. Da dieser Putsch fehlschlug, beging Mishima rituellen Selbstmord, Seppuku.

 

 

 

 

José Enrique Rodó Piñero

 

* 15.7.1871 in Montevideo, † 1.5.1917 in Palermo, uruguayischer Essayist

  

José Enrique Rodó Piñero schrieb den möglicherweise meistdiskutierten Essay in der Geschichte Lateinamerikas. Darin warnt er vor dem weltweit, nach dem Sieg der USA im Spanisch-Amerikanischen Krieg aufsteigenden Utilitarismus, und zeigt Unterschiede zwischen Angloamerika und Lateinamerika auf. Obwohl Rodó nie ein Hochschulstudium abschloss, war er Literaturprofessor und Stadtverordneter in Montevideo. Auf einer seiner Europareisen verstarb er in einem sizilianischen Hotel.

 

Jeanny und ich besuchten seine Heimatstadt Anfang 2014:

 

Fahrt über den meeresbreiten Rio de la Plata, dessen braungraue Wasser bei gewissen Sonnenständen zuweilen tatsächlich silbern scheinen.

 

Mario Benedetti, weltbekannter uruguayischer Schriftstellere, beschreibt in seinem Tagebuch-Roman „Die Gnadenfrist“ (1959) anhand des Wahrzeichens der Landeshauptstadt Montevideo seine Heimat so: „Dieses folkloristische Monstrum des Palacio Salvo habe ich richtig lieben gelernt. Nicht umsonst findet man ihn auf allen Ansichtskarten. Er ist so etwas wie das steinerne Abbild unseres Nationalcharakters: dreist, fade, überladen und liebenswert…“

 

Und im Werk eines anderen Uruguayers, „Das kurze Leben“ (1950) von Juan Carlos Onetti (der übrigens wie Borges Bibliothekar war), gilt sogar als Vorläufer des modernen südamerikanischen Romans, von Marquez oder Llosa.

 

Interessant auch die Deutung des Landesnamens: Uruguay heißt offiziell „Republik östlich des Uruguay“. Und der Name des Flusses wiederum stammt aus dem Guarani und bedeutet: Fluss der bunten Vögel. So gesehen bereisen wir nun also das Land östlich des Flusses der bunten Vögel.

 

Dazu passt wohl bestens, dass der derzeitige Staatspräsident, wie der Bürgermeister der Landeshauptstadt, ehemalige Tupamaros, Stadtguerillas, sind. Und tatsächlich hat das uruguayische Parlament jüngst Haschisch legalisiert (und Berg-Karabach anerkannt).

 

Im Hafengebäude ein Geschützturmteil und Anker des deutschen Panzerkreuzers „Admiral Graf Spee“ (nebst Gedenktafel): von englischen Zerstörern gejagt und waidwund geschossen, versenkte Kapitän Langsdorff im Dezember 1939 das Prunkstück der hitlerschen Kriegsmarine im Rio de la Plata (nachdem er die Besatzung in Montevideo heimlich von Bord gehen ließ).

 

Wir schlendern weiter zum Plata Zabata, wo eine schrill-bunte Papageien-Kolonie in den Palmen nistet, dann zur Plaza Constititión mit der verräucherten Kathedrale, und schließlich zur Plaza Independencia mit dem Palacio Salvo (s.o.) und dem monströsen Reiterdenkmal für José Gervario Artegas, der als Gründer Uruguays gilt, samt pompösen Mausoleum, wo Soldaten in Uniformen aus jener Gründerzeit die Urne des Landeshelden (der jedoch wichtige Freiheitskämpfe verlor) bewachen.

 

Irgendwie fühlen wir uns wohl in Montevideos Widersprüchlichkeiten, empfinden die wesentlich kleinere Hauptstadt sogar als weltläufiger, offener, freier als Buenos Aires, könnten durchaus noch verweilen, ganz im Geiste Rodós…

 

 

 

Muguelina Aurora Acosta Cárdenas

* 23.11.1887 in Yurimaguas, Pseudonyme: „Maac“ und „Ernedosa“, † 26.10.1933 in Lima, peruanische Juristin

 

Miguelina Aurora Acosta Cárdenas verfasste eine Dissertation mit dem Thema „Notwendige Reformen des peruanischen Zivilgesetzbuches, um die zivile und rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau wirksam zu machen“ und war danach die erste peruanische Frau, die eine eigene Anwaltskanzlei eröffnete. Sie gründete die Zeitschrift „La critica“ mit, verfasste nicht zuletzt Artikel über Frauenrechte und wirkte im Vorstand der Organisation „Evolución Femenina“.

Miguelina Aurora Acosta Cárdenas starb im Alter von 45 Jahren, nachdem ihr ein Zahn gezogen worden war und die Wunde sich entzündete. Am 8. März 2022 wurde sie postum mit dem peruanischen Orden „Mérito de la Mujer“ geehrt.

 

 

 

 

 

Nat „King” Cole

 

* 17.3.1919 als Nathaniel Adams Coles in Montgomery, Alabama, † 15.2.1965 in Santa Monica, Kalifornien, amerikanischer Jazz-Pianist

  

Bereits im Alter von vier Jahren spielte Nat Cole in der Baptisten-Kirche seine Vaters Klavier. Mit zwanzig gründete er das legendäre Nat-King-Cole-Trio, und alsbald begann er auch zu singen. Mit sechsundzwanzig hatte er seinen ersten Nummer 1 Hit: „For Sentimental Reasons“,  und im Alter von 28 Jahren wurde er mit „Nature Boy“ auch international berühmt.

 

Dann hatte er eine eigene Radio- und auch eine eigene Fernsehshow und er spielte in diversen Hollywoodfilmen mit, so in „Cat Ballou“ oder „Citizen Kane“.

 

Nat King Cole starb im Alter von 45 Jahren an Lungenkrebs.

 

 

  

 

Siegfried Jacobsohn

 

* 28.1.1881 in Berlin, † 3.12.1926 ebd., deutscher Journalist

  

Siegfried Jacobsohn, Gründer und Herausgeber der „Weltbühne“ galt als ausgesprochen streitbarer Charakter. Seine, immer mal wieder nicht ausreichend durch Recherchen abgesicherten Attacken brachten ihm im Laufe seiner Verlegertätigkeit etwa vierzig Prozesse ein, von denen er viele, aber nicht alle gewann.

 

Siegfried Jacobsohn war neben der „Weltbühnen“-Arbeit noch für weitere Periodika zuständig, so für die Deutsche Montagszeitung (Berlin), die Frankfurter Nachrichten, die Weser-Zeitung (Bremen), die Prager Presse, das Prager Tagblatt und die Zeit im Bild (Berlin/München/Wien).

 

Nur wenige Wochen vor seinem 46. Geburtstag starb er plötzlich an einem epileptischen Anfall.

 

 

  Anne Sexton

* 9.11.1928 als Anne Gray Harvey in Newton, Massachusetts, † 4.10.1974 in Weston Massachusetts, amerikanische Dichterin

 

Nachdem Anne Sexton einen ersten Selbstmordversuch unternommen hatte, ermutigte sie ihr Psychiater, Gedichte zu schreiben. Schon ihr erster Gedichtband „To Bedlam and Part Way Back“ wurde ein Erfolg, brachte ihr Förderpreise und sogar Lehraufträge an amerikanischen Universitäten ein. Ein zweiter Selbstmordversuch und der Band „Live or Die“ folgte 1966, im Jahr darauf erhielt sie den Pulitzer-Preis. Ihr letzter Gedichtband Love Poems“ erschien 1974, und im Oktober diesen Jahres gelang es ihr, sich mit Kohlenmonoxid zu vergiften.

Von Anne Sexton erscheinen acht weitere Bücher, zwei davon postum. Und sie schrieb das Theaterstück. „Mercy Street“.

Mit seinem Song „Mercy Street“ erwies Peter Gabriel Anne Sexton zwölf Jahre nach ihrem Freitod die Ehre mit "Mercy Street".

 

Looking down on empty streets, all she can see

Are the dreams all made solid

Are the dreams made real

 

All of the buildings, all of the cars

Were once just a dream

In somebody's head

 

She pictures the broken glass, pictures the steam

She pictures a soul

With no leak at the seam

 

Let's take the boat out

Wait until darkness

Let's take the boat out

Wait until darkness comes

 

Nowhere in the corridors of pale green and gray

Nowhere in the suburbs

In the cold light of day

 

There in the midst of it, so alive and alone

Words support like bone

 

Dreaming of Mercy Street

Where you're inside out

Dreaming of mercy

In your daddy's arms again

Dreaming of Mercy Street

‘Swear they moved that sign

Dreaming of mercy

In your daddy's arms…

  

 

 

 

Gábor Szabó

* 8.3.1936 in Budapest, † 26.2.1982 ebd., ungarischer Gitarrist

 

Gábor Szabó begann als Autodidakt im Alter von 14 Jahren Gitarre zu spielen. Vier Jahre später trat er schon in verschiedenen Formationen als Berufsmusiker auf und komponierte für Radio und Film.

Nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes emigrierte er Ende 1956 in die USA, studierte am Berklee College of Music in Boston und spielte mit Toshiko Akiyoshi, Marshall Brown, Chico Hamilton, Charles Lloyd, Ron Carter, Paul Desmond und anderen Größen des Jazz. Sein Stück „Gypsy Queen“ wurde als Teil von Carlos Santanas „Black Magic Woman“ zum Welthit.

Gábor Szabó starb im Alter von 45 Jahren während eines Urlaubs in seinem Heimatland an Leber- und Nierenversagen.

 

 

 

 

Kurt Tucholsky

 

* 9.1.1890 in Berlin, † 21.12.1935 in Göteborg, deutscher Schriftsteller

  

Soweit ich mich erinnere, wurde ich am 9. Januar 1890 als Angestellter der „Weltbühne“ zu Berlin geboren. Meine Vorfahren haben, laut „Miesbacher Anzeiger“, auf Bäumen gesessen und in der Nase gebohrt. Ich selbst lebe still und friedlich in Paris, spiele täglich nach Tisch mit Doumergue und Briand ein halbes Stündchen Schafkopf, was mir nicht schwerfällt, und habe im Leben nur noch einen kleinen Wunsch: die Rolle der deutschen politischen Gefangenen und ihrer Richter einmal vertauscht zu sehen.

  

Im Jahr 1926, als Kurt Tucholsky diese „Autobiographie“ verfasste, zog er von Berlin in den Pariser Vorort Le Vésinet. 1929, ein Jahr nachdem er seinen „Kurt Tucholsky… haßt… liebt“-Text geschrieben hatte, verlegte er seinen Wohnsitz nach Hindås bei Göteborg. 1933 verbrannten die Nazis die Bücher Kurt Tucholskys und erkannten ihm die deutsche Staatsbürgerschaft ab.

  

Kurt Tucholsky

 

(Peter Panther, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel, Kaspar Hauser)

 

haßt:                                                       liebt:

 

das Militär                                              Knut Hamsun

 

die Vereinsmeierei                                  jeden tapfern Friedens-

 

Rosenkohl                                               soldaten

 

den Mann, der immer in                         schön gespitzte Bleistifte

 

der Bahn die Zeitung                              Kampf

 

mitliest                                                    die Haarfarbe der Frau,

 

Lärm und Geräusch                               die er gerade liebt

 

‚Deutschland“                                        Deutschland

  

In Hindås konnte Kurt Tucholsky letztlich nicht mehr ohne Barbiturate zur Ruhe kommen, nicht einschlafen. Am Abend des 20. Dezember 1935 nahm er eine Überdosis Veronal ein, was lange Zeit als Selbstmord galt, neuerdings aber auch als versehentliche Überdosierung gedeutet wurde.

 

Seine Asche wurde nahe von Schloss Gripsholm unter einer Eiche beigesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dem Grab eine Platte mit der Inschrift „Alles Vergängliche Ist Nur Ein Gleichnis“ zugefügt. Kurt Tucholsky hatte in seiner Satire „Requiem“ allerdings diesen Epitaph vorgeschlagen: Hier ruht ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze / Gute Nacht -!

 

 

 

 

Joachim Edlef Köppen

 

* 1.3.1893 in Genthin, † 21.2.1939 in Gießen, deutscher Schriftsteller

  

2014 schreib ich für ein Edlef-Köppen-Lesebuch:

 

Im Jahr 1930 erschien Edlef Köppens Aufsehen erregender „Heeresbericht“, und 1930 erschien auch das Buch, das den 1904 in Merseburg geborenen und 1976 in Toronto gestorbenen Schriftsteller Walter Bauer schlagartig berühmt machen sollte: „Stimme aus dem Leunawerk“, ein Buch, das Bauer die Anerkennung Kurt Tucholskys oder Hermann Hesses und die Freundschaft Stefan Zweigs eintragen sollte.

 

Mittlerweile sind beide, aus dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt stammenden Schriftsteller trotz kulturpolitischer und sogar editorischer Bemühungen aus dem Fokus des literarischen Interesses verschwunden. Gelten als so gut wie vergessen, sollten jedoch unbedingt feste Größen der Erbepflege wie der Literaturvermittlung im Lande Sachsen-Anhalt sein. Diese beiden wichtigen deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts gehen uns im besten Wortsinne etwas an, haben uns nach wie vor etwas zu sagen!

 

Interessant sind Parallelen im Schaffen Bauers und Köppens (und nicht nur in Hinsicht auf Jahreszahlen): die strikte Anti-Kriegs-Haltung, der prägende Humanismus und (nicht zuletzt) die zuweilen erstaunlich modernen Erzählansätze und –perspektiven. So verstehen es beide immer wieder geschickt, Faktisches und Fiktives zu mischen und beide nutzen einen erstaunlich breiten Formenkanon, der von Nachricht, Bericht und Erzählung sogar bis ins Lyrische spielt.

 

Kein Wunder also, dass sich sogar direkte thematische Bezüge finden lassen. So beginnt Köppens „Heeresbericht“ mit Mobilmachungs-Befehlen, -Erklärungen, -Meldungen des Sommers 1914 und führt zum Schicksal seines Helden, des Kriegsfreiwilligen Adolf Reisiger. Köppen bringt Reisigers Einberufung aus der Sicht von dessen Mutter ein. […] Bauer erzählte aus der Sicht eines Kindes über verblüffend ähnliche Beobachtungen aus jenem Kriegssommer 1914 – allerdings kurz vor Ausbruch des nächsten, des Zweiten Weltkriegs…

 

 

 

 

Georges Perec

 

* 7.3.1936 in Paris, † 3.3.1982 in Ivry-sur-Seine, französischer Autor

  

George Perec, Sohn polnischstämmiger, jüdischer Einwanderer schreibt autobiografisch in „W ou le souvenir d'enfance  - W  oder die Erinnerung an die Kindheit“: Ich habe keine Kindheitserinnerungen. Die Geschichte meines Lebens bis etwa zum zwölften Jahr läßt ich in wenigen Zeilen beschrieben: Mit vier Jahren habe ich meinen Vater verloren, mir sechs meine Mutter; die Kriegsjahre verbrachte ich in verschiedenen Pensionen in Villard-de-Lans. 1945 nahmen mich die Schwester meines Vaters und ihr Mann in ihrer Familie auf.

 

1965 erhielt er für sein Literaturdebüt „Les choses – Die Dinge“ den renommierten Prix Renaudot. Dann schrieb er vor allem Hörspiele und begann Filme zu drehen. 1974 wurde der auf seinem Roman „Un Homme qui dort – Ein schlafender Mann“ basierende Film mit dem Prix Jean Vigo ausgezeichnet und sein Meisterwerk, der 1978 erschienene, durch eine Puzzle-Erzähltechnik strukturierte Roman „Roman La Vie mode d'emploi -  Das Leben eine Gebrauchsanweisung" mit den Prix Médicis.

 

1981 lehrte George Perec an der University of Queensland in Australien und begann dort sein Werk „53 Jours – 53 Tage“, das er allerdings nicht mehr vollenden konnte. George Perec starb 4 Tage vor seinem 46. Geburtstag an Lungenkrebs.

 

Undeutlich spüre ich, daß die Bücher, die ich geschrieben habe, ihren Sinn aus einem alles umfassenden Bild beziehen, das ich mir von der Literatur mache, doch ich habe das Gefühl, daß ich dieses Bild wohl nie genau zu greifen vermag, daß es für mich etwas ist, das jenseits des Schreibens steht, ein ,Warum ich schreibe‘, auf das ich nur schreibend antworten kann, wobei ich unaufhörlich den Augenblick hinausschiebe, in dem dieses Bild, weil ich aufhöre zu schreiben, sichtbar werden würde, ähnlich wie ein Puzzle, das ein für alle Mal abgeschlossen ist.

 

  

 

 

Boubé Zoumé

 

* 30.12.1951 in Gaya, † 15.1.1997 in Niamey, nigrischer Schriftsteller

  

Boubé Zoumé gehörte zur Volksgruppe der Songhai und seine Muttersprache war Zarma. Er schrieb jedoch auf Französisch.

 

Boubé Zoumé entstammte einer Familie von Fischern am Fluss Niger, studierte Betriebswirtschaft in der Landeshauptstadt Niamey und gilt als einer der bedeutendsten Lyriker des Staates Niger. 1997 erschien sein bekanntestes Werk, die Gedichtsammlung „Les souffles du coœr – Atemzüge des Herzens“, 1996, ein Jahr vor seinem Tod, die Erzählung „Talibo, l’enfant du quartier – Talibo, das Nachbarskind“, in dem er das Leben eines Koran-Schülers angesichts gesellschaftlicher Auflösung schildert.

 

  

 

Agathias

 

* um 536 in Myrina, † um 582 in Konstantinopel, oströmischer Historiker

  

Agathias studierte Rechtswissenschaften und praktizierte in Konstantinopel als Scholastikus, als Rechtsanwalt. In Smyrna war er des Gelderwerbs wegen als Pater civictatis, eine Art Verwaltungsbeamter, für den Bau öffentlicher Toiletten zuständig. Agathias veröffentlichte erotische in Hexametern verfasste Mythen, die „Daphniaka“ und Epigramme, von denen etwa 100 später immerhin in die „Anthologica Graeca“ aufgenommen wurden.

 

Bis heute bekannt blieb er jedoch vor allem durch seine fünfbändigen „Historien“, in dessen Vorwort er sich beklagt, das er ob seiner beruflichen Verpflichtungen nur langsam vorankomme. Agathias „Historien“ zählt zu den letzten Werken spätantiker Geschichtsschreibung.

 

Wikipedia weiß: „Das erste Buch sowie der Anfang des zweiten berichten über den Einfall der Franken und Alamannen in Italien nach dem im Oktober 552 erfolgten Tod des Ostgotenkönigs Teja, sowie über die Auseinandersetzungen des oströmischen Generals Narses mit den Franken und Goten bis zum Ableben des merowingischen Herrschers Theudebald (November/Dezember 555). Im weiteren Verlauf des zweiten Buchs folgt die Darstellung des Erdbebens von 551, das Berytos zerstörte, sowie die Hinwendung zum östlichen Kriegsschauplatz von Lazika Nach einer ausführlichen Übersicht über die persische Religion am Ende des zweiten Buches werden im dritten und vierten hauptsächlich die Kämpfe der Oströmer und Lazen gegen die Sassaniden, die Ermordung des Lazenkönigs Giubazes II. durch zwei oströmische Befehlshaber sowie der darauffolgende Prozess gegen die Attentäter und schließlich die oströmisch-persischen Friedensgespräche des Jahres 557 behandelt. Das fünfte Buch schildert vornehmlich das 557 in Konstantinopel aufgetretene Erdbeben, die dadurch bewirkte Zerstörung und daraufhin vorgenommene Wiedererrichtung der Hagia Sophia sowie den Ausbruch der Pest in der oströmischen Hauptstadt im Jahr 558. Es endet abrupt mit dem Bericht über die im Folgejahr errungenen Abwehrerfolge Belisars gegen eine Attacke der Kutriguren, die Konstantinopel bedrohten.“

 

Agathias starb bevor er sein Werke vollenden konnte.

 

  

 

Alkibiades

 

* um 450 v. Chr. in Athen, † 404 v. Chr. in Melissa, Phrygien, griechischer Staatsmann und Feldherr

  

Sokrates war der Lehrer von Alkibiades, Platon, Thukydides und Xenophon berichten über ihn, nicht zuletzt über seinen widerspenstischen Charakter.

 

Alkibiades befürwortete die Attische Demokratie und versuchte gegen Sparta vorzugehen. Dann musste er jedoch aus Athen fliehen

 

und kämpfte mit den Spartanern gegen Athen. Als er sich auch in Sparta Feinde gemacht hatte, floh er zu den Persern und versuchte Spartaner und Athener gegeneinander auszuspielen. Nach einigem Hin und Her besiegte er schließlich mit athenischen Truppen persische Heere und Flotten, kehrte nach Athen zurück, wurde zum „strategos autokrator“ gewählt, geriet letztlich aber erneut in Missgunst und wurde auf der Flucht ermordet.

 

Immerhin gelang ihm auch ein Olympiasieg. Bei der 91. Olympiade hatte er sieben Mannschaften ins Wagenrennen geschickt, von denen eine gewann. Und da damals nicht der Wagenlenker, sondern der Rennstallbesitzer geehrt wurde, kam Alkibiades diese bleibende Ehre zu.

  

 

 

Augusto Berns

 

* 8.6.1842 als Rudolph August Berns in Uerdingen, † nach 1887, deutscher Entdecker

  

Als junger Mann wanderte Rudolph August Berns nach Peru aus, nannte sich fortan Augusto Berns und arbeitete als Landvermesser für eine Eisenbahngesellschaft.

 

Dabei stieß er 1867 nachweislich auf die Ruinen Machu Picchus. Hiram Bingham, der lange Zeit als Entdecker der alten Inkastadt galt, weilte erst 44 Jahre später erstmals dort.

 

Schau an.

 

 

 

 

Otto Brunfels

 

* 1488 in Mainz, † 23.11.1534 in Bern, deutscher Humanist

  

Otto Brunfels zählt mit Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs zu den „Vätern der Botanik“.

 

Er verfasste aber mit seinem Werk „Catalogi virorum illustrium“ auch das erste Geschichtsbuch der evangelischen Kirche. Nicht von ungefähr listet ihn ein von der katholischen Universität Löwen im Jahre 1550 ausgestelltes Verzeichnis der Hauptketzer an erster Stelle.

 

Und Brunfels veröffentlichte eine Schrift über die Wirkung der Astrologie auf die Medizin, worin er die Meinung vertrat, dass die Astrologie die Lehrmeisterin der Medizin sei, und jene Ärzte, die ohne Astrologie arbeiten, alles dem Zufall überließen.

 

Als Botaniker stützte er sich nicht, wie bis dahin üblich, auf die einschlägigen Schriften des Altertums, sondern beschrieb die Pflanzen aus eigener Anschauung. In seinen KräuterbüchernHerbarum vivae eicones“  und „Contrafayt Kräuterbuch“ ließ Holzschnitte der die von ihm selbst gefundenen einheimischen Pflanzen einfügen und setzte deren deutschen Namen unter die Abbildungen.

 

Der große französische Botaniker Charles Plumier benannte ihm zu Ehren die Gattung Brunfelsia der Nchatschattengewächse.

 

  

 

 

Engelbrekt Engelbrektsson,

 

* wahrscheinlich 1390er in Englikobenning, Västmanland, † 4.5.1436 auf einer Insel im Hjalmären, schwedischer Freiheitskämpfer

  

Peter Weiß lässt in seiner „Ästhetik des Widerstands“ Bertolt Brecht im schwedischen Exil ein Stück über Engelbrekt Engelbrektsson skizzieren: „Die Erwähnung Engelbrekts, oder Engelbrechts, wie Brecht ihn anfangs noch, nach seinem ursprünglichen deutschen Namen nannte, hatte ihn sogleich beeindruckt, er legte seine Heftigkeit, seinen Zorn in diese Gestalt, malte sie sich schon aus, ehe ihm Einzelheiten über seinen Charakter und Wirken bekannt waren. Engelbrekt aufgreifend, konnte er auch Stellung nehmen zur Geschichte dieses Lands, in das es ihn verschlagen hatte.“

 

Engelbrekts Vorfahren waren aus Deutschland eingewanderte Bergleute. Sein Vater gründete wahrscheinlich sogar Englikobenning, den Ort, in dem Engelbrekt geboren wurde,

 

Im Frühjahr 1434 setzte Engelbrekt sich an die Spitze eines Aufstandes […] in der Provinz Dalarna gegen König Erik VII.. Die Bergbauregion hatte massiv unter dem Krieg Eriks gegen Holstein und die Hanse zu leiden, da er die Ausfuhr der Bodenschätze unterbrach und zu steigenden Steuern führte. Schnell griff der Aufstand auf ganz Schweden über und Engelbrekt erhielt Unterstützung aus Klerus und Adel. 1435 kontrollierte er nahezu ganz Schweden und wurde zum Reichshauptmann gewählt“, weiß Wikipedia.

 

Dann wurde er jedoch von königstreuen Rittern ermordet und der Aufstand begann zu schwächeln, der Widerstand versiegte.

 

  

 

 

Eric Establie

 

* 30.9.1964, † 3.10.2010 bei Labastide-de-Virac, französischer Höhlenforscher

  

Eric Establie drang mit anderen Tauchern in das Höhlenreich der Gorges de l`Ardèche vor. Da das Höhlengestein sehr wasserdurchlässig ist, bildeten sich hier unterirdische Bäche und Flüsse aus, die ein Gewirr aus Gängen, Kaminen und Grotten ausspülten. Eric Establie hatte bereits Teile dieses Reiches erforscht und galt als einer der besten Kenner dieses Höhlensystems. Anfang Oktober 2010 tauchte er dann mit einem Scooter, einem Unterwasserpropeller, den anderen voraus. Er sollte nicht mehr zurückkehren.

 

Neun Tage lang versuchten Rettungskräfte bei starken Regen und anschwellenden Wasserständen zu Eric Establie vorzudringen, hofften, dass er in einer Luftkammer überlebt habe. Sie bohrten unablässig einen Schacht nach unten. Zugleich mühten sie sich, über Felskamine und Spalten voranzukommen und Taucher verfolgten den Weg, den Eric Establie voraus geschwommen war. Und schließlich fanden sie seine Leiche 70 Meter hinter herabgestürzten Geröll, das ihm den Rückweg versperrte. Wenige Tage nach seinem 46. Geburtstag war Eric Establie ertrunken.

  

 

 

 

Humphrey Gilbert

 

* um 1537, † 9.9.1583 im Nordatlantik, englischer Abenteurer

  

Humphrey Gilbert gründete die erste englische Kolonie in Nordamerika und war ein Halbbruder Walter Raleighs.

 

In Irlands stiftete er als Gouverneur von Ulster und bei der Ansiedlung von Engländern im heutigen Cork County Chaos. In England wurde er ins Parlament gewählt und unterstützte ein alchemistisches Projekt, bei dem Eisen in Kupfer und Antimon in Quecksilber verwandelt werden sollte. Dann strengte er einen Feldzug gegen die Niederlande an, und als der scheiterte, schlug er die Gründung einer Akademie in London vor und baute die Society of the New Art mit auf.

 

Nach einigen fehlgeschlagenen See-Abenteuern segelte er schließlich im Juni 1583 mit 5 Schiffen gen Neufundland. Seine Crew bestand vor allem aus Kriminellen und Piraten.

 

„Bei der Ankunft im Hafen von St. John's wurde Gilberts Flotte der Weg von lokalen Fischerbooten blockiert […]. Nachdem dieser Widerstand überwunden war, zeigte Gilbert seine Lizenz von der Krone vor und nahm Neufundland in einer offiziellen Zeremonie am 5. August 1583 im Namen der Krone in Besitz, einschließlich des Landes innerhalb von 200 Legua im Norden und Süden. Gilbert übernahm das Kommando über die lokale Fischereiflotte und belegte sie mit Steuern, unternahm aber keinen Versuch einer Ansiedlung. Nach wenigen Wochen legte seine Flotte wieder Richtung Heimat ab“, berichtet Wikipedia.

 

Dabei geriet Gilberts Schiff, die „Sqirell“ jedoch in einen Sturm und sank mit Mann und Maus in den Wellen.

 

 

 

 

Adolf Reichwein

 

* 3.10.1898 in Ems, † 20.10.1944 in Berlin-Plötzensee, deutscher Pädagoge

  

Adolf Reichwein gründete und leitete nach seinem Studium in Jena die Volkshochschule und das Arbeiterbildungsheim. Dann wirkte er als Leiter der Pressestelle und persönlicher Referent des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker sowie von 1930 bis zur Machtergreifung der Nazis als Professor an der neu gegründeten Pädagogischen Akademie Halle (Saale). Nach seiner Entlassung engagierte er sich als Lehrer in einer Ein-Klassen-Schule in Tiefensee, entwickelte hier ein von der Wandervogelbewegung und Arbeitsschulpädagogik geprägtes Unterrichtskonzept mit Schwerpunkt in Fahrten, handlungsorientierten Unterricht mit Schulgarten und jahtansübergreifenden Vorhaben. Adolf  Reichwein teilte beispielsweise die Unterrichtsinhalte in einen Sommerkreis (Natur- und Weltkunde) und einen Winterkreis (Mensch als Gestalter in seiner Landschaft) ein.

 

Ab 1939 arbeitete Adolf Reichwein schließlich als Museumspädagoge am Staatlichen Museum für deutsche Volkskunde in Berlin.

 

Und er war aktives Mitglied des Kreisauer Kreis im Widerstand gegen Hitler, sollte nach einem erfolgreichen Umsturz deutscher Kultusminister werden.

 

Ein Spitzel verriet ihn jedoch, er wurde verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und wenige Tage nach seinem 46. Geburtstag hingerichtet.

 

  

 

Caroline Schelling

 

* 2.9.1763 als Dorothea Caroline Albertine Michaelis in Göttingen, verwitwet Böhmer, geschieden Schlegel, † 7.9.1809 in Maulbronn, deutsche Schriftstellerin

  

Nachdem ihr Jugendfreund, der Clausthaler Amts- und Bergarzt Johann Franz Wilhelm Böhmer verstorben war, zog sie in das seinerzeit von französischen Revolutionstruppen besetzte Mainz, bezeichnete sich selbst als kokette junge Witwe, zeugte ihr der elf Jahre jüngere Leutnant Jean Baptiste Dubois-Crancé nach einem Ball ein Kind der Glut und Nacht.

 

Vor der drohenden preußischen Rückeroberung von Mainz durch preußische Truppen verließ sie die Stadt, doch wurde schon in Oppenheim als Jakobinerfreundin festgenommen und auf  den Festungen Königsstein und Kronberg im Taunus inhaftiert. Nach ihrer Freilassung brachte sie August Wilhelm Schlegel bei einem befreundeten Arzt im sächsischen Lucka unter, wo ihr Sohn Wilhelm Julius zur Welt kam und Schlegel dessen Taufpate wurde. Sie blieb jedoch gesellschaftlich als „Democratin“ und „leichtfertige“ Frau geächtet. Es erschien sogar ein Pasquill mit dem Titel: „Die Mainzer Klubbisten zu Königstein: Oder, die Weiber decken einander die Schanden auf“. Und da sich ihrer wirtschaftliche Situation weiter zuspitzte, heiratete Schlegel sie schließlich und zog mit ihr nach Jena, wo sie ihren zweiten Gatten bei der Übersetzung von Werken Shakespeares assistierte. Und als es zunehmend zu einer Entfremdung zwischen dem Klassiker Schiller und dem Romantiker Schlegel kam, notierte sie 1799: …  über ein Gedicht von Schiller, das Lied von der Glocke, sind wir gestern Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen. Nun nannte Frau Schiller Caroline Schlegel „Dame Luzifer“ und „Das Übel, und riet Jenaer Hausfrauen: „Die Schillern lässt Dir sagen, sowie die Schlegeln zum Haus heraus ist, sollst Du alle Türen und Fenster öffnen und dann zwei Pfund Räucherpulver verschießen, damit die Luft von der früheren Bewohnerin bis zu deren letzten Hauch gereinigt werde. Ein Pfund Räucherpulver wolle die Schillern selbst dazu geben.

 

Und als dann der zwölf Jahre jüngere Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling nach Jena kam, ging sie mit ihm eine Liebesbeziehung ein, die ihr Gatte tolerierte. Dennoch wurde diese Ehe schließlich geschieden und nur einen Monat später heirateten Caroline und Schelling. Sie gingen nach Würzburg und schließlich nach München. Während eines Besuchs bei Schellings Eltern in Maulbronn starb Caroline am 7. September 1809 um 3 Uhr morgens fünf Tage nach ihrem 46. Geburtstag an einer Durchfallerkrankung.

 

Neunzig Jahre später schrieb Franz Muncker in der „Allgemeinen Deutschen Biografie, Band 31“ über „Schelling, Caroline“: „Ihr schriftstellerisches Talent bewies sie am meisten in ihren anmuthig plaudernden, von Verstand, Phantasie, wahrem Kunstsinn und poetischem Geist durchdrungenen, mit Neckerei und feiner Bosheit gewürzten Briefen, den schönsten Frauenbriefen aus der Glanzperiode unserer neueren Litteratur.“

 

Zu ihrem Andenken und in Würdigung des Jenaer Romantikerkreises vergibt die Stadt Jena nunmehr alle drei Jahre den Caroline-Schlegel-Preis.

   

 

 

Robert Schumann

 

* 8.6.1810 in Zwickau, † 29.7.1856 in Endenich, deutscher Komponist

  

Vier Jahre vor seinem Tod vertonte Robert Schumann „Gedichte der Königin Maria Stuart“, und schuf so auch dieses Lied:

  

Was nützt die mir noch zugemess’ne Zeit?

 

Mein Herz erstarb für irdisches Begehren,

 

Nur Leiden soll mein Schatten nicht entbehren,

 

Mir blieb allein die Todesfreudigkeit.

 

 

Sechs Jahre nach seinem frühen Tod meinte ein Musikkritiker, dass es unter den Pianisten inzwischen „theils Bedürfniß, theils Mode, also jedenfalls unausweichlich geworden“ sei, Schumann aufs Programm zu setzen.

 

Ihr Feinde, lasst von eurem Neid:

 

Mein Herz ist abgewandt der Hoheit Ehren,

 

Des Schmerzes Übermass wird mich verzehren;

 

Bald geht mit mir zu Grabe Hass und Streit.

 

 

In den 46 Jahren seines Lebens komponierte Robert Schumann fast 50 Klavier- und 16 Kammermusiken, 5 Sinfonien, mehr als 10 konzertante und Orchesterwerke, zahlreiche Chorwerke und Lieder sowie eine Oper.

 

 Ihr Freunde, die ihr mein gedenkt in Liebe,

 

Erwägt und glaubt, dass ohne Kraft und Glück

 

Kein gutes Werk mir zu vollenden bliebe.

 

Vielen seiner Zeitgenossen erschien seine Musik als zu schwierig. Es wurde sogar behauptet, seine späten Werke seien von seiner am Ende ins Irrenhaus führenden Krankheit geprägt. Und gern gab man das Bonmot weiter, Schumann habe als Genie begonnen und als Talent geendet. Längst gilt Robert Schumann jedoch als einer der größten Komponisten des 19. Jahrhundert.

  

So wünscht mir bess’re Tage nicht zurück,

 

Und weil ich schwer gestrafet werd’ hienieden,

 

Erfleht mir meinen Teil am ew’gen Frieden!

 

Anfang Februar 1854 nahmen Robert Schumanns psychische Leiden unerträglich zu, er klagte über „Gehöraffektionen“, Ende Februar stürzte er sich von der Oberkasseler Pontonbrücke in den Rhein, wurde aber gerettet, Anfang März wurde er auf eigenen Wunsch in die „Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemüthskranken und Irren“ in Endenich eingeliefert, ins Aufnahmenbuch wurde die Diagnose „Melancholie mit Wahn“ eingetragen. Am 26. Juli 1856 notierten Ärzte dann: „Zuckungen in verschiedensten Muskeln, des Gesichts und der Gliedmaßen“, drei Tage später war Robert Schumann tot.

 

  

 

David Schwarz

 

* 2.10.1850 in Keszthely, † 13.1.1897 in Wien, österreichischer Luftfahrtpionier

 

David Schwarz konstruierte und baute das erste Metallluftschiff der Welt. Dazu nutzte er den seinerzeit neu aufkommenden Werkstoff Aluminium.

 

Nach erfolglosen Versuchen in Russland, fand David Schwarz schließlich in Berlin Geldgeber und eine Produktionsmöglichkeit. Er erlebte den Jungfernflug seines Luftschiffes allerdings nicht mehr. Anfang 1897 war er in Wien auf offener Straße zusammengebrochen und an einem Herzinfarkt verstorben.

 

Am 3. November 1897 hob dann sein Starrluftschiff in Berlin-Tempelhof tatsächlich ab, erreichte eine Höhe von 400 Metern, musste dann aber notlanden. Allerdings weiltear unter den Zuschauern auch Ferdinand Adolf Heinrich August Graf von Zeppelin und verstand es, die Schwarzchen Ideen erfolgreich weiter zu entwickeln.

 

 

 

 

Bärbel Gertrud Wachholz

 

* 20.10.1938 in Angermünde, † 13.11.1984 in Berlin, deutscher Sängerin

  

Mit sechsundzwanzig hatte Bärbel Wachholz ihren ersten Hit:

  

Bunt wie die Tage im sonnigen Mai

 

Hell wie ein silberner See

 

So war die Zeit die Zeit für uns zwei

 

Doch wir sagten ade, doch wir sagten ade

 

 

 

Damals, damals, damals war alles so schön

 

Doch wir waren viel zu jung, viel zu jung

 

Um unser Glück zu verstehn

  

Insgesamt nahm Bärbel Wachholz 40 Singles und 2 Langspielplatten auf und zählte zu den populärsten Schlagersängerinnen der DDR.

  

Rein wie ein Stern der am Himmel steht

 

Blau und tief wie das Meer

 

So wär das Glück das nie vergeht

 

Wenn ich bei dir wär, wenn ich bei dir wär

  

 

Damals, damals, damals war alles so schön

 

Doch wir waren viel zu jung, viel zu jung

 

Um unser Glück zu verstehn

  

Mit sechsundvierzig starb Bärbel Wachholz infolge ihrer schweren Diabetes-Erkrankung.

 

  

 

Oscar Wilde

 

* 16.10.1854 als Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde in Dublin, † 30.11.1900 in Paris, irischer Schriftsteller

  

Oscar Wildes Maxime war: „Durch die Kunst, und nur durch die Kunst, werden wir vollkommen. Die Kunst, und nichts als die Kunst, kann uns vor den schmutzigen Gefahren des Lebens schützen.“

 

In einem Nachwort zu einer Wilde-Werkausgabe meint Günter Weise: „Vieles an seinem Auftreten war Pose, doch steckte darin auch ein Protest gegen das triste Philistertum und den farblosen Alltag seiner Zeit, und hinter der Pose verbarg sich die paradoxe Ansicht, dass es die Laune des Künstlers sei, die den Dingen ihren Wert gebe. Sein Dandytum, das ‚Paradoxon in der Sprache der Kleidung’ (Bernhard Fehr) war der Versuch einer künstlerischen Lebensumwertung.’

 

In einem Brief schrieb Oscar Wilde: „Der Welt erscheine ich, von meiner Seite absichtlich, bloß wie ein Dilettant und Dandy – es ist nicht klug, der Welt das eigene Herz zu zeigen – und wie ernsthaftes Verhalten die Tarnung des Trottels ist, ist Narrheit in ihren exquisiten Arten von Belanglosigkeit und Gleichgültigkeit und Mangel an Sorge das Gewand des weisen Mannes. In solch einem geschmacklosen Zeitalter wie diesem brauchen wir alle Masken.“

 

Günter Weise sagte zu Oscars Wildes wohl bedeutendsten Werk „Das Bildnis des Dorian Gray“: „Der Roman ist das beste Selbstzeugnis das Oscar Wilde hinterlassen hat – was nicht bedeutet, dass der Autor mit der Gestalt Dorians gleichzusetzen wäre; Züge seines Wesens hat er auch in die andren Gestalten projiziert: Dorian Gray verkörpert seine Sensibilität, Morbidität und Willensschwäche; Lord Henry Wotton vertritt seine ästhetischen und philosophischen Anschauungen und seine in Paradoxen brillierende Unterhaltungskunst: Basil Hallward ist der ‚naive’ Oscar Wilde, der Künstler mit der Sehnsucht nach dem Idealen, die Stimme seines Gewissens. Der wahre Oscar Wilde offenbart sich erst in der Wechselwirkung dieser drei Gestalten, in der Entwicklung der Fabel und in der Bildsymbolik. Hinter der blendenden, mit Aphorismen durchsetzten Sprachkunst des ‚Dorian Gray’  verbargen sich der Taumel und die Lebensangst…“

 

Zu André Gide soll Oscar Wilde gesagt haben: „… meine Stücke sind nicht gut, ich weiß, und das kümmert mich nicht … Sie sind fast alle das Ergebnis einer Wette. Auch Dorian Gray – ich schrieb das in ein paar Tagen, weil ein Freund von mir meinte, ich könne keinen Roman schreiben. Schreiben langweilt mich so sehr.“

 

Auch das, wohl einmal mehr eine Wild’sche Maske, so wie er geheiratet und zwei Kinder hatte, doch eigentlich homosexual war, was man im viktorianischen Empire schlichtweg nicht sein durfte. Und so endete Oscar Wildes Höhenflug, sein Versuch sich zu vervollkommnen, schließlich im Knast.

 

In seiner „Die Ballade vom Zuchthaus in Reding“ dichtete Oscar Wilde:

  

Ich weiß nicht: sind Gesetz gut

 

   Oder sind Gesetze arg?

 

Wir Zuchthäusler wissen eines nur:

 

   Gefängnismauern sind stark.

 

Und ein einziger Tag gleicht dort einem Jahr –

 

   Einem Jahr, das die Ewigkeit barg.

  

 

Und sicher weiß ich, daß jedes Gesetz,

 

   Das der Mensch für den Menschen ersann,

 

Seit das Böse in dieser bedrückenden Welt

 

   Durch Brudermord damals begann,

 

Dem Sieb gleicht, mit dem man statt wert-

 

   Vollem Korn

 

Nutzlose Spreu nur gewann.

  

 

Und ich weiß auch – und es wäre gut,

 

   Wüßt es die ganze Welt -,

 

Daß Zuchthausmauern, von Menschen gebaut,

 

   Nur die Schande zusammenhält

 

Und Gitter verhindern, das Christus es sieht,

 

   Wie der Mensch seinen Bruder dort quält…

  

Nach zwei Jahren harter Zwangsarbeit im Zuchthaus war Oscar Wildes Wille so sehr gebrochen, dass er sich fortan Sebastian Melmoth nannte – Sebastian nach dem Märtyrer, Melmoth nach dem Helden eines Schauerromans -, und sein Körper hatte derart gelitten, dass er im Alter von nur 46 Jahren starb.

 

 

 

 

Albert Camus

 

* 7.11.1913 in Mondovi (heute Dréan, Algerien), † 4.1.1960 bei Villeblevin, französischer Schriftsteller und Philosoph

  

Der Schriftsteller kann sich heute nicht in den Dienst jener stellen, die Geschichte machen; er dient denen, die diese erleiden, sagte Albert Camus, der nach Rudyard Kipling bislang zweitjüngste Literatur-Nobelpreisträger in seiner Nobelpreisrede.

 

Gut zwei Jahre später war er tot, der weltberühmte Autor von „Der Fremde“, „Der Mythos des Sisyphos“, „Der Mensch in der Revolte“, „Die Gerechten“, „Das Missverständnis“, „Die Pest“, „Der Fall“, „Die Besessenen“, ums Leben gekommen bei einem Autounfall. Bis zuletzt hatte er noch an seinem Roman „Der erste Mensch“ geschrieben, der postum erschien.

 

Schwer zu sagen, was er als Nächstes zu Papier gebracht hätte. Weiteres Existentialistisches -  über Kain und Abel vielleicht oder über den letzten Menschen?

 

Wer weiß, wie viel Zeit ihm noch geblieben wäre. Er litt an seiner Tuberkulose-Erkrankung, war zuweilen auch depressiv, womöglich sogar Suizid gefährdet und sicherlich ein potentielles Attentats-Opfer, für Rechte wie für Linke wohl, nicht zuletzt da er im beginnenden algerischen Befreiungskrieg versucht hatte, über den Parteien zu stehen, versucht hatte zu vermitteln. Immerhin tauchten Gerüchte auf, das Auto, in dem er zu Tode kam, sei manipuliert gewesen.

 

Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.

 

 

 

Gustav III.

 

* 24.1.1746 in Stockholm, † 29.3.1792 ebd., schwedischer König

  

Im Alter von 27 Jahren gründete Gustav III., der selbst Elegien und Schauspiele schrieb, die Königliche Oper und das Königliche Theater, als Vierzigjähriger auch die Schwedische Akademie. Zudem verbesserte Gustav III. das Medizinwesen und die Lage des Bauernstandes, errichtete Arbeits-, Waisenhäuser und Spitäler sowie eine Girobank. Er förderte das Bergbauwesen, den Ackerbau, Kanal- und Schleusenbauten, schaffte die Folter ab und führte die Pressefreiheit ein.

 

Allerdings hatte er zuvor, als Sechsundzwanzigjähriger schon einen Staatsstreich verübt, hatte  die führenden Mitglieder der Adelspartei festgesetzt und sich von den übrigen Mitgliedern des Ständereichstags eine neue Verfassung bestätigen lassen, in der Reichsrat nur noch als beratendes Organ definiert. Er behielt sich fortan selbst das alleinige Recht für Friedensschluss und Begnadigung vor, ebenso die Besetzung der höchsten Staatsämter und die Erhebung in den Adelsstand. „Er verpflichtete sich, das Land nach den Gesetzen zu regieren, ordnete an, dass niemand ohne gerichtliches Urteil bestraft werden dürfe, und schaffte Sondergerichte ab. Auch verpflichtete er sich, keinen Angriffskrieg ohne Zustimmung des Reichstags zu beginnen.“ (Wikipedia) Als ideale Zielvorstellung erschien ihm die Einheit eines populären Königtums mit einem königsergebenem Volk.

 

Gustav III. war der erste europäische Herrscher, der die neugegründeten Vereinigten Staaten von Amerika anerkannte, erwarb jedoch auch die Karibikinsel Saint-Barthélemy und versuchte, in den Sklavenhandel einzusteigen. Und nachdem der innenpolitische Widerstand wuchs, es zudem mehrere Missernten gab, zettelte er einen Krieg mit Russland an, konnte letztlich aber nicht verhindern, dass sich Adlige gegen ihn verschworen.

 

Bei einem Maskenball in der Königlichen Oper wurde Gustav III. schließlich niedergeschossen und starb zwei Wochen später im Alter von 46 Jahren an den Folgen der Schussverletzungen.

 

  

 

César Vallejo

 

* 16.3.1892 in Santiago de Chuco als César Abraham Vellejo Mendoza, † 15.4.1938 in Paris, peruanischer Dichter

  

Was erklärt mich. / Das bohrt in mir seit frühster Zeit. // Diese Art und Weise, auf schwankendem Trapez zu gehen. // Diese Tiere kühn wie Falsches. // Dieser Klebstoff, der das Quecksilber ans Innere haftet. // Diese aufwärts sitzenden Ärsche. // Das kann nicht sein, das gewesen war. // Absurd. // Wahnsinn…

 

„Vallejo gehört nicht zu den Dichtern, deren Sprache sich erst durch einen Kommentar erschließen läßt. Die Originalität seiner Dichtung beruht auf einem ironischen Selbsthass, einer Trauer aus tiefer indianischer Vergangenheit und einem empfindlichen Bewußtsein für die Zustände des Menschen in der Welt“, sagte Fritz Rudolf Fries, „Er hinterließ ein einzigartiges poetisches Werk, das die jüngere Dichtung Lateinamerikas maßgeblich beeinflusst hat.“

  

Mit einem Wort, ich habe, mein Leben auszudrücken, nichts als meinen Tod. Wenn es vorbei ist, am Ende der abgestuften Natur und des Sperlings im Block, schlaf ich ein Hand in Hand mit meinem Schatten…

 

  

 

Roscoe Conkling „Fatty“ Arbuckle

 

* 24.3.1887 in Smith Center, Kansas † 29.6.1933 in New York City, amerikanischer Schauspieler

  

Dem Stummfilmstar Fatty Arbuckle ist es zu verdanken, dass sich die amerikanische Filmindustrie einer freiwilligen Selbstkontrolle unterwarf, dem sogenannten Hays Code, um die Moral in Hollywood zu überwachen, nicht ganz freiwillig allerdings.

 

Denn Fatty Arbuckle erfand angeblich nicht nur die Film-Tortenschlacht, sondern geriet sogar in Verdacht, bei einer Party eine Schauspielerin ermordet zu haben.

 

Die Anschuldigungen, er habe Virginia Rappe vergewaltigt und dann getötet, befeuert durch eine angebliche Zeugin, die Arbuckle zu erpressen versuchte und ihn dann, als er nicht zahlte, anzeigte, erwiesen sich letztlich zwar als haltlos – er wurde von einem Schwurgericht freigesprochen – seine Karriere jedoch war ruiniert – me too lässt grüßen…

 

Seine Filme wurden verboten und es dauerte fast zehn Jahre, bis er wieder vor der Kamera stehen durfte. Fatty Arbuckle erhielt einen Vertrag für sechs Tonfilm-Kurzkomödien. Aber nur wenige Stunden nachdem die letzte Komödie abgedreht war, starb er an Herzversagen - an gebrochenem Herzen, meinte sein Freund Buster Keaton…

 

  

 

Gladys Casely-Hayford

 

* 11.5.1904 in Axim, † 23.8.1950 in Accra, ghanaische-sierra-leonische Schriftstellerin, Pseudonym: Aqua Laluah

  

Aus Axim, wo Gladys Casely-Hayford geboren wurde, die erste Schriftstellerin die Werke in Krio verfasste, stammte auch der Ghanaer, über den ich ein Kinderbuch schrieb: Anton Wilhelm Amo. Und im Jahr 2008 gelangte ich sogar in die Stadt, in der Gladys Casely-Hayford im Alter von 46 Jahren an Malaria starb, nach Accra:

 

Mit meinem Freund Imre, dem Vorsitzenden des Verbandes deutscher Schriftsteller, fliege ich zu einem Treffen mit Kollegen der Pan African Writers Association nach Ghana. Finanziert wird das Ganze vom Auswärtigen Amt. Nicht zuletzt wohl, da während unseres Aufenthaltes auch der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Ghanas Hauptstadt sein wird, und (wenn möglich) sogar an diesem Treffen teilnehmen möchte. Eine zeitlang sah es sogar so aus, als würden wir mit der Regierungsmaschine mitfliegen. Aber die steuert danach noch andere westafrikanische Ziele an und soll obendrein durch die übliche Entourage voll belegt sein. Nun gut. Fliege ich also mit Linienflügen von Leipzig nach Accra, Imre steigt in Frankfurt zu.

 

Diese Reisemöglichkeit eröffnete sich ziemlich kurzfristig. Da blieb knapp Zeit, das Visum zu besorgen, die notwendigen Medikamente zu beschaffen (mal wieder die leidige Malaria-Prophylaxe), kaum Zeit jedoch für eine umfassende Reisevorbereitung. Immerhin las ich den faszinierenden, magisch-poetischen Accra-Roman von Kojo Laing „Die Sonnensucher“, die zwar hoch gelobte, aber recht oberflächliche, mehr frauenrechtlerische, politische Erzählung „Die Zweitfrau“ von Ama Ata Aidoo, sowie den hervorragenden Ghana-Reiseführer von Jojo Cobbinah. (Erstaunlich, dass auch von ghanaischen Autoren, die ja gemeinhin in der Weltsprache Englisch schreiben, kaum etwas ins Deutsche weiter übersetzt und auf dem hiesigen Buchmarkt präsent ist!) Und selbstredend frischte ich mein Wissen über den Ghanaer Anton Wilhelm Amo auf, der als erster Afrikaner überhaupt in Deutschland studierte, promovierte und lehrte, gleich bei mir um die Ecke sozusagen, nämlich an der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale, vor gut 250 Jahren. Vielleicht kann das nützlich sein, Verständigungs- und Kulturhürden zu überwinden, Brücken zu bauen…

 

Sonnenscheinflug: Herrliches Alpenpanorama, Korsika, Sardinien, dann Algerien, Niger (erst abwechslungsreiche, bald öde Sahara-Ansichten), schließlich Nigeria im Dunst, doch zunehmendes Grün. Derart voranzukommen wirkt so natürlich, so normal, dass es schon an Realitätsverlust grenzt. Zwischenstopp in Lagos. Und an der Küste des Golfs von Guinea entlang über Benin und Togo nach Ghana. Gegen 18.00 Uhr Ortszeit (Greenwich time) landen wir in Accra. Sauna! Und als wir das Flughafengebäude verlassen, brandet Jubel auf. Yeah! Just in diesem Moment hat Ghana ein Tor geschossen, wird Dritter der Afrika-Fußballmeisterschaft, die gerade hier in Accra ausgetragen wird. Na, da jubelt man doch gleich mal mit. Ja, nehmen wir’s als Omen.

 

Ruhiges, ordentliches Hotel im Stadtteil Legon. Gut geschlafen. Erster Rundgang durchs Viertel. Sonntagserwachen. Erste Läden öffnen, daneben putzt sich einer die Zähne, weiter vorn räuchert eine Lady im Festgewand einen rostigen Grill an. Und Taxifahrer en masse hupen, winken, locken. Come on! Thanks, no.

 

Und ein Tag voller Überraschungen beginnt: Unser Fahrer ist vor (!) der verabredeten Zeit im Hotel, so kommen wir auch überpünktlich im PAWA-House, dem Gebäude des Gesamtafrikanischen Schriftstellerverbandes an. Dort sind schon etwa 20 afrikanische Kollegen versammelt, freundliches Shake-Hand, dazu Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung, des Goethe-Instituts, der Europäischen Union sowie der Presse. Und mit dem Begrüßungs-Statement des Generalsekretärs Adukwei Okai bekommen wir sogar ein Programm für die beiden Kongresstage in die Hand. Genauestens durchgeplant, wann wer was sagt (zumindest was die afrikanischen Kollegen betrifft – neben den Ghanaern noch ein Südafrikaner und ein Lybier). Für die german writers sind in jedem der vorgesehenen vier Vortrags- und Diskussionskomplexe präzise die Lücken eingetragen, wann wir uns äußern sollen. Sehr erstaunliche Planung – nicht nur für afrikanische Verhältnisse. Da wir diesen peniblen Plan jedoch erst mit Kongressbeginn ausgehändigt bekommen, just in time sozusagen, können wir nicht wie unsere hiesigen Kollegen ausgearbeitete Vorträge halten, sondern müssen improvisieren. Das wiederum bereitet den Dolmetschern (drei togolesische Studenten) sichtlich und hörbar Probleme, so dass sich alsbald ein buntes Englisch-Deutsch-Sprachgemisch breitmacht. Tatsächlich sprechen auch einige der Teilnehmer ein bisschen bis sehr gut Deutsch, und wir Deutschen verstehen zumindest passabel Englisch, schieben alsbald auch immer mal wieder englische Sätze ein… Das trägt rasch zu einer lockeren Atmosphäre bei aller Ernsthaftigkeit der angesprochenen Themen bei. Und sicher auch, dass ich gleich zu Anfang etwas über Amo sage, der ja unweit meiner Heimatstadt Merseburg lehrte, und für den in Halle seit Jahrzehnten sogar ein Denkmal steht, dass ich zudem die Merseburger Zaubersprüche erwähne, das älteste deutsche Literaturdokument heidnischen Inhalts, und eine meiner Merseburg-Publikationen verteile. Da leuchtet’s doch in den Augen der mit Voodoo-Zaubern vertrauten Ghanaern auf…

 

Heute geht’s um die „Rolle der Literatur in der modernen afrikanischen Gesellschaft“. Und alsbald werden die Wunden spürbar, die jahrhundertelange Ausbeutung und Unterdrückung, die Sklaverei und Kolonialisierung geschlagen haben. Tenor: Ohne Vergangenheit keine Zukunft. Und Vergangenheit fängt in Afrika entgegen europäischer Sichten eben nicht erst mit Beginn der Kolonialisierung an, sondern blickt auf bedeutende Reiche und Kulturen zurück. Den Stolz darauf zu wecken und somit Kraft und Selbstbewusstsein auf dem Weg aus dem nachkolonialem Erbe, den heutigen Konflikten und Katastrophen auf diesem Kontinent zu finden und (gemeinsam!) Brücken zu bauen, muss auch die Rolle der Literatur sein, ist nicht zuletzt die Aufgabe der Autoren. Facing our changing nations!, fordert einer der Teilnehmer, Prof. Mensah (fast alle anwesenden Ghanaer –unter ihnen sogar ein ehemaliger Kulturminister- scheinen akademische Grade zu tragen, was wohl auch schon einiges über die Rolle und Stellung der hiesigen Autorenschaft sagt). Und immer kommt hierbei die Idee des Panafrikanismus ins Spiel (nicht so ganz zufällig wohl in Ghana, des ersten, vor gut 50 Jahren in die Unabhängigkeit entlassenen Staates, dessen erster Präsident Kwame Nkrumah vom Panafrikanismus beseelt war – sich allerdings womöglich zu viel um andere Länder und zu wenig um sein Land kümmerte, und so letztlich scheiterte…). Panafrikanismus, klar, obendrein diskutieren wir ja im Hause der Pan African Writers Association.

 

Erforderlich sei die Aufhebung der nachkolonialen, willkürlichen Zersplitterung, der Kleinstaaterei, die Besinnung auf gemeinsame afrikanische Wurzeln, eine Bündelung der Kräfte, um einen gangbaren Weg in die Zukunft des Kontinents zu finden.

 

Keine Frage, dabei wäre wohl jede verständnisvolle, nicht bevormundende Hilfe recht und notwendig. Da könnten Autoren tatsächlich etwas tun, zumal wenn sie versuchen, zusammen zu arbeiten. Gut, morgen soll über Ideen für Kooperationen, über Programme gesprochen und am Ende eine gemeinsame Resolution beschlossen und unterzeichnet werden. Let’s go!

 

Nächste Überraschungen: Der Bundesaußenminister kommt nicht ins PAWA-House, vielleicht aber am Abend nach dem Endspiel des Africa-Cups (offenbar der Anlass seiner Reise) kurz zu einem Empfang in die deutsche Botschaft. Der Botschafter hat aber verfügt, dass daran nur zwei Autoren teilnehmen dürfen: ein Deutscher und ein Ghanaer. Der Vertreterin der Ebert-Stiftung, die diese Botschaft zu überbringen hat, ist es sichtlich peinlich. Aber der Botschafter hier sei eben so… Nun gut, dass heißt de facto: Imre hat nach Ende des ersten Kongresstages weiter Dienst, während ich eine private Stadtrundfahrt geboten bekomme, das quirlige Treiben rund ums Endspielstadion erleben, das völlig verwaiste Kwame-Nkrumah-Memorial besichtigen kann. That’s life!

 

Da der Montagmorgenverkehr in Accra chaotisch sei, werden wir schon kurz nach Sieben abgeholt, soll das Writers Meeting doch schon um 8.30 Uhr weitergehen. Dann ist aber alles nur halb so chaotisch wie befürchtet und wir sind lange vor der Zeit im PAWA-House, beobachten Leguane und exotische Vögel. Und nach und nach trudeln auch die Kollegen ein. Tatsächlich wird wieder pünktlich begonnen, und das sogar obwohl längst nicht alle Plätze im Konferenzraum besetzt sind. Ja, das Programm wird straff durchgezogen. Drei sessions stehen heute an: „Die Rechte der Autoren“, „Die „Rolle der Schriftstellerorganisationen“ sowie „Der Interkulturelle Dialog“. Und mir gelingt es dabei, meine ganz konkreten Vorschläge zur Zusammenarbeit einzubringen: Dass a) die Möglichkeit besteht, Texte afrikanischer Autoren in der Literaturzeitschrift, die ich in Sachsen-Anhalt herausgebe, zu veröffentlichen. Will sagen: zuerst einmal zu übersetzen und nachzudichten, denn ohne verfügbare Texte in den jeweiligen Umgangssprachen dürfte es schwer sein, einen interkulturellen Dialog mittels Literatur zu führen. Insofern wäre es natürlich auch gut, wenn aktuelle Texte deutscher Autoren auf dem afrikanischen Kontinent Verbreitung finden könnten. Denn so würden b) auch Lesungen afrikanischer Autoren in Deutschland und deutscher Autoren in Afrika, vielleicht sogar Autorenaustauschprogramme, zur Verständigung beitragen können, Sinn machen.

 

Ein Ansatzpunkt, der offenbar verstanden und akzeptiert wurde, sind meine Visitenkarten doch sehr gefragt und bekomme ich im Laufe des Tages zahlreiche Karten zugesteckt. Wohl an. Und in der Absichtserklärung (the memorandum of understanding), die wir unterzeichnen, als es draußen langsam dunkel wird, nach fast 9 Stunden session-work, ist dies alles dann auch deutlich verankert: …the parties mutually agree as follows: ...to work towards promoting African an German literatures as integral parts of world literature… to engage in the translation, publication, promotion, distribution, marketing and sales of each others literary works in their respective markets… to undertake the exchange of cultural visits… to collaborate injoint literary publications and other literary activities… Gut so! Ein opener, ein wichtiger Anfang! Und ich habe das Gefühl, dass hier etwas weitergehen kann und wird. Oder anders: Wenn es mit der Pan African Writers Assocoation und deren taffen Generalsekrär nicht gelingt sinnvoll zusammenzuarbeiten, wüsste ich (eingedenk meiner Mosambik-Erfahrungen) nicht, wie das sonst gelingen könnte.

 

Nicht uninteressant und unwichtig dabei, dass die Kollegen immer mal wieder betonten, dass im letzten Sommer vor der Küste Ghanas Öl gefunden wurde, und man sich mit den kommenden Öl-Millionen auch einen kulturellen Aufschwung im Lande verspricht. Neue Bibliotheken, bessere Buchverteilungssysteme, Übersetzerprogramme, Förderung der Muttersprachen, Lesungen in Schulen und so weiter und so fort… Imre ist nicht zu beneiden: er bekommt als Abschiedsgeschenk einen ghanaischen Königsstuhl, handgeschnitzt, massiv, ca. 20 Kilo schwer. Oh, wonderful, marvelous. Doch wie soll er den nach Deutschland bringen? Egal, mit muss er! (Immerhin wird der Klotz dann in einer Art Wäschetruhe verstaut.)

 

In der Dämmerung flattern Myriaden von Vögeln über Accra. Aber nein, höre ich, das sind doch gar keine Vögel, das sind Fledermäuse! Doch in Scharen, Millionen und Abermillionen von Fledermäusen. Ja, sie haben ihre Quartiere in Bäumen nahe eines großen Hospitals. Und dazu gibt es sogar eine Geschichte: Als ein Chief erkrankte, wurde er aus seinem Dorf hierher gebracht, und die Fledermäuse gaben ihm Begleitschutz. Der Chief starb jedoch im Krankenhaus und nun warten und warten die Tiere hier auf ihn…

 

Wir sind zum Abendessen von der Leiterin der Ebert-Stiftung eingeladen (die uns überhaupt in vielen Belangen bestens unterstützte). Köstliche ghanaische Speisen: Reiskloß mit Erdnusssauce und Ziege und Yams mit Palava (einer Art Spinatsauce) sowie Kenkeh (saure, recht gewöhnungsbedürftige Maisbällchen). Und als wir gegen zehn ins Hotel zurückgefahren werden traue ich meinen Augen kaum: das Autoaußenthermometer zeigt 31°C an. Wow!

 

Dann ein touristischer Tag. Fahrt nach Akosombo. Alsbald zeigt das Außenthermometer 38°C. Und das bei wohl 100% Luftfeuchtigkeit… Aber so was muss man eben wegstecken, wenn man was sehen, was erleben will. Bei der Siedlung Akosombo wurde unter Kwame Nkrumah, schon in den sechziger Jahren also, der Volta-Fluss gestaut. Ein riesiger, mehr als 400 km langer und weit verästelter Stausee entstand. Keine Frage, dass hier, anders als im recht trockenen Accra, alles tropisch grün ist. Imposante Ausblicke auf die Staumauer, den Stausee. Wir fahren auch zum Hafen, wo Transportschiffe in den Norden Ghanas ablegen, eine immens wichtige Binnenverbindung offenbar. Schwer schuften Docker auf einem riesigen Laster, laden Zementsäcke, die vom Überseehafen Tema kamen, auf Schiffspaletten um. Zementstaub und tropische Schwüle – was für eine Mischung!

 

Mittagessen in einem wundervollen Hotel am See. Und plötzlich brandet unweit Gesang auf. Ich laufe neugierig natürlich darauf zu, sehe am Ufer eine große, bunte Menschenmenge versammelt. In zahlreichen Booten, schmalen Pirogen, singen und tanzen Männer. Palmwedel werden benetzt und geschwenkt. Doch das, was ich für eine Abschiedszeremonie für ausfahrende Fischer halte, entpuppt sich alsbald als etwas ganz anderes: Am Sonntag wurde hier am Ufer ein Junge tot aufgefunden. Und die Dorfbewohner machen nun eine Seeschlange dafür verantwortlich. Sie wollen in ihren Booten auf den See hinausfahren, die Schlange aufspüren, umzingeln und mit langen Stangen erschlagen. Tatsächlich passiert das dann auch, und es sieht sehr pittoresk aus (mit einem Hauch vom halleschen Fischerstechen). Und bis plötzlich ein Mann umweit unseres Tisches aufschreit und mit seiner Bambusstaange wie wild aufs Wasser peitscht, halte ich das Ganze für eine interessante Zeremonie, einen alten Brauch, den wir – was für ein grandioser Zufall! - miterleben können. Weit gefehlt! Der Mann bringt eine Seeschlange zur Strecke, gut zwei Meter lang, verdammt gefährlich aussehend, köpft sie mit seiner Machete, hält den noch zuckenden, sich windenden Kadaver triumphierend hoch. Die Menge jubelt. Und wie gesagt, wären wir hier nicht weit und breit die einzigen Gäste, die einzigen Weißen, würde ich argwöhnen, das alles sei inszeniert. Aber nein, das war einfach Afrika live! Unglaublich!

 

Am Abend wieder Termine. Zuerst zu einer Lesung ghanaischer Autoren ins DuBois-Center, dann zu einer Vernissage ins Goethe-Institut. Interessante symbolistische Bilder eines jungen Ivorers, Ferdinand Nonkoumi. Guter afrikanischer Jazz mit seltsamen Blasinstrumenten, Xylophon und Percussion mit Nii Noi Nortey und Nii Otoo Annan. Und dann sind wir ja noch von einer Botschaftsmitarbeiterin (als kleine Entschuldigung dafür, dass ich beim Steinmeier-Empfang nicht dabei sein durfte) zum Dinner eingeladen. Und das entwickelt sich sogar zu einem angenehmen Programmpunkt. Zum einen, da das Lokal wunderbaren Fisch, leckeren Tilapia serviert, zum anderen, da die Botschaftsdame sich sehr für Leseförderung, für meine Arbeit für den Friedrich-Bödecker-Kreis interessiert, schließlich sogar verspricht, ein Leseförderungs-Projekt in Ghana mit Hilfe der Botschaft zu unterstützen. Keine Frage, da werde ich nachhaken.

 

Letzter Tag in Ghana. Auf der Hoteltreppe lümmeln GIs. Aha, das Vorauskommando – Mister Bush kommt in ein paar Tagen zum Staatsbesuch… Wir fahren zum Kunstmarkt, um die üblichen Mitbringsel erstehen zu können. Reizvolles Kunsthandwerk, Stoffe in wunderbaren Farben und Mustern, Schnitzereien, Masken, imitierte Ashanti-Goldgewichte. Man möchte mehr kaufen als man kann, nicht zu Letzt, da die Händler freundlich sind, man schnell zu einem lebhaften Schwatz kommt. Und wenn man dann noch Ghana lobt (was nicht geschummelt ist), leuchten die Augen der Gesprächspartner und man muss zahlreiche Hände schütteln.

 

Zum Lunch lassen wir uns von Steven, unserem Fahrer in eine einheimische Garküche bringen, da ich unbedingt noch Fufu essen möchte, Fufu, das ghanaische Nationalgericht. Als erstes kommt eine Schale mit Wasser und eine Untertasse mit einem kleinen Handtuch darauf auf den Tisch. Dann kommt ein großer Napf, da geht man mit den Fingern rein und klaubt sich Fufu, diese undefinierbare kloßartige Masse heraus, rührt schön in der Soße und genießt. Ja, das schmeckt einfach phantastisch, und natürlich steigert diese urwüchsige Mit-den-Fingern-Essen das Vergnügen noch.

 

Letzte Abstimmungen in der Ebert-Stiftung, kurze Erfrischung im Hotel und ab zum Flughafen. Wider Erwarten gibt es mit dem Königsstuhl keinerlei Schwierigkeiten, im Gegenteil, der Zoll applaudiert fast, als wir mit dem ehrbaren PAWA-Geschenk anrücken. Und das massive Übergewicht wird von den netten Damen beim Check-in einfach ignoriert. Schau an, so geht es also auch in Afrika.

  

 

 

Antonio Gramsci

 

* 22.1.1891 in Ales, Sardinien, † 27.4.1937 in Rom, italienischer Philosoph

  

Der Schriftsteller, Journalist und Philosoph Autor Antonio Gramsci, auf Sardinien als Angehöriger der albanischen Minderheit geboren, gründete im Alter von 30 Jahren mit Gesinnungsgenossen die Kommunistische Partei Italiens, deren Vorsitzender er dann auch wurde. Er war Abgeordneter im italienischen Parlament, doch wurde im Alter von 35 Jahren, im Zuge des Verbots von Oppositionsparteien und Aufhebung der Pressefreiheit durch Mussolini, verhaftet. In den folgenden Jahren verfasste er heimlich seine berühmt gewordenen „Gefängnishefte“, 32 Bände, die aus der Haft geschmuggelt und später veröffentlich werden konnten. Er erkranke infolge der Haftbedingungen schwer und starb im Alter von 46 Jahren durch eine Gehirnblutung. Im Heft 28 hatte er geschrieben: „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens…“

 

Jeanny und ich erkundeten Ende 2019 Granscis Heimatinsel Sardinien: Knapp 100 Jahren zuvor war D. H. Lawrence als Tourist hierher geschippert, allerdings von Sizilien, von Palermo aus. Er notierte: „Die Landschaft ist ganz anders als sonst in Italien. Italien ist stets dramatisch und vielleicht unveränderlich romantisch… Sardinien ist ganz anders. Es ist weiter und unansehnlicher; hier gibt es kein Auf und Ab, sondern alles verliert sich in der Ferne. Gleichgültige Kämme der moorigen Hügel gleiten vorbei, vielleicht gibt es im Südwesten ein paar dramatische Schroffen. Man hat das Gefühl von Weiträumigkeit, das man in Italien vermisst. Liebliche Weite ringsum, entgleitende Entfernungen – nichts endet, nichts ist endgültig. Es ist wie die Freiheit selber…“

 

Und D.H. Lawrence lobte die sardische Schriftstellerin Grazia Deledda und dies also bereits, bevor sie 1926 den Literaturnobelpreis bekam. Tatsächlich versteht es Grazia Deledda, ihrem Roman „Schilf im Wind“ beispielsweise, zuweilen durchaus Marquez vorausgreifend, mystisches mit gegenwärtigem Insel-Geschehen zu verweben: „Efix hörte das Geräusch, das die Panas (die an ihrer Niederkunft verstorbenen Frauen) machten, wenn sie im Fluss ihre Wäsche wuschen und die Linnen mit Totengebeinen klopften; er glaubte zu sehen, wie der Ammatadore, ein Kobold mit sieben Hütten, in denen er einen Schatz versteckte, von stahlschwänzigen Vampiren verfolgt, hin und her sprang. Sein Weg war es, der die Zweige und das Felsgestein im Mondlicht auffunkeln ließ. Zu den heillosen Geistern gesellten sich die Geister der ungetauften Kinder – weißliche Wesen, die, hinter dem Mond in silberne Wölkchen verwandelt, durch die Luft flatterten. Die Nanas und Janas, winzige Feen, die tagsüber in ihren Felsgrotten an goldenen Webstühlen Goldstoffe wirkten, tanzten im Schatten mächtiger Gebüsche, während Riesen auf ungeheuern grünen Rossen, die nur sie allein zu bändigen verstehen, zwischen den Steinblöcken vom Monde gefallener Berge umherirrten und auszuspähen versuchten, ob sich nicht zwischen den verstreuten Büschen unheilvoller Euphorbien irgendein Drache zeige oder gar die Hundeschlange, die seit Christi Zeiten durch die Schlammgestade der Sümpfe stapft…“

 

Grazia Deledda gab als Erste, ihrer, bis dahin alles andere als im Zentrum kultureller Aufmerksamkeit stehenden Heimat, eine Stimme. Im Nachwort zu „Schilf im Wind“ schrieb Federico Hindermann: „Sizilien, die etwas größere Insel, trat … schon früh ins Licht der Geschichte und hatte seit der Mitte des 8. vorchristlichen Jahrhunderts… einen wichtigen Anteil besonders an der kulturellen Entwicklung des Festlands… Sardinien aber schwieg und schwieg. Aus dem Tiefengestein, Granit, Kalk (und Basalt, darüber wenig Humus), dem Sockel und zerklüfteten Rückgrat der Insel, holten die von den Bodenschätzen angelockten Eroberer Blei, Zink, Kupfer und Silber. Phönizier, Karthager, Römer, Vandalen, Sarazenen kamen und gingen; Byzanz, das Oströmische Reich; die Pisaner und die Genueser; vier Jahrhunderte lang die aragonesisch- spanische Herrschaft, dann Habsburg und Piemont-Savoyen – an der inneren Substanz der sesshaften Urbevölkerung, von der man annimmt, sie sei nicht indoeuropäisch gewesen, scheinen die Wechselfieber der Geschichte wenig Spuren hinterlassen zu haben. Weit auffallender als die romanischen oder gotischen Kirchen der Eindringlinge zeugen als Wahrzeichen Sardiniens aber die über siebentausend zum Teil noch guterhaltenen Nuraghen von der eigenständigen Weiterdauer der Vorzeit: mächtige, bis zwanzig Meter hohe, kegelförmige Türme aus ohne Mörtel aufeinandergeschichteter Felsbrocken, mit einem oder zwei Innenräumen, Nischen und Treppenstufen; Wehrbauten, Fluchtburgen, zuweilen wohl auch Gräber- und Kultstätten aus der Jungstein- und Bronzezeit.“

 

Wir landen in Porto Torres an und fahren mit dem Bus nach Alghero, der, laut Reiseführer, schönsten Stadt Sardiniens. Allerdings fahren wir nicht auf direktem Wege dorthin, sondern zuerst zur Nuraghe Palmavera. Und obwohl es regnet, bestaunen wir eine ausgedehnte, doppeltürmige Ruinen-Anlage der Bronzezeit: gut erhalten die Kernanlage, wobei die Gesamtanlage der Wissenschaft noch immer Rätsel aufgibt. Eine Festung? Eher nicht, zumindest fanden sich nirgendwo Waffen. Kultstätte? Aber wofür/wogegen? Und warum gibt es auf der ganzen Insel so viele von ihnen, nach neuesten Schätzungen etwa 10.000! Gab es in der Bronzezeit überhaupt so viele Einwohner auf Sardinien? Die beiden Tumuli sind von runden Hausfundamenten und Mauerresten umgeben. Doch gewohnt haben wird hier eher niemand, zumindest nicht dauerhaft. Keine Knochenreste oder sonstige Abfälle, keine Scherben oder sonstige Wohnspuren. Interessant erscheint mir die These, die unser heutiger Guide aufstellt: Im zentralen Raum des großen Turms, der damals offenbar völlig finster war (keine Mauerdruchbrüche und auch keinerlei Rußspuren von Fackeln oder Feuern). Könnte vielleicht ein Schamane hier Menschen, die zuvor in den Rundhütten berauscht wurden, besprochen, verzaubert oder sonstwie manipuliert haben? Doch nochmals: warum 10.000 solcher Stätten auf dieser Insel? Und warum nur hier, nirgendwo anders?

 

Weiter zum Capo Caccia, malerische Klippen am Ende einer weit ins Meer ragenden Halbinsel. Natürliche Buchten-Landschaft, touristische Bauten sind im Naturpark Porto Conte verboten (noch immer). In Sichtweite ragen sogenannte Sarazenen-Türme an den Küsten auf, sich harmonisch einfügende Wachtürme, aus der langen Zeit der aragonesischen Besetzung, errichtet aus Angst vor Angriffen der Araber.

 

Und dann endlich Alghero, wo die Straßen katalanisch und sardisch beschriftet sind, eben weil diese Region jahrhundertelang Teil des Königreiches Aragon, Kataloniens also, war. Unser Guide sagt, wenn heute in Barcelona für die Freiheit Kataloniens demonstriert wird, demonstriert man hier demonstrativ gern mit. Nun gut, etwa ein Viertel der Sarden möchte (jüngsten Umfragen zufolge) Sardinien am liebsten unabhängig von Italien sehen. Das dürften dann wohl die Gesinnungsgenossen der Leute sein, die in Deutschland diese angebliche Alternative wählen: Ewiggestrige, Stetsunzufriedene, Streitsüchtige…

 

In den Gassen Algheros sind Drähte zwischen den Häuserschluchten gespannt, daran Vogelkäfige, geschmückt mit Stoffblumen, alle Käfigtüren weit offen und bunte Vögel sitzen obenauf. Die Stadtverwaltung hatte einen Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben, und gewonnen hatte eine Studentengruppe, die zeigen wollte, dass Menschen, die ihren Käfigen entfliehen, dass Emigranten auch, hier stets willkommen sind. Beeindruckend und wohltuend, das zu sehen. Und auch sonst ist Alghero zweifelsohne ein sehenswertes Städtchen, zumal, wenn dann auch wieder die Sonne scheint.

 

Doch wie sehr Sardinien einst isoliert war, mag man daran ermessen, dass es noch bis in die 1950er Jahre hinein in entlegenen Bergdörfern wohl noch Totmacherinnen gab, Accabadoras, die brauch- und wunschgemäß Todkranke wie eh und je von ihren Leiden erlösten – Michela Murgia berichtet in ihrem gleichnamigen Buch eindrucksvoll davon. Nachdenkenswert, dass da jemand tradiert zugleich Hebamme und Todesengel gewesen sein könnte… Hekate?

 

  

 

Ylva Anna Maria Lindh

 

* 19.6.1957 in Stockholm, † 11.9.2003 ebd., schwedischer Politikerin

  

Anna Lindh studierte Jura, leitete die Jugendorganisation der schwedischen sozialdemokratischen Partei, war seit ihrem 25. Lebensjahr Abgeordnete im schwedischen Reichstag, ab 1990 Kultursenatorin und Vorsitzende des Stadttheaters von Stockholm, 1994 Umwelt- und 1998 Außenministerin Schwedens, 2001 EU-Ratspräsidentin und als Nachfolgerin des Ministerpräsidenten im Gespräch.

 

Als sie dann, wie seinerzeit Olof Palme ohne Leibwächter unterwegs war, wurde sie in einem Stockholmer Krankenhaus niedergestochen und starb am Tag darauf. Immerhin konnte die schwedische Polizei, anders als im Fall Palme, den Attentäter ermitteln und inhaftieren.

 

Anna Lindh, die in Schweden zur beliebtesten Politikerin des Landes gewählt worden und Mutter von zwei Söhnen war, wurde nur 46 Jahre alt.

 

Zwei Jahre nach ihrem Tod wurde die Anna-Lindh-Stiftung gegründet.

 

  

 

Ferdinand Jakob Raimund

 

* 1.6.1790 in Wien, † 5.9.1836 in Pottenstein, österreichischer Dramatiker

 

Franz Grillparzer sagte über Raimunds Werke: „Alles zusammengenommen, kann man Österreich nur Glück wünschen, daß der gesunde Sinn der Nation natürlich anmutige Werke zum Vorschein bringt, denn, Raimunds großes Talent ungeschmälert, hat das Publikum ebensoviel daran gedichtet als er selbst. Der Geist der Masse war es, in dem seine halb unbewußte Gabe wurzelte.“

 

Rosalinde Goethe schrieb in ihrer Einleitung zu Raimunds Gesamtausgabe: „Raimund gelang es, auf dem Volkstheater die gesellschaftlichen Verhältnisse nach dem Wiener Kongreß künstlerisch zu erfassen. Die negativen Auswirkungen des sich trotz aller Reaktion in Österreich entwickelnden Kapitalismus, verbunden mit den Auswüchsen des späten Feudalabsolutismus, erscheinen verallgemeinert als böse Macht des Reichtums, die alle humanen Werte in Frage stellt und bedroht. Ihr setzt Raimund die natürlichen Kräfte des einfachen Volkes entgegen. Schlichte Menschlichkeit und vernünftiges Handeln ist in seinen Volksfiguren, meist kleinen Leuten aus den Wiener Vorstädten gestaltet.“

 

Und Wikipedia weiß: „Von 1823 bis 1834 verfasste Raimund acht Bühnenwerke, die gemeinsam mit dem Werk Nestroys den literarischen Höhepunkt der Alt-Wiener Volkskomödie darstellen. In sein Schaffen mündeten die Traditionen des Barocktheaters, des Stegreifspiels, des Wiener Zauberstücks, der Lokalpasse, der Parodie und des bürgerlichen Schauspiels. Die Mischung von Humor, Melancholie und erzieherische Absicht sicherte ihm einen breiten Erfolg beim Publikum.“

 

Als Ferdinand Raimund im Alter von 46 Jahren von einem vermeintlich tollwütigen Hund gebissen wurde, schoss er sich aus panischer Angst vor Siechtum in den Mund und starb sechs Tage darauf in einem Gasthof in der Nähe von Bayreuth.

  

 

 

William James Sidis

* 1.4.1898 in New York City, † 17.7.1944 in Boston, Massachusetts, amerikanischer Mathematiker

 

Im Alter von 18 Monaten konnte Williams Sidis lesen, mit Acht hatte er bereits vier Bücher geschrieben und sich acht Sprachen selbst beigebracht: Armenisch, Deutsch, Französisch, Griechisch, Hebräisch, Latein, Russisch, Türkisch, und eine Sprache, die er selbst erfunden hatte, nannte er Vendergood.

Mit 11 Jahren war William Sidis die jüngste Person, die sich an der Havard-University immatrikulierte. Im Jahr darauf hielt er im Harvard Mathematical Club bereits Vorlesungen über vierdimensionale Körper. Der Physiker Daniel F. Comstock sagte: „Carl Friedrich Gauß  ist von allen Wunderkindern das einzige Beispiel in der Geschichte, dem Sidis ähnelt. Ich sage voraus, dass der junge Sidis ein großer astronomischer Mathematiker sein wird. Er wird neue Theorien entwickeln und neue Wege zur Berechnung astronomischer Phänomene erfinden. Ich glaube, dass er ein großer Mathematiker sein wird, der in dieser Wissenschaft in der Zukunft führend sein wird.“

Mit 16 Jahren erwarb William Sidis seinen Bachelor-Abschluss mit „summa cum laude“. Mit Siebzehn begann er an der Rice University in Houston zu unterrichten, gab aber nach einem Jahr frustriert auf, nicht zuletzt, da seine Studenten älter waren als er und in nicht achteten. Nun begann er Jura zu studieren, brach das Studium aber ohne Abschluss ab, und beschloss aus Trotz gegen die Gesellschaft und seine Eltern zu rebellieren und wurde im Alter von 21 Jahren erstmals wegen Anstiftung zum Aufstand verhaftet. Während des Gerichtsprozesses erklärte er, dass er Sozialist sei und nicht an Gott als den „Großen Chef der Christen“ glaube. Sein einflussreicher Vater verhinderte, dass er seine Gefängnisstrafe antreten musste. Dafür hielten seine Eltern ihn aber in Sanatorien fest, erst in New Hampshire, dann in Kalifornien, und sie drohten, ihn in eine Irrenanstalt überführen zu lassen, wenn er sich nicht reformiere.

William James Sidis starb im Alter von 46 Jahren an einer Gehirnblutung.

 

 

 

Johann Christian Bach

 

* 5.9.1735 in Leipzig, † 1.1.1782 in London, deutscher Komponist

  

Johann Christian Bach war der jüngste und offenbar auch der Lieblingssohn Johann Sebastian Bachs.

 

In Leipzig geboren, wurde er in Berlin zum Pianist ausgebildet, feierte erste Erfolge als Komponist in Mailand, Turin und Neapel, und folgte schließlich einem Ruf der englischen Königin Sophie Charlotte nach London.

 

Hier trat er im Jahre 1764 sogar gemeinsam mit dem achtjährigen Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart auf. Mozarts Vater empfahl seinem Sohn Kompositionen Johann Christian Bachs zur Nachahmung. Und tatsächlich lassen sich stilistische Einflüsse des „Londoner Bachs“ dann in Mozarts ersten Londoner Sinfonien nachweisen und noch bis in seine reifsten Werke weiterverfolgen. Den Tod Johann Christian Bachs beschrieb Wolfgang Amadeus Mozart in einem Brief an seinen Vater als einen „Verlust für die musikalische Welt“. Der „Londoner Bach“ beigeisterte Mozart zudem für das Freimaurertum.

 

Johann Christian Bach schrieb Konzerte, Sinfonien, Opern, doch starb letztlich verarmt im Alter von 46 Jahren. Die englische Königin übernahm die Begräbniskosten und gewährte seiner Witwe eine lebenslange Rente von jährlich 200 Pfund.

 

 

 

Horst Bastian

 

* 5.12.1939 in Exin, Wartheland, 14.4.1986 in Berlin, deutscher Schriftsteller

  

Poeten, zumal östlicher Provenienz, verfügen nicht selten über die Gabe, ihre Gedichte aus dem Gedächtnis zu skandieren. Doch Prosaisten? Roman-Zitate?

 

Horst Bastian sollen bei Lesungen Wünsche zugerufen worden sein: „Herr Bastian, bitte aus ‚Gewalt und Zärtlichkeit, Band 1, die Seite 358“ oder aus „Gewalt und Zärtlichkeit, Band 4, Seite 533 oben bitte!“

 

Und dann soll Bastian sich auf dem Lesetisch drapiert, sich das Haar zurückgestrichen, gelächelt und losgelegt haben. Wie erbeten: „Gewalt und Zärtlichkeit“, Band 1, Seite 358 oder „Gewalt und Zärtlichkeit, Band 4, Seite 533 oben. Und selbstredend soll dies auch mit „Wegelagerer“ oder „Die Brut der schönen Seele“ oder Nicht jeder Tag ist Beerdigung“ geklappt haben. Und sogar Zitate aus seinen „Polizeiruf 110“-Drehbüchern waren möglich.

 

Am liebsten dürfte ihm aber wohl gewesen sein, fragte jemand nach dem Anfang von „Gewalt und Zärtlichkeit“: An den meisten Tagen blieb sein Platz leer, und wenn der Lehrer zu Beginn des Unterrichts die Namen der Schüler aufrief und endlich auch Druga nannte, riefen immer mehrere Jungen: „Krank!“ Sie fanden das sehr lustig, und wer es zuerst gerufen hatte, sah sich dann wie ein großer Sieger in der Klasse um. Druga war dreizehn Jahre alt, und wenn es seine Gesundheit erlaubte, in die Schule zu gehen, saß er stets allein auf seiner Bank. Er war sehr weiß im Gesicht, und die Mitschüler mieden seine Nähe. Die Bauern im Dorf sagten, Druga würde bald sterben, und hatten Angst, ihre eigenen Kinder könnten sich bei ihm anstecken. Sie hatten ihre Kinder sehr lieb, und Druga war ein Fremder…

 

Ja, Druga schien mit dem Asthmatiker Horst Bastian so einiges gemein zu haben.

 

Über die Personage von „Gewalt und Zärtlichkeik“, sein wohl nachhaltigstes Buch, sagte er: Sie schlagen zu. Und sie stehlen, Sie werden getreten. Aber sie treten zurück… Sie wehren sich nur, sie glauben nicht an Gerechtigkeit… Keiner ist älter als vierzehn. Nicht jeder ist elternlos. Doch Stiefkinder des Lebens sind sie alle. Der Krieg hat sie dazu gemacht. Ihre Sehnsucht ist eine bessere Welt…

 

Gut möglich, dass er so auch argumentiert hätte, wenn man ihn nach Hartmut Möwe gefragt hätte. Hartmut Möwe - keine von Bastian erfundene Figur, nein, sein realer Deckname als informeller Protagonist.

  

 

 

Charles-Pierre Baudelaire

 

* 9.4.1821 in Paris, † 31.8.1867 ebd., französischer Lyriker

  

André Gide sagte: „Nach den ‚Blumen des Bösen’ konnte nicht nur die französische, sondern ebenso die deutsche und englische -, konnte die europäische Dichtung nicht mehr dieselbe bleiben wir zuvor.“

  

Oft kommt es vor, dass die Besatzung zum Vergnügen

 

Sich einen Albatross, den mächtgen Vogel, fängt,

 

Der sorglos stets das Schiff umkreist mit seinen Flügen,

 

Solang es über all die bittren Tiefen lenkt.

 

 

Und Paul Valéry urteilte: „Mit Baudelaire überschreitet die französische Dichtung endlich die Grenzen der Nation.“

 

Jedoch wenn es gelingt, ihn auf das Deck zu bringen,

 

Dann schleift er, dieser Fürst des blauen Raums, in Schmach

 

Und Unbeholfenheit die langen, weißen Schwingen

 

Wie Ruder jämmerlich auf beiden Seiten nach.

 

 

Walter Benjamin meinte, dass man  „die Schranken des bürgerlichen Denkens, auch gewisse bürgerlichen Reaktionsweisen hinter sich gelassen haben muss, um in den ‚Fleurs du mal“ zu Hause zu sein.“

 

 Wie plump und linkisch ist der stolze Meerdurchschwärmer!

 

Er, eben noch so schön, jetzt komisch, schlaff und schwer!

 

Einer brennt seinen Schnabel mit dem Nasenwärmer,

 

Einer hinkt hinter ihm, der flog! mit Grinsen her.

  

Kurz vor seinem Tod gab Charles Baudelaire eine Selbsteinschätzung seines Hauptwerkes ab. In seinem Nachwort zu einer Baudelaire-Ausgabe im Insel-Verlag schreibt Gerhard Schewe: „Auch wenn es von ihm abgestritten worden sei, heißt es darin, habe er in diesem grässlichen Buch doch sein ganzes Herz, seine ganze Liebe, seine ganze (verkleidete) Religion, seinen ganzen Hass kundgetan. Die ‚Blumen des Bösen sind folglich mehr als nur misstönender Zeitreflex: sie sind bei aller beabsichtigter Entpersönlichung – kaum ein Gedicht ist aus autobiographischen Fakten voll erschließbar – Ausdruck des Verhältnisses Baudelaires zu seiner Zeit.“

  

Wie gleicht der Dichter doch dem Könige der Wolke,

 

Der eines Schützen lacht und sucht das Sturmeswehn!

 

Am Boden ausgesetzt, mitten im frechen Volke,

 

Hindern ihn seine Riesenfittiche am Gehen.

 

 

 

 

Walter Spies

 

* 15.9.1895 in Moskau, † 19.1.1942 westlich von Nias im Indischen Ozean, deutscher Musiker und Maler

  

Walter Spies entstammte einer seit Generationen in Russland ansässigen Kaufmannsfamilie. Nach dem Ersten Weltkrieg kam er nach Deutschland, malte und wurde Assistent des Stummfilmregisseurs Friedrich Murnau.

 

Dann heuerte er als Matrose an, doch verließ sein Schiff in Niederländisch Indien, im heutigen Jakarta, arbeitete  in Bandung als Klavierspieler in einem Stummfilmkino und wirkte in Yogyakarta als Kapellmeister des Sultans.

 

Auf Bali gründete er Gamelanmusik-Ensembles, malte wieder und sein Haus wurde zum kulturellen Zentrum der Insel. Sogar Charlie Chaplin und Margaret Mead besuchten ihn hier.

 

Nach der deutschen Besetzung der Niederlande wurde Walter Spies von niederländischen Kolonialbehörden interniert und sollte dann mit anderen Deutschen kurz vor der japanischen Invasion nach Ceylon ausgeschifft werden. Vor der Insel Nias wurde der Internierten-Transport jedoch von einem japanischen Kampfflieger versenkt. Da die niederländische Schiffs-Besatzung die Rettungsboote für sich reklamierte und die verbleibenden zerstörte, ertranken alle Internierten, so auch Walter Spies.

  

 

 

 

Eckart Friedrichson

 

* 14.1.1930 in Wernigerode, † 7.6.1976 in Berlin, deutscher Schauspieler

  

Ich komme aus dem Märchenland, bin allen Kindern wohlbekannt.

 

Schnippeldi, schnappeldi Scher’ – der Meister Nadelöhr! -

 

sang Eckart Friedrichson von 1955 bis 1975 am Sonnabend-, dann am Sonntagnachmittag im DDR-Fernsehen und spielte dazu auf seiner großen „Zauber-Elle“. Welches Kinder von der Ostsee bis zum Erzgebirge war nicht wenigstens einmal bei ihm „Zu Besuch im Märchenland“?

 

Seit seiner Kindheit litt Eckart Friedrichson jedoch an Diabetes und starb infolge dieser Erkrankung im Alter von 46 Jahren durch Herzinfarkt.

 

 

 

 

E. T. A. Hoffmann

 

* 24.1.1776 als Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann in Königsberg, † 25.6.1822 in Berlin, deutscher Schriftsteller

  

„Vor dem Hintergrund der bitteren gesellschaftlichen Erfahrungen, die Hoffmann […] als Kulissenmaler, Theaterkapellmeister, Rezensent, Musikalienhändler, und Klavierlehrer höherer Töchter sammelte, vollzog sich sein Eintritt in die Literatur“, schrieb der Autor Gerhard Seidel. „Nichts bewegte den phantasie- und gefühlvollen Hoffmann so lebhaft wie der tief empfundene und erlittene Gegensatz von Bürger und Künstler, von Philister und Enthusiast, von Kunstverächter und Kunstverehrer. Ihm, dem historisches Denken und rationale Analyse fremd waren, reduzierte sich das vielschichtige gesellschaftliche Panorama des damaligen Deutschland auf jenen Gegensatz. Er wurde zum Zentralthema seines literarischen Schaffens.“

 

Und der Herausgeber Gerhard Schneider urteilte: „Produktiv wurde für Hoffmann besonders der von Schubert ausgesprochene Gedanke, daß der Mensch nicht bloß im somnambulen Zustand, sondern auch durch poetisches Erleben der ursprünglichen Harmonie der Weltseele wieder inne werden könne, daß auf den Künstler die Fähigkeit unmittelbarer intuitiver Erkenntnis der Naturzusammenhänge überkommen sei. Dieser den Künstler adelnde Gedanke stimmte voll mit Hoffmanns Anschauungen überein, bestimmte die Formierung der Konflikte in seinen wesentlichen Dichtungen.“

 

E. T. A. Hoffmann schuf ein umfangreiches dichterisches und musikalisches Werk, so die Romane „Die Elixiere des Teufels“, „Lebensansichten des Katers Murr“ und „Meister Floh“. Die meisten seiner Erzählungen, Märchen und Novellen veröffentlichte er in den Sammlungen „Fantasiestücke in Callots Manier“, „Nachtstücke“ und „Die Serapionsbrüder“.

 

E. T. A. Hoffmann starb im Alter von 46 Jahren aufgrund einer Atemlähmung.

 

  

 

 

Alfonsina Storni

 

* 29.5.1892 als Alfonsina Storni Martignoni in Sala Caprisca, Schweiz, † 25.10.1938 in Mar del Plata, argentinische Schriftstellerin

  

Alfonsina Storni thematisierte in ihren Texten, insbesondere in ihren späten „Antisonetten“, Desillusionierungen, die Trostlosigkeit der Großstadt, die Lieblosigkeit des modernen Lebens, die Einsamkeit, rebellierte gegen hergebrachte Stereotype des Weiblichen, gilt als eine der wichtigen Wegbereiterinnen der modernen lateinamerikanischen Frauenliteratur.

 

Mit Einundzwanzig erschienen ihre erste Gedichte in einer Zeitschrift, mit Vierundzwanzig ihr erster Gedichtband, dessen Druck sie allerdings selber finanzieren musste; die Kosten von 500 Pesos hierfür zahlte sie ihr Leben lang ab. Ihre dritte Lyriksammlung widmete sie Denen, die wie ich keinen einzigen ihrer Träume verwirklichen konnten.

 

Mit Dreißig wurde ihr der argentinische Staatspreis für Literatur zugesprochen. Mit Dreiunddreißig organisierte sie mit anderen Dichterinnen in Mar del Plata erfolgreich ein Poesie-Festival, im Jahr darauf erhielt sie einen Lehrstuhl am Musikkonservatorium von Buenos Aires und gab ihr einziges Prosawerk heraus: Poemas de amor.

 

Mit dreiundvierzig erkrankte Alfonsina Storni an Brustkrebs. Drei Jahre später hielt sie in Montevideo einen Vortrag, überschrieben Entre un par de maletas a medio abrir y las manecillas del reloj - Zwischen halb geöffneten Koffern und Uhrzeigern. Und in Gedichten klingen konkrete Selbstmordgedanken an.

 

Am 22. Oktober 1938 schrieb sie in einer Pension in Mar del Plata das Gedicht Voy a dormir - Ich gehe schlafen, das sie noch selbst an eine Zeitung schickte, drei Tage später ertränkte sich Alfonsina Storni am Strand La Perla.

  

 

 

 

Francisco „Paco“ Urondo

 

* 10.1.1930 in Santa Fe, † 17.6.1976 in Mendoza, argentinischer Schriftsteller

  

Als Mitglied der Stadtguerilla wurde der Autor und Literaturprofessor Paco Urondo 1973 für kurze Zeit inhaftiert und schrieb nach seiner Entlassung das Werk La patria fusilada  - Das hingerichtete Vaterland, in dem er über seine Gefängnis- Erfahrungen wie das Massaker von Trelew berichtete. Dieses Massaker gilt als Auftakt des „schmutzigen Kriegs“ des argentinischen Militärs gegen die eigene Bevölkerung: 16, aus einem Hochsicherheitsgefängnis entflohene Oppositionelle waren am Flughafen von Trelew gestellt und im August 1972 umgehend erschossen worden.

 

Nachdem sich im Frühjahr 1976 General Vileda an die Macht geputscht hatte, verlor Paco Urondo seine Professur und wurde wenige Wochen später von Soldaten ermordet.

 

 

 

 

Gottfried August Bürger

 

* 31.12.1747 in Molmerswende, † 8.6.1794 in Göttingen, deutscher Dichter

 

„Zugabe, Zugabe!“ riefen die Kinder.

 

Und als sie dann auch noch rhythmisch zu applaudieren begannen, erschien der Baron von Münchhausen tatsächlich noch einmal auf der Puppenbühne, umhalste seine Frau, die Gretel, und flog mit ihr auf der Kanonenkugel davon.

 

„Zugabe, Zugabe!“

 

„Nein, nun ist es genug!“

 

Der Puppenspieler trat hinter der Bühne hervor und verbeugte sich tief.

 

„Tschüß, Kinder!“

 

Und auch die Baron-von-Münchhausen-Puppe winkte ihren kleinen Bewunderern ein letztes Mal zu. Dann wurde sie samt Gretel wieder in einer Vitrine des Münchhausen-Museums verstaut.

 

„Schade“, sagte ein Mädchen zu ihrer Freundin, als die Kinder das Museum verließen. „Von mir aus könnte Münchhausen wieder richtig lebendig sein!“

 

„Kann er doch!“ behauptete das andere Mädchen, „Klar, warum sollte er nicht?“

 

Und die beiden setzten sich auf die Bank vor dem Denkmal des Dichters, der etliche der Münchhausen-Geschichten ersonnen hatte, setzten sich vors Denkmal Gottfried August Bürgers und begannen zu tuscheln und zu kichern, dass es wie ein Wind von den Harzgipfeln her durch die Gassen und Gässchen des Harzdorfes Molmerswende wisperte.

 

„Sei nicht so träge! Komm, beweg dich!“ Gretel stieß ihren Mann, den Baron von Münchhausen an. „Seit mehr als zweihundert Jahren kein neues Abenteuer mehr, Mann, was ist bloß mit dir los!“

 

„Ach, lass mich, die Vorstellung war anstrengend, dieses ewige Herumgezappel, so wie’s der Puppenspieler will! Aber ansonsten ist es doch ganz schön hier im Museum. Und meine Bücher gibt’s überall auf der Welt, überall kommen meine Abenteuer, kommen meine Heldentaten an! Da kann man sich’s doch wohl ein bisschen bequem machen, nicht wahr!“

 

„Dass ich nicht lache!“ stichelte Gretel weiter, „Alt bist du einfach geworden, alt, einfallslos und ohne Mumm in den Knochen!“

 

„Wie bitte?“

 

Die Münchhausen-Puppe richtete sich in der Vitrine auf, ihr Gesicht belebt sich, sie mustert die neben ihr liegende Gretel-Puppe.

 

„Ich kann mich gar nicht erinnern, eine Frau in meinen Geschichten gehabt zu haben. Wer hat dich eigentlich erfunden?“

 

Die Gretel-Puppe lächelte den Baron von Münchhausen an.

 

„Ach, das spielt doch keine Rolle. Hauptsache ich bin da! Ich bin da und wette, daß du es nicht schaffst, auch nur ein neues Abenteuer zu bestehen!“

 

„Was soll ich nicht?“

 

Der Baron von Münchhausen sprang aus der Museums-Vitrine, schüttelte sich und blies sich zu voller Größe auf.

 

„Na, da schau an!“ rief seine Frau und tat es im gleich.

 

„Und wie weiter?“

 

„Nun zieh dich erst mal ordentlich an!“ sagte Gretel und rückte dem Baron von Münchhausen den Dreispitz gerade und zupfte an seiner Uniform. „Glaubt ja sonst keiner, dass du wirklich der Lügenbaron bist, der berühmte!“

 

„Und ob ich der bin!“, rief der Baron von Münchhausen und fuchtelte mit seinem Degen herum, „Um was wetten wir eigentlich?“

 

„Wenn du ein neues Abenteuer bestehst, gewinnst du eine Menge neuer Fans!“ bot Gretel an“, „Und wenn nicht...“

 

„Und wenn nicht, und wenn nicht“, äffte der Baron von Münchhausen seine Frau nach, „Keine Frage, dass ich schon mitten in ei­nem neuen Abenteuer bin. Topp, die Wette gilt!“

 

Mit großen Schritten stürmte er ins Dorf. Vor der Kirche waren die Kinder gerade dabei, sich zu verabschieden.

 

„War ganz schön, dass der Puppenspieler mal wieder da war!“

 

„Ja, sonst ist ja hier nichts los!“

 

„Und wenn ich erst an diesen blöden Aufsatz morgen denke... Über Bergbau!“

 

„Kein Problem!“ rief der Baron von Münchhausen und kam schwer atmend und schnaufend zum Stehen. „Kein Problem! Ich bin Bergbau-Experte! Einmal seilte ich mich nämlich vom Mond, als plötzlich oberhalb der Wolken die Liane riss. Und durch die Schwere meines Körpers bohrte ich mich beim Aufprall so tief in die Erde, dass ich glaubte, in diesem Loch umkommen zu müssen. Dank meines Wissens um die Bergbaukunst grub ich mich jedoch ausschließlich mit Hilfe meiner Fingernägel wieder an die Erdoberfläche!“

 

„Ja, kennen wir.“

 

„Morgen müssen wir aber über richtigen Bergbau Bescheid wissen, über Bergbau im Mansfelder Land!“

 

„Hm, hat mir im Museum nicht neulich jemand erzählt, den gibt’s nicht mehr?“ wunderte sich der Baron von Münchhausen.

 

„Eben darum!“

 

„Genau“, sagte ein Mädchen, „Hier beginnt zwar das Mansfelder Land. Aber alle Bergwerke sind außer Betrieb, seit zehn Jahren oder so. Keine Ahnung, wie das mal funktionierte.“

 

„Kein Problem!“ behauptete der Baron von Münchhausen und klopfte sich auf die Hemdbrust, dass es nur so stiebte, „Fragen wir doch einfach zwei meiner sagenhaften Freunde! Fragen wir, Nappian und Neuke, die sind hier im Mansfeldischen schließlich zu Hause!“

 

„Nappian und Neuke? Nie gehört!“

 

Schon brüllte der Baron von Münchhausen aber, dass sich der geruhsam aus den Molmerswender Hausschornsteinen aufsteigende Rauch zu kräuseln begann: „Nappian! Neuke!“

 

Und die beiden Steinfiguren der Treppe zum Mansfeld-Museum schlugen ihren Augen auf und lauschten in den von den Harzhöhen heranbrausenden Wind.

 

„Nappian! Neuke!“

 

Die beiden nickten sich zu und folgten augenblicklich dem unüberhörbaren Ruf Münchhausens. Den Kindern erzählten die ihre Geschichte im Duett:

 

„Vor achthundert Jahren überfielen uns nicht weit von hier Räuber. Nappian wurde verletzt, und Neuke fand einen Köhler, der seinen Freund pflegte. Dafür half Neuke dem Köhler bei der Arbeit. Und als er eines Tages einen Kohlenmeiler aufbrach, entdeckte er geschmolzenes Erz. So kamen Nappian und Neuke auf die Spur des Mansfelder Kupferschiefers. Sie blieben am Fundort, der fortan Kupferberg hieß und heute in der Stadt Hettstedt liegt, schürften und verhütteten das Erz und begründeten somit den Mansfelder Kupferbergbau. Und als sich der Kupferabbau hier dann nicht mehr lohnte, wurden wir zu steinernen Museumsfiguren.“

 

Nappian und Neuke verneigte sich gleichzeitig und artig und waren flugs verschwunden.

 

„Prima“, sagte ein Junge, „Nun weiß ich zumindest schon, wie ich meinen Aufsatz beginnen kann!“

 

„Ja, aber wie weiter?“

 

„Kein Problem!“ meinte der Baron von Münchhausen. „Ich eröffne euch einfach ein Bergwerk!“

 

„Ach ja?“

 

„Wie geht denn das?“

 

„Folgt mir“, raunte der Baron von Münchhausen, „Vertraut mir, ja, vertraut mir, und ihr werdet euer Wunder erleben!“

 

Tatsächlich hatten die Kinder auf einmal Berghelme auf und hockten in einer Grubenbahn. Dann entdeckten sie ein riesiges Förderrad und kamen an seltsamen Gerätschaften vorbei: Pumpen, Streben, Förderkörben, Gebläsen und Seilwinden und erlebten eine gewaltig schnaufende, fauchende Dampfmaschine.

 

„Hui, wie ein Drache!“

 

„Ja, wie ein Bergdrache!“

 

Und zu guter Letzt pickelten die Kinder sogar am Schiefergestein, pickelten bis Staubwolken sie einzuhüllen begannen.

 

„Das Erz muss aber in die Hunte!“ bestimmte der Baron von Münchhausen.

 

„Ich hab Angst vor Hunden!“ jammerte ein Mädchen.

 

„Quatsch! Die Loren, die kleinen, schwarzen Bergwerksloren heißen Hunte. Hunte, mit Te statt De! Klar?“

 

„Ach so.“

 

„Ja, und mit denen kann man phantastische Wettfahrten veranstalten, fast so wie Kanonenkugelflüge!“

 

Der Baron von Münchhausen sprang in einen der herumstehenden Hunte, winkte den Kindern, ihm zu folgen, rief: „Mal sehen, wer als erster wieder auf dem Dorfplatz von Molmerswende landet!“ und flog auch schon davon. Alle Kinder ihm hinterdrein.

 

„Nicht schlecht“ staunte ein Junge.

 

„Ja, und ich weiß auch schon, was ich morgen schreiben werde!“ sagte ein Mädchen.

 

Im Münchhausen-Museum kontrollierte der Puppenspieler unterdessen, ob auch alle Räume leer waren und sich alles an seinem Platz befand. Immer näher kamen seine Schritte dem Zimmer, in dem die Puppenvitrine stand.

 

„Beeil, dich, Mann!“ zischte Gretel den Baron von Münchhausen an.

 

„Und zufrieden mit mir? Wette gewonnen?“

 

„Logisch!“

 

Der Baron von Münchhausen zwirbelte stolz seinen Schnurrbart, verbeugte sich galant und schrumpfte wieder zur Puppe.

 

Und als der Puppenspieler an die Vitrine herantrat lag da sein Hauptdarsteller so friedlich neben seiner Frau, der Gretel, als wäre nichts gewesen.

 

Der Puppenspieler löschte das Licht, verschloss die Tür und trat ins Freie. Vor dem Gottfried-August-Bürger-Denkmal saßen noch immer die beiden Mädchen.

 

„Ihr könnt euch wohl gar nicht trennen, vom Lügenbaron?“

 

„Nein, wir waren unterwegs mit Münchhausen!“

 

„Genau, bis jetzt eben noch, in einem Bergwerk!“

 

„Ach so, und da habt ich wohl Phantasie zu Tage gefördert, was?“

 

Die beiden Mädchen kicherten verlegen und zeigte dem Puppenspieler eine glänzende Kupferschieferscheibe.

 

„Sieht so etwa Phantasie aus?“

 

Der Puppenspieler zuckte mit den Schultern, lächelte und sagte: „Na dann, bis zum nächsten Abenteuer!“

 

  

 

 

Ralph Erwin

 

* 31.10.1896 als Erwin Vogl in Bielitz, Pseudonym: Harry Wright, † 15.5.1943 in Beaune-la-Rolande, österreichischer Komponist

  

Durch seine Komposition Ich küsse Ihre Hand, Madame wurde Ralph Erwin weltberühmt.

 

Er unternahm zahlreiche Konzertreisen, gab Auftritte im Rundfunk und schrieb die Musik für mehr als 40 deutsche und französische Tonfilme, die bis 1933 teilweise deutsch-französische Gemeinschaftsproduktionen waren.

 

Ich küsse Ihre Hand, Madame,

 

und träum' es war ihr Mund.

 

Ich bin ja so galant, Madame,

 

doch das hat seinen Grund ...

 

Nach der Machtergreifung der Nazis emigrierte Ralph Erwin seiner jüdischen Herkunft wegen nach Frankreich, und nachdem dann die Wehrmacht in Paris einmarschiert war, wurde er interniert. Zwar konnte ihn seine Frau befreien und verstecken, doch verstarb er schließlich an den Folgen eines Bauchschusses.

  

 

 

 

John Fitzgerald „Jack“ Kennedy

 

* 29.5.1917 in Brookline, Massachusetts, genannt: JFK, † 22.11.1963 in Dallas, Texas, amerikanischer Präsident

  

Bis dato war JFK der zweitjüngste Präsidenten der USA. Nur Theodore Roosevelt kam ein Lebensjahr früher, mit zweiundvierzig, als Vizepräsident automatisch ins Amt, nachdem sein Vorgänger an den Folgen eines Attentats verstorben war.

 

Und bis dato war JFK der vierte Präsident der USA, der (nach Abraham Lincoln, James Abram Garfield und William McKinley) ermordet wurde. Zwölf weitere Präsidenten der USA überlebten Mordversuche, bis dato.

 

Ask not what your country can do for you — ask what you can do for your country! – hatte JFK hatte in seiner Amtseinführungsrede im Januar 1961 gesagt, und er sagte auch: Wenn eine freie Gesellschaft den vielen nicjt helfen kann, die arm sind, kann sie die wenigen nicht retten, die reich sind.

 

Wer weiß, ob allein der Vietnam-Krieg so eskaliert wäre, wie er eskalierte, wäre JFK nicht nach 1036 Tagen im Amt, im Alter von 46 Jahren erschossen worden.

 

Wer weiß, ob…

 

Wer weiß…

 

 

 

 

Teresa de la Parra

 

* 5.10.1889 als Ana Teresa Parra Sanojo in Paris, † 23.4.1936 in Madrid, venezolanische Schriftstellerin

 

Teresa de la Parra gilt als eine der wichtigsten Autorinnen der venezolanischen Frauenliteratur. Ihr Roman „Tagebuch einer jungen Dame, die sich langweilt“ wurde in die UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke sowie in die Manesse Bibliothek der Weltliteratur aufgenommen. Die Protagonistin dieses Romans trägt autobiografische Züge, die versucht herauszufinden, ob es einer intelligenten und gebildeten Frau möglich ist, der Ehe zu entgehen, ohne ihre Ansehenswürdigkeit in der Gesellschaft zu verlieren, in der von Frauen erwartet wird, dass sie Ehefrauen und Mütter werden.

 

Teresa de la Parra starb im Alter von 46 Jahren in Madrid an Tuberkulose und wurde anlässlich ihres 100. Geburtstages exhumiert und feierlich im Panthéon Nacional de Venezuela beigesetzt.

 

  

 

Fritz Sperling

 

* 11.10.1911 in Algringen, Lothringen † 21.4.1958 in Berlin, deutscher Politiker

  

Fritz Sperling überlebte das Tausendjährige Reich, da er in der Schweiz wegen „fortgesetzter kommunistischer Tätigkeit und Propaganda“ inhaftiert worden war.

 

Im Juli 1945 wurde Fritz Sperling Vorsitzender der Kommunistischen Partei Bayerns, 1950 Stellvertretender KPD-Vorsitzender in Westdeutschland.

 

Als er sich Ende Februar 1951 wegen seiner in der Haft erlittenen Gesundheitsschäden im Regierungskrankenhaus der DDR behandeln lassen wollte, wurde er als angeblicher Agent verhaftet und wieder und wieder verhört. Fritz Sperling erinnerte sich: Ich wurde mit Fäusten geschlagen, ich wurde mit einem Vierkantlineal aus Stahl geschlagen. Bei einer Vernehmung wurde ich an den Tisch gesetzt. Der Chef der sowjetischen Vernehmer-Brigade,

 

welcher neben mir saß, schlug mir mit der flachen Hand in kurzen Intervallen an das kranke Herz, obwohl er wusste, dass ich zweimal einen Herzinfarkt hatte. Diese Tortur dauerte etwa zwei Stunden. In derselben Nacht wurde ich an die Schienbeine getreten, mit den Fäusten auf den Kopf geschlagen, und es wurden mir Haare ausgerissen. Bei einer anderen Vernehmung, die ohne Zeugen durchgeführt wurde, wurde mir die Brille zerschlagen. Die Platinfassung der Brille wurde gestohlen.

 

Im März 1954 wurde Fritz Sperling vom Obersten Gericht der DDR wegen „Verbrechen gegen den Frieden“ zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, im Frühjahr 1956, kurz nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Zuge der Entstalinisierung jedoch begnadigt. Rehabilitiert wurde Fritz Sperling allerdings erst 32 Jahre nach seinem Tod durch den Parteivorstand der PDS.

 

  

 

 

Geoffrey Gurrumul Yunupingu

 

* 22.1.1971 auf Elcho Island, Northern Territory, † 25.7.2017 in Darwin, Aborigine Musiker

  

Yunupingu war von Geburt an blind, besuchte nie eine Schule und brachte sich das Spielen von Didgeridoo, Schlagzeug, Keyboard und Gitarre selbst bei. Und er sang seine Lieder in seiner Muttersprache Yolngu matha.

 

Sein erstes Solo-Album „Gurrumul“ erreichte 2008 Platz 3 der australischen Charts und hielt sich 56 Wochen in den Top 100. Weitere vier Solo-Alben sollten folgen, das letzte postum: „Djarimirri – Kind des Regenbogens“. 2012 erhielt er den Titel „Honorary Doctor of Music“ der Universität Sydney.

 

Yunupingu starb im Alter von 46 Jahren während einer Behandlung einer langwierigen Leber- und Nierenerkrankung durch Herzinfarkt.

  

 

 

Leslie Cheung

* 12.9.1956 als Cheung Kwok Wing in Hongkong, † 1.4.2003 ebd., chinesischer Sänger und Schauspieler

 

In den 1980er Jahren begann Leslie Cheung seine Karriere sowohl als Sänger wie als Schauspieler und wurde durch den Film „Lebewohl, meine Konkubine“ in den 1990ern auch international bekannt. Er wirkte in mehr als 60 Filmen mit und wurde anlässlich einer Umfrage zum 100. Jubiläum des chinesischen Films zum beliebtesten Schauspieler Chinas gewählt.

Geplagt von Depressionen stürzte er sich im Alter von 46 Jahren aus einem Fenster eines Hongkonger Hotels zu Tode.

 

 

 

 

Dorothea Christiane Erxleben

 

* 13.11.1715 als Dorothea Christiane Leporin in Quedlinburg, † 13.6.1762 ebd., deutsche Ärztin

  

Dorothea Christiane Erxleben war die erste promovierte deutsche Ärztin.

 

Um Kranke gekümmert hatte sie sich in Quedlinburg seit langem, von den Ärzten ihrer Heimatstadt war sie jedoch mangels ihrer universitären Ausbildung als Dilettantin verschrien.

 

Im Alter von 29 Jahren versuchte sie sich gegen diese Anfeindungen durch die Schrift „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten“ zu wehren: Die Verachtung der Gelehrsamkeit zeigt sich besonders darin, dass das weibliche Geschlecht vom Studieren abgehalten wird. Wenn etwas dem größten Teil der Menschheit vorenthalten wird, weil es nicht allen Menschen nötig und nützlich ist, sondern vielen zum Nachteil gereichen könnte, verdient es keine Wertschätzung, da es nicht von allgemeinem Nutzen sein kann. So führt der Ausschluss vieler von der Gelehrsamkeit zu ihrer Verachtung. Dieses Unrecht ist ebenso groß wie dasjenige, das den Frauen widerfährt, die dieses herrlichen und kostbaren Gegenstandes beraubt werden.

 

Nur in Begleitung ihres Bruders konnte sie sich schließlich Zugang zu einer wissenschaftlichen Ausbildung verschaffen. Aber erst nachdem sie sich an Friedrich den Großen gewandt hatte, durfte sie an der halleschen Universität auch promovieren.

 

Im Alter von 38 Jahren reichte sie ihre Dissertation mit dem Titel „Quod nimis cito ac iucunde curare saepius fiat causa minus tutae curationis - Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten“, ein, und wurde dann feierlich zum „Doktor der Arzeneygelahrtheit“ erklärt.

 

Im Alter von 46 Jahren starb Dorothea Christiane Erxleben an Brustkrebs.

 

  

 

 

George Perry Floyd

 

* 14.10.1973 in Fayetteville, North Carolina, † 25.5.2020 in Minneapolis, Minnesota, amerikanischer Rapper

  

Die Black-Lives-Matter-Bewegung entstand im Jahre 2013, nachdem ein Weißer den Siebzehnjährigen Trayvon Martin in Florida ermordet, doch von einem Gericht freigesprochen worden war. Die Black-Lives-Matter-Bewegung schwoll von Mord zu Mord an Afroamerikanern weiter an, kaum oder nicht gesühnter Morde: an Michael Brown, Eric Garner, Tamir Rice, Eric Courtney Harris, Walter Lamar Scott, Jonathan Ferrell, Sandra Bland, Samuel DuBose, Freddie Gray, Breonna Taylor…

 

Parolen: „Is my son next?“ - „No justice, no peace!“…

 

Nachdem ein Polizist im Jahr 2020 am helllichten Tage minutenlang George Floyd öffentlich die Luft abdrückte, und er schließlich trotz seines wiederholten Flehens „I can’t breathe“ qualvoll erstickte, wurde Black Lives Matter! zum weltweiten Protestruf.

 

George Floyd war Vater von fünf Kinder und Großvater zweier Enkel. Und „Big Floyd“ war Rapper, bekannt vor allem einst als Mitglied der Screwed Up Click. Und gerappt hatte er Songs wie: „Suc 4 Life“, „It don’t stop“, „You Know What Im Talkin Bout“, und nicht zuletzt: „R.I.P.“

 

  

 

 

Clemens von Ketteler

 

* 22.11.1853 in Potsdam, † 20.6.1900 in Peking, deutscher Diplomat

  

Clemens von Ketteler diente als deutscher Botschafter in den USA, dann in Mexiko und ab April 1899 in China.

 

Während des Boxeraufstandes wollte er am 20. Juni 1900 im chinesischen Außenministerium verhandeln, nachdem es zu Kämpfen zwischen internationalen Streitkräften, darunter auch deutschen Soldaten, und chinesischen Regierungstruppen gekommen war. Auf dem Wege wurde er von einem mandschurischen Korporal aus nächster Nähe erschossen. Der Täter gab an, auf Befehl seiner Vorgesetzten und wegen einer versprochenen Geldbelohnung gehandelt zu haben.

 

Nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes verpflichtete sich die chinesische Regierung im Jahr darauf, sich für diesen Mord zu entschuldigen, eine „Sühnegesandtschaft“ nach Deutschland zu senden und ein mit dem Rang Kettelers „korrespondierendes Denkmal“ an der Stelle des Mordes zu errichten. Und tatsächlich reiste dann Prinz Chun II. nach Potsdam und vollführte einen zeremoniellen „Sühneakt“.

 

 

 

Robert Kraft

* 3.10.1869 in Leipzig, † 10.5.1916 in Haffkrug, deutscher Schriftsteller

 

Robert Kraft wurde als „deutscher Jules Verne“ vermarktet und mit Karl May verglichen. Seine phantastischen, Abenteuer- und Kriminalromane spielen in zahlreichen Weltgegenden, die er allerdings, im Gegensatz zu Karl May, zumeist selbst durchstreift hatte. Und er gilt als letzter großer Vertreter des deutschen Kolportage- und Sensationsromans.

Wikipedia weiß: „Kraft gelingt es, aus der eigentlich flachen, sensationslüsternen Sklavenarbeit des Kolportageromanschreibens eine eigene, sehr kreative Tätigkeit zu entwickeln, die bewusst versucht, Tagträume durch meditative Techniken spontan und unmittelbar in den Schreibfluss zu integrieren.“

Er verfasste Romanreihen wie „Aus allen Welttheilen“ oder „Im Zeppelin um die Welt“, mehr als 20 Romane wie „Die Vestalinnen“ oder „Die Abgottschlange“ und gut 50 Erzählungen, zudem wurden diverse Sammlungen und Werkausgaben Robert Krafts veröffentlicht.

Im Alter von 20 Jahren heuerte er in Hamburg auf einem Schiff an, das vor Grönland kenterte, fuhr auf weiteren Schiffen und gelangte nach Ägypten, wo er mit einer Frau in der Wüste lebte, diente in der deutschen Kriegsmarine, begegnete in der libyschen Wüste Rifai-Derwischen, zog nach London, heiratete, kehrte nach Deutschland zurück, brachte in Monte Carlo sein ererbtes Vermögen durch und lebte fortan mittellos in Kleinzschachwitz, Friedrichshagen, Bad Schandau, Dresden und Hamburg.

Im Alter von 46 Jahren starb Robert Kraft an einem Magenleiden.

 

 

 

 

 

George Orwell

 

* 25.6.1903 als Eric Arthur Blair in Motihari, Bihar, † 21.1.1950 in London, britischer Schriftsteller

  

Der „Münchner Merkur“ titelte anlässlich einer Neuauflage von George Orwells „1984“ zur Jahrtausendwende: „Orwell hätte sein berühmtes Buch auch ‚2000’ nennen können.“ Klar, und auch „2025“, wahrscheinlich auch „2050“ oder „2100“…

 

Der österreichische Science-Fiction-Autor Herbert W. Franke sprach von einer „geradezu photorealistischen Wirklichkeitsnähe“, die Orwell erreiche: „der Leser – obwohl deutlich genug darauf hingewiesen, dass es sich um eine Fiktion handelt, verfällt der Suggestion, alles, was da geschrieben wurde, würde zum vorausgesagten Zeitpunkt unausweichlich Wirklichkeit werden. Durch diese Intensität seiner Wirkung wurde ‚1984’ gemeinsam mit Huxleys ‚Schöne neue Welt’ zur bekanntesten und meistdiskutierten Sozialutopie der Geschichte.“

 

Geschrieben hatte George Orwell „1984“ im Jahre „1948“. Drei Jahre zuvor war bereits sein anderes weltberühmtes Buch „Farm der Tiere“ erschienen.

 

Arthur Koestler urteilte: „Seit ‚Gullivers Reisen’ ist keine Parabel geschrieben worden, die es an Tiefe und beißendem Spott mit der ‚Farm der Tiere’ aufnehmen kann.“

 

Und George Orwell selbst berichtet wie dieses Buch entstand: Die Details der Geschichte wollten mir ziemlich lange nicht in den Sinn kommen; bis ich eines Tages einen kleinen Jungen sah, vielleicht zehn Jahre alt, der ein riesiges Zugpferd einen schmalen Pfad entlang lenkte und es, jedes Mal wenn es sich abzuwenden versuchte, peitschte. Es kam mir zum Bewusstsein, daß, wenn solche Tiere sich ihrer Kraft nur bewußt würden, wir keine Macht über sie hätten und daß die Menschen die Tiere in ziemlich derselben Weise wie die Reichen das Proletariat.

 

Keine Frage: All animals are equal, but some animals are more equal than others!

 

Und: Big brother is watching you!

 

 

 

 

Rio Reiser

 

* 9.1.1950 als Ralph Christian Möbius in Berlin, † 20.8.1996 in Fresenhagen, deutscher Sänger

  

Jede Nacht um halb eins, wenn das Fernseh'n rauscht

 

Leg' ich mich aufs Bett und mal mir aus

 

Wie es wäre, wenn ich nicht der wäre, der ich bin

 

Sondern Kanzler, Kaiser, König oder Königin

  

Mit seiner Band „Ton, Steine, Scherben“ wurde Rio Reiser zur Kultfigur. Sein erstes Solo-Album mit seinem wohl größten Hit „König von Deutschland“ erschien 1986.

 

Ich würd' die Krone täglich wechseln, würde zweimal baden

 

Würd' die Lottozahlen eine Woche vorher sagen

 

Bei der Bundeswehr gäb' es nur noch Hitparaden

 

Ich würd' jeden Tag im Jahr Geburtstag haben…

 

Die Socken und die Autos dürften nicht mehr stinken

 

Ich würd' jeden Morgen erst mal ein Glas Schampus trinken

 

Ich wär' chicer als der Schmidt und dicker als der Strauß…

 

Und meine Platten kämen ganz groß raus

 

Das alles, und noch viel mehr

 

Würd' ich machen, wenn ich König von Deutschland wär'…

  

Sein letztes Konzert gab Rio Reiser im Mai 1996 in Plauen. Im August 1996 starb er im Alter von 46 Jahren an Blutungen der Krampfadern in der Speiseröhre. Sein letztes, das sechste Solo-Album „Himmel und Hölle“ hatte Rio Reiser wenige Monate zuvor aufgenommen. Da singt er:

 

Nehmt mir die Krone ab, die mich erdrückt,

 

nehmt mir die Krone weg, nehmt sie zurück.

 

Ich weiß, irgendwo ist da ein Licht,

 

doch ich kann euch nicht führen,

 

denn ich weiß den Weg nicht.“

 

  

 

David Foster Wallace

 

* 21.2.1962 in Ithaca, † 12.9.2008 in Claremont, amerikanischer Schriftsteller

 

Wenige Tage bevor sich David Foster Wallace ins Jenseits beförderte, soll er geäußert haben, er befürchte, ein Buch über einen amerikanischen Präsidenten schreiben zu müssen, der am Mount Rushmore Unglaubliches verkünden werde, am Nationalfeiertag zudem.

 

Dieser Präsident hatte zwar bereits den eigenen Kommunikationsdienst FN erfunden und installiert, die Fake News, was er angesichts seiner in Stein gehauenen Vorgänger Washingtons, Jefferson, Lincolns und Roosevelts zum Besten gab, dabei unablässig mit der Holy Bible herumwedelnd, sollte allerdings ernst genommen werden, sehr ernst.

 

Um die USA endlich Great again machen, all den undemokratischen Entwicklungen entgegenwirken zu können, beabsichtige er, sich als Präsident auf Lebenszeit ausrufen zu lassen und seinen Sohn als Erben dieses Amtes, auf Lebenszeit selbstredend wiederum, einzusetzen.

 

Zu diesem Entschluss sei er gekommen, als er jüngst einen schwierigen Intelligenztest mit Bravour bestand. (Ein noch unabhängiger Reporter verbreitete zwar umgehend über einen noch unabhängigen Kommunikationsdienst, dies sei kein Intelligenz-, sondern ein Demenz-Test gewesen, bei dem es lediglich darum ging, in einem Bild einen Elefanten zu entdecken, aber diese Nachricht wurde auf FN umgehend als Fake gebrandmarkt und lächerlich gemacht.)

 

Als unübersehbares Zeichen seiner Entschlossenheit wie seiner Genialität, habe er, der omnipotente, gottgewollte Präsident der United States of America, angewiesen, den Gipfel des höchsten Berges im Lande, des Mount McKinley, mit seinen Zügen zu versehen, unsterblich in sein präsidiales Porträt umzuwandeln.

 

I love you, love you all!

 

God bless you!

 

Amen.

 

  

 

 

Thomas Edward „T.E.” Lawrence

 

* 16.8.1888 in Tremadog, Wales, † 19.5.1935 in Clouds Hill, England, britischer Archäologe und Agent

  

In seinen Erinnerungen an den arabischen Aufstand gegen die Osmanen im Verlauf des Ersten Weltkriegs schrieb „Lawrence von Arabien“: Die Geschichte auf diesen Seiten ist nicht die Geschichte der arabischen Bewegung, sondern die meiner Beteiligung daran. Es ist die Erzählung des täglichen Lebens, unbedeutender Geschehnisse kleiner Menschen. Hier gibt es keine Lektionen für die Welt, keine Enthüllungen, um die Menschen zu schockieren. Sie ist voll von trivialen Dingen, zum Teil deshalb, daß niemand die Überreste, aus denen ein Mann eines Tages Geschichte machen könnte, fälschlich für Geschichte hält, und zum Teil wegen des Vergnügens, das ich bei der Erinnerung an meine Beteiligung an dieser Revolte hatte. Wir alle waren überwältigt, wegen der Weite des Landes, des Geschmacks des Windes, des Sonnenlichts und der Hoffnungen, für die wir arbeiteten. Die Morgenluft einer zukünftigen Welt berauschte uns. Wir waren aufgewühlt von Ideen, die nicht auszudrücken und die nebulös waren, aber für die gekämpft werden sollte. Wir durchlebten viele Leben während dieser verwirrenden Feldzüge und haben uns selbst dabei nie geschont; doch als wir siegten und die neue Welt dämmerte, da kamen wieder die alten Männer und nahmen unseren Sieg, um ihn der früheren Welt anzupassen, die sie kannten. Die Jugend konnte siegen, aber sie hatte nicht gelernt, den Sieg zu bewahren; und sie war erbärmlich schwach gegenüber dem Alter. Wir dachten, wir hätten für einen neuen Himmel und für eine neue Welt gearbeitet, und sie dankten uns freundlich und machten ihren Frieden.

 Im Alter von 34 Jahren trat T. E. Lawrence von Schuldgefühlen über seine Rolle bei der Neuaufteilung des arabischen Raumes geplagt aus dem Kolonialdienst aus und verschenkte sein gesamtes Vermögen. 

 Im Alter verstarb Lawrence von Arabien im Alter von 46 Jahren an den Folgen eines Motorradunfalls.

 

 

 

Viktor Ullmann

* 1.1.1898 in Teschen, † 18.10.1944 im KZ Auschwitz-Birkenau, österreichischer Dirigent und Komponist

 

Viktor Ullmann studierte bei Arnold Schönberg in Wien Formenlehre, Kontrapunkt und Orchestrierung. 1920 wurde er Chordirektor und Korrepetitor am Neuen Deutschen Theater in Prag, zwei Jahre später Kapellmeister. 1923 begann mit „7 Lieder mit Klavier“ eine Serie erfolgreicher Uraufführungen seiner Kompositionen. 1929 wurde er Kapellmeister und Bühnenmusik-Komponist am Schauspielhaus Zürich. Von 1931 bis 1933 betrieb Viktor Ullmann eine anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart, und wirkte dann als Musiklehrer und Journalist in Prag. 1942 wurde er ins KZ Theresienstadt deportiert und schuf hier einen beträchtlichen Teil seiner Werke. Er erklärte: Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war.

„Bis zur Deportation erreichte seine Werkliste die Opuszahl 41 und enthielt u.a. (…) Klaviersonaten, Liederzyklen nach verschiedenen Dichtern, Opern und das Klavierkonzert op. 25, das er im Dezember 1939, d.h. 9 Monate nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag, vollendete. Der größere Teil dieser Werke ist verschollen; die Manuskripte gingen wahrscheinlich während der Besatzungszeit verloren“, weiß Wikipedia. „Erhalten blieben 15 Drucke seiner zwischen 1936 und 1942 entstandenen Kompositionen, die Ullmann im Selbstverlag herausgegeben und einem Freund zur Aufbewahrung anvertraut hatte. Im Ghetto Theresienstadt blieb Ullmann weiter musikalisch aktiv: Er wirkte als Klavierbegleiter, organisierte Konzerte (‚Collegium musicum‘, ‚Studio für neue Musik‘), schrieb Kritiken über musikalische Veranstaltungen und komponierte. Sein Theresienstädter Nachlass blieb nahezu vollständig erhalten und umfasst neben Chorkompositionen, Liederzyklen und einer Bühnenmusik – so gewichtige Werke wie die letzten drei Klaviersonaten, das 3. Streichquartett, das Melodram nach Rilkes ‚Cornet‘-Dichtung und die Kammeroper ‚Der Kaiser von Atlantis‘.

Im Alter von 46 Jahren wurde Viktor Ullmann ins KZ Auschwitz-Birkenau verschleppt und ermordet.

 

  

  

 

 Julian Eswin „Cannonball“ Adderley

* 15.9.1928 in Tampa, Florida, † 8.8.1975 in Gary, Indiana, amerikanischer Saxophonist

  

Joe Zawinul sagte über Julian Eswin Adderley: „Er ist der meistunterschätzte Musiker des Jahrhunderts. Kaum einer spricht noch über Cannonball, aber er war eine Größe. Er war seine eigene Liga. Er spielte nicht wie Charlie Parker, er spielte wie niemand sonst.“  Begonnen hatte er seine Karriere 1955 in der Band von Oscar Pettiford. Immer wieder spielte Cannonball mit seinem Bruder Nat, und auch mit Miles Davis, John Coltrane, George Duke, Yusuf Lateef, Charles Llyod…

 

Schon als Kind litt er an Diabetes, und sein Spitzname sei wohl darauf zurückzuführen, dass ein Mitschüler sich über den dauerhungrigen, dickleibigen Julian als einen Kannibalen lustig machen wollte, sich ab er versprach und so aus Cannibal Cannonball wurde. Nun gut.

 

Cannonball Adderley starb im Alter von 46 Jahren infolge eines Schlaganfalls. Stets unvergessen sein „Merci, merci, merci“, das er gemeinsam mit Joe Zawinul einspielte.

  

 

 

 

Pierre Curie

 

* 15.5.1859 in Paris, † 19.4.1906 ebd., französischer Physiker

  

Pierre Curie entdeckte die Pietroelektrizität und zusammen mit seiner Frau Marie das Radium und das Polonium als Zerfallsprodukte des in Pechblende enthaltenen radioaktiven Isotops Uran-238, wofür sie 1903 den Physik-Nobelpreis für „ihre gemeinsamen Arbeiten über die von H. Becquerel entdeckten Strahlungsphänomene“ erhielten.

 

Seine Frau forschte unermüdlich weiter und wurde 1911 auch mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt.  Ihr Gatte Pierre aber geriet im Alter von 46 Jahren unter ein Pferdefuhrwerk, erlitt einen Schädelbruch und starb.

 

Immerhin wurden nach ihm noch ein Mondkrater und das Mineral Curit benannt.

 

 

 

John Lloyd Stephens

 

* 28.11.1805 in Shrewsbury, New Jersey, † 13.10.1852 in New York City, amerikanischer Forschungsreisender

  

Im Alter von 34 Jahren wurde John Lloyd Stephens zum Botschafter der USA in der Zentralamerikanischen Konföderation ernannt. Von Guatemala-Stadt aus unternahm er gemeinsam mit dem Zeichner Frederick Catherwood ausgedehnte Forschungsreisen und entdeckte im Tropenwald die überwucherten und vergessenen Maya-Städte: Copán, Quiriguá, Iximché, O'umarkaj, Palenque und Uxmal sowie schließlich auch Tulúm und legte die Ruinen frei. Sein Expeditionsbericht „Incidents of Travel in Central America, Chiapas and Yucatan” wurde zum Weltbestseller.

 

Nachdem er zudem Möglichkeiten erkundet hatte, Atlantik und Pazifik durch einen Kanal durch Nicaragua zu verbinden, wirkte er ab seinem 42. Lebensjahr als Direktor der Ocean Steam Navigation Company und Vizedirektor der Panama Railway Company und nahm entscheidenden Einfluss für den Bau einer Eisenbahnlinie durch Panama.

 

Bevor jedoch Eisenbahnen durch den Isthmus von Panama vom Atlantik zum Pazifik fahren konnten, starb John Lloyd Stephens wenige Woche vor seinem 47. Geburtstag an Malaria.

 

  

 

 

Abdallah ibn al-Mu’tazz

 

* 861 in Samarra, † 17.12.908 in Bagdad, arabischer Dichter

  

Abdallah ibn al-Mu'tazz war der Urenkel des legendären Harun al Raschid. Sein Großvater wie sein Vater, beides Kalifen, wurden ermordet. Mit seiner Großmutter floh er nach Mekka, gelangte schließlich nach Bagdad, distanzierte sich aber von Machtansprüchen, von der Politik schlechthin, begann stattdessen Gedichte zu schreiben:

  

Große und kleine Sünden aufgeben - das ist Frömmigkeit.

 

Und sei wie derjenige, der auf einem dornigen Weg geht, er ist vorsichtig mit dem, was er sieht.

 

Verkleinere nicht die kleinen Sünden; Wirklich Berge bestehen aus Kieselsteinen

  

Der Übersetzer Charles Greville Tuety urteilte: „Ibn Al-Mu'tazz ist der spontane Dichter, ähnlich wie Abu Nuwās. Er ist frei in seiner Themenwahl und zeichnet sich durch eine neue Herangehensweise an den Umgang mit seinen Themen aus. Was ihn jedoch im Wesentlichen neu macht, liegt auf einer anderen Ebene und ist nicht sofort ersichtlich: Mit seiner kühnen und sinnlichen Bildsprache sind wir davon überzeugt, dass dies so ist, bis wir beim Anhalten plötzlich die Perspektive dahinter erblicken.“

 

Berühmt werden sollte Abdallah ibn al-Mu'tazz  durch sein Buch „Kitab al-Badi“, eines der frühesten Werke der arabischen Literaturtheorie und Literaturkritik.

 

Eines Tages geriet er jedoch wieder in Machtintrigen. Als sein Cousin, der 17. Kalif Al-Muktafi, verstorben war, sollte dessen dreizehnjähriger Bruder Al-Muqtadir auf dem Abbasiden-Thron nachfolgen. Dessen Gegner überredeten Abdallah ibn al-Mu'tazz aber, sich krönen zu lassen. Seine Regierungszeit währte allerdings nur einen Tag und eine Nacht, dann wurde er gestürzt, musste fliehen und sich verstecken, wurde 12 Tage später entdeckt und erdrosselt.

 

Als wüsste er, was da eines Tages geschehen würde, hatte er in einem seiner zahlreichen Gedichte gesagt:

  

Eine wundervolle Nacht, aber so kurz, dass

 

ich sie zum Leben erweckte und dann erwürgte.

 

 

  

 

Neshani Andreas

 

* 1964 in Walvis Bay, † Mai 2011 in Windhoek, namibische Schriftstellerin

  

In einem Interview sagte Neshani Andreas: Das Schreiben wird von der namibischen Gesellschaft noch nicht gefördert, es wird nicht als respektabler Beruf angesehen, der einen Nutzen hat. Es ist mein Traum, Vollzeit zu schreiben, jeden Morgen aufzuwachen und zu wissen, dass dies mein Job, mein Leben ist, nur zu schreiben.

 

Ihr Debütroman „The Purple Violet of Oshaantu“ gilt als erste literarischen Publikation von Rang nachdem Namibia von Südafrika unabhängig geworden war. Zehn Jahre lang hatte sie ohne jegliches Verständnis ihrer Umgebung, ihrer Familie, ihrer Freunde, ihrer Bekannten, Seite für Seite gefüllt. Sie wusste, dass das Schreiben ihre Berufung war. Wenn ich von einem Ort zum anderen zog, wurden meine Schriften Teil meines Gepäcks. Sie waren meine wertvollsten Dinge. […] Schreiben ist ein einsames Geschäft … Du schreibst allein und weißt nie, ob jemals jemand liest, was du schreibst. Ich könnte nie aufhören zu schreiben. Es begleitet mich jeden Tag, ich vergesse es nie. Ich bearbeite in meinem Kopf, was ich höre oder lese. Ich nehme auf, was die Leute sagen, wie sie es sagen, Wörter, Ausdrücke…

 

Neshani Andreas wollte jedoch nicht Tagespolitik verarbeiten, wollte nicht die langjährige südafrikanische Besatzung ihres Heimatlandes, den Befreiungskampf thematisieren, auch nicht Ereignisse im post-unabhängigen Namibia: Ich musste über andere Dinge schreiben; Reisen in überfüllten Kleinbussen, Verkaufen und Kaufen auf Märkten, über Krankheit, Hexerei und Kirche, über gewöhnliche Dinge eben…

 

Neshani Andreas arbeitete als Lehrerin, wirkte dann vier Jahre lang als Stellvertretende Direktorin des US-Friedenskorps in Namibia, schließlich als Programmbeauftrage für das Forum of African Women Educationalists.

 

Einem Mitarbeiter des Friedenskorps war es letztlich zu verdanken, dass aus ihren müheselig niedergeschriebenen Manuskriptseiten ein Buch wurde: Ich hatte die erste Person in meinem Leben kennengelernt, die Interesse und Verständnis für mein Schreiben zeigte. Das war einer der wertvollsten Momente in meinem Leben.

 

Bevor sie einen zweiten Roman beenden konnte, starb Neshani Andreas an Lungenkrebs.

 

 

 

 

Johannes Ciconia

 

* um 1375 in Lüttich, † 12.7.1412 in Padua, niederländischer Komponist

  

In den späten 1390er Jahren kam der niederländische Komponist Johannes Ciconia nach Padua und schuf hier einen Großteil seiner Werke. Von ihm ist mehr Musik überliefert als von allen anderen in jener Zeit tätigen Komponisten und nur wenige von diesen zeigen eine vergleichbare Stilvielfalt und Originalität. Ciconias Werke gehören zu den interessantesten und originellsten Stücken seiner Generation und vor allem seine Motetten und späten Lieder übten einen lang anhaltenden Einfluss auf die beginnende Epoche der franko-flämische Musik aus.

 

Und Johannes Ciconia wirkte auch als Musiktheoretiker, verfasste das fünfbändige Kompendium „Musica nova“.

 

  

 

 

Frida Kahlo

 

* 6.7.1907 als Magdalena Carmen Frieda Kahlo y Calderón in Coyoacán, Mexiko, † 13.7.1954 ebd., mexikanischer Malerin

  

„Zu Lebzeiten war Frida Kahlo vor allem die exotische Blume am Knopfloch des großen Meisters Diego Rivera. Nach ihrem Tod 1954 war es lange Zeit still um sie, und erst zu Beginn der 1970er Jahre wurde sie im Zuge der Frauenbewegung wiederentdeckt. Seitdem hat es zahlreiche Ausstellungen ihrer Werke und vielfältige Hommagen an die Frau und Künstlerin Frida Kahlo gegeben, und ihre Popularität ist stetig gestiegen. In ihrer Wirkung hat sie Diego Rivera längst übertroffen“, urteilte Karen Genschow in ihrem Buch über die mittlerweile wohl bekannteste Malerin Lateinamerikas.

 

Ihr erste Bild malte sie mit Neunzehn, ein Jahr nachdem sie Opfer eines Busunfalls geworden war, an dessen Folgen sie ein Leben lang litt: Ich male mich, weil ich sehr viel Zeit allein verbringe und weil ich das Motiv bin, das ich am besten kenne. Frida Kahlo schuf insgesamt 143 Gemälde, davon 55 Selbstbildnisse auf denen ihr Damenschnurrbart und die zusammengewachsenen Augenbrauen ihr Markenzeichen sind. Ihr Ganzkörper-Selbstbildnis „Raíces“ erzielte 2006 einen Versteigerungserlös von 5,6 Millionen US-Dollar und galt damals als das teuerste Bild eines lateinamerikanischen Künstlers. Ihre Werke wurden von der mexikanischen Regierung offiziell zum „Nationalen Kulturgut“ erhoben.

 

Ihren Farben maß sie besondere Bedeutungen zu: Grün = warmes, gutes Licht / Rötliches Purpur = aztekisch, Tlapalli, altes Blut des Birnenkaktus, die lebendigste und älteste Farbe / Braun = Farbe des Muttermals, des vergehenden Blattes, die Erde / Gelb = Wahnsinn, Krankheit, Angst; ein Teil der Sonne und Freude / Kobaltblau = Elektrizität und Reinheit, Liebe / Schwarz = nichts ist schwarz, wirklich überhaupt nichts / Laubgrün = Blätter, Trauer, Wissenschaft; ganz Deutschland hat diese Farbe / Grünliches Gelb = noch mehr Wahnsinn und Geheimnis; alle Gespenster tragen Anzüge in dieser Farbe, oder zumindest kommt die Farbe in der Unterkleidung vor / Dunkelgrün = die Farbe von schlechten Nachrichten und guten Geschäften / Marineblau = Entfernung; auch Zärtlichkeit kann von diesem Blau sein / Magenta = Blut? Na wer weiß?!

 

Frida Kahlo hatte Affären mit Männern wie mit Frauen, nicht zuletzt mit Leo Trotzki. Nach zahllosen Operationen infolge ihrer Jugendverletzung musste ihr im Alter von 46 Jahren der rechte Unterschenkel abgenommen werden, mit siebenundvierzig starb Frida Kahlo an einer Lungenembolie.

 

 

  

 

Christian Andreas Käsebier

 

* 23.9.1710 in Halle/Saale, † nach 1757, deutscher Dieb

  

Manfred Krug sang als Käsebier im DEFA-Film „Die gestohlene Schlacht“ nach der gleichnamigen Erzählung von Egon Erwin Kisch:

 

Dieses ist das Lied vom Käsebier

 

Dem diese Welt zu schad' für Krieg war

 

Frühlingslaub, der Wind im Mädchenhaar

 

Die Sterne über dir!

 

Der Planet ist schön, mein lieber Schwan

 

Reiß deine Augen auf und schau

 

Ein Wunder, du lebst

 

Du atmest und liebst

 

Das halt fest, das lass dir nicht entreißen!

 

  

Ç'est la vie

 

Mon ami

 

Bist du schon mal hier

 

Dort steh'n die Sterne - nimm sie dir!

 

 Rolf Schneider verfasste das Hörspiel „Der König und sein Dieb“, der Plot: „Meisterdieb Christian Andreas Käsebier, nach 600 Diebstählen in Prag gefasst und nach österreichischem Recht zum Tode verurteilt, wird, da er Preuße ist, auf Ersuchen Friedrich II. ausgeliefert und wartet seit 9 Jahren auf der königlich-preußischen Festung Stettin auf die Hinrichtung. Eines Tages wird er zu Friedrich II. befohlen. Denn zwischen Österreich und Preußen ist Krieg ausgebrochen. Die preußischen Truppen haben zwar Prag eingeschlossen, aber das widersteht trotz Hungersnot seinen Belagerern, und zu alledem rückt die kaiserliche österreichische Armee in bedrohliche Nähe. Ein Zweifrontenkrieg wäre Preußens Niederlage. So bietet Friedrich II. dem Meisterdieb einen Handel an: Käsebier, der doch Prag wie seine Westentasche kenne, solle die Stadt stehlen und dafür Freiheit und Geld bekommen. Er habe sich nur einzuschleichen, den Vorposten Zeichen zu geben und die Stadt durch Feuerlegen und dergleichen für die Kapitulation bereitzumachen. - Käsebier willigt ein. Doch in Prag angekommen, macht er genau das Gegenteil, er informiert Prinz Karl von Lothringen, der schon zur Übergabe Prags entschlossen war, vom Heranrücken der österreichischen Armee. Friedrich II. verliert die Schlacht bei Kolin gegen die Österreicher. Prinz Karl, sich als Retter von Prag preisend, möchte sich den Ruhm, Friedrich II. geschlagen zu haben, nicht mit einem Dieb teilen. Er lässt Käsebier, den er vorsichtshalber gefangen gehalten hatte, wieder frei und sichert ihm Hilfe zu bei seinem Vorhaben, Friedrich II. inkognito aufzusuchen. Käsebier, als kaiserlicher Offizier im Parlamentärsauftrag verkleidet, berichtet Friedrich II. von der vereitelten Übergabe Prags und wartet seine Reaktion ab, die ihm aber wieder nur den Tod verheißt. Käsebier macht sich unbemerkt und auf Nimmerwiedersehen davon…“

  

Kam im State Preußen auf die Welt

 

Wo auch die Blumen Exerzier'n - zwo, drei, vier!

 

Doch er kommt daher, den Wind im Haar

 

Und macht es allen klar:

 

"Steckt euch die Kanonen sonstwo hin

 

Entspannt euch mal vom Schießenwoll'n

 

Ach, fresst euer Blei

 

Doch endlich allein

 

Ich meid' euch, ihr Herr'n, macht endlich Frieden!

 

 

Ç'est la vie

 

Mon ami

 

Bist du schon mal hier

 

Dort steh'n die Sterne - nimm sie dir!

 

 

 

 

 

Todd Tozama Mashikiza

 

* 1921 in Queenstown, † 4.3.1968 in Lusaka, südafrikanischer Komponist

  

Todd Mashikizas Komposition „Hamba Kahle“ gilt in Südafrika als Standardwerk. Er versuchte die Musik in den Townships zu fördern und schrieb als Journalist über die Townshipszene. Sein 1958 verfasstes Musical „King Kong“ wird als Meilenstein in der südafrikanischen Musikentwicklung beurteilt.

 

Frustiert durch die Apartheid-Politik nutzte Todd Mashikiza 1960 eine Aufführung seines Musicals in London und zog nach England. Es gelang ihm jedoch nicht, sich in der britischen Musikszene zu etablieren und ging 1964 nach Sambia, wo er dann als Radiomoderator und Musikethnologe bis zu seinem Tod wirkte.

 

  

 

 

Paracelsus

 

* 1493 oder 1494 als Theophrastus Bombast von Hohenheim in Egg, Kanton Schwyz, † 24.9.1541 in Salzburg, Schweizer Arzt

  

Der Wahlspruch des Arztes, Naturphilosphen und -mystikers, Alchemisten, Laientheologn und Sozialethiker Theophrast Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, war: „Alterius non sit, qui suus esse potest – Nicht von einem anderen abhängig mache sich, wer sein eigener Herr zu sein vermag.“

 

Paracelsus gilt als einer der bedeutendsten europäischen Ärzte. Er kritisierte die seinerzeit vorherrschenden auf antiken Erkenntnissen Säftelehre, propagierte eine ganzheitliche Medizin und publizierte schon in Deutsch, statt Latein.

 

Paracelsus wirkte in Salzburg und Basel, Colmar, Esslingen und Nürnberg, wo 1530 auch die erste Schrift des  „hochgelerten Herrn Theophrastum von Hochenheim, beyder artzney Doctorem“ erschien, ging nach Innsbruck, Sterzing, Meran und Pfäfers, lebte dann in Memmingen, Ulm und Augsburg, wo sein zweibändiges Buch der „Großen Wundarznei“ gedruckt wurde. Und weiter trieb es ihn nach Eferding, Mährisch Kromau, Znaim und Wien, nach Villach, St. Veit, Klagenfurt und schließlich nach Salzburg, wo er im Alter von 47 Jahren, wahrscheinlich an einer Quecksilbervergiftung verstarb.

 

Wikipedia weiß: „Paracelsus war nicht nur ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Quecksilbertherapie zur Behandlung der ‚Franzosenkrankheit’, wie die Syphilis auch genannt wurde. Er hatte sich auch mit den Symptomen einer chronischen Quecksilbervergiftung auseinandergesetzt, die er bei Bergleuten beobachtet hatte. Diese Erfahrungen hielt er im Buch „Von der Bergsucht oder Bergkranckheiten drey Bücher (etc.), fest“ - das jedoch erst 26 Jahre nach seinem Tod erschien: die zähn ſeind vaſt ſchwartz/ die glider lam / vnd ein vnbleibende ſucht beweglich von einer / ſtat zur andern…

 

  

 

 

Christian Reuter

 

* 9.10.1665 (getauft) in Kütten bei Halle/Saale, † nach 1712, deutscher Schriftsteller

  

Ey sapperment! die Jahre in Merseburg waren kein Zuckerschlecken. Aber noch einen Rausschmiss Faulenzens und Zechens wegen, wie aus der Leipziger Thomasschule, konnte sich Christian Reuter beim besten Willen nicht leisten. Da hatte sich die Familie Reuter, ehrbare Bauern seit alters her, seine Ausbildung schon zu viel kosten lassen, der Tebel hohl mer. Doch schien ihm seine außergewöhnliche Intelligenz, nunmehr gepaart mit Lerneifer, in Merseburg mehr noch als das Abitur eingetragen zu haben. Der damalige Rektor des Domgymnasiums urteilte: „Eine recht freigiebige Natur bewilligte diesem Jüngling Reuter Witz und Scherz, die er dennoch so in Maßen hielt, dass sie von der Regel der Wohlanständigkeit nicht abwichen; hierdurch gewann er sich nicht alltägliche Gunst großer Männer.“ Durchaus denkbar, dass Christian Reuter bei den zu Ostern üblichen Theateraufführungen der Domschüler, vielleicht sogar schon als Autor, hervortrat.

 

Und, der Tebel hol mer, mit Witz und Scherz war der mittlerweile dreiundzwanzigjährige Jüngling Reuter wohl sogar bei seiner Reifeprüfung gut beraten. Immerhin weist eine Rechnung jener Jahre aus, dass die Examinatoren, die Herren Lehrer also, der Schulkasse 3 Florin, 9 Groschen für 8 Kannen Rheinwein und 43 Kannen Torgisch Bier in Rechnung stellten, Prüfungsspesen, ey sapperment.

 

Christian Reuter konnte endlich, und offenbar auch dank der Gunst jener großen Männer, die dem Bauernsohn sogar ein Stipendium verschaffte, studieren. Nach Leipzig zog es ihn wieder, denn da kann der Tebel hohl mer einer leicht Doctor werden / wenn er nur Speck in der Tasche hat

 

Dem studiosus juris Reuter sollte jedoch seine Zimmerwirtin Anna Rosine Müller, „die ehrliche Frau Schlampampe, die ehrliche Frau zu Plissine“, in die Quere kommen. Als er wegen Mietschulden auf die Straße gesetzt wurde, verfasste er ein Pasquill, eine Schmähschrift, durchaus nicht unüblich in jener Zeit. Frau Müller glaubte sich jedoch (und natürlich völlig zu recht) in der ehrlichen Frau Schlampampe wieder zu erkennen und als solche wiederum, ey sapperment, von der ganzen Stadt verlacht. Sie zeigte Christian Reuter an und erreichte das Verbot der Komödie „Die ehrliche Frau zu Plissine“ sowie, der tebel hohl mer, die Inhaftierung und anschließende Relegation des Autors.

 

Anfang wurde Christian Reuter nur für zwei Jahre von der Universität verwiesen, doch hatte er, ey sapperment, offenkundig Gefallen am Schreiben gefunden, vervollkommnete Handlung und Figurenensemble seines Stücks, erfasste nunmehr die Komodie „Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod“. Das brachte Frau Müller selbstredend vollends in Rage. Sie wandte sich sogar an August den Starken in Dresden, woraufhin ihr einstiger Mieter Reuter erneut in den Karzer musste. Und nach den Leipziger Studentenunruhen des Herbstes 1697 (eine Reaktion auf den scheinheiligen Übertritt des sächsischen Kurfürsten zum Katholizismus, alles nur der polnischen Krone wegen, der tebel hohl mer!) wurde Christian Reuter für sechs Jahre relegiert, durfte sich in Leipzig fürderhin auch nicht mehr aufhalten.

 

Doch zum Glück hatte er ja in Merseburg Gönner und kam hier wohl für einige Zeit unter. Am Merseburger Hofe könnte er den Herzog von Sachsen-Zeitz kennen gelernt haben. Dieser wiederum empfahl ihn dem sächsischen Statthalter, dem Fürsten zu Fürstenberg-Heiligenberg. Beide Bekanntschaften konnten jedoch nicht verhindern, dass Christian Reuter, als er verbotenerweise nach Leipzig zurückkehrte, denunziert und letztlich zeit Lebens von der Universität verwiesen wurde. Das verschloss ihm auch andere Hochschulen, kein Examen. Proteste bewirkten nur noch, dass er fortan bei Besuchen in Leipzig geduldet wurde. Eine Karriere im Staatsdienst aber, der tebel hohl mer, war endgültig passé.

 

In Dresden fand Christian Reuter beim Kammerherrn Rudolf Gottlob von Seyfferditz Anstellung als Sekretär. Auch hier scheint es jedoch alsbald Schwierigkeiten gegeben zu haben, wahrscheinlich nach Erscheinen seiner Komödie „Graf Ehrenfried“ (aus bekannten Wiedererkennungsgründen…). - Christian Reuter ging nach Berlin und wurstelte sich offenbar bis ans Lebensende als Gelegenheitsdichter am preußischen Hofe durch, Huldigungscarmina, Freuden- und Trauergedichte, Singspiele und Schäferpoesien, ey sapperment.

 

Nur einmal noch wurde Christian Reuters Genius halbwegs gefordert, möglicherweise auf eine Anregung oder sogar einen Auftrag aus Merseburg hin. Im Jahre 1708 vertonte der Merseburger Hofkapellmeister Johann Theodor Theile „Christian Reuters Paßions-Gedancken über die Historie von dem bittern Leiden und Sterben unseres Herrn“.

 

Christian Reuters Spuren verlieren sich ab 1712, wohl niemand weiß, wann, wo und wie er starb. Ob er zu guter Letzt, der tebel hohl mer, vielleicht auf eine ähnliche Reise ging wie sein größter Held, der Schelmuffsky, Urahn des Münchhausen? Teutschland ist mein Vaterland / in Schelmerode bin ich gebohren…

 

 

 

 

Taras Hryhorowytsch Schewtschenko

 

* 9.3.1814 in Morynzi, † 10.3.1861 Sankt Petersburg, ukrainischer Lyriker und Maler

  

„Mit der Verbreitung seiner Gedichte in der Ukraine könnten Ideen über die Möglichkeit des Bestehens der Ukraine als eines selbstständigen Staates Wurzeln schlagen“, warnte der Chef der russischen Geheimpolizei Zar Nikolaus I. im Jahr 1847 und ließ den dreiunddreißigjährigen Taras Schewtschenko verhaften und verbannen und verbot ihm für den Rest seines Lebens, zu schreiben und zu malen.

 

Er hielt sich allerdings nicht daran und wurde nach dem Tod von Nikolais I. dennoch begnadigt. Dann starb Taras Schewtschenko einen Tag nach seinem 47. Geburtstag aber an Angina pectoris. Doch längst gilt er als ukrainischer Nationaldichter.

 

  

 

 

Edmund Spenser

 

* um 1552 in London, † 13.1.1599 ebd., englischer Dichter

  

Als Edmund Spensers Hauptwerk gilt „The Faerie Queene – Die Feenkönigin“, obwohl diese auf mindestens 12, wahrscheinlich sogar auf 24 Bände angelegte Publikation Fragment blieb. Es erschienen nur sechs Bücher, von denen die ersten drei den Tugenden gewidmet waren: „Holiness- Heiligkeit“, „Temperance – Mäßigung“, „Chastity – Keuschheit“, und die nächsten drei allegorische Bezüge auf Ereignisse seiner Zeit sind: das Zerwürfnis der englischen Krone mit Sir Walter Raleigh, die Hinrichtung Maria Stuarts und die Niederschlagung der irischen Revolte. Dann schien er erkannt zuhaben, dass seine Ansätze für ein ethisches Streben, für eine Humanisierung und Harmonisierung der Wertesysteme, für eine weltliche Vernunft nichts als Märchenideale, als unrealisierbare Wunschvorstellungen waren.

 

Für sein Hauptwerk erdachte Edmund Spenser immerhin eine spezielle Strophenform, die fortan als „Spenserian Stanze – Spenserstrophen“ bezeichnet wurde:

  

And as she lookt about, she did behold,

 

How over that same dore was likewise writ,

 

Be bold, be bold, and every where Be bold,

 

That much she muz'd, yet could not construe it

 

By any ridling skill, or commune wit.

 

At last she spyde at that roomes upper end,

 

Another yron dore, on which was writ,

 

Be not too bold; whereto though she did bend

 

Her earnest mind, yet wist not what it might intend.

 

  

Als sie herumsah, sah sie ohn’ Bemühn,

 

Dass über diese Tür geschrieben war,

 

Sei kühn, sei kühn, und überall: Sei kühn,

 

Soviel sie sann, es blieb ihr sonderbar

 

Trotz Rätselkunst und klugem Augenpaar.

 

Dann sah sie an des Raumes obrer Seit’

 

'ne andre Eisentür, auf diese war

 

Geschrieben: Sei nicht zu kühn, doch so weit

 

Sie’s auch erwog, es blieb für sie in Dunkelheit.

  

 

Edmund Spenser starb drei Jahre nach Veröffentlichung des sechsten Bandes seiner „Faerie Queene“ und wurde in der Poets' Corner der Westminster Abbey begraben.

 

 

 

 

Juvénal Habyarimana

 

* 8.3.1937 in Gisenyi Province, † 6.4.1994 bei Kigali, ruandischer Präsident

  

Der Abschuss des Flugzeugs von Präsident Juvénal Habyarimana am 6. April 1994 beim Anflug auf den Flughafen von Kigali gilt als äußerer Auslöser des Völkermords in Ruanda an etwa 1 Million 800.000 Tutsi und 200.000 gemäßigten Hutu durch radikale Hutu, der sofort nach Habyarimanas Tod begann.

 

Die Hintergründe dieses Attentats auf den Hutu Habyarimana gelten nach wie vor als umstritten. „Von amerikanischer Seite wurden Gerüchte gestreut, dass […] Hutu-Extremisten verantwortlich waren. Es war auch die Rede von zwei Franzosen in Khaki, die in der Umgebung gesehen worden seien. Ein ehemaliger Nachrichtenoffizier der Tutsi-Gendarmerie schilderte die Täterschaft durch ein speziell zu diesem Zweck ausgebildetes Sonderkommando der Tutsi-Streitkräfte“, weiß Wikipedia. Und der Hutsi Jean Kambamba, der während des Völkermords Premierminister war, sagte nachdem er dann aus Ruanda geflohen war, aus, „dass er die Hintergründe des Abschusses in Erfahrung zu bringen versucht habe. Ihm zufolge hat Mobutu Sese Seko, der zairische Präsident, Habyarimana von seinem Flug am 6. April abgeraten. Mobutu habe einen diesbezüglichen Hinweis von einem hohen französischen Staatsbeamten erhalten, der sich am 7. April das Leben genommen habe. Den Tatsachen entspricht, dass der französische Präsidentenberater für afrikanische Angelegenheiten, Francois de Grossouvre, am besagten Tag tatsächlich durch Suizid starb.“

 

Der von der Tutsi-Partei RPF, die nach dem Genozid die Macht in Ruanda übernahm, beauftragte französische Untersuchungsrichter Marc Trévidic stellte 2012 fest, „dass das Flugzeug von Präsident Habyarimana 1994 durch eine von Hutu abgefeuerte Rakete getroffen worden sei. Das Attentat auf Habyarimana hätte Hutu-Extremisten als Vorwand für den Genozid gedient. Zeugen sagten zudem später aus, die Anflugbefeuerung des Flughafens sei während des Anflugs der Präsidentenmaschine ausgeschaltet worden.“ Die Rakete sei „vom Kanombe-Hügel in der Nähe des Flughafens von Kigali abgefeuert worden. Dort befand sich das Hauptquartier der Präsidentengarde von Habyarimana.“

 

Sans commentaire.

 

 

 

 

 

Horatio Nelson, 1. Viscount Nelson, Herzog von Bronte

 

* 29.9.1758 in Burnham Thorpe, Norfolk, † 21.10.1805 am Kap Trafalgar, britischer Admiral

  

Unweit Gibraltars besiegte Admiral Horatio Nelson die Flotte Napoleons und begründete damit die jahrhundertelange britische Vorherrschaft auf See. Er wurde bei diesem Gefecht jedoch von einer französischen Musketenkugel getroffen und starb an Bord seines Flaggschiffes „Victory“.

 

Jeanny und ich kamen im Jahr 2018 nach Gibraltar, wohin Admiral Nelsons Leiche in einem Brandyfass vor der Überführung nach London gebracht worden war:

 

Roger Willemsen schrieb: „Non plus ultra, ‚Nicht darüber hinaus’, lautet die Inschrift, die sich auf den Säulen des Herakles finden soll, von ihm selbst dort angebracht. Die eine der beiden Säulen steht der Legende zufolge auf dem Felsen von Gibraltar, die andere auf dem Berg Dschebel Musa in Marokko. Andere Quellen nennen den Monte Hacho bei der spanischen Exklave Ceuta in Nordafrika als Standort der zweiten Säule. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist: die Griechen hielten diese Meerenge für ein von Herakles durch zwei Säulen markiertes Ende der Welt… Die Säulen des Herakles finden auch in einer Pindar-Ode Erwähnung, und im Buch Hiob, wo Gott dem Meer seine Grenzen auferlegt, heißt es: ‚Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter / hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.’ … ‚Es gab aber auch Autoren, die die Säulen in Friesland, sogar auf Helgoland vermuteten. Im Wappen Spaniens tauchen sie auf, und selbst die beiden Vertikal-Striche im Dollarzeichen – ursprünglich ein spanisches Goldgewichtszeichen – sollen auf die Säulen des Herakles zurückgehen.’“ Wobei im spanischen Wappen (zuletzt gesehen ja im Alcázar) nach der Entdeckung Amerikas aus „Non plus ultra“ – „Plus ultra“ wurde – also „darüber hinaus“!

 

Der Felsen von Gibraltar scheint seit Ur-Zeiten bewohnt. Immerhin fand man in Felsenhöhlen Siedlungsspuren der wohl letzten Neandertaler, die sich womöglich bis hierhin, an die Südspitze Europas geflüchtet hatten (deren Non plus ultra…).

 

Seit Beginn des 18. Jahrhunderts britisch, möchten die Spanier heute im Zuge des Austritts Großbritanniens aus der EU, Gibraltar gern wieder in ihr Staatsgebilde einordnen. In einem Referendum sprachen sich aber 99% der Bevölkerung Gibraltars dagegen aus. Und auch die junge, taffe Bürgermeisterin Gibraltars (vor wenigen Jahren noch „Miss World“) spricht dieselbe eindeutige Sprache. Die Brexit-Premierministerin, Ms. May, hingegen zögerte drei Tage, bis sie auf eine Journalistenanfrage, ob Großbritannien gegen Spanien notfalls auch die Flotte einsetzen würde, um Gibraltar zu halten, antwortete, dass sie militärische Gewalt hierbei ausschlösse…

 

Das Städtchen am Fuße des Felsens erscheint pittoresk altenglisch, immer wieder geprägt von den wuchtigen Verteidigungsanlagen. Stimmungsvolle Pubs – natürlich zischen wir im „Lord Nelson“ (wo sogar ein Nachbau des Fasses, in dem der gefallene Nationalheld nach der Schlacht von Trafalgar gebracht wurde, zu entdecken ist) ein gutes Guinness. Wohlsein! Dann mit der Seilbahn aufs Felsplateau. Fantastischer Blick über die Bucht, über Marina und Hafen zur gegenüberliegenden Säule des Herakles, bis nach Afrika. Und natürlich allenthalben die berüchtigten Affen (von denen Churchill sagte, dass Gibraltar britisch sei, solange die hier lebten), die sich heuer jedoch schläfrig, friedlich zeigen.

  

 

 

Andy Palacio

 

* 2.12.1960 in Barranco, † 19.1.2008 in Belize City, belizischer Musiker

  

Andy Palacio gründete das Garifuna Collectiv und sein Album „Watina“ führte 2007 die „World Music Charts Europe“ an. Er wurde mit dem Preis der Worldwide Music Expo ausgezeichnet und zum Friedensbotschafter der UNESCO ernannt. Im Alter von 47 Jahren erlag Andy Palacio einem Hirnschlag.

 

Anfang 2013 besuchten Jeanny und ich sein Heimatland: Von Belize City mit dem Boot den Old Belize River hinauf. In der Mündung strecken Manatis fürwitzig ihre Nasen aus dem Wasser, und weiter flussaufwärts schwimmt sogar ein Delfin vor uns her, taucht spielend immer wieder unter unserem Boot durch. Mangrovenwälder an den Ufern, Mahagony-Bäume, diverse Reiher, Krokodile, Affen. Vom Dach eines direkt am Wasser stehenden Hauses und aus Bäumen springen vor uns kreischend Kinder in den Fluss. „Hallo!“ – „Hallo!“

 

Selbst in der Nähe der mit 60.000 Einwohnern größten Stadt Belizes merkt man, dass dies ein dünnbesiedeltes Land ist. Das aber macht es der Regierung leicht, große Flächen unter Naturschutz zu stellen, was wiederum die Basis für Öko-Tourismus sein soll. Naturbelassene, artenreiche Dschungel in Kombination mit dem sich von Roatán bis Yucatan hier der ganzen Küste vorgelagerten artenreichen Riff – das könnte tatsächlich locken.

 

Hauptstadt ist Belize City seit Jahrzehnten nicht mehr. Als 1961 mal wieder ein Hurrican das alte Piratennest verwüstete, beschloss man, im Landesinneren eine neue, schmucke Hauptstadt aufzubauen, Belmopan – von: Belize und Mopán, einem der hiesigen Maya-Völker. Erst 1981 wurde das Land, das bis dahin Britisch-Honduras hieß, in die Unabhängigkeit entlassen. Und während die Queen noch die hiesigen Geldscheine ziert (Belize Dollar!), wurde der Linksverkehr hier schon abgeschafft – falls der Straßenverkehr in dieser abgeschiedenen Region zwischen Mexiko und Guatemala mit seiner Mischbevölkerung aus Ladinos, Kreolen, Garifuna, Maya, Europäern und Asiaten aller Couleur früher überhaupt irgendwie geregelt war…

 

Gegen Mittag in Altun Ha, eine der wunderbaren Maya-Stätten des Landes, besiedelt schon seit ca. 1000 v. Chr., bedeutendes Handelszentrum in der klassischen Maya-Periode. Bis zu 10.000 Menschen lebten damals hier. Ausgrabungen brachten in Altun Ha das größte, bislang gefundene Jade-Objekt zutage: eine 15 cm große Figur des Sonnengottes Kimich Ahau. Und den Tempel dieses Sonnengottes besteigen wir am Ende der Besichtigungstour, Gluthitze, doch fantastischer Rundumblick über die Anlage und den umhüllenden, dichten Urwald.

 

Den Tourismus (welcher Art auch immer) als zielgerichtete Einnahmequelle scheint man in diesem bettelarmen Land aber irgendwie zu verschlafen: als wir mit unserm Tender am Morgen im Hafen von Belize City anlegten, waren noch alle Läden verschlossen, und als wir nun am Nachmittag wieder auf dem Pier ankommen, sind die Geschäfte schon wieder zu – oder noch immer?

 

  

 

 

Samuel Paty

 

* 18.9.1973 in Moulins, Allier, † 16.10.2020 in Conflans-Sainte-Honorine, französischer Lehrer

  

Zuweilen begnügen sich Islamisten damit, Menschen schariagemäß Finger oder eine Hand abzuhacken. Samuel Paty wurde enthauptet, mitten in Europa, im Jahre 2020 nach Christi Geburt. Sein Vergehen: Dem Lehrplan entsprechend hatte er zwei seiner Klassen beim Thema „Recht auf Meinungsfreiheit“ Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt.

 

Möge Samuel Patys, bei der Verhaftung erschossener Mörder (ein achtzehnjähriger Tschetschene, dessen Eltern in Frankreich um Asyl baten) erfahren, dass die Verheißung, als Märtyrer 77 Jungfrauen vernaschen zu können, auf einem Übersetzungsfehler beruht: Im Originaltext gehe es um 77 „weiße, kristallklare Weintrauben“…

 

Fuck off, Bastard! Vat e faire foutre, Connard! Otwali, Ublyudok! Abted, abn haram!

 

 

  

 

Ignaz Philipp Semmelweis

 

* 1.7.1818 in Tabán, † 13.8.1865 in Oberdöbling, österreichisch-ungarischer Mediziner

  

Ignaz Semmelweis, der „Retter der Mütter“ hatte versucht, Hygienevorschriften in Geburtskliniken einzuführen. Seine Erkenntnisse wurden zu seinen Lebzeiten jedoch nie anerkannt und sogar als „spekulativer Unfug“ bekämpft.

 

Einer der wenigen Kollegen, die zu ihm standen, war Louis Kugelmann, der ihm schrieb:  „Nur sehr Wenigen war es vergönnt, der Menschheit wirkliche, große und dauernde Dienste zu erweisen, und mit wenigen Ausnahmen hat die Welt ihre Wohltäter gekreuzigt und verbrannt. Ich hoffe deshalb, Sie werden in dem ehrenvollen Kampfe nicht ermüden, der Ihnen noch übrig bleibt. Ein baldiger Sieg kann Ihnen umsoweniger fehlen, als viele Ihrer ursprünglichen Gegner sich de facto schon zu Ihrer Lehre bekennen. Wie ist es zu verwundern, daß Leute, die Jahre lang in Wort und Schrift, unverständlich vielleicht auch sich selbst, über Unverstandenes schrieben und redeten, diese Lücke ihrer Erkenntnis auch sofort zu verdecken streben. Nicht viele setzen die Liebe zur Wahrheit über die Selbstliebe, Manche sind wohl in gewohnter Selbsttäuschung befangen. Auf andere wieder paßt der derbe Sarkasmus Heinrich Heines, der irgendwo sagt: ‚Als Pythagoras seinen berühmten Lehrsatz entdeckt hatte, opferte er eine Hekatombe. Seitdem haben die [Ochsen] eine instinktartige Furcht vor der Entdeckung von Wahrheiten.“

 

Ignaz Semmelweis versuchte seinerseits durch offene Briefe, seine neuen Methoden zu verteidigen und durchzusetzen: „Ich trage in mir das Bewusstsein, dass seit dem Jahre 1847 Tausende und Tausende von Wöchnerinnen und Säuglingen gestorben sind, welche nicht gestorben wären, wenn ich nicht geschwiegen, sondern jedem Irrtum, welcher über Puerperal-Fieber verbreitet wurde, die nötige Zurechtweisung hätte Teil werden lassen […]. Das Morden muss aufhören, und damit das Morden aufhöre, werde ich Wache halten, und ein jeder, der es wagen wird, gefährliche Irrtümer über das Kindbettfieber zu verbreiten, wird an mir einen rührigen Gegner finden. Für mich gibt es kein anderes Mittel, dem Morden Einhalt zu tun, als die schonungslose Entlarvung meiner Gegner, und niemand, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, wird mich tadeln, dass ich diese Mittel ergreife.“

 

Doch schließlich wurde Ignaz Semmelweis - durch eine Intrige wahrscheinlich - in die Landesirrenanstalt Döbling eingewiesen, wo er zwei Wochen später durch eine Sepsis infolge einer Schnittverletzung – angeblich - verstarb.

 

Wikipedia weiß: „Da 1963 bei einer Exhumierung der sterblichen Überreste Semmelweis’ multiple Frakturen an Händen, Armen und am linken Brustkorb festgestellt wurden, erscheint die Aktennotiz der Klinik, in der stattdessen Gehirnlähmung als sein Sterbegrund genannt wurde, umso dubioser. Überlegungen zufolge, u.a. vom amerikanischen Semmelweis-Biografen Sherwin Nuland, sollen Pfleger Semmelweis auf dem Anstaltshof geschlagen haben und auf ihm herumgetrampelt sein.“

  

 

 

 

Günther Simon

 

* 11.5.1925 in Berlin, † 25.6.1972 ebd., deutscher Schauspieler

  

Mit Reinhard Simon, einem Sohn des in der DDR legendären Schauspielers Günther Simon („Sohn seiner Klasse“), absolvierte ich meinen Grundwehrdienst, trat mit ihm zusammen sogar in einem Soldatenensemble auf. Und einen Text meines soldatischen, schier ebenso auf ewig entweibten Leidensgenossen Reinhard (der oft von seinem, vier Jahre zuvor verstorbenen Vater erzählte) vertonte ich:

  

Ich fliege, ich fliege,

 

weit nach Hause,

 

fliegen kann ich schon lange

 

und bin, wenn du schläfst,

 

bei dir.

 

 

Du schläfst, du schläfst,

 

eine kurze Zeit,

 

schlafe bitte, ich bange

 

und bin schon in Träumen

 

bei dir.

 

  

Wir schlagen, wir schlafen und träumen,

 

fliegen uns zu

 

und in Gedanken

 

kann ich schon verlangen zu schlafen

 

mit dir.

 

  

Du fliegst, du fliegst,

 

von zu Hause fort,

 

fliegen kannst du schon lange

 

und bist, wenn ich schlafe

 

bei mir.

 

  

 

 

Arthur „Art“ Tatum

 

* 13.10.1909 in Toledo, Ohio, † 5.11.1956 in Los Angeles, amerikanischer Jazz-Pianist

  

Der von Geburt an an grauem Star leidende, halbblinde Art Tatum verfügte über das absolute Gehör und über ein außergewöhnliches akustisches Erinnerungsvermögen.

 

Sein Kollege Fats Waller sagte einmal: „Wenn dieser Mann loslegt, kann ihm niemand das Wasser reichen. Er klingt wie eine ganze Blaskapelle“.

 

Und der Jazz-Kritiker Leonhard Fuller nannte ihn „den größten Solisten der Jazzgeschichte – egal auf welchem Instrument.“

 

Art Tatum starb im Alter von nur 47 Jahren an den Folgen einer Niereninsuffizienz.

 

  

 

 

Cornelis Gerard Anton de Kom

 

* 22.2.1898 in Paramaribo, Pseudonym: Adek, † 24.4.1945 im KZ Sandbostel, surinamischer Autor

  

Anton de Kom gilt als Begründer des surinamischen Nationalismus und Pionier der antikolonialen Geschichtsschreibung.

 

Im Alter von 29 Jahren nahm er am „International Congress against Colonial Oppression and Imperialism“ in Brüssel teil, auf dem die „Liga gegen Imperialismus und Kolonialherrschaft" gegründet wurde. Im Jahr darauf wurde er in den Niederlanden wegen „aufrührerischer kommunistischer Tätigkeiten“ zum ersten Mal verhaftet.

 

1920 war Anton de Kom in die Niederlande gereist, um seinen Militärdienst abzuleisten, 1932 fuhr er in sein Heimatland Surinam zurück, wo er im Februar 1933 erneut verhaftet und dann in die Niederlande abgeschoben wurde. Hier stand er unter ständiger Beobachtung, einmal gruben Polizisten sogar seinen Garten auf der Suche nach Manuskripten um, letztlich konnten die Behörden aber nicht verhindern, dass 1934 sein Buch „Wij slaven van Suriname“ erschien.

 

Nach der deutschen Besatzung der Niederlande ging Anton de Kom in den Untergrund, wurde Widerstandskämpfer. Im August 1944 verhaftete ihn die Gestapo und brachte ihn ins niederländische KZ Vught, dann nach Oranienburg und später in das Auffanglager für das KZ Neuengamme in Sandbostel. Dort starb Anton de Kom im Alter von 44 Jahren, offiziell an Tuberkulose.

  

 

 

Yi I

 

* 26.12.1536 in Gangneung, † 27.2.1584 in Hansŏngbu, koreanischer Philosoph

  

Yi Is Schriftstellername lautete Yul-gok, Tal der Kastanien, weshalb er auch Yi Yul-gok genannt wurde. Mit sieben soll er bereits alle konfuzianischen Klassiker gelesen haben, mit 23 verfasste er sein Meisterwerk „Cheondochaek – Buch auf dem himmlischen Pfad“.

 

Doch Yi I wirkte nicht nur als Schriftsteller, sondern auch Politiker und Reformer und Bekämpfer der Korruption. Bereits mit dreizehn bestand er seine erste Beamtenprüfung, mit neunundzwanzig hatte er verschiedene Regierungsämter inne.

 

Yi I hielt die Menschen grundsätzlich für gut und glaubte, dass Menschen vor allem aus Not unmoralisch handeln. Bessern könne man Menschen insbesondere dadurch, indem man Maßnahmen zur Linderung ihrer Not ergreift. Er ging stets taktisch vor, verließ den Königshof, bevor er in Ungnade fiel und kehrte zurück, wenn er eine Chance sah, seine Ideen umzusetzen. Dies erlaubte ihm zuweilen sogar kritisch gegenüber Herrschenden zu sein und die Befolgung konfuzianischer Tugenden auch von Ihnen einzufordern.

 

Respekt!

 

  

 

Oskar Brüsewitz

 

* 30.5.1929 in Willkischken, Memelland, † 22.8.1976 in Halle (Saale), deutscher Pfarrer

  

Funkspruch an alle – Funkspruch an alle – Wir klagen den Kommunismus an wegen Unterdrückung der Kirchen in Schulen an Kindern und Jugendlichen, stand auf einem Plakat, das Oskar Brüsewitz am 18. August vor der Zeitzer Michaeliskirche an seinem Auto anbrachte. Auf einem zweiten war zu lesen: Funkspruch an alle – Funkspruch an alle – Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung der Kirchen in Schulen an Kindern und Jugendlichen. Dann übergoss er sich mit Benzin und zündete sich an. Vier Tage später erlag er seinen schweren Brandverletzungen.

 

„In seinem Abschiedsbrief betonte Brüsewitz, nicht Selbstmord begangen, sondern als berufener Zeuge einen Sendungsauftrag erfüllt zu haben. Er klagte über den scheinbaren tiefen Frieden, der auch in die Christenheit eingedrungen sei, während zwischen Licht und Finsternis ein mächtiger Krieg tobe…“(Wikipedia)

 

Manfred Stolpe meinte 30 Jahre danach: „Oskar Brüsewitz war ein Vorbote des Systemwechsels“.

 

Oskar Brüsewitz diente offenbar Pfarrern als Vorbild: Am 17. September 1978 verbrannte sich im sächsischen Falkenstein Rolf Günther in seiner Kirche; am 31. Oktober 2006 im Erfurter Augustinerkloster Roland Weißelberg, der in seinem Abschiedsbrief verkündete, dies aus „Sorge vor der Ausbreitung des Islam“ getan zu haben.

 

  

 

William Rory Gallagher

 

* 2.3.1948 in Ballyshannon, † 14.6.1995 in London, irischer Gitarrist

 

„Für Rory gab es nichts anderes als Musik. Er lebte für den Auftritt auf der Bühne. Und wo keine Bühne war, schuf er sich eine“, erinnerte sich der „Vater des Rockpalast“, Peter Rüchel: „Mit ‚Moonchild’ eröffnete er 1977 eine lange Reihe von 17 Rockpalast-Nächten. Die Idee einer ganzen Nacht mit Rockmusik live im Fernsehen war offenbar so überzeugend, dass sich schon bei dieser ersten Übertragung sieben Länder über das Eurovisionsnetz zuschalteten, darunter – natürlich besonders wichtig für Rory – auch Irland. Eine furiose Version des ‚Bullfrog Blues’ stand am Ende des Sets. Aber Rory wurde nicht ohne Zugabe entlassen. Er sagte mir später in einem Interview: „The atmosphere was eletric.‚ So war’s.“

 

In der „Times“ war 1973 zu lesen: „Er ist einer der wenigen Gitarristen, den man nach Sekunden erkennt, so individuell ist sein Stil. Er sagt, das sei Zufall gewesen und habe mit seiner Stratocaster-Gitarre zu tun gehabt, einem geschundenen Gegenstand, den er seit fast 10 Jahren besitzt. Sie erzeugt einen Klang, der mit hoher Geschwindigkeit während eines Gallagher-Auftritts heult und ansteigt – ein Verschmelzen von Obertönen, die er durch das Halten des Ülektrums in einem bestimmten Winkel zwischen Daumen und Finger erzeugt. Das führt zu einem chronischen Abrieb des Fingernagels: Ich hatte darüber nie nachgedacht, bis die Leute anfingen, darüber zu schreiben. Dann entwickelte ich den Stil weiter. Es ist ein Sound, den ich mit meinem Bottleneck nicht hinkriege.

 

Rory Gallagher, meist im rotkarierten Hemd, spielte stets das, was er spielen wollte, zeigte nie Allüren und schlug sogar Angebote von „Cream“, den „Rolling Stones“ und von „Deep Purple“ aus, bei ihnen als Leadgitarrist einzusteigen.

 

Rory Gallagher starb im Alter von 47 Jahren an den Folgen einer Lebertransplantation.

 

 

 

Namba Yasuko

* 2.2.1949, † 10.5.1996 am Mount Everest, japanische Personalleiterin und Bergsteigerin

 

Im Alter von 32 Jahren begann Namba Yasuko ihr Ziel umzusetzen, alle „Seven Summits“ zu besteigen, die höchsten Berge der sieben Kontinente. Am Neujahrstag 1982 stand sie auf dem Kilimandscharo in Afrika, 1985 auf dem Aconcagua in Süd- und dem Denali in Nordamerika, 1992 auf dem euro-asiatischen Elbrus, 1993 auf dem Mount Vinson in der Antarktis und 1994 auf der ozeanischen Carstenz-Pyramide.

Im Alter von 47 Jahren schloss sich Namba Yasuko einer kommerziell geführten Expedition zur Besteigung des Mount Everest an, um als zweite Frau Japans alle „Seven Summits“ bezwungen zu haben.

Tatsächlich erreichte sie als bis dahin älteste Frau am Nachmittag des 10. Mai 1996 den Gipfel des Mount Everest. Beim Abstieg kam es jedoch zu einem plötzlichen Wetterumschwung. Namba Yasuko kam mit sieben weiteren Bergsteigern in einem Schneesturm bei Sichtweiten unter fünf Metern und eisigen Temperaturen ums Leben.

 

   

 

 

Heinrich Albert

 

* 28.6.1604 in Lobenstein, † 6.10.1651 in Königsberg, deutscher Liederdichter

  

Heinrich Albert gehörte in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges zum Königsberger Dichterkreis und vertonte als Erster Simon Dachs „Ännchen von Tharau“,  (was lange, zu Gunsten der „Ännchen-Komposition“ Friedrich Silchers, vergessen war).

 

Der Biograph Arrey von Dommer sagte über den Komponisten Heinrich Albert: „In der Erfindung einfacher schöner stimmungsvoller Melodien lag überhaupt Albert’s Stärke, weit schwächer ist er im Conrapunkt; doch sind seine 3stimmigen Sätze meist besser gearbeitet als die 5stimmigen, worin von individueller Entfaltung des Stimmlebens nicht viel zu finden ist.“

 

Heinrich Albert dichtete jedoch auch selbst (und vertonte dann oft seine eigenen Texte):

  

Gott, ich danke dir von Herzen,

 

dass du mich in dieser Nacht

 

vor Gefahr, Angst, Not und Schmerzen

 

hast behütet und bewacht,

 

dass des bösen Feindes List

 

mein nicht mächtig worden ist….

 

 

 

 

Ingeborg Bachmann

 

* 25.6.1926 in Klagenfurt, 17.10.1973 in Rom, österreichische Schriftstellerin

  

Seit 1977 wird der Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt vergeben, zur Förderung des literarischen Nachwuchses wohl. Mittlerweile jedoch sind Preisträger des Bachmann-Preises älter, als die Namensgeberin alt werden konnte. Gut, Fuffziger war man immer schon mal gern, und auch Fontane soll ja erst in seinen Sechzigern ernsthaft zu schreiben begonnen haben. Doch heuer muss man schon achtzig sein. Und der als preiswürdig angesehenen Text heißt: „Vom Aufstehen“ (sic!).

 

Wer weiß, was die Bachmann geschrieben hätte, wäre sie achtzig geworden, wäre sie nicht mit siebenundvierzig tragisch ums Leben gekommen. Gewiss nichts, was Juroren, warum auch immer, hätte auf den Gedanken kommen lassen, sie können einen Nachwuchspreis gewinnen und – annehmen.

 

Der Tod wird kommen und kein Ende setzen. Denn weil das Gedächtnis der Menschen nicht reicht, ist das Gedächtnis der Familie da, eng und beschränkt, aber ein wenig länger.

 

Christa Wolff sagte in einem Nachwort zu „Undine geht“: „ Ein Grunderlebnis der Ingeborg Bachmann: Sie hat als Dichter der Summe von Erfahrung, die in der Welt ist, redlich ihre eigene hinzuzufügen. Ihre Sache ist es, den Mut zur eigenen Erfahrung immer neu in sich zu erzeugen und ihn gegen die wahrhaft überwältigende Masse und die entmutigende Herrschaft leerer, nichts sagender und nichts bewirkender Phrasen zu behaupten.“

 

Vielleicht sollte also der nach der Bachmann benannte Preis besser unbenannt werden, in: Schachermann- oder noch besser: in Reibachmann-Preis?

 

In ihren „Frankfurter Vorlesungen“ hatte Ingeborg Bachmann gefragt: Poesie wie Brot? Dieses Brot müsste zwischen den Zähnen knirschen und den Hunger wiedererwecken, ehe es ihn stillt. Und diese Poesie wird scharf von Sehnsucht sein müssen, um an den Schlaf der Menschen rühren zu können. Denn wir schlafen ja, sind Schläfer, aus Furcht, uns und unsere Welt wahrnehmen zu müssen.

 

Nun gut, Aufstehen undsoweiterundsofort.

 

Es sei denn, es formierte sich mal wieder ein Preisgericht, das versuchte, der Bachmannsche Poesie zu folgen.

 

Es kommen härtere Tage. / Die auf Widerruf gestundete Zeit / wird sichtbar am Horizont. / Bald musst du den Schuh schnüren / und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe. / Denn die Eingeweide der Fische / sind kalt geworden im Wind. / Ärmlich brennt das Licht der Lupinen. / Dein Blick spurt im Nebel: / die auf Widerruf gestundete Zeit / wird sichtbar am Horizont…

 

 

 

Hjalmar Fredrik Bergman

* 19.9.1883 in Örebro, 1.1.1931 in Berlin, schwedischer Schriftsteller

 

Hjalmar Bergmann studierte in Uppsala und Florenz Kunst, Sprachwissenschaft und Literatur und debütierte als Schriftsteller mit dem Roman „Maria, Jesu moder“, der aber kaum ankam, erfolgreicher waren dann schon „Hans nåds testamente“ und der Novelle „Amourer“. Immer wieder schildert er das Leben in einer Kleinstadt und nahm sich dafür seine Heimatstadt zum Vorbild, so für Romane, wie „Makurell i Wadköping“ der 1930 unter dem Titel „Väter und Söhne“ verfilmt wurde) oder „Farmor och vår Herre“. Verfilmt wurde auch „Swedenhielms – Ein glücklicher Mensch“. Er schrieb auch fürs Theater, so die Stücke „Parisina“ oder „Dollars“.

Sein letztes großes Werk war der autobiografisch gefärbte Roman „Clownen Jac“. Hjalmar Bergman gilt als einer der größten Schriftsteller Schwedens. Er starb im Alter von 47 Jahren durch eine Überdosis Morphin vermutlich in Kombination mit Alkohol.

 

 

 

Lon Chaney sen.

* 1.4.1883 als Leonidas Frank Chaney in Colorado Springs, Colorado, 26.8.1930 in Los Angeles, Kalifornien, amerikanischer Schauspieler

 

Lon Chaney wurde „der Mann mit den 1000 Gesichtern“ genannt. Im Alter von 19 Jahren trat er erstmals als Schauspiele auf, mit zwanzig spielte er erstmals in einem Stummfilm mit. Weithin bekann wurde er mit sechsundzwanzig durch den Film „The Miracle Man“ in der Rolle des Betrügers Frog, und berühmt mit dreißig als Quasimodo in „Der Glöckner von Notre Dame“. Wenig später verkörperte er das Phantom in „Das Phantom der Oper“ und war dann auch mehrmals als Vampir zu sehen.

Lon Chaney wirkte in mehr als 100 Stummfilmen mit und starb im Alter von 47 Jahren an Kehlkopfkrebs.

 

   

  

 

Theodoor „Theo“ van Gogh

 

* 23.7.1957 in Den Haag, † 2.11.2004 in Amsterdam, niederländischer Regisseur

  

Theo van Gogh, Urgroßenkel Vincent van Goghs, galt in den Nierderlanden als enfant terible, liebte es zu provozieren, attackierte mit seinen Arbeiten gleichermaßen islamische wie jüdische wie christliche Werte.

 

Sein letzter Film „Submission“ wurde am 29. August 2004 im Fernsehen gesendet und zeigt die verschleierten Gesichter von vier muslimischen Frauen, die über ihre Missbrauchserfahrungen berichten, sowie deren durchsichtig bekleidete Körper, auf denen fünf Suren aus dem Koran stehen, in denen die Frau zur Unterwerfung unter ihren Ehemann aufgefordert wird.

 

Nach Ausstrahlung dieses Films erhielt Theo van Gogh Morddrohungen, und am 2. November 2004 wurde er gegen 8:45 Uhr in der Amsterdamer Linnaeusstraat niedergeschossen und erdolcht.

  

  

 

Agrippa von Nettesheim

 

* 14.9.1486 als Heinrich Cornelius in Köln, † 18.2.1534 in Grenoble, deutscher Universalgelehrter, Jurist, Arzt und Philosoph

  

Im Alter von 23 Jahren verfasste Agrippa sein Frühwerk „De occulta philosophia“, in dem er Astrologie, Kabbala, Theologie, Mantik, Evokationsmagie, Angelologie, Amulett- und Talismanzauber systematisierte und seine heilige Magie gegen „Zauberer“ und „Teufelsbeschwörer“ verteidigte: Die magische Wissenschaft, der so viele Kräfte zu Gebot stehen, und die eine Fülle der erhabensten Mysterien besitzt, umfasst die tiefste Betrachtung der verborgensten Dinge, das Wesen, die Macht, die Beschaffenheit, den Stoff, die Kraft und die Kenntnis der ganzen Natur. Sie lehrt uns die Verschiedenheit und die Übereinstimmung der Dinge kennen. Daraus folgen ihre wunderbaren Wirkungen; indem sie die verschiedensten Kräfte miteinander vereinigt und überall das entsprechende Untere mit den Gaben und Kräften des Oberen verbindet und vermählt. Die Wissenschaft ist daher die vollkommendste und höchste, sie ist eine erhabene und heilige Philosophie, ja sie ist die absolute Vollendung der edelsten Philosophie.

 

Agrippa wirkte als Gelehrte wie Diener zahlreicher Herren und Herrinnen in diversen Orten Europas, so in: Köln, Paris, Lyon, Dole, Oxford, London, Triest, Pisa, Pavia, Metz, Freiburg, Genf, Antwerpen, Mechelen, Grenoble. Und immer wieder handelte er sich ob seiner Ansichten und Äußerungen Ärger mit Mächtigen ein. In Metz beispielsweise fiel Agrippa in Ungnade, da er für eine der Hexerei von einem Inquisitor angeklagte Bäuerin durch geschicktes Argumentieren einen Verspruch erwirkte, die Stadtoberen dann aber der Meinung waren: „Wer gegen die Inquisition gewinnt, kann nur ein Teufelsbündler sein.“ Und sein Biograph Michael Kuper meinte: „Damit war der Grundstein für eine Legende gelegt, die Agrippa zeit seines Lebens über das Grab hinaus verfolgen sollte.

 

Zwei Jahre vor seinem Tod hat sich Agrippa offenbar mit Dr. Johannes Faustus getroffen, und Goethe inspirierte er dann wohl für den „Faust“

 

Auf seinem (verlorengegangenen) Grabstein soll zu lesen gewesen sein, dass man seinen schwarzen Hund mit Kerberos gleichsetzte und der geeignete Ort für Agrippa wohl der Hades sei.

 

 

 

 

Stéphane Charbonnier

 

* 21.8.1967 in Confians-Sainte-Honorine, Pseudonym: Charb, † 7.1.2015 in Paris, französischer Karikaturist und Herausgeber

  

Stéphane Charbonnier, Herausgeber der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ sagte 2012 in einem Interview, nachdem er Todesdrohungen erhalten hatte: „Ich bin seit einem Jahr unter Polizeischutz gestellt, seit der Affäre ‚Scharia Hebdo’. Es ist schwer im Alltag, besonders in Paris, unter ständiger Überwachung zu stehen. Aber ich habe keine Angst vor Repressalien. Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, keinen Kredit. Es hört sich gewiss ein wenig schwülstig an, aber ich bevorzuge stehend zu sterben, anstatt auf Knien zu leben.“

 

Im März 2013 tauchte sein Name auf einer Todesliste von al-Qaida im Jemen auf.

 

Anfang Januar 2015 wurde Stéphane Charbonnier in der Redaktion seiner Zeitschrift von zwei islamistischen Terroristen erschossen. Mit ihm starben die Zeichner Jean Cabut, Philippe Honoré, Bernard Verlhac, und Georges Wolinski,  sowie der Mitbegründer von Attac Frankreich und Mitinhaber von „Charlie Hebdo“ Bernard Maris, die Kolumnistin Elsa Cayat, der Lektor Mustapha Ourrad, der Journalist Michel Renaud, der Wartungstechniker Fréderic Boisseau sowie die beiden Polizisten Franck Brinsolaro und Ahmed Merabet.

 

Am Tag des Anschlags war eine Sonderausgabe von „Charlie Hebdo“ mit der Karikatur eines bewaffneten Dschihadisten und der Überschrift „Noch keine Attentate in Frankreich“ erschienen. Der Islamist sagte in einer Sprechblase: „Warten Sie ab. Man hat bis Ende Januar Zeit, seine Festtagsgrüße auszurichten.

 

 

 

 

Yılmaz Güney

* 1.4.1937 in Adana, † 9.9.1984 in Paris, türkischer Schauspieler, Autor und Regisseur

 

Als Student an der Universität begann Yılmaz Güney erste Filme zu drehen. Nach dem Militärputsch 1960 wurde er inhaftiert. Zehn Jahre später gelang ihm seinem Film „Unmut – Die Hoffnung“ der internationale Durchbruch. Im Jahr darauf wurde er aber erneut verhaftet, da er Mitgliedern einer Untergrundorganisation Unterschlupf gewährt hatte.

Als im Juli 1974 für Dreharbeiten in Yumurtalik war, erschoss er alkoholisiert in einem Kasino einen Richter und wurde zu 19 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis schrieb er die Drehbücher für seine beiden Filme „Sürü – Die Herde“ und „Yol – der Weg“. Während eines Hafturlaubs konnte er 1981 nach Frankreich fliehen und gründete in Paris das Kurdische Institut.

Yılmaz Güney starb im Alter von 47 Jahren an Magenkrebs.

 

 

  

 

 

Karl Paul August Friedrich Liebknecht

 

* 13.8.1871 in Leipzig, † 15.1.1919 in Berlin, deutscher Politiker

  

Am 1. August 1914 wurde in Deutschland mobil gemacht und für den SPD-Abgeordneten Karl Liebknecht stand außer Frage, dass die Ablehnung der Kriegskredite für die Mehrheit der Reichstagsfraktion selbstverständlich und zweifellos sei. Drei Tage später jedoch stimmte auch die SPD-Fraktion - und aus Fraktionstreue auch Karl Liebknecht - dem Regierungsantrag zu, bewilligte die für den Krieg notwendigen Mittel. Karl Liebknecht, der dies als katastrophalen Fehler sah, sagte später: Der Abfall der Fraktionsmehrheit kam selbst für den Pessimisten überraschend; die Atomisierung des bisher überwiegenden radikalen Flügels nicht minder. Die Tragweite der Kreditbewilligung für die Umschwenkung der gesamten Fraktionspolitik ins Regierungslager lag nicht auf der Hand.

 

In was für einer Welt lebten wir heute, hätte Karl Liebknecht allein seine Fraktion von seiner Meinung überzeugen können…

 

  

 

 

Fernando Pessoa

 

* 13.6.1888 als Fernando António Nogueira de Seabra Pessoa in Lissabon, † 30.11.1935 in Lissabon, portugiesischer Dichter

  

Fernando Pessoa gilt neben Luis de Camoes als bedeutendster Lyriker Portugals und zu den bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts weltweit. Fast stets veröffentlichte er seine Werke unter Heteronymen, also unter dem Namen verschiedener fiktiver Autoren mit eigenen Biographien, eigenen Schreibstilen, Themen, Motiven und philosophischen Kontexten, so: Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos, Bernardo Soares, Charles James Search und dessen Bruder Alexander Search, insgesamt wurden 72 Heteronyme Pessoas gezählt.

 

 Der Poet verstellt sich, täuscht

 

so vollkommen, so gewagt,

 

dass er selbst den Schmerz vortäuscht,

 

der ihn wirklich plagt.

  

In einem Brief an einer Freund klärte er beispielsweise auf: Ricardo Reis wurde 1887 in Porto geboren (ich erinnere mich nicht an Monat und Tag, aber irgendwo habe ich die Daten); er ist Arzt und gegenwärtig in Brasilien. Alberto Caeiro wurde 1889 geboren und starb 1915; er kam in Lissabon zur Welt, lebte aber fast sein ganzes Leben auf dem Land. Er hatte keinen Beruf und fast keine Bildung. Álvaro de Campos wurde in Tavira geboren, am 15. Oktober 1890 (um 1:30 Uhr nachmittags […]). Er ist […] Schiffsbauingenieur (studiert in Glasgow), doch jetzt ist er hier in Lissabon ohne Tätigkeit. […] Caeiro schrieb schlecht Portugiesisch, Campos akzeptabel, aber mit Lapsus wie ‚ich selber‘ anstatt ‚ich selbst‘ etc. Reis schreibt besser als ich [!], aber mit einer Reinheit, die ich übertrieben finde.

 

Fernando starb infolge seines Alkoholismus an Leberzirrhose. Seinen letzten Satz schrieb er auf Englisch: I know not what tomorrow will bring… Und auf seinem Grabmal im Kloster Belém steht denn folgerichtig auch ein Ausspruch von Álvaro de Campos: Nein: ich will nichts. Ich sagte bereits, dass ich nichts will. Kommt mir nur nicht mit Schlussfolgerungen! Die einzige Schlussfolgerung ist der Tod.

 

  

 

Johann Gottfried Seume

 

* 29.1.1763 in Poserna bei Weißenfels, † 13.6.1810 in Teplitz, Böhmen, deutscher Schriftsteller

  

Ich bin der Meinung, daß alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge, schrieb Seume seinerzeit in seinem „Spaziergang nach Syrakus“. Meinerzeit (1984) mit dem Zug also bis Weißenfels. Eine Kornblume auf Novalis’ Grab. Dann über den Tschirnhügel und vorbei an den Menhiren der alten Burg Treben gen Lützen. In Pörsten jedoch rechts ab, obwohl in Röcken, nur wenige Kilometer voraus, Nietzsches Grab lockte. Nach Poserna jedoch läuft man unter Schattenmorellen, und erreicht werden sollte schließlich Seumes Geburtshaus: Konterfei des großen Wanderers auf rissigem Putz, Umschrift: „Natur- Menschen- Vaterlandsfreund/ Rauhe Schale/ edler Kern.“ Ach, wenn ich ihm doch nachfolgen könnte, zumindest bis Syrakus.

   

 

 

Paruyr Sevak

 * 24.1.1924 als Parourj Rafajeli Ghasarjan in Tschanachtschin, † 17.6.1971 in Jerewan, armenischer Dichtere

  

Am 17. Juni 1971 wurde Paruyr Sevak, der eigentlich Paruyr Rafayeli Ghasaryan hieß, erstmals zum Märtyrer. Unweit des Abzweigs nach Nachitschewan, den Ararat schon im Blick, raste er mit seinem Wolga in einen Laster. Und obwohl er Abgeordneter im Obersten Sowjet der Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik war, Träger des Ordens des Roten Banners der Arbeit, galt er doch als glühender Armenier und hatte sich sogar über korrupte Zeitgenossen geäußert. Das Gerücht, dass diesen Unfall der KGB inszeniert hätte, war in aller Munde.

 

In Jerewan sowie am Unfallort gab es alsbald Gedenksteine. Sein Haus unweit der Unfallstelle in den Bergen wurde Museum, und so mancher Besucher trug wie ein Vermächtnis eine Frucht von dem Walnussbaum, den Paruyr Sevak selbst gepflanzt haben sollte, nach Hause.

  

Ich fand keinen Schlaf hier,

 

schrieb Paruyr Sevak,

 

Du, schlaf noch nicht,

 

Sondern sag mit mir,

 

Daß in Armenien

 

Jetzt schon der Frühling

 

Blühend anbricht…

  

Tatsächlich ging Paruyr Sewak undercover nach Bergkarabach, nach Schuschi, begann der Widerstand gegen die verhassten Aseri, diese Türken,  in der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu propagieren und organisieren.

 

Schon nach der Veröffentlichung seiner ersten Gedichte, hatte man ihm geraten, ein Pseudonym anzunehmen. Und er hatte sich entschieden, den Namen des von ihm hochverehrten Dichters Ruben Sevak anzunehmen, der 1915 eines der ersten Opfer des Genozids der Jungtürken an den Armeniern geworden war.

 

Schuschi wurde 1920 von türkischen und aserbaidschanischen Truppen verwüstet, und im zugehörigen Pogrom kam fast die gesamte angestammte armenische Bevölkerung ums Leben.

 

Paruyr Sevak nannte sich hier nun Rafayeli Ghasaryan.

 

Im Jahr 1988 eskalierte dann der uralte und seit der Stalinzeit wieder schwelende Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Selbst der berüchtigte Afghanistan-Haudegen General Lebed vermochte mit seinen Elitetruppen nicht mehr, für Frieden zwischen den beiden Sowjetrepubliken zu sorgen. Später sollten Stimmen laut werden, die meinten, hier sei die erste Bresche in die Berliner Mauer geschlagen wurden.

 

Es kam zu Krieg. Mehr als eine Million Menschen wurden vertrieben, gegenseitig, etwa 50.000 starben. Shushi war die letzte Stadt in der armenischen Exklave Bergkarabach, die von den Aseris gehalten wurde, mit Hilfe von Terroristen wie Schamil Bassajew, des tschetschenischen Warlords. Aus dem schwer befestigten Adlernest war wieder und wieder in die Hauptstadt Bergkarabachs, war verheerend nach Stepanakert, hinuntergeschossen worden.

 

Am 9. Mai 1992 wurde Paruyr Sevak, der eigentlich Paruyr Rafayeli Ghasaryan hieß, erneut zum Märtyrer. Aus einem T-72 lugend, der von Stepanakert die Serpentinen nach Schuschi hinaufkurvte, gab er den entscheidenden Tipp, die Panzersperren der Aseris zu umfahren. Bis Anfang November 2020, bis zur „Rückeroberung“ Schuschis durch aserbaidshanische Truppen und islamistische Söldner, erinnerte dieser T-72 am Ortseingang von Schuschi an jeden Tag der Befreiung.

  

Ich fand keinen Schlaf hier,

 

Du, schlaf noch nicht,

 

Sondern sag mit mir,

 

Daß in Armenien

 

Jetzt schon der Frühling

 

Blühend anbricht…

 

 

 

Rama VII.

* 8.11.1893 als Somdet Chao Fa Prajadhipok Sakdidej in Bangkok, † 30.5.1941 in Virginia Water, Surrey, König von Siam

 

Der siamesische König Rama VII., Sohn von König Chulalonkorn und dessen Hauptfrau Königin Saovabha, weilte am 11. Juli 1934 in Merseburg. Angereist war er Anfang Juni in Berlin, worüber sogleich der „Merseburger Korrespondent“ berichtete: „Ihre Majestäten der König und die Königin von Siam sind gestern in Berlin eingetroffen. Zur Begrüßung hatten sich u.a. der Reichsminister des Auswärtigen von Neurath und Frau, und der Chef des Protokolls Graf Bassewitz eingefunden. Auf dem Vorplatz des Bahnhofs hatte eine Ehrenkompanie der Landespolizei Aufstellung genommen, die unter den Klängen des Präsentiermarsches die Ehrenbezeugungen erwies. Das Königspaar und sein Gefolge begaben sich unmittelbar vom Bahnhof zum Hotel Adlon, wo es Wohnung genommen hat.“

Rama VII. besuchte des Eton College und der Royal Military Academy Woolwich sowie der École supérieure de guerre. 1918 heiratete er Prinzessin Rambai Barni Svastivatana, 1925 wurde er König von Siam.

Seit 1932 hatte Rama VII. versucht, sein Königreich zu modernisieren, nicht zuletzt die Konstitutionelle Monarchie einzuführen. Insofern war es nicht erstaunlich, dass er sich in Europa auch über industrielle Fortschritte informieren wollte, auf seinem Besuchsplan in Deutschland eine Exkursion zum Ammoniakwerk Merseburg, zu den Leunawerken also, stand.

So berichtete der „Merseburger Korrespondent“ dann am 11. Juli 1934: „Heute in den Mittagsstunden besuchte von Dresden kommend das Königspaar von Siam mit seinem Gefolge die Leunawerke. Sie wurden von Direktor Dr. Schneider begrüßt und besichtigten nach einem einleitenden Vortrag das Werk. Anschließend wurde zu Ehren der Gäste ein Frühstück gegeben.“

Und am 12. Juli: „Wie wir schon gestern berichteten, weilte das Königspaar von Siam gestern zu Besuch im Leunawerk. Demzufolge hatte die Betriebsleitung am Verwaltungsgebäude außer der Hakenkreuzflagge die Flagge des hinterindischen Königreiches Siam, rot-weiß-blau-weiß-rot, gehißt. Auch das Gesellschaftshaus hatte Flaggenschmuck angelegt.“

Erstaunlich jedoch, dass er Merseburg selbst offenbar nur durchfuhr, für Wirkungsstätten deutscher Könige keine Zeit fand – vielleicht weil der Dom nicht rot-weiß-blau-weiß-rot beflaggt werden konnte? Oder weil ihm das mittägliche Schneider-Frühstück zu schwer im Magen lag? Wer weiß.

 

 

 

 

Simón Bolívar

 

* 24.7.1783 als Simón José de la Santisima Trinidad Bolívar y Ponte (-Andrade) (y) Palacios y Blanco in Caracas, † 17.12.1830 in Santa Marta, Kolumbien, südamerikanischer Freiheitskämpfer

  

Wer kennt nicht Simón Bolívar, den legendären südamerikanischen Freiheitskämpfer, dem unzählige Denkmale gewidmet und nach dem Straßen und Orte, ein Berg, ein Asteroid, ein Atom-U-Boot, Orchester, eine Währung, diverse Institutionen, Orden und Preise und sogar ein Staat benannt wurden?

 

Wer aber weiß, was Timothy C. Winegard über eine Kampfmethode Bolívars berichtet?: „Bolívar, der 1815 und 1816 Haiti besucht und mit Veteranen der Revolution Taktiken diskutiert hatte, machte von Mücken übertragenen Krankheiten ebenso zum Teil seiner Strategie wie sein Vorgänger Louverture es getan hatte. Es war eine erprobte Strategie, einen Krieg zu gewinnen, und sie funktionierte auch bei Bolívar. Die Spanier – die ersten, die afrikanische Sklaven, Stechmücken und ihre Krankheiten nach Amerika gebracht hatten – wurden bei lebendigem Leibe aufgefressen, vollkommen geschwächt und schließlich vernichtet. Es waren die ungesühnten Taten ihrer Väter, offene Rechnungen aus finstern Zeiten, die nun in Form von Krankheiten und Tode beglichen wurden. Maß- und gnadenlos überfiel, infizierte und tötete die Stechmücke immunschwache Soldaten, die direkt aus Spanien kamen. […] Gelbfieber und Malaria rafften zwischen 90 und 95 Prozent aller spanischen Streitkräfte dahin, die zur Verteidigung von Reich und Wirtschaft nach Amerika entsandt worden waren.“

 

Simón Bolívar starb im Alter von 47 Jahren an Tuberkulose.

 

 

 

 

Jack Kerouac

 

* 12.3.1922 als Hean-Louis Lebris de Kérouac in Lowell, Massachusetts, † 21.10.1969 in Saint Petersburg, Florida, amerikanischer Schriftsteller

  

 

Unterwegs, 21. Oktober 1979

 

-Zehnter Todestag Jack Kerouacs-

 

Meine Chorusse, Dean, scheinen allzu begrenzt, lese ich von deinen Versuchen, chaotischen Versuchen, dieses Ordnungen da uns zu überwinden, zu zwingen oder was weiß ich. Warte, bitte warte auf mich!

 

Sal, wir müssen losgehen und nicht stillstehen, bis wir da sind.

 

Wohin denn, Mann?

 

Das weiß ich nicht, aber wir müssen los.

 

 

 

 

 

Maximilian Maria Kolbe

 

* 8.1.1894 als Rajmund Kolbe in Zduńka Wola, † 14.8.1941 im KZ Auschwitz, polnischer Mönch

  

Im Februar 1941 wurde der Franziskaner Maximilian Kolbe von der Gestapo verhaftet, da er Juden und griechisch-orthodoxen Christen im Missionszentrum Niepokalanów Unterschlupf gewährt hatte, und nach Auschwitz deportiert.

 

Ende Juli 1941 bot er dort an, anstelle eines Mithäftlings, der im Zuge einer Vergeltungsmaßnahme aussortiert worden war, bestraft zu werden. Er wurde in den Hungerbunker gesperrt und schließlich mit Phenol zu Tode gespritzt.

 

1971 wurde Maximilian Kolbe selig- und 1982 als Märtyrer heiliggesprochen.

 

  

 

Kanō Eitoku

 

* 16.2.1543 als Kanō Genshirō Kuninobu in Kyōto, † 12.10.1590 ebd., japanischer Maler

  

Drei Werke Kanō Eitokus sind Nationalschätze Japans: ein Wandgemälde im Jukō-in des Daitoku-ji-Komplexes Kyotos, eine heute im Uesugi-Museum Yonezawa befindliche, auf Wandschirm gezeichnete Ansicht Kyōtos, sowie ein Zypressenbild auf Wandschirm, das nunmehr im Nationalmuseum Tokios zu bewunden ist.

 

Ein von Eitoku bemalter Wandschirm, der die Burg Azuchi und die dazu gehörende Burgstadt darstellte, wurde später sogar an den Papst gesandt. Die meisten seiner Werke verschwanden jedoch bei der Zerstörung der von ihm ausgestalteten oder dargestellten Residenzen.

 

  

 

Andreas Gryphius

 

* 2.10.1616 als Andreas Greif in Glogau, † 16.7.1664 ebd., deutscher Dichter

  

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehrt,

 

Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,

 

Die Jungfraun sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun

 

Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfährt…

 

 Der polnische Germanist Marian Szyrocki sagte: „Andreas Gryphius ist neben Grimmelshausen der hervorragendste Dichter des 17. Jahrhunderts. Seine sprachgewaltigen Sonette haben bis zum heutigen Tag ihre Lebenskraft bewiesen, und gerade nach dem zweiten Weltkrieg sprechen uns der tiefe Ernst und die Humanität seiner Verse, die während der blutigen Greuel des dreißigjährigen Völkermordens niedergeschrieben wurden, immer wieder aufs persönlichste an.“

  

Du siehts, wohin du siehts, nur Eitelkeit auf Erden.

 

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein,

 

Wo itzund Städte stehn wird eine Wiese sein,

 

Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

 

  

Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.

 

Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;

 

Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein,

 

itzt lacht das Gluck uns an, bald donnern die Beschwerden…

 

 

Andreas Gryphius war Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen, sein Gesellschaftsname lautete: der Unsterbliche – wie prophetisch angesichts seiner heutzutage mehr denn je mahnenden Zeilen!

 

Zuletzt fungierte Andreas Gryphius als Syndikus der Glogauer Landstände und erlitt während einer Ständetagung im Alter von 47 Jahren einen tödlichen Schlaganfall.

 

 So sterb ich vor der Zeit. O Erden, gute Nacht!

 

Mein Stündlein läuft herbei! Nun hab ich ausgewacht

 

Und werde von dem Schlaf des Todes eingenommen.

 

  

 

 

Milena Jesenská

 

* 10.8.1896 in Prag, † 17.5.1944 im KZ Ravensbrück, tschechische Journalistin und Übersetzerin

  

„Milena war eine Suchende, aber mehr noch eine Liebende. Franz Kafka, mit dem sie eine kurze Liebesgeschichte verband und der sie ein ‚lebendiges Feuer’ genannt hatte, suchte menschliche Nähe in Briefen. Ihr aber, die Kafkas Angst vor Menschen verstehen konnte, ging nichts über die reale Gegenwart. Wäre sie bei Kafka geblieben, hätte sie nie den Weg gehen können von der selbstbezogenen Femme fatale zur politischen Widerstandskämpferin. Ein Tag Leben war für sie wichtiger und wertvoller als noch so viele Briefe oder Bücher. Diese Überzeugung hat sie in ihren Artikeln oft bekenntnishaft ausgedrückt. In einem schrieb sie: ‚Ich liebe das Leben, das ganze zauberhafte, wunderbare, strahlende Leben, in all seinen Erscheinungen, in all seinen Formen, in der Alltäglichkeit wie in der Feierlichkeit, an der Oberfläche wie in der Tiefe“, sagte Biograf Alois Prinz.

 

Nachdem Milena Jesenská Kafkas Erzählung „Der Heizer“ ins Tschechische übersetzt hatte, schrieb er ihr: „Du hast einen durchdringenden Blick, das wäre aber nicht viel, das Volk läuft ja auf der Gasse herum und lockt den Blick an sich, aber Du hast den Mut dieses Blicks und vor allem die Kraft, noch weiterzusehen über diesen Blick hinaus, dieses Weitersehen ist die Hauptsache und das kannst Du.“

 

Milena Jesenská wiederum urteilte über Kafka gegenüber Max Brod: „Gewiss steht die Sache so, dass wir alle dem Augenschein nach fähig sind zu leben, weil wir irgendeinmal zur Lüge geflohen sind, zur Blindheit, zur Begeisterung, zum Optimismus, zu einer Überzeugung, zum Pessimismus oder sonst zu was. Aber er ist nie in ein schützendes Asyl geflohen, in keines. Er ist absolut unfähig, zu lügen, so wie er unfähig ist, sich zu betrinken. Er ist ohne die geringste Zuflucht, ohne Obdach. Darum ist er allem ausgesetzt, wovor wir geschützt sind. Er ist wie ein Nackter unter Angekleideten.“

 

Franz Kafka schrieb Milenka nicht nur zahlreiche Briefe, sondern vertraute ihr vor seinem Tod seine Tagebücher an, die dann auf abenteuerlichen Wegen sogar den Zweiten Weltkrieg überstanden und zu guter Letzt veröffentlich werden konnten. Selbstredend taucht Milena auch hier immer wieder auf, beispielsweise am 29. Januar 1922, als sich Kafka krank in Spindlermühle zu erholen suchte: „Bleibt nur das Rätsel zu lösen, warum ich in Marienbad vierzehn Tage glücklich war und warum ich es infolgedessen […] vielleicht auch hier mit M. werden könnte.“

 

In den 1930er Jahren beginnt Milena Jesenská sich politisch zu engagieren, nach der deutschen Besetzung Prags wird ihre Wohnung zum Unterschlupf für Verfolgte. Dann wird sie  verhaftet und schließlich ins KZ Ravensbrück gebracht, wo sie im Alter von 47 Jahren an Nierenversagen stirbt.

 

Da sie in Prag todesmutig auch Juden versteckt und zur Flucht verholfen hatte, nahm sie die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem 1995 in die Liste der „Gerechten unter den Völkern“ auf. Walter Tschuppik, einer der Geretteten bekannte, dass ihm Milena Jesenká als einer der gütigsten und größten Menschen erscheine, denen er je begegnet sei. „Ihre Selbstlosigkeit, ihr Mut, ihre Entschlossenheit, ihr kühnes Handeln – ach, wie musste sie es büßen, ein außergewöhnlicher Mensch zu sein!“

  

 

 

O. Henry

 

* 11.9.1862 als William Sydney Porter in Greensboro, North Carolina, † 5.6.1910 in New York City, amerikanischer Schriftsteller

  

William Sydney Porter fand sein Pseudonym O. Henry in einem Arzneimittelhandbuch, als er sich 1899 als er im Staatsgefängnis von Ohio eine Haftstrafe verbüßte und sich zum Apothekergehilfen weiterbildete. Später sagte er einmal: Ich finde meine Themen überall. In jeder Sache ist eine Geschichte.

 

Der Amerikanist Karl-Heinz Schönfelder urteilte: „Zu O. Henrys wertvollsten Kurzgeschichten zählen jene, in denen New York den Hintergrund bildet. Der unter snobistischen Intellektuellen der damaligen Zeit weitverbreiteten Ansicht, nur das Leben und Treiben der vierhundert reichsten Familien der Metropole sei interessant, stellte der Schriftsteller den Nachweis entgegen, dass die Freuden und Leiden der übrigen vier Millionen Einwohner New Yorks genauso wichtig sind. Getreu seiner Überzeugung beschränkte er sich nicht darauf, Wallstreet-Bankiers und ihre korpulenten Gattinnen, Finanzmagnaten und ihre fetten Hunde, einflussreiche Reeder und Kommunalpolitiker vorzuführen, sondern ließ kaleidoskopartig die Angehörigen fast aller Klassen und Schichten der Riesenstadt am geistigen Auge des Lesers vorüberziehen. […] O. Henrys Helden wohnen nicht in den gigantischen Wolkenkratzern von Manhattan, von deren Dächern aus weder Armut noch Schmutz zu sehen sind. Sie leben in der Regel in hässlichen Mietskasernen, hausen in feuchtkalten, grabähnlichen Kellerwohnungen, fristen in dunklen Bodenkammern ein freudloses Dasein, nächtigen auf Parkbänken, schlafen im Obdachlosenasyl, verhungern in winzigen, kaum möblierten Mansarden oder öffnen in gemieteten Zimmern den Gashahn, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden.“

 

Erste Texte veröffentlichte er im Alter von 34 Jahren in der vom ihm begründeten Satire-Wochenzeitung „The Rolling Stone“ (sic!), und in seinem ersten erfolgreichen Kurzgeschichtenband „Kohlköpfe und Caballeros“ prägte er den Begriff „Bananenrepublik“.

 

O. Henry starb im Alter von 47 Jahren an Leberzirrhose.

 

Am 23. November 2011 zitierte Barack Obama genüsslich O. Henry, als er symbolisch zwei Truthähne begnadigte. O. Henry selbst jedoch, den man wegen einer geringfügigen Verfehlung (Unterschlagung von 854,08 $) zu fünf Jahren Haft verurteilt hatte (von denen er drei Jahre absitzen musste), wurde bis dato – trotz wiederholter Anträge namhafter Persönlichkeiten – nicht rehabilitiert.

  

 

Dean Cyril Reed

 

* 22.9.1938 in Denver, Colorado, † 13.6.1986 in Zeuthen, amerikanischer Sänger

  

Nachdem er Karrieren in Lateinamerika und Italien hinter sich hatte, kam Dean Reed 1972 in die DDR und wurde als Weltstar und „Sänger des anderen Amerika“ hofiert. Er mietete ein Wassergrundstück mit Haus und Motorboot in Rauchfangswerder, einem Ortsteil von Berlin-Schmöckwitz, wirkte in fünf DEFA-Filmen mit und tourte durch die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Ungarn und den Libanon und sagte in einem Interview mit dem Westberliner „Tagesspiegel“, wichtiger als Reisefreiheit sei ihm, dass es in der DDR keine Arbeitslosigkeit gebe: Das seien „Prioritäten, mit denen ich mich als Marxist identifiziere“.

 

Als sein Ruhm in der DDR zu verblassen begann, er kaum noch engagiert wurde, schien er von einem Comeback in den USA zu träumen, trat im April 1986 sogar in einer CBS-Show auf.

 

Im Juni 1986 fand man ihn im knietiefen Wasser des Zeuthener Sees mit aufgeschnittenen Pulsadern und einer Überdosis Schlaftabletten. Rasch kursierten Gerüchte, Dean Reed sei von der Stasi ermordet worden, damit er nicht in die USA zurückzukehren konnte. Andere vermuteten, die CIA habe gerade das verhindern wollen. In einem später bekannt gewordenen Abschiedsbrief gab er als Grund für seinen Selbstmord Eheprobleme an.

 

 

 

Thomas Kling

* 5.6.1957 in Bingen, † 1.4.2005 in Dormagen, deutscher Schriftsteller

 

Für den Literaturkritiker Michael Braun war Thomas Kling der „zweifellos bedeutendste Dichter seiner Generation“. Sein erstes Buch „der zustand vor dem untergang“ veröffentlichte er im Alter von 20 Jahren. Sechs Jahre später trat er erstmals öffentlich bei Lesungen auf, die häufig einen Performance-Charakter hatten. „Klings Texte sind in ihrer Kompositionsform durch performative Elemente bestimmt, wobei Wortklang und Wortmelodie eine wichtige Rolle spielen“, weiß Wikipedia. „Zugleich ist den Texten jedoch eine sinnliche und semantische Vieldimensionalität konstitutiv. Klings spracharchäologische Gedichte zeigen ihre volle Komplexität erst in den sorgfältig gearbeiteten Druckfassungen.“

Thomas Kling publizierte mehr als 20 Bücher, wurde mit dem Else-Lasker-Schüler-, dem Peter-Huchel-, dem Ernst-Jandl- und weiteren Preisen geehrt. Postum erschien bei Suhrkamp eine vierbändige Gesamtausgabe seiner Werke.

Thomas Kling starb im Alter von 47 Jahren an Lungenkrebs.

 

 

 

  

 

Rosa Luxemburg

 

* 5.3.1871 als Rozalia Luksenburg in Zamość, † 15.1.1919 in Berlin, deutsche Politikerin

  

Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.

 

Am 9. November 1919, dem Revolutionstag, wurde die standhafte Kriegsgegnerin Rosa Luxemburg aus mehrjähriger Haft entlassen und versuchte die Nachkriegsordnung in Deutschland mitzugestalten.

 

Am 1. Januar 1919 gründete sie die KPD mit, das Parteiprogramm entsprach zu großen Teilen ihrem „Spartakus-Programm“, in dem sie sagte,  dass Kommunisten die Macht niemals ohne erklärten mehrheitlichen Volkswillen ergreifen würden. Und sie empfahl, an den kommenden Parlamentswahlen teilzunehmen, um auch so für eine Fortsetzung der Revolution zu werben.

 

Bereits seit Anfang Dezember kursierten Aufrufe zur Ermordung der Spartakusführer, und nach der blutigen Niederschlagung des sogenannten Spartakus-Aufstandes, wurde Rosa Luxemburg zusammen mit Karl Liebknecht von Freikorps-Offizieren ermordet.

 

Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.

 

 

 

Craig Mack

* 10.5.1970 als Craig Jamieson Mack in North Trenron, New Jersey, † 12.3.2018 in Walterboro, South Carolina, amerikanischer Rapper

 

Craig Macks erste Single erschien 1988, sein erstes Album sechs Jahre später als erste Edition von Puff Daddys Label „Bad Boy Entertainment“. Ein zweites Album folgte, ein drittes wurde zwar angekündigt aber nie realisiert.

Dann verschwand Craig Mack für einige Jahre und tauchte 2012 in einem Musikvideo als Mitglied einer christlichen Sekte wieder auf. Fünf Jahre später starb er an Herzversagen.

 

 

 

 

Édith Piaf

 

* 19.12.1915 als Édith Giovanna Gassion in Paris, † 10.10.1963 in Plascassier, französische Sängerin

  

Eines der letzten Chansons, die Edith Piaf, stimmgewaltiger „Spatz von Paris“ sang, war „Non, je ne regrette rien“:

  

Nein ich bedauere nichts,

 

Nicht das Gute das mir widerfahren ist,

 

Nicht das Schlechte, all das ist mir egal,

 

Nein gar nichts...

 

Nein ich bedauere nichts...

 

Ich habe bezahlt, weggefegt, vergessen,

 

Die Vergangenheit kann mich mal!!

  

 

Mit meinen Erinnerungen,

 

habe ich verbrannt,

 

Meine Sorgen, meine Freuden,

 

Ich brauche sie nicht mehr.

 

Weggefegt meine Liebschaften

 

und all ihr Gejammer,

 

weggefegt für immer.

 

Ich beginne bei Null…

  

Édith Piaf starb nach einem Leben voller Erfolge und Niederschläge im Alter von 47 Jahren an Krebs.

 

 

 

Huldrych Zwingli

* 1.1.1484 in Wildhaus, † 11.10.1531 in Kappel am Albis, Schweizer Reformator

 

Huldrych Zwingli studierte in Wien und Basel, wurde im Alter von 22 Jahren zum Priester geweiht und Pfarrer in Glarus. Mit Zweiunddreißig berief man ihn als Leutpriester an das Kloster Maria-Einsiedeln, wo er gegen Wallfahrten und die Ablasspraxis predigte. Drei Jahre später nahm er eine Berufung ans Züricher Grossmünsterstift an.

Mit achtunddreißig veröffentlichte Zwingli seine erste reformatorische Schrift gegen das Fasten „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“ Und nachdem man ihm Ketzerei vorgeworfen hatte, kam es zu den drei „Zürchner Disputationen, in deren Folge es zu einem Bildersturm und zur Ermordung des Täufers Felix Manz kam.

Mit einundvierzig gab er sein Glaubensbekenntnis „Von der wahren und falschen Religion“ heraus, und in Zürich galt seine Reformierung der Kirche als abgeschlossen. Bilder, Messen und das Zölibat waren abgeschafft, das Abendmahl wurde als Gedächtnismahl gefeiert und es gab eine geregelte Armenfürsorge. Zwingli war der „Antistes“, der Leiter der Zürchner Kirche.

Nicht zuletzt da Zwingli Luthers Zwei-Reiche-Lehre ablehnte, wonach der Staat für das ‚Äussere‘ und die Kirche für das ‚Innere‘ zuständig sei, kam es 1529 zu einem Streitgespräch zwischen Zwingli und Luther im Schloss Marburg, dem sogenannten „Abendmahlsstreit“, „Zwingli sah Kirche und Staat in enger Zusammenarbeit und darin für die Obrigkeiten eine ernste Verpflichtung. Er erklärte, dass die Obrigkeit, welche ausser der Schnur Christi fahren, das heißt, die Vorschriften Christi sich nicht zum Maßstab nehmen wolle, mit Gott entsetzt werden möge“, weiß Wikipedia, „Luther wies Zwingli allerdings schroff zurück, womit der Plan eines gemeinsamen protestantischen Vorgehens gegen Kaiser und Papst an theologischen Differenzen scheiterte.“

Danach kam es zu Glaubenskriegen zwischen Zürich und den katholischen Kantonen Luzern, Schwyz, Unterwalden, Ury und Zug. Im Zweiten Kappelerkrieg unterlagen die Zürcher. Zwingli geriet in Gefangenschaft und wurde im Alter von 47 Jahren getötet. Seinen Leichnam vierteilten und verbrannten die Sieger und streuten die Asche in den Wind.

 

  

 

 

Malcolm Lowry

 

* 28.7.1909 in Birkenhead, † 27.6.1957 in Ripe, englisch-kanadischer Schriftsteller

  

Ach, was war das für eine Welt, die auf Trinkern gleichermaßen herumtrampelte wie auf der Wahrheit! Schreibt Malcolm Lowry in seinem wohl bekanntesten Werk „Unter dem Vulkan“.

 

„Wie jeder wirklich große Künstler empfand Lowry seine Zeit, den Lauf der Geschichte besonders intensiv. Feinfühlig reagierte er auf Veränderungen, die das soziale Dasein in das Bewusst der Menschen hineintrug. In der westlichen Nachkriegsliteratur findet man nur wenige Schriftsteller, die das Wesen und die Mechanik des moralischen Zerfalls der Persönlichkeit unter den Bedingungen der bürgerlichen Ordnung so vollständig enthüllten. Dabei leitete Lowry die sozialen Krankheiten der Gesellschaft nicht von irgendeiner sündhaften Natur des Menschen ab und nicht von seinem biologischen Wesen, sondern von der Natur der Gesellschaft selbst. Das Ideal für Lowry war immer ein moralisch und physisch gesundes menschliches Wesen, das ein menschenwürdiges Leben führt“, sagte der russische Autor Wladimir Andrejewitsch Skorodenko, „Lowry spürt mit verblüffender Meisterschaft und beinahe fotografischer Schärfe die vielfältigen Erscheinungen der materiellen Welt auf und schafft gleichzeitig ein in seiner Glaubwürdigkeit erschütterndes Bild innerer Konflikte und verwirrter Gefühle.“

 

Wie konnte er hoffen, sich selbst zu finden, neu anzufangen, wenn vielleicht irgendwo in einer dieser verlorenen oder zerbrochenen Flaschen, in einem dieser Gläser der einzige Schlüssel zu seiner Identität lag?

 

Einen Monat vor seinem 48. Geburtstag starb der alkoholabhängige Malcolm Lowry durch eine Überdosis Schlaftabletten.

 

Wolf Wondratschek widmete ihm seinen Gedichtzyklus „Die Einsamkeit der Männer“:

 

„Ich, Malcolm Lowry, habe nie gelebt -

 

Das wurde ihm an einem Morgen wieder klar,

 

als er, ein toter Mann, die letzte leere Bar

 

verließ wie ein Verdurstender,

  

 

der Wasser schöpft mit einem Sieb.

 

Er ging und überflog im Gehen die Misere,

 

die schlechten Tage und die guten.

 

Was unterm Strich da übrigblieb?...“

 

 

 

 

Ossip Emiljewitsch Mandelstam

 

* 15.1.1891 in Warschau, † 27.12.1938 bei Wladiwostok, russischer Dichter

  

Ossip Mandelstam begegnete mir bei meinen Armenien-Besuchen immer wieder:

 

2.9.2010: … gute Gespräche im Jerewaner Schriftstellerhaus in abenteuerlicher englisch-russisch-deutscher Mixtur, da gute Gesprächspartner: Hendrik Edojan, Howhannes Grigorjan, Artem Harutjunjan, Levon Ananjan. Und mir fiel ein Satz eines berühmten Armenien-Reisenden ein, ein Satz Ossip Mandelstams: Drei Äpfel fielen vom Himmel: der erste für den, der erzählt, der zweite für den, der zugehört, der dritte für den, der verstanden hat. So schließen die meisten armenischen Märchen.

 

8.9.2010: Mein Wunsch, die uralten Kirchen auf der einstigen Sewan-Insel, die aufgrund des in den letzten Jahrzehnten durch massive Wasserentnahme rapide gesunkenen Seespiegels nur noch eine Halbinsel ist, diese uralten Kirchen also zu besichtigen, wird mir selbstverständlich erfüllt. Und ich spüre natürlich auch, wie wichtig es meinen Kollegen ist, dass ich Interesse für die Wurzeln ihrer Kultur habe. Und ich denke auch, dass sie spüren, dass dies kein gekünsteltes, sondern ein echtes Interesse ist, nicht zuletzt, da ich Ossip Mandelstams „Reise nach Armenien“ parat habe: Was ist über das Klima auf Sewan zu sagen? – Goldwährung von Cognac im kleinen Geheimschrank der Bergsonne…

 

30.8.2012: Und dann geht’s hinunter in den Landstreifen, den Aserbaidschan im Krieg an Armenien verlor und der nun de facto Bergkarabach zugeschlagen scheint, und nach einer Alibi-Grenzstation mit den Flaggen Armeniens und Bergkarabachs hinauf zur eigentlichen Republik Bergkarabach, landessprachlich: Artsakh - schier endlose Serpentinen der erst nach dem Krieg mit Spenden von im Ausland lebenden Armeniern gebauten Straße. Wie bloß kam man davor hier hinauf? Wir stoppen in Shushi, eine der am meist umkämpften Städte – über die schon Ossip Mandelstam schrieb - gelegen auf einem kleinen, festungsähnlichen Hochplateau (sogar der berüchtigte Tschetschene Schamil Bassajew focht hier an der Seite der Aseris), besichtigen die restaurierte Kathedrale, sehen aber auch noch diverse Ruinen und am Ortsausgang den ersten armenischen T72-Panzer, der hier heraufrollte - als Denkmal…

 

24.4.2015: Heute vor 100 Jahren wurden in Konstantinopel armenische Intellektuelle, Wissenschaftler, Journalisten, Autoren, verhaftet, gefoltert, ermordet dann, begann der Genozid am armenischen Volk im Osmanischen Reich. Mit meinen Partnern im armenischen Schriftstellerverband hatte ich vereinbart, aus diesem Anlass zwei Bücher herauszugeben: eines mit Texten schreibender Schüler aus Deutschland und Armenien zum Thema „Völkermord“, das andere mit Texten armenischer Dichter, die damals Opfer der Jungtürken wurden. Die beiden Bücher sind tatsächlich fertig geworden (gerade eben) und ich bin eingeladen, an Genozid-Gedenkveranstaltungen in Jerewan teilzunehmen.

 

Die Innenstadt ist großflächig abgesperrt, allenthalben Polizei, Militär, zuckendes Blaulicht, Sirenen. Mit etwa zwei Stunden Verspätung treffen wir endlich an der Genozid-Gedenkstätte, in Tsitsernakaberd, ein, doch nun heißt es noch eine Stunde warten, da gerade Staatsoberhäupter (Putin, Hollande) und Botschafter, Kirchen- und sonstige Repräsentanten Reden reden und Kränze niederlegen – sprach da nicht auch Ossip Mandelstam?

 

Tatsächlich kam Ossip Mandelstam im Jahr 1930 hierher, schrieb dann sein Buch „Die Reise nach Armenien“, das 1934 erschien. Und nicht zuletzt Texte dieses Werks führten zu seiner ersten Verhaftung im Zuge der „Stalinschen Säuberungen“, der Verbannung nach Woronesh, zu einer zweiten Verhaftung und Verurteilung zu fünf Jahren Arbeitslager. In der Nähe von Wladiwostok starb Ossip Mandelstam dann im Alter von 47 Jahren halb verhungert, herzkrank und von Halluzinationen gequält in der Krankenbaracke eines Übergangslagers.

  

 

 

Park Young-seok

 

* 2.11.1963 in Seoul, † 18.10.2011 (vermisst) an der Annapurna, Nepal, koreanischer Bergsteiger

  

Park Young-seok war der erste Bergsteiger, der den „Explorers Grand Slam“ bewältigte, also alle 14 Achttausender wie die sogenannten „Seven Summits“ bestieg sowie den Nord- und den Südpol erreichte.

 

Als „Seven Summits“ gelten die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente: der Acoangua in Südamerika, der Denali in Nordamerika, der Elbrus in Europa, der Kilimandscharo in Afrika, den Mount Everest in Asien, den Mount Kosciusko in Australien, der Mount Vinsion in Antarktika sowie der Puncak Jaya in Ozeanien.

 

Den höchsten der Achttausender, den Mount Everest, bestieg er sogar dreimal, und beim Versuch, die Annapurna auf einer neuen Route zum zweiten Mal zu bezwingen, geriet er in einen Schneesturm und wird seitdem vermisst.

 

 

 

 

Sony Lab’ou Tansi

 

* 5.7.1947 als Marcel Ntsoni in Kimwaanza, † 14.6.1995 in Brazzaville, kongolesischer Schriftsteller

  

Sony Lab’ou Tansi gilt als einer der produktivsten Schriftsteller des „New African Writing“ und wurde durch sein Buch „Das Antivolk“, das den Grand Prix Littéraire d'Afrique Noir gewann, weithin bekannt. Er wirkte auch als Abgeordneter und Gründer des Rocado Zulu Theaters. 

 Sony Lab’ou Tansi starb im Alter von 47 Jahren an AIDS.

 

 

  

Ernest Henry Shackleton

 

* 15.2.1874 in Kilkea, Irland, † 5.1.1922 in Grylviken, Südgeorgien, britischer Polarforscher

  

Ernest Henry Shackleton nahm an vier Antarktisexpeditionen teil, von denen er drei leitete.

 

Zuerst war Dritter Offizier bei der Discovery-Expedition Robert Falcon Scotts. Im Alter von 34 Jahren stellte er als Leiter der Nimrod-Expedition einen Rekord in der Annäherung an einen der beiden geographischen Erdpole auf, gelangte bis auf 180 Kilometer an den Südpol heran, und wurde dafür vom englischen König zum Ritter geschlagen.

 

Als Leiter der Endurance-Expedition schaffte er es in einer weltweit Aufsehen erregenden Aktion, alle Expeditionsteilnehmer zu retten, nachdem ihr Schiff im Weddell-Meer vom Packeis zerdrückt und gesunken war.

 

Edmund Hillary, der Erstbesteiger des Mount Everest urteilte: „Was die Wissenschaft anbelangt, gebt mir Scott, für Schnelligkeit und Tüchtigkeit gebt mir Amundsen, aber wenn es zu einer Katastrophe kommt und die Lage hoffnungslos ist, dann fallt auf die Knie und fleht um Shackleton.“

 

Shackleton nannte sich in Anlehnung an Jules Verne gern „Nemo“, die Teilnehmer an seinen Expeditionen nannten ihn respektvoll „The Boss“.

 

Im Alter von 47 Jahren trat Shackleton nochmals eine Polarreise an, die Quest-Expedition, doch starb, bevor er die Antarktis erreichte, auf Südgeorgien infolge eines Herzinfarkts.

 

In seinem Buch „The Heart of the Antarctic“ hatte Shackleton geschrieben: Schwierigkeiten sind letztlich nur Dinge, die überwunden werden müssen.

 

Roald Amundsen sagte: „Der Name Sir Ernest Shackleton ist für alle Zeiten in den Annalen der Antarktisforschung in Lettern aus Feuer niedergeschrieben.“

 

  

 

Rose Summerfield

* 18.4.1864 als Rose Stone in Midelton Creek, Victoria, auch: Rose Cadogan, † 14.4.1922 in Villarica, Paraguay, australisxche Feministin

 

Im Alter von 22 Jahren wurde Rose Summerfield als Sonntagslehrerin aktiv und schrieb für mehrere sozial engagierte Zeitungen. Sechs Jahre später war sie die führende Organisatorin der australischen Frauenarbeiterinnen und baute in der Asutralian Worker’s Union eine Frauen-abteilung auf. Zudem engagierte sie sich in der Womanhood Suffrage League of New South Wales und der Australian Socialist League. Rose Summerfield verfasste die Schriften „Woman’s Place in the Temperance Movement“ und „Gospel of Discontent“.

Desillusioniert über die australische Arbeiterbewegung wanderte sie im Alter von 33 Jahren nach Paraguay aus, versuchte in der frühsozialistischen Kolonie New Australia einen Neuanfang, eröffnete dann in Yataity ein Geschäft, verlor durch eigenes Verschulden ihr gesamtes Geldvermögen und starb kurz vor ihrem 48. Geburtstag an Krebs.

 

  

 

 

Zoé Charlotte de Gamond

* 11.2.1806 in Brüssel, Pseudonym: Marie de G***, † 28.2.1854 ebd., belgische Pädagogin und Autorin

 

Ich will, dass Frauen aller Stände und Klassen sich mit Herz und Verstand zusammen-schließen. [...] Ich will, dass der Sozialpakt für Frauen nicht länger ein leeres Wort ist, sondern für sie verbindlich wird, dass sie einander in allen Dingen unterstützen, dass die Reichen mit den Armen teilen, dass die Mächtigen mit den Niedrigen sympathisieren, schrieb Zoé de Gamond in ihrem Werk: „De la condition sociale des femmes au XIXe siècle“.

„Zoé de Gamond favorisierte insbesondere das Kunsthandwerk als mögliches Feld der Emanzipation, da die Kunsthandwerkerinnen durch ihre Arbeit den Männern gleichgestellt seien. Sie war nicht der Ansicht, dass Männer und Frauen völlig gleich werden sollten, da sie die Unterschiede auch als Quelle für soziale Harmonie und den Zusammenhalt der beiden Geschlechter sah“, weiß Wikipedia.  Dennoch war sie der Ansicht, dass echte Bildung für ein harmonisches Zusammenleben von Männern und Frauen erforderlich sei. Im Einklang mit dieser Idee wollte Zoé de Gamond das Bildungssystem reformieren.“

Im Alter von 41 Jahren wurde sie als erste belgische Frau zur „Inspektorin für Kindergärten, Grund- und Normalschulen“ ernannt, ein Amt, das nach ihrem Tod, sieben Jahre später, aber umgehend wieder abgeschafft wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

  

Kenji Gotō

 

* 22.9.1967 in Sendai, † Ende 2015, Syrien, japanischer Journalist

  

Jahr für Jahr kommen hunderte Journalisten bei ihrer Arbeit ums Leben, manche geraten in Schusslinien, andere werden ermordet. So auch Kenji Gotō:

 

Kenji Gotō wurde er für seine Dokumentation über Blutdiamanten und Kindersoldaten in Sierra Leone „Ich wünsche den Frieden mehr als Diamanten, Geständnisse des Kindersoldaten Muria“ ausgezeichnet. Über estnische Teenager-Mütter schrieb er die Reportage „In einem AIDS-Dorf geboren. Die sich an das Leben klammernde 16-jährige Mutter Natascha“, über das Schicksal Überlebender des ruandischen Völkermords „Ruandas Gebet. Die Geschichte einer Familie, die den Krieg überlebte“ und über schlimme Zustände in Afghanistan „Wenn ich in die Schule gehen könnte. Die Geschichte des afghanischen Mädchens Mariam“. Er engagierte sich auch für UNICEF.

 

Im Oktober 2014 reiste Kenji Gotō nach Syrien, um sich um die Freilassung seines vom IS gefangen genommenen Landsmann Haruna Yukawa zu bemühen. Dabei wurde er selbst von IS-Terroristen gefangengenommen. Und der IS veröffentlichte ein Video, das Kenji Gotō mit dem Kopf des enthaupteten Haruna Yukawa in Händen zeigt. Lösegeldverhandlungen blieben daraufhin erfolglos.

 

Schließlich wurde auch Kenji Gotō enthauptet.

 

 

 

Nikolaus Lenau

 

* 13.8.1802 als Nikolaus Franz Niembach Edler von Strehlenau in Csatád, Ungarn, † 22.8.1850 in Oberdöbling, österreichischer Dichter

  

Hans-Eckardt Wenzel schrieb: „Obwohl das Mitleiden mit dem zerstörten Genien sehr modisch geworden ist und der Glückliche fragwürdig ist, nicht der Gescheiterte, liegt Lenau dennoch in der tiefen Gruft der toten Dichter. Es wird schwer sein, ihn dort herauszuholen. Aber es könnte sein, dass er uns irgendwo zufällig begegnet, wenn wir irgendetwas summen oder etwas lesen, und es kommt uns bekannt vor.“

 

Ob jeder Freude seh ich schweben

 

Den Geier bald, der sie bedroht;

 

Was ich geliebt, gesucht im Leben,

 

Es ist verloren, oder tot.

 

  

Fort riß der Tod in seinem Grimme

 

Von meinem Glück die letzte Spur;

 

Das Menschenherz hat keine Stimme

 

Im finstern Rat de der Natur.

 

  

Ich will nicht länger töricht haschen

 

Nach trüber Fluten hellem Schaum,

 

Hab aus den Augen mir gewaschen

 

Mit Tränen scharf den letzten Traum.

  

 

Nikolaus Lenau erlitt nach einem abenteuerlichen Leben, zeitweise sogar als Auswanderer in Amerika, kurz vor seiner Hochzeit, im Jahre 1844 in Stuttgart einen Schlaganfall und verfiel zunehmend in geistige Umnachtung, starb schließlich im Alter von 48 Jahren in der Irrenanstalt Oberdöbling bei Wien.

 

Du stehts so still und ernst, mein ausgebälgter Geier,

 

Ich bringe dir ein Lied mit meiner ernsten Leier.

 

 

Zwar hörst du nichts davon, dir geht mein Gruß verloren;

 

Doch Dichtere sind gewohnt, zu singen toten Ohren…

 

  

 

 

 

Menander

 

* 342/341 v. Chr. In Kephisia, † 293/292 v. Chr. zwischen Piräus und Athen, griechischer Komödiendichter

  

Mehr als 2000 Jahre nach Menander schrieb ich in der S-Bahn zwischen Piräus und Athen:

 

Wegen Meckerns

 

wurde Momos angeblich

 

vom Olymp verbannt: Er kritisierte,

 

dass Zeus den Stier besser

 

mit Augen auf den Hörnerspitzen,

 

Prometheus die Menschen mit

 

einem sichtbaren Herzen und

 

Athene die Häuser mit

 

Rädern versehen haben sollte.

 

Doch das letzte, allerletzte, zumindest

 

scheint mittlerweile und konsequent

 

und nicht zuletzt hier, in der Weisheitsgöttin

 

Stadt, vollbracht. Oh ja! Erster Schritt zum

 

Rehabilitationsverfahren also?

 

  

 

 

Solomon ben Jehuda ibn Gabirol

 

* 1022 in Málaga, † wohl 1070 in Valencia, Dichter in al-Andalus

 

 

Solomon ibn Gabirol war ein jüdischer Philosoph und Dichter im muslimischen al-Andalus, arabisch hieß er Abū Ayyūb Sulaimān ibn Yaḥyā ibn Ǧebīrūl, in der lateinischsprachigen christlichen Gelehrtenwelt Avicebron. Als seine Hauptwerke gelten die Prosaschriften „Die Lebensquelle“ und das „Buch der Verbesserung der Seeleneigenschaften“. Zudem schrieb er etwa 400 Gedichte, sein religiöser Hymnus „Krone des Königsreichs“ wurde sogar in die Liturgie des jüdischen Versöhnungstages aufgenommen.

  

Dein, Herr, ist die Größ' und die Macht,

 

Die Majestät, die Dauer und die Pracht.

 

  

Dein, Herr, ist das Reich, die Allerhabenheit,

 

Die Fülle und die Herrlichkeit.

 

[…]

 

Dein sind, du hast sie wohl geschieden, die zwei Welten,

 

Die erste für das Thun, die zweite dem Vergelten.

  

 

Dein ist Vergeltungslohn, Gerechten aufgesparet,

 

Du sahst wie schön er sei, und hast ihn wohl verwahret…

 

Zwei Legenden kamen nach seinem Tod auf: In der einen schuf sich Solomon ibn Gabirol aus Holz eine Dienerin, die er jedoch wieder zerlegte, nachdem man ihn angezeigt hatte. In der anderen ermordete und begrub ein Nachbar ihn unter einem Feigenbau, der dann so außergewöhnlich schöne und süßte Früchte trug, dass sich der Mörder in Widersprüche verwickelte und an diesem Baum gehenkt wurde.

 

 

  

 

Xu Dishan

 

* 1893 in Nantai, † 1941 in Hong Kong, chinesischer Autor

  

Xu Dishan schrieb Kurzgeschichten, Essays, Romane und verfasste religionswissenschaftliche Werke. Ansehen erwarb er sich zudem als Professor an der Universität Hong Kong, als Vorsitzender der Schriftsteller- und Künstlervereinigung Hong Kongs und nicht zuletzt durch seinen Widerstand gegen die japanischen Invasoren. Er starb im Alter von 48 Jahren während der japanischen Besetzung Hong Kongs durch Herzinfarkt.

 

Jeanny und ich kamen Anfang 2009 Hong Kong: Seit 1997 nicht mehr britische Kronkolonie, sondern chinesische Sonderverwaltungsregion, d.h. eigene Währung, eigenes Recht, eigene Flagge und eben: eigene Verwaltung (noch bis 2047). Allein schon die Einfahrt in den Hafen ist ein Erlebnis: einfach überwältigend, Skyline rundum! Dazu die alten Hafenfähren, Doppelstockbusse, Linksverkehr…

 

Wir unternehmen eine Tour in die New Territories, begeben uns also erst einmal aus der Wolkenkratzer-City weg ins Hinterland der Metropole, wo immerhin mehr als die Hälfte der 7 Millionen Einwohner zu Hause ist. Die Siedlungen in den seit 1972 ausgebauten New Territories werden in meinem Reiseführer „Dörfer“ genannt, für das unglaubliche Entwicklungstempo Hong Kongs spricht aber (wahrscheinlich), dass wir nichts als Hochhausviertel entdecken können, Hochhäuser, Hochhäuser, Hochhäuser…

 

Metaphorischer Kontrast in einem buddhistischen Tempel: lackgrünes, drachenverziertes Dach vor grauer Hochhauskulisse. Und dank unseres heutigen, sehr emsigen Guides sehen wir tatsächlich noch Reste alter chinesischer Kultur hier: die mauer- und denkmalgeschützte kleine Siedlung Lo Wai, wohl aus der Tang-Dynastie stammend. Und gleich Inseln inmitten Hochhäusern tun sich dann manchmal sogar Reisfelder auf.

 

Am Abend spazieren wir vom Ankerplatz unseres Schiffes (der tatsächlich mal mitten im Stadtzentrum liegt) über die breite und lange Promenade. Grandiose Illumination der Skyline, sich ständig verändernde Farben und Formen! Und dann gibt’s sogar noch eine zwischen den Hochhäusern aufflimmernde, musikbegleitete Laser-Show! Alltäglicher Service des Touristenbüros Hong Kongs, hören wir staunend. Keine Frage, diese Stadt hat was zu bieten. Vergleiche fallen schwer, Vancouver vielleicht…

 

Am nächsten Morgen auf eigene Faust in Hong Kongs City. Beim Spazieren durch die Straßenschluchten fühle ich mich nach Metropolis versetzt. Wir laufen bis zur Peak-Tram, der Standseilbahn, fahren steil Hong Kongs Hausberg, eben den Peak, hinauf. Von oben hat man (obwohl es ziemlich dunstig ist, wie wohl fast immer) eine herrliche Panoramaaussicht über die Wolkenkratzer am Victoria Harbour, entdecken spielzeugklein sogar unser Schiff, blicken sogar bis zum Festland, über den Stadtteil Kowloon.

 

Eigentlich hatten wir vor, uns auch dieses Viertel noch zu erwandern, doch obwohl das Thermometer „nur“ 22/23° C anzeigt, beträgt die Luftfeuchtigkeit etwa 85%, und das macht uns im hügeligen Großstadtgelände durchaus zu schaffen. Hier wird man einfach schneller pflastermüde. Zum Shoppen reicht’s aber noch. Eine Swiss-Uhr für 3 $ muss man doch einfach mitnehmen, oder?

 

 

 

 

Louis Fürnberg

 

* 24.5.1909 in Iglau, Mähren, Pseudonym: Nuntius, † 23.6.1957 in Weimar, deutscher Schriftsteller

  

Alt möchte ich werden wie ein alter Baum,

 

mit Jahresringen, längst nicht mehr zu zählen,

 

mit Rinden, die sich immer wieder schälen,

 

mit Wurzeln tief, dass sie kein Spaten sticht.

  

Louis Fürnberg wurde nicht alt, starb im Alter von 48 Jahren an einem Herzinfarkt. In Prag hatte er als Kommunist agiert, versuchte nach dem Einmarsch der Deutschen mit seiner Frau nach Polen zu fliehen, wurde jedoch verraten und verhaftet, kam durch Bestechung frei und wurde nach Italien abgeschoben, floh weiter nach Jugoslawien und Palästina, kehrte nach Kriegsende nach Prag zurück, wurde Botschafter der Tschechoslowakei in Ost-Berlin, erlebte, wieder in Prag, wie Todesurteile vom spätstalinistischen Gottwald-Regime auch an Freunden und Bekannten verhängte, musste seinen Namen in Lubomír Fyrnberg ändern, übersiedelte mit seiner Frau nach Weimar, agierte als stellvertretender Leiter der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur und Mitherausgeber der „Weimarer Beiträge.

 

Er schrieb die Novelle „Die Begegnung in Weimar“, aber auch: Die Partei / Die Partei / Die hat immer recht…

 

Anlässlich des 100. Geburtstages Louis Fürnbergs ehrte die Stiftung Weimarer Klassik den Dichter mit einer Gedenkveranstaltung im Stadtschloss. Im Verwaltungsgebäude der Gedenkstätte Buchenwald kann sein originalgetreu aufgebautes Arbeitszimmer seit 2017 besichtigt werden.

 

 Wenn ich einmal heimgeh,

 

dorthin, woher ich kam,

 

werde ich ein Fremder sein

 

an meinem Ursprung.

 

  

 

 

Hermann Löns

 

* 29.8.1866 in Culm, Westpreußen, † 26.9.1914 bei Loivre, deutscher Autor

  

Laß Deine Augen offen sein,

 

Geschlossen deinen Mund

 

Und wandle still, so werden dir

 

Geheime Dinge kund. -

 

steht auf dem Hermann-Löns-Denkmal im Tietlinger Wacholderhain, ein Zitat aus seinem „Mümmelmann“. Allein in Deutschland gibt es mehr als 100 weitere Gedenkstätten, Gedenktafeln und dergleichen für den nationalen Heimatdichter.

 

Meine Heimatstadt Merseburg allerdings kann nicht mit dergleichen aufwarten, vielleicht, da er Merseburg in seinem Gedicht „Der Laubenkolonist“ schlecht gemacht hatte, schlicht seinen Mund nicht halten konnte (in Norddeutschland, wo Löns wohnte, war das Sprichwort „Der geht nach Merseburg“ beliebt, das im Sinne „Der geht übern Jordan“ infolge eines einst in Merseburg geschlossenen, für Sachsen äußerst unvorteilhaften Friedens mit den Schweden aufgekommen war).

 

Ich tret' dem Bund der Landwirt' bei

 

Und mache da ein Mordsgeschrei

 

Um Kompensationen;

 

Denn kommt erst der Kanal hier durch,

 

Bin ich erst recht in Merseburg

 

Mit meinen Vietsebohnen!

 

 

 

 

 

Edward Bellamy

 

* 26.3.1850 in Chicopee, Massachusetts, † 22.5.1898 ebd., amerikanischer Schriftsteller

  

Der Architekt Karl Barth könnte wie viele nach Neuorientierungen Suchende seiner Zeit Edward Bellamys Erfolgsroman „Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887“ gelesen haben und so zu seinen Planungs-Ideen, für ansehnliche, ja kunstvolle Orte des Gemeinwesens. so für die Anlage der Gartenstadt Leuna gekommen sein:

 

Dann wollte er wissen, welcher Unterschied zwischen der alten und der neuen Stadt mir am meisten auffiele.

 

„Um mit Kleinem zu beginnen“, erwiderte ich, „so glaube ich, daß das Fehlen der Schornsteine und jeglichen Rauches mir zuerst als Besonderheit aufgefallen ist.“ „Ach“, rief mein Gefährte lebhaft interessiert aus, „ich dachte gar nicht mehr an die Schornsteine, es ist schon lange her, daß sie außer Gebrauch gekommen sind. Seit fast hundert Jahren ist das rohe Verbrennungsverfahren veraltet, mittels dessen man zu Ihrer Zeit Wärme erzeugte.“

 

„Was mir im allgemeinen an der Stadt am meisten auffällt“, sagte ich, „das ist der große Volkswohlstand, den ihre Pracht beweist.“

 

„Ich gäbe viel darum, einen Blick auf das Boston Ihrer Tage werfen zu können“, versetzte Doktor Leete. „Wie ich aus Ihren Worten schließe, schauten ohne Zweifel die Städte jener Zeit recht armselig aus. Wenn man damals auch genug Geschmack besessen hätte – und ich bin nicht so unhöflich, dies in Frage zu stellen -, um glänzende Städte bauen zu können, so hätten doch die Mittel dazu gefehlt. Sie konnten nicht vorhanden sein bei der allgemeinen Armut, die die Folge der absonderlichen Wirtschaftsordnung Ihrer Zeit war. Außerdem ließ der damals herrschende übergroße Individualismus keinen starken Gemeinsinn aufkommen. Es scheint, daß der ganze vorhandene Reichtum fast ausschließlich für Zwecke des privaten Luxus vergeudet wurde. Heutzutage wird im Gegenteil der überschüssige gesellschaftliche Reichtum am liebsten für die Verschönerung der Stadt verwendet, weil an ihr alle in gleichem Maße ihre Freude haben.“

 

  

 

 

Walter Benjamin

 

* 15.7.1892 als Walter Bendix Schoenflies Benjamin Charlottenburg, † 26.9.1940 in Portbou, Spanien, deutscher Autor

 

Walter Benjamin schreibt in seinem Essay „Der gute Schriftsteller“: Der gute Schriftsteller sagt nicht mehr, als er denkt. Und darauf kommt viel an. Das Sagen ist nämlich nicht nur der Ausdruck, sondern die Realisierung des Denkens. So ist das Gehen nicht nur der Ausdruck des Wunsches, ein Ziel zu erreichen, sondern seine Realisierung. Von welcher Art aber die Realisierung ist: ob sie dem Ziel präzis gerecht wird oder sich geil und unscharf an den Wunsch verliert – das hängt vom Training ab dessen ab, der unterwegs ist. Je mehr er sich in Zucht hat und die überflüssigen, ausfahrenden und schlenkernde Bewegungen vermeidet, desto mehr tut jede Körperhaltung sich selbst genug, und desto sachgemäßer ist ihr Einsatz. Dem schlechten Schriftsteller fällt vieles ein, worin er sich so auslebt wie der schlechte und ungeschulte Läufer in den schlaffen und schwungvollen Bewegungen der Glieder. Doch eben darum kann er niemals nüchtern das sagen, was er denkt, Es ist die Gabe des guten Schriftsteller, das Schauspiel, das ein geistvoll durchtrainierter Körper bietet, mit seinem Stil dem Denken zu gewähren. Er sagt nie mehr, als er gedacht hat. So kommt sein Schreiben nicht ihm selber, sondern allein dem, was er sagen will, zugute.

 

Zweifellos war Walter Benjamin ein hervorragender Schriftsteller.

 

Auf der Flucht vor den Nazis nahm er sich, da ihn die spanischen Behörden nicht einreisen lasen wollten, in den Pyrenäen verzweifelt das Leben.

 

  

 

 

Thomas „Tom“ Fogerty

 

* 9.11.1941 in Berkeley, Kalifornien, † 6.9.1990 in Scottsdale, Arizona, amerikanischer Rockmusiker

  

Kaum hatte Robin Williams „Good morning, Vietnam“ gesagt, kreischte Tom Fogerty auch schon los: It aint’me, it ain’t me. I’m no senator son. It ain’t me. I’m no fortunate son… und machte seiner Empörung für die Söhne all der Reichen und Schönen Luft, die sich ihrer Einberufung entziehen konnten.

 

Was für ein Weckruf!

 

Und am Ende scheint Tom Fogerty sich völlig verausgabt zu haben, starb er doch durch Atemstillstand, nachdem er sich bei einer Rückenoperation durch verseuchte Blutkonserven mit AIDS infiziert hatte.

 

 

 

 

Wolfgang Herrndorf

 

* 12.6.1965 in Hamburg, † 26.8.2013 in Berlin, deutscher Schriftsteller

  

Über Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ war im „Spiegel“ zu lesen: „Ein Buch von der Sorte, das beglückte Leser an ihre Freunde und Bekannten so innig weiterempfehlen, als gelte es, ein Geheimnis zu bewahren.“

 

Ein Jahr nach seinem Tode erschien „Bilder deiner großen Liebe“, als Fortsetzung von „Tschick“. Und wäre Wolfgang Herrndorf nicht derart von einem bösartigen Hirntumor geplagt worden, dass er sich letztlich im Alter von nur 48 Jahren das Leben nahm, hätte er noch eine oder mehrere Fortsetzungen von „Tschick“ schreiben können, würde ich auch die jederzeit weiterempfehlen.

 

 

 

 

 

Anna Stepanowna Politkowskaja

 

* 30.8.1958 in New York, † 7.10.2006 in Moskau, amerikanisch-russische Journalistin

 

Jahr für Jahr kommen hunderte Journalisten bei ihrer Arbeit ums Leben, manche geraten in Schusslinien, andere werden ermordet. So auch Anna Stepanowna Politkowskaja:

 

Sie berichtete für die „Nowaja Gaseta“ während des zweiten Tschetschenienkriegs über Kriegsverbrechen der russischen Armee und verbündeter tschetschenischer Paramilitärs, prangerte immer wieder Raub, Korruption, Unterschlagung und Veruntreuung an, nicht zuletzt durch höchste tschetschenische Regierungskreise, brandmarkte Folter und Mord, schrieb dieser Krieg sei schmutzig und entwürdige die ganze Welt.

 

Sie wurde als „Feindin des russischen Volkes“ beschimpft und 2002 in Tschetschenien verhaftet, alsbald aber wieder freigelassen. Sie floh nach Österreich, kehrte jedoch nach Russland zurück, erhielt Morddrohungen und wurde 2004 Opfer eines Giftanschlags, überlebte den jedoch.

 

Am 7. Oktober 2006 schließlich liquidierte man Anna Stepanowna Politkowskaja kurz nach 16.00 Uhr im Aufzug ihres Moskauer Wohnhauses.

 

Garri Kaspararow sagte nach ihrer Ermordung: „Das letzte Argument einer Diktatur ist die Kugel. Und dieses Argument wurde an diesem tragischen Tag, am 7. Oktober angewendet. Das war nicht nur ein Schuss auf Anna Politkowskaja, sondern auch auf den gesamten unabhängigen Journalismus, auf das Gewissen des Landes.“

 

 

  

 

Khalil Gibran

 

* 6.1.1883 als Gibrān Khalīl Gibrān bin Mikhā’il bin Sa’ad in Bischarri, † 10.4.1931 in New York City, libanesischer Autor und Maler

  

Die meisten seiner Bücher illustrierte Khalil Gibran selbst. Als sein Hauptwerk gilt „Der Prophet“. Mit seinen Schriften versuchte er Bindeglieder zwischen orientalischen und westlichen Denkrichtungen zu schaffen. Das auf seinem Roman „Broken Wings“ basierende gleichnamige Musical wurde 87 Jahre nach seinem Tod in London uraufgeführt.

 

Khalil Gibran starb im Alter von 48 Jahren an Leberkrebs.

 

 

 

 

Elias Howe

 

* 9.7.1819 in Spencer, Massachusetts, † 3.10.1867 in Brooklyn, New York, amerikanischer Erfinder

  

Die Beatles widmeten Elias Howe ihren Film “Help!”. Das kann ich verdammt gut verstehen, denn das, was Elias Howe erfand, macht auch mir offenbar ewig Probleme: der Reißverschluss.

 

 

 

 

 

Gertrud Kolmar

 

* 10.12.1894 als Gertrud Käthe Choziesner in Berlin, † vermutlich Anfang März 1943 in Auschwitz, deutsche Lyrikerin

  

Und über mir sind oft Himmel mit schwarzen Gestirnen, bunten

 

     Gewittern

 

In mir sind lappige, zackige Krater, die von zwingendem Glühen

 

     zittern;

 

Aber auch ein eisreiner Quell und die Glockeblume ist da, die ihn

 

     trinkt:

 

Ich bin ein Kontinent, der eines Tages stumm im Meer versinkt.

  

Gertrud Kolmar, eine Cousine Walter Benjamins, gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie verfasste drei Gedichtbände, jedoch erschienen zu ihren Lebzeiten nur wenige ihrer Texte.

 

In ihrem letzten (erhalten gebliebenen) Brief schrieb sie: Ich schaffe ja nie aus einem Hoch- und Kraftgefühl heraus, sondern immer aus einem Gefühl der Ohnmacht. Lasse ich mich dazu verleiten, einer plötzlichen Eingebung, einem schöpferischren Impulse folgend an den Schreibtisch zu gehn, so halt’ ich gewöhnlich nicht durch: das Feuer brennt nieder, der Quell versiegt und die Dichtung bleibt Bruchstück. Wenn ich jedoch umgekehrt aus einem Ohnmachts- einem Verzweiflungszustande heraus das neue Werk beginnen, so bin ich wie einer, der von unten , aus der Tiefe heraus, zur Gipfelwanderung sich anschickt; zunächst ist das Ziel noch fern, der Blick versperrt, doch mit dem Fortschreiten wird die Aussicht immer weiter und schöner. Bei diesem allmählichen Aufsteigen ermatte ich nicht, wie mir’s geschieht, wenn ich mich von einem raschen Aufschwunge der Phantasie hinreißen lasse. Das Angefangene wird auch beendet und das Vollendete fällt nicht, wie es bei Dichtungen oft der Fall ist, gegen Schluß hin ab. […] Ich muss mir sagen: „Ich kann überhaupt nichts mehr. Meine Kraft ist erschöpft. Ich werde nichts mehr vollbringen“, dann ist die rechte Stunde da.

 

Nach der „Kristallnacht“ musste Gertrud Kolmar mit ihrer Familie ins Berliner „Judenhaus“ ziehen, ab Juli 1941 in einem Rüstungswerk Zwangsarbeit leisten, Ende Februar 1942 wurde sie verhaftet und Anfang März deportiert. In Auschwitz wurde Gertrud Kolmar offenbar sogleich nach ihre Ankunft in die Gaskammer geschickt.

  

Ich will nicht mehr sinnen. Denn was ich sinne,

 

Zerquirlt mir das Hirn zu stickigem Schaum,

 

Und über den Schädel läuft prickelnd die Spinne,

 

Und vor meinen Augen verzerrt sich der Raum;

 

Einmal, einmal schließ ich sie beide:

 

Dann wächst aus dem einen die Trauerweide

 

Und aus dem andern ein Lebensbaum.

 

 

 

 

Karl Wilhelm Otto Lilienthal

 

* 23.5.1848 in Anklam, † 10.8.1896 in Berlin, deutscher Luftfahrtpionier

  

Otto Lilienthal gilt als erster Flieger der Menschheit. Klar, wer im Revolutionsjahr 1848 geboren wurde, wollte auch möglichst hoch hinaus.

 

Wikipedia weiß: „Karl Wilhelm Otto Lilienthal war [… ] der erste Mensch, der erfolgreich und wiederholbar Gleitflüge mit einem Flugapparat (Gleitflugzeug) durchführte und dem Flugprinzip ‚schwerer als Luft’ damit zur ersten menschlichen Anwendung verhalf und so den Weg zu dessen späterem Erfolg bahnte. Seine experimentellen Vorarbeiten und erste Flugversuche ab 1891 führten zum Konzept der Tragfläche. Die Darstellung aerodynamischer Eigenschaften von Flügeln im Polardiagramm wurde von ihm entwickelt und wird bis heute eingesetzt. Die Produktion des Normalsegelapparates in seiner Maschinenfabrik in Berlin war die erste Serienfertigung eines Flugzeugs. Sein Flugprinzip war die Umsetzung von kinetischer Energie und auch potentieller Energie in Auftrieb und Vortrieb (Gleitflug).“

 

Otto Lilienthal erfand auch den Steinbaukasten für Kinder, gründete und leitete eine „Dampfkessel – und Maschinenfabrik“, wirkte am Berliner Ostend-Theater als Direktor, Schauspieler und Autor, glaubte, dass das Flugzeug zu einem Mittel zur Völkerverständigung und zum ewigen Frieden werden könne, und verfasste das Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“. In einer der ersten Rezensionen war zu lesen: „Die eigenartige Arbeit, welche uns in diesem Werke vorliegt, hebt ein gutes Stück jenes undurchdringlichen Schleiers, der uns seither die wahren Vorgänge des Vogelfluges so geheimnissvoll verhüllte, und gestattet uns einen tiefen Einblick in das grossartige Walten der Natur bei den Wundern des natürlichen Fluges. Zwei wissenschaftlich gebildete Techniker sind es, welche es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, all ihr Wissen und Können der Fliege-Idee zu widmen und unbeirrt und Schritt für Schritt einen Entdeckungsweg zu verfolgen, dessen Ergebniss in abgerundeter Form uns jetzt vorliegt. In ruhiger und stetiger Verfolgung ihres Zieles schritten die Brüder Lilienthal länger als zwei Jahrzehnte auf der Bahn ihres Forschens dahin […]. Der Vorzug dieser Arbeiten ist, dass sie nicht am Schreibtische ­entstanden, sondern im physikalischen Laboratorium und auf dem Versuchsfelde. Sie stellen keine Speculationen und Projecte von nur theoretischem Werthe auf, sondern bewegen sich auf einem durchaus praktischen Boden. Das aber macht dieses Werk unentbehrlich für Jeden, der überhaupt in irgend einer Weise mit flugtechnischen ­Fragen sich beschäftigen will; denn es ist nicht denkbar, dass ohne Benützung des in diesem Werke gebotenen Materiales eine wirkliche Berechnung aus dem Gebiete des dynamischen Fluges begründet werden könnte […].“

 

Nach ersten erfolgreichen Flugversuchen stürzte Otto Lilienthal am 9. August 1896 am Gollenberg bei Stolln ab. Ein Augenzeuge berichtete: „„Lilienthal flog ab, und wie er ein Stück geflogen war, steht er oben in der Luft vollständig still. Und dann sehe ich, daß er mit den Beinen so schlenkert, hin- und herschlenkert, um den Apparat in Bewegung zu bringen. Mit einem Mal kriegt der Apparat die Neigung nach vorne und saust runter. Schlägt auf, und das Unglück war passiert.“ Am folgenden Tag starb Otto Lilienthal wahrscheinlich infolge einer Gehirnblutung in der Berliner Universitätsklinik.

 

 

 

 

Amílcar Lopes Cabral

 

* 12.9.1924 in Bofatá, † 20.1.1973 in Conakry, guinea-bissauischer und kapverdischer Poet und Politiker

  

Amilcar Cabral schrieb Gedichte, befürwortete die „Reafrikanisierung des Verstands“ und gründete die PAIGC, die Partido Africano para a Indenpendencia e do Cabo Verde - Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und Kap Verde.

 

Doch kurz bevor Guinea-Bissau und die Kapverden die Unabhängigkeit von Portugal erlangen konnten, wurde Amilcar Cabral bei innerparteilichen Machtkämpfen erschossen.

 

Sein Todestag ist nunmehr der Nationalfeiertag der Republik Kap Verde.

 

  

 

 

Scott Joplin

 

* 24.11.1868 bei Linden, Texas † 1.4.1917 in New York City, amerikanischer Komponist

  

Der Musikjournalist Martin Kunzler beschrieb den Ragtime-Komponisten Scott Joplin als „Vollender dieses Stils“. Er habe Elemente der romantischen Klaviertradition mit afroamerikanischer Folklore „zu kraftvollen Miniaturen verbunden, die in ihrer aphoristischen Dichte an Stücke von Erik Satie heranreichen.“

 

Als weltberühmt gelten nach wie vor seine Titel „The Entertainer“ und „Maple Leaf Rag“. Er verfasste jedoch auch die nahezu vergessene Oper „Treemonisha“ über die Lebensumstände von Afroamerikanern.

 

Scott Joplin starb im Alter von 48 Jahren an tertiärer Syphilis.

 

 

  

 

Salawat Julajew

 

* 16.6.1752 in Tekejewo, Gouvernement Orenburg, † 8.10.1800 in Rogervik, Gouvernement Estland, baschkirischer Dichter und Freiheitskämpfer

  

Den großen baschkirischen Freiheitskämpfer und Dichter Salawat Julajew die Ehre zu erweisen, erwies sich als fast unmöglich. Auf dem Weg in die baschkirische Hauptstadt Ufa musste ich als Mitglied einer Delegation aus der Partnerstadt Halle im Jahr 1982 in Moskau einen Wintereinbruch erfahren:

 

Mit dem Bus nach Domodedowo, Inlandflughafen. Schneesturm noch immer. Aber was ist hier los! Alle Hallen sind völlig überfüllt. Auf den Steinfußböden liegen Leute in Reihen wie Erschossene nebeneinander und schlafen. Seit gestern schon soll hier nichts mehr geflogen sein, rien ne va plus, Konjez filma. Der Delegationsleiter verhandelt und schnell werden wir in den internationalen Transitraum geführt. Hier ist’s zumindest warm und es gibt ein Büfett. Wir versuchen uns einzurichten, uns die Zeit zu vertreiben, schachteln, schachteln um Sekt. Dann wird geskatet, die Stunden schleichen dahin, nichts bewegt sich. Und aus allen Gesichtern weicht langsam das Lächeln, zunehmend ernste Mienen, Sorgenfalten. Dann spielt schon niemand mehr. Wir sitzen und warten auf Informationen. Um 15.00 sollen wir erfahren wie’s weitergeht, dann um 18.00 Uhr... Von irgendwoher kommt das Gerücht auf, dass seit Mittag hin und wieder ein Flugzeug gestartet, nur noch keines gelandet sei. Zweckoptimismus oder Wahrheit? Fassbare Bewegung: Im vier Stunden Rhythmus bekommen wir nun je ein Paar Wiener Würstchen mit rotem Kaviar vorgesetzt. Gutes Zeichen, schlechtes Zeichen? Draußen schneit’s noch immer. Ob man uns in Ufa schon vermisst? In Moskau schienen wir für die Verantwortlichen längst aus dem Plan - oder warum holt man uns nicht einfach ins Hotel zurück? Um 18.00 Uhr die Information: nächste Information um 23.00 Uhr. Um 23.00 Uhr die Information: keine Information mehr heute.

 

Früh halb fünf nach kurzem, flachen Schlaf in zusammengerückten Sesseln erwacht, zerknautscht, entsetzlicher Geschmack im Mund und doch fühle ich mich optimistisch. Denn irgendwie ist das Ganze hier doch kaum noch zu steigern, oder? Vor mir das Leitwerk einer IL-62, weiter draußen andere Riesenvögel auf dem schneeweißen Rollfeld. Bewegen die sich gar? Um mich herum Schlafende. Sogar diese Singeklubtypen, die hartnäckig und nervtötend versuchten die ganze Halle durch infantilen Singsang und Auf-dem-Kamm-Blasen in Stimmung zu versetzen scheinen erschöpft. Ein Glück. Die Szene hat zweifellos etwas Kafkaeskes. Hier wurde man abgestellt wie ein herrenloser Koffer. Für das verantwortliche Moskauer Reisebüro schienen wir längst abgereist, in Ufa jedoch längst nicht angekommen.

 

Gelbe Tanklastzüge rollen durch die Nacht. Landen da schon erste Maschinen, beginnen andere mit Startvorbereitungen? Keinerlei Bewegung nach Ufa hin oder von Ufa her jedoch offenbar. Aus der IL-62 klettert ein Pilot, steigt in die dahinter stehende TU-154. Schwankt der? Findet da etwa ein Bordfest statt?

 

Dann sind wir 24 Stunden in diesem Transitraum. Es wird immer schwerer die Stühle zu behaupten. Sobald jemand pinkeln oder sich die steif werdenden Beine vertreten geht, werden sie von anderen Wartenden weggeschleppt. Aber wir erfahren: Um 14.00 Uhr gibt’s die nächste Information! Wie idiotisch kommt mir heute unser gestriges Verhalten vor, als wir im Glauben, mal eben eine kleine Wartezeit verkürzen zu müssen, um Sekt schachtelten! In diesem Riesenland gelten andere Relationen, in jeder Beziehung.

 

Halb zwölf wird Frühstück gereicht. Dazu trällert unser Singeklub ein Liedchen vom Sieg der Arbeiterklasse, Titel: „In Moskau wird das Wetter gemacht“. Merken die’s noch? Überhaupt beginnen sich die Dinge nun langsam zu entwickeln: Einem unserer Teilnehmer ist der Koffer „abhandengekommen“. Der Reiseleiter entblödet sich nicht zu empfehlen, der Mann solle einen Zettel schreiben mit Namen, Adresse und so, vielleicht sei alles nur eine Verwechslung...

 

Am Nachmittag werden nunmehr zum fünften Mal schlappe Würstchen mit Kaviar gereicht. Ich kann’s schon nicht mehr sehen, geschweige denn essen. Doch gibt’s immerhin auf einmal Bier, und sogar trinkbares, nicht dieses trüb-flockige „Moskowskoje“. Man sitzt also im Büfett und versucht sich zu besaufen. Am Nebentisch lassen sich Westdeutsche und Schweizer nieder, soeben hier abgeliefert offenbar. Als die von uns jedoch hören, wie lange wir hier schon kampieren, schlagen die sofort Krach - und siehe da - werden umgehend ins Hotel zurückgebracht!

 

Nun langt’s. Und als die nächste Information wieder nur die Ankündigung der nächsten Information ist, fordern wir von unserer Reiseleitung eine Versammlung, Krisensitzung, was weiß ich. Und die kommt dann tatsächlich zustande. Beschwichtigungsversuche der FDJ-Bosse, alles wird gut, bla bla. Mir reicht’s. Ich versuche der allgemeinen Stimmung Ausdruck zu verleihen. War am Biertisch nicht eben sogar noch vom Streik, von Flugverweigerung, vom Platzen-Lassen des großen Friedensmeetings die Rede gewesen! Doch schau an, so mancher, der vor kurzem noch putschen wollte, „kneift nun den Schwanz ein...“ Was soll’s, habe ich eben meine Meinung gesagt.

 

Und etwas scheint’s sogar bewegt zu haben. Der Reiseleiter verspricht, sich zu kümmern und uns in einer halben Stunde wieder alle zusammenrufen zu wollen. Daraus wird natürlich nichts. Einer Subalternen erscheint jedoch bald darauf und raunt: „Abflug zweiundzwanzig fünfundzwanzig. Weitersagen!“ Unglaublich. Was wäre gewesen, wenn wir schon gestern Mittag, so wie heute die Westdeutschen „auf die Barrikaden gestiegen“ wären?

 

Der Zweifel an dieser Information scheint aber tief zu sitzen. Bis zur Abflugzeit, die dann wirklich fast korrekt ist, sind einige sternhagelvoll. Ich schleppe eine Schnapsleiche durch die Abfertigung. Die Stewardessen beginnen zu palavern, wollen die Besoffenen nicht fliegen lassen. Lächerlich. Und tatsächlich heben wir zu guter Letzt um halb zwölf Uhr nachts, nach fast vierzig Stunden Aufenthalt, von Domodedowo ab.

 

Potenzierung der Unwirklichkeiten: Unterm Kabinenfenster das nächtliche Moskau, illuminierter Stadtplan? Die Landung dann nach anderthalb Stunden Flug recht hart, Absacken, Rütteln zuvor - Sturzflug oder Absturz oder was? Nahm unser Pilot an dieser Party da teil? Die Uhren in Ufa zeigen schon 4 Uhr. Ach so, nochmals zwei Stunden Zeitverschiebung. So liege ich um fünf Uhr morgens im Hotel „Rossija“ wieder in einem Bett, zwei Tage also fast, nachdem ich aus einem solchen aufgestanden war...

 

Halb elf Frühstück in einem riesigen Saal in dem auch noch eine Band spielt, zum Frühstück, meingott! Danach sollen fünf Leute zu einem Pressegespräch, möglichst von jeder Kunstsparte einer, der Rest zur Stadtrundfahrt. Da ich der einzige Schriftsteller der Gruppe bin, melde ich mich freiwillig. Doch der Reiseleiter lehnt ab. So habe ich denn die Folgen meines gestrigen Auftritts auszukosten: Die Stadtrundfahrt erweist sich als Fahrt zu einem Kulturhaus, wo eine Probe unseres Singeklubs stattfinden soll. Na prima, zwei Stunden blödes Rumsitzen.

 

Dann Rückfahrt zum Mittagessen. Auch in Ufa beginnt es zu schneien. Schaler Beigeschmack... Schließlich doch Stadtrundfahrt, Neubaublöcke, triste Boulevards, hie und da ein altrussisches Häuschen, und endlich als  Höhepunkt dieses Tages: Kranzniederlegung am Denkmal des Salawat Julajews, der an der Seite des Bauernführers Jemeljan Pugatschow gekämpft hatte.

 

 

 

 

Johannes Bobrowski

 

* 9.4.1917 als Johannes Konrad Bernhard Bobrowski in Tilsit, † 2.9.1965 in Berlin, deutscher Dichter

  

Also da hab’n sie schon wieder einen, der keinem wo weh tut;

 

tat er’s mal früher, na gut, jetzt mit dem Goldzahn nicht mehr.

 

Teueres Komitee, die wird gar nicht ängstlich zumute,

 

daß man der Stifter erscheint und dir den Hintern versohlt? -

 

schrieb Johannes Bobrowski unter den Titel „Nobelpreis für Literatur“ in seinen „Ganz neuen Xenien, doppelte Ausführung“.

 

Zu seinem „Generalthema“, die gemeinsame Geschichte von Deutschen und osteuropäischen Völkern, fand er: Weil ich um die Memel herum aufgewachsen bin, wo Polen, Litauer, Russen, Deutsche miteinander lebten, unter ihnen allen die Judenheit. Eine lange Geschichte aus Unglück und Verschuldung, seit den Tagen des Deutschen Ordens, die meinem Volk zu Buche steht.

 

Christa Wolf äußerte in einem Gespräch mit Hans Kaufmann den Gedanken: „’Wie muß die Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein?’ Bobrowskis Frage ist und bleibt stimulierend weil sie hilft, die Welt einer menschenwürdigen Moral und nicht die Moral der Menschen einer noch weniger menschenwürdigen Welt anzupassen. Das wäre auch der physische Tod der Menschen…“

 

In seiner Grabrede auf Johannes Bobrowski sagte Stephan Hermlin: „Die Sprache dieses Mannes aus Tilsit, dunkel, kräftig, gleichzeitig von vertracktem Humor und unbezwinglicher Melancholie, streckt ihre edlen Wurzeln hin bis zu Klopstock und Hölderlin, Sturm und Drang, Büchners ,Lenz’. Seine Gedichte, sein Romans ‚Levins Mühle’ handeln von dem Boden, aus dem er stammte, von den Leuten , die dort lebten und starben. Ein kleineres Talent als er hätte sich in muffige Heimatdichtung und bornierten Nationalismus verloren oder auch sich umgesiedelt in unproblematisch-gängigeres Milieu. Das ganz Neue bei Bobrowski bestand in der Umwertung einer geschichtlichen Landschaft. Seine Gedichtbände heißen ‚Schattenland Ströme’ und ‚Sarmatische Zeit’. Aus historischen Fernen dröhnt der Hufschlag schweifender Völker, das Geläut der Glocken von orthodoxen Kirchen und das Heulen des Schofar aus niedergebrannten Synagogen. Ein endloser, unaufhaltsamer Ostwind jagt durch diese Dichtung. In ihr treffen Juden und Litauer, Polen und arme Deutsche aufeinander, vereine sich gegen ihre Unterdrücker, werden von ihnen besiegt. Ein Terrain, über dem so lange unreine Stimmen geherrscht hatten, war plötzlich von dieser gelassenen, halblauten Stimme erfüllt. Johannes Bobrowski erklärte sich nicht für Brüderlichkeit: seine Dichtung war brüderlich.“

 

Ach, wenn Johannes Bobrowski doch weitere Jahre zum Schreiben geblieben, wenn er nicht im Alter von 48 Jahren durch einen Blinddarmdurchbruch gestorben wäre… wer weiß, vielleicht hätte eines Tages sogar das Nobelpreis-Komitee angerufen.

 

 

 

 

Barthélemy Boganda

 

* 4.10.1910 in Bobangui, † 29.3.1959 bei Bangui, zentralafrikanischer Politiker

  

Im Jahr 1949 gründete Barthélemy Boganda in der damaligen französischen Kolonie Ubangi-Schari die MESAN - Mouvement pour l’evolution sociale de l’Afrique noire – Bewegung für die soziale Entwicklung Schwarzafrikas. 1956 wurde er Bürgermeister der Hauptstadt Bangui und 1959 Premierminister der autonomen Republik Zentralafrika.

 

Als Gegengewicht zu den einst britischen wie den arabischen Gebieten Afrikas schlug er den Zusammenschluss der ehemals französischen, belgischen, spanischen und portugiesischen Kolonien zur États-Unis de l’Afrique Latine vor. Noch heute zeigt die Farbigkeit von ihm dafür entworfene Flagge, die nach dem Scheitern dieser Bestrebungen, zur Flagge Zentralafrikas wurde, die angestrebte Vielfalt.

 

Im Alter von 48 Jahren kam Barthélemy Boganda bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben.

 

 

 

 

Marty Feldman

 

* 8.7.1934 als Martin Alan Feldman in London, † 2.12.1982 in Mexiko-Stadt, britischer Komiker

  

Im Alter von 15 Jahren verließ Marty Feldman die Schule, um Jazztrompeter zu werden. Dann feierte er jedoch rasch Erfolge als Komödiant, Autor und Regisseur im Rundfunk und Fernsehen, zuerst in Großbritannien, dann in den USA. Für seine TV-Show „The Marty Feldman Comedy Machine“ wurde er im Alter von 38 Jahren mit der „Goldenen Rose von Montreux“ ausgezeichnet.

 

Und für große Filmregisseure agierte er auch als Schauspieler, so für Mel Brooks als Igor in „Frankenstein Junior“ oder für Gene Wilder als cleverer Bruder in „Sherlock Holmes“, Markenzeichen: gleichzeitig in verschiedene Richtungen blicken könnende Glupschaugen.

 

Im Alter von 48 Jahren starb Marty Feldmann bei den Dreharbeiten zu „Dotterbart“ an Herzversagen, dessen Ursache angeblich rätselhaft war. Mel Brooks erklärte jedoch: „Er rauchte manchmal täglich fünf Packungen Zigaretten, trank reichlich schwarzen Kaffee und ernährte sich vor allem von Eiern und Milchprodukten.“

 

Dabei hieß einer seiner Filme doch: „Haferbrei macht sexy / Marty Feldman – ich kann alles“.

 

 

 

 

Jean Bernard Léon Foucault

 

* 18.9.1819 in Paris, † 11.2.1868 ebd., französischer Physiker

  

Im Jahr 1851 führte Jean Bernard Léon Foucault das nach ihm benannte Pendel zur Veranschaulichung der Erdrotation in Paris erstmals der Öffentlichkeit vor.

 

Mittlerweile sind Foucaultsche Pendel rund um die Welt zu bewundern, in: Argentinien, Großbritannien, Island, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, der Schweiz, Spanien, Russland, Schweden, Ungarn und den USA. In Frankreich findet man Foucaultsche Pendel neben Paris auch in Besançon, Montbéllard und Tours, in Deutschland u.a. in: Aachen, Augsburg, Berlin, Bremen, Dresden, Erfurt, Göttingen, Hamburg, Heidelberg, Ilmenau, Kassel, Köln, Magdeburg, München, Rostock oder Zwickau.

 

Foucault entwickelte auch eine ziemlich genaue Methode zur Messung der Lichtgeschwindigkeit, ein leistungsfähiges Spiegelteleskop sowie den Kreiselkompass.

 

Im Oktober 1867 verspürte er seine Hände taub werden, wurde dann blind und stumm und starb 4 Monate später, vermutet wird: durch eine rasch fortschreitende multiple Sklerose, durch einem Schlaganfall oder durch Nachwirkungen seiner langjährigen Experimente, mit Quecksilber nicht zuletzt.

 

  

 

 

Jürgen Fuchs

 

* 19.12.1950 in Reichenbach im Vogtland, † 9.5.1999 in Berlin, deutscher Schriftsteller

  

Im Alter von 25 Jahren wurde Jürgen Schulz wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verhaftet, für 281 Tage im Stasi-Knast Berlin-Hohenschönhausen in Haft gehalten und schließlich in „den Westen“ abgeschoben.

 

Nach dem Fall der Mauer kehrte er in „den Osten“ zurück und mühte sich um eine Aufklärung der Stasi-Arbeit. 1994 forderte er in einer Rede: Die jeweilige Diktatur bekämpfen, nicht lähmen lassen von der Biographie eines Honecker! Keiner hat das Recht, andere zu quälen und zu beherrschen, weil er im Zuchthaus saß. Ihr Kinder der Täter und der Diktatur, wehrt euch, ihr seid dran, wir sind bald nicht mehr da!

 

Im Alter von 48 Jahren starb Jürgen Fuchs an Leukämie.

 

 

 

 

James Clerk Maxwell

 

* 13.6.1831 in Edinburgh, † 5.11.1879 in Cambridge, schottischer Physiker

  

Die von James Clerk Maxwell aufgestellte und nach ihm benannte Feldtheorie gilt al seine der wichtigsten Erkenntnisse in der Physik und Mathematik des 19. Jahrhunderts. Zudem sagte er die Existenz von elektromagnetischen Wellen voraus, entwickelte die kinetische Gastheorie, verfasste einen Aufsatz über die Konsistenz der Saturnringe und veröffentlichte bereits im Jahr 1861 die erste Farbfotografie als Nachweis für die Theorie der additiven Farbmischung.

 

Bei seinen Thermodynamik-Forschungen stellte er ein Gedanken-Experiment an, das als „maxwellscher Dämon“ in die Geschichte einging. Von ihm aufgestellte Gleichungen zu Verhalten von elektrischen wie magnetischen Feldern werden gern als „Maxwells wunderbare Gleichungen“ bezeichnet. I

 

Im Jahr vor seinem Tode schrieb er für die „Encyclopaedia Britannica“ weitsichtig: Welche Schwierigkeiten auch immer wir haben, eine schlüssige Vorstellung von der Beschaffenheit des Äthers zu entwickeln, so kann es doch keinen Zweifel daran geben, dass die interplanetarischen und interstellaren Räume nicht leer, sondern von einer materiellen Substanz oder einem Körper erfüllt sind, der mit Sicherheit der größte und wahrscheinlich der einheitlichste Körper ist, von dem wir wissen.

 

Albert Einstein nannte anlässlich Maxwells 100. Geburtstages dessen Werk als „das Tiefste und Fruchtbarste, das die Physik seit Newton entdeckt hat.“

 

James Clerk Mexwell starb im Alter von 48 Jahren an Magenkrebs.

 

 

 

 

Carl von Ossietzky

 

* 3.10.1889 in Hamburg, † 4.5.1938 in Berlin, deutscher Publizist

  

„Georg Bernhard und Thomas Mann nannten Ossietzky den ‚Märtyrer der Friedensidee‘, Heinrich Mann sprach wiederholt vom ‚Dulder‘, Arnold Zweig griff das Märtyrer-Motiv in einem Beitrag für eine Werbeschrift zugunsten von Ossietzkys Nobelpreis-Kandidatur auf, und Kurt Tucholsky sprach kritisch vom ‚Märtyrer ohne Wirkung‘“, sagte der Verleger Christoph Schottes.

 

Carl von Ossitzky, Herausgeber der „Weltbühne“, war 1931 zum ersten Mal verhaftet worden, da er über die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Nach seiner Verurteilung schrieb er in der „Weltbühne“ vom 1. Dezember 1931 hellsichtig: „Wenn im Dritten Reich erst einmal nach der Plattform von Boxheim regiert werden wird, dann werden Verräter wie Kreiser und ich ohne Aufhebens füsiliert. Wir sind noch nicht ins SA-Paradies eingegangen, wir wahren noch das Dekorum des Rechtsverfahrens. […] Wir stehen an einem schicksalshaften Wendepunkt. In absehbarer Zeit kann der offene Faschismus ans Ruder kommen. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob er sich seinen Weg mit sozusagen legalen Mitteln freimacht oder mit solchen, wie sie der Henkersphantasie eines hessischen Gerichtsassessors entstiegen sind. Das Wahrscheinlichste dürfte eine Zusammenfassung von beiden Methoden sein: eine Regierung, die beide Augen zudrückt, während die Straße der Hooligan- und Halsabschneiderarmee der SA-Kommandeure ausgeliefert bleibt, die jede Opposition als ‚Kommune‘ blutig unterdrücken. Noch ist die Möglichkeit der Zusammenfassung aller anti-faschistischen Kräfte vorhanden. Noch! Republikaner, Sozialisten und Kommunisten, in den großen Parteien Organisierte und Versprengte – lange werdet ihr nicht mehr die Chance haben, eure Entschlüsse in Freiheit zu fassen und nicht vor der Spitze der Bajonette!“

 

Kurz nach seiner Entlassung kamen die Nazis an die Macht und Carl von Ossietzky wurde am 28. Februar 1933 erneut inhaftiert, Gefängnis Spandau, KZ Sonnenburg, KZ Esterwegen. Im Herbst 1935 durfte der Schweizer Diplomat Carl Jacob Burckhardt als Mitglied des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz das KZ Esterwegen im nördlichen Emsland besuchen. Es gelang ihm, Carl von Ossitezky zu treffen, den er als ein „zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen“ beschrieb. Er soll zu Burckhardt zugefüstert haben: „… sagen Sie den Freunden, ich sei am Ende, es ist bald vorüber, bald aus, das ist gut. […] Danke, ich habe einmal Nachricht erhalten, meine Frau war einmal hier; ich wollte den Frieden.“

 

Persönlichkeiten wie der nach Norwegen emigrierte Willy Brandt versuchten Carl von Ossietzky zu helfen, indem sie die Kampagne unterstützten, ihm den Friedensnobelpreis zu verleihen. Tatsächlich bewirkte diese an Wirkung zunehmende Kampagne, dass Carl von Ossietzky kurz vor Beginn der Olympischen Spiele 1936 aus dem KZ Esterwegen entlassen und schwerkrank ins Staatskrankenhaus Berlin eingeliefert wurde, dann unter ständiger Bewachung der Gestapo in weitere Krankenhäuser – und am 23. November 1936 wurde Carl von Ossietzky der Friedensnobelpreis tatsächlich zugesprochen.

 

Göring bedrängte nun Ossietzky, den Preis keinesfalls anzunehmen. Der antwortete darauf: „Nach längerer Überlegung bin ich zu dem Entschluß gekommen, den mir zugefallenen Friedensnobelpreis anzunehmen. Die mir von dem Vertreter der Geheimen Staatspolizei vorgetragene Anschauung, daß ich mich damit aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließe, vermag ich nicht zu teilen. Der Nobelpreis für den Frieden ist kein Zeichen des innern politischen Kampfes, sondern der Verständigung zwischen den Völkern.“

 

Carl von Ossietzky durfte den Friedensnobelpreis nicht persönlich entgegennehmen, durfte nicht nach Oslo reisen. Und Hitler verfügte sogar, dass in Zukunft kein Reisdeutscher mehr einen Nobelpreis annehmen dürfe.

 

Der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky starb am 4. Mai 1938 infolge der schweren Haft-Misshandlungen und der Tuberkulose, die er sich im KZ zugezogen hatte.

 

 

 

 

Enrico Caruso

 

* 25.2.1873 als Errico Caruso in Neapel, † 2.8.1921 ebd., italienischer Opernsänger

  

O sole mio!

 

Enrico Caruso nahm 498 Schallplatten auf, dem neapolitanischen Volkslied „O sole mio“ verhalf er zu Weltruhm. Seine im Jahr 1904 eingesungene Arie „Vesti la giubba“ gilt als ersten Millionen-Seller der Schallplattenindustrie.

 

Carusos legendäre Karriere begann 1903 an der New Yorker Metroplitan Opera, und er füllte er nicht nur Opernhäuser weltweit, sondern sogar Stierkampfarenen.

 

Geraldine Farrar berichtete, dass sie zu singen vergaß, als sie zum ersten Mal mit Caruso auf der Bühne stand, weil sie über die Schönheit seines Gesangs in Tränen ausbrach. Lina Cavalieri küsste ihn vor Begeisterung auf offener Bühne so leidenschaftlich, dass dieser Kuss als erster „echter“ Bühnenkuss Geschichte machte. Andere Zeitgenossen, beschrieben das Ertönen von Carusos Stimme mit der warmen Macht einer Orgel.

 

Che bella cosa na jurnata 'e sole!

 

N'aria serena doppo a na tempesta,

 

Pe' ll'aria fresca pare giá na festa.

 

Che bella cosa na jurnata 'e sole! -

 

Was für eine schöne Sache ist ein sonniger Tag!

 

Ein heiteres Lüftchen nach dem Sturm,

 

Durch die frische Luft scheint es wie ein Fest.

 

Was für eine schöne Sache ist ein sonniger Tag!

 

Der berühmteste Tenor des frühen 20. Jahrhunderts starb im Alter von nur 48 Jahren an den Folgen einer Rippenfellentzündung. Seinen letzten Weg säumten gut 100.000 Menschen, die Gebäudefassaden längs des Leichenzuges waren mit schwarzen Tüchern verhängt; die Geschäfte in Neapel blieben an diesem Tag geschlossen, und neun Jahre lang lag Enrico Caruso dann aufgebahrt in einem Glassarg.

 

O sole mio!

 

 

  

 

Whitney Elizabeth Houston

 

* 9.8.1963 in Newark, New Jersey, † 11.2.2012 in Beverley Hills, Kalifornien, amerikanische Sängerin

  

Mit mehr als 200 Millionen verkaufter Tonträger, mehr als 200 Gold-, Platin- und Diamant-Schallplatten sowie sechs Grammys zählt Whitney Houston zu den erfolgreichsten Sängerinnen aller Zeiten. Zudem war sie durch ihre Hauptrolle in „The Bodyguard“ auch als Schauspielerin weltberühmt.

 

Dennoch galt sie als schwer drogenabhängig und wurde nach mehreren erfolglosen Entziehungskuren im Alter von 48 Jahren tot, mit dem Gesicht nach unten, in ihrer Badewanne aufgefunden.

 

Ihr erfolgreichster Song war „I will always love you“:

 

Wenn ich bleiben sollte

 

Würde ich dir nur im Weg stehen

 

Also gehe ich, aber ich weiß

 

Ich werde jeden Schritt des Weges an dich denken

 

 

Und ich werde dich immer lieben

 

Ich werde dich immer lieben

 

 

Du, mein Schatz du

 

Bittersüße Erinnerungen

 

Das ist alles was ich mit mir herumtrage

 

Also Tschüss, bitte weine nicht

 

Wir beide wissen, dass ich nicht das bin was du brauchst

  

 

Und ich werde dich immer lieben

 

Ich werde dich immer lieben…

 

 

 

 

Sonia Pierre

* 4.6.1963 als Solange Pierre in Villa Altragacia, † 4.12.2011 ebd., dominikanische Frauenrechtlerin

 

Sonia Pierre wurde als eines von zwölf Kindern haitianischer Wanderarbeiter geboren. Bereits im Alter von 13 Jahren trat sie bei einem Streik von Zuckerrohrschneidern als Sprecherin der Arbeiterinnen auf und kam dafür ins Gefängnis. Mit Zwanzig gründete sie die Organisation „MUDHA – Bewegung dominikanischer-haitianischer Frauen“ und wurde deren geschäftsführende Direktorin. MUDHA kämpft gegen „die gegen die extreme Rechtlosigkeit vor allem der dominikanisch-haitianischen Landarbeiterinnen und ihrer Kinder in Lebensbereichen wie Staatsbürgerschaft, Gesundheit, Arbeitsrechte, Bildung und Wohnen ankämpfte. MUDHA bemüht sich, den Migranten und ihren Kindern Papiere zu besorgen, organisiert Unterricht für jene, die nicht in den staatlichen Schulen aufgenommen werden und bildet in den Dörfern Gesundheitsberaterinnen aus, die über Hygiene und sexuell übertragbare Krankheiten Bescheid wissen. Dabei arbeitet MUDHA mit der gesamten Dorfgemeinschaft zusammen.“ (Wikipedia)

 

Für ihren unermüdlichen Einsatz wurde Sonia Pierre mehrfach ausgezeichnet, so ein Jahr vor ihrem Tod mit dem „International Woman of Courage Award“ des US-Außenministeriums.

 

 

 

 

Ignatius Kilage

 

* 12.6.1941, † 31.12.1989 in Port Moresby, papua-neuguinesischer Politiker und Autor

 

 

Ignatius Kilage wirkte gleichermaßen als Generalgouverneur von Papua-Neuguinea wie als Schriftsteller. Zu seinen Lebzeiten erschien „My Mother Calls Me Yaltep“, und postum „The Adventures of Yomba The Trickster“.

 

Im Alter von 48 Jahren starb Ignatius Kilage, seines Zeichens Knight Grand Cross of the Order of St. Michael and St. George, plötzlich während der offiziellen Neujahrsfeierlichkeiten seines Landes.

 

 

  

 

Tipu Sultan

 

* 10.12.1750 in Devanahalli, † 4.5.1799 in Shrirangapattana, indischer Herrscher

  

Tipu Sultan, der „Tiger von Mysore“ war ein erbitterter Gegner der britischen East India Company und versuchte in drei Kriegen gegen die fortschreitende Kolonisierung seines Landes anzukämpfen. Dabei setzte er sogar primitive Raketenwaffen ein und versuchte einen islamischen Staatenbund zu gründen, sandte Boten nach Sindh, Kabul, Belutschistan, Konstantinopel und sogar nach Mauritius und Paris.

 

Und er ließ einen mechanischen Automaten herstellen, der einen Tiger beim Angriff auf einen Angestellten der East India Company simulierte, sogar wütendes Geräusch erzeugte.

 

Letztlich musste sich Tipu Sultan jedoch der britischen Übermacht geschlagen geben und fiel im Alter von 48 Jahren im Gefecht.

 

Sein Tigerautomat wurde nach London gebracht und im „Victoria and Albert Museum“ ausgestellt.

 

 

 

 

Milada Horáková

* 25.12.1901 als Milada Králová in Královské Vinorady, † 27.6.1950 in Prag-Pankrac, tschechoslowakische Politikerin

 

Milada Horáková studierte Jura und promovierte an der Prager Karls-Universität. Im Alter von 22 Jahren gründete sie den „Nationalen Frauenrat“ mit.

Nach der deutschen Okkupation schloss sie sich Widerstandsgruppen an, wurde von der Gestapo verhaftet, und musste in Leipzig Zwangsarbeit leisten. Wegen Agitation wurde sie in Dresden zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch in acht Jahre Haft umgewandelt. Am 1. Mai 1945 wurde sie schließlich aus der Strafanstalt Aibach befreit.

Zurück in Prag wurde sie Abgeordnete der Tschechoslowakischen Volkspartei im Nationalparlament und musste als Regimekritikerin nach der Machtergreifung Klement Gottwalds erneut in den Untergrund gehen. Und wieder wurde Milada Horáková verhaftet und in einem Schauprozess wegen „antisowjetischer Konspiration und umstürzlerischem Verhalten“ zum Tode verurteilt. Für ihre Begnadigung setzten sich weltweit Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Bertrand Russell oder Eleanor Roosevelt ein, doch Milada Horáková wurde im Alter von 48 Jahren hingerichtet.

1968, in der Endphase des „Prager Frühlings“ wurde das Urteil aufgehoben, und 1990, nach der „Samtenen Revolution“ die vollständige Rehabilitation Milada Horákovás vollzogen.

 

 

 

  

 

Ilan Ramon

 

* 20.6.1954 als Ilan Wolfermann in Tel Aviv, † 1.2.2003 über dem Süden der USA, israelischer Raumfahrer

  

Ilan Ramon war der erste Nicht-Amerikaner oder –Sowjetbürger, der als Raumfahrer ums Leben kam.

 

Ilan Ramons Mutter hatte Auschwitz überlebt, als ihr Sohn israelischer Kampfpilot wurde, änderte er seinen Namen von Wolfermann in Ramon.

 

Nach Einsätzen im Jom-Kippur- und im Libanon-Krieg studierte er in Tel Aviv Elekronik und Informatik und wurde 1997 als Nutzlastspezialist für das Space-Shuttle-Programm ausgewählt.

 

Ilan Ramon saß am 1. Februar 2003 mit Michael P. Anderson, David M. Brown, Kalpana Chawla, Laurel Clark, Rick Husband und William C. McCool in der Raumfähre „Columbia“, die beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, 16 Minuten vor der geplanten Landung, verglühte.

 

Sein Sohn Assaf wollte ihm als Astronaut nachfolgen, überlebte jedoch 2009 den Absturz eines Militärflugzeuges nicht.

 

 

  

 

Charles Bruce Chatwin

 

* 13.5.1940 in Sheffield, † 18.1.1989 in Nizza, britischer Schriftsteller

  

In Alice Springs, einem Netz verbrannter Wege, wo Männer in langen weißen Socken unaufhörlich in Landcruiser einstiegen oder aus Landcruisern aussteigen, begegnete ich einem Russen, der damit beschäftigt war, eine Karte von den heiligen Stätten der Aborigines anzulegen, beginnt Bruce Chatwins Roman „Traumpfade“.

 

Und der Klappentext erklärt: „…den Ur-Australiern droht höchste Gefahr. Auch wenn sie bisher einigermaßen unbehelligt lebten, so können es die Abgesandten der Zivilisation kaum erwarten, sie von ihrem angestammten Land zu vertreiben, weil sie die Bodenschätze dort endlich ausbeuten wollen. Dabei drohen die ‚Songlines’ zerstört zu werden, die Traumpfade, auf denen schon ihre Vorfahren dahinzogen, um mit ihrem Gesang die Welt zu erschaffen. Immer wieder muss auf diesen labyrinthischen Pfaden gewandert, muss die Natur von neuem besungen werden, denn sonst, so lautet die Überlieferung, droht der Welt und ihrer Schönheit das Ende.“

 

Salman Rushdie sagte: „In Australien wurden Bruce und ich Freunde… Die Idee der ‚Traumpfade’ fesselte mich genauso stark, wie sie Bruce fesselte. Wie auch könnten Schriftsteller eine Welt nicht lieben, die durch Geschichten vermessen wurde? Ich beneidete ihn um sein Thema.“

 

Die letzten Sätze „Traumpfade“ gelten drei alten, sterbenden Aborigines: Ja. Ihnen fehlte nichts. Sie wussten, wohin sie gingen. Im Schatten eines Geistereukalyptusbaumes lächelten sie dem Tode entgegen.

 

Bruce Chatwin starb im Alter von 48 Jahren an AIDS.

 

 

  

 

Joseph Benedict Engl

 

* 6.8.1893 in München, „Jo Engel“, † 8.4.1942 in New York City, deutscher Physiker

  

Am 26. Februar 1921 wurde erstmals ein „sprechender Film“ auf Basis des Lichttonverfahrens vorgeführt: die Sprachkünstlerin Friedel Hintze trug Goethes „Heideröslein“ vor. Im Jahr darauf folgte eine Lichttonfilm-Aufführung vor tausend Zuschauern im Berliner „Alhambra“.

 

Entwickelt hatten den „sprechenden Film“ Joseph Masolle, Hans Vogt und Joseph Engl, die 1918 ein „Verfahren zur Steuerung elektrischer Ströme durch Schallkräfte“ zum Patent angemeldet hatten“. und seit 1919 in einem Blumenladen in Berlin-Wilmersdorf ein „Laboratorium für Kinematographie“ betreiben, aus dem die Gesellschaft „Tri-Ergon“ hervorging.

 

1925 war Joseph Engl dann für den Ton des von der „Universum-Film AG“ in Berlin produzierten Kurzfilms „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ nach dem Märchen von Hans Christian Andersen zuständig. Schon die Premiere musste allerdings aufgrund erheblicher technischer Mängel abgebrochen werden. Dennoch konnten die Tri-Ergon-Patente im Jahr darauf an den an den amerikanischen Filmproduzenten William Fox und das „Deutsches Tonbild-Syndikat) verkauft werden.

 

Ab 1929 arbeitete Joseph Engl für „FOX“, wanderte 1939 dann sogar in die USA aus und starb drei Jahre später als Berater dieser expandierenden Filmgesellschaft in New York.

 

  

 

 

Aphra Behn

 

* 10.7.1640 als Aphra Johnson in Wye, † 16.4.1689 in London, englische Schriftstellerin

  

Aphra Behn gilt als erste Berufsschriftstellerin Englands und als ihr wichtigstes Werk der Roman „Oroonoko oder Der königliche Sklave“. Und sie schrieb auch erfolgreich fürs Theater: am populärsten war ihr Stück „The Rover“, das in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fast jährlich aufgeführt wurde.

 

Großen Zuspruch fand auch ihre frivole Sittenkomödie „The Forced Marriage“. Früh war Aphra Behn Witwe geworden und lebte in wilder Ehe mit einem in London stadtbekannten bisexuellen Mann, der zudem als Schürzenjäger verschrien war. Aphra Behn wusste also, worüber sie schrieb. Als England dann jedoch zunehmend puritanisch wurde, schlug die öffentliche Meinung dahin um, dass man Stücke einer Frau, die selbstbestimmt lebte, arbeitete und liebte, nicht weiter aufführen könne. Man setzte ihr Werk mehr und mehr ihrem freizügigen Leben gleich. Selbst Lexigrafen und Literaturwissenschaftlern erwähnten die einstige Erfolgsautorin kaum noch und Aphra Behn geriet zunehmend in Vergessenheit.

 

Erst im 20. Jahrhundert setzte zaghaft eine Aphra-Behn-Renaissance ein. Virginia Woolf beispielsweise sagte: „Alle Frauen müssten gemeinsam Blumen auf Aphra Behns Grab streuen [...], denn sie war es, die ihnen zuerst das Recht errang zu sagen, was sie denken.“

 

  

 

 

Roy Black

 

* 25.1.1943 als Gerhard Höllerich in Straßberg, † 9.10.1991 in Heldenstein, deutscher Schlagersänger

  

Auf dem Höhepunkt von Familienfeiern kippte mein Großvater Hermann flugs noch einen Halb und Halb, erhob sich vom Tische, zog seine Mundharmonika aus der Hosentasche und begann inbrünstig zu schallern. Und am liebsten schallerte er „Ganz in Weiß“. Ja, Roiflex – wie mein Großvater diesen Titel meist ankündigte, um zum Mitsingen zu animieren – Roiflex scheint mir nie mehr aus dem Sinn zu gehen, wird mir ohrwurmgleich wohl bis zum Ende aufklingen.

 

Roy Black starb im Alter von 48 Jahren an Herzversagen, bei einem Blutalkoholwert von drei Promille angeblich. Da war mein Großvater Hermann schon 25 Jahre tot. Blinddarm.

 

 

  

 

Graham Arthur Chapman

 

* 8.1.1941 in Leicester, † 4.10.1989 in Maidstone, britischer Schauspieler

  

Nachdem Graham Chapman im Alter von 48 Jahren an Krebs gestorben war, sang die Trauergemeinde bei der Beerdigung den Song, der ihm in Monty Pythons Film „Das Leben des Brians“ schon als Titelfigur am Kreuze gesungen wurden war: „Always look on the Bright Side of Life“

 

…das Leben ist ziemlich absurd und der Tod hat das letzte Wort

 

Du musst immer mit einer Verbeugung vor den letzten Vorhang

 

                                                                                                   treten

 

Denk nicht an deine Sünden, zeig den Zuschauern ein Grinsen

 

Genieß es, es ist so wie so deine letzte Chance

 

 

 

Also, immer auf die fröhliche Seite des Todes schauen

 

Auch kurz bevor du den letzten Atemzug machst

 

 

 

Das Leben ist ein Stück Scheiße, wenn man es so betrachtet

 

Das Leben ist ein Lacher und Tod, der ist ein Kracher, wirklich

 

                                                                                                    wahr

 

Du wirst sehen, es ist alles nur eine Show. Lass sie lachen, wenn du

 

                                                                                                   gehst.

 

Denk daran, dass der letzte Lacher du selber bist

 

 

 

Und immer die fröhliche Seite des Lebens betrachten

 

Immer auf die richtige Seite des Lebens schauen

 

Komm Brian, mach mal ein fröhliches Gesicht!...

 

  

Und John Cleese parodierte einen Sketch, den sein Monty Python Kollege Graham Chapman einst mitgeschrieben hatte: „Er ist nicht mehr, des Lebens beraubt, ruht in Frieden, gab den Löffel ab, ging über den Jordan, biss ins Gras, kratzte ab, nahm den letzten Atemzug, ging, um den Hauptabteilungsleiter für leichte Unterhaltung im Himmel zu treffen…“

 

  

 

 

 

Lili Elbe

 

* 28.12.1882 als Einar Mogens Andreas Wegener in Vejle, † 12.9.1931 in Dresden, dänische Malerin

  

Lili Elbe war vermutlich einer der ersten Menschen, die sich geschlechtsangleichenden Operationen unterzogen. Der erste Eingriff fand im Jahr 1930 in Berlin statt, nach einer vierten Operation kam es wahrscheinlich auf Grund von Organabstoßungen zu Komplikationen, an denen Lili Elbe schließlich in Dresden verstarb.

 

Im Jahr nach Lili Elbes Tod erschien ihr Lebensbericht „Fra mand til kvinde - Vom Mann zur Frau“. 2013 wurde in Berlin das „Lili Elbe Archiv“ als „unabhängiger Ort zur Überlieferung der eigenen Geschichte nicht-normativer Geschlechtlichkeiten“ begründet.

 

   

 

 

Bessie Head

 

* 6.7.1937 als Bessie Amelia Emery in Pietermaritzburg, † 17.4.1986 in Serower, botswanische Schriftstellerin

  

Plot der Werke Bessie Heads ist – deutlich autobiografisch - die Rolle der armen, schwarzen Frau, die mit sexueller und rassistischer und Diskriminierung zu kämpfen hat, so in den Romanen „When Rain Clouds Gather - RegenWolkenZeit“, „The Cardinals - Sternenwende“, „A Question of Power – Die Farbe der Macht“ „Maru“ und „A Bewitched Crossroad“, oder im Erzählband „The Collector of Treasure and Other Botswana Vilage Tales“.

 

Postum wurde Bessie Head mit dem südafrikanischen Ikhamanga-Orden in Gold für ihren „außergewöhnlichen Beitrag zur Literatur und zum Kampf für sozialen Wandel, Freiheit und Frieden“ geehrt. Seit 2007 wird der „Bessie Head Literature Award“ verliehen, der bislang einzige Literaturpreis dieses Landes.

 

  

 

Yu Dafu

 

* 7.12.1896 in Fuyang, † 17.9.1945 (verschollen) auf Sumatra, chinesischer Schriftsteller

 

 

Im Alter von 16 Jahren zog Yu Dafu mit seiner Familie nach Tokio, studierte Volkswirtschaft und begann zu schreiben. In seinem ersten Erzählband „Versinken“ thematisierte er Konflikte zwischen überkommenen Moralvorstellungen und Gefühlen Heranwachsender und stieß damit auf große Resonanz bei jungen Intellektuellen. Als er als Sechsundzwanzigjähriger nach China zurückkehrte, wirkte er an der Herausgabe mehrerer literarischer Zeitschriften mit. Und er veröffentlichte weitere Erzählbände und Romane: „Ehegeschichten“ (1923), „Berauschende Frühlingsnächte“ (1923), „Ein bescheidenes Opfer“ (1924), „Verlorenes Schaf“ (1927), „Allein Unterwegs“ (1927), „Kalte Asche“ (1930), „Sie war ein schwaches Weib“ (1931), „Späte Zimtblüten“ (1932), „Flucht“ (1935).

 

Im Jahr 1936 ging er bis zum Ausbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges zurück nach Tokio, arbeitete dann kurz in der Propagandaabteilung der chinesischen Militärkommission und wechselte schließlich als Chefredakteur der Tageszeitung der Überseechinesen nach Singapur. Als die Japaner 1942 auch Singapur besetzten, floh er weiter nach Sumatra, wo er schließlich im Alter von 48 Jahren verschwand, vermutlich von Japanern, ermordet wurde.

 

  

 

 

Michail Afanassjewitsch Bulgakow

 

* 15.5.1891 in Kiew, † 10.3.1940 in Moskau, sowjetischer Schriftsteller

 

Der Meister und Margarita ist ein philosophischer Roman, von dem man sich nicht losreißen kann, den man mit dem gleichen lebhaften, nicht nachlassenden Interesse liest wie ein Werk mit spannendem Sujet, etwa wie einen Kriminalroman, Das ist eine Sammlung von Bildern im Geiste Goyas – zugleich aber ist alles voll innerer Bedeutung, manchmal lustig und voller Schwermut. Die Helden sind so bildhaft gezeichnet, dass man sie bisweilen mit der Hand berühren möchte wie eine Holzplastik“, sagte der Schriftsteller Weniamin Alexandrowitsch Kawerin, „Eine der Romanfiguren – der Meister – schreibt einen Roman über Pontius Pilatus, und dieser Roman wird mit Ereignissen verflochten, die sich vor unseren Augen im Moskau der zwanziger Jahre abspielen.“

 

Der Slawist Ralf Schröder schrieb: „Bulgakows Roman über die Zweifel und Sinnverwirrungen, die der Satan Voland und seine drei gewaltigen Gesellen Korowjew, Behemoth und Asasello im nachrevolutionären Moskau hervorrufen, wurde bereits 1940, dem Todesjahr des Schriftstellers, abgeschlossen […]. Aber erst 1966/67 erschien Der Meister und Margarita in der sowjetischen Literaturzeitschrift ‚Moskwa’ […]. Tatsächlich hat Bulgakow eine selbständige phantastische Teufelsgestalt geschaffen und in ihr noch einmal jene Momente vereinigt, die Goethes Mephisto symbolisiert: das allgemeine Prinzip der dialektischen Negation…“

 

Nicht von ungefähr also hatte Michail Bulgakow seinem legendären Buch, das manche Kritiker für den besten russischen Roman des 20. Jahrhunderts halten, ein Zitat aus dem „Faust“ vorangestellt:

 

„Nun gut, wer bist du denn? –

 

Ein Teil von jener Kraft, die stets

 

das Böse will und stets das Gute

 

schafft.“

 

 

 

 

 

Betico Croes

 

* 25.1.1938 als Gilberto Françoise Croes in Santa Cruz, Aruba, † 26.11.1986 in Utrecht, arubanischer Politiker

  

Betico Croes wird als „Libertador di Aruba“ bezeichnet und kämpfte zeit seines Lebens für die Unabhängigkeit Arubas von den Niederlanden. Unter seiner Federführung wurden die Nationalhymne und die Flagge des Landes eingeführt und erfolgte die Trennung Arubas von den Niederländischen Antillen. Zehn Jahre bevor seine Heimatinsel (wie Curaçao und Sint Maarten) ein gleichberechtigtes Land im Königreich der Niederlande wurde starb er an den Folgen eines Autounfalls.

 

Sein Denkmal sahen Jeanny und ich in der Inselhauptstadt Oranjestad, als wir 2011 Aruba besuchten: Oranjestad: zweigeteilte Skyline: flache Häuschen downtown hinterm Hafen und klotzige Hotelburgen randwärts hinter den weißen Stränden. Vom Golde soll sich der Name des Inselchens herleiten: Spanisch ruba – Rot und ore – Gold. Tatsächlich gabs hier bis 1919 für fast 100 Jahre einen Goldrausch. Längst sichert hier aber der Tourismus den relativen Wohlstand.

 

Einst galt die Insel sogar als nutzlos, verkauften die Spanier Aruba schließlich im 17. Jahrhundert sogar an die Holländer. Nunmehr ist Aruba wie Sint Maarten und Curaçao autonomer Teil des Königreiches der Niederlande. Und das Kreol, das hier wie auf den anderen beiden so genannten ABC-Inseln (Bonaire und Curaçao) gesprochen wird, heißt Papiamento und spiegelt als Mix aus Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Französisch, Niederländisch und afrikanischen Sprachen hörbar die Siedlungsgeschichte.

 

In den letzten Monaten soll es hier fast ununterbrochen geregnet haben, was höchst selten ist, zumal in dieser Jahreszeit, doch so erscheint die Insel grün. Normalerweise wachsen hier vor allem Kakteen und Divi-Divi-Bäume, grazile Windflüchter, weht doch der Wind auf Aruba beständig von Nord, vom offenen Meer her, Richtung Festland. Nur etwa 30 km entfernt liegt die venezuelanische Küste.

 

Alle landwirtschaftlichen Versuche schlugen im Großen und Ganzen bis auf den Anbau von Aloe vera fehl. Klar, dass auch die Besichtigung einer Aloe-Fabrik auf unserem Programm steht. Ansonsten sehen wir die einst größte natürliche Brücke der Karibik, die allerdings 2005 zusammenbrach, besteigen merkwürdig geformte Felsen, die Casibari-Rocks, genießen einen wunderbaren Rundumblick, und kosten letztlich Aruba-Bier an der Nordspitze der Insel, am California-Leuchtturm, benannt nach einem hier gesunkenen Schiff. Überhaupt sollen hier diverse Schiffswracks in Küstennähe Schnorchelparadiese sein.

 

Als wir am Flughafen vorbeifahren zeigt der Guide auf den Radarturm und meint, der stehe zwar schon seit 18 Jahren, funktioniere aber immer noch nicht, und werde eigentlich auch nicht gebraucht, da hier stets auf Sicht geflogen werden könne. Schließlich wirbt Aruba damit, dass hier 365 Tage im Jahr Sommer sei.

 

Betico Croes ermutigte seine Landsleute auf Papiamento: „Si mi cai nach caminda, gara e bandera y sigui cu e lucha“. – (Ja, wenn ich gefallen bin, ergreife ich die Flagge und setze den Kampf fort.)

 

  

 

 

Eugenio Espejo

 

* (getauft) 21.2.1747 als Eugenio Francisco Xavier de la Santa Cruz y Espejo in Quito, † 27.12.1795, ecuadorianischer Autor und Arzt

 

Eugenio Espejo gilt als Vorkämpfer für die Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialherrschaft in Lateinamerika.

 

„Espejos Denken verbindet die Ideen der Aufklärung mit der sozialen und kulturellen Wirklichkeit des kolonialen Quito. Er war einer der ersten, die die Notwendigkeit einer Emanzipation von Spanien deutlich machten und die Eigenständigkeit seines Landes und ganz Amerikas proklamierten. Seine Pläne beinhalteten die Bildung eigenständiger souveräner Republiken, in denen alle Bürger dieselben Rechte haben sollten. Die Kirchengüter sollten säkularisiert bzw. verstaatlicht werden. In seinem Denken tritt das Ideal der Gleichheit von Indigenas, Mestizen und europäischen Kolonialisten deutlich hervor (ein Ideal, das im späteren Prozess, der zur Unabhängigkeit Ecuadors führte, nicht umgesetzt wurde), ebenso die Beschäftigung mit den Rechten der Frau. Seine Ideen waren, wenn auch in wichtigen Gesichtspunkten deutlich verändert, Grundlage für die erste Unabhängigkeitserklärung Ecuadors am 10. August 1809“, weiß Wikipedia

 

Im Alter von 39 Jahren verbannte man Eugenio Espejo, er kehrte jedoch in seine Heimatstadt Quito zurück, wurde erneut verhaftet und starb im Alter von 48 Jahren im Gefängnis.

 

  

 

 

Nusrat Fateh Ali Khan

 

* 13.10.1948 in Faisalabad, † 16.8.1997 in London, pakistanischer Sänger

  

Ich bin keine Stimme / ich bin das singende Feuer / Was du hörst, ist das Knistern in dir – sang Nusrat Fateh Ali Khan nach einem Vers Dschalal ad-Din Rumi. Bei seinen oft überlangen Konzerten wurde der Qawwali-Künstler tradiert von neun bis zehn Musikern begleitet, darunter einem Tabla- und einem Dholak-Trommler, zwei Harmonium-Spielern und drei Hand-Klatschern. Er veröffentlichte mehr als 125 Alben.

 

Auch in Europa und Nordamerika bekannt wurde Nusrat Fateh Ali Khan durch Peter Gabriels Soundtrack für Martin Scorceses Film „Die letzte Versuchung Christi“. 1990 begab er sich erstmals auf eine Welttournee. Im Jahr vor seinem Tod wurde Nusrat Fateh Ali Khan mit dem Fukuoka Asian Culture Prize geehrt.

 

 

 

 

Konstanty Ildefons Gałczyński

 

* 23.1.1905 in Warschau, † 6.12.1953 ebd., polnischer Dichter

  

Wariat pisze, a cham nie odpowiada. To się nazywa korespondencja, sagte Konstanty Ildefons Gałczyński: Der Verrückte schreibt, und der Flegel antwortet nicht. Das nennt man Korrespondenz.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte er das „kleinste Theater der Welt“, seine „Grüne Gans“ im vielgelesenen Warschauer Wochenblatt „Przekrój“. Hier zog er mit seinen Akteuren gegen die tagtägliche Dummheit, den wildgewordenen Kleinbürger wie den nationalistischen Spießer mit Witz und Nonsens ins Feld, vor allem mit: Professor Bączyński, Künstler und Angelologe, Kämpfer für die Wahrheit, das Schöne und das Gute, Abstinenzler; Hermenegilda Kościubińska, ein absolutes Fräulein und Vertreterin des polnischen Dolorismus; das lispelnde Eselscvhen Porphyrion und der Hund Fafik, Exzentriker, Gründer der Tierpost., wie alle anderen Jahrgang 1890; und Höllenpeter, ein Kerl der Straße und der Salons, Selfmademan, Visionär und Aphoristiker.

 

Jutta Janka schrieb in ihrem Nachwort zu einer Volk-und-Welt-Ausgabe von Gałczyńskis Pseudostücken: „Neben seiner ‚Grünen Gans’, der die Dramatik Tadeusz Różewicz wie Sławomir Mrożecks verpflichtet ist, neben Satiren und Sprachspielereien hat Gałczyński echte Dichtung hinterlassen, die gegen allen Anschein das Ergebnis konzentrierter und disziplinierter Arbeit ist: Liebes- und Naturlyrik sowie einige klangschöne und eigenwillige Poeme. […] Die polnische Gesamtausgabe seiner werke, die er nicht mehr erlebte, war im Nu vergriffen. Gałczyński lebt weiter in der Zuneigung, die ihm seine Leser heute wie damals entgegenbringen.“

 

 

 

 

 

Werner Lamberz

 

* 14.4.1929 in Mayen, † 6.3.1978 am Wadi Suf al-Jin, Libyen, deutscher Politiker

 

 

Werner Lamberz galt als Nachfolger Erich Honeckers und als Hoffnungsträger. Wohin hätte sich die DDR unter seiner Führung entwickelt? Wie hatte er sich positioniert, als in den 1960er Jahren die Weichen für den massiven Braunkohleabbau und gegen den Ausbau der Atomkraft oder für den Aufbau einer Autoindustrie gegen die Weiterentwicklung des öffentlichen Nahverkehr gestellt wurden?

 

Auf „Spiegel online“ war anlässlich seines 40. Todestages zu lesen: „Lamberz wurde aufgrund seines für ein ZK-Mitglied vergleichsweise jungen Alters, seiner Eloquenz, Mehrsprachigkeit, Weltgewandtheit und Offenheit (insbesondere auch gegenüber den Kulturschaffenden in der DDR) mancherseits bewundert und andererseits mit Distanz betrachtet. So wurde vor seinem Tod regelmäßig spekuliert, dass sich die Führung der DDR unter seiner Ägide verändern würde, was diese unterschiedlichen Reaktionen hervorrief.“

 

Werner Lamberz kam im Alter von 48 Jahren bei einem Hubschrauberabsturz in der lybischen Wüste ums Leben. Seine Leiche wurde jedoch nie gefunden. Spiegel: „Unmittelbar nach Bekanntwerden von Lamberz' Tod gab es bereits Spekulationen, ob es sich bei dem Unglück um ein Attentat gehandelt haben könnte…“

 

 

 

 

 

Marina Iwanowna Zwetajewa

 

* 8.10.1892 in Moskau, † 31.8.1941 in Jelabuga, russische Dichterin

  

Boris Pasternak sagte über Marina Zwetajewa: „Im Leben wie im Schaffen brach sie zielstrebig, gierig und fast raubtierhaft zu einer Endgültigkeit und Bestimmtheit durch, in deren Verfolgung sie weit gegangen ist und alle überholt hat.“

 

Ihr Gedicht „Die Dichter“ beginnt also nicht von ungefähr mit den Zeilen: Poet – aus Fernen führt er her die Rede. / Poet – die Rede führt ihn fort in Fernen

 

Elke Erb schrieb: „War das Schreiben ihr Medium, so war es doch ein Medium und nicht das Leben. – Als sie es aber aufnahm, identifizierte sie sich mit ihm. – Indem sie sich mit ihm identifizierte, übertrug sie ihm die zu durchlebenden Reifestufen. Das Medium durfte sich nicht beschränken darauf, nur zu bezeugen, es mußte erzeugen. Das war das Studium des Schreibens und sein Kriterium. – Die Verteidigung der Selbstbestimmung war eine zur Selbsterschaffung fortgeschrittene Selbstbestimmung, eine fortschreitende Selbsterschaffung geworden.“

 

Nach einem ereignisreichen Leben in Moskau, Nervi, Lausanne, Freiburg im Breisgau, Paris, Koktebel, Berlin, Prag und wieder Moskau wurde Marina Zwetajewa schließlich völlig mittellos nach Tatarstan evakuiert, wo sie sich erhängte.

 

 

 

 

 

Isaac Manuel Franscisco Albéniz

 

* 29.5.1860 in Camprodon, † 18.5.1909 in Cambo-les-Bains, spanischer Komponist

  

Isaac Albéniz, der „Spanische Rubinstein“ komponierte drei Opern, doch vor allem Solo-Klavier-Werke, so die „Suite española“, die „Cantos de España” und „Recuerdos de Viaje“ und nicht zuletzt: „Iberia“. Er gilt als der Begründer des spanischen Nationalstils, der folkloristische Elemente mit einem virtuosen Klaviersatz verbindet, nicht wenige seiner Stücke wurden von namhaften Gitarristen adaptiert.

 

Claude Debussy sagte über Eritaña“, das letzte Stück aus „Iberia“, „Niemals hat die Musik so vielfältige, so farbige Impressionen erreicht; die Augen schließen sich, wie vom Anschauen zu vieler Bilder geblendet.“

 

  

  

 

Karel Čapek

 

* 9.1.1890 in Malé Svatoňice, † 25.12.1938 in Prag, tschechischer Schriftsteller

  

„Er war nicht der größte, wohl aber der vielseitigste tschechische Schriftsteller“, urteilte F. C. Weiskopf, „Sein Werk umfaßt Dramen, Novellen, Romane, Reisebücher, Kurzgeschichten; er hat den tschechischen Feuilletonstil unendlich bereichert (das sogenannte Entrefilet, die betrachtende Glosse ist von ihm zu einem besonderen Genre entwickelt worden); sein Signum tragen Essays, Skizzen, Kritiken ohne Zahl. – Er war ein volkstümlicher Erzähler – aus ‚kleinen Verhältnissen’ gekommen, behielt er immer den Kontakt mit dem ‚kleinen Mann’ – und er wählte seine Stoffe zugleich aus dem ihn umgebenden alltäglichen tschechischen Leben und aus der weiten, internationalen Welt der technischen, sozialen, politischen Utopie. – So wurde er zu einem vielgelesenen Schriftsteller in der Heimat und zum meistgelesenen tschechischen Schriftsteller im Ausland. […] In den phantastischen Romanen und Theaterstücken, die Čapeks Ruhm begründeten, handelt es sich im Grunde immer um den Kampf des Menschen gegen die zusehends unmenschlicher werdende Welt des modernen Kapitalismus.“

 

Nicht von ungefähr taucht in seinem Drama „R U R – Rossum’s Universal Robots“, geschrieben zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg,  erstmals der Begriff „Roboter“ auf – robot – eine čapeksche Sprachschöpfung also. Und über seinen Roman „Der Krieg mit den Molchen“ sagte er 1936: Die Kritik bezeichnete ihn als utopischen Roman. Ich wehre mich gegen dieses Wort. Das ist keine Utopie, sondern das Heute. Es ist keine Spekulation mit irgend etwas, sondern eine Spiegelung dessen, was ist und worin wir leben. […] Es ging mir um die Wirklichkeit. Ich kann mir nicht helfen, aber eine Literatur, die sich nicht um die Wirklichkeit kümmert und um das, was tatsächlich in der Welt geschieht, die darauf nicht so stark reagieren will, wie es dem Wort und dem Gedanken gegeben ist, eine solche Literatur ist mein Fall nicht.

 

Karel Čapek starb wenige Tage vor seinem 49. Geburtstag an den Folgen einer Lungenentzündung, die er sich bei der Beseitigung von Hochwasserschäden zugezogen hatte.

 

 

 

 

 

Carl Friedrich Behrens

 

* 1701 in Rostock, † 1750, deutscher Entdecker

  

Carl Friedrich Behrens war der erste Europäer, der die Osterinsel betrat: am 9. April 1722, einem Ostersonntag, als Mitglied der Expedition des holländischen Admirals Jakob Roggeveen, der im Auftrag der Niederländischen Westindien-Kompanie auf der Suche nach dem Südkontinent war.

 

Jeanny und ich erreichten die Osterinsel am Mittwoch vor Ostern des Jahres 2006: Unglaublich eigentlich, dass wir zielsicher zu diesem einsamen, winzigen Eiland inmitten des riesigen Pazifiks finden und endlich aufsetzen. Die Landebahn sei eine extra lange, höre ich, von den Amis als Notpiste für Space-Shuttles gebaut. Wohl dem. Ausstieg aufs Rollfeld. Meeresschwüle, Signal, dass nun etwas ganz anderes beginnt. Im barackenähnlichen Terminal herzlicher Empfang durch unseren hiesigen Guide, Claudia, eine Rapa Nui, die perfekt Deutsch spricht (was das Ganze einmal mehr reichlich unwirklich macht) und uns Blumenkränze umhängt (sic). Einchecken im Hotel, tropischer Garten mit Datschas, frisch gepresster Mangosaft zur Begrüßung. Und auch die einheimische Hotelmanagerin spricht Deutsch (da sie mit einem Österreicher verheiratet ist)… Bis Mitternacht sitzen Jeanny und ich noch mit einem Bier am kleinen Pool, werden umweht von süßlichen Blu­mendüften, starren in den Vollmondhimmel (auch das noch), orientieren uns also am Kreuz des Südens.

 

Gründonnerstag: Geweckt von Hahnengekräh sogleich anbaden im Pool. Und langsam dämmert’s, dass man tatsächlich in Hanga Roa, der Hauptstadt der Osterinsel, ist. Aber was heißt Hauptstadt, zum einen gibt’s hier nur noch einen Ort und zum anderen ist das sichtlich ein Dorf: relativ weitläufig inmitten Grüns, ausschließlich Flachbauten, hie und da eine Kneipe, eine Kaufhalle, abenteuerliche Fußwege, die Kirche, der Gouverneurssitz, das Rathaus, die Post, die Schule, der Fußballplatz, der Hafen…

 

Nach dem Frühstück mit den Bus hinaus zu den alten Siedlungen. Zuerst nach Vaihu. Dies sei die letzte Stätte, die aufgegeben wurde, erklärt Claudia, erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als nach der Umweltkatastrophe und dem folgenden gesellschaftlichen Zusammenbruch, nach durch Europäer eingeschleppte Seuchen und Verschleppung in Sklaverei auf peruanische Guano-Inseln, kaum mehr als 100 Rapa Nui übrig geblieben waren, ergo die direkten Vorfahren der heutigen Osterinsulaner. (Wobei nun etwa ein Fünftel der Bevölkerung, ca. 800 Leutchen, zugezogene „Festland-Chilenen“ sind.) Wie eine Torte war dieses Inselchen einst unter den vermutlich 12 Rapa-Nui-Clans aufgeteilt: Man siedelte ringsum an der Küste, errichtete dort nahebei die Kultstätten, die Ahus, wo die Toten bestattet und dann die weltberühmten Kolossalfiguren, die Moai, aufgestellt wurden. Jeder Clan hatte je Ansehen und wirtschaftlicher Stärke einen oder mehrere Ahu, auf denen ein oder mehrere Moai standen, die mehr oder weniger groß waren und im Idealfall auch noch einen Pukao, den roten Kopfschmuck trugen. Durchaus vorstellbar, dass im blinden Eifer um die protzigste Figur, die protzigste Kultstätte, die Insel nach und nach komplett entwaldet wurde (Baumstämme als Mittel zum Moai-Transport…!). Und als infolgedessen alle Ressourcen knapp wurden, der Kampf um die Lebensmittel, ums Überleben schlechthin einsetzte, stürzte offenbar der eine Clan die Figuren des anderen von den Ahu, wachten die Moai, die Ahnenfiguren, mit ihrem Mana, ihrer mythologischen Stärke, doch über das jeweilige Stammesland, das sie überschauten. (Deshalb blickten die Moai in der Regel auch nicht aufs Meer.) Und waren die Moai dann erst einmal gestürzt (am Ende lagen alle mit den Nasen im Dreck), gab es keinerlei Tabus mehr, kam es sogar zum Kannibalismus. Angeblich soll eine der übelsten Beschimpfungen aus jener üblen Zeit gewesen sein: Das Fleisch deiner Mutter hängt zwischen meinen Zähnen…

 

Nach Vaihu besichtigen wir die Ahu Akahanga, Hanga Tetenga und Tangaroa. Letzterer dürfte mit seinen 15 Moai wohl der imposanteste der Insel sein. Selbstredend war auch hier alles verwüstet und ein Tsunami hatte 1960 das Zerstörungswerk vollendet. Japanische Experten puzzelten jedoch alles wieder zusammen und richteten die Kolosse mittels Spezialtechnik schließlich wieder zu altem Ansehen auf. (Wenn man genau hinsieht, entdeckt man am Hals etlicher Moai, da, wo der massige Kopf durch den Sturz abbrach, nunmehr aber eine Zementkrause.) Im Übrigen scheinen bis dato zumindest die touristisch beeindruckendsten Ahu wieder hergerichtet.

 

Höhepunkt der heutigen Tour ist zweifellos der Moai-Steinbruch Ranu Raraku am Außen- und Innenhang des gleichnamigen Kraters. Berührend: hunderte Statuen aller Größen, von „kleinen“ 4-metrigen, bis zur allergrößten, fast 21 m messenden, die in unterschiedlichsten Bearbeitungsstufen, von fertigen, auf den Abtransport zu den Ahu an den Küsten wartend, über halbfertige, der Ausarbeitung von Feinheiten (Ohren, Augen, Hände) harrend, bis erst grob aus dem einzigartig weichen Fels der Vulkanhänge herausgemeißelt, mit der Basis noch mit dem Lavagestein verbunden. Schlagartig scheint diese unglaubliche Produktionsstätte aufgegeben worden zu sein – neben Figuren waren Jahrhunderte später (und sind teilweise sogar heute noch) Werkzeuge der Steinmetze – wie zur Frühstückspause mal eben fallen gelassen - zu finden! Schlagartig scheinen die Osterinsulaner offenkundig wichtigeres zu tun gehabt tun haben, als Ahnenkulten zu frönen, so sehr diese bis dahin auch das gesamte Alltagsleben, letztlich ihr Dasein bestimmt hatten…

 

So sehr ich mich in Vorbereitung auf diese Reise auch eingelesen hatte, beginne ich manches erst hier, als ich das alles, die Ahu, die Moai, den Steinbruch, in der Landschaft dieser Vulkaninsel sehe, zu begreifen. Gut auch, dass Claudia viel und kundig zu erzählen weiß, dabei aber stets Varianten anzubieten hat. Wer zehn Bücher über die Osterinsel gelesen hat, wird zehn verschiedene Erklärungen erfahren haben, meint sie schmunzelnd.

 

Bis ins Detail wird sich das Ganze, was sich hier einst ereignete, wohl nie mehr rekonstruieren lassen. Bestenfalls wird’s wohl eine asymptotische Annäherung an den Wahrheitsgehalt des Mysteriums Osterinsel geben.

 

Am Nachmittag dann vorbei am Poike, dem mit 2,5 Millionen Jahre ältesten Vulkan der Insel, zum Te Pito o Te Henua, zum Nabel der Welt - ein im Durchmesser etwa 80 cm großer, spiegelglatter, eiförmiger, magnetische Anomalien aufweisender Stein an der Nordwestküste. Bei Esoterikern aller Länder, die sich hier mittlerweile gern vereinen, ist dieser Stein sehr beliebt, höhere Mächte etc. im Spiel... Claudia meint jedoch, dass sie ähnliche von der Brandung glatt geschliffene Steine schnöde im Meer liegen sah. Interessanter insofern, dass Te Pito o Te Henua auch einer der drei herkömmlichen Namen der Insel ist. (Die anderen: Rapa Nui = großer, weiter Fleck, – und -nach Thor Heyerdahl- Mata Kite Rani = Himmelsauge). Claudia erzählt, sie könne sich vorstellen, dass der Inselname „Nabel der Welt“ daher käme, dass die Osterinsula­ner eines Tages, als der letzte Baum gefällt war und definitiv kein Holz mehr zur Verfügung stand, um seetüchtige Kanu zu bauen, die Rapa Nui sich quasi selbst in Gefangenschaft gebracht, sich völlig isoliert hatten, ihr Inselchen für sie folgerichtig zum Zentrum ihres Lebens, zum Wichtigsten und Einzigsten außer Wasser, Wasser und nochmals Wasser, eben zum Nabel der Welt wurde…

 

Schließlich bleibt sogar noch Zeit zum Baden, Baden am schönsten der wenigen Strände hier, in Anakena, zugleich auch Kultstätte mit zwei Ahu und sehenswerten Moai, inzwischen wieder gerahmt von einem neu angepflanzten Palmenhain – Südseeromatik pur. Und beim Schwimmen in dieser Bucht fällt es mir nicht allzu schwer vorzustellen, wie hier einst der sagenhafte Ahnherr der Rapu Nui, wie hier Hotu Matu’a mit den Erstsiedlern an Land ging, wie hier gut tausend Jahre später der Osterinsel-Namensgeber Roggeveen mit seinen Segelschiffen ankerte, dann James Cook mit Georg Forster, Adalbert von Chamisso mit Kapitän Kotzebue usw.usf.

 

Karfreitag: Die Geräusche der Nacht: lautes Grillengezirp, Hundegekläff und Brandungsrauschen und ab und an heranwehender polynesischer Gesang. Gegen Morgen dann wieder lauthals die Hähne und immer wieder trommeln Regengüsse aufs Dach. Allgegenwärtig auf Rapa Nui sind Pferde, mal in Herden frei durch die Graslandschaft streifend, mal die Wege kreuzend, blockierend. Und plötzlich galoppiert auch immer mal wieder ein Reiter durch Hanga Roa.

 

Nach wie vor scheint es mir hier zuweilen, als passiere manches nicht so ganz wirklich, und nicht zuletzt, da mit uns in der Reisegruppe (die sich glücklicherweise als unproblematisch erweist, keine Sonderwünschler, keine Stets-zu-spät-kommer, keine krampfhaft Anschluss Suchende) zwei stark schwäbelnde eineiige Zwillingsdamen unterwegs sind, die sich stets identisch kleiden, Gleiches essen und trinken (Pisco Sour) und sogar gleich lächelnd und gestikulieren. Und als sie dann auch noch gleiche Sonnenschirme aufspannen und so über die Insel spazieren denke ich, womöglich in ein neues Alice-Wunderland geraten zu sein…

 

Zu Beginn der für heute geplanten Tour gießt es wie aus Kübeln. Claudia sagt, dass die meisten der unbefestigten Inselwege für unseren Kleinbus so zumindest für eine Weile unpassierbar werden und schlägt vor, das Mögliche zu versuchen, variiert das Programm in der Hoffnung auf Wetterbesserung. Zuerst zu einer malerischen Höhle am Meer, Ana Kai Tangata, die so genannte Menschenfresserhöhle, mit allerdings zauberhaften Deckenmalereien, Seeschwalbenfresken. Durchaus verbreitet im polynesischen Raum war der Glaube, mit dem Fleisch eines Verstorbenen/Getöten auch dessen Mana, dessen Kraft, in sich aufzunehmen. Auf Rapa Nui schien der Kannibalismus jedoch vor allem mit dem Kampf ums nackte Überleben zu tun gehabt zu haben. Nächste Station: Puna Pau, der Pukao-Steinbruch auf einem kleinen Nebenvulkanhügel, hier wurden die roten Kopfbedeckungen der Moai, die wohl den traditionellen roten Kopfschmuck Höhergestellter nachahmen, aus dem Fels gehauen, die Hutfabrik also. Phantastischer Blick auf Hanga Roa.

 

Da langsam die Sonne durchbricht, die Hügellandschaft in ein wanderndes Licht-Schatten-Farbspiel taucht, bleiben wir noch ein bisschen und Claudia nutzt dies, uns Alltäglichkeiten zu erzählen: Schon im Kindergarten lernen die Einheimischen wie die hier wohnenden jungen Chilenen Rapa Nui und Spanisch. Die Grundschule durchläuft man auf der Insel, für höhere Schulen geht man zumeist aufs Festland ins Internat. Und studiert wird (oft mit speziellen Stipendien) auch auf Hawaii oder in Neuseeland. Dann kommen die jungen Leute aber zumeist auf die Insel zurück, suchen sich hier eine (zumeist nicht ihrer Qualifikation entsprechende) Beschäftigung. Ein Problem, keine Frage, doch Heimweh und Verwurzelungen scheinen stärker. Eine Tageszeitung gibt es nicht auf der Osterinsel, mit den derzeit fünf pro Woche landenden Flugzeugen kommen jedoch chilenische Zeitungen her. Fernsehnachrichten gab’s vor Jahren nur per Video, um eine Woche zeitversetzt. Nun ist man per Satellitenschüsseln und per Internet stets up to date. Und seit kurzem gibt es sogar Inselfernsehen: Der Bürgermeister und die Gouverneurin berichten über geplante Projekte oder man erfährt welcher Spezialist in dieser Woche in der Ambulanz anwesend ist, entweder der Zahnarzt oder der Tierarzt oder…

 

Weiter zum Ahu Akivi, der einzige Ahu, der keine Begräbnis-, sondern ausschließlich Kultstätte war. Nur hier blicken die Moai nichts ins Landesinnere, übers Stammesland, sondern aufs Meer hinaus. Die sieben Statuen hier sollen die sieben Botschafter sein, die der Ahnherr Hotu Matu’a der Legende nach (von Mangareva oder Hiva) einst aussandte, um neuen Siedlungsraum zu finden. So wurde Rapa Nui entdeckt. Fünf Boschafter blieben und bereiteten alles für die Landnahme vor, zwei fuhren zurück und brachten den König mit 500 Getreuen hierher. Die Geschichte der Erstbesiedlung also. Möglicherweise gab es später eine zweite Besiedlungswelle, waren die einen dann die so genannten Kurzohren, die anderen die Langohren, zwischen denen dann die tödlichen Rivalitäten ausbrechen sollten… Interessant, dass Wissenschaftler 1994 mit einem rekonstruierten Hochseekanu von Mangareva her nach 17 Tagen die Osterinsel erreichten.

 

Nach einer kleinen Erfrischungspause (schnell mal in den Pool gesprungen, da die Sonne schon wieder brennt), fahren wir zu den Ahu Vinapu I + II. Da der erste Heyerdahl stark an in Peru gesehene Mauern erinnerte, stellte er die (mittlerweile widerlegte) Theorie auf, die Osterinsel sei vom Festland her, von den Inka besiedelt worden. Anders als in Peru handelt es sich hier nicht um riesige, sorgsam zusammengefügte Steinblöcke, sondern nur um passgenaue Platten zur Umfassung des Ahu. Da diese Ahu-Bauweise jedoch einmalig ist (und der jüngere nahebei stehende Ahu Vinapu II bereits nicht mehr so kunstvoll ausgeführt wurde, sondern wieder in loser Steinaufschüttung) meint Claudia, dass die immer mal wieder auftauchende angebliche zweite Siedlungswelle möglicherweise eine verschwindend kleine Gruppe von Leuten war, die eventuell vom Festland kamen, Inka, die alsbald assimi­liert wurden, jedoch ihr Wissen kurzzeitig zum Ahu-Bau einbrachten. Tatsächlich scheinen jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse zu belegen, dass der Inka-Prinz Tupac Yupanqui im 15. Jahrhundert mit Segel-Flößen polynesische Inseln und auch Rapa Nui erreicht haben könnte…

 

Schließlich fahren wir zum Krater Rano Kau hinauf. Beeindruckender Blick über die Insel, dann über den Vulkanschlund, 200 m tief, 1.600 m im Durchmesser. Und hier oben befindet sich auch die Orongo-Kultstätte, nicht zuletzt bekannt geworden durch Kevin Costners Film „Rapa Nui“, dessen Originalteile hier gedreht wurden. Zum Meer mit den drei kleinen vorgelagerten Inseln Motu Kao Kao, Motu Iti und Motu Nui fällt die Krateraußenwand 300 m steil ab. Einmal im Jahr fand in Orongo der große Vogelmann-Wettbewerb statt, wurde der Vogelmann-Kult begangen.

 

Möglicherweise um 1680 könnte es infolge der Umweltkatastrophe zum Bürgerkrieg und/oder einem Militärputsch gekommen sein, was logischerweise auch zu neuen kulturellen und religiösen Ritualen und Verehrungen führte. Offenkundig brach der alte Moai-Ahnenkult zusammen und fortan wurde nur noch ein Gott aus der bisherigen polytheistischen Götterwelt verehrt: Makamake. Damit stieg der Vogelmann-Kult ins rituelle Zentrum auf. Nicht von ungefähr sicherlich, dürfte man sich in kanulosen Zeiten doch der ausweglosen Isolation bewusst geworden sein. Und Vögel hingegen stehen für ungebundene Freiheit, fliegen wohin du willst… Die Vogelmann-Verehrung, noch heute sichtbar in Petroglyphen und Höhlenmalereien, mit dem Wettbewerb um das erste Ei der Rußseeschwalbe, passt also bestens ins Bild.

 

Orongo ist ein seltsamer Ort, hoch oben auf dem Kraterrand des Rano Kau: Für die Häuptlinge, deren Gefolge und natürlich für die Wettkämpfer, wurden hier extra Häuser aus Stein gebaut, eine Art olympisches Dorf, hier wartete man Jahr für Jahr, dass die erste Rußseeschwalbe über den vorgelagerten Inselchen entdeckt wurde. Dann gab der Häuptling, dessen Wettkämpfer im vergangenen Jahr gewonnen hatte und der seitdem über Rapa Nui herrschte, das Startzeichen. Die Vertreter der Stämme rutschten auf Binsengeflechten die Klippen hinab, schwammen etwa 2 Kilometer durch Hai verseuchtes Wasser nach Moto Iti, warteten bis eine erste Schwalbe ihr Ei gelegt hatte, versuchten es einander streitig zu machen, schwammen zurück und kraxelten den Kraterrand wieder hinauf und übergab seinem Stammesoberhaupt dieses kostbare Ei. Nun regierte der für ein Jahr, bestimmte so u.a. wie die wenigen Lebensmittel verteilt wurden – nicht ganz unwichtig und interessante Konsequenz eines Fruchtbarkeitskults… der Wettkämpfer wurde belohnt, indem er sich eine von sieben Jungfrauen, die seit einiger Zeit vor dem Wettkampf in einer Höhle bei Anakena hausen mussten, um eine weißere, herrschaftlichere Haut zu bekommen, zur Frau wählen durfte. Zuvor deflorierte aber noch der oberste Priester die Auserwählte mit seinen Fingern. Welche Ehre. Claudia erzählt, dass die Statisten für den Costner-Film hauptsächlich Rapu Nui waren, die Insel während der Dreharbeiten durchaus von Hollywood profitierte. Als man dann jedoch das Endprodukt sah, war die Enttäuschung groß. Diese kitschig zentrale Liebesgeschichte, diese unzulässige Zusammenziehung der alten und neueren Kulte wie der gesellschaftlichen Ereignisse! Einhellig war man aber auch der Meinung, dass der Vogelmann-Kult gut dargestellt wurde.

 

Ostersamstag: In dieser Nacht wurde getrommelt, polyrhythmisch polynesisch. Und Dorfgespräch ist, das ein Kreuzfahrtschiff anlegen wird. Etwa 12- bis 15-mal im Jahr geschieht das mittlerweile. Meist kommen diese Schiffe wohl von Valparaiso her, stoppten vor der Robinson-Crusoe-Insel und fahren weiter nach Tahiti. 600 Leute werden heute erwartet - alle Busse und Taxis und Fremdenführer werden stehen habacht! -, aber zuerst einmal ist noch nichts von Touristenscharen und einem Luxusliner zu entdecken. Erst nachdem wir Tahai, die stimmungsvolle Kultstätte gleich hinter den letzten Hütten von Hanga Roa besichtigten, wo der einzige Moai aufragt, dem man unlängst wieder Korallenaugen einsetzte, und das Museo der Insel besuchten, taucht am Horizont auf einmal etwas größer werdendes Weißes auf. Meingott, wie müssen die völlig isolierten Insulaner einst aufs Meer hinausgestarrt haben, als die Segel der europäischen Entdecker näher kamen!

 

Im Museo fällt mir auf, dass nur Faksimiles der Rongorongo-Tafeln ausgestellt sind. Rongorongo, die einzigartige Schrift der Osterinsel, gab der Wissenschaft lange Rätsel auf. Heute glaubt man zu wissen, dass dies keine Laut-, sondern eine Zeichenschrift ist, deren Symbole den Priestern ermöglichten, rituelle Erzählungen zu memorieren, Gedächtnisstützen sozusagen. Das Wissen aber, wofür diese Symbole stehen, somit der Textinhalt selbst, ging fast vollständig verloren. Etwa 25 dieser hölzernen Schriftdokumente wurden im 19. Jahrhundert gefunden. Und alle befinden sich nun in europäischen oder amerikanischen Museen und Sammlungen. Eine Schande! Mit welchem Recht werden den Osterinsulanern, die eindeutig ihnen gehörenden und für die Rapa Nui Kultur und Identität unersetzbaren Tafeln vorenthalten? Nach köstlichem Abendessen (Thunfisch-Carpaccio und Cebiche –das sind Rohfischwürfel in Kokosmilchsauce mit Salat, Taro und Reis) zum Auftritt des „Ballet Cultural Rapa Nui – Kari Kari“. Und da scheint alles noch echt – die Tänzer und Tänzerinnen, Musiker und Sänger haben schlicht selbst Freude an ihren Tänzen und Gesängen „Hoko“ und „Sau Sau“, vermitteln uns glaubwürdig Osterinsel-Charme und -Flair.

 

Ostersonntag: Jeanny und ich gehen zur Ostermesse und erleben heutige Osterinsel-Alltagskultur in Reinform: ergreifend, wie zur Liturgie polynesisch gesungen wird. Die katholische Kirche war schon immer Weltmeister (sic!) darin, vorhandenes Brauchtum geschickt zu modifizieren und in eigene Rituale zu integrieren: An den Kirchenwänden neben Kreuz und dem Auge Gottes Abbilder des Vogelmannes und anderer hiesiger Gottheiten, die Pietà-Maria hat wunderschöne Rapa-Nui-Gesichtszüge und das Christkind ist mit einer Blumenkette geschmückt (der Priester im Übrigen auch). Im Anschluss an die Messe werden aus einem vor dem Altar stehenden Holztrog Mango und Bananen, Guaven und Papaya verteilt. Klar, auf der Südhalbkugel (oder zumindest auf der Osterinsel) fallen Ostern und Erntedank zusammen.

 

Mittags finden wir uns samt zahlreichen Einheimischen mitten in Hanga Roa zum Umu ein: In langer Schlange steht man fröhlich-geduldig vor dem traditionellen Erdofen an, in dem seit Stunden gegart wurde und erhält schließlich wie jeder andere hier ein Stück Fleisch, eine Süßkartoffel, ein Stück Bananenkuchen und einige kleine Bananen. Dann sitzt man gemütlich im Baumschatten beieinander und verzehrt dieses einzigartige Mahl. Umus gibt es seit Menschengedenken regelmäßig zu festlichen Anlässen auf Rapa Nui. Reihum fungiert nun immer eine (offenbar der wohlhabenderen Familien) als Gastgeber, beköstigt somit die gesamte Inselgemeinschaft. Und wie gesagt, auch jeder Fremde, der sich dazugesellt, ist ganz selbstverständlich willkommen und wird auch mit beköstigt. Schwer zu verstehen, weshalb von unserer Reisegruppe außer uns beiden nur noch eine Zahnarztfamilie beim Umu erscheint. Überhaupt stieß mir zuletzt auf, dass vor allem die älteren, alleinreisenden Damen der Gruppe (allesamt Westdeutsche) jede Situation nutzen um in Wortschwällen darzutun, wo sie alles schon waren auf dieser Welt. So bestaunte ich denn beispielsweise Umrisse von Hare Paengas (alte Rapa Nui Wohnhäuser in Bootsform) oder Hare Moas (hüttengroße, traditionelle Hühnerställe aus Stein) und wurde mit x-belieben Stories aus Australien, Äthiopien oder Ecuador vollgequasselt… Offenbar gehört es in bestimmten Kreisen zum guten Ton, fernste Länder anführen zu können, auch wenn man dort eigentlich nichts erfuhr und sah. Den Sonnenuntergang erleben Jeanny und ich in der Kultstätte Tahai, wo mit die ältesten Moai stehen, herrliche Farbspiele, Konturen, Silhouetten.

 

Ostermontag: Heute vor 284 Jahren also landete Carl Friedrich Behrens auf Rapa Nui und sein Admiral nannte das einsame Eiland einfältig ignorant Osterinsel. Wir fliegen ab. Ein letztes Mal sehen wir Rapa Nui aus dem Flugzeugfenster, gewinnen schnell an Höhe und dann wieder stundenlang nur Wasser, Wasser, Wasser.

 

  

 

 

Jakob Böhme

 

* 1575 in Alt-Seidenberg, † 17.11.1624 in Görlitz, deutscher Philosoph

  

Hegel nannte Jakob Böhme den „ersten deutschen Philosophen“, tatsächlich verfasste er als erster philosophische Werke in deutscher Sprache. Dabei hatte Jakob Böhme nie studiert, arbeitete als als Schumacher in Görlitz. Im Alter von37 Jahren hielt er seine Gedanken erstmals handschriftlich in seinem Werk „Aurora oder Morgenröte im Aufgang“ fest, das er eigentlich nicht veröffentlichen, nur seinen Freunden zum Lesen geben wollte. Doch Kopien der „Aurora“ kamen rasch in Umlauf. Und im Alter von 44 Jahren erschien dann sein zweites Werk im Druck „Die Beschreibung der drei Prinzipien göttlichen Wesens“. Sein Buch „Weg zu Christo“ und seine „Theosophischen Schriften sollten folgen.

 

Die Philosophie von Böhme zeichnet sich durch einen idealistischen Pantheismus aus, der stark mit materialistischen Elementen besetzt ist. Seine Weltanschauung entspricht den frühbürgerlichen Auffassungen“, weiß Wikipedia. „Böhme wurde von den Wirren der Zeit geprägt, so von den Nachwirkungen der Reformation und des Bauernkriegs, der Erstarrung des Protestantismus und der Gegenreformation, die seit den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts an Boden gewann, und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Im engeren Sinn war es der in Riten und Dogmen verharrende Protestantismus, der weite Bereiche des geistigen und praktischen Lebens in Deutschland bestimmte, gegen welchen sich Böhmes Lehre richtete.“

 

Seine Gedanken riefen neben Zustimmung jedoch auch Widerspruch hervor: Noch auf dem Sterbebett musste sich Jakob Böhme einem Glaubensverhör stellen, und es wurde sogar versucht, dem „Ketzer“ ein christliches Begräbnis zu verweigern. Und als er denn beigesetzt war, besudelte ein verhetzter Mob seine Grabstätte auf dem Görlitzer Nikolaikirchhof.

 

Denn wenn keine Natur wäre, so wäre auch keine Herrlichkeit und Macht, viel weniger Majestät, auch kein Geist; sondern eine Stille ohne Wesen, ein ewig nichts ohne Glanz und Schein.

 

  

 

 

Carlos Cardoso

 

* 1951 in Beira, † 22.11.2000 in Maputo, mosambikanischer Journalist

 

Jahr für Jahr kommen hunderte Journalisten bei ihrer Arbeit ums Leben, manche geraten in Schusslinien, andere werden ermordet. So auch Carlos Cardoso:

 

1992 gründete Carlos Cardoso die Zeitung „Savana“, 1997 das Wirtschaftsjournal „Metical“. 2000 recherchierte er über die Privatisierung der Banco Comercial de Moçambique, bei der 14 Millionen US-$ verschwunden waren und offenbar Niympine Chissano, der Sohn des mosambikanischen Präsidenten seine Finger im Spiel hatte.

 

Am 22. November 2000 wurde Carlos Cardoso im Zentrum der mosambikanischen Hauptstadt, in der Avenida dos Mártires da Machava erschossen.

 

 

 

 

 

Conrad Celtis

 

* 1.2.1459 in Wipfeld am Main, Beiname: Protucius, † 4.2.1508 in Wien, deutscher Humanist

 

Conrad Celtis, der „deutsche Erzhumanist“ lehrte Poetik an den Universitäten Erfurt, Rostock, Leipzig, Ingolstadt und Wien, und wurde in Nürnberg von Kaiser Friedrich III. zum „Poeta lauretaus“ gekrönt. In Krakau gründete er die erste wissenschaftliche Gesellschaft, die Sodalitas Vistulana, in Wien ein Collegium poetarum et mathematicorum, mit dem er eine Verbindung von Poesie und Naturwissenschaften anstrebte, und weiter die Sodalitas litteraria Rhenana sowie die Sodalitas litteraria Danubiana.

 

Als sein Hauptwerk gilt die „Quattuor libri amorum - Vier Bücher Liebesgedichte“, für die Albrecht Dürer Holzschnitt-Illustrationen fertigte. Celtis verfasste auch eine Poetik, die „Ars versificandi et carminum“, entwickelte das Konzept für die „Germania illustrata“, die alle damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur deutschen Geschichte vermitteln sollte, und trug hierzu neben Johannes Aventius und Beatus Rhenanus auch Artikel bei. Zudem gab er eine von ihm im Kloster Sankt Emmeran entdeckte Handschrift der Werke Hrotsvits von Gandersheim heraus, die „Opera Roswithae“.

 

Als Celtis seinen Tod nahen fühlte, ließ er für seine Freunde ein „Sterbebild“ fertigen, auf dem er mit geschlossenen Augen und trauernd im kostbaren Ornat des Poeta laureatus dargestellt wird. Er sitzt in einem Bogen aus zwei Lorbeergirlanden, an dem sich Spruchbänderr entlang winden, die Betrachtungen über Tod und Nachleben anstellen. Die Hände ruhen auf einem Stapel von vier Büchern mit den Kurztiteln seiner Werke.

 

Conrad Celtis starb im Alter von 49 Jahren an der Syphilis.

 

 

 

 

Chilperich I.

 

* um 535, † 9.10.584 in Chelles, fränkischer König

 

Chilperichs Zeitgenosse Gregor von Tours, seines Zeichens Geschichtsschreiber und Bischof, bezeichnete den Merowinger als „Nero und Herodes unserer Zeit“. Grund für diese miese Beurteilung dürfte gewesen sein, dass Chilperich gesagt haben soll: Siehe, unser Schatz ist arm, und unser Reichtum ist an die Kirchen gefallen; keiner herrscht jetzt überhaupt als allein die Bischöfe; unsere Macht ist dahin und an die Bischöfe der Städte gekommen.

 

Dabei galt Chilperich als gebildet, er verfasste sogar Gedichte, fügte dem lateinischen Alphabet vier neue Buchstaben hinzu, um es dem fränkischen Lautsystem anzupassen und ließ in Soissons ein Amphitheater und einen Cirkus bauen.

 

Venantius Fortunatus hingegen, Dichter seines Zeichens, lobte Chilperich über alle Maßen – immerhin war er fest am Merowingerhofe eingestellt.

 

Chilperich I. wurde im Alter von 49 Jahren bei der Jagd ermordet.

 

 

 

 

 

Qin Shihuangdi

 

* 259 v. Chr. als Ying Zheng in Handan, † 10.9.210 v. Chr. in Shaqui, chinesischer Kaiser

  

Qin Shihuandi war der erste Kaiser von China, Qin Shi Huang Di – zu gut Deutsch: Erster erhabener Gottkaiser von Qin. Als Kaiser von China hat sich ja schon so mancher Maulheld bezeichnet, gewiss hat keiner von denen aber wie Qin Shihuandi das fernöstliche Riesenreich als solches begründet, die Chinesische Mauer zu einer Länge von 4.100 km ausdehnen oder ein Straßen- und Kanalsystem aufbauen und eine fantastische Armee von 8.000 Terrakotta-Kriegern erschaffen lassen, die Schrift vereinfacht und die Sprache als Basis für eine gemeinsame Kultur sowie die Währung und das Maßsystem vereinheitlicht.

 

Qin Shihuangdi bestimmte aber auch, wie der Haarknoten der Männer zu sitzen und welche Form der Schnurrbart haben sollte, dass die Hüte der Amtsträger sechs Fuß hoch und die Karren der Bauern sechs Fuß lang sein mussten sowie mit wie viel Fett Karrenräder geschmiert werden durften, ließ Regenmengen und Dürren, Stürme und Insektenplagen registrieren und darauf achten, dass die von ihm vorgegebene Menge Saatgut auf die Felder seines Riesenreiches ausgebracht wurde, und und und…

 

Qin Shihuangdis Ansicht nach hatte sich jeder Bürger dem Nutzen des Staates unterzuordnen, zählte als Einzelner nichts, nur das Volk als Kollektiv war von Bedeutung. Nicht erstaunlich also, was dann Mao Zedong sagte: „Was war denn so außergewöhnlich an Qin Shihuang? Er hat 460 Gelehrte lebendig begraben; wir haben 46.000 Gelehrte lebendig begraben. Dazu habe ich schon gewissen Demokraten entgegen gehalten: Ihr glaubt, ihr könnt uns beleidigen, wenn ihr uns als Qin Shihuang bezeichnet, aber ihr irrt, wir haben Qin Shihuang hundertfach übertroffen! Ihr bezeichnet uns als Despoten – wir bekennen uns gern zu diesen Eigenschaften, wir bedauern nur, dass ihr derartig hinter der Wahrheit zurück bleibt, dass wir eure Vorwürfe ergänzen müssen!“

 

Nach dem der Erste erhabene Gottkaiser von Qin gestorben war, versuchte man seinen Tod möglichst lange geheim zu halten, um Unruhen zu verhindern, seine Leiche wurde wochenlang in einer geschlossenen Sänfte umhergetragen, hinter der ein Karren mit getrocknetem und einer mit verfaulten Fisch hergezogen wurden, um den Verwesungsgeruch zu unterdrücken.

 

Oh Mann – da dürften selbst Maulaffen verstummt sein.

 

 

 

 

 

Thomas von Aquin

 

* wohl 1.1.1225 auf Schloss Roccasecca bei Aquino, † 7.3.1274 in Fossanova, italienischer Philosoph

  

Thomas von Aquin, jüngster Sohn des Grafen von Loreto und Belcastro, trat gegen den Willen seiner Familie in den Bettelorden der Dominikaner ein und wurde zu einem der nachhaltigsten Lehrer der römisch-katholischen Kirche, zum „Doctor Angelikus“, sowie wirkungsmächtigen Philosophen und schließlich sogar zum Heiligen.

 

Thomas von Aquin starb überraschend auf der Reise zum Zweiten Lyoner Konzil, Dante vermutete durch vergiftetes Konfekt. Nun ja, Luther immerhin erzählte gern die Anekdote, dass Thomas von Aquin so wohlgenährt war, dass für seinen ansehnlichen Bauch eine Aussparung in die Tischplatte gesägt worden sei.

 

 

 

 

 

Thomas Urquhart

 

* 1611 in Cromarty, † 1660 ebd., schottischer Dichter

  

Als Thomas Urquhart hörte, Karl II. sei der neue König von England, Schottland und Iralnd, soll er sich allen Ernstes totgelacht haben.

 

Da befand er sich unversehens in erstaunlicher Gesellschaft:

 

Der griechische Maler Zeuxis von Herakleia soll sich beim Betrachten eines eigenen Gemäldes zu Tode gelacht haben, der antike Komödiendichter Philemon der Ältere über einen frechen Esel, ebenso der Philosoph Chrysippos von Soloi. König Martin I. der Aragon starb bei einem Lachausbruch, der Dichter Pietro Aretino fiel beim Lachen vom Stuhl und brach sich das Genick, der amerikanische Landwirt Wesley Parsons verschied nach einem einstündigen Lachkrampf, dem sich ein zweistündiger Schluckauf anschloss, der englische Maurer Alex Mitchel nach einem halbstündigen Lachanfall beim Sehen der Fernsehserie „The Goodies“.

 

Im Monthy-Python-Sketch „The Funniest Joke in the World” setzt die British Army einen Witz, der so gut ist, dass er jeden, der ihn hört, tötet, als Waffe gegen die Wehrmacht ein.

 

William Löbe mahnt in seinem „Illustrieren Lexikon der gesammten Wirtschaftskunde“: „Mit dem Lachen ist jedoch Maß und Zeit zu halten; denn die Redensarten: sich kranklachen, buckelig lachen, vor Lachen bersten wollen etc., sind nicht ganz aus der Luft gegriffen. Das Blut dringt nämlich beim Lachen nach Hals, Kopf, den Lungen und dem Herzen, und wenn dieses im Uebermaß und zu gewaltsam geschieht, so können allerdings seh schlimme Folgen daraus entstehen.“

 

Und Carl Gerold schreibt in seiner „Darstellung des menschlichen Gemüths in seinen Beziehungen zum geistigen und leiblichen Leben“: „… nachtheilig wirkt das Lachen bey Vollblütigen und bey solchen Individuen die eine Neigung zu Entzündungskrankheiten oder zur Apoplexie haben, die sehr reizbar und von zartem Körperbau sind… Gänzlich muß endlich das Lachen bey solchen Menschen vermieden werden, die an Herzkrankheiten und Anevrysmen leiden. Man hat sehr viele Fälle, wo das Lachen plötzlichen Tod bewirkte, aufgezeichnet.“

 

 

  

 

Rubén Dario

 

* 18.1.1867 als Félix Rubén García y Sarmiento in Metapa, † 6.2.1916 in León, nicaraguanischer Schriftsteller

  

Gabriel García Márquez sagte in einem Gespräch über seinen Roman „Der Herbst des Patriarchen“, in dem Rubén Darío eine Rolle spielt: „Als ich mich auf das Abitur vorbereitete, war Literatur für mich die Poesie, und schon damals kannte ich Rubén Darío und alle spanischen Klassiker auswendig. Nicht nur, dass ich sie kannte und rezitierte, sondern ich sang sie auch fortwährend. Im Roman hat Rubén Darío nicht allein jenen Auftritt, und nicht allein in jenem Augenblick wird auf ein paar von seinen Versen angespielt. In dem ganzen Roman findet sich Darío Hunderte, Tausende Male zitiert. Seine Verse erscheinen in jedem Augenblick, ohne dass seine Autorenschaft angegeben wird. Der ganze ‚Herbst des Patriarchen’ ist eine Huldigung für Rubén Darío.“

 

Als sich Federico García Lorca und Pablo Neruda 1934 in Buenos Aires begegneten, hielten sie gemeinsam einen Vortrag über Rubén Darío:

 

Lorca: Er schenkte uns mir einem Eigenschaftswort das Rauschen des Waldes, und wie Fray Luis de Granada, Beherrscher der Sprache, machte er zu Sternbildzeichen die Zitrone, den Huf des Hirschs und ie Schalentiere voller Schrecken und Unendlichkeit: er ließ uns mit Fregatten zu Wasser und Schatten in unseren Aufäpfeln und baute eine gewaltige Promenade aus Gin am grauesten Abend, den der Himmel je erlebte, und grüßte von dir zu dir den dunklen Südwind, ganz Brustton wie ein romantischer Dichter, und legte die Hand auf das korinthische Kapitell mit dem spöttisch-traurigen Zweifel aller Epochen.

 

Neruda: Sein roter Name verdient, dass wir uns seiner Wesenszüge erinnern mit den fürchterlichen Schmerzen seines Herzens, seiner weißglühenden Ungewissheit, mit seinem Abstieg durch die Spiralen der Hölle; seinem Aufstieg zu den Schlössern des Ruhms, seinen Merkmalen eines großen Dichters, der immer unentbehrlich war und es immer sein wird…“

  

 

Und ein schwarzer Schwan sagte: „Die Nacht kündigt den Tag

 

                                                                                       an.“

 

Und ein weißer: Das Morgenrot ist unsterblich, das Morgenrot

 

ist unsterblich!“ Oh, Länder der Sonne und Harmonie,

 

noch birgt Pandoras Büchse die Hoffnung!

 

 

 

Mouloud Feraoun

* 8.3.1913 in Tizi Hibel, Kabylei, † 15.3.1962 in Algier, algerischer Schriftsteller

 

Mouloud Feraoun arbeitete als Lehrer und Schuldirektor und verfasste acht Bücher. Für seinen Debütroman „Der Sohn des Armen“ wurde er mit „Grand prix littéraire“ von Algier, für „Vergeltung unter Tage“ mit dem „Prix Populiste“.

Eine Woche nach seinem 49. Geburtstag wurde Mouloud Feraoun von einem französischen Terrorkommando ermordet.

 

  

 

 

 

Gustav Landauer

 

* 7.4.1870 in Karlsruhe, † 2.5.1919 in München-Stadelheim, deutscher Schriftsteller

  

Je tiefer ich mich in mich selbst heimkehre, um so mehr werde ich der Welt teilhaftig, schrieb Gustav Landauer in seinem Essay „Skepsis und Mystik“: Je fester ein Individuum auf sich selbst steht, je tiefer es sich in sich selbst zurückzieht, je mehr es sich von den Einwirkungen der Mitwelt absondert, um so mehr findet es sich als zusammenfallend mit der Welt der Vergangenheit, mit dem, was es von Hause aus ist. Nur durch eine solche Absonderung sei es möglich, zur Gattung Mensch durchzustoßen und in weiterer Folge dann zur Gemeinschaft mit der Welt.

 

In seiner Schrift „Aufruf zum Sozialismus“ sah der Anarchist Landauer einen Weg dorthin durch: … die Aufhebung des Eigentums wird im wesentlichen eine Umwandlung unseres Geistes sein; aus dieser Wiedergeburt heraus wird eine mächtige Neuverteilung des Besitzes hervorgehen; und in Verbindung mit dieser Neuaufteilung wird der Wille stehen, das Land in künftigen Zeiten, in bestimmten oder unbestimmten Abständen wieder und wieder neu zur Verteilung zu bringen.

 

Folgerichtig engagierte er sich in der Münchner Räterepublik und wurde nach deren Niederschlagung im Gefängnis ermordet.

 

Auf Gustav Landauers Grabstein steht sein Satz: Es gilt jetzt, noch Opfer anderer Art zu bringen, nicht heroische, sondern stille, unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben Beispiel zu geben.

 

 

  

 

 

Luise Adelgunde Victorie Gottsched

 

* 11.4.1713 als Luise Adelgunde Victorie Kalmus in Danzig, † 26.6.1762 in Leipzig, deutsche Schriftstellerin

  

Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch nennt Luise Adelgunde Victorie Gottsched „eine der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts.“ Keinesfalls war sie also nur die Mitarbeiterin ihres berühmten Mannes. Anlässlich einer Audienz in Wien sagte Kaiserin Maria Theresia sogar, sie sei die gelehrteste Frau Deutschland.

 

Das bekannteste Stück der „Gottschedin“ war die Satire „Die Pietisterey im Fischbein-Rocke“. Sie verfasste aber auch die „Geschichte der lyrischen Dichtkunst der Deutschen“ und schrieb Gedichte.

 

Die „Gottschedin“ starb nach mehreren Schlaganfällen teilweise gelähmt wenige Wochen nach ihrem 49. Geburtstag.

 

 

 

 

Richard Sorge

 

* 4.10.1895 in Subunçu, Aserbaidschan, Pseudonym: R. Sonter, Deckname: Ramsay, † 7.11.1944 in Toshima, Tokio, deutscher Schriftsteller

 

Wer weiß, in was für einer Welt wir heute leben würden, hätte Stalin seinem Spion Richard Sorge vertraut, der aus Japan den genauen Termin des Angriffs Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion nach Moskau gefunkt hatte, und zudem, dass sich Japan nicht an diesem Überfall beteiligen werde.

 

Wer weiß. Wer weiß…

 

 

 

 

 

Frederick Grant Banting

 

* 14.11.1892 in Allston, Ontario, † 21.2.1941 bei Musgrave Harbour, Neufundland, kanadischer Chirurg

 

 Frederick Grant Banting war erst 31 Jahre alt, als er mit dem Medizinnobelpreis geehrt wurde, somit bislang der jüngste Preisträger in dieser Sparte und zugleich der erste Kanadier, der einen Nobelpreis gewann. Er hatte das Insulin entdeckt.

 

Als Kanada in den Zweiten Weltkrieg eintrat, meldete sich Frederick Grant Banting freiwillig zum Kriegsdienst und kam im Alter von 49 Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

 

 

 

 

 

Konstantinos XI. Palaiologos

 

* 9.2.1404 in Konstantinopel, † 29.5.1453 ebd., byzantinischer Kaiser

 

 

 

Mit dem Tod Kaiser Konstantin II. erlosch offiziell das oströmische Kaisertum, das fast 1.100 Jahre bestanden hatte. Konstantin II. fiel bei der Verteidigung seiner Hauptstadt Konstantinopel gegen die Osmanen und Sultan Mehmed II.

 

  

 

 

 

Gustav Albert Lortzing

 

* 23.10.1801 in Berlin, † 21.1.1851 ebd., deutscher Komponist

  

Jürgen Lodemann bezeichnete Albert Lortzing als „Spielopernweltmeister“, und tatsächlich schuf Lortzing nach wie vor beliebte Opern wie „Zar und Zimmermann“, „Hans Sachs“, „Casanova“, „Der Wildschütz“, „Undine“ oder „Der Waffenschmied“.

 

Immer wieder eckte er jedoch bei Zensurbehörden an, 1845 wurde in als Kapellmeister in Leipzig gekündigt, 1848 in Wien. Lortzings in jenem Revolutionsjahr entstandene Freiheitsoper „Regina“ wurde zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt, seine Märchensatire auf den preußischen Militärstaat „Rolands Knappen“ erstmals unzensiert im Mai 2005.

 

Und obwohl Albert Lortzing wie ein Weltmeister komponierte, starb er letztlich hochverschuldet.

 

  

 

 

 

Christian Andreas Doppler

 

* 29.11.1803 in Salzburg, † 17.3.1853 in Venedig, österreichischer Mathematiker und Physiker

  

Wer kennt nicht den Doppler-Effekt: die zeitliche Stauchung bzw. Dehnung eines Signals bei Veränderung des Abstands zwischen Sender und Empfänger während der Dauer des Signals – ausgesendet durch ein Martinshorn beispielsweise, erst: tatü…, dann taataa

 

Im Jahr 1996 wurde ein Asteroid „Doppler“ genannt – des Effektes wegen? Mal hören…

 

 

 

 

 

Hans Hansen

 

* 14.11.1920 in Mikladalur, genannt auch: Hans í Mikladali, † 8.3.1970 in Kopenhagen, färöischer Maler

  

Hans Hansen war Fischer und wurde Maler. Er schuf vor allem Fresken, Mosaike und Ölgemälde, als charakteristisch für seine Landschaften und Porträts gelten eine klare Form, die Reinheit und Leuchtkraft der Farben sowie ein nicht zu übersehender lyrischer Grundton. Eines seiner großen Fresken kann in der Volkshochschule der Färöer, in Tórhavn, bewundert werden.

 

 

 

Verne Troyer

* 1.1.1969 als Vernon Jay Troyer in Sturhis, Michiganr, † 21.4.2018 in Van Nuys, Kalifornien, amerikanischer Schauspieler

 

Verne Troyer debütierte im Alter von 24 Jahren in einer Nebenrolle. Vier Jahre darauf wurde der nur 81 Zentimeter große Schauspieler durch seinen Auftritt in „Man in Black“ bekannt, und wenig später durch seine Verkörperung des kleinwüchsigen Klons Min-Me in Austin-Powers-Filmen berühmt. Er spielte dann auch in „Harry Potter und der Stein der Weisen“.

Verne Troyer starb im Alter von 49 Jahren infolge einer Alkoholvergiftung.

 

 

  

 

 

Lothar Aermes

 

* 17.11.1950 in Hettstedt, † April 1999 in Bad Suderode, deutscher Autor

  

Bildbeschreibung: Lothar Aermes, Wilhelm Bartsch und Jürgen Jankofsky stehen im Wald. Herbst. Wanderpause irgendwo oberhalb von Alexisbad. Wir kippen Bier aus Dosen. Lothar hatte Kollegen zu einer Harz-Wanderung eingeladen: Tag für Tag Lesungen in einem anderen Ort. An diesem Abend würden wir im Schloss Harzgerode lesen, Willi neue Gedichte, ich neue Miniaturen, und Lothar stolz aus seinem ersten Kinderbuch:

 

„Im Harzgebirge. Noch liegt die Nacht bei Wald und Schloß. Nur König Helmuts mächtiges Schnarchen stört die Ruhe und hat die neugierige Elster aufgeweckt…

 

Elster: Oh, wie langweilig. Alles schläft. Auch der Türmer auf dem  Schloß. Den stört gar nicht, daß er eigentlich im Dienst ist. Wenn wenigstens Oberteufel Luzifer oder Oberhexe Watelind kämen. Wenn die sich begegnen, ist immer etwas los. Jeder will hier im Harz der Chef sein.

 

Der König, die Watelind, der Luzifer. Fehlt nur noch, dass sich Hexe und Teufel vertragen haben. Oh wie langweilig“

 

Das Foto schoss wohl einer der Brüder oder eine der Schwestern aus westlichen Landen, die sich erstmals mit uns auf solch eine Reise begeben hatten. Ja. Lothar versuchte der Harz-Tristesse zu entkommen und zusammenzubringen, was neuerdings zusammengehörte.

 

Alsbald schien er jedoch nicht mehr so recht enthusiasmiert, dass dies in absehbarer Zeit gelingen könnte und kippte sein Bierchen nicht mehr nur im Wald. Und nicht von ungefähr hieß die zuletzt von ihm gesendete Fernsehglosse „Das Wasser steht uns bis zum Hals.“

 

„Teufel: Du weißt genau, daß wir eine Mauer brauchen, um unser Reich vor Konkurrenz zu schützen.

 

Hexe: Wir? Ich brauche keine Mauer. Papperlapapp…“

 

Prost, Lothar!

 

 

 

 

 

 Wilhelm Heinrich Immanuel Bleek

* 8.3.1827 in Berlin, † 17.8.1875 in Kapstadt, deutscher Sprachwissenschaftler

 

Wilhelm Bleek promovierte in Bonn über die „Nominalklassen der afrikanischen Sprachen“ und ging zwei Jahre später nach Kapstadt, wo er sich der weiteren Erforschung der Bantu- und Khoisan-Sprachen sowie der Sammlung afrikanischer Märchen und Sagen widmete.

Seine Veröffentlichungen gelten neben denen Heinrich Barths zu den wichtigsten Beiträgen zur Afrikanistik in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Elias Canetti hielt Bleeks Werk über „Buschmann-Folklore“ sogar für das kostbarste Dokument der frühen Menschheit.

Wilhelm Bleek starb im Alter von 49 Jahren in einem Kapstädter Krankenhaus.

 

 

 

 

Nikolai Iwanowitsch Bucharin

 

* 9.10.1888 in Moskau, † 15.3.1938 ebd., russischer Philosoph und Politiker

  

Im Jahr 1920 schrieb der marxistische Wirtschaftstheoretiker und Philosoph Bucharin:Die kommunistische Revolution kann nur als Weltrevolution siegen. Wenn z.B. die Arbeiterklasse in irgendeinem Land sich der Macht bemächtigte, in anderen Ländern aber das Proletariat, nicht aus Furcht, sondern aus Überzeugung dem Kapital ergeben bliebe, würden schließlich die großen räuberischen Staaten dieses Land erwürgen

 

Bucharin hatte an den russischen Revolutionen 1905 und 1917 teilgenommen und wurde 1938 im Zuge der „Stalinschen Säuberungen“ erschossen.

 

 

  

 

Paul Celan

 

* 23.11.1920 als Paul Antschel in Czernowitz, † vermutlich 20.4.1970 in Paris, Lyriker

  

Das Gedicht kann, da es ja eine Erscheinungsform der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist, eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem – gewiß nicht immer hoffnungsstarken – Glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht. Gedichte sind auch in dieser Weise unterwegs: sie halten auf etwas zu. Worauf? Auf etwas Offenstehende, Besetzbares, auf ein ansprechbares Du vielleicht, auf eine ansprechbares Wirklichkeit, sagte Paul Celan anlässlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen.

 

Paul Celan, geboren als deutsch-jüdischer Eltern in der Bukowina, als Zweiundzwanzigjähriger in ein Getto eingewiesen, dann in ein Arbeitslager deportiert, Flucht zur Roten Armee, nach dem Krieg Kulturredakteur in Rumänien, im Alter von 27 Jahren Übersiedlung nach Wien, dann nach Paris, dort mit dreißig Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Ecole Normale Supérieure der Sorbonne, mit neunundvierzig Freitod in der Seine.

 

Paul Celans bekanntestes Gedicht dürfte die „Todesfuge“ sein:

 

 

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

 

wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus

 

                 Deutschland

 

wir trinken dich abends und morgens wir trinken und

 

                 trinken

 

der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist

 

                 blau

 

er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau

 

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

 

er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in

 

                 der Luft

 

er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein

 

                 Meister aus Deutschland

  

 

dein goldenes Harr Margarete

 

dein aschenes Haar Sulamith

  

 

In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises sagte Paul Celan: Die Dichtung, meine Damen und Herren -: diese Unendlichsprechung von lauter Sterblichkeit und Umsonst!

 

 

  

 

 

Antero Tarquinio de Quental

 

* 18.4.1842 in Ponta Delgada, Azoren, † 11.9.1891 ebd., portugiesischer Dichter

  

Antero de Quental gilt als bedeutendster Dichter Portugals im 19. Jahrhundert. Zudem wirkte er als Sozialreformer, dem eine geistige Revolution in seinem Lande vorschwebte, und er gründete 1875 sogar die Partido Socialista Português mit.

 

Glückselig wer vorüberging am Weh

 

Des Lebens und der Leidenschaft Getose

 

Unwissend, wie vorübergeht die Rose,

 

Und flüchtig, wie der Schatten ob der See.

 

  

Im Alter von 49 Jahren feuerte Antero des Quental auf dem Hauptplatz von Ponta Delgada zwei Pistolenschüsse auf sich ab und verletzte sich so schwer, dass er zwei Stunden später verstarb.

  

 

Dein Leben war ein Traum, begriffen kaum

 

Und leicht und Lieblichkeit Du trankest;

 

Du wachtest auf und lächeltest und sankest

 

Zurück in Deinen unterbroch’nen Traum.

 

  

 

 

Jacques Brel

 

* 8.4.1929 als Jacques Romain Georges Brel in Schaarbeek, † 9.10.1978 in Bobigny, belgischer Chansonnier

 

 In „La Bastille“ sang der große Chansonnier Jacqeul Brel:

 

Dis-le-toi désormais

 

Même s’il est sincère

 

Aucun rêve jamais

 

Ne mérite une guerre… -

 

Sag dir von nun an

 

Daß kein Traum

 

Selbst kein ernstzunehmender

 

Einen Krieg wert ist…

  

 

Und er wirkte auch als Schauspieler und in Musicals, so in „Der Mann von La Mancha“, in dem er sich als Don Quichotte sah:

 

Brûle encore, bien qu’ayant tout brûlé

 

Brûle encore, même trop, même mal

 

Pour atteindre à s’en écarteler

 

Pour atteindre l’inaccessible étoile…. -

 

Brennt noch selbst wenn er alles verbrannt hat

 

Brennt noch, sogar zu sehr, sogar schlecht

 

Bis er sich vierteilt, um ihn zu erreichen

 

Um ihn zu erreichen, den unerreichbaren Stern…

 

  

Dann sah er für sich aber nur noch die Möglichkeit, auszubrechen aus seinen Alltagen, aus der westlichen Welt, und ließ sich wie Gauguin auf den Marquesas, auf Hiva Oa, nieder.

 

Voici qu’une île est en partance

 

Et qui sommeillait en nos yeux

 

Depuis les portes de l’enfance…-

 

Eine Insel die die Anker lichtet

 

Und die seit den Pforten der Kindheit

 

In unseren Augen schlummerte…

 

Für eine Chemotherapie kehrte Jacques Brel noch einmal nach Europa zurück und starb hier im Alter von 49 Jahren. Beigesetzt wurde er unweit Gauguins auf Hiva Oa.

 

 

  

 

Georgi Iwanow Markow

 

* 1.3.1929 in Sofia, † 11.9.1978 in London, bulgarischer Schriftsteller

  

Im Jahr 1969 emigrierte Georgi Markow aus Bulgarien nach Italien, ging dann nach London, wo er bei BBC und in Radio Free Europa die Führung seines Heimatlandes kritisierte und über Todor Schiwkow, den Chef der Kommunistischen Partie Bulgarien, spottete.

 

Im Jahr 1978 stach ihm auf der Waterloo Bridge ein Agent des bulgarischen Geheimdienstes mit einer Rizin vergifteten Regenschirmspitze in die rechte Wade. Vier Tage darauf starb Georgi Markow an Herzversagen.

 

Im Jahr 2000 wurde Georgi Markow mit dem höchsten bulgarischen Orden „Stara Planina“ geehrt.

 

  

 

 

 

Archibald Stansfeld Belaney

 

* 18.9.1888 in Hastings, England, † 13.4.1938 in Prince Albert, Kanada, Trapper und Autor

  

Walter Bauer schrieb über Archibald Stansfield Belaney das Buch „Wäscha-kwonnesin. Der weiße Indianer. Die Geschichte eines abenteuerlichen Lebens“, ein Buch, das von Richard Attenborough als „Grey Owl“ verfilmt wurde (Titelrolle: Bierce Brosnan), ein Buch über einen Engländer, „der seine Vergangenheit abgestreift hatte, um eine andere Identität zu gewinnen, und in ihr lebte. […] Er war Wäsche-kwonnesin geworden, weil er dort, wo ihm dieser Name gegeben worden war, zu Hause war.“ (Ojibwa: Wa-sha-quon-asin – Deutsch: Vogel, der nachts wandert).

 

In seiner Autobiografie sagt Wäscha-kwonnesin: Du bist ermüdet von Jahren der Zivilisation? – Sieh, ich komme und biete dir etwas an – ein einfaches grünes Blatt.

 

 

  

 

Uwe Johnson

 

* 20.7.1934 in Cammin, † vermutlich 24.2.1984 in Sheerness on Sea, England, deutscher Schriftsteller

 

Martin Walser sagte über Uwe Johnsons Roman „Mutmaßungen über Jacob“: Ich kann mir keine Prosa denken, die sich weniger aufspielt, die so dienlich ist, die ihren Reichtum nie beweisen will, die ihn nur der Sache zugute kommen lässt und dies unerschöpflich.“

 

Und Reinhard Baumgart schrieb: „Das deutsche Thema, das er verwaltet wie heute kein anderer Autor, meint also beileibe mehr als nur die Teilung des deutschen Staates. Eine alte deutsche Schizophrenie taucht hier auf, noch ungeheilt, aber schon heilbar: der Abgrund zwischen Innerlichkeit und Öffentlichkeit.“

 

Uwe Johnson, der „Dichter beider Deutschlands“, starb im Alter von 49 Jahren an Herzversagen und wurde auf dem „Halfway Cemetery“ (sic!) auf der englischen Isle of Sheppey, wo er zehn Jahre lang gelebt hatte, beigesetzt.

 

  

 

 

Gianni Versace

 

* 2.12.1946 in Reggio Calabria, † 15.7.1997 in Miami Beach, Florida, italienischer Modedesigner

  

Im Alter von 33 Jahren hatte Gianni Versace seine erste Pret-à-porter-Show und eröffnete in Mailand seine erste Boutique, erregte dabei Aufsehen  mit ungewöhnlichen Materialzusammenstellungen wie Seide/Jute, Leder/ Crepe de Chine. Zudem brachte er als erster Jeans auf den Laufsteg. Prägend für seine Mode wurden vor allem leuchtende Farben und auffallende Muster, berühmt als sein Markenzeichen wurde das Haupt der Medusa.

 

In den 1980er Jahren übernahm Gianni Versace auch Ausstattungen für Theater-, Opern- und Ballettaufführungen. Unter anderem waren seine Kreationen im Teatro alla Scala, in der San Francisco Opera und beim New York City Ballet zu sehen und wurden im Begleitbuch zur Ausstellung „Theater der Mode“ in München vorgestellt. Elton John komponierte die Musik für seine Modenschauen. Und mittlerweile tragen neben Kollektionen für Damen, Herren und Kinder auch Parfüms, Taschen, Schuhe, Schmuck, Geschirr, Wohnaccessoires und Fliesen den Namen Versace Namen.

 

Im Alter von 49 Jahren wurde Gianni Versace von einem Callboy erschossen.

 

 

 

 

Lester Willis „Prez“ Young

 

* 27.8.1909 in Woodvill1e, Mississippi, † 15.3.1959 in New York City, amerikanischer Saxophonist

  

Der Schlagzeuger Jo Jones sagte über den großen Saxophonisten Lester Young: „Alles was irgend ein menschliches Wesen verletzt, verletzt ihn“, und sein Agent: „Lester hat die Sensibilität eines Charles Baudelaire oder James Joyce. Er lebt in einer eigenen Welt, und was außerhalb dieser Welt ist, ist Prez’ Überzeugung nach nicht auf der Welt. Aber: diese seine eigene Welt ist eine wunderbare Welt, die mild und freundlich und lieblich ist“.

 

Boris Vian schrieb: „Wenn man sich vollends darüber klar geworden ist, dass Lester Youngs Originalität unerschöpflich ist, dann hat man begriffen, weshalb er eine Klasse für sich ist. Nie schleicht sich ein Fehler ein; man erlebt einen überragenden Solisten, dem niemals die Ideen ausgehen, der niemals einem anderen etwas klaut: eine absolut eigenständige Person.“

 

Lee Konitz meinte: „Und dann der Sound von Lester Young auf den alten Basie-Platten! Richtig schöner Tenorsaxophonklang, reiner Klang. Darauf kommt es an. Auch beim Alt; reiner Klang. Wieviel Leute hat er beeinflusst, wie viele Leben! Denn er ist entschieden der Ausgangspunkt all der Dinge, die dann geschahen. Und sein rhythmisches Konzept! Komplex bei aller Einfachheit! Wie soll ich das analysieren? Sollen wir dem „Kind einen Namen geben? Dann lasst uns ‚polyrhythmisch‘ sagen“.

 

Kritiker nannten einige seiner Titel „Glanzlichter des Jazz“, so: „These Foolish Things“, „It's Only A Paper Moon“, Lover Come Back to Me, „She’s Funny That Way”,You’re Driving Me Crazy”,Up ’n’ Adam”, “Undercover Girl Blues”, oderGigantic Blues.”

 

Am Ende seiner Karriere klang es jedoch nicht mehr so glänzend, was man über ihn sagte, so der Chef des Pariser Blue-Note-Clubs über einen seiner letzten Auftritte: „Lester war sehr krank, als er für mich spielte. Er war fast apathisch. Er wollte nach Hause fahren, weil er, wie er sagte, mit den französischen Ärzten nicht sprechen konnte. Er hatte ein Magengeschwür und ich glaube, er trank etwas zuviel.

 

Lester „Prez“ Young starb im Alter von 49 Jahren infolge seiner Alkohol- und Drogenabhängigkeit an Herzversagen.

 

 

 

 

Richard Brautigan

 

* 30.1.1935 in Tacoma, Washington, † 16.9.1984 in Bolinas, Kalifornien, amerikanischer Schriftsteller

  

Baudelaire machte einen

 

Hamburgerstand

 

in San Fransisco auf,

 

aber er legte Blumen

 

in die Brötchen.

 

Die Leute kamen herein

 

Und sagten: Geben Sie mir

 

Einen Hamburger mit viel

 

Zwiebeln drauf.

 

Baudelaire gab ihnen

 

dann stattdessen einen

 

Flowerburger, und die Leute

 

sagten dann: Was ist

 

denn das für ein

 

Hamburgerstand?“

  

Richard Brautigan gilt als Ikone der Hippie-Generation. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Roman „Forellenfischen in Amerika“. „Dieses Buch ist ein phantasievolles Puzzle aus verrückten Einfällen, Gedanken, Reflexionen und Anmerkungen über Forellenfischen in Amerika. Es enthält außerdem ein ‚Kochbuch’ und ein ‚Ballett für Forellenfischen in Amerika’ sowie eine Reihe von Porträts  sonderbarer Zeitgenossen“, preist das Vorwort einer Ausgabe im Verlag Volk und Welt das Buch an,  „Die poetische Metapher ‚Forellenfischen in Amerika’ ist Ausdruck der Sehnsucht junger Amerikaner nach einer intakten Welt voller Natürlichkeit, Glück und Liebe.“

 

Helmut Heißenbüttel sagte: Brautigan versucht, den Traum einer Jugend zu artikulieren, die nicht einverstanden ist mit den Verhältnissen, in die sie hineingeboren ist und die sie als vorgesetzt und aufgedrängt empfindet“.

 

 

Ich habe eine matte Long-Life 75 Watt

 

Harmony House Glühbirne in meiner Toilette.

 

Ich wohne jetzt schon seit über zwei Jahren

 

                 in derselben Wohnung

 

und die Birne brennt unentwegt immer weiter.

 

Ich glaube, sie mag mich sehr gerne.

  

 

Neben Prosawerken wie „Ein konföderierter General aus Big Sur“, „In Wassermelonen Zucker“, „Die Rache des Rasens“, „Die Abtreibung. Eine historische Romanze“, „Das Hawkline Monster. Ein seltsamer Western mit 2 Killern, 2 schönen Frauen & 1 Monster“,“ Willard und seine Bowlingtrophäen. Ein perverser Kriminalroman“ oder“ Sombrero vom Himmel. Ein japanischer Roman“, verfasste Richard Brautigan auch Gedichtbände, deren Titel allein schon viel über seine Programmatik aussagen: „Der Galiläa-Tramper“, „Rommel dringt tief nach Ägypten vor“, „Quecksilber mit einer Heugabel aufladen“, „Gruppenbild ohne die Löwen“ oder „Die Pille gegen das Minenunglück von Springhill und 104 andere Gedichte“

 

  

                 Es ist schön

 

morgens ganz allein

 

                 aufzuwachen

 

und keinem sagen zu müssen,

 

                 daß man ihn liebt,

 

wenn man ihn nicht mehr

 

                 liebt.

  

 

Die „Rhein-Zeitung“ urteilte: „Was Brautigan schreibt, wirkt wie ein frischer Frühlingswind im abgestandenen Bücherwald der permanenten Selbstfindung“, und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Brautigan braucht den Vergleich mit den amerikanischen Klassikern nicht zu scheuen.

 

Richard Brautigan nahm sich im Alter von 49 Jahren das Leben.

 

 

Die letzte Überraschung ist, wenn du

 

allmählich merkst, daß dich nichts

 

                 mehr überrascht.

 

 

 

 

 

Anton Herman Gerard „Anthony“ Fokker

 

* 6.4.1890 in Kediri, Java, † 23.12.1939 in New York, niederländischer Flugzeugbauer

  

Anton Herman Gerard Fokker nannte seine Autobiografie „Der fliegende Holländer“. Erfahren kann man darin, dass er schon während seiner Studienzeit ein erstes Flugzeug konstruierte, die „Fokker-Spinne“. 1911 auf dieser Maschine seine Fluglizenz erwarb, 1912 in Berlin-Johannistal die „Fokker Aviatik GmbH“ gründete, diese Fabrik 1913 nach Schwerin verlegte und begann Jagdflugzeuge zu bauen, die sich in den Folgejahren gut verkauften, 1917 richtetet er mit Hugo Junkers die „Junkers-Fokker-Werke Aktiengesellschaft“, doch aufgrund des Versailler Vertrages, der verbot, in Deutschland weiter Flugzeuge zu bauen, gründetet er 1919 in Amsterdam die „N. V. Koninklijke Nederlandse Vliegtuigebfabriek Fokker“ und 1922 in den USA dieFokker Aircraft Corporation“. Hier boomte sein Geschäft, doch schmierte nach dem Börsencrash und nachdem bei einem Absturz einer Fokker F 10 ein berühmter Football-Coach ums Leben kam, unaufhaltsam ab.

 

Anton Herman Gerard Fokker starb im Alter von 49 Jahren nach einem chirurgischen Eingriff an den Folgen einer Infektion der Operationswunde.

 

  

 

 

Peter Hille

 

* 11.9.1854 in Erwitzen, † 7.5.1904 in Berlin, deutscher Schriftsteller

  

Heimat ist Heimweh und Sehnen nach allen Weiten.

 

Julius Hart berichtet über seinen „ewig klammen“ Dichterfreund: „Peter kam ausgehungert zu mir, und ich drückte ihm meine letzten vierzig Pfennige in die Hand, damit er für seines Leibes Wohlergehen sorgen sollte. Doch fand ich ihn am Abend tiefversunken über zwei Reclamheftchen, für die er für den Schatz angelegt hatte.“

  

Ich bin, also ist Schönheit.

 

 

Hermann Pongs berichtet in seinem „Lexikon der Weltliteratur: „Wilhelm Schäfer überlieferte von Peter Hille die Anekdote Der fremde Hund. In der Erzählung wird Schäfer Hilles Hund anvertraut. Der Hund wird von einem Auto überfahren. Der schuldbewusste Fahrer überreicht Hille 100 Mark. Hille legt sie stillschweigend dem toten Hund unter den zottigen Kopf und wandert besitzlos-glücklich weiter.

 

Ein anderer Freund, Otto Julius Bierbaum (alias Martin Möbius), meinte: „ Was die meisten Dichter zuwenig haben, hat er zuviel: Gehirn. Und ist dennoch gar nicht klug. Man möchte fast sagen, er ist ein Genie. Aber was heißt das: ein Genie ohne Form? Das gibt höchstens einen Propheten. Aber selbst dazu ist er zu verrückt. Sagen wir, er ist eine Wolke oder, etwas gröber gesprochen, ein Quatschkopf, ein geniales Rührei, eine – Seele. Die Deutschen kennen ihn nicht, und wenn sie ihn kennten, würden sie sich wieder einmal die Bäuche halten vor Lachen.“

 

 Ich habe keinen Feind als in mir selbst.

 

 Else Lasker-Schüler sagte: „Niemals zweifelte ich an der Prophetie Peter Hilles. Er wandelte über unsere Erde wie Nebel, durch den, wenn er sich lichtete, man die Gestirne am Tage leuchten sah. Er war ja selbst ein Gestirn […]. Peter Hille war einer der auserlesenen Gäste dieser Welt; wohin sein Herz sich wandte, ordneten sich Unebenheiten. Sein Erscheinen schloß Versöhnung in sich.“

 

Wilhelm Arent, wie Hille ein Autor des deutschen Naturalismus, veröffentlichte im „Musenalmanach für das Jahr 1897“ dieses Gedicht:

 

„…Er schmiedete goldne Aphorismen,

 

Ein wackrer Todfeind aller Ismen,

 

Ein goldner Magier, nennt sich Hille,

 

Ein weiser Mann der siebten Stille.

 

Das Christus-Antlitz rotbebartet,

 

Das bleiche Antlitz ätherklar:

 

Ist dieses Hirn, kleistisch geartet,

 

Gar sonderbar, gar wunderbar.

 

In ewger innrer Zwiespaltkraft

 

Sich diese Seele Leiden schafft –

 

Fehlt doch der Dämon Leidenschaft.

 

Die Haltung genial-salopp -

 

Die Welt geht ihren Hundsgalopp -:

 

Still schreitet in die große Stille

 

Ein Mann des Worts, ein Held der Stille,

 

Der Aphorisme König Hille.“

 

  

Man ist allemal fast gerade das, was man nicht scheint.

 

 

  

 

Max Stirner

 

* 25.10.1806 als Johann Caspar Schmidt in Bayreuth, † 25.6.1856 in Berlin, deutscher Philosoph

  

Aufgrund seiner auffallend hohen Stirn verpassten seine Mitschüler am Bayreuther Gymnasium Johann Caspar Schmidt den Spitznamen „Stirner“. Und sein Hauptwerk „Der Einzige und sein Eigentum“ erschien dann 1845 unter seinem Pseudonym Max Stirner. Darin schreibt er: Vor dem Heiligen verliert man alles Machtgefühl und allen Mut. […] Und doch ist kein Ding durch sich heilig, sondern durch Meine Heiligsprechung, durch Meinen Spruch, Mein Urteil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein – Gewissen. … Alles, wovor Ihr einen Respekt oder eine Ehrfurcht hegt, verdient den Namen des Heiligen, und doziert über das Jenseits in Uns, in etwa das also, was Sigmund Freud später Über-Ich nannte, „eine psychische Instanz, die im Laufe des Erziehungsprozesses großteils unbewusst gebildet wird und später als Gewissen, als Komplex der Wert- und Moralvorstellungen, der (kulturellen) Identität etc. das Verhalten des Menschen reguliert.“ (Wikipedia) „Stirner wurde, nachdem er jeweils für ca. ein halbes Jahrhundert vergessen gewesen war, zweimal wiederentdeckt: 1) um die Wende zum 20. Jahrhundert im Kielwasser der Nietzsche-Begeisterung; 2) 1966, als der marxistische Autor Hanns G. Helms ihn, angesichts ‚der gefährlichen Entwicklung der ideologischen Lage’, in einer 600-seitigen Abhandlung als ‚konsequentesten Ideologen’ der aktuell „herrschenden Klasse in allen modernen Industriestaaten’ darstellte.“

 

Mir geht nichts über Mich!

 

Max Stirner starb im Alter von 49 Jahren an einer Infektion infolge eines Insektenstichs.

 

 

 

 

Günter Bruno Fuchs

 

* 3.7.1928 in Berlin, † 19.4.1977 ebd., deutscher Schriftsteller und Grafiker

  

Johannes Bobrowski dichtete:

 

 

Günter Bruno Fuchs

 

Dies ist der Dichter der Dichter, der Künstler der Künstler, der

 

                                                                                       Freund der

 

Freunde, der Leichteste der Leichten, der Schwerste der

 

                                                                                       Schwer’n - -

 

Ach, wer versteht das denn schon. Artisten stehn eben nun einmal

 

Einer dem andern und sich selber genau auf dem Kopf.

 

 

 

Christoph Meckel sagte in seiner

 

 

 

Totenrede für Günter Bruno Fuchs

 

…wer oder was ist Günter Bruno Fuchs? Können Sie uns

 

                 Das schlüssig erklären?

 

ist er ein Dichter, ein Poet, oder eine pittoreske Haut?

 

wo bleibt der gute alte Unterschied zwischen Kneipe, Kunst

 

                 und Leben?

 

ist er ein Romantiker oder was macht er? Macht er das frei-

 

                 willig? Spielt er was vor?

 

ist etwas Wahres an der Behauptung, daß Paul Scheerbarth

 

                 ihm seinen Flaschenöffner vermachte?

 

ist es zutreffend, daß Metaphorik und Rotwelsch dieses

 

                 Autors vom preußischen Bänkelsang mehr als

 

                 beeinflusst wurden?

 

ist es richtig, daß der Verfasser des Schwejk seine Prosa

 

                 schätzt, und ist es richtig, daß Lafontaine seine

 

                 Fibelgeschichten ins siebzehnte Jahrhundert

 

                 übersetzen will?

 

ist er nun Zeichner oder Dichter, das eine mehr, das andre

 

                 auch, oder beides zur Hälfte?...

  

 

Hubert Witt meinte: „Im Grunde sind alle die Helden, die seine Texte und Bilder bevölkern, Künstler: die Gaukler und Seiltänzer, Messerwerfer, Degenschlucker, Irren, Trinker, Träumer, Hinterhofkinder, alle die Außen- und Untenseiter, Antipoden der restaurativen westdeutschen Nachkriegsentwicklungen. Die Exzentriker und Randexistenzen stehen im Mittelpunkt seiner Gegenwelten, wo Kneipe, Kunst und Leben, Historie und Heutigkeit, Realität und Märchen vielfältig ineinander verquickt sind, wo die wirklichen Gestalten der Phantasie und die phantastischen der Wirklichkeit miteinander Umgang pflegen.“

 

Und beim Versuch sich programmatisch selbst zu verständigen schrieb Günter Bruno Fuchs: Ich versuche einen Text aufzuspüren, der sich wehr, der auf einem Flugblatt stehen kann… und er prüfe, ob das Ergebnis brauchbar ist für den Vortrag, ob es abschwört der guten Miene zum bösen Spiel und vor allem intakt genug ist, zwischen den herrschenden Ideologien sein eigenes Denken behaupten zu können.

 

Am 19. April 1977 fand seine Mutter Günter Bruno Fuchs tot an seiner Schreibmaschine, in die ein leeres, weißes Blatt eingespannt war, den Telefonhörer in der Hand.

 

  

 

 

 

Dimitrie Cantemir

 

* 26.10.1673 in Silişteni, † 21.8.1723 in Charkow, moldauischer Universalgelehrter

  

Der Moldauer Dimitrie Cantemir diente als Wojwode seines Heimatlandes und galt zugleich Universalgelehrter, war Enzyklopädist, Geograph, Historiker, Komponist, Romanist und Musiktheoretiker. Aus einer Feder stammt das Werk „Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen.“ Zar Peter der Große verlieh im den Titel „Prinz des Russischen Reiches“, Kaiser Karl VI. verlieh ihm den Titel „Fürst des Heiligen Römischen Reiches“. Sein Sohn Antioch wirkte sogar als Aufklärer und Satiriker.

 

2013, etwa 300 Jahre nach Dimitrie Cantemirs Wirken verschlug es mich mit meinem Freund Axel Schneider auf der Durchreise von Bukarest nach Odessa in sein Heimatland:

 

Chisinau, die Hauptstadt der Republik Moldau, des ärmsten Staates Europas, scheint die höchste Dichte an Wechselstuben weltweit zu haben. Wohl an jedem zweiten Haus prangt ein Exchange-Schild, dazu allenthalben Banken und Reisebüros.

 

Im gepflegten Park nahe des hiesigen Triumphbogens wird mit halbmannshohen Figuren leidenschaftlich Schach gespielt. Kiebitze diskutieren die Züge mit Händen und Füßen.

 

Der moldawische Arc de Triumphe soll an die Eingliederung dieses bis 1812 osmanisch beherrschten Landstrichs, Bessarabiens also, ins Zarenreich erinnern. Aus den erbeuteten türkischen Kanonen goss man eine Glocke, die allerdings für den Turm der Kathedrale zu groß wurde und so letztlich in den Triumphbogen kam.

 

Bevor das Gebiet zwischen Dnestr und Pruth unter osmanischen Einfluss kam, gab es hier ein Fürstentum Moldau. Im Zuge des Ersten Weltkriegs kam das russische Bessarabien an Rumänien, im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts 1940 an die Sowjetunion (wobei etwa 1 Million Bessarabien-Deutsche ins Reich umsiedelten/umgesiedelt wurden), nachdem Hitler die Sowjetunion überfallen hatte, gehörte das Gebiet wieder für drei Jahre zu Rumänien (als Verbündeter Großdeutschlands), war danach bis zur Wende Sowjetrepublik und firmiert nun seit 1991 als selbständiger Staat.

 

Im Zuge dieser Staatsgründung wiederum spaltete sich in (bürger)kriegsähnlichen Auseinandersetzungen der mehrheitlich von Russen bewohnte, jenseits des Dnestr liegende Landstrich (sic!) Transnistrien ab (in Abgrenzung zu dem von rumänischstämmigen Moldawern besiedelte Gebiet zwischen Pruth und Dnestr). Stalin hatte (in etwa) dieses Gebiet einst als Moldawische Sowjetrepublik gegründet, um seine Ansprüche auf das an Rumänien verlorengegangene Bessarabien zu verdeutlichen. Transnistrien existiert seitdem als de facto Staat – von keinem anderen Staat der Welt anerkannt, ähnlich Berg-Karabach, Abchasien oder Süd-Ossetien.

 

Neben unserem Hotel locken zwei supermoderne Kaufhäuser. Drin sind dann aber wesentlich mehr Verkäuferinnen (schläfrige, gelangweilte, mit sich selbst beschäftigte) als Kunden zu entdecken. Heilloses Gedränge hingegen auf den Straßenmärkten der Stadt, abenteuerlicher Mix aus Fleisch-, Floh-, Gemüse-, Fisch- und Klamottenmarkt, dabei auch immer mal wieder Bistros. Und da drin sieht man Moldawier immer mal wieder schnell Sto Gramm kippen. Kein Wunder: Wodka ist hier preiswerter als Saft oder Cola. Und Axel meint, so billig wie hier habe er noch nirgendwo Zigaretten kaufen können. Ein Paradies für Alkoholiker und Nikotinsüchtige offenbar. Besoffene sind im Straßenbild jedoch ebenso selten zu entdecken wie Bettler, Raucher allerdings reichlich.

 

Am Abend genießen Axel und ich die Aussicht vom Balkon unseres Hotelzimmers, 10. Stock, über die geschäftigen Alleen Chisinaus. Vorm Hotel klotzt als Denkmal Kotschubej, roter Reitergeneral und Filmheld meiner Kindheit. Der ist hier also auf dem Sockel geblieben. Prost! (Das sollte man aber besser nicht in der Öffentlichkeit sagen, da Prost auf Rumänisch dumm heißt…)

 

Bemerkenswert auch: das Badezimmer unseres aus Kotschubej-Zeiten stammenden Hotels erweist sich als unglaublicher Pfusch. Was aber ist wichtiger: ein funktionstüchtiges Klo installieren oder ins All fliegen zu können?

 

 

 

 

 

Christoph Maria Schlingensief

 

* 24.10.1960 in Oberhausen, † 21.8.2010 in Berlin, deutscher Regisseur und Aktionskünstler

  

Nachdem er als Sechsundzwanzigjähriger Aufnahmeleiter der „Lindenstraße“ war, wurde Christoph Schlingensief in den folgenden Jahren durch provozieren wollende Filme bekannt: „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“, „Das deutsche Kettensägenmassaker und „Terror 2000“. Als Dreiunddreißigjähriger inszenierte er an der Berliner Volksbühne sein erstes Theaterstück „100 Jahre CDU – Spiel ohne Grenzen“. Im Alter von 27 Jahren wurde er bei seiner Kunstaktion „Mein Filz, mein Fett, mein Hase“ auf der documenta X in Kassel von der Polizei festgenommen, da er ein Schild mit der Aufschrift „Tötet Helmut Kohl“ verwendete. Im Jahr darauf gründete er die Partei „Chance 2000“ und bewarb sich bei der Wahl zum Bundestag.

 

Als Achtundvierzigjähriger wurde er zum Jurymitglied der Internationalen Filmfestspiele Berlin, der Berlinale, sowie als Professor für „Kunst in Aktion“ an die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig berufen.

 

2009, im Jahr vor seinem Tod begann er auch an seinem Projekt „Oprendorf Afrika“ in Ouagadougou zu arbeiten. Für 2011 plante er, den deutschen Pavillon bei der Biennale von Venedig zu gestalten.

 

Im August 2010 starb Christoph Schlingensief jedoch wenige Wochen vor seinem 50. Geburtstag am Lungenkrebs. Postum wurde ihm am Eröffnungstag der Biennale 2011 in Venedig der Goldene Löwe für den besten Beitrag zugesprochen.

 

Der Kritiker C. Bernd Sucher nannte ihn „einen der letzten Moralisten unter den deutschen Theatermachern“, der „trotzig wie ein Kind und starrsinnig wie ein Weiser auf die herrschenden Verhältnisse“ reagiere. Andere Kritiker meinten allerdings, er habe um der Provokation willen provoziert.

 

 

 

Dorothea „Mopsa“ Sternheim

 

* 10.1.1905 als Elisabeth Dorothea Löwenstein in Oberkassel, † 11.11.1954 in Paris, deutsche Bühnenbildnerin

   

Mopsa Sternheim, Tochter des berühmten Dramatikers Carl Sternheim, war mit Klaus und Erika Mann sowie Pamela Wedekind befreundet und somit eines der vier „Dichterkinder“, denen in den 1920er Jahren jedwede Originalität abgesprochen wurde. Ein Kritiker lobte in der „Vossischen Zeitung jedoch ihre „hübschen und talentvollen“ Bühnenbilder für die Inszenierung eines Lustspiel ihres Vaters in Hamburg.

 

Nach der Machtergreifung der Nazis emigrierte sie nach Paris und schloss sich 1942 der Résistance an. Ende 1943 verhaftete die Gestapo Mopsa Sternheim, und Anfang 1944 wurde sie ins KZ Ravensbrück deportiert. Sie überlebte, doch bekannte: „Ich denke immerzu an Ravensbrück seit ich hier bin u. frage mich etwas ängstlich, welchen Grad an Kontrasten das Leben mir noch zugedacht hat. Weil das fast unfassbar ist für ein selbes Gehirn.“

 

Mopsa Sternheim starb im Alter von 49 Jahren an Krebs. Gottfried Benn, dessen Geliebte sie für kurze Zeit in Deutschland gewesen war, schrieb an ihre Mutter: „Seltsames Leben hatte unsere kleine Thea, ein Leben der Nerven, der Unruhe, vielfach des Missgeschicks - und nun einen Tod früh und voll von Schmerzen […] Ihre Haltung und ihre Tapferkeit, die sie ein Leben lang hatte, behielt sie […] bis zum Schluss - wunderbar ist das u. ich bin tief gerührt und bewegt, daß ich ihr einmal nahe stehn durfte.“

 

 

 

 

Andreas Vesalius

 

* 31.12.1514 in Brüssel, † 15.10.1564 auf Zakynthos, Griechenland, flämischer Anatom

  

Andreas Vesalius war Leibarzt Kaiser Karls V. sowie König Philipp II. und gilt als Begründer der neuzeitlichen Anatomie und des morphologischen Denkens in der Medizin. Bekannt wurde er durch sein HauptwerkDe humani corporis fabrica libri septem - „Sieben Bücher vom Bau des menschlichen Körpers“.

 

Auf der Rückreise von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem erkrankte er schwer und starb. Gerüchteweise soll sich Vesalius jedoch nicht freiwillig auf den Weg ins Heilige Land begeben haben, sondern dazu von der Inquisition gezwungen worden sein, da er versehentlich einen Menschen bei lebendigem Leibe seziert hatte.

 

 

 

 

Fabjan Hafner

* 8.6.1966 in Klagenfurt, † 10.5.2016 in Feistritz im Rosental, slowenischer Autor

 

„Fabjan Hafner war ein Multitalent – Literaturwissenschaftler, Schriftsteller, Übersetzer, Editor. Als Kärntner Slowene wechselte er virtuos zwischen Deutsch und Slowenisch, übersetzte zwischen beiden Literaturen, schrieb in beiden Sprachen – als Schriftsteller und als Wissenschaftler“, heißt es in einem Nachruf des Robert-Musil-Institut, an dem Hafner seit 1998 wirkte: „Er förderte, übersetzte, schrieb über slowenischsprachige Autoren wie Gustav Januš, Florjan Lipuš und viele mehr. Er war – seit Langem – anerkannter Handke-Spezialist und Handke-Freund. Zuletzt arbeitete er über Christine Lavant, vor allem als Editor ihrer Gedichte, auch der zu ihren Lebzeiten unveröffentlichten.“

Anke Bosse vom Kärntner Literaturarchiv sagte: „Wie oft begegnet uns ein Mensch, in dem sich profundes Wissen mit der Fähigkeit verbindet, es großzügig, heiter und leicht mit uns zu teilen? Ein Mensch, der mit einer einzigartigen Mischung aus Engagement, Erfahrung und Eloquenz uns einnehmen und mitnehmen kann? Auch dahin, wo es komplex wird, etwa in die Literatur? Uns überraschen und begeistern? Fabjan Hafner war ein solcher Mensch, er war uns allen ein Geschenk – und die Literatur war ihm eine Herzensangelegenheit.“

„Hafner hat über 180 Publikationen vorgelegt“, schrieb das österreichische „Börsenblatt“. „Er war unter anderem als Übersetzer mehrfach preisgekrönt: So erhielt er den Petrarca-Preis für Übersetzung (1990), den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung (2006) und den Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie (2007). 2006 wurde er mit dem Wissenschaftspreis der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik ausgezeichnet.“

Und in der „Neuen Zürcher Zeitung“ war zu lesen: Wer den kärntnerslowenischen Lyriker, Übersetzer und Literaturwissenschafter Fabjan Hafner kannte, erinnert sich an sein sprühendes Temperament, seine brillante Eloquenz und seine Begeisterungsfähigkeit in literarischen Dingen. Sie zeichneten ihn schon in jungen Jahren aus, als er – ein halbes Wunderkind – gleichzeitig schrieb, studierte, übersetzte und Projekte aller Art anregte. Ab 1990 unterrichtete Hafner am Institut für Translationswissenschaft der Universität Graz und war daneben als Lektor für Germanistik in Ljubljana tätig, 1998 wechselte er ans Robert-Musil-Institut in Klagenfurt, wo er schließlich die stellvertretende Leitung innehatte. Sein Herz aber schlug vor allem für die Poesie.“

 

Könnte man Berührungen behalten,

ausserhalb des Gedächtnisses

oder in Erinnerung,

sie aufnehmen und mit sich führen,

als hätte der Körper sie sich einverleibt,

und könnte man sich mittels so

                                                               Angeeignetem

erlösen zu dauernder

Berührbarkeit,

erschwände dann dieser unablässig

wie ein Köder zuckende

unfassbare Rest?

 

 

 

 

 

Achim von Arnim

 

* 26.1.1781 als Carl Joachim Friedrich Ludwig von Arnim in Berlin, † 21.1.1831 in Wiepersdorf, deutscher Dichter

 

Als Achim von Arnim im preußischen Halle studierte, wanderte er sommers immer wieder ins nahe sächsische Lauchstädt, um zu erleben, was seinerzeit in Halle verboten war: Theater. Und im Jahr, als Goethe in Lauchstädt sein Theater einweihte, erschien Achim von Arnims erster Roman, durchaus Goethes „Werther“ nachempfunden: „Hollin’s Liebensleben“.

 

Wesentlich wirksamer wurde jedoch die Sammlung von gut 600 deutschen Liebes-, Kinder-, Kriegs- und Wanderlieder vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert, die er gemeinsam mit Clemens Brentano herausgab: „Des Knaben Wunderhorn“. Goethe empfahl „Des Knaben Wunderhorn“ zur Lektüre über alle Standesgrenzen hinweg, da es ihm für die „einfachste Küche“ ebenso wie für das „Klavier der Gelehrten“ geeignet erschien.

 

Achim von Arnim verfasste auch Erzählungen, Dramen, Novellen und Romane und starb 5 Tage vor seinem 50. Geburtstag an Gehirnschlag.

 

 

 

 

 

Marlen Haushofer

 

* 11.4.1920 als Marie Helene Frauenhofer in Frauenstein, † 21.3.1970 in Wien, österreichische Schriftstellerin

  

„Sie war eine ebenso bescheidene wie bedeutsamen Dichterin, diese Marlen Haushofer, die man in unserer Zivilisation, die sich dreht und windet und lautlos schriet, wohl vieles gelehrt hatte, aber nie, das Glück. Als es nicht zu haben war, entfremdete sie sich sehr bald der Welt: eine Hoffende ohne Hoffnung, früh Verzicht übend, den Sicherheitsabstand zu Menschen ständig vergrößernd, in einem Leben, das der Poesie entbehrte. Lediglich in ihrem Werk war sie zu Hause, in Szenen von einprägsamer Originalität, leidenschaftlicher Wahrheit und enthüllender Evidenz, so daß man meinen könnte, sie sei plötzlich unter ihre Figuren getreten, um zu töten oder sich selbst zu opfern“, schreibt Klaus Antes im Nachwort zu „Die Wand - Marlen Haushofers wohl bekanntestem Werk: „Marlen Haushofer variiert immer wieder Ur-Situationen des Menschen, fließend sind dabei die Grenzen zwischen Traum, Trauma und Tatsachen. Alle ihre Figuren sind von ihr abgespaltene Persönlichkeiten.“

 

Marlen Haushofer starb wenige Wochen vor ihrem 50. Geburtstag an Knochenkrebs.

 

Mach Dir keine Sorgen.

 

Auch wenn du mit einer Seele behaftest wärest, sie wünscht sich nichts als tiefen, traumlosen Schlaf. Der ungeliebte Körper wird nicht mehr schmerzen. Blut, Fleisch, Knochen und Haut, alles wird ein Häufchen Asche sein, und auch das Gehirn wird endlich aufhören zu denken. Dafür sei Gott gedankt, den es nicht gibt…

 

 

 

 

 

Anna Pawlowna Pawlowa

 

* 12.2.1881 in Sankt Petersburg, † 23.1.1931 in Den Haag, russische Tänzerin

  

Der legendäre Choreograph Michel Fokine inszenierte für die Ballerina des Sankt Petersburger Mariinski-Theaters das Solo „Der sterbende Schwan“. Und im Alter von 28 Jahren schloss sie sich in Paris Sergej Djagilews „Les Ballets Russe“ an und wurde weltberühmt.

 

Im Alter von 35 Jahren gastierte sie sogar in Australien und Neuseeland und es wurde dort eine Baisser-Torte nach ihr benannt: die „Pawlowa“.

 

Anna Pawlowa starb während ihrer Abschiedstournne im Alter von 49 Jahren infolge einer Lungenentzündung.

 

 

 

 

 


Zitate aus:

 

(soweit nicht direkt in den jeweiligen Texten ausgewiesen)

 

 Afanassjew, Alexander Nikolajewitsch „Russische Volksmärchen“

 

Amlung, Ullrich „Adolf Reichwein…“

 

Antonetti, Pierre „Savonarola…“

 

Babel, Isaac „Geschichten aus Odessa“

 

Bachmann, Ingeborg „Gedichte und Erzählungen“

 

Barley, Nigel „Der Löwe von Singapur…“

 

Bastian, Horst „Gewalt und Zärtlichkeit“

 

Baudelaire, Charles „Die Blumen des Bösen“

 

Bauer, Bruno „Semmelweis, Ignaz Philipp“

 

Bauer, Walter „Wäscha-kwonnesin…“

 

Benjamin, Walter „Allegorien kultureller Erfahrung“

 

Benjamin, Walter „Charles Baudelaire…“

 

Böhm, Heinz „Dorothea Christane Erxleben…“

 

Boldt, Werner „Carl von Ossietzky“

 

Bösch, Roman „Agrippas Traum…“

 

Braun, Peter „E. T. A. Hoffmann“

 

Brockhaus, Cathrin „Aphra Behn…“

 

Burgess, Anthony „D. H. Lawrence…“

 

Čapek, Karel „Die blaue Chrysantheme“

 

Celan, Paul „Die Silbe Schmerz“

 

Chapman, Graham „Autobiographie eines Lügners“

 

Clapp, Susannah „Mit Chatwin…“

 

Dahdah, Jean-Pierre „Khalil Gibran…“

 

Darío , Rubén „Das Gold Mallorcas“

 

de Vries, Theun „Baruch de Spinoza…“

 

Debüser, Lola „Russischer Kunstmärchen von Gorki bis Schukschin“

 

Decker, Gunnar „Franz von Assisi…“

 

Duchein, Michel „Maria Stuart…“

 

Dupke, Thomas „Mythos Löns…“

 

Dutli, Ralph „Meine Zeit, mein Tier. Ossip Mandelstam“

 

Ellmann, Richard „Oscar Wilde“

 

Forschner, Maximilian „Thomas von Aquin…“

 

Franke, Albrecht (Hg.) „Der Krieg brach wirklich aus“

 

Fuchs, Günter Bruno „Erlernter Beruf eines Vogels“

 

Fürnberg, Louis „Wanderer in den Morgen“

 

Fürnberg Louis „Das wunderbare Gesetz“

 

Gałczyński, Konstanty Ildefons „ Die grüne Gans“

 

Geck, Martin „Robert Schumann…“

 

Golowin, Sergius „Paracelsus…“

 

Grossmann, Claudia „Richard Brautigan…”

 

Gündüz, Bülent „Jackson Pollock…“

 

Güntert, Georges „Das fremde Ich. Fernando Pessoa“

 

Habel, Frank-Burkhard „Dean Reed…“

 

Hedeler; Wladislaw „Nikolai Bucharin…“

 

Heine, Heinrich „Die Harzreise“

 

Heine, Heinrich „Die romantische Schule“

 

Hermann, Ingo „Knigge“

 

Hille, Peter „Ich bin, also ist Schönheit“

 

Höfele, Andreas „Malcolm Lowry…“

 

Hutter, Clemens M. „Christian Doppler“

 

Kafka, Franz „Die Tagebücher / Die Briefe“

 

Kaminski, Nicola „Andreas Gryphius“

 

Kastinger Riley, Helene M. „Achim von Arnim…“

 

Kippenberger, Susanne „Kippenberger…“

 

Kremer, Peter „Africanus… Heinrich Barth“

 

Kreutziger-Herr, Annette „Johannes Ciconia…“

 

Koch, Werner „Lawrence von Arabien”

 

Kühn, Dieter “Gertrud Kolmar”

 

Kunze, Sebastian “Gustav Landauer…”

 

Laschitza, Annelies „Karl Liebknecht”

 

Lawrence D. H. „Lady Chatterley“

 

Lawrence, T. E. „Die sieben Säulen der Weisheit“

 

Leistner, Bernd „Johannes Bobrowski…“

 

Leuchtenberger, Katja „Uwe Johnson“

 

Löbe, William „Illustrirtes Lexikon der gesammten Wirtschaftskunde. Für alle Stände“

 

Lodemann, Jürgen „Lortzing…“

 

Löns, Hermann „Sämtliche Werke, Band 1“

 

Mak, Geert „Der Mord an Theo van Gogh“

 

Meier, Mischa „Geschichte der Völkerwanderung“

 

Motschmann, Klaus “Oskar Brüsewitz”

 

Müller-Sladakovic, Tijana „Max Stirner…

 

Nigg, Walter „Maximilian Kolbe…“

 

Noack, Paul „Olympe de Goeges…“

 

O. Henry „Betrogene Betrüger“

 

Oei, Bernd „Albert Camus…“

 

Oswalt, Stefanie „Siegfried Jacobsohn…“

 

Piper, Ernst „Rosa Luxemburg. Ein Leben“

 

Prinz, Alois „Sie ist ein lebendiges Feuer“

 

Posener, Alan „John F. Kennedy“

 

Reed, John „Mexiko in Aufruhr“

 

Reulecke, Martin „Caroline Schlegel-Schelling…“

 

Richter, Saskia „Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly“

 

Rieder, Ines „Mopsa Sternheim…“

 

Rosteck, Jens „Brel…“

 

Rosteck, Jens „Édith Piaf…“

 

Rüchel, Peter „Rockpalast“

 

Rumbucher, Klara „Antero de Quental…“

 

Saint-Exupéry, Antoine de „Die innere Schwerkraft…“

 

Saint-Exupéry, Antoine de „Prosa“

 

Salber, Linde „Frida Kahlo…“

 

Scheer, Udo „Jürgen Fuchs…“

 

Schoeller, Wilfried F. „Michail Bulgakow…“

 

Schottes, Christoph „Die Friedensnobelpreiskampagne für Carl von Ossietzy in Schweden“

 

Schindhelm, Michael „Walter Spies…“

 

Schrader, Paul „Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln

 

Schröder, Hans-Christoph „George Orwell…“

 

Schwipps, Werner „Lilienthal…“

 

Springer, Christian „Enrico Caruso“

 

Stankovich, Dushan „Otto Julius Bierbaum…“

 

Thoreau, Henry D. „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“

 

Thoreau, Henry D. „Walden“

 

Troyat, Henri „Tschechow – Leben und Werk“

 

Tschechow, Anton „Die Insel Sachalin“

 

Tschechwo, Anton „Meistererzählungen“

 

Tucholsky, Kurt „Drei Minuten Gehör“

 

Tuety, Charles Greville „Klassische arabische Poesie“

 

von François, Louise „Erinnerungen aus einer kleinen Stadt“

 

Wehr, Gerhard „Jakob Böhme…“

 

Whyment, Robert „Richard Sorge…”

 

Wikipedia

 

Wingard, Timothy C. „Die Mücke”

 

Yourcenar, Marguerite „Mishima…“

 

Zeuske, Michael „Simón Bolívar“

 

Zurmühl, Sabine „Das Leben… Maxie Wander“

 

Zwetajewa, Marian „Das Haus am Alten Pimen“

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis alphabetisch:

 

 

 

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Brun von Querfurt

 

Otto Brunfels

 

Oskar Brüsewitz

 

Nikolai Iwanowitsch Bucharin

 

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Gottfried August Bürger

 

Amílcar Lopes Cabral

 

Dimitrie Cantemir

 

Karel Čapek

 

Miguelina Aurora Acosta Cárdenas 

 

Carlos Cardoso

 

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Paul Celan

 

Conrad Celtis

 

Lon Chaney sen.

 

Graham Arthur Chapman

 

Stéphane Charbonnier

 

Charles Bruce Chatwin

 

Leslie Cheung

 

Chilperich I.

 

Chögyel Phagpa

 

Roger Cicero

 

Johannes Ciconia

 

John Cipollina

 

Nat „King“ Cole

 

Vincent Crane

 

Betico Croes

 

Charles Cros

 

Pierre Curie

 

Rubén Dario

 

Zoé Charlotte de Gamond

 

Cornelis Gerard Anton de Kom

 

Teresa de la Parra

 

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Antoine de Saint-Exupéry

 

Dimitar Dimow

 

Christian Andreas Doppler

 

Charles Richard Drew

 

Esteban Echeverría

 

Helmuth Viking Eggeling

 

Lamoral von Egmond

 

Kanō Eitoku

 

Lili Elbe

 

Donald Johnson „Don“ Ellis

 

Engelbrekt Engelbrektsson

 

Joseph Benedict Engl

 

Ralph Erwin

 

Dorothea Christiane Erxleben

 

Eric Establie

 

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Mouloud Feraoun

 

Francis Scott Key Fitzgerald

 

Govaert Flinck

 

George Perry Floyd

 

Anton Herman Gerard „Anthony“ Fokker

 

Jean Bernard Léon Foucault

 

Farnz von Assisi

 

Eckart Friedrichson

 

Günter Bruno Fuchs

 

Jürgen Fuchs

 

Louis Fürnberg

 

Konstanty Ildefons Gałczyński

 

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Carlos Gardel

 

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Gertrud von Helfta

 

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Humphrey Gilbert

 

Ilsabetha „Betty” Gleim

 

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Olympe de Gouges

 

Antonio Gramsci

 

Johann Gottfried Gregorius

 

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Xu Dishan

 

Yi I

 

Yi Xing

 

Yu Dafu

 

Lester Willis “Prez” Young

 

Geoffrey Gurrumul Yunupingu

 

Johann Heinrich Zedler

 

Boubé Zoumé

 

Marina Iwanowna Zwetajewa

 

 Huldrych Zwingli