JÜRGEN JANKOFSKY

 

 

 

 

 

 

Jankopedia

 

II

 

 

 

 

 

 

Wie kann man nicht an die Zukunft glauben,

wenn man von der Sterblichkeit weiß?

Robert Menasse

 

 

Weißt du, dass du deinen Geburtstag mit rund,

neun Millionen Menschen auf der Erde teilst?

Olga Tokarczuk

 

 

 

 

 

Al-Sadek Hamed Al-Shuwehdy

* 1954, auch Sadiq Hamed Shwehdi, † 5.6.1984 in Benghazi, libyscher Ingenieur

 

Anfang 1984 war Al-Sadek Hamed Al-Shuwehdy aus den USA, wo er Luftfahrttechnik studiert hatte, in seine nordafrikanische Heimat zurückgekehrt. In Libyen wurde er jedoch verdächtigt gegen Gaddafi zu opponieren, verhaftet und angeklagt, ein „Terrorist der Muslimbrüderschaft und Agent Amerikas“ zu sein.

Die Urteilsverkündung und –vollstreckung inszenierten Gaddafis Handlanger als Massenspektakel: Tausende Gymnasiasten und Studenten wurden mit Bussen ins Stadion von Benghazi gekarrt. Und alles, was dann im Stadion geschah war live auch im libyschen Fernsehen mitzuerleben: Als Al-Sadek Hamed Al-Shuwehdy hörte, dass er zum Tode verurteilt sei, flehte er weinend um Gnade. Als ein mobiler Galgen aufs Spielfeld des Stadions gerollt wurde, liefen zwei junge Männer zu den Henkern, baten das Leben des jungen Ingenieurs zu verschonen. Vergeblich. Da die Vollstreckung dann allerdings problematisch wurde, da sich Al-Sadek Hamed Al-Shuwehdy endlos lange im Todeskampf am Galgen wand, trat eine junge Gaddafi-Anhängerin, die dann umgehend in Führungspositionen aufstieg, Bürgermeisterin von Benghazi und eine der reichsten Frauen Libyens werden sollte, trat „Huda die Henkerin“ aus den Zuschauermassen hervor und zog so lange an den Beinen des baumelnden und sich windenden Al-Sadek Hamed Al-Shuwehdy bis er tot war.

Die Hinrichtung Al-Sadek Hamed Al-Shuwehdy war die erste, die live im libyschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Weitere sollten bis zum Sturz Gaddafis folgen.

 

 

 

Catull

* 84 v. Chr. als Gaius Valerius Catullus in Verona, † 54 v. Chr. In Rom, römischer Dichter

 

In Sirmione,

wo Catull zu Hause war

und es besang, dieses See-Idyll,

in Sirmione,

wo Olivenhaine und Thermen

betören, ahnte ich,

warum hier selbst die Winde

Namen haben:

Ander und Avreser, Ora,

Réfol und Montesé, Bovaren,

Luganot und Gardesana.

Leicht, wie vom Winde bewegt,

fühlte ich mich hier,

in Sirmione,

in den Grotten des Catull.

 

 

 

Laura Cereta

* Ende August 1469 in Brescia, † 1499 ebd., italienische Autorin

 

Im Alter von sieben Jahren schickten ihre Eltern sie in einen Konvent, wo sie neben Handarbeit auch Lesen und Schreiben lernte. Und da sie unter Schlaflosigkeit litt, lernte sie unermüdlich. Später unterrichtete sie ihr Vater in Astrologie, Grammatik, Mathematik, Philosophie und Rhetorik. Dann hatte sie Kontakte zu einem Kreis von Humanisten, der „Academia Mondella.“

„Bekanntheit erlangte Cereta mit ihren fünf Pamphleten zur Verteidigung der Frauenbildung. In einem Brief an ‚Bibulus Sem-pronius’ – der Name ist eine Erfindung Ceretas, möglicherweise in Anspielung an Gaius Sempronius Gracchus, und bedeutet in etwa ‚Trunkenbold Sempronius’ – brandmarkte sie die Schmeicheleien der Männer gegenüber den Frauen als deren Herabwürdigung. Bibulus’ Lob für Ceretas herausragende Gelehrsamkeit sei eine Beleidigung, weil jede Frau in der Lage sei, ihre geistigen Fähigkeiten auszubilden, wie viele gelehrte Frauen in der Geschichte und unter ihren Zeitgenossinnen bewiesen hätten. Allein die Erziehung der Mädchen auf Äußerlichkeiten hin sorge für eine gegenüber den Männern geringere Zahl an Gebildeten. Wissen erlange man durch Studium, nicht durch Begabung. Beide Ge-schlechter seien mit den gleichen Talenten begabt, Frauen bräuchten nur wegen ihrer körperlichen Schwäche mehr Unterstützung. Er selbst, Bibulus, sei nicht mehr als ein unbelebter Stein, der in trägem Müßiggange verkomme, weil er auf ein Studium verzichtete, das ihn hätte zu einem Weisen machen können. Seine Versuche, ihr zu schmeicheln, seien hinterhältig, da er in Wahrheit versuche, das gesamte weibliche Geschlecht niederzuwerfen, weswegen sie wiederum ihn bekämpfen müsse“, weiß Wikipedia. „In ihrem Brief an Augustinus Aemilius […], beleuchtete Cereta die Situation der Frau. Sie entschuldigte sich dafür, dass Frauen im Allgemeinen ein größeres Interesse an Äußerlichkeiten als am Studium hätten. Allerdings seien Frauen, die ihr Leben der Bildung widmeten, auch einem großen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt – eine Erfahrung die Cereta mehrmals machen musste. Die Angriffe gegen ihre Person gingen so weit, dass behauptet wurde, ihre Briefe stammten nicht aus ihrer Feder, sondern seien von ihrem Vater geschrieben. Besonders ärgerte sich Cereta, dass Frauen zu ihren schärfsten Kritikern zählten. In einem Brief an ‚Lucilia Vernacula’ – ebenfalls eine fiktive Person, übersetzt etwa ‚gemeine Sklavin’, […] – richtete sie sich heftig gegen dumme Frauen, die gebildete Frauen herabwürdigten. Diese würden dadurch nicht nur sich selbst, sondern ihr gesamtes Geschlecht diskreditieren. Die Frauen sollten sich durch Bildung befreien, im Lernen seien Frauen den Männern ebenbürtig und gleichberechtigt.“

Im Alter von 30 Jahren starb Laura Cereta plötzlich und wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme in der Kirche San Domenico in Brescia beigesetzt.

 

 

 

 

Lakshmibai

* um 1828 als Manikarnika in Benares, † 17.6.1858 in Gwalior, indische Aufständische

 

Lakshmibai war eine Rani, die Fürstin von Jhansi. Nach dem Tod ihres Mannes, des Rani von Jhansi, annektierten die Briten diesen indischen Staat. Sie protestierte in London mehrmals gegen ihre Entthronisierung, jedoch ohne Erfolg, und geriet sukzessive immer weiter in den Großen Indischen Aufstand hinein.

Mehrmals führte Lakshmibai indische Truppen in Kämpfe mit den Briten. Schließlich kam sie im Alter von 30 Jahren bei einem Kavalleriegefecht ums Leben.

 

 

 

Joachim Neander

* 1650 in Bremen, † 31.5.1680 ebd., deutscher Komponist

 

Nach Joachim Neander wurden das Neandertal und folglich auch der Neandertaler benannt. Dabei war der Mann Theologe und dichtete Kirchenlieder wie: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“:

Lobet den Herren, der alles so herrlich regieret,

der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet,

der dich erhält,

wie es dir selber gefällt,

hast du nicht dieses verspüret?...

Als Lateinschul-Rektor der Düsseldorfer reformierten Gemeinde liebte er es, seine Lieder bei Erbauungsgottesdiensten in der Schlucht des Flüsschens Düssel bei Mettmann anzustimmen. Besonders eindrucksvoll muss das in einer Höhle geklungen haben, zu der man alsbald Neanderhöhle sagte, und nach der Höhle hieß dann die ganze Schlucht Neandertal, und nachdem 1856 dort menschenähnliche Skelettteile entdeckt worden waren, ging der Name Neander auch auf diesen ausgestorbenen Verwandten des Homo sapiens über.

Joachim Neander hatte das später nach ihm benannte Tal in seinem Todesjahr sogar selbst beschrieben: Ist auch ein Thal im Sommer oder Herbst denen nach Frankfurt am Mayn den Reinstrohm auff und abfahrenden, woselbst zwischen Cöllen und Maintz Berge, Klippen, Bäche und Felsen mit sonderbarer Verwunderung zu sehen, auch im Bergischen Lande in dem Gesteins nicht weit von Düsseldorff.

 

 

 

Stefano Casiraghi

* 8.9.1960 in Como, † 3.10.1990 in Monaco, italienischer Rennbootfahrer

 

Stefano Casiraghi war nicht nur Gatte von Caroline Louise Marguerite Grimaldi, Prinzessin von Hannover, Prinzessin von Monaco, sondern vor allem Offshore-Rennboot-Weltmeister.

Vielleicht hätte es ihm eine Warnung sein sollen, sich mehr seinen fürstlichen Verpflichtungen zu widmen, als sein Speedboot im Sommer 1990 vor Guernsey explodierte. Als Stefan Casiraghi jedoch versuchte seinen Weltmeistertitel vor der Küste Monacos zu verteidigen, kam er am 3. Oktober 1990 im Alter von 30 Jahren ums Leben.

 

 

 

Sergej Alexandrowitsch Jessenin

* 3.10.1895 in Konstantinowo, † 28.12.1925 in Leningrad, russischer Dichter

 

Sein letztes Gedicht schrieb Sergei Jessenin mit Blut:

 

Freund, leb wohl. Mein Freund, auf Wiedersehen.

Unverlorner, ich vergesse nichts.

Vorbestimmt, so war’s, du weißt, dies Gehen.

Da’s so war: ein Wiedersehn versprichts.

 

Hand und Wort? Nein, laß – wozu noch reden?

Gräm dich nicht und werde mir nicht so fahl.

Sterben -, nun, ich weiß, das hat es schon gegeben;

Doch: auch Leben gabs ja schon einmal.

 

Danach erhängte er sich in seinem Zimmer im Leningrader Hotel „Angleterre“.

Zwei Monate zuvor hatte er in einer Art Lebenslauf geschrieben: „Gedichte begann ich früh zu schreiben, mit neun Jahren, mein bewußtes Schaffen aber setzte ich zwischen sechzehn und siebzehn Jahren an. Einige Gedichte aus dieser Zeit sind in ‚Raduniza’ veröffentlicht worden. […] 1919 publizierte ich zusammen mit Kameraden das Manifest des Imaginismus. Der Imaginismus war eine Formrichtung, die wir durchsetzen wollten. Doch diese Richtung hatte keinen Boden unter den Füßen und ging von selber ein, da sie dem Formgefüge zuliebe die Wahrheit aufgab. […] In den Revolutionsjahren stand ich ganz und gar auf seiten des Oktober, doch ich verstand alles auf meine Art, mit meinem bäuerlichen Einschlag. […] Was weitere autobiografische Mitteilungen anbelangt, so sind sie in meinen Gedichten.“

 

Wunschkarg bin ich, wunschlos fast geworden,

Leben, lebt ich, träum ich dich?

Morgenritt, das Pferd war rosafarben,

sprengt dahin, verrannte sich.“

 

Im Jahr zuvor hatte er über sein Leben berichtet: „… und dann begann – wie bei allen Russen in den Jahren 1918 bis 1921 – mein Wanderleben. Ich war in Turkestan, im Kaukasus, in Persien, auf der Krim, in Bessarabien, in den Orenburger Steppen. […] 1921 heiratete ich Isidora Duncan und fuhr nach Amerika; vorher zog ich durch ganz Europa, außer Spanien. – Nach dem Ausland sah ich Heimat und Ereignisse anders. Unser grad erst ausgekühltes Nomadenlager gefällt mir nicht. Mir gefällt die Zivilisation. Aber Amerika liebe ich gar nicht. Amerika – verbreitet einen üblen Gestank, in dem nicht nur die Kunst verkommt, sondern überhaupt bestes menschliches Wollen. Wenn man heute Kurs auf Amerika nimmt, bin ich bereit, unseren grauen Himmel vorzuziehen und unsre Landschaft: die Hütte, ein bißchen in die Erde gewachsen, die Darre, aus der eine riesige Stange ragt, und eine magere Stute in der Ferne lässt ihren Schweif im Winde wehen. Das sind freilich keine Wolkenkratzer, die im Augenblick zwar einen Rockefeller und einen MacKormik hervorbrachten, dafür aber ist das, was bei uns Tolstoi, Dostojewski, Puschkin, Lermontow und andere erzog.“

Der Slawist Fritz Mierau schrieb: „Jessenin hat sich vieler Figuren bedient: Heiliger, Prophet, Rowdy, Pugatschow, Segel am Schiff der Zeit, Nomach-Rasswetow, Ankläger aus dem ‚Eisernen Mirgorod’, Laternen- und Bohrturmenthusiast, Student von Marx, Passagier auf Lenins Schiff, Mann in Schwarz. Es sind notwendige Metamorphorsen in einem Prozeß, den Jessenin einer neuen Verbindung mit dem Kreatürlichen, mit der Natur zutrieb.“

 

Aus meinem Leib gezogen ist die Kerze,

sie brennt herab, brennt golden und brennt stumm.

 

 

 

Esther John

* 14.12.1929 als Qamar Zia in Indien, † 2.2.1960 in Chichawatni, pakistanische Krankenschwester

 

Sie wuchs als Qamar Zia als eines von sieben Kindern einer muslimischen Familie in Britisch-Indien auf, besuchte zuerst eine staatliche, dann eine christliche Schule und konvertierte heimlich. Nachdem sie mit ihrer Familie nach der Teilung Indiens von Madras nach Karatschi gelangt war, sollte sie mit einem Muslim zwangsverheiratet werden, ließ sich aber taufen, nahm den Namen Esther John an und floh schließlich in den Punjab. Hier arbeitete sie als Krankenschwester in einem christlichen Missionsspital und dann als Lehrerin in einer Missionsschule.

Am 2. Februar 1960, zu Maria Lichtmess also, wurde Esther John brutal ermordet. Die Umstände ihres Todes wurden nie geklärt, die Mörder nie gefasst.

Zu ihrem Gedenken wurde jedoch 1998 eine Gedenkstatue neben weiteren neun Statuen für Märtyrer des 20. Jahrhunderts am Westportal von Westminster Abbey enthüllt.

 

 

 

Zororo Makamba

* 17.1.1990 in Harare, † 23.3.2020 ebd., simbabwischer Journalist

 

Am 9. März 2020 war Zororo Makamba, der beliebte Moderator der Sendung „State of the Nation“, von einer Reise aus New York City nach Simbabwe zurückgekehrt. Am 12. März 2020 klagte er über grippeähnliche Symptome.  Am 21. März 2020 wurde bei ihm eine Covid-19-Erkrankung diagnostiziert. Am 23. März 2020 starb Zororo Makamba im Alter von 30 Jahren in einem Krankenhaus in Harare.

Er war der erste Corona-Tote Simbabwes, einer der ersten Afrikas.

 

 

 

Ivar Arosenius

* 8.10.1878 als Ivar Axel Henrik Arosenius in Göteburg, † 1.1.1909 in Älvängen, schwedischer Maler

 

Ivar Arosenius litt seit seiner Geburt an der Bluterkrankheit, so dass sein Leben von Anfang an stark eingeschränkt war. So durfte er nicht im Freien spielen und begann sich in seiner Fantasie im wahrsten Wortsinne eine Welt auszumalen.

Er besuchte dann Zeichenschulen sowie die Kunglika Konsthögskolan in Stockholm und schuf vor allem Aquarelle, aber auch Porträts in Öl. Nach der Geburt seiner Tochter Eva gestaltete er für sie das Bilderbuch „Katt-Resan och andra sagor - Die Katzenreise und andere Geschichten“. Er illustrierte auch weiter Bücher.

Ivar Arosenius starb im Alter von 30 Jahren an der Bluterkrankheit.

 

  

 

 

Walter Flex

* 6.7.1887 in Eisenach, † 16.10.1917 bei Pöide, Saaremaa, deutscher Schriftsteller

 

Jeder deutsche Wandervogel kannte wohl die Wandervogel-Verse von Walter Flex, sang diese gern beim Wandern oder wann und wo auch immer inbrünstig und lauthals:

 

Wildgänse rauschen durch die Nacht

Mit schrillem Schrei nach Norden –

Unstäte Fahrt! Habt acht, habt acht!

Die Welt ist voller Morden.

 

Fahrt durch die nachtdurchwogte Welt,

Graureisige Geschwader!

Fahlhelle zuckt, und Schlachtruf gellt,

Weit wallt und wogt der Hader.

 

Rausch’ zu, fahr’ zu, du graues Heer!

Rauscht zu, fahrt zu nach Norden!

Fahrt ihr nach Süden übers Meer –

Was ist aus uns geworden!

 

Wir sind wie ihr ein graues Heer

Und fahr’n in Kaisers Namen,

Und fahr’n wir ohne Wiederkehr,

Rauscht uns im Herbst ein Amen!

 

In seinem Kultbuch „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ beschreibt Walter Flex die Entstehungsgeschichte von „Wildgänse rauschen durch die Nacht: „Ich lag als Kriegsfreiwilliger wie hundert Nächte zuvor auf der granatenzerpflügten Waldblöße als Horchposten und sah mit windheißen Augen in das flackernde Helldunkel der Sturmnacht, durch die ruhelose Scheinwerfer über deutsche und französische Schützengräben wanderten. Der Braus des Nachtsturms schwoll anbrandend über mich hin. Fremde Stimmen füllten die zuckende Luft. Über Helmspitze und Gewehrlauf hin sang und pfiff es schneidend, schrill und klagend, und hoch über den feindlichen Heerhaufen, die sich lauernd im Dunkel gegenüberlagen, zogen mit messerscharfem Schrei wandernde Graugänse nach Norden. […] Die Postenkette unseres schlesischen Regiments zog sich vom Bois des Chevaliers hinüber zum Bois de Vérines, und das wandernde Heer der wilden Gänse strich gespensterhaft über uns alle dahin. Ohne im Dunkel die ineinanderlaufenden Zeilen zu sehen, schrieb ich auf einen Fetzen Papier ein paar Verse…“ Literaturkritisch wurde Walter Flex als „Nachkriegsdichter“ eingestuft, der nach 1918 eine vergleichbare soziale Position innehatte wie Theodor Körner nach den Freiheitskriegen gegen Napoleon oder Wolfgang Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg: „Jung gefallen oder gestorben, jugendlichen Lesern wiedererkennbare Emotionalität und Trotz, gegen Sentimentalitäten nicht gefeite Trauer, eher lyrischer als prosaischer Stil.“

Der Infanterie-Kompanieführer Walter Flex wurde während eines militärisch bedeutungslosen Scharmützels im Zuge des Landungsunternehmens „Albion“ auf der estnischen Insel Saaremaa so schwer verwunde, dass er am Tag darauf  im Lazarett verstarb.

 

Wir sind wie ihr ein graues Heer

Und fahr’n in Kaisers Namen,

Und fahr’n wir ohne Wiederkehr,

Singt uns im Herbst ein Amen…

 

 

 

Walter Rheiner

* 18.3.1895 als Walter Heinrich Schnorrenberg in Köln, † 12.6.1925 in Berlin, deutscher Schriftsteller

 

Komm, holder Schnee! Verschütte dies schwere Herz!

Mit deiner Gnade zaubre die Träne starr,

so aus der ewigen Quelle rinnet,

täglich geboren, geliebt noch immer.

 

Um dem Kriegsdienst zu entgehen, täuschte Walter Rheiner vor, drogenabhängig zu sein. Er wurde dennoch zur Ostfront eingezogen und wurde nunmehr süchtig. Nach dem Scheitern einer Entziehungskur wurde er entlassen und zog nach Berlin.

Hier wurde er zum literarischen Nomaden, bettelte sogar. Doch einige seiner Werke wurden immerhin von Conrad Felixmüller illustriert.

Dann ging er nach Dresden, wurde führender Kopf einer spätexpressionistischen Künstlervereinigung und Redakteur der Zeitschrift „Menschen“ und fand einen Verleger für seine Bücher, so die Novelle „Kokain“

Doch Walter Rheiners Drogensucht eskalierte, er wurde entmündigt und für eine Zeit lang in eine geschlossene Anstalt in Bonn eingeliefert. Schließlich nahm er sich, völlig vereinsamt und verarmt, im Alter von 30 Jahren mit einer Überdosis Morphin das Leben.

 

O gib, daß mir aus dieser verlorenen Qual,

der bittern, werde das große, das ernste Grab,

darin ich mich zur Ruhe finde:

weinende, liebend erlöste Seele.

 

 

 

Sylvia Plath

* 27.10.1932 in Jamaica Plain, Massachusetts, † 11.2.1963 in London, amerikanische Autorin

 

Ich bin ein neunsilbiges Rätsel,

ein Elefant, ein massiges Haus

eine Melone, die auf zwei Ranken spaziert.

O rote Frucht, Elfenbein, feines Bauholz

Dieser Laib ist dick in seinem hefigen Gehen.

Frisch gedruckte Scheine in diesem fetten Geldbeutel.

Ich bin ein Mittel, eine Bühne, eine Kuh im Kalb.

Ich habe eine Tüte grüner Äpfel gegessen,

bin in den Zug gestiegen, von dem es keinen Ausstieg gibt.

 

Sylvia Plath schrieb Gedichte, Kinderbücher, Short Stories und einen Roman. Sie wurde zu einer Symbolfigur der Frauenbewegung stilisiert und ihre Lebensgeschichte als Spiegelbild der Rolle der Frau in der Gesellschaft verstanden: Im Alter von 8 Jahren schrieb sie ihre ersten Gedichte, mit fünfzehn erschienen einige in Schülerzeitungen. Mit zwanzig gewann sie einen Schreibwettbewerb, litt dann unter Stimmungsschankungen und Depressionen und versuchte sich mit Schlaftabletten umzubringen.

In England lernte sie den Lyriker Ted Hughes kennen und heiratete ihn, doch trennte sich schließlich wieder. Ted Hughes sagte im Vorwort zu ihren Tagebüchern, die sie seit dem elften Lebensjahr geführt hatte: „Sylvia Plath war ein Mensch mit vielen Masken, sowohl in ihrem Privatleben als auch in ihrem Schreiben.“

Bekannt wurde Sylvia Plath erst postum. Die amerikanische Literaturkritikerin Marjorie Perloff schrieb 10 Jahre nach ihrem Tod: „Während des letzten Jahres wurde Sylvia Plath zu einer echten Kultfigur. […] Plaths wird nicht aufgrund eines bedeutenden Œuvre erinnert werden, sondern wegen einiger erstaunlicher und ausgezeichneter Gedichte, eines faszinierenden autobiographischen Romans und wegen des Beispielcharakters ihres Lebens mit seiner schrecklichen Spannung zwischen Erfolg und Leiden“.

Im Alter von dreißig Jahren gelang es Sylvia Plath dann, sich umzubringen, Schlaftabletten und Gas, während ihre Kinder in einer oberen Etage schliefen. Da neben Abschiedsbriefen aber auch ein Zettel mit der Bitte ihren Arzt anzurufen, gefunden wurde, hielt man ihren Suizid für einen „Cry for help“, für einen Hilferuf.

 

Totgeboren

Diese Gedichte leben nicht: eine traurige Diagnose.

Ihre Zehen und Finger sind richtig ausgebildet,

ihre kleinen Stirnen vor Konzentration gewölbt.

Sie haben es nie geschafft, umherzugehen wie Leute,

doch nicht etwa aus Mangel an Mutterliebe.

 

Ich begreife nicht, was aus ihnen geworden ist!

In Form und Zahl und allen Teilen sind sie gelungen.

Sie liegen so lieb in der Pökelflüssigkeit!

Sie lächeln und lächeln und lächeln mich an.

Und trotzdem füllen sich die Lungen nicht,

fangen die Herzen nicht an zu schlagen.

 

Sie sind keine Schweine, nicht einmal Fische,

obwohl sie etwas Schweinisches und Fischiges an sich haben –

es wäre besser, sie wären am Leben und wären diese Tiere.

Doch sie sind tot, und ihre Mutter ist halb tot vor Qual,

und sie starren nur dumm und sprechen nicht von ihr.

 

 

 

Geo Milew

* 15.1.1895 als Georgi Miljow Kassabow in Radnewo, † 15.5.1925 bei Illijanzi, bulgarischer Autor

 

Als Geo Milew zwölf war, erschien in der Kinderzeitschrift „Slawejtsche“ sein erstes Gedicht. Im Jahresrhythmus folgten handgeschriebene Sammelbände mit eigenen wie auch übersetzten Texten.

Mit sechzehn begann er in Sofia zu studieren und setzte sein Studium in Leipzig fort, leitete dann in Sofia eine Verlagsbuchhandlung, publizierte weiter, mühte sich, moderne europäische Literatur in Bulgarien bekannt zu machen.

Mit einundzwanzig wurde er Soldat und wurde mit zweiundzwanzig schwer verwundet, verlor sein rechtes Auge. Mit fünfundzwanzig inszenierte er erstmals am Sofioter Nationaltheater.

Dann wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Bulgariens und gab die Zeitschrift „Plamak“ heraus. Sein hier erschienenes Poem „September“, das die Ereignisse des kommunistischen Aufstands am 23. September 1923 in Bulgarien behandelte und seine blutige Niederschlagung durch die Regierung kritisierte, führte dazu, dass er ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geriet. Die Ausgabe wurde konfisziert, „Plamak“ musste sein Erscheinen im Januar 1925 einstellen und Geo Milew wurde nach dem „Gesetz zum Schutz des Staates“ angeklagt und am 14. Mai 1925 zu einem Jahr Haft und einer Strafzahlung von 20.000 Lewa verurteilt.

Nach dem Bombenanschlag auf die Sofioter Kathedrale Sweta Nedelja am Gründonnerstag des Jahres 1925 war in Bulgarien allerdings das Kriegsrecht ausgerufen worden und in den Folgewoche wurden hunderte Personen, Intellektuelle vor allem, verhaftet und ermordet.

Geo Milew holten Sicherheitspolizisten am 15. Mai 1925 zu „einer kurzen Befragung“ ab, von der er nie zurückkehrte. Er wurde nur dreißig Jahre alt.

 

 

 

Emily Jane Brontë

* 30.7.1818 in Thornton, Yorkshire, Pseudonym: Ellis Bell, † 19.12.1848 in Haworth, Yorkshire, britische Schriftstellerin

 

Es waren drei Pfarrerstöchter in Yorkshire, die hatten einander so viel zu erzählen - und wurden also Schriftstellerinnen: Emily und Charlotte und Anne Brontë, die auch sehr ähnliche Pseudonyme wählten: Ellis und Currer und Acton Bell. Schon als Kinder erfanden sie die Länder Angria und Gaaldine und Gondal, über die sie gemeinsam Geschichten schrieben.

Nicht nur Kritiker, sondern auch Charlotte und Anne hielten Emily für die begabteste der drei Brontë-Schwestern, vor allem ihre Gedichte wurden gelobt. Und sie schrieb einen Roman, der bis heute und bis in die Rock-Musik hinein lebt: „Wuthering Heigts – Sturmhöhen“:

Unquiet slumbers for the sleepers in that quiet earth lautet der letzte Satz dieses Romans. Und Unquiet slumber for the sleepers…” und „…In that quiet earth” heißen die beiden letzten Titel des Genesis-Albums Wind & Wuthering“. Kate Bushs Debüt-Single hieß „Wuthering Heigts“

Charlotte, die älteste der drei Schwestern starb achtundreißigjährig an Hyperemesis gravidarum (unstillbares Schwangerschaftserbrechen), Charlotte, die jüngste, im Alter von 29 Jahren an Tuberkulose, Emily dreißigjährig an Lungenentzündung,

 

 

 

Rudolf von Österreich-Ungarn

* 21.8.1858 im Neuen Schloss Laxemburg als Rudolf Franz Karl Joseph von Österreich-Ungarn, † 30.1.1889 auf Schloss Mayerling, österreichischer Kronprinz

 

Rudolf war der einzige Sohn Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeths, der „Sissi“, ergo der potentielle Erbe des riesigen Habsburger Reiches, der Kronprinz, der Thronfolger.

Der kaiserliche Papa versuchte seinen Sprössling von Anfang an für den Thron abzuhärten, ließ ihn durch den Erzieher stundenlang in Regen und Kälte exerzieren, durch Pistolenschüsse wecken oder plötzlich im Wald mutterseelenallein stehen. Sissi unterband dies schließlich und ließ Rudolf fortan von Alfred Brehm unterrichten und schickte ihn auf Reisen.

Rudolf verfasste Berichte über diese Exkursionen und regte eine Enzyklopädie Österreich-Ungarns an, das „Kronprinzenwerk“. Dann wurde er Soldat und reüssierte rasch, war schon alsbald General. In Prag verliebte er sich, doch wurde seine Geliebte ins Exil geschickt und starb, denn der Kaiser hatte längst eine Ehe für seinen Sohn vereinbart. Rudolf hatte die Tochter des belgischen Königs Leopold II., Prinzessin Stephanie, zu heiraten. Zwar gebar Stephanie ein Kind, Erzherzogin Elisabeth Marie, doch litt die Ehe an ständigen Auseinandersetzungen und Rudolf an „starken Stimmungsschwankungen“.

Mizzi Kaspar wurde Rudolfs neue Geliebte, und bei ihr verbrachte er seine letzte Nacht. Mit ihr wollte sich der Kronprinz umbringen, doch Mizzi wollte nicht und informierte die Polizei über Rudolfs Suizid-Absichten. Die nahm das jedoch nicht ernst.

In der folgenden Nacht erschoss der Habsburger Thronfolger auf seinem Jagdschloss zuerst die achtzehnjährige Mary Alexandrine Freiin von Vetsera, eine weitere Geliebte, und dann sich selbst.

Bereits zwei Jahre zuvor hatte Rudolf sein Testament aufsetzen lassen und darin Kaiser Franz. Joseph I. zum Testamentvollstrecker bestimmt. Wenigstens einmal wohl, wollte Rudolf versuchen, seinem Vater etwas vorzuschreiben.

 

 

 

Jeffrey Scott Buckley

* 17.11.1966 in Anaheim, Kalifornien, † 29.5.1997 in Memphis, Tennessee, amerikanischer Liedermacher

 

Jeff Buckley starb mit 30 Jahren, sein Vater, der Song-Writer Tim Buckley (der Frau und Kind aber schon vor Jeffs Geburt verlassen hatte) , mit 28 - der Vater setzte sich den Goldenen Schuss, der Sohn ertrank, clean.

In seinem wohl bekanntesten, obwohl von Leonard Cohen gecoverten Song „Hallelujah“ singt Jeff Buckley: „Vielleicht ist da oben ein Gott / Aber alles, was ich jemals aus Liebe gelernt habe / War, wie man jemanden erschießt, der einen überholte? / Und es ist kein Schrei, den du nachts hörst / Es ist nicht jemand, der das Licht gesehen hat / Es ist eine Erkältung und ein kaputtes Hallelujah…“

Über seinen Tod wird berichtet: Im Mai 1997 hielt sich Jeff Buckley in Memphis auf, um in Ruhe an seinem zweiten Studioalbum „My Sweetheart the Drunk“ zu arbeiten. Er mietete ein kleines Haus, in dem er allein eine Reihe von Demos aufnahm. Am Abend des 29. Mai, kurz bevor seine Bandkollegen Michael Tighe, Mickgroendahl und der neu verpflichtete Schlagzeuger Parker Kindred zu geplanten Aufnahmen eintrafen, ging er zum Wolf River, wo er schon oft geschwommen war, voll bekleidet ins Wasser, während im Radio der Song „Whole Lotta Love von Led Zeppelin erklang und er lauthals mitsang. Jeff Buckley kam bis zur Mitte des Flusses, wo ihn die Bugwelle eines Schiffes unter Wasser zog. Seine Leiche wurde erst fünf Tage später gefunden. Laut Obduktionsbericht befanden sich weder Alkohol noch andere Drogen in seinem Körper.

Auf seinem ersten und einzigen Studioalbum „Grace“ sang er im Titelsong: „Der Mond bittet zu warten / Lange genug, damit die Wolken mich wegfliegen können / Nun, meine Zeit kommt, / Ich habe keine Angst zu sterben // Meine verblassende Stimme singt über Liebe / Aber sie weint zum Ticken der Zeit / Der Zeit… […] Und ich spüre wie sie meinen Namen ertrinken / So einfach zu wissen und zu vergessen durch diesen Kuss / Ich habe keine Angst zu gehen, aber es geht so langsam // Warte im Feuer…“

 

 

 

Ruben Sewag

* 15.2.1885 als Ruben Hovhannes Tschilikirjan in Silivri, † 26.8.1915 bei Çankırı, armenischer Dichter

 

Ihr, guten Glocken, gute, guten Glocken,

Was ließ eure Unheilklöppel verstummen?

Zu Worte kommen will das rinnende Blut…

Und warum schweigt ihr, gute, gute Glocken?

 

Ruben Sewag besuchte die Askanazjan-Grundschule in seinem Geburtsort Silivri, dann die amerikanische Mittelschule in Bardizag, legte schließlich am Berberjan-Gymnasium in Konstantinopel sein Abitur ab und studierte Medizin in Lausanne, wo er dann bis 1914 als Arzt praktizierte. 1915 kehrte er nach Konstantinopel zurück.

 

Wo seid ihr nun, wundervolle Versprechen ans

Kreuz: Reden der Brüderlichkeit, wo seid ihr?

Und Feuer erbricht die Erde all überall…

Die Flüsse schwellen mit Blut, mit Leichen auf…

 

Unter dem Eindruck des Massakers in Adana, dem im April 1909 mindestens 30.000 Armenier zum Opfer fielen, hatte Ruben Sewag Gedichte veröffentlicht und vor der wachsenden jungtürkischen Gefahr gewarnt.

 

Ihr Glocken, seid still – Gott ist gestorben!

Die traurige Botschaft für morgen – seine Ähre starb!

Die Botschaft dem Armenier – da das Volk starb!

Ihr guten Glocken, alten, guten Glocken…

 

Anfang August 1915 war Ruben Sewag noch erlaubt worden, „frei in Çankırı zu residieren“, Ende August wurde er dort jedoch verhaftet und auf dem Transport ins Konzentrationslager Ayas ermordet.

 

Mit tausend stummen Glocken meiner Seele

Schreit, Glocken, und fallt stürmisch herab

Von eurer eisernen Sitzstange, von der aus

Ihr jahrhundertelang nur weinen konntet…

 

Oh, läutet, läutet – Gott ist gestorben…

 

 

 

Jasmine You

* 8.3.1979 als Kagayama Yūichi in der Präfektur Aichi, † 9.8.2009, japanischer Rock-Musiker

 

Jasmin You, bekannt für seine aufwendigen Kleider und Haarteile, war Bassist der Metal-Band „Versailles“. Am 3. August 2009 kündigte die Band an, dass er aus gesundheitlichen Gründen alle Musikprojekte aufgeben muss, sechs Tage später starb Jasmine You im Alter von 30 Jahren.

 

 

 

 

Margareta „Meta“ Klopstock

* 16.3.1728 als Margarete Moller in Hamburg, † 28.11.1758 ebd., deutsche Dichterin

 

Ihr Gatte, der Dichterfürst Friedrich Gottlieb Klopstock, verewigte seine Gattin Margareta in den „Cidli-Oden“:

„Unerforschter, als sonst etwas den Forscher täuscht.

   Ist ein Herz, das die Lieb empfand,

Sie, die wirklicher Wert, nicht der vergängliche

   Unsers dichtenden Traums, gebar,

Jene trunkene Lust, wenn die erweinete,

   Fast zu selige Stunde kommt,

Die dem Liebenden sagt, daß er geliebet wird!

   Und zwo bessere Seelen nun

Ganz, das erste Mal ganz, fühlen, wie sehr sie sind

   Und wie glücklich, wie ähnlich sich!...“

Meta Klopstock schrieb selbst auch, ein Drama, einen Essay, Hymnen, Dialoge, ihre Texte wurden postum veröffentlicht. Über ihre Korrespondenz urteilte ihr Ehemann: „Ich habe solche Briefe noch nie gesehen, worinn so viel Natur im eigentlichsten Verstande, und zwar so viel gute Natur gewesen wäre.“

Ihre Ehe scheint sehr glücklich gewesen zu sein und wird als Höhepunkt im Leben Klopstocks gesehen. Bei der Geburt ihres ersten Kind starb Meta jedoch. Der Junge kam tot auf die Welt und wurde mit seiner Mutter zusammen in Ottensen begraben. Nach seinem Tod wurde dann auch Friedrich Gottlieb Klopstock hier beigesetzt.

 

 

 

Daschdordschiin Natsagdordsch

* 17.11.1906, † 13.7.1937, mongolischer Schriftsteller

 

Daschdordschiin Natsagdordsch gilt als Begründer der modernen mongolischen Literatur, sein Poem „Meine Heimat“ als Nationalgedicht der Mongolen. Sein Stück „Die drei traurigen Hügel“ wurde in der postumen Bearbeitung als Oper zum meist gespielten Werk des mongolischen Theaters.

Zwar war Daschdordschiin Natsagdordsch einer der Gründer des Kommunistischen Mongolischen Jugendverbandes, hatte in Leningrad, Berlin und Leipzig studiert, wurde jedoch 1932 im Zuge der beginnenden „Stalinschen Säuberungen“ erstmals verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Eine zweite Verhaftung und Verurteilung zur Zwangsarbeit überlebte er nicht.

 

 

 

Bāb

* 20.10.1819 als Seyyed ’Ali Muhammad Schirazi in Schiras, † 9.7.1850 in Täbris, persischer Religionsstifter

 

Im Alter von 24 Jahren begegnet Seyyed ’Ali Muhammad Schirazi, der sich dann ehrfürchtig „der Bāb“ genannt wurde, einem jungen Studenten und erklärte ihm, er sei der Überbringer einer neuen Botschaft von Gott. Dabei soll er gesagt haben: O du, der du der erste bist, der an mich glaubt! Wahrlich, ich sage, ich bin der Bab, das Tor Gottes, und du bist der Bábul-Bab, das Tor dieses Tores. Achtzehn Seelen müssen zu Beginn von selbst und aus eigenem Antrieb Mich annehmen und die Wahrheit Meiner Offenbarung anerkennen.

Spontan erkannten daraufhin 17 weitere Personen seinen Anspruch an und begannen seine Lehren zu verbreiten. „Der Bāb sah es als seine Mission, für die Menschheit einen Übergang zwischen vergangenen Zeitaltern der Prophezeiung und den Beginn eines neuen Zeitalters der Erfüllung zu vollziehen. Sein Ziel war es, das Bewusstsein für diese neue Ära in der Menschheitsgeschichte zu wecken, die von Frieden und Gerechtigkeit geprägt sein werde. Dieser Wandel sollte durch eine Persönlichkeit herbeigeführt werden, die er als ‚Derjenige, den Gott offenbaren wird’ bezeichnete. Der Bāb legte dar, dass es seine Aufgabe sei, die Ankunft dieses verheißenen göttlichen Erziehers anzukündigen. Er trug seinen Anhängern auf, diese Botschaft im Land zu verbreiten und die Menschen aufzurufen, sich ebenfalls auf das erwartete Ereignis vorzubereiten“, weiß Wikipedia.

Rasch zählte die Bābi-Bewegung bis zu 100.000 Anhänger. Das allerdings sahen einige muslimische Religionsführer als bedrohlich an. Der Bāb wurde inhaftiert, mehrmals des Landes verwiesen und schließlich im Alter von 30 Jahren hingerichtet.

59 Jahre später ließ ihn Bahā’ullāh, der Stifter der Bahai-Religion, dessen Anhänger den Bāb als dessen Vorläufer ansahen, in Haifa, am Fuße des Karmel-Gebirges, bestatten und alsbald hier einen weithin sichtbaren Schrein errichten, der den Bahai als heilig gilt.

 

 

 

Margarete Bothe

* 22.7.1914 in Merseburg, † 12.4.1945 in Leipzig, deutsche Lehrerin

 

Nur 30 Jahre wurde Dr. Margarete Charlotte Bothe alt. Am Abend des 12. April 1945, nur wenige Tage vor Ende der Nazi-Herrschaft über Deutschland und nur zwei Tage vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Leipzig, erschossen sie SS- und Gestapo-Schergen unter Kommando des Sturmbannführers Amselmi und des Hauptscharführers Rieth mit 51 weiteren Häftlingen auf dem Geländes des Exerzierplatzes Lindenau.

Geboren worden war Margarete Bothe am 22. Juli 1914 in Merseburg, im Haus Lauchstädter Strasse 6, als Tochter des Landrates und späteren Generaldirektors der Städte-Feuersozietät der preußischen Provinz Sachsen Gustav Bothe. Ihre Mutter war eine Tochter des weithin bekannten Merseburger Dompfarrers und Stiftssuperintendent Prof. Dr. Wilhelm Bithorn. Sie lernte 10 Jahre lang am Merseburger Oberlyzeum, besuchte dann in Halle für ein Jahr eine Frauenfachschule. Von 1933 an war sie Schülerin des halleschen Seydlitz-Oberlyzeums und bestand hier 1936 das Abitur. Nach Ableistung des halbjährigen Reichs-Arbeitsdienstes begann Margarete Bothe im Winter 1936 eine Ausbildung an der Braunschweiger Bernhard-Rust-Hochschule für Lehrerbildung, die sie im Herbst 1938 mit dem Volksschullehrer-Examen abschloss. Danach studierte sie In Heidelberg Geschichte, Deutsch und Geographie, setzte dieses Studium ab dem Wintersemester 1939 in Leipzig fort, promovierte bei Professor Otto Vossler und bestand im Februar 1944 die mündliche Prüfung mit „sehr gut“. Ihre Dissertation hatte das Thema „Das Verhältnis von Moral und Politik bei Kant, Herder, Fichte und Hegel“, und war von der philosophisch-historischen Abteilung der Fakultät aufgrund der positiven Gutachten ihres Doktorvaters und Professor Hans-Georg Gadamer angenommen wurden. Im November 1944 schließlich schloss sie ihr Studium mit dem Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab.

Am 1. Dezember 1944 aber verhaftete die Gestapo Margarete Bothe nach der Denunziation einer Kommilitonin, im Wohnzimmer ihres ehemaligen Vermieters Alfred Menzel (der bis zum Novemberprogrom 1938 Philosophie-Professor an der Höheren Israelitischen Schule zu Leipzig war und nach dem Krieg Ordinarius an der Leipziger Universität wurde) ausländische Rundfunksender gehört zu haben.

Hintergrund für die nun folgenden undurchsichtigen Abläufe bis hin zu ihrer Ermordung scheinen aber ihre Kontakte zum Hause Goerdeler und zu regimekritischen Studentengruppierungen gewesen zu sein.

Befreundet war Margarete Bothe mit ihrer Kommilitonin Marianne Goerdeler, der Tochter des Mannes, der von 1930 bis 1937 Leipziger Oberbürgermeister war und im Falle eines Gelingen des Hitler-Attentats durch Stauffenberg das Amt des deutschen Reichskanzlers übernehmen sollte, nach dessen Scheitern jedoch verhaftet und hingerichtet wurde. Des Öfteren soll Margarete Bothe bei Goerdelers eingeladen gewesen sein. Eine andere Freundin war Käte Lekebusch, die sich wegen antinazistischer Äußerungen vor dem Volksgerichtshof zu verantworten hatte, aber glücklich überlebte, später die Ehefrau Hans-Georg Gadamers wurde.

Am 1. Februar 1945 begann vor dem Sondergericht I beim Landgericht Leipzig S3 der Prozess gegen Margarete Bothe. Am 8. Februar sprachen sie die Richter vom Vorwurf des absichtlichen Abhörens von Feindsendern frei. Grund dafür könnte gewesen sein, dass sie bei ihrem ersten Verhör durch die Gestapo nicht hinlänglich belehrt worden war, dass sie nicht als Zeugin, sondern als Angeklagte befragt wurde. Zudem scheint man ihr für den Verhörtag eine Traumatisierung zugute gehalten zu haben, da sie kurz zuvor einen schweren Luftangriff auf die Leuna-Werke miterlebt hatte. Wie auch immer (das schriftliche Urteil ist nicht erhalten), die Gestapo ließ sie, angeblich da sie sich geweigert hatte, ihren Vermieter anzuzeigen, sowie auch zu bespitzeln und zu denunzieren, nicht frei, sondern Margarete Bothe wurde vom Untersuchungsgefängnis wieder ins Polizeigefängnis Wächterstraße, in Gestapo-Haft, rückgeführt. Möglicherweise sollte sie in ein KZ eingeliefert werden, was zu diesem Zeitpunkt aber offenbar schon nicht mehr möglich war. Am 12. April 1945 schließlich befahl der Kommandant der Leipziger Sicherheitspolizei, alle Gestapo-Häftlinge zu liquidieren. So stand dann auch Dr. Margarete Bothe auf dem Exerzierplatz von Leipzig-Lindenau am Rande eines frischen Bombentrichters, wurde wie 51 weitere Leidensgefährten mit Genickschuss getötet, in den Bombentrichter gestoßen und verscharrt.

Am 2. Mai 1945 wurden die in Lindenau ermordeten Gestapo-Häftlinge exhumiert. Elisabeth Grosch, eine dritte gute Freundin Margarete Bothes, die sich während der Haftzeit um sie gekümmert und mutig für ihre Freilassung eingesetzt hatte, identifizierte sie, sorgte dann für die Einäscherung Margarete Bothes und die Überführung der Urne in ihre Geburtsstadt Merseburg. Hier wurde sie am 5. Februar 1946 auf dem Stadtfriedhof zwischen den Gräbern ihrer Großeltern Bithorn beigesetzt.

In einem ihrer letzten Briefe an ihre in Hannover lebenden Eltern schrieb sie aus dem Gefängnis: Hier erlebe ich immer wieder, daß das Glück nicht von äußeren Umständen abhängt, sondern allein in uns liegt. Die Zeit hier ist nicht verloren. Ich erlebe hier viel und tröste mich daher mit Wilh. v. Humboldt und dessen Ideal, sich nach allen Seiten hin auszubilden.

 

 

 

Larissa Michailowna Reissner

* 13.5.1895 in Lublin, † 9.2.1926 in Moskau, russische Schriftstellerin

 

Zu Larissas Reissners Gedenken sprachen Leo Trotzki, Boris Pasternak, Wiktor Schlowski sowie die ein Jahrzehnt später im Zuge der „Stalinschen Säuberungen“ ermordeten Karl Radek (ihr Lebensgefährte), Lew Sosnowski, Alexander Woronski und Alexander Tarassow-Rodionow. Der schrieb in seinem Nachruf: „Larissa Reissner ist nicht mehr. Wie lebendig steht sie vor einem, mit dem anmutigen Lächeln auf dem klugen und tapferen Gesicht. Mit ihr ist die große Begabung einer Journalistin verloren, die ihr ganzes Leben der Feder und der Revolution gewidmet hat. […] Die Oktober-Revolution findet sie bereits in den Mauern des Winterpalais, bei der Ordnung der in diesem Hort des Zarismus aufgestapelten künstlerischen Werte. […] Bei den ersten Salven des Bürgerkriegs sehen wir sie im Stab der Roten Wolga-Flotille. Die junge Frau in englischer Bluse und Hackenschuhen bewegte sich furchtlos auf dem Matrosendeck. […] Und wo diese ‚europäische’ Journalistin mit ihrem deftigen Humor und ihrer verblüffenden Farbigkeit auch sein mochte, überall blieb sie der kämpfende Mensch, der unbestechliche Revolutionär. Mit begeisterter Liebe und erstaunlichem Scharfblick wußte sie das leuchtende Antlitz der Revolution zu entdecken: auf dem türkisblauen Basaren des sonnendurchglühten Kabul, in den steinigen Gebirgszügen des Ural, in den verräucherten Stollen des Don-Beckens, in Hamburg auf den Barrikaden.“

Larissa Reissner starb im Alter von 30 Jahren in einem Moskauer Krankenhaus an Typhus.

Zweieinhalb Jahre zuvor, im Oktober 1923 hatte sie über den Deutschen Reichstag berichtet: „Ach ja, nichts erinnert hier mehr an die einstige Größe! Es gibt keine einzige überragende Gestalt, die wenigstens den ehrfurchtsvollen Haß aller Parteien auf sich zöge, nicht einen Menschen, der durch seine persönliche Ehrhaftigkeit hervorstäche, der mehrere Jahrzehnte unbefleckten politischen Lebens vorzuweisen hätte. Wenn der alte Bebel diesen Raum durchschritt, erhoben sich seine Gegner, richteten sich die eingefleischten preußischen Junker schwerfällig auf in ihren schmierigen Sesseln, um seiner unantastbaren Persönlichkeit die schuldige Ehre zu erweisen. Heute gibt es keine Persönlichkeiten, keine großen Namen mehr. […] In diesem hohen Hause herrscht die Macht schon lange nicht mehr, aber von dem Geruch der Macht, von den fetten Spuren, die die ungewaschenen Hände ehemaliger Abgeordneter auf den Seiten der Verfassung hinterlassen haben, werden die lästigen, zudringlichen und unausrottbaren Schwärme der politisierenden Spießer noch immer angezogen. Wie Fliegen. Geblieben ist nur ein Papier, ein leeres, zerknülltes, fortgeworfenes Papier, aber an diesem Papier bleiben sie kleben, sie kriechen darauf herum und umsummen es…“

 

 

 

 

 

 Freddie Webster

* 8.6.1916 als Frederic Webster in Cleveland, Ohio, † 1.4.1947 in Chicago, Illinois, amerikanischer Jazz-Trompeter

 

Miles Davis nahm bei Freddie Wenster Unterricht und sagte über ihn: „Er hatte einen großartigen breiten Ton wie Billy Butterfield, ohne Vibrato“. Kenny Dorham lobte Webster „big pretty sound“, und Dizzy Gillespie meinte, Webster habe den „wohl besten Sound auf der Trompete seit ihrer Erfindung.“

Begonnen hatte er seine Karriere im Alter von 22 Jahren in der Big band von Earl Hines und tourte dann mit seiner eigenen Band durchs Land und ging Ende der 1930er Jahre nach New York, wo er mit Benny Carter, Cab Calloway oder Sarah Vaughn zusammenarbeitete.

Freddie Webster starb im Alter von 30 Jahren infolge eines Herzanfalls im Chicagoer „Strude Hotel“.

 

 

 

Jochen Piest

* 8.2.1964 in Bad Honnef, † 10.1.1995 in Tscherwljonnaja, Tschetschenien, deutscher Journalist

 

Jahr für Jahr kommen hunderte Journalisten bei ihrer Arbeit ums Leben, manche geraten in Schusslinien, andere werden ermordet. So auch Jochen Piest:

Jochen Piest schrieb für den „Stern“ und versuchte im ersten Tschetschenienkrieg in die umkämpfte Stadt Grosny zu gelangen, um den tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew zu interviewen. Als er in einem Dorf nordöstlich Grosnys mit russischen Soldaten sprach, die Minen vor einer Eisenbahnbrücke entschärften, bemächtigte sich ein tschetschenischer Kämpfer einer Lokomotive, fuhr auf Jochen Piest und die Soldaten zu und feuerte wild aus seiner Kalaschnikow. Jochen Piest wurde tödlich getroffen.

 

 

 

Minik (Peary Wallace)

* 1887 Grönland, † 29.10.1918 in North Stratford, New Hampshire, Inuk

 

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das große Schiff dort hoch kam, wo ich mit meinem Vater und meinem Volk lebte. Ich war damals ein kleiner Junge und hatte nie zuvor ein Schiff gesehen. Ich hatte nie etwas Größeres gesehen als den Kajak meines Vaters. Das große Schiff brachte mehr weiße Männer in unser kleines Dorf als wir je gesehen hatten.

Berichtete der Polar-Inuit Minik später amerikanischen Reportern im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Robert Edwin Peary und Frederick Cook, als erster Mensch den Nordpol erreicht zu haben, sowie im Bemühen, seinen in den USA verstorbenen Vater würdevoll begraben zu lassen.

Ich lebte mit meinem Vater in einem kleinen Schneehaus. Meine Mutter war tot und ich hatte keine Geschwister. (…) Er und die anderen Männer sahen das große Schiff, als es noch weit draußen im Wasser war, und sie fuhren ihm in Kajaks entgegen. Ich blieb an Land und sah zu. Bald kamen Leutnant Peary und die weißen Männer an Land und versuchten, sich mit uns zu verständigen. Wir wussten, was weiße Männer tun, und deshalb versteckten unsere Männer alle Felle und das ganze Elfenbein, damit es uns nicht gestohlen wurde. Bald begriffen wir, dass sie dort bleiben und ein Haus bauen würden. Wir halfen ihnen, und die Männer erhielten als Bezahlung Messer und Holz. Ein Stück Holz gehört zu den wertvollsten Dingen, die wir bekommen konnten.

Nach einiger Zeit gingen die Weißen weg, aber sie kamen wieder zurück. Dann fragte Leutnant Peary, ob nicht einige von uns gern mit ihm zurückfahren wollen, dorthin, wo es große Gebäude und Eisenbahnen und Lichter und viele Menschen gab und wo die Sonne im Winter jeden Tag schien und wo die Leute keine schweren Felle tragen mussten, um sich warmzuhalten.

Er überredete meinen Vater und den mutigen Mann Nuktaq, die die stärksten und kühnsten Männer unseres Stammes waren, mit ihm nach Amerika zu gehen.

Sie versprachen ihm warme Häuser im Land der Sonnen und Gewehre und Messer und Nadeln und viele andere Dinge. So segelten wir eines Tages nach New York. (…)

Unser Volk hatte Angst, sie gehen zu lassen. Aber Peary versprach ihnen, dass Nuktaq und mein Vater binnen eines Jahres zurückkommen würden und mit ihnen eine große Menge an Gewehren und Munition und Holz und Eisen und Geschenke für die Frauen und Kinder. Mein Vater glaubte also, dass Nuktaq und er diese Reise zum Wohle seines Volkes auf sich nehmen sollten. Nuktaq konnte sich von seiner Frau Arangana und seiner kleinen Tochter Aviaq nicht trennen. Also nahm er sie mit. (…) und mein Vater wollte nicht ohne mich fahren.  Und so nahmen wir fünf ein letztes Mal Abschied von unserer Heimat und gingen auf Pearys Schiff.

Die fünf Inuks wurden von Peary jedoch an das American Museum of Natural History verhökert, wo sie im Kellergeschoss zu anthropologischen Forschungen an lebenden Objekten untergebracht wurden. Und alsbald waren Mimiks Vater und Nuktaq und Arangana und Aviaq tot. Und Minik erlebte eine Odyssee, in der er angeblich von einem Museumsbediensteten, einem Mister Wallace, adoptiert wurde und schließlich sogar erfahren musste, dass man das Skelett seines Vaters in diesem Museum ausstellte.

Und da selbst all der Wirbel um Peary und Cook Minik nicht half, die Gebeine seines Vaters wenigstens begraben zu lassen, nutzte er 1909 die erstbeste Gelegenheit, nach Grönland zurückzukommen. Erst 84 Jahre danach, erst 1993 wurden die sterblichen Überreste von Mimiks Vater, von Nuktaq, Arangana und Aviaq zur Thule Airbase geflogen und endlich in Heimatboden, im nahen Qaanaaq, beerdigt. 1997 wurde zu guter Letzt sogar eine Gedenktafel über ihren Gräbern angebracht.

Minik soll 1916 in die USA zurückgekehrt und 1918 als Waldarbeiter an der Spanischen Grippe verstorben sein. Dies allerdings dürfte auf einer Verwechselung beruhen, da nicht Minik, sondern Uisaakassak, der einst ebenfalls nach Amerika entführt worden war, nach New York zurückkehrte. Gut möglich, dass die beiden einander in Uummannaq wieder begegnet waren, wo Minik nun als Fell-Händler lebte, und die Identitäten getauscht hatten. Vielleicht glaubte Uisaakassak Gerüchten, Mister Wallace habe Mimik ein Erbe ausgesetzt.

Minik engagierte sich dank seiner Erfahrungen mit den Amerikanern resolut, als nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner Heimatregion die Thule Airbase aus dem Polareis gestampft wurde. Und er musste noch miterleben, dass hier ein B-52 Bomber abstürzte und vier Wasserstoffbomben verlor.

 

 

 

Terenz

* um 190 v. Chr. in Karthago, † 159 v. Chr. in Griechenland, römischer Komödiendichter

 

„Homo sum: humani nil a me alienum puto – Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd“, lässt Terenz eine Figur seiner Komödie „Heauton Timorunos – Der Selbstquäler“ sagen. Von Terenz sind 6 Stücke überliefert, neben dem „Selbstquäler“: „Das Mädchen von Andros“, „Die Schwiegermutter“, „Der Verschnittene“, „Phormio“ und „Die Brüder“, und tatsächlich gestaltete er in seine Komödien stets das bürgerliche, römische Alltagsleben, thematisierte Erziehungsprobleme, Ehefragen und Schicksalsverwicklungen mit großer Menschlichkeit, versuchte, Personen möglichst lebensecht zu charakterisieren. Dabei verzichtete er auf Vulgäres, groben, volkstümlichen Scherz und drastische Komik, legte seine Handlungsführungen ebenso plan- wie kunstvoll an.

Er kam als Sklave nach Rom, sein Herr, der Senator Terentius Lucanus, erkannte seine Talente, ermöglichte seine Ausbildung und ließ ihn frei. Als Dank nahm er den Namen seines Herrn an: Publius Terentius, der Beiname Afer deutet auf seine afrikanische Herkunft.

Wohl um seine Bildung zu vervollständigen, reiste Terenz 160 v. Chr. Nach Griechenland und starb dort im Jahr darauf, möglicherweise aus Trauer um den Verlust, um seine dort geschriebenen Komödien.

Eine Tragödie.

 

 

 

Theophanu

* wohl 960 in Byzanz, † 15.6.991 in Nijwegen, Kaiserin

 

Laurentius, der Schutzheilige des Bistums Merseburg, soll die Kaiserin Theophanu mehrfach geängstigt haben. Ihr, die anstelle ihres noch unmündigen Sohnes Otto III. das deutsche Reich regierte, sei Laurentius wieder und wieder alptraumhaft erschienen. Trotzdem wurde das von ihrem Schwiegervater Otto dem Großen begründete Merseburger Bistum auch von weder von ihrem Gatten Otto II:, noch von ihrem Sohn Otto III. wieder hergestellt, sondern erst durch dessen Nachfolger auf dem Thron, Heinrich II. Theophanu soll dabei aber eine wichtige, eine treibende Rolle gespielt haben.

Der Merseburger Heimatforscher A.O. Reuschert erzählt die in den Merseburger Sagenschatz eingegangene Mär „Der heilige Laurentius und die Kaiserin Theophanu“ so: „Besonders schwer lastete der Gewissensdruck über die Aufhebung des Merseburger Bistums auf der Kaiserin Theophanu. Fort und fort quälte sie der Gedanke, daß ihr Gemahl dadurch eine schwere Schuld auf sich geladen habe. Bestärkt wurde die kaiserliche Witwe in diesem Glauben noch durch die Erscheinung des heiligen Laurentius: In der Stille der dunklen Mitternacht trat er plötzlich in ihr Schlafgemach mit verstümmeltem rechten Arm. Erschrocken fuhr die Kaiserin von ihrem Lager empor. Mit gekreuzten Armen blickte sie ängstlich und stumm nach dem Heiligen. Dieser rief ihr zu: ‚Warum fragst Du nicht, wer ich bin?’ Mit zitternder Stimme und kaum vernehmbar antwortete die Erschrockene: ‚Ich wage nicht, o Herr.’ Er aber fuhr in seiner Rede fort, indem er dabei auf seinen verstümmelten Arm zeigte, und sagte eindringlichst: ‚Ich bin der heilige Laurentius. Was Du hier an mir siehst, das hat Dein Eheherr mir angetan, indem er sich verführen ließ von dem, durch dessen Schuld eine große Menge von Auserwählten Christi in Zwietracht sind.’ Seit dieser Zeit war die Kaiserin fort und fort bemüht, die Schuld ihres unglücklichen Gemahls zu sühnen…“

So weit so gut, doch warum? Was sollte Theophanu im Zusammenhang mit Merseburg umgetrieben haben? Realiter weilte sie am 24. Mai 974, am 7. Mai 986, am 18. April 991 und am 1. Mai 991 in der Pfalz Merseburg. Bei ihrem ersten Besuch kam sie als junge Ehefrau mit ihrem Gemahl Otto II., dann zwölf Jahre später mit ihrem Sohn Otto III., der nach dem frühen Tod ihres Ehemannes 983 als Dreijähriger zum König gekrönt worden war und für den sie nun de facto das Reich regierte, die letzten beiden Male in ihrem Todesjahr. Sie kannte also die auch reichspolitisch wichtige und bedeutende Stadt an der Saale sowie Probleme und Schwierigkeiten in Folge der unrechtmäßigen Aufhebung des Bistums Merseburg aus eigenem Erleben. (Denkbar sogar, dass sie als Mitregentin, diese Kassierungs-Entscheidung Otto II. mitgetragen, auf jeden Fall davon gewusst hatte…)

Hinzu kam, dass nach dem plötzlichen Tod Otto II. dessen Vetter, der Bayernherzog Heinrich der Zänker, Ansprüche auf den Königsthron anmeldete und diese auch durchzusetzen versuchte. So nutzte er die alte Rechtsauslegung, dass nur nahe männliche Verwandte die Vormundschaft über einen unmündigen Thronfolger übernehmen können und diese Vormundschaft dann sogar auf die Kindesmutter ausdehnbar sei, und brachte Otto III. (und dann sogar noch dessen Schwester Adelheid, die spätere Äbtissin von Quedlinburg) 984 in seine Gewalt. Und vermutet wurde, dass sich Otto III. in dieser Zeit unter Aufsicht der Gattin Heinrich des Zänkers, dass sich Otto III. in der Hand Herzogin Giselas und in Merseburg befand!

Der Intrige des Bayernherzogs war letztlich kein Erfolg beschieden, er brachte nicht genug Mächtige hinter sich, musste sogar ein militärisches Eingreifen befürchten. Und so gab er am 29. Juni 984 den vierjährigen Otto III. auf dem Reichstag im thüringischen Rohr in die Obhut seiner Mutter zurück, erkannte somit auch die Vormundschaft und somit die de-facto-Regentschaft Theophanus über das Deutsche Reich feierlich an.

Doch keine Frage, Merseburg dürfte Theophanu so manches Mal in Alpträumen erschienen sein…

 

 

 

Tigran Tschjokjurjan

* 1884 in Gyumshkhane, † 1915 Türkei, armenischer Schriftsteller

 

Tigran Tschjokjurjan zählt zu den zahllosen Armeniern, von denen man nicht einmal weiß, wann und wo genau sie dem Versuch der Jungtürken, ihre christlichen Mitbürger auszurotten, zum Opfer fielen.

Er wurde 1884 in Gyumshkhane in der Provinz Trapezund geboren und besuchte dort eine staatliche Grundschule. Da seine Eltern früh verstarben, wuchs Tigran Tschjokjurjan ab 1897 im Waisenhaus des Roten Klosters in Galatia auf. 1907 legte er im Perperjan-Gymnasium in Konstantinopel sein Abitur ab und wurde Lehrer. 1911 begründete er mit anderen Autoren die Literarturzeitschrift „Wostan“.

Im Jahr zuvor war Tigran Tschjokjurjans Novellensammlung „Hajreni dzajner“ erschienen, 1912 folgte sein Roman „Vanke“. Der in Tagebuchform verfasste Text kreist um die Idee des Sieges der Vernunft in einer freien, gesunden Gesellschaft über barbarische Instinkte.

Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ging Tigran Tschjokjurjan nach Van, um die Leitung des Gedrona-Gymnasiums zu übernehmen. Dann verlieren sich seine Spuren…

 

 

 

Phillis Wheatley

* um 1753 wohl in Senegambien, † 5.12.1784 in Boston, Massachusetts, afroamerikanische Dichterin

 

Phillis Wheatley gilt als erste afroamerikanische Dichterin, deren Werke veröffentlicht wurden. In „On Being Brought From Africa to America” schrieb sie:

 

’TWAS mercy brought me from my Pagan land,

Taught my benighted soul to understand

That there’s a God, that there’s a Saviour too:

Once I redemption neither sought nor knew.

Some view our sable race with scornful eye,

„Their colour is a diabolic dye.“

Remember, Christians, Negroes, black as Cain,

May be refin’d, and join th’ angelic train.

(Die Gnade bracht’ mich her aus Heidenland,

gab meiner finstern Seele den Verstand,

dass dort ein Gott, ein Retter allzumal:

Einst kannt’ ich nicht, noch sucht’ der Rettung Strahl.

Uns dunkle Rasse sieht man an voll Hohn:

„Die Farbe ist von dämonischem Ton.“

Bedenket, Christen: Neger, schwarz wie Kain,

einst weiß und hell im Engelszug sich reih’n.)

 

Phillis Wheatley wurde vermutlich am Gambia River geboren, im Alter von sieben Jahren versklavt und um 1761 in Boston von dem Schneider John Wheatley als Geschenk für seine Frau Susanna gekauft. Sie wurde nach dem Schiff, auf dem sie nach Amerika gebracht worden war, auf den Namen Phillis getauft und als Christin erzogen.

Wikipedia weiß weiter: „Die Wheatleys sorgten dafür, dass das begabte Mädchen eine gute Ausbildung erhielt, darunter Unterricht in Latein, Griechisch, Mythologie und Geschichte. Ihr erstes Gedicht „On Mssrs. Hussey and Coffin“ veröffentlichte sie mit dreizehn Jahren in der in Rhode Island erscheinenden Zeitung „Newport Mercury“. […] Weite Bekanntheit erlangte sie 1771 mit einer Elegie auf den verstorbenen methodistischen Prediger George Whitefield ,On the Death of Reverend Whitefield’… Das Gedicht wurde nicht nur in Boston, sondern auch in London gedruckt und machte sie so beiderseits des Atlantiks bekannt – wobei sich das Interesse mindestens so sehr auf ihre Hautfarbe wie auf die literarische Qualität ihrer Gedichte richtete. So führte etwa Voltaire 1774 in einem Brief an den Baron Constant de Rebecq Wheatley als Gegenbeweis für dessen rassistische Behauptung an, es gebe keine schwarzen Dichter.“

1773 reiste Phillis Wheatley auf der Suche nach einem Verleger nach London. Dort wurde sie als Kuriosität durch die Salons der literarisch interessierten Aristokratie gereicht und traf dort unter anderem mit Benjamin Franklin zusammen, zu jener Zeit stellvertretender Postmaster für die britischen Kolonien in Nordamerika, der seit 1765 in London weilte. Kurz nachdem sie sich wieder auf die Rückfahrt nach Boston begeben hatte, erschienenen ihre „Poems on Various Subjects, Religious and Moral“ jedoch im September des Jahres beim Verleger Archibald Bell. Vorangestellt war dem Band ein Nachweis ihrer Bildung…

Nachdem ihre Besitzerin Susanna Wheatley gestorben war, wurde Phillis 1773 die Freiheit gewährt. War ihr vormaliger Besitzer John Wheatley ein erklärter Loyalist, so trat Phillis Wheatley als freie Schwarze nun mit ihren Gedichten für die erstarkende Unabhängigkeitsbewegung ein, die 1776 in der Gründung der Vereinigten Staaten gipfelte. Eines ihrer bekanntesten Gedichte ist eine Ode auf den späteren Präsidenten George Washington ,To His Excellency General Washington’

Um 1778 heiratete sie den freien schwarzen Lebensmittelhändler John Peters, mit dem sie zwei Kinder hatte; beide starben im Kleinkindalter. Nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, schlug sie sich als Kellnerin durch und verarmte zusehends. Phillis Wheatley starb im Alter von 31 im Wochenbett, ihr drittes Kind wenige Stunden nach ihr. Ein zweiter Gedichtband, an dem sie arbeitete, wurde nie veröffentlicht.

Remember, Christians, Negroes, black as Cain,

May be refin’d, and join th’ angelic train.

 

 

 

Stig Halvard Dagerman

* 5.10.1923 in Álvkarleby, † 4.11.1954 in Enebyberg, schwedischer Schriftsteller und Journalist

 

Der Skandinavist Günter Gentsch schrieb über Stig Dagermann: „Selbst einem ‚einfachen’ Milieu entstammend, wird er in seinen literarischen Werken und journalistischen Aufsätzen zum Sprecher der Unterdrückten, Erniedrigten, und Beleidigten – nicht lau und pathetisch, sondern getreu seiner Art, einfühlsam und hintergründig, dabei aber doch kompromisslos. Ganz gleich, ob er uns in seinen Erzählungen, Romanen und Dramen das leidvolle Ringen der namenlosen Gestalten mit den Widrigkeiten ihres Daseins vor Augen führt, in seinen Artikeln und Gedichten für die Zeitung ‚Arbetaren’ für die Forderung nach einer vollen Emanzipation des Arbeiters seine Stimme leiht oder in einem ‚Captain Jean in memoriam’ betitelten Aufsatz der französischen Resistance ein literarisches Denkmal setzt: aus allem spricht die Anteilnahme des Schriftstellers an dem Geschick der kleinen Leute.“

Im Alter von 22 Jahren veröffentlichte er seinen Roman „Die Schlange“, in dem er das Entsetzen vor dem Inferno einer von Krieg und Barbarei zerrütteten Welt und seine bedrückenden Erlebnisse während seines Militärdienstes schildert. Im Spätherbst 1946 reiste Stig Dagerman im Auftrag der Zeitung „Expressen“ in das kriegszerstörte Deutschland. Er berichtete darüber in zwölf Zeitungsartikeln, die im Jahr darauf auch in Buchform erschienen. Diese Sammlung wurde ausgiebig besprochen, Stig Ahlgren äußerte beispielsweise, das Buch sei „in den visuellen Partien ein Höhepunkt der schwedischen Reportage“. Weitere Bücher folgten, getreu seiner Maxime: „Der Dichter ist auf keinen Fall der Pflicht zur Stellungnahme enthoben, da er nicht … allein auf der Welt ist.“

Dann geriet Stig Dagermnann jedoch in eine Krise, seine finanziellen Angelegenheiten entglitten ihm. Eine Schreibblockade kam hinzu, er bekannte: „Ich habe keine Philosophie, in welcher ich mich bewegen könnte wie der Vogel in den Lüften und der Fisch im Wasser. Alles was ich besitze ist ein Zweikampf, und in jedem Augenblick meines Lebens tobt dieser Zweikampf zwischen den falschen Tröstungen, die bloß die Ohnmacht steigern und meine Verzweiflung vertiefen, und diesen echten Tröstungen, die mich hinführen zu einer flüchtigen Befreiung“. Am Ende erstickte er sich im Alter von 31 Jahren in seiner Autogarage.

Geschrieben hatte er einmal auch: „Es gibt Menschen, die nichts dafür tun, um geliebt zu werden, und denen es doch zufällt, und es gibt andere, die alles tun, um geliebt zu werden, denen es aber nie gelingt. Für ganz arme Menschen ist es, wie man sehen kann, oft schwer, geliebt zu werden.“

 

 

 

Norbert Conrad Kaser

* 19.4.1947 in Brixen, † 21.8.1978 in Bruneck, südtiroler Schriftsteller

 

waer ich doch ein fisch

laege vergiftet im wasser

zur trauer den weibern

waer ich ein weitentfernter

vietnams

verfault im reis

zur freude den maennern

waer ich ein totgesoffner

am innsbrucker bahnhof

 

alles waer ich gern

nur nicht bei euch

waer ich nur ein toter taxilenker

waer ich nur ein rentnermoerder

waer ich nur ein kinderschaender

waer ich nur

                  student

 

alles

nur nicht bei euch…

 

„Norbert C. Kaser hat noch postum die poetische Kraft, zu einem Stern erster Ordnung zu werden“, meinte der deutsche Schriftsteller Rolf Schneider 1980, und der Wiener Autor Erich Hackl urteilte: „Für mich stellt der erste Nachlaßband des Südtiroler Autors Norbert C. Kaser (...) die wichtigste Neuerscheinung eines österreichischen Verlags auf dem Gebiet der Belletristik dar.“

Zeit seines Lebens erschienen Texte Norbert C. Kasers vor allem im Selbstverlag oder in Zeitschriften und Anthologien. Obwohl er seit den 1960er Jahren zur Begründung der Neuen Südtiroler Literatur beitrug, war er in seiner Heimat nicht gut angesehen. Grund dafür dürfte eine Tagung der Südtiroler Hochschülerschaft in Brixen gewesen sein, auf der er mit der Südtiroler Vorkriegsliteratur hart ins Gericht ging: Neunundneunzig Prozent unserer Südtiroler Literaten wären am besten nie geboren, meinetwegen können sie noch heute ins heimatliche Gras beißen, um nicht weiteres Unheil anzurichten, und dazu aufrief, das Wappenzeichen der Südtiroler, den Tiroler Adler, wie einen Gigger zu rupfen. Zudem trat er zwei Jahre vor seinem Tod infolge seiner Alkoholkrankheit aus der Katholischen Kirche aus und in die Kommunistische Partei ein.

Sein Freund Klaus Gasperi sagte 2015 in einem Rundfunkinterview: „Wir waren sehr schlecht angesehen, auch Kaser, der heute natürlich hochgehimmelt wird und wo heute jeder Brunecker sein Freund ist, posthum. […] Er ist sehr schlecht behandelt worden, ist von Gasthäusern rausgeschmissen worden.“

Tatsächlich wurden mehr als 10 Bücher Norbert C. Kasers erst postum veröffentlicht, in Innsbruck, Wien, Berlin, Leipzig vor allem. Übersetzungen erschienen in Bozen, Meran und Tschechien.

In Südtirol wurde immerhin die Stadtbibliothek Bruneck nach ihm benannt, auf dem Brunecker Rathausplatz ein Denkmal für ihn errichtet und der N.C.Kaser-Lyrikpreis gestiftet.

 

ich krieg ein kind

ein kind krieg ich

mit rebenrotem kopf

mit biergelben fueßen

mit traminer goldnen haendchen

& glaesernem leib

wie klarer schnaps

 

zu allem lust

und auch zu nichts

ein kind krieg ich

es schreiet nie

lallet sanft

ewig sind

die windeln von dem kind

feucht & nass

 

ich bin ein faß

 

 

 

Nathaniel „Nat“ Turner

* 2.10.1800 als Nathaniel Turner in Southampton, Virginia, † 11.11.1831 in Jerusalem, Virginia, amerikanischer Sklave

 

Nat Turner wurde am 11. November 1831 in Jerusalem im Southhampton County, gehängt; sein Körper wurde Ärzten überlassen, die ihn köpften, abhäuteten und vierteilten.

Warum?

Im Jahre 1825 kam der Sklave Nat Turner zu der Überzeugung, Gott habe ihn auserwählt, seine Leute zu befreien. Er begann zu predigen und galt rasch als Prophet.

Wikipedia weiß: „Im Februar 1831 interpretierte er eine Sonnenfinsternis als Zeichen Gottes, das ihn aufrief, mit der Befreiung zu beginnen. Am 21. August töteten Nat und sieben andere Sklaven ihre Besitzer. Der Gruppe schlossen sich daraufhin weitere Sklaven und freie Schwarze an, die mit Messern, Äxten und Hacken von Siedlung zu Siedlung zogen und dort Weiße umbrachten. Dem Aufstand fielen 55 Weiße zum Opfer, bis es einer Miliz gelang, ihn niederzuschlagen. Als Vergeltung wurden mehr als hundert unschuldige Sklaven getötet. Turner konnte fliehen, wurde aber sechs Wochen später, am 30. Oktober 1831, gefangen genommen.“

In den 1960ern wurde Nat Turner zur Symbol-Figur der Black-Panther-Bewegung. 2002 listete Molefi Kete Asante Nat Turner in seiner Liste der 100 größten Afroamerikaner auf. 2009 wurde in Newark der größte Park der Stadt „Nat Turner Park“ benannt. 2016 wurde das biografische Drama über Nat Turner „The Birth of a Nation – Aufstand zur Freiheit“ beim Sundance Film Festival in Utah uraufgeführt.

 

 

 

Edith Irene Södergran

* 4.4.1892 in St. Petersburg, † 24.6.1923 in Raivola, Karelien, finnlandschwedische Schriftstellerin

 

Edith Södergran gilt als Begründerin des finnlandschwedischen Modernismus. Sie verfasste 7 Gedichtbände, wovon der letzte „Landet som icke är - Das Land, das nicht ist“ erst postum erschien.

In ihrem Gedicht „Eros hemlighet – Eros’ Geheimnis“ bekannte sie:

 

Jag känner dig, Eros:

du är icke man och kvinna,

du är den kraft

som sitter nerhukad i templet

för att resa sig, vildare än ett skrän,

häftigare än en slungad sten

slunga ut förkunnelsens träffande ord över världen,

ur det allsmäktiga templets dörr.

Ich kenne dich, Eros: / du bist nicht Mann, nicht Frau, / du bist die Kraft / die niedergebeugt im Tempel sitzt / um sich zu erheben, wilder als ein Grölen, / hitziger als ein geschleuderter Stein / schleudere heraus das treffende Wort der Verkündigung über die Welt, / aus der allmächtigen Tür des Tempels.

 

Ihr letzter, zu Lebzeiten erschienener Band hieß „Tankar om naturen - Gedanken über die Natur“. Da sie in der Öffentlichkeit und bei der Kritik nicht die Rolle spielte, die sie sich für ihre Dichtungen erhofft hatte, verabschiedete sie sich danach peu à peu nicht nur von den Zukunftsvisionen Nietzsches, den sie verehrt hatte, sondern vom Schreiben schlechthin.

Edith Södergran starb im Alter von 31 Jahren an Tuberkulose. Ihr Grab konnte, nachdem ihr Heimatdorf zur Sowjetunion gehörte, nicht mehr gefunden werden. 1960 errichtete man ihr in Raivola zu ihrem Gedenken aber immerhin eine Statue.

 

 

 

Ernst Stadler

* 11.8.1883 in Colmar, † 30.10.1914 bei Zandvoorde, deutscher Lyriker

 

Wäre Ernst Maria Richard Stadler nicht am 11. August 1883 in Colmar nicht als Sohn eines deutschen Staatsanwalt im Reichsland Elsaß-Lothringen geboren wurden, hätte er vielleicht nicht das Gymnasium in Straßburg besucht, und wäre dort nicht wie seine Freunde René Schickele und Otto Flake Mitglied des Kunstkreises „Das junge Elsaß“ geworden und hätte mit ihnen nicht 1903 die Zeitschrift „Der Märker“ herausgegeben. Und ohne diese Erfahrungen und Ermutigungen wäre dann eventuell seine Gedichtsammlung „Der Aufbruch“ später nicht so, wenn überhaupt erschienen.

Hätte Ernst Stadler nicht in Straßburg Germanistik, Romanistik und vergleichende Sprachwissenschaften zu studieren begonnen, wäre er womöglich nicht an die Ludwig-Maximilians-Universität nach München gewechselt, um hier 1906 mit einer Doktorarbeit über den „Parzival“ promoviert zu werden. Möglicherweise wäre ihm ohne die Zuerkennung des Rhodes-Stipendium von 1906 bis 1908 ein Aufenthalt am Magdalenen-College in Oxford nicht möglich gewesen, und hätte er sich dann nicht an der Straßburger Kaiser-Wilhelms-Universität mit einer Arbeit über Wielands Shakespeare-Übersetzungen habilitieren können. Folglich hätte er wohl nicht von 1910 bis 1914 als Professor deutsche Philologie in Brüssel lehren können.

Und wäre es Ernst Stadler möglich gewesen, einer Berufung zum Gastprofessor nach Toronto zu folgen, statt seiner Einberufung als Reserveoffizier, wäre er nicht am 30. Oktober 1914 bei Zandvoorde bei Ypern gefallen.

Im 1914 erschienenen Erstdruck seines Bandes „Der Aufbruch“ war zu lesen:

 

Die Schwangern

Wir sind aus uns verjagt. Wir hocken verängstigt vor dem gierigen Leben, / Das sich in unserem Leibe räkelt, an uns klopft und zerrt. / Schreie lösen sich aus uns, die wir nicht kennen. Wir sind von uns selbst versperrt./ Wir sind umhergetrieben. Wer wird uns unserm Ursprung wiedergeben? / Alles hat anderen Sinn. / Wir nähren Fremdes, wenn wir Speise schlucken, / Wir schwanken vor fremder Müdigkeit und spüren fremde Lust in uns singen. / Sind wir nur noch Land, Erdkrume und Gehäus? / Wird dieser Leib zerspringen? / Wir fühlen Scham und möchten uns wie Tiere ins Gestrüpp niederducken.

 

 

 

Georges Seurat

* 2.12.1859 in Paris, † 29.3.1891 ebd., französischer Maler

 

„Seurat war einer jener friedfertigen Dickschädel, die so aussehen, als hätten sie vor allem Angst, im Grunde jedoch vor nichts zurückschrecken. Er arbeitete mit großer Verbissenheit und lebte völlig zurückgezogen wie ein Mönch in seinem kleinen Atelier am Boulevard de Clichy ohne jeden Luxus“, meinte der französische Kunstkritiker Arsène Alexandre.

Und der deutsche Kunsthistoriker John Rewald schrieb: „Auf einer Leiter stehend, bedeckte er seine Leinwand geduldig mit winzigen Pünktchen über einer ersten Farbschicht, die mit breitem Pinsel aufgetragen war. Für ein Tagespensum konzentrierte Seurat sich ganz auf eine kleine Fläche, nachdem er jeden Pinselstrich und jeden Farbwert im voraus festgelegt hatte. So konnte er gleichmäßig durchmalen, ohne zurücktreten zu müssen, um den gewünschten Effekt der optischen Mischung zu überprüfen. Dank dieser außergewöhnlichen Konzentration vermochte er trotz des unzulänglichen künstlichen Lichtes bis spät in die Nacht zu arbeiten. Er hatte es ebenso wenig nötig, Chevreuls Farbenkreis zu befragen, wie ein echter Dichter Silben zählt. Das Gesetz des Simultankontrastes war zum leitenden Prinzip seines Denkens geworden.“

Georges Seurat selbst sagte: „Phidias’ Panathenäen waren eine Prozession. Wie auf jenen Friesen möchte ich moderne Menschen, auf ihr Wesentliches beschränkt, sich ergehen lassen, sie in Bildern festhalten.“ Er starb einunddreißigjährig an Diphtherie.

 

 

 

Rudolph Valentino

* 6.5.1895 in Castellaneta, † 23.8.1926 in New York City, italienischer Schauspieler

 

Der plötzliche Tod Rudolph Valentinos, des Latin Lovers schlechthin, löste in den USA eine Massenhysterie unter seinen weiblichen Fans aus. Vor allem die Stummfilme „Der Scheich“ und „Der Sohn des Scheichs“ hatten ihm diesen Ruf eingebracht. Bei seiner Beerdigung, an der 100.000 Menschen teilnahmen, kam es zu Ausschreitungen, die erst nach Stunden von der Polizei beruhigt werden konnten. Dutzende Trauergäste wurden verletzt.

Durch Männer sah sich Rudolph Valentino jedoch immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Ein Journalist der „Chicago Tribune“ bezeichnete ihn sogar als „pinkfarbene Puderquaste“, da er den amerikanischen Mann verweichliche. Valentino forderte den Journalisten daraufhin zu einem Boxkampf heraus, der allerdings nie stattfand.

Nach seinem Tod tauchten Gerüchte auf, er sei gar nicht gestorben, habe sein Ableben nur vorgetäuscht, um Abstand zu seinem stressigen Berufsleben und seine horrenden Schulden zu gewinnen, werde bald wieder auftauchen. Und es begannen Verschwörungstheorien zu kursieren: ein eifersüchtiger Ehemann habe ihn erschossen oder er sei mit Aluminium vergiftet worden, warum auch immer.

Tatsächlich starb Rudolph Valentino im Alter von 31 Jahren an einem perforierten Magengeschwür.

 

 

 

Daniel Mark Lewin

* 14.5.1970 in Denver, Colorado, † 11.9.2001, amerikanisch-israelischer Informatiker

 

Daniel Mark Lewin gilt als erstes Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001. Er war Passagier der Boeing 767, die auf dem American-Aiways-Flug 11 von Boston nach Los Angeles entführt und dann in den Nordturm des New Yorker World Trade Centers gesteuert wurde. Offenbar hatte er an Bord des Flugzeuges die Entführung zu verhindern gesucht, und die Al-Quaida-Attentäter hatten ihn erstochen.

Daniel Mark Lewin war in Jerusalem aufgewachsen und hatte in der Anti-Terror-Einheit Sayaret Matkal der israelischen Armee zuletzt im Range eines Hauptmanns gedient. Er arbeite in Boston als Informatiker am Massachusetts Institut of Technology MIT und war einer der Gründer und Chief Technical Officer des Internetdienstleisters Akamai.

2017 wurde Daniel Mark Levin in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen.

 

 

 

Ales Traphimawitsch Prudnikau

* 14.4.1910 in Stary Dsedsin † 5.8.1941 bei Utuki, Karelien, weißrussischer Dichter

 

Ales Prudnikaus erste Gedichte erschienen im Jahr 1930. Zwei Jahre darauf konnte er seinen ersten Gedichtband „Die irdischen Sterne“ veröffentlichen. 1933 wurde er wie viele junge Dichter seines Landes, seiner Zeit verhaftet, dann für zwei Jahre zum Dienst in der Roten Armee einberufen. 1938 beendete er in Leningrad sein Pädagogik-Studium und arbeitete als Lehrer in der karelo-finnischen ASSR. Dort fiel er wenige Wochen nach dem Überfall Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion, einunddreißigjährig, nochmals zur Roten Armee einberufen, als Aufklärer.

 

 

 

Daniel Waruzhan

* 20.4.1884 als Daniel Tschpugkjarjan in Brgnik, Sivas, † 26.8.1915 bei Çankın, armenischer Dichter

 

Daniel Waruzhan ging in die Volksschule seines Heimatortes, bevor er im Alter von 12 Jahren seine Ausbildung in Konstantinopel fortsetzte, zuerst im katholisch-armenischen Mechitaristen-Gymnasium in Pera und anschließend im armenischen Gymnasium von Chalkedon. Im Alter von 18 Jahren zog er nach Venedig und besuchte dort das Murad-Rafaeljan-Gymnasium, studierte vor allem die Geschichte Armeniens sowie die alte und neue armenische Literatur. Seine ersten hier entstandenen Gedichte widmete er den Opfern der Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich unter Sultan Abdulhamid II. in den Jahren 1894-1896. Im Alter von 21 Jahren reiste Daniel Waruzhan nach Belgien und studierte an der Universität Gent Literatur-, Sozial- und Politikwissenschaften. Nach Abschluss seiner Studien kehrte er im Alter von 25 Jahren in seine Heimar zurück, arbeitete zwei Jahren lang als Lehrer am Aramjan-Gymnasium in Sivas, dann im Nationalseminar in Eudokia, bis er schließlich als Schulinspektor im Pera-Gymnasium in Konstantinopel wirkte.

Von Daniel Waruzhan erschienen vier Textsammlungen: „Sarsuner – Schauern“, „Zeghin sirte – Das Herz des Stammens“, „Hetanos erger – Heidnische Lieder“ und „Hazin erge – Das Lied des Brotes“ (postum). Seine Werke wurden ins Deutsche, Englische, Französische, Italienische, Russische und Spanische übersetzt.

Bei Beginn des Genozids an den Armeniern durch die Jungtürken war Daniel Waruzhan einer der ersten Prominenten, die man in der Nacht von 23. zum 24. April 1915, am berüchtigten „Roten Sonntag“, verhaftete. Vier Monate später wurde er im Alter von 31 Jahren auf dem Weg in die Verbannung in einer Schlucht nahe der Stadt Çankın ermordet.

 

Ich wünschte, dass Frieden wäre

Auf der östlichen Seite der Welt…

Nicht das Blut, sondern Schweiß sollte fließen

In der breiten Ader der Furche

Und wenn die Stimmen der Dörfer erklängen,

Sollte es hymnisch nur sein.

 

 

 

Hermann Freiherr von Barth-Harmating

* 5.6.1845 in Schloss Eurasburg, † 7.12.1876 in São Paulo de Loanda, Angola, deutscher Bergsteiger

 

Als Rechtspraktikant begann Hermann von Barth-Harmating ab 1868 von Berchtesgaden aus die noch weitgehend unerschlossenen Berchtesgadener Alpen zu erkunden. 1869 bestieg er hier als Alleingänger 44 Gipfel, drei als Erstbesteigung. Im Sommer 1870 wechselte er ins Karwendel-Gebirge: bestieg 88 Gipfel, davon 12 erstmals, darunter u.a. die Birkkarspitze, Kaltwasserkarspitze, Ladirerspitze, Große Seejarspitze, Grubenkarspitze, Dreizinkenspitze, Östliche Karwendelspitze, Vogelkarspitze, Wörner, Kuhkopf. Im Jahr 1871 wechselte er ins Wettersteingebirge und bestieg auch dort viele Gipfel erstmals.

1874 veröffentlichte Hermann von Barth-Harmating darüber sein Buch: „Aus den Nördlichen Kalkalpen. Ersteigungen und Erlebnisse in den Gebirgen Berchtesgadens, des Allgäu, des Innthales, des Isar-Quellengebietes und des Wettersteins. Mit erläuternden Beiträgen zur Orographie und Hypsometrie der Nördlichen Kalkalpen. Mit lythographierten Gebirgsprofilen und Horizontalprojectionen nach Original-Skizzen des Verfassers.“ In der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ wurde darüber geurteilt, dass „seine Monographie […] einem wirklichen Mangel ab[half]. Man ersieht aus ihr, daß der Autor, wie wenige, zu den schwierigen Aufgaben eines Hochtouristen befähigt war […] wenn auch seitdem für die Erforschung jenes Gebirgszuges […] sehr vieles geschehen ist, so wird man doch immer Barth’s Namen als den des Pioniers und Pfadfinders in Ehren zu halten haben.“

Tatsächlich wurde etliche Örtlichkeiten nach Hermann von Barth-Harmating benannt: der Barthgrat (Übergang vom Großen Katzenkopf zur Mittleren Jägerspitze im Karwendel), die Bartspitze und der Barthkamin (ebenfalls im Karwendel), der gesicherte Steig von der Meilerhütte auf die Partenkirchener Dreitorspitze sowie die Hermman-von-Barth-Hütte des Deutschen Alpenvereins in den Allgäuer Alpen.

Im Jahre 1876 wollte Hermann von Barth-Harmating seine Forschungen in Afrika weiterführen, erkrankte jedoch in Angola so schwer, dass er sich in einem Fieberschub das Leben nahm.

 

 

 

Arthur Cravan

* 22.5.1887 als Fabian Avenarius Lloyd in Lausanne, † November 1918 in Puerti Ángel, Mexico, britisch-Schweizer Dichter

 

Arthur Cravan war Boxer und Künstler. Eigentlich hatte er Ingenieur werden wollen, doch als er erfuhr, dass er der Neffe Oscar Wildes sei, und seine Familie ihm das lange verschwiegen hatte, da sie sich der Homosexualität des Dichters schämte, beschloss er, auch zu dichten.

Er änderte seinen Namen und publizierte in der Zeitschrift „Maintenant“. 1913 behauptete er in einem Artikel, sein Onkel Oscar Wilde sei noch am Leben und habe ihn in Paris besucht. Eine detaillierte Personenbeschreibung lieferte er gleich mit. Außerdem deutete er an, dass sich in Wildes Grabstätte in Paris statt eines Leichnams unveröffentlichte Werke des Dichters im Sarg befänden und forderte die Exhumierung.

Cravan trat in Paris auch als Conférencier auf und veranstaltete chaotische Soiréen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs reiste er mit gefälschten Ausweisdokumenten durch Europa, um sich der britischen Wehrpflicht zu entziehen. In Barcelona trug er am 23. April 1916 einen Boxkampf gegen den ehemaligen Schwergewichts-Weltmeister Jack Johnson aus und ging in der sechsten Runde K.o. Mit dem Auftrittshonorar finanzierte er die Überfahrt nach New York City. Auf dieser Reise machte er die Bekanntschaft von Leo Ztotzki, der Cravan in seiner Autobiographie erwähnte.

1917 bewegte sich Arthur Cravan in der künstlerischen Avantgarde New Yorks. Bei einer Vernissage 9. April 1917, bei der auch Marcel Duchamps „Fpountain gezeigt wurde, trat er auf Einladung von Frnacis Picabia und Duchamp auf, wobei er das Publikum lange warten ließ und sich dann angetrunken auszog. Etliche Besucher verließen daraufhin entrüstet die Ausstellung. Duchamp nannte diese Aktion nachher einen „wundervollen Vortrag“.

1918 heiratete Arthur Cravan die britische Dichterin Mina Loy, ging mit ihr auf der Flucht vor Behörden nach Kuba und Mexiko. In Mexiko-Stadt eröffnete er eine Boxschule und trug am 15. September seinen letzten Kampf gegen Jim Smith aus. Auch in diesem verlor er durch K.o. Im November 1918 schickte Cravan Mina Loy mit einem Schiff in das argentinische Buenos Aires und wollte später nachreisen. In Salina Cruz an der Pazifikküste charterte er ein Boot und brach mit einem Begleiter zu einer Probefahrt auf. Sie kehrten nie zurück. Im Jahr 1920 wurde der „Box-Poet“ Arthur Cravan offiziell für tot erklärt.

 

 

 

Senna Hoy

* 30.10.1882 als Johannes Holzmann in Tuchel, † 28.4.1914 in Meschtscherskoje, Russland, deutscher Anarchist

 

Als Senna Hoy noch Johannes Holzmann hieß sympathisierte er mit der Theosophischen Gesellschaft und der SPD. Doch als er das Anagramm seines Vornamens angenommen hatte, gründetet er 1904 die anarchistische Zeitschrift „Kampf“ sowie den Bund für Menschenrechte, war bis 1905 sogar deren Präsident, und trat vehement für die Legalisierung der Homosexualität ein. Immerhin arbeiteten für den „Kampf“ sogar Else Lasker-Schüler, Erich Mühsam, Franz Pfemfert, Herwarth Walden und Paul Scheerbart. Dennoch wurde die Zeitschrift verboten.

Senna Hoy ging in die Schweiz und arbeitete an der Zeitschrift „Der Weckruf“ mit, wurde 1906 verhaftet, ging nach Russland und wurde wieder verhaftet und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Sieben Jahre darauf starb er einunddreißigjährig in der Irrenabteilung des Gefängnisses Meschtscherskoje bei Moskau und wurde am 14. Mai 1914 in Berlin-Weißensee beerdigt.

 

 

 

 

Oksana Schatschko

* 31.1.1987 in Chmelnytzkyj, † 23.7.2018 in Montrouge, Frankreich, ukrainische Künstlerin

 

Oksana Schatschko studierte Kunst- und Kunstgeschichte und gründete im Alter von 21 Jahren die Gruppe „Femen“ mit und setzte sich öffentlichkeitswirksam für Frauen- und Menschenrechte ein.

2011 wurde sie nach einer Protestaktion in Minsk entführt, geschoren und nackt in einem Wald ausgesetzt. Zwei Jahre später gewährte ihr der französische Staat den Status eines politischen Flüchtlings. Sie lebte in Paris als Malerin und hatte ihre erste Einzelausstellung 2016 in der Galerie Mansart. Im Alter von 31 Jahren nahm sich Oksana Schatschko das Leben.

 

 

 

 

 

Ettore Majorana

* 5.8.1906 in Catania, † verschollen Ende März 1938, italienischere Physiker

 

Jahre nach dem plötzlichen Verschwinden des berühmten Kernphysikers Ettore Majorana tauchte das Gerücht auf, er sei in einem sizilianischen Kloster untergetaucht, da er die Folgen der Atombombenentwicklung voraussah.

Als junger Mann gehörte Ettore Majorana zum Team Enrico Fermis, der über ihn sagte, dass „niemand in der Welt ein einmal gestelltes Problem besser lösen könne“ und ihn auf eine Stufe mit Physikern wie Galileo oder Newton stellte. Laura Fermi schrieb: „Majorana, dunkeläugig und von spanischem Aussehen, der sich nie mit einem ersten mathematischen Beweis zufriedengab, sondern jede Untersuchung tiefer und tiefer trieb […] wurde Großinquisitor genannt“. Mit dem amerikanischen Quantenphysiker Eugene Feenberg reiste er später durch Europa, lernte in Leipzig Werner Heisenberg und in Kopenhagen Nils Bohr kennen. Seine wichtigsten Arbeiten beschäftigten sich mit der relativistischen Quantenmehanik, mit Anwendungen insbesondere in der Theorie der Neutrinos.

Wikipedia weiß: „Aufgrund seines zurückhaltenden, sich selbst genügenden Wesens publizierte Majorana nur wenig und häufig nur nach intensivem Drängen. Neben seinen neun veröffentlichten Arbeiten werden seit den 1990er Jahren die zahlreichen originellen unveröffentlichten Beiträge in seinen Notizbüchern untersucht. Hier fanden sich etwa Vorwegnahmen von Feynmans Pfadintegral, Arbeiten zu den Darstellungen der Lorentzgruppe, von denen ein Teil als „Relativistische Theorie von Teilchen mit beliebigem inneren Drehimpuls“ veröffentlicht wurde, die Eugene Wigner vorgriffen, zur Thomas-Fermi-Theorie des Atoms und zur Fano-Theorie in der Atomphysik. Nach Erinnerungen von Wick führte er lange vor 1933 auch unveröffentlichte Arbeiten zur Feldquantisierung aus, die Paulis und Weisskopfs Arbeiten von 1934 vorwegnahmen.“

Am 25. März 1938 fuhr Ettore Majorana um 22.30 Uhr mit dem Postschiff von Neapel nach Palermo. Die Manuskripte seiner laufenden Vorlesungen hatte er zuvor seiner Studentin Gilda Senatore übergeben und sein gesamtes Geld abgehoben. Und er hatte seinem Freund Antonio Careeli, dem Direktor des Physik-Instituts in Neapel, in einem Brief mitgeteilt, dass er das Leben im Allgemeinen und seines im Besonderen völlig nutzlos finde. Er habe sich zu einer Entscheidung durchgerungen, die „unausweichlich und ohne jedes bißchen Egoismus sei“. Weiter entschuldigte er sein plötzliches Verschwinden und äußerte die Hoffnung, man werde ihn in Erinnerung behalten, wenigstens bis zu diesem Abend um 11 Uhr und möglicherweise auch später. Den Brief widerrief er allerdings in einem Telegramm aus Palermo. Das Meer habe ihn abgewiesen, teilte er darin mit. In einem im Hotel hinterlegten Brief an seine Angehörigen schrieb er, sie sollten nicht länger als drei Tage trauern.

Laut polizeilichem Untersuchungsbericht soll Ettore Majorana allerdings am 26. März in Palermo wieder das Postschiff nach Neapel betreten haben…

70 Jahre nach Ettore Majoranas Verschwinden behauptete Francesco Fasani in seinem Buch „Chi l’ha visto? – Wer hat ihn gesehen?“, Majorana in den 1950er Jahren im venezolanischen Valencia unter dem Namen Bini kennengelernt zu haben und bewies dies sogar mit einem Foto. Aufgrund dieses Fotos nahm die Staatsanwaltschaft in Rom im März 2011 die Ermittlungen zu Majoarans Verschwinden wieder auf und teilte am 4. Februar 2015 mit, dass ein Fotovergleich gute Übereinstimmung der anatomischen Eigenheiten des Gesichts von Bini mit denen von Majorana zeige. Und Fasani gab außerdem an, im Auto von Bini-Majorana eine Postkarte gefunden zu haben, die Majoranas Onkel, der Physiker Quirino Majorana, 1920 an den amerikanischen Physiker W. G. Conklin geschrieben habe. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin weitere Ermittlungen zu Majoranas Verschwinden ein.

Der italienische Physiker Antonio Zichichi äußerte jedoch Zweifel an der Identifizierung Bini-Majorana. Zichichi wiederum will vom Bischof von Trapani erfahren haben, dass er der Beichtvater von Majorana gewesen sei, nachdem der in einem italienischen Kloster untergetaucht war. Immerhin wurden 2013 Dokumente gefunden, die belegen, dass Majorans Familie 1939 einem Jesuiten-Kloster ein Stipendium stiftete.

Wie auch immer, Ettore Majorana wurde wunschgemäß nicht vergessen, sondern hochgeehrt: in Würdigung seiner Arbeiten zur Theorie der Neutrinos wurde der Majorana-Spinor nach ihm benannt, ebenso damit im Zusammenhang stehende Begriffe, wie das hypothetische Goldstone-Boson Majoron, ebenso das von Antonino Zichichi als Tagungszentrum für Theoretische Physik 1963 gegründete „Centro di Cultura Scientifica Ettore Majorana“ in Erice auf Sizilien, ebenso 2006 die jährlich zu vergebende Majorana-Medaille, ebenso das Neutrino Etoore Majorana Observatory,  und 2015 schließlich ebenso der Asteroid 29428: Ettoremajorana.

 

 

 

Theresa Hak Kyung Cha

* 4.3.1951 in Busan, † 5.11.1982 in New York City, südkoreanische Autorin und Künstlerin

 

Theresa Hak Kyung Cha gilt als bedeutende postkoloniale wie feministische Künstlerin. Ihr Werk wird im übergreifenden Bereich zwischen bildender Kunst und Literatur in den Sparten „Konkrete Poesie“, „Mail Art“ und „Kunstbuch“ eingeordnet. Sie schuf Film-, Video-, und Dia-Installationen, Keramiken und Skulpturen und veranstaltete Performances. Ihr kurz vor ihrem Tod erschienenes Buch „Dictée“ wird als wegweisend für die postkoloniale Avantgarde bewertet.

Theresa Hak Kyung Cha wurde im Alter von 31 Jahren vergewaltigt und ermordet.

 

 

 

 

André Marie Chénier

* 29.10.1762 in Galata, † 25.7.1794 in Paris, französischer Autor

 

Am Anfang seines Schreibens verfasste André Chenier Hirtengedichte, Hymnen und Elegien. Im Zuge der Französischen Revolution sprach er sich dann für eine konstitutionelle Monarchie aus. Und als er im September 1791 die Revolution nach Verabschiedung der neuen Verfassung für beendet glaubte, attackierte er nunmehr und meist im königstreuen Journal de Paris, mit aggressiven Versen und Pamphleten die radikalen Revolutionäre, die Jakobiner. Und als die Jakobiner im August 1792 die Macht eroberten, ging André Chénier in den Untergrund, versuchte aber noch beim Prozess gegen Ludwig XVI. Abgeordnete zu bestechen, gegen das Todesurteil für den König zu stimmen.

Nach der Hinrichtung Ludwig XVI. im Januar 1793 flüchtete André Chénier aus Paris und lebte versteckt bei Freunden in Versailles. Hier schrieb er seine „Ode à Charlotte Corday“, in der er die Mörderin Marats verherrlichte und zum politischen Attentat aufrief.

Anfang 1794 wurde er in Passy verhaftet, angeklagt und zum Tode verurteilt. Auf seine Hinrichtung wartend, verfasste André Chénier Gedichte, die er mit seiner schmutzigen Wäsche aus dem Gefängnis schmuggeln und seiner Familie zukommen lassen konnte, scharfe polit-satirische Texte, doch auch seine berühmte „Ode à une jeune captive“, worin er in der Rolle einer jungen Mitgefangenen spricht, die sich innerlich gegen den ihr drohenden Tod auf dem Schafott aufbäumt.

Zwei Tage vor dem Ende des jakobinischen Terrors, vor dem Sturz Robespierres, wurde André Chénier guillotiniert.

 

 

 

Keith Haring

* 4.5.1958 in Reading, † 16.2.1990 in New York, amerikanischer Maler

 

Werke Keith Harings hängen in namhaften Galerien in Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, Österreich, Portugal, Spanien, Ungarn und der USA.

Ab 1980 entstanden in New York erste Arbeiten, die auf ein öffentliches Publikum abzielten: Mit einer Schriftschablone sprühte Keith Haring den Text „Clones Go Home“ auf die Wände und entlang der Bürgersteige zwischen East und West Village. Damit wollte er ein Statement gegen die Gentrifizierung, den Zuzug von Neureichen in sein Viertel, setzen. Er verbreitete auch Collagen, die täuschend echt an die Titelseiten der „New York Post“ erinnerten und provokante Titel wie „Reagan Slain by Hero Cop“ enthielten. Inspiriert von der Graffiti-Szene, fing Keith Haring zur gleichen Zeit an seine tags zu hinterlassen, das krabbelnde Baby beispielsweise oder den Hund. Daraus entwickelte sich der Drang auf leeren, dunklen Werbeflächen seine Subway Drawings zu kreieren. Er konzipierte diese Bilder in den U-Bahn-Gängen immer auf ähnliche Weise. Zuerst wurde ein Rechteck als Bildbegrenzung gezogen, manchmal wurden diese noch nummeriert, um den Anschein eines Comic-Strips zu erwecken, Dann wurden sie mit typischen Haring-Motiven (bellende Hunde, Ufos, Strahlenbaby, Fernseher, Kreuze, Menschen etc.) gefüllt. Er malte ohne Skizzen und Studien, schnell und spontan aus dem Gefühl heraus und ohne Änderungen. So konnte er bis zu dreißig Subway Drawings am Tag schaffen, die sich von 1980 bis 1985 zu insgesamt etwa fünf- bis zehntausend angefertigten Bildern im New Yorker U-Bahn-System summierten.

Im Oktober 1982 folgte die erste Einzelausstellung in der Tony Shafrazi Gallery. Für die Ausstellung malte er zum ersten Mal seit längerer Zeit, da sich sein Schaffen zuvor aufs Zeichnen konzentriert hatte. Mit dem Graffitikünstler L.A. II bemalte er Reproduktionen berühmter Skulpturen, wie zum Beispiel eine Büste des David von Michelangelo. Daraus entstanden labyrinthische Bilder, in denen alle Zwischenräume ausgefüllt wurden, sodass ein Maximum an Information auf kleinster Fläche präsentiert werden konnte. Diese Ausstellung brachte Keith Haring den internationalen Durchbruch. Es folgten Ausstellungen in Rotterdam, Amsterdam, São Paulo, Bordeaux, Antwerpen, Helsinki, bei der Documenta in Kassel und bei diversen Bienalen. Er freundete sich mit Andy Warhol an und malte für ihn eine Andy Mouse, die eine Mischung aus Andy Warhol und Mickes Mouse verkörpern soll.

Keith Haring bemalte Wände in Sydney, Melbourne, Rio de Janeiro, Minneapolis und Manhattan, Amsterdam, Paris, Phoenix, Chicago, Atlanta und Berlin und begann auch auf Leinwand zu malen. Zuvor hatte er meist Papier oder Vinylplanen genutzt. Den Körper von Grace Jones bemalte er für ihr Video „I’m not Perfect“ und den Film „Wamp.

Und er engagierte sich bei Benefiz-Aktionen gegen AIDS. Noch vor 1988, als bei ihm selbst die Immunschwächekrankheit diagnostiziert wurde, hatte er diese Thematik bereits in Werken wie „AIDS“ verarbeitet. Im Sommer 1989 vollendete er sein letztes öffentliches Werk, das „Tuttomondo“ an der Außenwand der Kirche Sant'Antonio in Pisa und wirkte in Rosa von Praunheims Film „Schweigen = Tod“ über den Kampf von Künstlern für AIDS-Aufklärung und die Rechte von Infizierten und Erkrankten mit, und es gelang ihm noch die gemeinnützige Keith-Haring-Stiftung zu gründen. Keith Haring starb 1990 im Alter von 31 Jahren an den Folgen seiner Erkrankung.

 

 

 

Paula Modersohn-Becker

* 8.2.1876 in Dresden als Minna Hermine Paula Becker, † 20.11.1907 in Worpswede, deutsche Malerin

 

Rainer Maria Rilke sagte in seinem „Buch der Bilder“ über Paula Modersohn-Becker: „…Du blasses Kind, an jedem Abend soll / der Sänger dunkel stehn vor deinen Dingen...“

Und die Malerin selbst schrieb in ihr Tagebuch sieben Jahre vor ihrem frühen Tod: „Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig. Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest … Und wenn nun die Liebe mir noch blüht, vordem ich scheide, und wenn ich drei gute Bilder gemalt habe, dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar.“

In den knapp vierzehn Jahren ihres Malerlebens schuf sie jedoch 750 Gemälde, etwa 1000 Zeichnungen und 13 Radierungen, und gilt als eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus.

Immerhin hatte sie jenen Tagebucheintrag einige Wochen danach korrigiert: „Und es dauert doch noch lange. Ich bin gesund und stark und lebe.“

Ihr Mann, der worpsweder Maler Otto Modersohn sagte 1902, nach einem Jahr Ehe: „Wundervoll ist dies wechselseitige Geben und Nehmen; ich fühle, wie ich lerne an ihr und mit ihr. Unser Verhältnis ist zu schön, schöner als ich je gedacht, ich bin wahrhaft glücklich, sie ist eine echte Künstlerin, wie es wenige gibt in der Welt, sie hat etwas ganz Seltenes. […] Keiner kennt sie, keiner schätzt sie – das wird anders werden.“

Rilke, den sie bei einem ihrer Paris-Aufenthalte kennengelernt hatte schrieb im Jahr vor ihrem Tod in einem Brief: „Das merkwürdigste war, Modersohns Frau in einer ganz eigenen Entwicklung ihrer Malerei zu finden, rücksichtslos und geradeaus malend, Dinge, die sehr worpswedisch sind und die noch nie einer sehen und malen konnte. Und auf diesem ganz eigenen Wege sich mit van Gogh seiner Richtung seltsam berührend.“

Zu den letzten Gemälden, die sie vollendete, zählt die „Alte Armenhäuslerin im Garten.“ Dem folgte ein letztes Selbstbildnis, das „Selbstbildnis mit Kamelienzweig.“ Am 2. November 1907 brachte Paula Modersohn-Becker, die sich auch als Hochschwangere gemalt hatte, nach einer schwierigen Geburt ihre Tochter Mathilde zur Welt. Am 20. November durfte sie erstmals aufstehen, worauf jedoch eine Embolie einsetzte, an der sie im Alter von 31 Jahren verstarb. „Wie schade!“, so überlieferte Otto Modersohn, seien ihre letzten Worte gewesen, „Es ist nicht auszudenken, was noch alles entstanden wäre, wenn sie noch länger gelebt hätte. Sie träumte in den letzten Monaten viel von Italien, das sie nie gesehen, von Akten im Freien, von großfigurigen Bildern. Man kann nur ahnen, was sie der Welt noch geschenkt hätte.“

 

 

 

Giovanni Pico della Mirandola

* 24.2.1463 in Mirandola, † 17.11.1494 in Florenz, italienischer Philosoph

 

Giovanni Pico della Mirandola starb mitten in der Arbeit an seinem neuen philosophischen Werk, „Über das Seiende und das Eine“, urplötzlich nach dreitägigem Leiden. An Fieber, wurde gesagt, vermutet wurde jedoch alsbald, dass er ermordet worden sei, von seinem Privatsekretär womöglich. Und tatsächlich wurde 2007, 513 Jahre nach seinem Tod, anhand einer Knochenprobe nachgewiesen, dass Giovanni Pico della Mirandola mit Arsen vergiftet worden war.

In der kurzen Zeit seines Lebens hatte er sich durch seine Schriften immerhin mit dem Papst angelegt, mit Innozenz VIII., wurde der Häresie verdächtigt, sogar kurzzeitig verhaftet. Der nachfolgende Papst Alexander VI. sprach in jedoch von allen Verdächtigungen frei.

Postum wurde sein wohl bekanntestes Werk veröffentlicht, das eigentlich als seine Einleitung für einen am Einspruch Innozenz VIII. gescheiterten öffentlichen Disput gedacht war: „Rede über die Würde des Menschen“. Jacob Burckhardt bezeichnete diesen Text als „eines der edelsten Vermächtnisse“ der Renaissance.

 

 

 

Qiu Jin

* 8.11.1875 in Xiamen, † 15.7.1907 in Shaoxing, chinesische Dichterin

 

Qiu Jin gilt als chinesischer Jeanne d’Arc. Obwohl sie noch gezwungen war, ihre Füße zu binden und vor allem Haus- und Näharbeiten erlernte, schrieb sie schon als Kind Gedichte. Zwangsverheiratet begann sie sich den vorherrschenden konfuzianischen Geschlechter- und Gesellschaftsnormen zu widersetzen, band sich nicht weiter die Füße, schloss Freundschaften mit gleichgesinnten Frauen, begann sich für Politik zu interessieren. Sie glaubte, dass Frauenrechte und Revolution auf natürliche Weise Hand in Hand gehen.

1903 dichtete sie:

Mein Körper erlaubt mir nicht,

Mich unter die Männer zu mischen,

Aber mein Herz ist viel mutiger

Als das eines Mannes.

 

1904 verließ sie ihren Mann und ihre Kinder und segelte nach Japan.

Bedauern: Zeilen, die auf dem Weg nach Japan geschrieben wurden

Sonne und Mond haben kein Licht mehr, die Erde ist dunkel,

Unserer Frauen Welt ist so tief gesunken, wer kann uns helfen?

Den Schmuck verkauft, um diese Reise über die Meere zu

                                                                            bezahlen,

Abgeschnitten von meiner Familie verlasse ich mein Heimatland.

Indem ich meine Füße losbinde, reinige ich mich von tausend

                                                                            Jahren Gift

Mit heißem Herz erwachen aller Frauen Geister.

Ach, dieses zarte Tuch hier

Ist halb mit Blut befleckt und halb mit Tränen.

Sie studierte in Japan Pädagogik und Krankenpflege, lernte in einem Kampfkunstverein die Herstellung von Sprengstoffen, trat Parteien des Revolutionäes Sun Yat-sen bei und gründete den weiblichen Ableger der Partei Guangfuhui mit, den Gongahui.

1906 kehrte sie Qiu Jin mit dem Ziel die Qing-Regierung zu stürzen und die Sache der Frauen voranzubringen nach China zurück. Sie gründete die „Chinesische Frauenzeitschrift“ und wurde Leiterin der Shaoxing Datong Schule für Sportlehrer zur Ausbildung von Revolutionskadern.

Nach einem missglückten Anschlag in Anqing wurde Qiu Jin verhaftet, zum Tode verurteilt und im Alter von 31 Jahren enthauptet.

 

 

 

Konrad Bayer

* 17.12.1932 in Wien, † 10.10.1964 ebd., österreichischer Schriftsteller

 

plötzlich ging die sonne aus wie eine gaslaterne

und ein rauchpilz zischte auf, es war nicht gar so ferne.

Dann trocknet mir das rückgrat ein, ich denk mir, das wird heiter,

das kann doch bloss der anfang sein, da ging’s auch fröhlich

                                                                                       weiter…

 

Der Schriftsteller Gerhard Rühm sagte über seinen Freund Konrad Bayer: „er hatte zutiefst den traum einer ‚idealen’ welt (sonnenstaat), da sie aber nicht zu verwirklichen ist, rief er ihre vermeintliche antithese aus, doch in der negation blieb er fixiert an das negierte, sonst hätte er sich nicht so heftig geäussert… seine skepsis quälte ihn, und sie steigerte sich, aber es gibt nicht die schönheit, die reinheit, den sinn, daher auch nicht ihre negation, es gibt nichts absolutes, wert ist eine menschliche, das heisst soziale kategorie, relativ, gesetzt (vereinbart) und daher stets neu zu setzen, zu vereinbaren… er experimentierte, auch mit sich, mit seinem körper, seine wünsche waren grenzenlos, er wollte fliegen, sich unsichtbar machen, er wollte alles können, doch was ist das: ich?“

Der Lyriker Konrad Bayer, der auch als Lebemann bekannt war, nahm sich im Alter von 31 Jahren das Leben.

 

ich wurde geboren

am 17. august

bald wurde ich grösser

doch war’s mir nicht bewusst

ich lernte auch sprechen

und bausteine brechen

dann bin ich gestorben

am 17. august

ein jahr nur ein jahr nur

hat gott mir geschenkt

doch war es ein reiches

wenn man es recht bedenkt

 

 

 

Renatus Gotthelf Löbel

* 1.4.1767 in Thallwitz, † 4.2.1799 in Leipzig, deutscher Jurist und Lexikograf

 

Renatus Gotthelf Löbel besuchte die Leipziger Thomasschule und studierte an der Leipziger wie der Göttinger Universität. In Leipzig habilitierte er und wurde promoviert.

Im Alter von 26 Jahren veröffentlichte er eine „Anleitung zur Bildung des mündlichen Vortrags für geistliche und weltliche Redner“. Bekannt wurde er als Mitautor des „Conversationslexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten“, einem Vorläufer des „Brockhaus“.

Geplant hatte er die Herausgabe einer „Kleinen Bibliothek des Sächsischen Rechts“, verstarb jedoch im Alter von nur 31 Jahren.

 

 

 

 

Malak Hifnī Nāsif

* 25.12.1886 in Kairo, † 17.10.1918 ebd., ägyptische Frauenrechtlerin

 

Malak Hifnī Nāsif verfasste die erste öffentliche Proklamation der Frauenrechte in Ägypten. Sie absolvierte eine Ausbildung als Lehrerin, sprach neben Arabisch Englisch, Französisch und Türkisch, durfte jedoch nach ihrer Heirat nicht mehr unterrichten und begann zu publizieren.

Ab 1908 hatte sie unter dem Pseudonym „Sucherin in der Wüste“ eine eigene Kolumne „an-Nisā’iyyāt – Aus der Welt der Frau“, und forderte beispielsweise für die Verheiratung von Mädchen ein Mindestalter von 16 Jahren einzuführen und dass Frauen das Recht haben sollten, ihre Bräutigame vor der Hochzeit zu sehen. Sie ließ sich unverschleiert fotografieren und stimmte als erste arabische Frau der Veröffentlichung dieses Bildes zu.

„1909 hielt Nāsif als erste arabische Frau vor über hundert Zuhörerinnen eine Rede, die in zahlreichen Zeitschriften nachgedruckt wurde. 1910 folgte eine zweite Rede in der Ägyptischen Universität, wo eigene Vorlesungen für Frauen eingerichtet worden waren. Nāsif brachte ihre Beiträge im Oktober 1910 auch in Buchform heraus, was damals auch für männliche Journalisten noch ungewöhnlich war und nur noch für eine weitere Frau dokumentiert ist. Ihr Buch unter dem Titel an-Nisā’iyyāt wurde in den Jahren 1925, 1962 sowie 1998 neu aufgelegt“, weiß Wikipedia. „1911 wurden zum ersten Mal in Ägypten die Frauenrechte öffentlich pro-klamiert, als das erste ägyptische Parlament vom 29. April bis 4. Mai in Heliopolis tagte. Grundlage war eine zehn Punkte umfassende Erklärung, die Nāsif aus ihren bis dahin veröffentlichten Artikeln formuliert hatte. Da sie selbst als Frau nicht auftreten durfte, trug ein Mann ihre Vorschläge zur Verbesserung der Lage der ägyptischen Frau vor. Das Parlament lehnte sie fast durchweg ab.“

Malak Hifnī Nāsif starb im Alter von 31 Jahren an der Spanischen Grippe.

 

  

 

 

Franz Peter Schubert

* 31.1.1797 in Himmelpfortgrund, † 19.11.1828 in Wieden, österreichischer Komponist

 

Wer hätte nicht schon Schubert gesungen, zumindest gehört: „Das Wandern ist des Müllers Lust“, „Am Brunnen vor dem Tore“, „Erlkönig“, „Die Forelle“, „Heidenröslein“…

Unglaublich, aber Franz Schubert schuf in seinem kurzen Leben etwa 600 Lieder, 21 Sonaten, 17 Bühnenwerke, 12 Sinfonien und zahllose weitere Orchesterwerke, geistliche Musiken und sonstige Kompositionen…

Seit 1822 neigte er jedoch zu übermäßigem Alkoholgenuss, nahm sichtlich an Körperfülle zu, kränkelte. Wikipedia weiß: „Ein Krankenhausaufenthalt im Herbst 1823 brachte zwar Besserung, aber schon im nächsten Frühjahr scheint die Krankheit den Komponisten psychisch besonders schwer belastet zu haben („ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen der Welt“ schrieb er an Leopold Kupelwieser). Nach gängiger Auffassung der Schubertforschung hatte sich Schubert damals eine venerische Erkrankung zugezogen, wohl Syphillis“.

Und weiter: „Über Schuberts Lebensweise dieser Zeit kursieren verschiedene Legenden. So heißt es, dass Schubert das meiste für Schuldienst oder verkaufte Kompositionen eingenommene Geld für Abende im Freundeskreis in den Altwiener Gasthäusern ausgab, was seinem Ruf nicht gerade förderlich gewesen sei. Einer ungesicherten Anekdote zufolge nahm der Wirt sogar hin und wieder ein Lied in Zahlung, das Schubert oft gleich am Wirtshaustisch komponierte, wenn er die Rechnung nicht bar bezahlen konnte. Weiter heißt es über Schuberts Arbeitseifer, dass er nachts stets seine gewohnten Augengläser aufbehielt, damit er am Morgen gleich ohne Zeitverlust zu komponieren beginnen konnte.

Franz Schubert starb im Alter von 31 Jahren nach zwei Wochen kontinuierlich hohen Fiebers, wahrscheinlich an Typhus.

 

 

 

Terry Alan Kath

* 31.1.1946 in Chicago, † 23.1.1978 in Los Angeles, amerikanischer Rock-Musiker

 

 

„I’m a man“, sang Terry Kath mit „Chicago“ – geniale Fassung des wunderbaren Steve-Winwood-Songs – und wie er dabei seine Klampfe anschwellen ließ – geil, einfach geil.

Solange ich auf Bühnen stand war „I’m a man“ einer meiner Standards – kein Konzert ohne diesen Titel.

Dann wurde Terry Kath aber zum Waffennarr. Stets hatte er eine Pistole dabei. Und als er die eines Nachmittags putzt und ein Roadie ängstlich guckte, soll er gesagt haben: „keine Sorge, die ist nicht geladen“, hielt sich die Wumme an die Schläfe und drückte ab. Die war aber geladen.

Ach Mann, Terry.

 

 

 

August Vincent Theodor Spies

* 10.12.1855 in Burg Landeck, † 11.11.1887 in Chicago, Illinois, deutsch-amerikanischer Journalist

 

Seit jeher lebten nach Wahrheiten suchende Journalisten gefährlich, so auch August Vincent Theodor Spies:

Als Reaktion auf die brutale Niederschlagung des Great-Railroad-Streiks trat der aus Hessen in die USA ausgewanderte August Spies in den Chicagoer Lehr- und Wehrverein ein, eine Organisation bewaffneter Arbeiter, gab alsbald auch die örtliche Arbeiter-Zeitung heraus und leitete dieses Journal dann von 1884-1886 als Chefredakteur. Dabei entwickelte er zunehmend anarchistische Ideen und wurde letztlich zum Sprecher des sozialrevolutionären Flügels der amerikanischen Arbeiterbewegung.

Nachdem am 4. Mai 1886 auf dem Chicagoer Haymarket bei einer Kundgebung für den 8-Stunden-Tag eine Bombe explodiert war, wurde August Spies verhaftet und nach kurzem Prozess mit drei weiteren Angeklagten hingerichtet.

1893 annullierte John Peter Altgeld, der Gouverneur von Illinois, das Urteil und sagte: „Keiner der Angeklagten konnte mit dem Fall in Verbindung gebracht werden. Die Geschworenen waren parteiisch ausgewählt.“ John F. Kennedy urteilte über John Peter Altgeld: „Ein leuchtendes Beispiel für Zivilcourage“.

 

 

 

Gegham Barseghjan

* 1883 in Konstantinopel, † 24.4.1915 ebd., armenischer Autor

 

Gegham Barseghjan war einer der ersten Schriftsteller, die dem Völkermord der Jungtürken an den Armeniern zum Opfer fielen. Schon am ersten Tag dieses ersten Genozids des 20. Jahrhunderts wurde er verhaftet und ermordet.

Gegham Barseghjan legte am Gedronagan-Gymnasium in Konstantinopel sein Abitur ab und studierte dann für kurze Zeit in Paris, bevor er in seine Heimatstadt zurückkehrte und für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften arbeitete, so für „Mehan“, „Bagin“, „Azdak“ und „Azatamert“.

Bereits als Sechzehnjähriger hatte er eigene Texte veröffentlicht, schrieb dann vor allem Prosa, mit der er gegen die alltägliche Unterdrückung durch die Türken Stellung bezog.

Nicht von ungefähr heißt eine seiner bekanntesten Erzählungen: „Apaga Kaghakin chuzarkitsche – Kundschafter der künftigen Stadt“.

 

 

 

Leonor de Cisnere

* um 1536 in Vallodolid, † 26.9.1568 ebd., spanisches Inquisitionsopfer

 

Leonor de Cisnere gilt als eines der bekanntesten Opfer der spanischen Inquistion.

Sie war zum evangelischen Glauben konvertiert und wurde am Gründonnerstag des Jahre 1559 während eines geheimen Gottesdienstes, der verraten worden war, mit ihrem Mann und weiteren Mitgliedern ihrer kleinen lutherischen Gemeinde verhaftet. Acht Wochen später, am Sonntag Trinitatis, wurden alle Verhaftete auf dem großen Marktplatz von Valladolid dem Inquisitionskollegium vorgeführt. Etwa 200.000 Zuschauer, die aus der ganzen Umgebung angereist waren, soll dieses Spektakel gehabt haben. Und die Schwester König Philipp II., die Infantin Juana, saß mit ihren Hofstaat und dem Erzbischof von Santiago de Compostela in hochherrschaftlichen Logen.

Dem Procedere der Inquisition entsprechend waren alle Angeklagte längst hochnotpeinlich verhört wurden, manche, wie Leonor de Cisnere hatten unter der Folter ihren Glauben widerrufen, andere, wie ihr Mann, waren standhaft geblieben. Das war anhand der verschiedenen Büßerkleider, der Sanbenitos, die sie trugen, erkennbar. Als ihr Mann sah, dass Leonor abgeschworen hatte, soll er sie getreten und beschimpft haben. Sie durchlief auf dem Marktplatz dann teilnahmslos alle Bußrituale und widerrief nochmals in aller Öffentlichkeit und wurde so an diesem Tag, im Gegensatz zu ihrem Mann und anderen Protestanten nicht verbrannt.

Dieser Schauprozess erregte sogar internationales Interesse. Der Venezianische Botschafter bei König Philipp II., Paulo Tiepolo, schrieb über die Hinrichtungen an den Dogen Lorenzo Priuli : „In Valladolid wurden zehn der höchsten Edelmänner der Provinz León wegen Ketzerei verbrannt.“

Leonore des Cisnere wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, die sie in einem Benediktinerkloster verbüßen sollte. Hier widerrief sie jedoch ihren Widerruf, versuchte sogar andere Gefangene zu reformieren, wies jahrelang jeden Bekehrungsversuch ab, blieb auch unter neuerlicher Folter standhaft, wünschte sich nur noch zu sterben.

So wurde sie schließlich als „rückfällige Ketzerin“ zur Höchststrafe verurteilt, zum Feuertod am Pfahl ohne vorherige Strangulation, und wurde am 26. September 1568 auf dem Marktlatz von Valladolid bei lebendigem Leibe verbrannt.

 

 

 

Giorgione

* 1478 als Giorgio da Castelfranco in Castelfranco Veneto, † vor dem 25.10.1510 in Venedig, italienischer Maler

 

Zwei Gemälde Giorgiones sind fest mit meinen Erinnerungen an Kindheit und Jugend verwoben:

Eine (schlechte) Reproduktion seiner „Venus“ hing in schwerem Goldbronzerahmen im Schlafzimmer meiner Eltern (wo auch ich schlief bis meine Urgroßmutter Emilie starb und deren Kämmerlein mein Kinderzimmer wurde).

Sein „Samson“ gab mir Mut, als ich für den Dienst in der Nationalen Volksarmee geschoren wurde, meine Rockermähne einbüsste und (zumindest metaphorisch) fürchtete, all meine Kraft zu verlieren.

Wer weiß, womit ich Lebensstationen jetzt im Alter vergleichen könnte, wer weiß, was Giorgione noch alles gemalt hätte, wäre er nicht so früh an der Pest gestorben.

 

 

 

Jacobus Morenga

* um 1875 im heutigen Namibia, † 19.9.1907 bei Eemzamheid, Herero-Führer

 

Jacobus Morenga wurde „der schwarze Napoleon“ genannt und galt seit 1904 als einer der wichtigsten Anführer des Aufstands der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialherrschaft im heutigen Namibia. Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich hatte sich für seine Ergreifung eingesetzt: „Preis auf Morengas Kopf setzen 20.000 Mark, seine Bande ausrotten ohne Pardon.“

Im Zusammenwirken mit der englischen Kapp-Polizei wurde Jacobus Morenga mit 30 seiner Kämpfer dann am 19. September 1907 auf dem Weg in die Kalahari, wo er sich mit anderen Aufständigen verbünden wollte, gestellt und fiel nach mehrstündigem Gefecht. Der deutsche Verbindungsoffizier von Hagen berichtete: „Er hatte drei Schüsse: einen durch die rechte Schläfe und hinter dem linken Ohr heraus; der zweite hatte ihm den Hinterkopf weggerissen, der dritte war durch das Herz eingedrungen und aus der Rückseite heraus gegangen. Außerdem fanden wir noch 2 tote Männer, 4 tote Frauen und einen Verwundeten“, und von Hagen resümierte: „Das Zusammenwirken der deutschen und englischen Truppen ist politisch von großer Bedeutung geworden: a) Es hat die deutsche und englische Nation in Südafrika näher aneinander gebracht. In Upington war nach dem Gefecht große deutsch-englische Verbrüderung: Deutsche Fahnen waren gehißt; bei den verschiedenen Festen wurden begeisterte Reden auf Seine Majestät und die deutschen Truppen gehalten, usw. b) Der Eingeborene in Südafrika wird sich jetzt sagen, daß er nicht mehr gegen den Deutschen oder Engländer oder Holländer usw. kämpft, sondern daß jetzt die weiße Rasse geschlossen gegen die schwarze steht, c) Den Schwarzen ist der Hauptheld Morenga genommen, auf den sie ihre Hoffnungen setzten.“

Und der deutsche Gouverneur Bruno von Schuckmann sagte: „Es ist kein Zweifel, daß mit dem Tode Morengas die offene Gefahr vorüber ist und daß derselbe wesentlich zur Beruhigung der Hottentotten, insbesondere der Bondelzwarts beitragen wird, da ihn in ihren Augen ein gewisser Nimbus umgab und viele mit ihrem Lose nicht Zufriedene mit seinem Erscheinen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verbanden.“

114 Jahre nach Jacobus Morengas Tod wurde der Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwest-Afrika, dem zwischen 1904-1908 mindestens 60.000 Menschen zum Opfer fielen, endlich vom Deutschen Bundestag als solcher anerkannt, wurde eine Entschuldigung ausgesprochen und ein Abkommen über eine Art Reparationsleistung vereinbart. In einer gemeinsamen Erklärung der beiden Außenministerien heißt es: „ „Hierdurch wird dieses schmerzliche Kapitel deutscher Vergangenheit abgeschlossen und eine neue Ära in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern und Völkern eingeleitet“.

 

 

 

Squanto

* um 1590 in Patuxet, auch: Tisquantum, † 30.11.1622 in Chatham, Massachusetts Bay, indigener Dolmetscher

 

Ohne Hilfe Squantos, eines Patuxet-Indianers, hätten die ersten weißen Kolonisten, die „Pilgerväter“ vielleicht nicht überlebt.

Im Jahr 1605 war Squanto von einer Expedition der Plymouth Company gefangengenommen und nach England verschleppt worden, um den auftraggebenden Kaufleuten das Aussehen der nordamerikanischen Ureinwohner vorführen zu können. Der Kapitän des Schiffes beschrieb Squanto als „stattlichen jungen Mann, fast nackt und mit langen schwarzen Haaren.“

Squanto lernte rasch Englisch und wurde als Dolmetscher und Führer mit anderen Expeditionen zurück nach Neuengland geschickt. Hier wurde er 1614, als er gerade dabei war die Küste um Cape Code zu kartieren, allerdings erneut gefangen genommen und als Sklave nach Spanien verkauft. Bis 1618 lebte er nun bei Mönchen in Málaga. Dann traf dort ein Schiff aus Bristol ein, dessen Kapitän einen Dolmetscher für seine Fahrt nach Neufundland brauchte. Von dort gelangte er dank der Hilfe eines Angestellten der Plymouth Company, den er aus England kannte, zurück in seine Heimatregion. Sein Heimatdorf war mittlerweile jedoch vollständig ausgelöscht. Squanto ließ sich im Gebiet des Nachbarstammes, der Massasoit, nieder, wo dann am 11. November 1620 die „Pilgerväter“ anlandeten. Bald darauf gründeten sie in „God’s Own Country“ am Cape Code, eine Küstensiedlung nahe des heutigen Plymouth. Wahrscheinlich hätten sie den ersten harten Winter hier nicht überlebt, doch Squanto half ihnen und fungierte nicht zuletzt als Dolmetscher zwischen ihnen und den Massasoit.

Da die sich Hilfe gegen die Vorherrschaft eines anderen Stammes, der Narraganset, erhofften, handelte Squanto einen Freundschaftsvertrag aus, der den Siedlern Land für ihre Plymouth Plantation gewährte und einen Nichtangriffs- und Beistandspakt enthielt.

Im Blogspot „continental drift“ wird berichtet: „Squanto blieb den Rest seines Lebens in der Plymouth-Kolonie. Er zeigte den Pilgervätern, wie die Indianer dieser Gegend das Land bestellten, Fische fingen und Meeresfrüchte sammelten und diente ihnen als Dolmetscher und Fremdenführer. Ohne Squantos Hilfe hätten die englischen Siedler im nächsten Winter ganz sicher wieder gehungert und in ständiger Angst vor ihren indianischen Nachbarn gelebt. Als sie von dem indianischen Brauch einer Zeremonie zur Erntezeit erfuhren, beschlossen sie, ebenfalls ein Erntedankfest abzuhalten. Der Oberhäuptling kam mit 90 Kriegern und die Gäste steuerten fünf Hirsche zum gemeinsamen Fest bei. Drei Tage lang wurde gefeiert und englische Spiele wechselten sich mit indianischen Wettkämpfen ab. Am Schluss vereinbarten sie, dieses gemeinsame Fest von nun an jedes Jahr zu begehen.“

William Bradford, der Gouverneur der Plymouth Kolonie, der Squantos bester weißer Freund geworden war, schrieb nach Squantos plötzlichem Tod: „An diesem Ort erkrankte Squanto an Indianerfieber, hatte heftiges Nasenbluten und starb nach wenigen Tagen. Er bat den Gouverneur, für ihn zu beten, damit er in den Himmel der Engländer käme. Er hinterlässt verschiedene Dinge, die seine englischen Freunde zur Erinnerung an ihn bekommen sollen. Sein Tod ist für uns alle ein großer Verlust.“

Squanto wurde nur 32 Jahre alt.

 

 

 

François Villon

* 1.4.1431 wohl als François de Montcorbier oder François des Loges in Paris, † nach 1463, französischer Dichter

 

Wo ist der Schnee vom vorigen Jahr? fragte François Villon in seiner „Ballade von den edlen Frauen vergangener Zeiten““ – Maisou sont les neiges d’antan? – und beantwortet dies sein kurzes, intensives Leben lang unermüdlich mit weiteren unsterblichen Balladen.

 

Ach, hätt ich fleißiger studiert,

Dem Wein entsagt, der Lust am Weibe,

Gesitteter mich aufgeführt,

Gesichert wären Bett und Bleibe.

Doch schwänzt ich oft, hielt mir vom Leibe

Die Schule und gehorchte nicht.

Und während ich dies niederschreibe,

Ist mir, als ob mein Herze bricht.

 

[…]

 

Ob arm, ob reich, ob dumm, ob weise,

Ob Fürst, ob Gauner tituliert,

Ob Pfaffen, Laien, filzige Greise,

Ob hübsche Fraun, fein kostümiert,

Ob Stutzer, nobel ausstaffiert,

Gleich welchem Stands, in welchem Amt,

Kahlköpfig oder hochfrisiert,

Der Tod erwischt sie allesamt.

 

„Über die zeitgenössische Verbreitung der Villonschen Dichtungen ist nichts belegt; die Verse, die den Krämern, Pfaffen, Huren, Richtern, Mönchen, Scholaren, Häschern, Advokaten, Bettlern, Gaunern und Klatschbasen zwischen Saint-Benoit-le-Bientourné und Notre-Dame, zwischen Kathedrale und vierseitigem Doppelstockgalgen galten, sind von Mund zu Mund gewandert, und sie wurden in den Schenken und Freudenhäusern vorgetragen und gesungen und als Abschriften herumgereicht“, berichtet Horst Lothar Teweleit.

 

Epitaph

Hier ruht in Gott ein armer Narr,

Den Amors Pfeil warf in den Sand,

Ein kleiner, schäbiger Scholar,

Der sich François Villon genannt.

Sein eigen war kein Fußbreit Land,

Tisch, Bett und Brot, den Korb sogar,

Hin gab er alles, wie bekannt.

Ihr Herren, bringt ihm dies Ständchen dar:

 

In Brechts „Dreigroschenoper“ beruhen etliche Texte auf Villon-Vorlagen, so die „Ballade, in der Macbeth jedermann Abbitte leistet“, oder die „Zuhälter-Ballade“ oder „Ruf aus der Gruft“.

Und nicht von ungefähr verfasste François Villon gegen Ende seines Lebens einige Balladen in der Gaunersprache Rotwelsch. Nachdem man ihn schon zum Tode verurteilt hatte, wurde das Urteil „wegen des schlimmen Lebenswandels besagten Villons“ in eine Verbannung aus der Stadt und der Grafschaft Paris umgewandelt, wurde er de facto für vogelfrei erklärt. Und tatsächlich verlieren sich seine Spuren fortan.

 

Franzose bin ich – nicht zum Spaße! -,

Stamm aus Paris, nah  bei Pontoise,

Wird ich am Galgen hochgezogen,

Weiß ich, wie schwer mein Arsch gewogen.

 

 

 

Keith John Moon

* 23.8.1946 in London, † 7.9.1978 in Mayfair, London, britischer Rock-Schlagzeuger

 

Keith Moon wurde in einem Interview gefragt, wie er zum Schlagzeugspiel gekommen sei. Er antwortete: „Jesus Christ, ich glaube, ich habe ein kostenloses Schlagzeug in einer Packung Cornflakes bekommen.“ Nicht von ungefähr also sein Spitzname: Moon the Loon (Moon, der Irre). Doch zu seinem Ruf kam er vor allem, da er so gut wie nach jedem Who-Konzert sein Schlagzeug zertrümmerte und mit Pete Townsend, seinem Band-Leader, Hotel- oder Wohnungseinrichtungen zerlegte. Einmal soll er sogar mit einer Bass-Drum aus Plexiglas aufgetreten sein, in der Goldfische bei jedem Kick seiner Doppel-Fußtrommel wie irre umherschwammen. Das englische Musikmagazin „Q“ wählte ihn zum „Größten Rowdy der Rockgeschichte“.

Allerdings trägt seine einzige Solo-LP den Titel „Two Sides of the Moon“, und der „Rolling Stone“ platzierte Keith Moon 2016 hinter John Bonham auf Platz 2 der Liste der „100 besten Rock-Schlagzeuger aller Zeiten“.

Keith Moon starb zweiunddreißigjährig an einer Überdosis des ihm verordneten Beruhigungsmittels Clomethiazol, das er einnahm, um von seiner Alkoholsucht loszukommen.

 

 

 

Jacques Decour

* 21.2.1910 als Daniel Decourdemanche in Paris, † 30.5.1942 in Fort Mont-Valérien, französischer Autor

 

Daniel Decourdemanche galt als germanophil, nannte Goethe und Heine als Vorbilder, arbeitete 1930 sogar für ein halbes Jahr als Austauschlehrer in Magdeburg, verfasste danach anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen das Buch „Philisterburg“, läßt darin Schüler die Stimmung in Deutschland gegen Ende der Weimarer Republik charakterisieren: „Heine ist kein Deutscher“ – „Warum?“ – „Er ist Jude.“

Zurück in Frankreich wurde er Mitglied der Parti communiste francais (PCF) und Chefradakteur der Zeitschrift „Commune“, gab hier 1939 eine Sondernummer zum „Deutschen Humanismus“ heraus, in der er Hitlers Kreuzzug gegen den Geist, im Namen eines antihumanistischen Rasse-Prinzips, benennt und die deutschen Flüchtlinge Heinrich und Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht zu Wort kommen lässt.

Nach der deutschen Okkupation Frankreichs schloss er sich der Résistance an und erhielt den Decknamen Jacques Decour. Er gründete die Untergrundzeitschriften „L’université libre“ und zusammen mit Georges Politzer und Jacques Solomon „La Pensée libre“ 1941 wurde Jacques Decour der Leiter der Widerstandsorganisation Comité national des écrivains und griff er die kollaborativen französischen Schriftsteller an, die am sogenannten Europäischen Dichtertreffen in Weimar teilgenommen hatten, bezeichnete sie als Verräter an der französischen Nation: Für einen Schriftsteller besteht die größte Schande darin, dass er sich an der Ermordung der nationalen Kultur beteiligt, deren Verteidiger er sein sollte.“

Am 17. Februar 1942 wurde Jacques Decour von Franzosen verhaftet und drei Monate später von Deutschen erschossen. Sechs Monate später erschien der von ihm mit übersetzte Band „Johann Wolfgang von Goethe. Théâtre complet“. In seinem Abschiedsbrief hatte er aus Goethes „Egmont“ zitiert: „Schützt eure Güter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe“.

 

 

 

Robert Enke

* 24.7.1977 in Jena, † 10.11.2009 in Neustadt am Rübenberge, deutscher Fußballer

 

dpa/Neustadt am Rübenberge: Gestern ging in Neustadt am Rübenberge ein Kongress über „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ zu Ende. Hauptredner war der Nobelpreisträger Peter Handke.

Er führte aus: „Bloch wurde nicht erkannt. Er ließ die Zeitungen liegen, stellte eine Bierflasche darauf und ging vor dem Schlusspfiff, um nicht ins Gedränge zu geraten, aus dem Stadion. Die große Anzahl der wartenden, fast leeren Busse und Straßenbahnen – es handelte sich um ein Schlagerspiel – befremdeten ihn. Er setzte sich in eine Straßenbahn. Er saß so lange fast allein darin, bis er zu warten anfing. Ob der Schiedsrichter nachspielen ließ? Als Bloch aufschaute, sah er, dass die Sonne unterging. Ohne dass er damit etwas ausdrücken wollte, senkte er den Kopf… Bloch fuhr wieder mit dem Bus zu seinem Zimmer und nahm in einer Reisetasche zwei Pokale, die freilich nur Nachfertigungen von Pokalen waren, die seine Mannschaft einmal in einem Turnier, einmal im Cup gewonnen hatte, und ein Anhängsel, zwei vergoldete Fußballschuhe, mit.“

Weiter sagte Handke: „Als sie ihn fragten, was er sei, antwortete er, er sei ein Fußballtormann gewesen. Er erklärte, dass Torhüter länger aktiv sein können als Feldspieler. ‚Zamora war schon ziemlich alt’, sagte Bloch. Als Antwort redeten sie von den Fußballspielern, die sie selber kannten. Wenn in ihrem Ort ein Spiel stattfinde, dann stellten sie sich hinter das Tor der auswärtigen Mannschaft und verspotteten den Tormann, damit er nervös würde. Die meisten Tormänner hätten O-Beine… und wenn er von einem indirekten Freistoß erzählte, beschrieb er nicht nur, was ein indirekter Freistoß sei, sondern erklärte überhaupt… ihnen die Freistoßregeln; und sogar, wenn er eine Ecke erwähnte, die ein Schiedsrichter gegeben habe, glaubte er, ihnen die Erklärung, dass es sich dabei nicht um die Ecke eines Raumes handle, geradezu schuldig zu sein. Je länger er sprach, desto weniger natürlich kam Bloch vor, was er redete. Allmählich schien ihm gar jedes Wort einer Erklärung zu bedürfen. Er musste sich beherrschen, um nicht mitten im Satz ins Stocken zu geraten. Ein paar Mal, wenn er einen Satz, den er gerade sagte, vorausdachte, versprach er sich…“

Und nachdem sich in der Diskussion einige Psychiater und Psychotherapeuten zu Wort gemeldet hatten, äußerten sich auch anwesende Torleute wir Toni Turek, Jean-Marie Pfaff, Dino Zoff, Iker Casillas, José Luis Chilavert, Fabien Barthez, Gianluigi Buffon, Gordon Banks, René Higuita, Peter Schmeichel oder Lew Jaschin.

Handke erwiderte: „Wehrlos, abwehrunfähig lag er da; ekelhaft das Innere nach außen gestülpt; nicht fremd, nur widerlich anders. Es war ein Ruck gewesen, und mit einem Ruck war er unnatürlich geworden, war aus dem Zusammenhang gerissen worden. Er lag da, unmöglich, so wirklich; kein Vergleich mehr. Sein Bewusstsein von sich selber war so stark, dass er Todesangst hatte…

Und zu guter Letzt: „Ein Elfmeter wurde gegeben… ‚Der Tormann überlegt, in welche Ecke der andere schießen wird’, sagte Bloch. ‚Wenn er den Schützen kennt, weiß er, welche Ecke er sich in der Regel aussucht. Möglicherweise rechnet aber auch der Elfmeterschütze damit, dass der Tormann sich das überlegt. Also überlegt sich der Tormann weiter, dass der Ball heute einmal in die andere Ecke kommt. Wie aber, wenn der Schütze noch immer mit dem Tormann mitdenkt und nun doch in die übliche Ecke schießen will? Und so weiter, und so weiter.’ Bloch sah, wie nach und nach alle Spieler aus dem Strafraum gingen. Der Elfmeterschütze legte sich den Ball zurecht. Dann ging auch er rückwärts aus dem Strafraum heraus. ‚Wenn der Schütze anläuft, deutet unwillkürlich der Tormann, kurz bevor der Ball abgeschossen wird, schon mit dem Körper die Richtung an, in die er sich werfen wird, und der Schütze kann ruhig in die andere Richtung schießen’, sagte Bloch. ‚Ebensogut könnte der Tormann versuchen, mit einem Strohhalm eine Tür aufzusperren.’ Der Schütze lief plötzlich an. Der Tormann, der einen grellgelben Pullover anhatte, blieb völlig unbeweglich stehen, und der Elfmeterschütze schoss ihm den Ball in die Hände.“

Als Anschluss dieses Kongresses fand auf dem Sportplatz von Neustadt am Rübenberge ein spektakuläres Elfmeterschießen statt: Stürmerlegenden traten an, doch alle anwesende Torleute patzten. Nur Robert Enke hielt alles.

 

 

 

Nikolai Alexejewitsch Ostrowski

* 29.9.1904 in Wilija, † 22.12.1936 in Moskau, sowjetischer Schriftsteller

 

Nikolai Ostrowski kannte in der DDR jedes Kind, oder besser: wir hatten einen seiner Gedanken auswendig zu lernen:

Das Wertvollste, das der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird ihm nur ein einziges Mal gegeben und benutzen soll er es so, daß ihn zwecklos verlebte Jahre nicht bedrücken, daß ihn die Schande einer niederträchtigen und kleinlichen Vergangenheit nicht brennt und daß er, sterbend sagen kann: mein ganzes Leben, meine ganze Kraft habe ich dem Herrlichsten in der Welt, dem Kampf die die Befreiung der Menschheit gewidmet.

Gut. Doch warum hatte uns niemand gesagt, dass Nikolai Ostrowski bereits als Kind an Morbus Bechterew erkrankte, und dennoch in Budjonnys Reiterarmee kämpfte, schwer verwundet und demobilisiert wurde, in seinem 22. Lebensjahr erblindete, schwer bettlägerig war und schon mit 32 starb?

Hätte das sein Zitat, sein Leben, entwertet? - Nein, nicht sogar wertvoller erscheinen lassen?

 

 

 

John Henry „Bonzo“ Bonham

* 31.5.1948 in Redditch, † 25.9.1980 in Windsor, britischer Rock-Schlagzeuger

 

John Bonhams Schlagzeugspiel dürfte durch die wummernde Bass-Drum wie die gelegentlich vergnüglich aufquietschende Fußmaschine unverkennbar sein. Als Kind hatte er ständig auf alten Blechdosen geübt, sein erstes Schlagzeug war ein altes, rostiges Premier-Kit. Sein Markenzeichen war zudem, dass er stets so laut trommelte, dass er nach seinen ersten Gigs in und um Birmingham keinen guten Ruf hatte. Nach ersten Anerkennungen und Erfolgen kamen dann aber lukrative Angebote, so von Joe Cocker oder Chris Farlowe. John Bonham entschied sich nach einer Empfehlung seines Jugendfreundes Robert Plant jedoch für Jimmy Pages’ „New Yardbirds“, aus denen alsbald „Led Zeppelin“, eine der zweifellos richtungsweisendsten, wichtigsten Bands der Rockgeschichte wurde.

Legendär seine mitunter exzessiven, ausgedehnten Schlagzeugsoli wie in „Bonzo’s Montreux“ oder in „Moby Dick“, bei denen er zuweilen sogar die Drumsticks weglegte, um mit den flachen Händen weiter zu trommeln. Mehrmals wurde John Bonham zum besten Rock-Schlagzeuger aller Zeiten gewählt.

John Bonham starb quietschbesoffen im Alter von 32 Jahren durch Ersticken am eigenen Erbrochenen im Haus von Jimmy Page, wo die Proben für die nächste Led-Zeppelin-Tour stattfinden sollten. Led Zeppelin lösten sich nach seinem Tod auf.

 

 

 

Srinivasa Ramanujan

* 22.12.1887 in Erode, † 26.4.1920 in Chetpet, Madras, indischer Mathematiker

 

Srinivasa Ramanujan hatte sich seine mathematischen Kenntnisse autodidaktisch angeeignet und gilt als genial.

Sein Biograph Robert Kanigel schrieb: „Als er mit vierzehn in der vierten Klasse war, hatten einige seiner Klassenkameraden bereits begonnen, Ramanujan abzuqualifizieren als einen, der in den Wolken schwebt, als jemanden, mit dem man kaum kommunizieren konnte. ‚Wir (Lehrer und Schüler) verstanden ihn nur selten‘, erinnerte sich ein Mitschüler ein halbes Jahrhundert später. Man kann sich gut vorstellen, daß sich einige Lehrer angesichts seiner Fähigkeiten unwohl fühlten. Aber der größte Teil der Schule hatte vor ihm offenbar ehrfürchtigen Respekt, unabhängig davon, ob sie ihn verstanden oder nicht.“

Wikipedia weiß: „Er begann am Government Arts College in Kumbakonam zu studieren, doch vernachlässigte er die Pflichtfächer Englisch und Sanskrit und verlor deshalb im Januar des Jahres 1905 sein Stipendium wieder, so dass er das Studium abbrechen musste. Im August 1905 zog er nach Visakhapatnam und schrieb sich am Pachaiyappa’s College in Madras ein, musste jedoch auch dieses Studium wegen einer Erkrankung und nicht bestandener Prüfungen aufgeben. Ohne Ausbildung und Anstellung lebte Ramanujan am Existenzminimum und litt oft Hunger.“

Seine mathematischen Erkenntnisse hielt er in Notizbüchern fest, drei wurden nach und nach veröffentlicht, ein viertes galt lange Zeit als verloren, dann aber auch publiziert. Im Vorwort war zu lesen: „Die Entdeckung dieses verlorenen Notizbuches verursachte ungefähr so viel Aufruhr in der mathematischen Welt, wie die Entdeckung von Beethovens zehnter Symphonie in der musischen Welt verursachen würde.“

Ramanujan versuchte seinen Lebensunterhalt als Büroangestellter zu fristen, wandte sich dann aber an den international renommierten Cambridge-Professor Godfrey Harold Hardy: „Sehr geehrter Herr, ich bitte darum, mich Ihnen vorstellen zu dürfen als Angestellter der Buchhaltung in der Hafenverwaltung von Madras mit einem Jahreseinkommen von £ 20. Ich bin jetzt 26 Jahre alt. Ich habe keine abgeschlossene Universitätsausbildung, habe aber den üblichen Unterricht absolviert. […] Ich habe nicht den konventionellen geregelten Weg beschritten, dem man in einer Vorlesung an der Universität folgt, sondern ich gehe einen eigenen, neuen Weg. [...] Ich bitte Sie, die beigelegten Papiere durchzusehen. Da ich arm bin, möchte ich gerne meine Sätze veröffentlichen, falls Sie überzeugt sind, dass sie einen Wert haben.“ Rasch erkannte Hardy Ramanujans Genialität, sagte über die Resultate auf der letzten Seite des Briefes, die elliptische Funktionen betrafen: „Ich hatte zuvor nichts auch nur im Entferntesten Ähnliches zu Gesicht bekommen. Ein einziger Blick darauf genügte, um zu erkennen, dass nur ein Mathematiker allerhöchsten Ranges sie niedergeschrieben haben konnte. Sie mussten wahr sein, denn wären sie das nicht gewesen, so hätte kein Mensch die Phantasie besessen, sie zu erfinden. Schließlich […] musste der Verfasser absolut ehrlich sein, denn große Mathematiker sind häufiger als Diebe und Scharlatane mit einer solch unglaublichen Fähigkeit.“

Hardy holte Ramanujan schließlich 1914 nach England wo ihm in den folgenden Jahren ebenso zahlreiche wie bedeutende mathematische Beweise gelangen. 1916 wurde er zum Bachelor of Arts by Research berufen, 1917 zum Mitglied der Londoner Mathematical Society gewählt, 1918 zum Fellow of the Cambridge Philosophical Society und zum Fellow of the Royal Society ernannt.

Schließlich kehrte er 1919 als hochangesehner Wissenschaftler nach Indien zurück, doch Srinivasa Ramanujan, der zeit Lebens kränkelte und an Tuberkulose erkrankt war, starb im Alter von 32 Jahren wahrscheinlich an Amöbenruhr, die seinerzeit in Madras grassierte.

 

 

 

Otfried Friedrich Krzyzanowski

* 25.6.1886 in Starnberg, † 30.11.1918 in Wien, östereichischer Lyriker

 

Otfried Krzyzanowski gab wahrscheinlich die Vorlage für Franz Kafkas „Hungerkünstler“. Immerhin besuchte Kafka 1917 in Wien das „Café Central“, wo Krzyzanowski regelmäßig schnorrte. Er ließ sich aber auch im „Café Herrenhof“ aushalten.

Otfried Krzyzanowski schrieb: „Ich habe zwar gedichtet und gelernt, weiß aber recht wohl: Arbeit ist das nicht zu nennen. Die Wahrheit ist, ich mache gar nichts und Nichtstun ist eine große Plage. Wie wenige halten das durch!“

In den Wirren nach Ende des Ersten Weltkrieges meinten seine Gönner im „Café Central“, er nassauere gerade im „Café Herrenhof“, und seine Gönner im „Café Herrenhof“ vermuteten ihn im „Café Central“. So bemerkte eine Weile niemand, dass Otfried Krzyzanowski verhungert war.

In Franz Werfels Roman „Barbara und die Frömmigkeit“ taucht er als Gottfried Krasny auf, und in memoriam ebenso in Texten Anton Kuhs und Alfred Polgars.

 

 

 

Siegmund Breitbart

* 22.2.1893 in Stryków, † 12.10.1925 in Berlin, Ringer und Artist

 

Der strenggläubige Jude Siegmund Breitbart wurde aus der zaristischen Armee freigekauft und in den USA als Ringer ausgebildet. In Berlin ging er dann als „Der Eisenkönig“ in die Geschichte ein:

Breitbart lenkte als Gladiator mit goldenem Helm unter Fanfarenstößen eine Quadriga in Festsäle, zerbrach von Zuschauern mitgebrachte Hufeisen und schmiedete aus kaltem Eisen und „nur mit Hilfe seiner Fäuste“ ein neues. Zudem ließ er große Steine auf seinen Kopf regnen und trieb sich unzählige Nägel in seinen Körper.

Dann nagelte sich „Eisenkönig Breitbart“ bei einem Auftritt aber versehentlich einen Stahlbolzen ins Knie, und nachdem sich die Wunde entzündet hatte, starb Siegmund Breitbart im Alter von 32 Jahren an Blutvergiftung.

 

 

 

Gabriela Silang

* 19.3.1731 als Maria Josefa Gabriela Cariño Silang in Santa, Luzon, † 20.9.1763 in Vigan, philippinische Revolutionärin

 

Gabriela Silang war die erste philippinische Frau, die einen Aufstand gegen die seit 1585 in ihrer Heimat herrschenden Spanier anführte.

Auslöser dafür war, dass britische Truppen 1762 die Landeshauptstadt Manila eroberten, den Filipinos damit klar wurde, dass ihre Kolonialherren nicht unbesiegbar waren. Nachdem ihr Ehemann, der erste Anführer des Trupps, verraten und erschossen worden war, übernahm Gabriela Silang das Kommando über die Aufständischen.

Am 10. September 1763 wagte sie einen Angriff auf ein spanisches Armeelager. Die Garnison war aber gewarnt worden und entsprechend vorbereitet. Gabriela Silang lief mit ihrer Gruppe in einen Hinterhalt, viele ihrer Kämpfer starben, sie konnte in die Berge fliehen.

Zehn Tage später wurde sie  jedoch von spanischen Soldaten aufgespürt und noch am gleichen Tag gehängt.

 

 

 

Frank Norris

* 5.3.1870 als Benjamin Franklin Norris in Chicago, † 25.10.1902 in San Francisco, amerikanische Schriftsteller

 

„Frank Norris gehörte zu den ersten amerikanischen Autoren, die erkannten, daß sich die malerisch zwischen dem Ozean und einer weiten Bucht gelegene Stadt San Francisco ausgezeichnet als Ort der Handlung eignen würde“, sagte der Amerikanist Karl-Heinz Schönfelder. „In einem Brief an den führenden Literaturkritiker William Dean Howells schrieb Norris in jungen Jahren: ‚Ich bin überzeugt, daß San Francisco den Schriftstellern große Möglichkeiten bietet. Der kalifornische Roman muß vom Leben in einer Stadt handeln, und ich hoffe, daß ich diesen Roman eines Tages mit Erfolg schreiben werde.“

Tatsächlich gelang ihm das mit „Mc Teague – a story of San Francisco“. Zwar bezeichneten zeitgenössische Kritiker diesen Roman als „vulgär, grauenvoll, ekelhaft, schmutzig, abstoßend“, da es Norris gewagt hatte, seinem Vorbild Zola folgend, in naturalistischer Manier Tabu-Brüche zu begehen, die prüden Amerikaner beispielsweise mit der Beschreibung sexueller Erregung zu konfrontieren. Und sein Verleger hatte versuchte sogar, sich in einem Nachwort für die Veröffentlichung zu entschuldigen: „Es ist eine abstoßende, fast brutale Geschichte. Sie handelt von einer Kategorie von Menschen, die ohne Frage ‚niedrig’ sind, aber der Verfasser ist ein viel zu gewissenhafter Künstler, um sie nicht genau so darzustellen, wie sie wirklich sind.“ Längst gilt „Mc Teague“ (zu Deutsch auch: „Gier nach Gold“) jedoch als Meisterwerk. Erstaunlich wie anschaulich Norris die Polk Street, in der Mc Teague agiert, beschreibt: „Es war eine der Nebenstraßen, wie sie den Städten im Westen eigentümlich sind: im Herzen des Wohnviertels gelegen, war sie dennoch eine Straße der kleinen Geschäftsleute, die in den Räumen über ihren Läden hausten. An den Ecken waren Drugstores, die in ihren Fenstern große Gefäße mit roten, gelben, und grünen Flüssigkeiten zur Schau stellten: sehr hübsch und sehr lustig; Papierläden machten mit auf Brettern gehefteten illustrierten Zeitschriften Reklame; Friseurläden hatten Zigarrenstände im Eingang; Klempnerläden machten den üblichen tristen Eindruck. Und billige Restaurants waren da, in deren Fenstern man unter schweren Eisblöcken Haufen von ungeöffneten Austern sah und Kühe und Schweine aus Porzellan, die knietief in einer Schüttung aus weißen Bohnen standen…“

Dann plante Frank Norris eine Trilogie, ein „Epos des Weizens“, in der er das „nackte Gesetz von Angebot und Nachfrage, das niemand stoppen oder kontrollieren kann“ bloßstellen wollte, konkret, die Auswirkungen der Industrialisierung auf landwirtschaftliche Regionen und das Chaos, dass im Leben der ländlichen Bevölkerung ausgelöst wird. Schon der erste Band „The Octopus“ wurde hochgelobt, der Literaturkritiker Charles Child Walcutt hält ihn nicht von ungefähr für einen „der besten amerikanischen Romane, die vor 1910 geschrieben wurden“. Und Frank Norris vollendete auch Band 2 seines Weizen-Epos: „The Pit – The story of Chicago“.

Während Reportage-Reisen nach Südafrika und Kuba hatte er sich mit Malaria infiziert, litt fortan unter Krankheitsschüben. Und in Folge eines Blinddarmdurchbruchs in Kombination mit einem Malaria-Anfall starb Frank Norris im Alter von 32 Jahren. „The Wolf“, der dritte Teil seiner Trilogie, blieb ungeschrieben.

 

 

 

Fritz Zorn

* 10.4.1944 als Fritz „Federico“ Angst in Meilen, † 2.11.1976 in Zürich, Schweizer Autor

 

„Dies ist das Lebenswerk eines Sterbenden“, sagte Alfred Andersch, im Vorwort zu Fritz Zorns „Mars“. „Ohne dem Autor begegnet zu sein, erkannte ich seine Herkunft, seine Umwelt, seinen Bildungsweg, seine Lebenserwartung. Ich wurde, zehn Jahre früher, an derselben ‚Goldküste’ geboren. Ich hatte Z.s Schulen besucht, bis zur Universität, ich hatte an einem Zürchner Gymnasium unterrichtet, wie er. Ich war – trotz vieler Beweise des Gegenteils – ein schlechter Reisender, wie er; auch mich hat der Weg, als mir das Tödliche meiner Jugend-Erwartung begegnet war, in die Psychoanalyse geführt. Freilich in Z.s Bericht war das Tödliche schon keine Metapher mehr, es war ein medizinischer Befund mit einem volkstümlich-schauerlichen Namen: Krebs. Daher das Bestürzende der Lektüre. Ich erkannte dies Leben wieder, zugleich suchte ich gute Gründe, mich von dem wohlbekannten Unbekannten, der sich Fritz Zorn nannte, abzusetzen“. Immerhin vermittelte Andersch das „Mars-Manuskript engagiert an einen Verleger.

Fritz Zorns Lebenswerk beginnt mit: „Ich bin jung und reich und gebildet, und ich bin unglücklich, neurotisch und allein. Ich stamme aus einer der allerbesten Familien des rechten Zürichseeufers, das man auch die Goldküste nennt. Ich bin bürgerlich erzogen worden und mein ganzes Leben lang brav gewesen. Meine Familie ist ziemlich degeneriert, und ich bin vermutlich auch ziemlich erblich belastet und milieugeschädigt. Natürlich habe ich auch Krebs, wie es aus dem vorher Gesagten eigentlich selbstverständlich hervorgeht. Mit dem Krebs hat es nun aber eine doppelte Bewandtnis: einerseits ist er eine körperliche Krankheit, an der ich mit einiger Wahrscheinlichkeit in nächster Zeit sterben werde, die ich vielleicht aber auch überwinden und überleben kann; andererseits ist er eine seelische Krankheit, von der ich nur sagen kann, es sei ein Glück, daß sie endlich ausgebrochen sei. Ich meine damit, daß es bei allem, was ich von zuhause auf meinen unerfreulichen Lebensweg mitbekommen habe, das bei weitesten Gescheiteste gewesen ist, was ich je in meinem Leben getan habe, daß ich Krebs bekommen habe. Ich möchte damit nicht behaupten, daß der Krebs eine Krankheit sei, die einem viel Freude macht. Nachdem sich mein Leben aber nie durch sehr viel Freude ausgezeichnet hat, komme ich nach prüfendem Vergleich zum Schluß, daß es mir, seit ich krank bin, viel besser geht, als früher, bevor ich krank wurde. Das soll nun noch nicht heißen, daß ich meine Lage als besonders glückhaft bezeichnen wolle. Ich meine damit nur, daß zwischen einem sehr unerfreulichen Zustand und einem bloß unerfreulichen Zustand der letztere dem ersten doch vorzuziehen ist.“

Fritz Zorns Aufzeichnungen enden am 17. August 1976: „Aber für mich ist diese Sache noch nicht erledigt, und solange sie noch nicht erledigt ist, ist der Teufel noch los, und ich unterstütze es, daß Satan los ist. Ich habe über die Sache, wider die ich bin, noch nicht gesiegt; ich habe aber auch noch nicht verloren, und, was das Wichtigste ist, ich habe noch nicht kapituliert. Ich kläre mich im Zustand des totalen Krieges.“

Am 1. November 1976, einen Tag, bevor Fritz Angst, alias Fritz Zorn, im Alter von 32 Jahren starb, soll ihn die Nachricht, dass sein Lebensbericht veröffentlich werde, noch bei Bewusstsein erreicht haben. „Mars“ wurde zu einem Kultbuch der rebellierenden Jugend.

 

 

 

Florence Ballard

* 30.6.1943 in Detroit, Michigan, † 22.2.1976 ebd., amerikanische Sängerin

 

Im Jahr 1959 wurde Florence Ballard vom Manager der Boy-Group „The Primes“ (aus denen dann die „Temptations“ werden sollten) gebeten, eine Schwesterngruppe zu gründen. Florence heuerte ihre langjährige Konkurrentin bei Gesangswettbewerben Mary Wilson an, die wiederum ihre Nachbarin Diana Ross ansprach – und schon standen die „Primettes“ auf der Bühne, die alsbald als „Supremes“ weltberühmt wurden.

Unter Vertrag waren sie bei der Detroiter Plattenfirma „Motown“, und die favorisierte mehr und mehr Diana Ross. Das wollte Florence Ballard nicht akzeptieren, und so wurde sie 1967 aus der Gruppe, die sie gegründet hatte, vom Motown-Manager geschmissen.

1968 nahm sie noch eine Solo-Platte auf, die aber erst im Jahr 2002 veröffentlicht wurde. Ehe- und Finanzprobleme lösten bei ihr Depressionen aus und Florence Ballard rutschte in die Alkoholabhängigkeit. Im Alter von 32 Jahren starb sie durch eine Thrombose.

 

 

 

Gustave Flourens

* 4.8.1838 in Paris, † 3.4.1871 in Rueil-Malmaison, französischer Politiker

 

Gustave Flourens nahm von 1866 bis 1868 am Kretaer Aufstand gegen die Osmanische Herrschaft teil, vermochte sogar Victor Hugo zu überzeugen, die kretischen Aufständischen zu unterstützen.

Im Frühjahr 1870 reiste er nach London und lernte Karl Marx kennen. So beantwortete er Fragen dessen Tochter Jenny für deren „Confession book“: „Lieblingsfarbe?“ – „Rot“ / „Motto?“ – „Erkenne dich selbst!“ / „Wichtigste Eigenschaft?“ – „Kühnheit“ / „Menschliche Qualität?“ – „Energie“ / „Glücksvorstellung?“ – „Als einfacher Bürger unter gleichen zu leben.“ / „Verabscheuungswürdig?“ – „Unterwürfigkeit“ / „Abneigung gegen?“ – „Gaukler und Aristokraten“ / „Historisches Vorbild?“ – „Spartakus“ / „Lieblingsbeschäftigung?“ – „Krieg führen gegen die Bourgeoisie, gegen ihre Götter, ihre Könige, ihre Helden!“ / „Maxime?“ – „Wissen wie man stirbt“…

Ab Herbst 1870 spielte Gustave Flourens eine wichtige Rolle in der Pariser Kommune. Im Frühjahr 1871 wurde er von einem Gendarmen ermordet.

 

 

 

Attila József

* 11.4.1905 in Budapest, † 3.12.1937 in Balatonszárszó, ungarischer Lyriker

 

Eine meiner ersten Kompositionen (für Gitarre, Flöte, Streicher und Sprecher) entstand nach einem Gedicht von Attila József:

 

Die künftigen Menschen

 

Sie werden Kraft und Zartheit sein,

Sie werden die eiserne Maske der Wissenschaft zerbrechen,

Um die Seele auf dem Antlitz des Wissens sichtbar zu machen.

Sie werden Brot und Milch küssen

Und mit der Hand, die das Haupt ihres Kindes streichelt,

Aus dem Gestein Metalle und Eisen schürfen.

Mit den Gebirgen werden sie Städte errichten.

Ohne Hast werden ihre riesigen Lungen

Gewitter und Stürme atmen,

Und die Ozeane werden ruhen.

Immer sind sie bereit für den unerwarteten Gast

Und haben für ihn gedeckt

Den Tisch  und auch ihr Herz.

Möget ihr ihnen ähnlich sein,

Daß eure Kinder mit Lilienfüßen

Unschuldig das Blutmeer durchschreiten,

Das zwischen uns liegt und ihnen.

 

Tristan Tzara schrieb: „Dieser Sohn einer Wäscherin und eines geflüchteten, abenteuerlichen Vaters erblickte sein poetisches Universum auf ganz natürliche Weise im Stoff seiner Vorfahren. Und sein Leben, so verworren bis in die Verzweiflung und den Selbstmord hinein wie gleichzeitig von Klarheit geprägt – ist es nicht der Widerschein der schwierigen Lage der Enterbten in einem Regime, das materielles und moralisches Elend absondert wie ein unentbehrliches Produkt zur Aufrechterhaltung seiner Macht?“

 

 

 

Bruce Lee

* 27.11.1940 als Lee Jun-fan in San Francisco, † 20.7.1973 in Hongkong, sinoamerikanischer Kampfkünstler

 

Bruce Lee entwickelte die Kampfkunst Jeet Kune Do und gilt als größter Kampfkünstler des 20. Jahrhunderts. Mitte der 1960er Jahre wurde auch Hollywood auf ihn aufmerksam und eine große Film- und Fernsehkarriere begann. Etliche seiner Serien und Filme wie „The Big Boss“ oder „Todesgrüße aus Shanghai“ erzielten Einspielrekorde.

Im Sommer 1970 zog sich Bruce Lee jedoch eine schwere Rückenverletzung zu und spritzte sich seitdem Kortison, um weiter trainieren und schauspielern zu können. Im Mai 1973 dann brach er bei Dreharbeiten zu „Der Mann mit der Todeskralle“ zusammen und wurde mit Atemnot und Schüttelkrämpfen ins Krankenhaus eingeliefert, arbeitet aber alsbald wieder weiter. Am 20. Juli 1973 aber fiel er bei einer Besprechung zu „The Game of Death“ nach Einnahme eines Schmerzmittels ins Koma und konnte von herbeigerufen Ärzten nicht wiederbelebt werden.

Bruce Lee starb im Alter von 32 Jahren an einer Gehirnschwellung infolge der Nebennierenkrankheit Morbus Addison.

Sein Sohn, der Schauspieler Brandon Bruce Lee, kam 1992 bei einem Unfall während Dreharbeiten ums Leben. Er wurde sogar nur 28 Jahre alt. Vater und Sohn liegen nebeneinander auf dem Lake View Cemetary in Seattle begraben.

 

 

 

Emily Remler

* 18.9.1957 in New York City, † 4.5.1990 in Sydney, Australien, amerikanische Jazz-Gitarristin

 

Nach dem Erscheinen Emily Remlers erster Platte schrieb Maggie Hawthorn: „Die Gitarristin Emily Remler ist eine Rarität – denn das Wachstum eines jungen und besonders talentierten Jazzmusikers ist immer ein seltener und besonderer Umstand. Mit 24 ist sie auch Teil einer Generation, die dem amerikanischen Jazz neues Blut, neue Wahrnehmungen (liebevoll vermischt mit einigen altehrwürdigen Erkenntnissen) und neue Vitalität bringt und die Traditionen der Erfindung und Improvisation sowie des Könnens und des Gefühls fortführt, die den Jazz von Anfang an ausgezeichnet haben.“

Sieben Jahre später und einige Platten weiter sagte der Kritiker Leonard Feather: „Remler ist mit 31 Jahren in ein ‚Plektrum-Pantheon’ eingetreten, in das  nur einige der talentiertesten Älteren Aufnahme fanden: Joe Pass, Jim Hall, Kenny Burrell.“ Ihr Förderer, der Gitarrist Herb Ellis, der ihr auch den ersten Plattenvertrag vermittelt hatte, nannte sie den „new superstar of guitar“.

Emily Remler selbst sagte über sich: Ohne West Side Story würde ich keine Musik
machen. […]Anfangs hörte ich nur ein paar Noten, also weiß ich, wie es ist, wenn die
Leute zum ersten Mal Jazz hören. Aber dann höre ich Charlie Christian, den Gitarristen,
und Paul Desmond. Bei Desmond konnte ich die Melodie hören und mich darauf
beziehen. Desmond hat mich zum Jazz gebracht, aber als ich Wes Montgemory und
Pat Metheny hörte, wusste ich, dass ich Gitarrist werden würde.
Und in einem anderen Interview: Ich sah vielleicht aus wie eine nette Jüdin aus
New Jersey, aber innerlich bin ich ein 50-jähriger, stämmiger Schwarzer mit einem
großen Daumen, wie Wes Montgomery.

Die Liste der Musiker, mit denen Emily Remler in ihrem kurzen Leben zusammenspielte, ist eben so lang wie prominent: Monty Alexander, David Benoit, Ray Brown, Rosemary Clooney, Larry Coryell, David Friedman, Astrud Gilberto, Eddie Gomez, Jake Hanna, Hank Jones, Barnes Kessel, Michel Legrand, Branford Marsalis, Bob Maze, Bobby McFerrin, Bob Moses, Jeff Porcaro, Michal Urbaniak, Nancy Wilson…

Emily Remler starb im Alter von 32 Jahren an Herzversagen, wohl infolge ihrer Heroinsucht.

In einem Nachruf schrieb Richard K.: „Emily, die weltweit als eine der großen Jazzgitarristinnen anerkannt war, galt als eine geradlinige Spielerin, die auch die Musik anderer Leute auf ihre, großartige Weise interpretieren konnte.“

 

 

 

Emily Remler

* 18.9.1957 in New York City, † 4.5.1990 in Sydney, Australien, amerikanische Jazz-Gitarristin

 

Nach dem Erscheinen Emily Remlers erster Platte schrieb Maggie Hawthorn: „Die Gitarristin Emily Remler ist eine Rarität – denn das Wachstum eines jungen und besonders talentierten Jazzmusikers ist immer ein seltener und besonderer Umstand. Mit 24 ist sie auch Teil einer Generation, die dem amerikanischen Jazz neues Blut, neue Wahrnehmungen (liebevoll vermischt mit einigen altehrwürdigen Erkenntnissen) und neue Vitalität bringt und die Traditionen der Erfindung und Improvisation sowie des Könnens und des Gefühls fortführt, die den Jazz von Anfang an ausgezeichnet haben.“

Sieben Jahre später und einige Platten weiter sagte der Kritiker Leonard Feather: „Remler ist mit 31 Jahren in ein Plektrum-Pantheon eingetreten, in das  nur einige der talentiertesten Älteren Aufnahme fanden: Joe Pass, Jim Hall, Kenny Burrell.“

Ihr Förderer, der Gitarrist Herb Ellis“, der ihr auch den ersten Plattenvertrag vermittelt hatte, nannte sie den „new superstar of guitar“.

Emily Remler selbst sagte über sich: „Ohne West Side Story würde ich keine Musik
machen. […]Anfangs hörte ich nur ein paar Noten, also weiß ich, wie es ist,
wenn die Leute zum ersten Mal Jazz hören. Aber dann höre ich Charlie Christian,
den Gitarristen, und Paul Desmond. Bei Desmond konnte ich die Melodie hören
und mich darauf beziehen. Desmond hat mich zum Jazz gebracht, aber als ich
Wes Montgemory und Pat Metheny hörte, wusste ich, dass ich Gitarrist werden würde.“
Und in einem anderen Interview: „
Ich sah vielleicht aus wie eine nette
Jüdin aus New Jersey, aber innerlich bin ich ein 50-jähriger,
stämmiger Schwarzer mit einem großen Daumen, wie Wes Montgomery."
Die Liste der Musiker, mit denen Emily Remler in ihrem kurzen
Leben zusammenspielte, ist eben so lang wie prominent:
Monty Alexander, David Benoit, Ray Brown, Rosemary Clooney,
Larry Coryell, David Friedman, Astrud Gilberto, Eddie Gomez,
Jake Hanna, Hank Jones, Barnes Kessel, Michel Legrand,
Branford Marsalis, Bob Maze, Bobby McFerrin, Bob Moses,
Jeff Porcaro, Michal Urbaniak, Nancy Wilson…

Emily Remler starb im Alter von 32 Jahren an Herzversagen, wohl infolge ihrer Heroinsucht.

In einem Nachruf schrieb Richard K.: „Emily, die weltweit als eine der großen Jazzgitarristinnen anerkannt war, galt als eine geradlinige Spielerin, die auch die Musik anderer Leute auf ihre, großartige Weise interpretieren konnte.“

 

 

 

Hart Crane

* 21.7.1899 in Garrettsville, Ohio, † 26.4.1932 im Golf von Mexico, amerikanischer Dichter

 

In seinem Gedichtband „The Bridge“ schrieb Hart Crane auch über Rip Van Winkle, die legendäre Figur Washington Irvings. Der Kritiker Randell Jarrell sagte: „’Van Winkle’ ist eines der klarsten und frischesten und wahrhaftigsten amerikanischen Gedichte, die je geschrieben wurden.“

Und Rip wurde langsam bewusst,

dass er, Van Winkle, weder hier

noch dort war. Er wachte auf und schwor,

im Mai am Broadway eine Catskill-Gänseblümchenkette gesehen zu haben –

 

Also Erinnerung, die aus einer Kiste einen Reim schlägt,

Oder einen zufälligen Blumenduft durch Glas spaltet –

Ist es die Peitsche, die vom Fliederbaum abgestreift wurde,

eines Tages im Frühling nahm mein Vater zu mir,

Oder ist es das sabbatische, unbewusste Lächeln

My Mutter hätte mich fast einmal aus der Kirche mitgebracht

Und nur einmal, soweit ich mich erinnere – ?

 

Es flimmerte durch den Schneefang, blindlings

Es verließ sie an der Tür, es war weg

Bevor ich das Fenster verlassen hatte. Es kam

nicht mit dem Kuss in die Halle zurück.

 

Macadam, waffengrau wie der Gürtel des Thunfischs,

Sprünge von Far Rockaway zum Golden Gate...

Behalte den Nickel für den Wagenwechsel, Rip, –

hast du deine „Times“ – ?

Und beeil dich, Van Winkle – es wird spät!

 

Im Gegensatz zu Rip tauchte Hart jedoch nach Jahren nicht wieder auf, sondern blieb, nachdem von Bord des Passagierschiffes S.S. „Orizaba“ in den Golf von Mexico gesprungen war, verschwunden.

 

 

 

Robert Victor Neher

* 2.2.1886 in Schaffhausen, † 21.11.1918 ebd., Schweizer Industrieller

 

Robert Victor Neher gilt als Pionier der Aluminiumtechnologie. Im Alter von 24 Jahren reichte er ein Patent zur Herstellung von Endlosbändern aus Aluminium ein. Dank seines Verfahrens konnten Verpackungsfolien verschiedener Stärken wie verschweißte Verpackungen wesentlich rationeller produziert werden. Mitentscheidend zur Durchsetzung dieses Verfahrens war, dass sich mit der Firma Maggi ein Großabnehmer fand, der fortan seine Fertigsuppen und Brühwürfel damit verpackte. Zudem konnten sukzessive die bis dahin weit verbreiteten teureren Zinn-Verpackungen ersetzt werden, und nicht zuletzt für den Erfolg der Neherschen Alufolie war, dass sie ermöglichte, Wickelkondensatoren für die aufstrebende Nachrichtentechnik herzustellen.

Weiternetwicklung seines Verfahrens, wie etwas das Kaschieren von Alufolie auf Papier oder Stoffe, erlebte er nicht mehr. Robert Victor Neher starb im Alter von 32 Jahren an der Spanischen Grippe.

 

 

 

 

Alexander III. (der Große)

* 20.7.356 v. Chr. in Pella, † 10.6.323 v. Chr. in Babylon, makedonischer König

 

Keine Frage, Alexander III. von Makedonien leistete Großes. Er versuchte, die Enden der Welt zusammen zu bringen, gelangte so mit seinen Heeren bis Indien.

Er war Schüler des universellen Aristoteles.

Er gründete allerorts Städte: Alexandretta (heute Ískenderun), Alexandria, Alexandria am Hindukusch (Chȃrikȃr), Alexandria Eschatȇ (Chudschand), Alexandria am Amudarja (wohl Ai Khanoum), Alexandreia am Hyphasis (Beas - Indien), Xylenepolis (Bahmanabad), Alexandreia (Golashkerd) und benannte Artacoana in Alexandreia um (Herat). Seinem Pferd Bukephalos zu Ehren gründete er Bukephala (wohl Jhelam).

Er hatte drei Ehefrauen: Roxane, und dann nach der Massenhochzeit von Susa noch Stateira und Parysatis, sowie eine Geliebte (Barsine) und einen Geliebten (Hephaistos).

Er glaubte, dass Hephaistos wie Patroklos und er wie Achill sei, und im Hindukusch den Felsen gefunden zu haben, an dem Prometheus gekettet war, weiterhin durchhieb er im phrygischen Gordion bekanntlich jenen weltberühmten Knoten.

Er soll sich Eroberten gegenüber meist großzügig gezeigt, sowie an unzähligen Symposien (Trinkgelagen) teilgenommen haben und starb nach einem solchen in Babylon (sic!) wohl an Malaria.

Als Eroberer dürfte erst Dschingis Khan, der gut 1.500 Jahre später tatsächlich die Enden der Welt zusammenbrachte, noch erfolgreicher gewesen sein. Doch keine Frage, Alexander III. von Makedonien leistete Großes.

 

 

 

Johann Ludwig Burckhardt

* 25.11.1784 in Lausanne, † 15.10.1817 in Kairo, Schweizer Entdecker

 

Johann Ludwig Burckhardt nannte sich bei seinen Reisen im Orient Scheich Ibrahim ibn Abdallah und entdeckte die Felsenstadt Petra sowie den großen Tempel von Abu Simbel. Zudem verfasste er als erster Europäer, eine ausführliche Beschreibung der heiligen Stätten Mekka und Medina.

Über Petra berichtet er: „Die Eingeborenen nennen dieses Denkmal Kaßr Faraûn oder Kastell des Pharao, und behaupten, daß es die Residenz eines Fürsten gewesen. Allein es war wohl eher ein fürstliches Grabmal. […] Vergleicht man die in Reland’s Palaestina citierten Stellen der alten Autoren, so wird es sehr wahrscheinlich, daß die Ruinen in Wady Musa die des alten Petra sind […] «Ich bedaure, daß ich von denselben keinen sehr vollständigen Bericht ertheilen kann. Allein ich kannte den Charakter der Leute rund umher. Ich war ohne Schutz mitten in einer Wüste, wo nie zuvor ein Reisender sich hatte sehen lassen; und eine sorgfältige Untersuchung dieser Werke der Ungläubigen, wie man sie nennt, würde den Verdacht erweckt haben, daß ich ein Zauberer sey, der Schätze suche. Man würde mich wenigstens aufgehalten, […] höchst wahrscheinlich aber ausgeraubt haben. […] Es ist für Europäische Reisende sehr unangenehm, daß die Idee von Schätzen, die in den alten Gebäuden versteckt liegen, in den Seelen der Araber und Türken so fest gewurzelt ist. Sie begnügen sich nicht damit, Tritte und Schritte des Fremden zu bewachen, sondern glauben, daß ein rechter Zauberer nur den Fleck gesehen und sich gemerkt zu haben braucht, wo die Schätze verborgen liegen, von denen er nach ihrer Meinung durch die Bücher der Ungläubigen, welche an dem Orte lebten, bereits unterrichtet ist, um in der Folge, nach seiner Bequemlichkeit, den Hüter derselben zur Auslieferung zu zwingen. […] Wenn der Reisende die Dimensionen eines Gebäudes oder einer Säule aufnimmt, so sind sie überzeugt, es sey ein magischer Prozeß. Selbst die am liberalsten gesinnten Türken in Syrien haben dieselben Ansichten. […] ‹Maû Delayl, er hat Anzeigen von Schätzen bey sich›, ist ein Ausdruck, den ich hundertmal gehört habe.“

Und über Abu Simbel: „Da ich meiner Meinung nach alle Alterthümer von Eksambal begehen zu haben glaubte, so wollte ich schon der Sandseite des Berges auf dem nämlichen Pfade hinaufsteigen, auf dem ich herabgekommen war; als ich mich glücklicherweise weiter hin nach Süden umsah, fiel mir das, was noch von vier ungeheuren Colossalstatuen, die aus dem Felsen gehauen sind, sichtbar ist in einer Entfernung von ungefähr zweihundert Schritten vom Tempel in die Augen. Sie stehen in einer tiefen Schlucht, die man in den Berg gemacht hat, allein es ist sehr zu bedauern, daß sie jetzt fast ganz vom Sande begraben sind, welcher hier in Strömen herabgeweht wird. Der ganze Kopf und ein Theil der Brust und der Arme von Einer der Statuen ragen noch über die Oberfläche hervor; von der zunächststehenden ist kaum noch irgend etwas sichtbar, da der Kopf abgebrochen und der Leib bis über die Schultern mit Sand bedeckt ist; von den beiden andern sind bloß noch die Mützen sichtbar.“

Johann Ludwig Burckhardt wollte noch nach Timbuktu, erkrankte jedoch an der Ruhr und starb in Kairo. In seinem Testament hatte er verfügt: „Die Türken werden sich meines Leichnams bemächtigen, überlasst ihn denselben ruhig.“

 

 

 

Karen Anne Carpenter

* 2.3.1950 in New Haven, Connecticut, † 4.2.1983 in Downey, Kalifornien, amerikanische Sängerin

 

Karen Anne Carpenter, Spitzname „Lead-Sister“, bezeichnete sich als „Schlagzeugerin, die sang“, und wirkte vor allem gemeinsam mit ihren Bruder Richard. Da sie nur 1,63 m groß war, war es für die Zuschauer schwierig, Karen hinter dem Drum-Set zu sehen. Nachdem Kritiker meinten, dass die „Carpenters“ keinen Schwerpunkt in Live-Shows hatten, überredeten Manager sie, am Mikrofon zu stehen, um die Hits der Band zu singen, während ein anderer Musiker am Schlagzeug saß. Dabei schien sie sich nie recht wohlgefühlt zu haben.

Bereits während ihrer Schulzeit hatte sie gelegentlich Diäten ausprobiert und begann nun nur noch magere Lebensmittel zu essen und täglich acht Gläser Wasser zu trinken und reduzierte ihr Gewicht auf 54 kg und blieb bei diesem Gewicht bis etwa 1973, als die Karriere der „Carpenters“ ihren Höhepunkt erreichte. Dann sah sie aber ein Konzertfoto, auf dem sie sich schwer vorkam. Sie engagierte einen Personaltrainer, der ihr riet, mit einer neuen Diät zu beginnen, um Muskeln aufzubauen, wodurch sie sich schwerer statt schlanker fühlten sollte. Und schließlich versuchte sie mit eigenen Methoden weiter abzunehmen, verlor 9 kg und wollte weitere 5 kg abnehmen. Im September 1975 wog Karen Anne Carpenter nur noch 41 kg. Bei Live-Auftritten reagierten die Fans mit Keuchen auf ihr hageres Aussehen. Sie scheute sich aber öffentlich zu erklären, dass sie krank sei; Bei ihrem Auftritt im Jahr 1981 sagte sie stattdessen, sie sei „kaputt“.

Im Jahr darauf versuchte sie, ihre Karriere fortzusetzen, plante mit ihrem Bruder sogar eine neue Platte. Am 11. Januar 1983 hatte Karen Anne Carpenter ihren letzten öffentlichen Auftritt bei einer Versammlung ehemaliger Grammy-Preisträger. Sie schien etwas gebrechlich und erschöpft, erzählte aber Dionne Warwick, dass sie „noch viel zu leben habe“ und soll gerufen haben: „Schaut mich an! Ich habe einen Arsch!“

Keinen Monat später starb sie zweiunddreißigjährig an Herzversagen infolge ihrer Magersucht. Im Oktober 1983 erhielten die „Carpenters“ einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame.

 

 

 

Brian Samuel Epstein

* 19.9.1934 in Liverpool, † 27.8.1967 in London, britischer Manager

 

Schwer zu sagen, ob aus den Beatles die Beatles geworden wären, hätte Brian Epstein sie nicht eines schönen Tages unter Vertrag genommen.

Die erste Langspielplatte, die dank seines Managements erschien, war „Please Please me“, und es folgten legendäre weitere: „With the Beatles“, „A Hard Days Night“, „Beatles for Sale“, „Help!“, „Rubber Soul“, „Revolver“, „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“.

Schwer zu sagen, was aus den Beatles geworden wäre, hätte Brian Epstein, der unter Schlaflosigkeit litt,  nicht eines Nachts eine Überdosis Schlaftabletten eingenommen.

 

 

 

Wilhelm Müller

* 7.10.1794 in Dessau, † 1.10.1827 ebd., deutscher Dichter

 

Das Wandern ist des Müllers Lust,

     Das Wandern!

Das muß ein schlechter Müller sein.

Dem niemals fiel das Wandern ein,

     Das Wandern…

 

Heinrich Heine schrieb Wilhelm Müller: „Ich glaube erst in Ihren Liedern den reinen Klang und die wahre Einfachheit, wonach ich immer strebte, gefunden zu haben. Wie rein, wie klar sind Ihre Lieder, und sämtlich sind es Volkslieder.“

 

Am Brunnen vor dem Tore,

Da steht ein Lindenbaum:

Ich träumt in seinem Schatten

So machen süßen Traum…

 

Wilhelm Müller starb infolge einer Keuchhustenerkrankung zweiunddreißigjährig an Herzschlag.

 

Im Krug zum grünen Kranze,

Da kehrt ich durstig ein:

Da saß ein Wandrer drinnen

Am Tisch bei kühlem Wein…

 

 

 

John Silas Reed

* 22.10.1887 in Portland, Oregon, † 19.10.1920 in Moskau, amerikanischer Journalist

 

Das Vorwort zu John Reeds „10 Tage, die die Welt erschütterten“ schrieb Lenin: „Dies ist ein Buch, das ich in Millionen von Exemplaren verbreitet und in alle Sprachen übersetzt wissen möchte.“ Und Lenins Ehefrau Nadeshda Krupskaja ergänzte: „Hier sind die ersten Tage der Oktoberrevolution ungewöhnlich eindrucksvoll und stark beschrieben. Es ist keine einfache Aufzählung von Tatsachen, keine Sammlung von Dokumenten, es ist eine Reihe lebendiger, derart typischer Szenen, daß jedem Teilnehmer der Revolution die analogen Szenen, deren Zeuge er war, in Erinnerung kommen müssen.“

John Reed war Harvard-Absolvent und hatte als Kriegsberichterstatter über die Mexikanische Revolution geschrieben im Ersten Weltkrieg über die Ereignisse in Frankreich, Deutschland, Serbien, Rumänien und Bulgarien.

Reed Biograph A. Williams berichtet: „Im Sommer 1917 eilte John Reed nach Rußland, weil er in den ersten revolutionären Zusammenstößen das Nahen des großen Klassenkrieges erkannte. […] Lebendig erwacht in meiner Erinnerung meine Reise mit John Reed und Boris Reinstein im September 1917 an die Rigaer Front. Unser Auto fuhr nach Süden, in Richtung Wenden, als die deutsche Artillerie ein Dörfchen ostwärts mit Granaten überschüttete. Dieses Dörfchen wurde plötzlich für John Reed der interessanteste Platz auf der Welt! Er bestand darauf, dorthin zu fahren. Langsam, vorsichtig bewegten wir uns vorwärts – als hinter uns ein Geschoß krepierte und der Weg, den wir eben passiert hatten, nun als schwarze Fontäne von Rauch und Staub in die Luft flog. Erschreckt hielten wir uns krampfhaft aneinander fest, doch nach einer Minute schon strahlte John Reed vor Begeisterung, als fühle er innere Befriedigung. […] So brachte er auf die verschiedenste Weise eine großartige Sammlung von Materialien zusammen, so großartig, daß sie ihm, als er nach 1918 im Hafen von New York eintraf, von den Agenten des amerikanischen Justizministeriums weggenommen wurde. Immerhin gelang es ihm, sie erneut in seinen Besitz zu bringen und in einem New Yorker Zimmerchen zu verstecken, wo er beim Geräusch der über und unter ihm dahinrollenden Züge sein Buch schrieb.“

John Reed sagte: „Was man auch vom Bolschewismus denken mag, unbestreitbar ist, daß die russische Revolution eine der größten Taten in der Geschichte der Menschheit ist und der Aufstieg der Bolschewiki ein Ereignis von weltweiter Bedeutung. Ebenso wie die Historiker jeder Einzelheit aus der Geschichte der Pariser Kommune nachspüren, werden sie auch wissen wollen, was sich im November 1917 in Petrograd zutrug, welcher Geist die Menschen beseelte, wie ihre Führer aussahen, wie sie sprachen und wie sie handelten. Das hat mich bewogen, dieses Buch zu schreiben.“

John Reed wurde Ende August 1919 wegen Radikalismus aus der Sozialistischen Partei Amerikas ausgeschlossen und gründete postwendend die Kommunistische Partei der USA. Als ein Gericht ihn dann wegen Aufruhrs anklagte, flüchtete er im Oktober 1919 über Skandinavien zurück nach Sowjetrussland. Im Jahr 1920 infizierte er sich wahrscheinlich im Kaukasus mit Typhus und starb kurz vor seinem 33. Geburtstag. Beigesetzt wurde er in einem Ehrengrab an der Kremlmauer.

Im Jahr 1999 wählte die „New York Times“ John Reeds Buch „10 Tage, die die Welt erschütterten“ auf Platz 7 der 100 bedeutendsten journalistischen Werke.

 

 

 

Atahualpa

* um 1500, † 26.7.1533 in Cajamarca, letzter Herrscher des Inka-Reiches

 

Cajamarca, Sonnabend, 16. November 1532: „Nicht lange vor Sonnenuntergang erreichte die Spitze des königlichen Zuges die Tore der Stadt. Zuerst kamen einige hundert Diener, damit betraut, jedes kleinste Hindernis aus dem Weg zu räumen. ‚Ihre Triumphgesänge’, sagt einer der Eroberer, ‚gellten in unseren Ohren wie Höllenlärm.’ Dann folgten andere Gruppen, unterschiedlichen Ranges und verschiedenartig uniformiert. Einige waren in einem auffälligen Stoff mit weiß und rotem Schachbrettmuster gekleidet, andere ganz in Weiß und mit Hämmern oder Keulen aus Silber und Kupfer ausgerüstet. Die Leibwachen sowie die unmittelbare Umgebung des Fürsten zeichneten sich durch prächtige himmelblaue Kleidung und eine Fülle glänzenden Schmuckes aus, und die großen Ohrpflöcke verrieten den peruanischen Edelmann. Hoch über seinen Untertanen sah man den Inka Atahualpa in einer Sänfte, einem Tragegestellt, auf dem sich eine Art von Thron aus gediegenem Golde von unschätzbarem Wert erhob. Der Tragesessel war mit farbenprächtigen Federn tropischer Vögel ausgekleidet und mit schimmernden Gold- und Silberplatten besetzt. Der Herrscher … trug eine Halskette aus ungewöhnlich großen, leuchtenden Smaragden. Sein kurzes Haar war mit goldenem Zierat geschmückt, und um seine Schläfen wand sich die königliche Borla. Die Haltung des Inka war gelassen und würdevoll; von seinem hohen Sitz blickte er mit kühler Ruhe auf die Menge zu seinen Füßen wie jemand, der zu befehlen gewöhnt ist.“ (William Prescott)

Allerdings beeindruckte das alles die spanischen Konquistadoren, angeführt von Francisco Pizarro, nicht. Aus dem Hinterhalt griffen die urplötzlich an, metzelten (obwohl heillos unterlegen, doch überlegen durch Gewehre und Kanonen) tausende Inkas erbarmungslos nieder und nahmen Atahualpa gefangen.

Zeichen für diesen brutalen Überfall war angeblich, dass ein spanischer Priester Atahualpa die Allmacht, die Überlegenheit Gottes predigen wollte. Und als der Inka-Herrscher verwundert fragte, woher er denn das wisse, soll der Priester eine Bibel hochgehalten haben. Die hielt der Inka an sein Ohr, lauschte und schmiss sie dann auf den Boden. Nichts dergleichen könne er hören! rief er. Da brach die Hölle los.

Als Atahualpa die Skrupellosigkeit der Spanier und also seine Hochgefährdung erkannte, bot er ein wahrhaft fürstliches Lösegeld. Er ließ alle greifbaren Gold- und Silbergerätschaften einsammeln und einschmelzen und damit zwei Räume füllen. Noch heute sind diese Räume in Cajamarca zu finden: der größere misst immerhin 6,70 m mal 5,18 m und die Füllhöhe betrug 2,75 m – so hoch wie Atahualpa ausgestreckte Hand reichte. Hier wurde eine rote Linie gezogen.

Indes, es reichte nicht. Als Gold und Silber im Jahr darauf bis zur roten Linie eingefüllt waren, wahrhaftig mehr als sechs Tonnen Gold und elf Tonnen Silber, ließ Pizarro Atahualpa schmählich erdrosseln. Der letzte Inka war tot.

Zu groß war die Gier der weißen Eroberer - sie wollten nicht nur zwei Räume voller Gold und Silber, sie wollten das ganze Land, den ganzen Kontinent, die ganze Welt. Was hätte dem entgegengesetzt werden können? Neugier, Edelmut, Vertrauen sicher nicht.

 

 

 

Artur Becker

* 12.5.1905 in Remscheid, † 16.5.1938 in Burgos, Spanien, deutscher Politiker

 

Artur Becker zog als jüngster Abgeordneter 1930 in den Reichstag ein, wurde 1932 wiedergewählt und sah sich als Mitglied der KPD-Fraktion nach der Machtübernahme durch die Nazis gezwungen, aus Deutschland zu fliehen.

In der Sowjetunion half er nach dem Franco-Putsch den Widerstand in Spanien mit zu organisieren, nahm ab August 1937 dort selbst an den Kämpfen teil und wurde im Frühjahr 1938 Politkommissar des Thälmann-Bataillons der Internationalen Brigaden.

Am 13. April 1938 geriet er am Ebro schwer verwundet in Gefangenschaft, wurde wochenlang verhört und schließlich in einem Gefängnis von Burgos erschossen.

In der DDR wurde Artur Becker vielfältig geehrt, in seiner Heimatstadt Remscheid im wiedervereinten Deutschland zu seinem Gedenken ein Stolperstein verlegt.

 

 

 

Adriaen Brouwer

* 1604 oder 1605 in Oudenaarde, Flandern, † (Beerdigung) 1.2.1638 in Antwerpen, niederländischer Maler

 

„Nicht entfernt ein Aristokrat wie Rubens oder van Dyck oder ein gesunder Lacher wie Jordaens, war Brouwer das Musterbild eines Kunstzigeuners. Voller Verständnis für das Anrüchige brachte er die beste Zeit seines kurzen Lebens in Kneipen zu. Doch besaß dieser Lüdrian eine ungemein starke künstlerische Anlage. Es ist nicht zuviel behauptet, wenn man ihn nächst Rubens als die stärkste Malbegabung des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnet. In Brouwers lebte etwas Elementares, das man in zivilisierten Naturen vergeblich suchen wird. In seinen zankenden Lümmeln und tierischen Rohlingen steckt eine urtümliche Gewalt“, urteilte der belgische Autor Arthur Hendrik Cornette. „Insgleichen sind seine Landschaften wundersam fahle Naturausschnitte, höchst ungastliche Örtlichkeiten oder kahle Dünenhänge, unwirtliche Heideflächen und wirre Gesträuche unter einem drohenden Gewitterhimmel bei dramatischem Zwielicht.“

Und Erich Höhne schrieb: „Adriaen Brouwer steht als selbstständiger Künstler zwischen Holland und Flandern. Er ist der letzte große Niederländer, der den Schwung der Flamen mit dem Wirklichkeitssinn und der Präzision der Holländer vereinigt.“

Berichtet wurde, dass sich Adriaen Brouwer, als er von einer Seereise völlig ausgeplündert zurückkam, auf das letzte, ihm verbliebene Leinengewand ein großartiges Blumenmuster malte und die feinen Damen die Läden nach diesem Stoff absuchten, bis er eines Abends auf ein Podest sprang, die Farbenpracht abwusch und einen eindringlichen Vortrag über die Torheit der Eitelkeit hielt.

Wahrscheinlich fiel Adriaen Brouwer im Alter von 33 Jahren der Pest zum Opfer.

 

 

 

Eva Dickson

* 8.3.1905 als Eva Amalia Maria Lindström in Steininger Schloss, Sigtuna, † März 1938 in Bagdad, schwedische Entdeckerin

 

Eva Dickson war die erste Frau, die die Sahara mit einem Auto durchquerte – 1932 gewann sie eine Wette, indem sie von Nairobi nach Stockholm fuhr.

1937 wollte sie von Stockholm über die Seidenstraße nach Peking fahren, wurde jedoch in Kalkutta krank. Da zudem der Zwei-te Chinesisch-Japanische Krieg ausgebrochen war, musste sie ihre Pläne, China zu erreichen aufgeben und trat durch eine falsche Behandlung in Indien geschwächt, dennoch die Heimreise an. Im Iran verlor sie in einer Steilkurve die Kontrolle über ihren Wagen und starb im Alter von 33 Jahren am Unfallort.

 

 

 

 

 

Jesus von Nazareth

* zwischen 7 und 4 v. Chr. wohl in Nazareth, † 30 oder 31 in Jerusalem, Religionsstifter

 

Wir leben in einer Zivilisation, die bis hinein in die Zeitrechnung bestimmt wird vom Erscheinen eines galiläischen Propheten, in der tragischen Geschichte, die dieser Prophet in Gang gesetzt hat.

Emmanuel Carrère in „Kleopatras Nase“

 

Jesus, ich sah den angeblichen Ort seiner Geburt:

Übernachtung in Talitha Kumi, einem Vorort Bethlehems in den Autonomiegebieten, in einer evangelischen Mädchenschule. Überraschung: kein Kühlschrank im Zimmer, kein Fernseher, und die Haustür wird selbstverständlich abends verschlossen. Bald zeigt sich aber, dass alles erträglich ist: Zwar bleibt das Gelände wirklich verschlossen, im Hauspark kann man jedoch spazieren, ein Fernseher steht im Aufenthaltsraum (der dann im übrigen so gut wie nicht benutzt wird) und im Speisesaal steht ein Kühlschrank voll eisgekühltem Bier. Ich sitze schließlich auf der Veranda und beobachte ein über Jerusalem ziehendes Gewitter. Die Nacht ist dann ziemlich unruhig. Ich werde ein erstes Mal durch rhythmisches Getrommle wach - Unruhen? Dann wecken mich die Rufe des zum Morgengebet rufenden Muezzins, und ein drittes Mal werde ich vom Lärm der zur Schule kommenden Kinder munter. Trotzdem fühle ich mich am Morgen recht gut. Fahrt ins Zentrum, Besichtigung der Geburtskirche – in dieser winzigen, verräucherten Höhle unterhalb des Hauptschiffs soll wirklich Jesus geboren worden sein? -, Schlendern über den Markt, den Manger Square, Muslime beim Mittagsgebet. Der Platz in der Moschee scheint zum Gebet nicht mehr auszureichen, hunderte Gläubige knien auf ihren Teppichen einfach auf dem Platz vor der Moschee bis hin zum Busbahnhof, erheben gemeinsam die Hände, verneigen sich tief. (Die Zahl der Gläubigen und insbesondere der Extremgläubigen scheint im Übrigen auf arabischer wie auf jüdischer Seiten zuzunehmen.) Wenn ich allerdings angesichts der Gläubigen einen Arak hätte trinken wollen, wäre das kein Problem gewesen. Obwohl den Moslems der Alkoholkonsum strikt untersagt ist, kann man überall in Bethlehem Alkohol kaufen.

 

Jesus; ich sah Orte seines Wirkens:

Fahrt quer durch Galiläa, zum See Genezareth, zu dem See also, wo Jesus seine Jünger rekrutierte und erste Wunder tat. Wir erreichen Tabgha, die Brotvermehrungskirche. Hier also fand die epochemachende Bergpredigt statt. Dann Capernaum, wo Petrus zu Hause war. Wir pirschen uns zum See vor, versuchen übers Wasser zu laufen.

Mittagessen. Peter-Fisch, köstlich! Dazu passend, denn der Name des Fisches bezieht sich auf Simon Petrus, der diese Art wohl schon zu seiner Zeit im See Genezareth fischte.

Schließlich geht’s über den Jordan, (was für ein Rinnsal!) und auf den Golan. Hochebene, karge Basaltlandschaft, endlose Distelfelder und am Stacheldraht immer wieder: Danger Mines! Letzte Überreste aus syrischer Zeit, denn dieses Gebiet eroberten die Israelis im Sechs-Tage-Krieg 1967, annektierten den Golan dann 1980. Ein Friedensvertrag mit Syrien, analog dem mit Ägypten oder Jordanien, dürfte wohl nur über die „Verhandlungsmasse“ Golan zu erzielen sein.

Schließlich Caesarea Philippi, wo Jesus zu Simon gesagt haben soll: Du bist Petrus, der Fels, auf dem ich meine Kirche bauen will. Aha, hier also soll sich die erste Papst-Inthronisation vollzogen haben.

 

Jesus: ich sah den Ort seines Todes:

Die Via Dolorosa entlang bis aufs Dach der Grabeskirche, wo koptische Mönche in Mini-Häuschen, in Zellen wahrhaft, hausen. Und hinein in die Grabeskirche mit ihren verwirrenden Sektionen konkurrierender Christen, griechisch-orthodox, römisch-katholisch, russisch-orthodox, syrisch-orthodox, armenisch, koptisch. Als die Streitereien über Rechte und Besitzgründe in der Grabeskirche vor hundertfünfzig Jahren so groß wurden, dass sie in Handgreiflichkeiten ausarteten, verordnete der türkische Sultan einen Status quo: nichts aber auch gar nichts mehr, durfte in der Grabeskirche verändert werden - seitdem soll am Hauptportal eine Leiter an einem offenstehenden Fenster lehnen, die angeblich ein Fensterputzer benutzen wollte.

Golgatha, letzte Station des Kreuzganges mitten in der verwinkelten, verbauten, voller Lampen hängenden und noch weniger als die Bethlehemer Geburtskirche einen Kircheneindruck hinterlassenden Grabeskirche, Christen, die den Fels küssen, auf dem man Jesus gekreuzigt haben soll, aber inmitten der Massen auch eine arg schwäbelnde Dame, die ihren Guide lautstark fragt, was denn dieser Stein hier zu bedeuten habe? Ähnliches war mir schon mal im Felsendom widerfahren. Seltsam, warum reisen solche Leute nach Jerusalem? Über dem vermeintlichen Grab Jesu, aus dem er ja auferstanden und gen Himmel gefahren sein soll, ließen die meisten der hier vertretenen christlichen Konfessionen eine Kirche in der Kirche errichten. Da die Kopten das Grab Jesu jedoch an anderer Stelle wähnen, hat diese Kirche in der Kirche einen Anbau. Schau an.

 

 

 

Jemeljan Iwanowitsch Pugatschow

* um 1742 in Simowesjkaja am Don, † 21.1.1775 in Moskau, russischer Bauernführer

 

Der Don-Kosak Jemeljan Iwanowitsch Pugatschow kämpfte in der zaristischen Armee brav im Siebenjährigen und im Russisch-Türkischen Krieg, im August 1773 behauptete er aber plötzlich, er sei der im Vorjahr verstorbene Zar Peter III., der durch ein Wunder den Mordversuch seiner untreuen Frau, der Zarin Katharina, überlebt habe. Und im September 1773 erschien unter seinem Namen ein Manifest, das zum Widerstand aufrief.

Rasch besetzten die Aufständischen weite Gebiete zwischen Wolga und Ural, wurden erst in Kasan gestoppt. Jemeljan Iwnaowitsch Pugatschow wurde vom Generalissimus Suwurow-Rymnikski gefangengenommen, vom höchsten Untersuchungsbeamten der Zarin Katharina, Geheimrat Scheschkowski, grausam verhört, und schließlich öffentlich in Moskau hingerichtet.

Puschkin widmete sich mehrmals Pugatschow, so in der „Hauptmannstochter“ und in seiner „Geschichte des Pugatschew’schen Aufruhrs“, in der er die Ursachen dieser Rebellion vor dem Hintergrund politischer, sozialer und wirtschaftlicher Repressionen zu analysieren versucht.

Sergej Jessenin ehrte den großen Bauernführer durch sein dramatisches Poem „Pugatschow“, Karl Gutzkow durch sein Trauerspiel„Pugatschow“.

 

 

 

Mary Turner

* ca. 1885, † 19.5.1918 in Lowndes County, Georgia, amerikanisches Lynch-Opfer

 

Nach dem 6. Januar 2021, dem Tag, als ein von Präsident Trump mitten in der Corona-Pandemie aufgestachelter Pöbel das Capitol gestürmt und lauthals gefordert hatte: Keep America great again, womit all die wütenden, tobenden weißen Männer meinten: Make America white again, verglich Siri Hustvedt die Atmosphäre dieser Demokratie-Schändung mit der tradierter Lynch-Justiz: „Als am 16. Mai 1918, dem Jahr der verheerenden Grippeepedemie, ein Plantagenbesitzer in Georgia ermordet wurde, veranstalteten weiße Mobs eine brutale Hetzjagd. Innerhalb von zwei Wochen ermordeten sie 13 Schwarze. Am 19. Mai drohte Mary Turner, deren Mann tags zuvor gelyncht worden war, damit, die Festnahme der Verantwortlichen zu fordern. Zur Strafe dafür, dass sie es gewagt hatte, ihre Stimme zu erheben, hängte ein wütender Mob Mary Turner mit dem Kopf nach unten, übergoss sie mit Benzin und Öl, fackelte ihre Kleider ab, schnitt ihr den Bauch auf und trampelte den acht Wochen alten Fötus, der auf den Boden gefallen war, zu Tode. Keiner der Terroristen wurde je vor Gericht gestellt.“

Verhindern wollte der Mob des angehenden 21. Jahrhunderts, dass Joe Biden offiziell als Wahlsieger über Trump bestätigt wurde. Nur wenige Tage später, am 20. Januar 2021 wurde auf den Stufen des Capitols jedoch erstmals eine Frau als Vizepräsidentin vereidigt, Kamala Harris, eine stolze Frau, eine schwarze Frau.

 

 

 

Johann Wilhelm Ritter

* 16.12.1776 in Samitz, Schlesien, † 23.1.1810 in München, deutscher Physiker und Philosoph

 

„Johann Wilhelm Ritter ist die herausragendste Figur unter den Naturforschern der Frühromantik im Kulturkreis Jena-Weimar. Obwohl Autodidakt, wurde er von Persönlichkeiten wie Goethe, Herder, Alexander von Humboldt und Brentano als wissenschaftlicher Partner geschätzt“, schrieb der Biograph Klaus Richter, und der Journalist Christoph Gunkel ergänzte: „Als Physiker entdeckte er 1801 die UV-Strahlung und erfand 1802 den ersten Akuumulator, die Rittersche Ladungssäule.“

Bereits 1797 hatte Johann Wilhelm Ritter vor der Naturforschenden Gesellschaft in Jena „Ueber den Galvanismus: einige Resultate aus den bisherigen Untersuchungen darüber, und als endliches: die Entdeckung eines in der ganzen lebenden und todten Natur tätigen Princips“ referiert und gab die Zeitschrift „Beyträge zur nähern Kenntniß des Galvanismus“ heraus. Gewonnen hatte er seine Erkenntnisse nicht zuletzt durch Selbstversuche, indem er sich Stromstöße durch den Körper jagte und die Auswirkungen auf die Muskelkontraktion beobachtete.

Clemens von Brentano sagte über Ritter – ohne zu wissen selbstredend, dass die Rittersche Ladesäule die Urform künftiger Batterien war -, dass er „der einfachste, genialste Mensch seiner Zeit sei“, dem es wie einem „Moses“ gelinge, „die reine kristallklare Quelle der Weisheit anzuzapfen.“

Christoph Gunkel berichtete über die Entdeckung der Ur-Batterie: „Im Dezember 1802 nahm der junge Physiker aus Jena einfach eine Glasröhre, füllte sie mit Kochsalzlösung, schloss sie an beiden Seiten mit einem Korken, durch die Golddrähte ins Innere führten. Dann schickte er Strom durch die Röhre – und staunte nicht schlecht: […] dieser moderne Moses [sah] Blasen im Inneren der Röhre aufsteigen - Wasserstoff am einen, Sauerstoff am anderen Ende. Das Erstaunliche: Als Ritter den Stromkreis unterbrach, dauerte diese chemische Reaktion weiter an - nur, dass Sauerstoff und Wasserstoff nun am jeweils anderen Ende der Röhre aufstiegen. Kurzerhand testete Ritter diesen Effekt mit einem modifizierten Experiment: Er stapelte dutzende Kupferplatten und mit Salzsäure getränkte Pappstücke übereinander und schickte minutenlang Strom durch den Versuchsaufbau. Das Ergebnis war eine kleine Revolution: Die Ladung wurde gehalten, konnte ihre Energie wieder abgeben - und wieder aufgeladen werden. Mit seiner Ritterschen Ladungssäule’ hatte der junge Forscher soeben die Vorform des Akkus erfunden - eine heute nahezu vergessene Entdeckung, ohne die unsere moderne Welt der Laptops und Handys nicht vorstellbar wäre.

Ab 1806 versuchte Ritter jedoch trübere Quellen anzuzapfen, wandte sich der Erforschung der „unterirdischen Elektrometrie“, der Rutengängerei also zu, publizierte sogar ausführlich über Wünschelruten, was seinem Ruf als Wissenschaftler nicht eben zuträglich war.

Und dann starb Johann Wilhelm Ritter im Alter von nur 33 Jahren, seine galvanischen Selbstversuche könnten seinen frühen Tod mitverschuldet haben.

 

 

 

Gerhard Zachar

* 8.10.1945 in Glauchau, † 15.11.1978 bei Kalisz, Polen, deutscher Rockmusiker

 

Während einer Tournee durch Polen kam Gerhard Zachar, der Bass-Gitarrist und Bandleader von „Lift“ und der Sänger und Texter Henry Pacholski bei einem Autounfall ums Leben.

„Lift“ versuchte diesen tragischen Verlust durch den Song „Am Abend mancher Tage“ zu verarbeiten:

Am Abend mancher Tage - da stimmt die Welt nicht mehr

Irgendetwas ist zerbrochen, wiegt so schwer.

Und man kann das nicht begreifen

Will nichts mehr sehn

Und doch muß man weitergehn

Am Abend mancher Tage-da wirft man alles hin

Nun scheint alles, was gewesen, ohne Sinn

Und man läßt sich einfach treiben

Starrt an die Wand

Nirgendwo ist festes Land…“

Veronika Fischer sang „für H.P. & G.Z.:

Fort, fort - für immer fort.

Irgendwo, mitten auf der Tour

Schrie sie sein letztes Wort

Und es blieb stehn die Armbanduhr.

Ruhlos gemüht, geschafft,

Keine Pause je gewagt.

Leben aus letzter Kraft

Doch das leichte Leben blieb vertagt. //

Niemals Mehr,

Niemals Mehr zurück

Aus jenem fernen Sternenland.

Nie mehr her

In das Erdenglück

An eine warme gute Hand. //

Blieb die Frau, das Kind,

Blieb ein Haus

Bezogen im selben Jahr.

Ein Drachen blieb im Wind

Als die Schnur zerriß

An der er war. //

Als ich den Kranz trug hin,

Daß ich ihm die letzte Ehre geb

Stach es mir in den Sinn

Ob ich nicht auch zu sehr

Auf Zukunft leb.“

Keine Frage, „Lift“ hatte mit „Nach Süden“ das Lebensgefühl einer Generation junger DDR-Bürger zum Ausdruck gebracht:

„Als ich ein Kind noch war

da war mir gar nicht klar

wohin die Vögel gehen

wenn kalt schon die Winde wehn

Der Vater lachte leis

die fliehn vor Schnee und Eis

die ziehn nach Süden

um immer die Sonne zu sehn

Nach Süden, nach Süden

wollte ich fliegen

das war mein allerschönster Traum

Hinter dem Hügel

wuchsen mir Flügel

um vor dem Winter abzuhaun

abzuhaun

Und heimlich in der Nacht

hab ich mich aufgemacht

wollte nach Süden gehen

um immer die Sonne zu sehn

so lief ich querfeldein

wohl über Stock und Stein

doch gar nicht weit hinterm Haus

da fiel schon der erste Schnee…“

Ja, nicht im Süden, im Osten kamen Henry Pacholski und Gerhard Zachar ums Leben.

 

 

 

Forugh Farrochzād

* 29.12.1934 in Teheran, † 13.2.1967 ebd., iranische Dichterin

 

Mir ist kalt,

Mir ist kalt, und es scheint,

dass mir nie wieder warm wird.

Mir ist kalt und ich weiß,

dass nichts übrig bleibt

von all den roten Träumen einer wilden Mohnblume,

ein paar Tropfen Blut vielleicht.

 

Ich werde Zeilen aufgeben

und höre auch auf, Silben zu zählen.

Und ich werde Zuflucht suchen vor dem Mob

endlicher gemessener Formen

in den sensiblen Weiten.

Ich bin nackt, nackt, nackt,

Ich bin nackt wie Stille zwischen Liebesworten,

und alle meine Wunden kommen aus Liebe,

aus Liebe…

 

schrieb Forugh Farrochzād in ihrem erst postum veröffentlichten, wohl bekanntesten Gedicht.

In ihrem kurzen Leben, das ihr den Ruf einbrachte, eine der begabtesten und einflussreichsten Frauen der persischen Literatur des 20. Jahrhunderts zu sein, veröffentlichte sie vier Gedichtbände: „Die Gefangene“, „Die Wand“, „Aufbegehren“ und „Wiedergeburt“.

In den „Horen“ war zu lesen: „Forugh Farrochzāds Werk kennzeichnet der Versuch der Überwindung und Neudefinition sowohl literarischer als auch sozialer und kultureller Konventionen und Ideale. Ihr Fokus richtet sich hierbei vor allem auf die Rollen von Mann und Frau. Wie kaum jemand vor ihr versucht sie in ihrer Darstellung beide Geschlechter von Stereotypen zu befreien, sie insgesamt komplexer erscheinen zu lassen – zu „entschleiern“ – und ihnen so die Möglichkeit der gegenseitigen Annäherung zu bieten. Gleichzeitig thematisiert sie die Begrenztheit und Vergänglichkeit der Zeit.“

Forugh Farrochzād starb infolge eines Autounfalls. In ihrem Gedichtband „Wiedergeburt“ hatte sie geschrieben:

 

Ich

Kenne eine kleine, traurige Nixe

Die wohnt in einem Ozean

Und ihr Herz spielt leise, leise,

Auf einer Zauberflöte

Eine kleine, traurige Nixe

Die abends stirbt an einem Kuss

Und im Morgengrauen aus einem Kuss geboren werden wird.

 

 

 

Emanuel von Friedrichsthal

* 12.1.1809 in Urschitz, † 13.3.1842 in Wien, österreichischer Reiseschriftsteller

 

Als erster europäischer Reiseschriftsteller kam Emanuel von Friedrichsthal 1839 erstmals nach Yucatán. Der erste Conqistador Hernandez de Cordoba, der 1517 diese Halbinsel betrat, soll Einheimische gefragt haben, wie dieses Land heiße, worauf die angeblich antworteten: Ma’c ubab than – was so viel heißt wie: Wir verstehen euch nicht... Aha.

Damit mir nun möglicherweise wenigstens ein bisschen etwas von dieser so exotischen Region verständlich wird, buchten Jeanny und ich eine Tour durch Yucatán und gelangten 164 Jahre nach Emanuel von Friedrichsthal in diese Region. Und natürlich schrieb ich über unsere Reise:

“Ma’ lo kin”, begrüßt uns die Reiseleiterin auf Yucatek-Maya: Guten Morgen. Und kaum haben wir die letzten Mitreisenden an ihren jeweiligen Herbergen eingeladen, besichtigen wir auch schon eine Obsidian-Faktorei. Junge Maya schneiden und schleifen offenbar wie zu Urgroßväterzeiten diesen superharten und noch heute selbst zu Operationszwecken eingesetzten Stein. Hier wird er vor allem zu Figuren und Figürchen, die im anschließenden Laden an Touristen verkauft werden. Nun gut, so hat eben offenbar jeder Reiseführer auf dieser Welt seine speziellen Routen. Wobei dies hier nicht nur der übliche Verkaufstrick, sondern tatsächlich interessant ist, zumal uns zudem noch gezeigt wird, was alles aus einer Agave gewonnen wurde und wird: aus jedem Blatt kann man hauchdünne pergamentartige und beschreibbare Schichten lösen sowie Fäden ziehen, die als Naturfaser unter dem Namen Sisal einst weltbekannt war. Nicht zu vergessen: aus Agaven wird auch Tequila gewonnen und ein Gläschen davon wird uns zur Verkostung geboten. Na, da kaufen wir denn doch sogar ein, zwei Obsidian-Figürchen...

Schließlich erreichen wir Tulum, die erste der alten Maya-Städte unserer Tour, zugleich aber die jüngste, erst etwa zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert erbaut und bewohnt, wie wir von Lucille unserer Reiseleiterin alsbald erfahren. Brütende Hitze, die man ob der phantastischen An- und Ausblicke jedoch spielend wegsteckt. Tulum, malerische Ruinen oberhalb der Küste. Und was ist hier nicht astronomisch/ astrologisch zu sehen? Lucille weiß nicht nur Baudetails zu erläutern, sondern hat sogar Fotos dabei die zeigen, wie hier an bestimmten Tagen, den Äquinoktien beispielsweise, Sonnenstrahlen lupenartig durch präzise in Hauswänden ausgesparte Löcher dringen. Tulum ist der spät- oder nachklassischen Maya-Periode zuzurechnen, etliches Wissen über Baukunst scheint da infolge des nach wie vor rätselhaften Untergang des Maya-Reiches (etwa um 900) bereits verloren, offenkundig nicht aber das über Himmelsereignisse, deren Sichtbarmachung und Mystifizierung.

Dieser Untergang scheint sich nach mehr als 2000jähriger Zivilisation innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten vollzogen zu haben. Möglicherweise infolge einer schlimmen Trockenperiode, die eine ökologische Katastrophe heraufbeschwor, angeheizt zudem durch Überbevölkerung, Raubbau etc. pp. vielleicht. Das Ganze könnte zu Hungersnöten geführt haben, die wiederum zu sozialen Unruhen gegen die gottähnliche Oberschicht (da deren Rituale die Götter offenbar nicht mehr gütig zu stimmen wussten?) geführt haben. Dazu kamen dann wahrscheinlich sich verschärfende Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Herrscherhäusern und –gebieten. Ein Bündel von Faktoren wohl, ein unglückseliges.

Lucille meint, dass die Gebäude in Tulum im Vergleich zu anderen und älteren Maya-Siedlungen und –Kultstätten recht schlampig ausgeführt seien. (Da die Baumeister zur Oberschicht zählten und somit den Untergang des Maya-Reiches nicht überlebten, später nur noch schlecht und recht kopiert werden konnte?) Mir jedoch erscheint schon Tulum als absolut bestaunenswert, und Lucille vertrauend, die sicher Feinheiten über Feinheiten sah und wertete, beginne ich zu ahnen, was hier an Wissen, Kultur, Zivilisation einst alles verloren ging, unwiederbringlich. Insofern sehe ich ein in Tulum allenthalben zu entdeckendes Fresko, das einen stürzenden Gott zeigt, den Bienengott angeblich, eher als Symbol des Untergangs.

Während der Weiterfahrt nach Cobá spricht Lucille an, dass das Ende des Maya-Reiches ebenso im Dunkeln liegt wie dessen Anfang. Wie entwickelte sich diese Hochkultur? Wer waren, woher kamen die Maya? Schnell merke ich, dass Lucille offenbar der Atlantis-Theorie anhängt: Alle Pyramiden bauenden Völker (Mayas, Ägypter, Guanchen usw.) sollen demnach ihren Ursprung im sagenhaften Atlantis haben. Von daher auch sprachliche, religiöse oder kulturelle Affinitäten. Doch so sehr heutige Wissenschaft noch rätselt, was, wann, wie, warum hier genau geschah, erscheinen mir all diese mehr oder weniger esoterischen Deutungen, gelinde gesagt, ein bisserl weit hergeholt. Vorhandene Fakten, erkannte Widersprüche sollten zumindest nicht ignoriert werden. So gefällt mir denn auch, dass Lucille auf eine Frage nach Erich von Däniken (der ja bekanntlich in einem Fresko der Maya-Stadt Palenque sogar einen Raumfahrer erkannt haben wollte) antwortet, dass manche Erklärung wohl ausschließlich dem Reich der Phantastik entsprungen scheint; Phantasie und mutige Denkrichtungen allerdings vonnöten seien, um wenigstens einige der Rätsel vielleicht eines Tages zu lösen.

Wieso kommen in Überlieferungen alter mittel- und südamerikanischer Völker bärtige, blauäugige, weiße Männer vor, die wohl übers Meer kamen (und gingen) und durch ihr Wirken gottähnlichen Status errangen: Virracocha, Votan, Quetzalcóatl?

Warum banden die Maya ihren Kindern ein Steinchen an eine in die Stirn gezogene Haarsträhne, so dass sie schielen lernten? Warum platteten sie die Köpfe ihrer Kinder ab? Wem wollten sie damit ähnlich sehen? Oder veränderten sie damit ihr Wahrnehmungsvermögen? Kann man Maya-Glyphen vielleicht nur schielend richtig lesen? Doch warum?

Cobá war offenbar (und spätestens in der klassischen Maya-Periode, also vom 2. – 9. Jh. n. Chr.) die größte Siedlung auf Yucatán. Sachbeobs (weiße Straßen aus gewalztem Material) verbanden die wichtigsten Orte schnurgerade miteinander. Erstaunlicherweise war dieses Verkehrsnetz aber ausschließlich für Fußgänger angelegt, da die Maya weder Rad noch Reittiere kannten. In Cobá nun kreuzten sich (sicher nicht von ungefähr) viele dieser Wege und der längste Sachbé der Maya-Welt führte über 101 km von Cobá nach Yaxuná.

An fünf idyllischen Seen (Vorsicht Krokodil! – warnt uns eine Tafel) lag diese riesige Siedlung für etwa 50.000 Menschen einst. Heute sind einige Schneisen in den alles überwuchernden Dschungel geschlagen und die wichtigsten erhaltenen Bauwerke von Erde und Bewuchs befreit. So sehen wir erstmals einen Maya-Ballspielplatz und erreichen nach gut halbstündigem Marsch durch die Nachmittagsglut des Dschungels das höchste erhaltene Bauwerk des nördlichen Yucatán, die Nochob-Mul Pyramide, 42 m hoch. 120 ungerade Stufen kraxeln wir hinauf, werden oben mit einem phantastischen Rundblick über das grüne Blätterdach belohnt, der Abstieg über die schräge, sehr schräge Pyramidenwand erweist sich dann jedoch als nachgerade abenteuerlich. Nur nicht nach unten blicken... Auf dem Rückmarsch zum Bus sehen wir im Unterholz sogar eine der giftigsten Schlangen weit und breit, eine rotschwarze Korallenschlange, davonschleichen.

In Valladolid kurzer Halt im Zentrum, Besichtigung der Kirche, Schlendern durch den Stadtpark, ein bisschen shoppen und weiter nach Chichén Itzá. Wunderbares Hotel direkt neben der weltberühmten Ruinenstadt. Im Licht der untergehenden Sonne das imposante Maya-Observatorium. Keine Frage, das geht nahe. Das Hotel mit seinen schönen strohgedeckten Bungalows liegt inmitten eines urwaldähnlichen Parks. Lautes, vielstimmiges Vogelgezwitscher, Vogelgeschrei. In der Dunkelheit dann sogar allenthalben Glühwürmchen. Und am Morgen sogar Kolibris.

Dank der günstigen Hotellage sind wir an diesem Morgen wohl die ersten Besucher in der weitläufigen Anlage. Das hat zwei Vorteile: die Besucherströme kommen wie die drückende Hitze erst später. Mit Muße können wir also die zahlreichen Bauwerke der ursprünglich von Mayas, später von Tolteken besiedelten Stadt bewundern: das Observatorium, die Venus-Plattform, das Nonnenkloster, den Jaguarpalast, den Ballspielplatz, den Palast der Krieger und natürlich die Kukulcán-Pyramide, die ich umgehend wie schon gestern die Nohoch-Mul-Pyramide besteige.

Dieser imposante Bau gilt als riesige Sonnenuhr und steht wohl auch für astrologisch/mystische Deutungen: Aus neun Terrassen besteht die Pyramide, obenauf der Tempel: Die Maya stellten sich das Universum als gigantischen Ceiba-Baum vor. Dessen Zweige trugen den Himmel, am Stamm verlief das Leben der Menschen auf der Erde und die Wurzeln steckten in der aus neun (!) Etagen bestehenden Unterwelt. – 91 Treppenstufen muss man zur Tempelplattform hinaufsteigen: 91 mal 4 Pyramidenseiten plus Stufe zum Tempeleingang macht 365, die Anzahl der Tage im Maya-Jahr. Vier Treppen unterteilen jede Pyramidenseite in zwei Hälften, so dass es eigentlich jeweils 18 Absätze gibt, die Anzahl der Monate im Maya-Jahr. 52 Platten an den Pyramidenseiten entsprechen dem 52-Jahres-Zyklus des Maya-Kalenders. – Zur Tag- und Nachtgleiche (21. März und 21. September) scheint sich durch Schattenspiele an den Treppenflanken ein Schlangenleib herabzuwinden: Kukulcán ist in der Vorstellung der Maya eine gefiederte Schlange... etc.pp.

Symbol des Himmels war der Quetzal-Vogel, das der Erde die Schlange, das der Unterwelt der Jaguar (die Sonne bei Nacht, seine Fellflecken die Sterne) – zwar keine christliche, aber dennoch auch eine Dreieinigkeit. Und wieso kamen die Maya auf den Lebensbaum Ceiba und die Germanen z.B. auf den Weltenbaum Yggdrasil? Interessant auch, dass die Maya den vier Himmelsrichtungen Farben zuordneten: Rot der Osten, Schwarz der Westen, Süden Gelb und Norden Weiß. Und die Mitte (die Pyramidenplattform sozusagen) ist Grün (siehe Ceiba, siehe Erde!)... Octavio Paz, der mexikanische Literaturnobelpreisträger, äußerte sich in Das Labyrinth der Einsamkeit zu den Pyramiden der Maya und Azteken sehr nachdenkenswert so: „... ein Pilger auf der Suche nach der fünften Himmelsrichtung, die, nach alter aztekischer Vorstellung, zum Mittelpunkt der Welt – nach Mexiko – führte. (...) Mexiko eine abgeschnittene Pyramide zwischen zwei Meeren, deren vier Seiten die vier Himmelsrichtungen, deren Stufen die Klimate aller Erdzonen, deren ’Hoch-Altar’ das Haus der Sonne und der Gestirne bedeuten. Es ist wohl bekannt, dass für die Alten die Welt ein Berg und in Sumer wie in Ägypten und Mesoamerika ihr geometrisch-symbolisches Abbild die Pyramide war. Mexikos Pyramidengeographie lässt eine geheime Beziehung zwischen natürlichem Raum und symbolischer Geometrie und zwischen dieser und unserer ’Intrahistoria’ ahnen. Als Archetypus der Welt und Metapher des Kosmos kulminiert die mesoamerikanische Pyramide im magnetischen Punkt des ’Plattform-Heiligtums’. Hier ruht die Achse der Welt, hier ist der Punkt, in dem die vier Himmelsrichtungen sich schneiden, der Anfang und Ende aller Bewegung bedeutet, Stillstand, in dem der kosmische Tanz beginnt, endet und wieder beginnt. Als versteinerte Zeit stellen die vier Pyramidenseiten die vier Sonnen oder Zeitalter der Welt dar, und ihre Treppen bedeuten die Tage, Monate, Jahre, Jahrhunderte. Auf der Plattform ging die fünfte Sonne, die Ära der Nahua und Azteken, auf. Die Pyramide ist ein Gebäude aus Zeit, die war, ist und sein wird, sie ist ebenso ein Gebäude aus Raum, dessen ’Plattform-Heiligtum’ der Ort göttlicher Epiphanie und Opferstätte zugleich ist, der konzentrische Punkt der Welt der Götter und Menschen, das Zentrum jeder Bewegung, Anfang und Ende aller Zeiten, ewige Gegenwart der Götter. Die Pyramide ist Abbild der Welt, also Abbild der menschlichen Gesellschaft. Wenn es wahr ist, dass der Mensch sich Götter nach seinem Bilde formt, ist es ebenso wahr, dass er sich in den Bildern wiederfindet, die ihm Himmel und Erde bieten. So macht der Mensch aus der un-menschlichen Landschaft menschliche Geschichte. Die Natur verwandelt die Geschichte in Kosmogonie und Sternentanz.“

Manches scheint eindeutig, anderes öffnet mal wieder Raum für phantasievolle Auslegungen. Als Lucille ergo wieder ins Reich der Esoterik abdriftet geht mir durch den Kopf: Wenn nicht die Maya-, sondern unsere Welt untergegangen wäre, wie würden Maya heute vor den Ruinen des Kölner Doms stehen – würden sie nach den astronomischen Löchern suchen, um aus den Durchscheintagen nach Bedeutungen zu suchen? Würden sie enttäuscht sein, nichts dergleichen zu finden, ahnen, verstehen können, dass dieses imposante Bauwerk nichts als der Machterhaltung des Klerus durch die steingewordene Vorführung der Allmacht Gottes diente, der Rechtferti­gung von Prunk und Zementierung von Hierarchien?

Oder anders: Wie mag wohl auf einfache Mayas gewirkt haben, wenn an bestimmten Tagen, ja Stunden, die ihre Priester und Herrscher genau voraussagen konnten, plötzlich Sonnen- oder  Mondstrahlen durch Aussparungen in Tempeln erstrahlten, wenn Schlangenreliefs wie von Geisterhand aufstrahlten? Beweis dafür, dass ihre Oberschicht mit den Göttern im Bunde war und ihnen also tumb zu gehorchen ist? Sicherlich. Man sollte sich hüten, die Dinge zu überinterpretieren, dabei alles stets nur aus heutiger Sicht zu erklären versuchen. Denn was allein behaupten Leute, die nicht in der DDR lebten, nur gut ein Jahrzehnt nach ihrem Untergang, wie angeblich dieses System funktionierte...

Apropos Untergang: Laut Maya-Kalender dauert unser Zeitalter (das fünfte und das der Menschen in ihrer Überlieferung) vom 12.8.3114 v. Chr. bis zum 22.12.2012 n. Chr. Na, wenn das nicht Prophezeiungen ins Kraut schießen lässt! Tatsächlich könnte nach etwa 5000 Jahren mal wieder eine Umpolung des Erdmagnetsystems ins Haus stehen (las ich in irgendeiner Wissenschaftszeitung). Doch wenn da was dran ist, woher wussten das die Maya, konnten danach ihren Kalender ausrichten?

Weiter über gut befahrbare, meist schnurgerade Straßen durch halbhohe, für Yucatán typische Dschungel. Allenthalben viel Windbruch, Überbleibsel der Hurrikans Gilbert und Isidor, die hier schreckliche Verwüstungen anrichteten (wie Lucille erklärt). Ab und an durchfahren wir auch Maya-Dörfer. Mittagessen kurz vor Uxmal. Für uns wurde im Erdofen Schwein und Huhn im Bananenblatt gebacken – köstlich. Dazu eisgekühlten Pulqué und am Ende einen Cucaracha (Kahlua mit Tequila und Soda aufgeschüttelt): Ex! Bueño.

Dann erreichen und besichtigen wir Kabah. Nachmittagsglut, gut also, dass diese stimmungsvolle Anlage nicht allzu weitläufig ist. Der Aufstieg zum Codz Poop Tempel lohnt jedoch allemal: Einst zierten dieses Gemäuer mehr als 200 Abbildungen des Regengottes Chaac mit seiner seltsamen Rüsselnase. Bis auf einen sind aber alle Chaac-Rüssel abgeschlagen. Warum? Da die Leute irgendwann nach langer Dürre in ihrer schlimmen Not meinten, einem Regengott, der keinen Regen mehr schickte, nicht mehr opfern zu müssen? Ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, Scharen von Chaac-Priestern nicht mehr ernähren zu müssen, zumindest deren Wasserrationen selbst zu trinken? Klassischer Ansatz für Revolution samt Bilderstürmerei? Oder erklären sich die abgebrochenen Chaac-Nasen durch ein Fresko an der Rückseite des Codz Poop?: zwei Krieger, Eroberer (Tolteken?), auf jeden Fall Leute, die den auf den Wänden des Ballspielplatzes von Chichén Itzá Abgebildeten sehr ähneln, zwingen einen Maya-Herrscher in die Knie – den hiesigen König, dessen Gott Chaac man demonstrativ die Nasen abbrach um gebrochene Macht zu demonstrieren?

Am frühen Abend in Uxmal, das Hotel in ähnlich günstiger Lage wie in Chichén Itzá und mit fast identischer Ausstattung. Wunderbar, mitten im Dschungel bei Vogelkonzert erst mal eine Rund im Pool schwimmen... Nach Sonnenuntergang Besuch einer Licht-und-Ton-Show in den Ruinen Uxmals. Das Ganze stellt sich dann allerdings so dar, wie im Reiseführer beschrieben: als kitschig. Bunte Scheinwerferstrahlen auf Ruinendetails, dazu pathetischer Text (für Deutsche und sonstige Ausländer per Kopfhörer) und schwülstige Musik bei schier unerträglicher, vom Mauerwerk abgestrahlter Hitze.

Überhaupt die Musik, die hier so aus Hotel-, Restaurant oder sonstigen Lautsprechern schallt: Franz von Suppé scheint hier noch immer das Nonplusultra, nicht etwa Carlos Santana...

Nach dem Frühstück mit sehr exotischen Früchten (Mamées z.B.) Besichtigung der Reste der alten Stadt Uxmal. Sehr eindrucksvoll gleich am Anfang des Rundgangs die einzigartig ovale Pyramide des Zauberers, die der Legende nach in einer Nacht erbaut wurde (Archäologen sagen: Bauzeit ca. 400 Jahre), dann das Nonnenviereck mit den wunderbaren Darstellungen der gefiederten Schlange, der Gouverneurspalast, das Schildkrötenhaus und und und… Puuc-Kultur. Das alles in einer gepflegten parkähnlichen Landschaft mit phantastischen Aus- und Einblicken. Aber schon bald ist man wieder klatschnass. Die Sonne brennt. Und wir müssen weiter nach Celestun am Golf von Mexiko.

Lucille bittet unseren Busfahrer von der Haupt- auf eine Nebenstraße abzubiegen, und so sehen wir verlassene Haziendas, die in der Sisal-Zeit blühten, weite brachliegende Felder und ärmliche Maya-Dörfer. Die Eingeborenen blieben nach dem Niedergang der Sisalproduktion hier, die Herrschaften nahmen das aus dem Land gequetschte Geld und zogen weiter...

Am Wegesrand auch überwucherte Hügel, ohne Zweifel unausgegrabene Maya-Siedlungen. Was mag hier noch alles schlummern, zu entdecken sein. Und wie viele Maya-Siedlungen sind in den Dschungeln bis heute nicht mal lokalisiert!

In dieser Region muss im Übrigen vor 65 Millionen Jahren der riesige Komet niedergegangen sein, der wohl das Aussterben der Saurier beförderte…

Emanuel von Friedrichsthal kam bereits 164 Jahre vor uns nach Chichén Itzá und Uxmal, fotografierte hier vor allem. Seine Daguerrotypien gingen jedoch verloren und er infizierte sich mit einer Tropenkrankheit, an der zu Hause im Alter von 33 Jahren verstarb.

 

 

 

Eva „Evita“ Perón

* 7.5.1919 in Los Toldos als Maria Eva Duarte, † 26.7.1952 in Buenos Aires, argentinische Schauspielerin

 

„Evita war nicht gebildet, aber schlau. Sie hatte eine rasche Auffassungsgabe und eine strategische Intelligenz. Bald war sie eine Mitwisserin von Intrigen, die ihr schaden, und Möglichkeiten, die ihr nützen konnten. Dieses Wissen verlieh ihr Macht“, urteilte die Historikerin Ursula Prutsch.

Im Musical „Evita“ von Andrew Lloyd-Webber wird gesungen:

Weine nicht um mich, Argentinien

Die Wahrheit ist, ich hab dich nie verlassen

Durch meine wilden Tage

Und mein verrücktes Leben

Hab ich immer mein Versprechen gehalten

Jetzt bleib du nicht so distanziert

 

Und was die Zukunft angeht

Was den Ruhm angeht

Ich hab sie niemals hereingelassen

Auch wenn es der Welt erschien

Als wären sie alles, was ich ersehnte

 

Sie sind Illusionen

Sie sind nicht die Lösungen, die sie zu sein versprechen

Die Antwort war die ganze Zeit über hier:

Ich liebe dich und hoffe, du liebst mich

 

Weine nicht um mich, Argentinien…“

 

Evita wurde als zweite Frau des argentinischen Präsidenten Juan Perón zur „First Lady“ Argentiniens und galt durch ihr soziales Engagement als „Presidenta“.

Wikipedia weiß: „Als erste Frau an der politischen Spitze in Lateinamerika nahm sie großen Einfluss auf die Entwicklung der Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Noch immer waren Frauen in Argentinien politisch quasi inexistent und konnten über die politische Situation des Landes nicht mitbestimmen. Neben ihrer Arbeit in und für die Stiftung Eva Duarte de Perón unterstützte sie deshalb die Rechte der Frauen Argentiniens sehr stark. In mehreren Radioansprachen 1947 zum Frauenwahlrecht und zu anderen Themen, die Rolle der Frauen betreffend, wurde sie zu einem wichtigen Sprachrohr der Frauenorganisation der Peronistischen Partei. Mit großem Widerhall wurde ihre Rede in Buenos Aires auf der Plaza de Mayo aufgenommen. […] 1949 gründete sie die peronistische Frauenpartei mit, in der sich Frauen in Verbindung mit der Eva-Perón-Stiftung und unter ihrer Leitung politisch und sozial beteiligen konnten. Bei der Präsidentschaftswahl 1951 durften zum ersten Mal in der Geschichte Argentiniens Frauen ihr Wahlrecht ausüben.“

Evita starb im Alter von 33 Jahren an Gebärmutterhalskrebs.

 

 

 

František Gellner

* 19.6.1881 in Mladá Boleslav , † verschollen am 13.9.1914, tschechischer Autor, Maler und Karikaturist

 

František Gellner studierte Malerei in München, Dresden und Paris, führte anarchistische Gruppierungen und begann während des Studiums zu schreiben. Er verfasste Gedichte, Erzählungen, Dramen und Romane, so 1901 „Nach uns kann die Sintflut kommen“, 1903 „Die Freuden des Lebens“, später „Don Juan“ und „Das Lied eines jungen Wüstlings“. Zudem schreib er für diverse Zeitungen, so für „Moderní revue“ und „Nový kult“.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde František Gellner einberufen und galt schon wenige Woche darauf als verschollen.

 

 

 

 

Hans Otto

* 10.8.1900 in Dresden, † 24.11.1933 in Berlin, deutscher Schauspieler

 

Hans Ottos Schauspieler-Karriere begann im Jahr 1924. Alsbald galt er als Idealbesetzung für jugendliche Liebhaber und Helden. 1930 wirkte er auch in einem UFA-Film mit und wurde Vorsitzender der Berliner Sektion des Arbeiter-Theater-Bundes sowie Vertrauensmann der Gewerkschaft der Deutschen Bühnenangehörigen.

Am 21. Januar 1933 stand Hans Otto im Preußischen Staatstheater bei der Premiere des „Faust II“ gemeinsam mit Werner Krauß und Gustaf Gründgens auf der Bühne. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde ihm umgehend gekündigt. Er versuchte nun, sich illegal politisch zu betätigen. Am 14. November 1933 wurde das KPD-Mitglied Hans Otto verhaftet und bei Verhören schwer misshandelt.

Schließlich stürzte man ihn aus einem Fenster im dritten Stock der NSDAP-Gauleitung Berlin und täuschte einen Suizid vor. Am 24. November 1933 starb Hans Otto im Berliner Polizeikrankenhaus infolge seiner schweren Verletzungen. Joseph Goebbels verbot die Bekanntgabe seines Todes und die Teilnahme am Begräbnis, das Gustaf Gründgens bezahlt hatte.

1936 spielte Klaus Mann in seinem Roman „Mephisto“ in der Figur des Otto Ulrich auf Hans Otto an. Seit 1952 trägt das Potsdamer Schauspielhaus seinen Namen. Ab 1967 ehrte ihn so auch die 1992 aufgelöste Leipziger Theaterhochschule. Mittlerweile heißt das Schauspielinstitut der Hochschule für Musik und Theater Leipzig „Hans Otto“.

 

 

 

Edgar Sein

* 5.3.1908 in Kärdla, † 7.6.1941, estnischer Autor

 

Als Estland nach dem Ersten Weltkrieg für eine Weile mal Republik war, stand er bei einem Putschversuch von Kommunisten mal Schmiere, blauäugig wohl, und kam in den Knast. Nachdem die Kommunisten dann im Zweiten Weltkrieg sein Land okkupiert hatten, musste er wiederum vor den Kadi, niemand weiß so recht warum, nun allerdings kam er zu Tode. Dazwischen hatte Edgar Sein begonnen zu schreiben, für Zeitungen vor allem, doch auch einen Roman.

Der hieß „Die betrunkenen Abgötter (Der Rasende und die Kokotte)“ und erschien 1934 unter dem Pseudonym Edgar Hiiesaar. Das war sicher klug, denn dieser Roman wurde „wegen seines schädlichen Einflusses auf die Jugend und der Gefahr für die staatliche Ordnung“ sofort nach Erscheinen beschlagnahmt, die meisten Exemplare sogleich in der Druckerei, wenige in Buchläden.

Protagonist ist ein Journalist, der sich in eine schöne Frau verliebt, die ihrerseits jedoch Mätresse eines reichen Geschäftsmannes ist und offenherzig Frauen liebt.

Nun wurde bekannt, dass neben dem Manuskript dieses Romans auch Notizen Edgar Seins die Wirren der Zeit überdauerten. Demnach plante er unter dem Arbeitstitel „Fiktionen“ Porträts von Menschen zu verfassen, die seiner Meinung nach zu früh verstarben und die, hätten sie länger leben und wirken können, vielleicht zu einer besseren Welt beigetragen hätten, vielleicht. Edgar Sein hatte auch seine Zweifel, wollte beim Schreiben das alltägliche Chaos, all diesen Wahnsinn ringsum, durchaus stets mit durchscheinen lassen.

Den Unterlagen nach, wäre das wohl ein schmales Bändchen geworden, doch möglicherweise wurde Edgar Sein wegen dieses Vorhabens denunziert und zum Tode verurteilt.

 

 

 

John Wilmot

* 1.4.1647 als 2. Earl of Rochester in Ditchley, Oxfordshire, † 16.7.1680 in Woodstock, Oxfordshire

 

Wegen seiner Tapferkeit in Seekriegen wurde John Wilmot am englischen Hofe bekannt und hochgelobt, und dank seiner Eloquenz gehörte er alsbald zum engsten Kreis um König Karl II. Berüchtigt war er für seinen exzessiven Alkoholkonsum und seine derben Ausfälle und Scherze, fiel so auch mehrmals in Ungnade bei Hofe.

„Berüchtigt für ihre scharfe und hellsichtige Gesellschaftskritik und gleichzeitig für ihre äußerst obszöne Sprache waren Rochesters Satiren. Neben Gedichten und traditionellen songs verfasste er Episteln und Satiren in Anlehnung an Horaz (An Allusion to Horace). Auf dem Gebiet der Dichtkunst waren die Hofliteraten in der Tradition der höfisch-klassischen Dichtung verwurzelt; viele Gedichte der Restaurationszeit imitierten den verfeinerten Stil der Renaissancedichter und übernahmen die Form der pastoralen Liebeslyrik oder der Sonettdichtung der elisabethanischen Dichter im Stile Petrarkas“, weiß Wikipedia. „Die Dichter der Restaurationszeit, nicht zuletzt die Court Wits, imitierten aber nicht nur die älteren Stilformen, sondern schufen eigene Variationen der Dichtkunst mit satirisch-parodistischer Reflexion. So wurde die bukolische Tradition lediglich als äußere Form benutzt, um entweder das Hofleben, die Positionen zur Liebe und die Haltung gegenüber der Frau auf skeptische und satirisch-zynische Weise zum Ausdruck zu bringen. Hierbei verstand es insbesondere Rochester, tradierte Gattungen parodistisch umzugestalten. So stößt man bei ihm auf elegante Gedichte obszönen bzw. pornographischen Inhalts, die den Leser mit Schockeffekten überraschen. Rochester verkörpert gleichzeitig die progressivste und aggressivste Dichtkunst seiner Zeit. Seine Verssatiren wandten sich gegen die utopia of gallantry und hinterfragten kritisch den Hofzirkel, Heuchelei und eine degenerierte Auffassung von Liebe.“

Ob John Wilmot auch das pornografischen Theaterstückes „Sodom oder Die Quintessenz der Ausschweifung“ verfasste, ist umstritten. Er starb im Alter von 33 Jahren wahrscheinlich an Syphilis.

 

  

 

 

Franz Reichelt

* 16.10.1878 in Wegstädtl, † 4.2.1912 in Paris, österreichischer Konstrukteur

 

Der österreichische Damenschneider Franz Reichelt ließ sich 1898 im Pariser Opernviertel nieder, erhielt 1909 die französische Staatsbürgerschaft und nannte sich fortan nicht mehr Franz, sondern François.

Im Juni 1910 begann er bar jeder physikalischer Kenntnisse Fallschirmanzüge zu entwerfen, die er zunächst an Ankleidepuppen testete, die er aus dem Fenster warf. Und im Oktober 1910 sprang er dann in seinem „Fledermaus-Anzug“ selbst aus sechs Metern Höhe auf einen Strohhaufen.

Er schneiderte weiter an seiner Erfindung herum, meldete sie zum Patent an und kündigte schließlich der Presse an, dass er vom Eifelturm springen werde.

Und nicht nur Zeitungsreporter versammelten sich dann am 4. Februar 1912 um 7.00 Uhr morgens am Eifelturm, sogar ein Team von „Pathé-Cinéma“ hatte sich anlocken lassen. So wurde Franz François Reichelt weltberühmt, allerdings postum: Sein Sprung aus 57 m Höhe, sein ungebremstes Aufschlagen nach vier sekundigem Fall auf dem frostklirren Boden wurde gefilmt und dann in zahllosen Kinos vorgeführt.

Auf die Idee gekommen, einen Rettungsschirm zu konstruieren war Reichelt gekommen, da ihn im Zuge des sich rasant entwickelnden Flugwesens auch die meist tödlich verlaufenden Abstürze beunruhigten.

Keine Frage, das Vorhaben war löblich, aber…

 

 

 

Ferdinand Baptista von Schill

* 6.1.1776 in Wilmsdorf, † 31.5.1809 in Stralsund, preußischer Freikorpsführer

 

Im Alter von 14 Jahren trat Ferdinand von Schill als Fähnrich ins preußische Dragonerregiment „Die Hohenfriedberger“ ein, mit siebzehn reüssierte er in Pasewalk zum Sekondeleutant. In der Schlacht von Jena und Auerstädt schwer verwundet, begann der genesene Schill von der Festung Kolberg aus eine Art Partisanenkrieg gegen die Franzosen in Pommern, wurde nach erfolgreichen Aktionen zum Premierleutnant befördert und mit dem Orden Pour le Mérite ausgezeichnet. Und dann gestattete ihm der preußische König im Jahr 1807 sogar, das „Freikorps Schill“ aufzustellen. Rasch wuchs es auf über 960 Infanteristen und Jäger, 450 Reiter und 50 Artilleristen mit 11 leichten Geschützen an.

Obwohl sich neben militärischen Erfolgen auch Misserfolge einstellten, avancierte Ferdinand von Schill zum Major und wurde immer wagemutiger. Am 5. Mai 1809 stürzte er sich bei Dodendorf in ein Gefecht mit Truppen der Magdeburger Garnison, die für beide Seiten zwar verlustreich verlief, jedoch, da die Schillschen Jäger den zahlenmäßig überlegenen Franzosen nicht unterlagen, als Fanal für die Befreiungskriege galt. Jérome Bonaparte, der Bruder Napoleons und König von Westphalen, setzte umgehend einen Preis von 10.000 Francs auf Schills Kopf aus.

Am 25. Mai eroberte Schill Stralsund von den Franzosen zurück und verfasste ein „Publicandum“: „Durch die mit den Waffen in der Hand erfolgte Besitznahme hiesiger Stadt und Festung, trete ich, vermöge des Waffenglücks, in die Rechte des Eroberers. Meine Absicht ist, bei meinen Unternehmungen ein widerrechtlich unterjochtes und der Krone gewaltsam entrissenes Land zurückzugeben, da ihr folgendes gebührt. So lange aber, bis dieses Land von mir in die Hände des rechtmäßigen Besitzers zurückgegeben ist, und so lange der Besitz desselben mit der Ausführung meiner ferneren Pläne vereinigt ist, muß ich mir dessen Besitz sichern. Wenn nun aber zur Verpflegung, Bekleidung und sonstigen Unterhaltung meiner Truppen die Annahme aller und jeder Staatskassen, als Domainen-Revenuen, Zoll- und Accise-Steuer-Gelder und dergleichen mehrere, erfordert wird, so werden von dem Tage der erfolgten Besitznahme an, sämtliche Kassen des Landes für mich verwaltet, und nur mir sind die Rendanten responsable. Die Uebertretung dieses Gebots, so wie der geringste dabei vorkommende Unterschleif wird mit Festungsstrafe geahndet. Eine von mir niedergesetzte Commission wird morgen nachmittag die Kassenbücher nachsehen und die Bestände annehmen. Stralsund, den 30. Mai 1809. Schill, commandierender Officier der hiesigen Provinz.“

Das allerdings konnte nicht mehr umgesetzt werden, am 31. Mai 1809 griffen Franzosen Stralsund wieder an und Ferdinand von Schill wurde tödlich verwundet. Am Tag darauf zelebrierten die Sieger eine Parade, bei dem Schills Kopf öffentlich von seinem Leichnam getrennt und dann als Trophäe an Jérome Bonaparte geschickt wurde.

Als Ferdinand von Schills bekanntester Ausspruch gilt: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“.

 

 

 

Wolfgang Graf Berghe von Trips

* 4.5.1928 als Wolfgang Alexander Albert Eduard Maximilian Reichsgraf Berghe von Trips in Köln, † 10.9.1961 in Monza, deutscher Rennfahrer

 

Hunderte Automobil- und Motorradrennfahrer kamen weltweit auf Rennstrecken ums Leben. Einer der spektakulärsten Unfälle, oft als „schwarze Stunde der Formel 1“ bezeichnet, war zweifellos der von Wolfgang Graf Berghe von Trips’ am 10. September 1961 in Monza. Sein Ferrari kollidierte beim „Großen Preis von Italien“ mit dem Lotus von Jim Clark (der 7 Jahre später auf dem Hockenheimring tödlich verunglücken sollte) und schleuderte in die dicht gedrängt stehenden Zuschauer. 15 Menschen starben mit dem aus einem Boliden geschleuderten Rennfahrer, 60 wurden verletzt.

Nie werde ich die Bilder dieses Horror-Crashs vergessen können, die ich im alten Merseburger Kino, beim „DEFA-Augenzeugen“, dem Vorprogramm zum folgenden Kinderfilm (vielleicht „Das Märchenschloß“?) sah.

 

 

 

Janusz Tadeusz „Kusy“ Kusociński

* 15.1.1907 in Warschau, † 21.6.1940 bei Palmyri, polnischer Leichtathlet

 

Bei den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles wurde Kusy Kusociński in der neuen Weltbestleistung von 30:11,4 min Olympiasieger im 10.000-m- Lauf. Im Jahr 1939 gewann er in dieser Disziplin nochmals die polnische Landesmeisterschaft, dann beendete er seine sportliche Laufbahn.

Nach dem deutschen Überfall auf seine Heimat meldete er sich als Freiwilliger zur polnischen Armee, wurde bei den Kämpfen um Warschau verwundet, arbeitete dann als Kellner und engagierte sich in der Untergrundorganisation „Organizacja Wojskowa Wilki“.

Am 26. März 1940 wurde er von der Gestapo festgenommen und gefoltert. Drei Monate später erschossen Nazis den Olympiasieger Janusz Tadeusz Kusociński im Rahmen der sogenannten AB-Aktion („Außerordentliche Befriedungsaktion“, der insgesamt etwa 7.500 Menschen zum Opfer fielen und die zur Demoralisierung der polnischen Bevölkerung dienen sollte, nahe des masurischen Dorfes Palmyri.

In Katyn wurden von Sowjets zur gleichen Zeit mit tausenden polnischen Offizieren auch etwa 300 polnische Olympiateilnehmer ermordet.

 

 

 

Philipp Otto Runge

* 23.7.1777 in Wolgast, † 2.12.1810 in Hamburg, deutscher Maler und Dichter

 

Manntje, Manntje, Timpe Te,

Buttje, Buttje inne See,

myne Frau de Isebill

will nich so, as ik wol will.

 

Ja, das Märchen vom „Fischer und seiner Frau“ stammt vom romantischen Maler Philipp Otto Runge, zumindest hat er es – wie er selbst berichtete – getreu mündlicher Überlieferungen in seiner heimatlichen, der vorpommerschen Mundart (und wohl mit eigenen Kindheitserinnerungen ausgeschmückt) aufgeschrieben. Runge fand das Märchens „erhaben Patetisch“ und dass es „durch die Kümmerlichkeit u. gleichgültigkeit des Fischers sehr gehoben“ werde. So gelangte „Von den Fischer und siine Frau“ in die Grimmschen „Kinder- und Hausmärchen“.

Goethe schätzte vor allem die Scherenschnitte Runges, hängte einen sogar in seinem Musikzimmer auf und urteilte: „zum rasend werden, toll und zugleich schön“.

In seinen „Hinterlassenen Schriften“ betrat Runge künstlerisches Neuland, indem er Visionen entwickelte, Malerei, Dichtung, Musik und Architektur in einem Gesamtkunstwerk zu vereinen – revolutionär nachgerade.

Philipp Otto Runge starb im Alter von 33 Jahren an Tuberkulose.

 

Manntje, Manntje, Timpe Te,

Buttje, Buttje inne See,

myne Frau de Isebill

will nich so, as ik wol will.

 

 

 

Carolina Beatriz Ângelo

* 16.4.1878 in São Vicente, Guarda, † 3.10.1911 in Lissabon, portugiesische Ärztin und Frauenrechtlerin

 

Carolina Beatriz Ângelo war die erste Frau, die in Portugal – unter Ausnutzung einer Gesetzeslücke – wählte. Am 28. Mai 1911 gab sie bei den ersten Wahlen nach dem Fall der Monarchie ihre Stimme für die Wahl von Vertretern in die verfassungsgebende Nationalversammlung ab. Sie nutzte die Unklarheit des Gesetzes, das das Wahlrecht für gebildete Familienoberhäupter über 21 Jahren einräumte, um ihre Stimme abzugeben. Als Witwe und Mutter einer Tochter war sie Familienoberhaupt. Nach ausführlichen Berichten und Diskussionen wurde daraufhin zwei Jahre gesetzlich festgelegt, dass das Wahlrecht nur männlichen, gebildeten und über 21-jährigen Bürgern vorbehalten ist.

Carolina Beatriz Ângelo, die sich seit ihrem 28. Labensjahr in Frauenbewegungen engagiert hatte, erlebte diesen Rückschlag jedoch nicht mehr, sie starb im Alter von 33 Jahren an einem Herzschlag.

Erst nach der Nelkenrevolution des Jahres 1974 erhielten Frauen in Portugal das volle Wahlrecht.

 

 

 

Andrés Bonifacio

* 30.11.1863 Andrés Bonifacio y de Castro in Tondo, Manila, † 10.5.1897in Maragondon, Cavite, philippinischer Revolutionär

 

Im Alter von 29 Jahren gründete der kaufmännische Angestellte Andrés Bonifacio den Geheimbund Katipunan, der vier Jahre später die Philippinische Revolution gegen die Spanische Kolonialherrschaft initiierte. Sein „nom de guerre“ war „Maypagasa – Da ist Hoffnung“. Alsbald wurde er auch „Vater der Revolution“ genannt, nicht zuletzt, da er vor Revolutionsbeginn eine Regierung gebildet hatte, der er als Präsident vorstand.

Nach Streitigkeiten mit einer konkurrierenden Gruppe musste er fliehen, wurde bei Indang gestellt, verletzt, dann zum Tode verurteilt und schließlich im Alter von 34 Jahren hingerichtet. Mittlerweile ist sein Geburtstag auf den Philippinen öffentlicher Feiertag, der „Araw ni Bonifacio“.

Andrés Bonifacio schrieb auch Gedichte, so „Liebe zum Vaterland“:

 

Welche Liebe ist größer als diese?

In Reinheit und Größe

Wie die Liebe zu Vaterland?

Wer leibt mehr? Nichts mehr. Nichts.

[…]

Mit der Angst, vom Volk getrennt zu werden!

Denken Sie daran, dass Sie immer von Depressionen umgeben sind.

Keine Erinnerungen und Hoffnungen.

Was aber zu sehen ist, ist der Boden,

                                                               der wächst.

[…]

Komm schon, du lebst

In der Hoffnung auf großen Trost

Und gewinnst nichts als Bitterkeit,

Deshalb liebe ich die wartenden Leute.

[…]

 

Biete all die Liebe an

Und warte, bis Blut fließt,

Wenn in der Verteidigung das Leben

                                                               kaputt geht.

 

Das ist Schicksal und wahrer Himmel“

 

  

 

 

Tuca

* 17.10.1944 als Valeniza Zagni da Silva in São Paulo, † 8.5.1978 ebd., brasilianische Sängerin

 

„Atire a primera pedra“, sang Tuca – „wirf den ersten Stein“:

Feigling,

Ich weiß, dass du mich anrufen kannst.

Warum halte ich es nicht in meiner Brust

Dieser Schmerz.

Wirf den ersten Stein,

Ai ai ai Derjenige,

der nicht für die Liebe gelitten hat…

1968, als die brasilianischen Militärdiktatoren zunehmend intolerant agierten, wich Tuca, die sich offen als Lesbe bekannte, nach Europa aus. Und alsbald wurde sie auch hier bekannt, trat im Quartier Latin auf und komponierte und arrangierte für Françoise Hardy das Album „La question“.

Dann zog es sie aber zurück nach Brasilien.

Ich weiß,

dass sie

meinen Kurs zensieren werden.

Ich weiß, Frau,

dass du es selbst sagen wirst. Dass ich zurückgekommen bin,

um mich selbst zu demütigen.

Ja,

aber es spielt keine Rolle.

Du kannst sogar lächeln.

Zu Hause arbeitete sie wohl an einem Musical, schrieb auch einen Song für eine Tele-Novela. Als sie aber eine neuartige Diät ausprobierte, starb sie an einem Herzanfall.

Vergebung wurde für uns gemacht, um zu bitten.

Vergebung wurde für uns gemacht, um zu bitten,

Pardon.

 

 

 

Claude Papi

* 16.4.1949 in Porto-Vecchio, Korsika, † 28.1.1983, französischer Fußballspieler

 

Als größter Fußballspieler Korsikas gilt Claude Papi, der bei einem Tennismatch im Alter von 33 Jahren an einem Aneurysma starb.

Jeanny und ich besuchten im Jahr 2019 seine Heimatinsel, von der ja auch Napoleon stammte:

Ajaccio. Prosper Mérimée beschreibt in „Colomba“ die Ankunft im 19. Jahrhundert hier so: „Nach drei Tagen Seefahrt befand man sich vor den Sanguinares-Inseln, und das prächtige Panorama des Golfes von Ajaccio entfaltete sich vor den Augen unserer Reisenden. Mit Recht vergleicht man ihn mit dem Golf von Neapel, und als der Schoner in den Hafen einlief, erinnerte ein brennender Buschwald, der die Punta di Girato mit Rauchschwaden bedeckte, an den Vesuv und trug zu der Ähnlichkeit bei. Damit sie vollständig würde, müsste sich eine Heerschar Attilas auf die Gegend wie auf die Umgebung von Neapel stürzen, denn alles rings um Ajaccio ist rot und öde. An Stelle der schmucken Bauten, die man von Castellamare bis zum Kap Miseno nach allen Richtungen erblickt, sieht man nur düstern Buschwald den Golf von Ajaccio säumen und dahinter die kahlen Berge. Kein Landhaus, keine bewohnte Stätte… Alles in dieser Landschaft ist von einer ernsten und traurigen Schönheit.“

Und Miss Lydia, eine der Hauptfiguren Mérimées, besucht in der Hauptstadt Korsikas natürlich als erstes das Geburtshaus Napoleons. Wir folgen ihr. So überbordend kitschig der Souvenirladen im Nebenhaus daherkommt, wirkt das Geburtshaus Napoleons wohltuend seriös, gut hergerichtete und interessant möblierte Räume, liebevoll die Audioguide-Erklärungen (zumeist vorgetragen als Text seiner Amme).

Dann zischen wir ein Kastanienbier „Pietra Ambrée“ und erkunden das Hinterland der Hauptstadt, fahren hinauf ins Inselgebirge. Enge bis engste Serpentinen, steile, ungesicherte Abhänge, freilaufende Rinder auf Straßen und allenthalben Erdbeerbäume, die zugleich weiß blühen und gelbe (unreife) und reife, rote, beerenartige Früchte tragen, mehlig süßliches Fruchtfleisch, zahllose kleine, harte Kerne.

Aufschlussreich korsische Märchen: Erika Wesemann sagt in ihrem Vorwort zu der schönen Ausgabe „Die Steinsuppe“: „Von Anfang an fällt ein für das herkömmliche Märchen ungewöhnlicher Realismus auf. Das so übliche happy end entfällt oft: Der Goldesel wird von Banditen geraubt, das Zauberhemd der Fee gestohlen oder das mühsam erlangte ewige Leben verspielt… Das Glück, zu dessen Erlangen die Märchenhelden ausziehen, ist nicht mit Wunderdingen, sprich materiellen Reichtümern zu erobern, sondern liegt in der Bejahung und Annahme des Lebensglückes in der Gemeinschaft. Deutlich sind soziale Bezüge herausgearbeitet, so wird z.B. der „Knüppel aus dem Sack“ zur Waffe gegen politische und soziale Missstände eingesetzt, ja, er wird sogar zur Wehr gegen die Fremdherrschaft…“

Ähnlich wie die (nunmehr zu Italien gehörenden) Nachbarinsel Sardinien hatte Korsika seit Menschengedenken unter (den oft gleichen) Eroberern zu leiden. Wesemann sagt weiter: „Kaum eine der führenden Mächte in der wechselvollen Geschichte des Mittelmeerraumes ging an Korsika vorbei. Zu einer völligen Unterwerfung der Insel kam es aber nie. Auch den Genuesen gelang das nicht. Sie, die über 500 Jahre hier herrschten, erlagen resignierend dem hartnäckigen Widerstand der Korsen und verkauften schließlich die Insel 1769 an die französische Krone. Doch auch mit dieser europäischen Großmacht nahmen es die Korsen auf. Unter der Führung ihres Generals Pasquale Paoli, der schon den Kampf gegen die Genuesen geleitet hatte, traten sie gegen die französischen Truppen an, verloren aber in der Schlacht von Pontonuevo. Seitdem gehört die Insel mit Unterbrechungen durch die britische Herrschaft 1794 und die der Italiener 1940 zu Frankreich, erst als Provinz, dann als Departement.“

Interessanter, sehr interessanter Aspekt, zur Betrachtung des Charakters, der Rolle und der Bedeutung des größten Sohnes der Insel, Napoleon Bonaparte, will mir scheinen.

Wir fahren durch die Purelli-Schlucht bis ins Bergdorf Tollo. Wunderbare Aussicht über den gleichnamigen Stausee bis zur Bucht von Ajaccio hinunter. Kleine Brotzeit: scharfe korsische Salami, leckerer korsischer Wildschweinschinken, würziger korsischer Ziegenkäse und natürlich süffiger korsischer Rotwein. Und wohin man blickt, grünt es auf der Insel, von Gesträuch bis zu den Bäumen: Macchia en masse, kaum Menschen.

„Ajaccio lag am Ende der Welt“, sagt der derzeit wohl bedeutendste Autor Korsikas Jérôme Ferrari in „Predigt auf den Untergang Roms“ (Prix Goncourt 2012!). Dabei bezeichnet sich die beschauliche Hauptstadt Korsikas doch selbst als Cité Impériale. Nun ja.

 

 

 

Wenzel II.

* 27.9.1271 in Prag, † 21.6.1305 ebd., König von Böhmen und Polen

 

Nachdem sein Vater Přemysl Ottokar II. gestorben war, wurde Wenzel II. im Alter von sieben Jahren König von Böhmen. Erst zehn Jahre später konnte er sich jedoch aller Vormundschaften entwinden und die Regierungsgeschäfte übernehmen.

Wenzel II. konnte zwar weder Lesen noch Schreiben, doch sprach fließend Deutsch und Latein, besaß Kenntnisse der Theologie, des Rechts und der Medizin und verfasste Verse. Unter seiner Regentschaft entwickelte sich der Prager Hof als kulturelles Zentrum, insbesondere für die zeitgenössische deutsche Literatur, weiter. Ulrich von Etzenbach widmete Wenzel II. einen Alexanderroman in 30.000 Versen, und vom König selbst sind im „Codex Manesse“ drei Minnelieder erhalten.

Der Nachwelt galt Wenzel II. als schwacher Herrscher, da er im Gegensatz zu seinem Vater kein Eroberer, sondern vor allem diplomatisch agierte. Selbst Dante Alighieri spottete allerdings: „Hieß Ott’kar, der, mit Windeln noch umkleidet, / Besser als Wenzeslaus, sein Sohn, erschien, / Der Bärt’ge, der an Üppigkeit sich weidet…“

Ja, am Prager Hof sollen nach dem Tod Wenzels erster Frau im Jahr 1297 bis zur Eheschließung mit seiner zweiten Frau im Jahr 1303 „lockere Sitten“ geherrscht haben. In diesem Jahr brannte auch seine Residenz auf der Prager Burg aus, so dass Wenzel II., nachdem er Tuberkulose erkrankt war, im Haus des Goldschmieds Konrad in der Prager Altstadt gepflegt werden musste. Ein halbes Jahr lag der König im Sterben, und es wird berichtet, dass er in dieser Zeit seine Angelegenheiten ordnete: Er bezahlte seine Schulden, versorgte seine Witwe und gab einen Teil seines Vermögens der Kirche und den Armen. Dann tat er Buße. Zur angeblich angestrebten Heiligsprechung kam es jedoch nie.

Wenzel II. war der vorletzte Herrscher der Přemysliden, die Böhmen gut 400 Jahre lang regiert hatten. Sein Sohn Wenzel III. wurde 14 Monate nach dem Tod seines Vaters ermordet.

Georg Friedrich Händel widmete Přemysli Wenzel II. das Dramma per musica „Venceslao“.

 

 

 

Eva Marie Cassidy

* 2.2.1963 in Washington D. C., † 2.11.1996 in Bowie, Maryland, amerikanische Sängerin und Gitarristin

 

„Sie hat mich total umgehauen. Alle Farben des Regenbogens, die ganze Palette des Lebens an Schönheit und Traurigkeit und süßer Leidenschaft und Ewigkeit. – Es war alles da in dieser Stimme, die aus dem Herzen und aus diesen Händen kam“, erinnerte sich die Folksängerin Grace Griffith an Eva Cassidy.

Im Alter von 11 Jahren begann Eva Cassidy mit Gruppen zu musizieren, und Ende der 1980er Jahre gründete sie ihre eigene Band. 1993, 1994 und 1995 wurde sie von der Washington Area Music Association in verschiedenen Sparten als „Beste Sängerin“ ausgezeichnet. Sie weigerte sich jedoch commercial crap zu singen, kommerziellen Scheiß, und fand keinen Produzenten. So spielte sie 1996 im Washingtoner Jazz Club „Blues Alley“ auf eigene Kosten ein Live-Album ein. Hochgelobt interessierte sich schließlich doch eine Plattenfirma für diese Aufnahme, und so erschien dieses Live-Album dann 1998 unter dem Titel „Songbird“, und wurde ein Welterfolg.

Da war Eva Cassidy jedoch schon zwei Jahre tot. Sie starb im Alter von 33 Jahren infolge einer Hautkrebserkrankung.

 

  

 

 

Cass Elliot

* 19.9.1941 als Ellen Naomi Cohen in Baltimore, † 29.7.1974 in London, amerikanische Sängerin

 

Mit den „Mamas & Papas“ ließ Cass Elliot selbst hinterm Eisernen Vorhang Heranwachsende californisch träumen:

All the leaves are brown

And the sky is gray

I've been for a walk

On a winter's day

I'd be safe and warm

If I was in LA

California dreamin'…

Und beseelt vom Gedanken, irgendwie mit zur weltweiten Love & Peace Gemeinde zu gehören, ein bisschen wenigstens, trällerten wir gern auch ihr „Monday Monday“:

Oh Monday mornin', Monday mornin' couldn't guarantee

That Monday evenin' you would still be here with me

Monday, Monday, can't trust that day

Monday, Monday, sometimes it just turns out that way

Oh Monday mornin' you gave me no warnin' of what was to be

Oh Monday, Monday, how could you leave and not take me…

Die übergewichtige und heroinabhängige Mama Cass starb im Alter von nur 33 Jahren durch Herzinfarkt am 29. Juli 1974 – einem Montag.

 

 

 

Georg Marggraf

* 20.9.1610 in Liebstadt, Kursachsen, † Juli/August 1644 in São Paulo de Lonade, Angola, deutscher Naturforscher

 

Im Alter von 28 Jahren nahm Georg Marggraf an einer mehrjährigen Brasilien-Expedition des Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen teil.

Hierbei verfasste er die erste wissenschaftliche Beschreibung einer Sonnenfinsternis in der Neuen Welt und konzipierte den zoologisch-botanischen Garten in Recife mit. Viele seiner umfänglichen Aufzeichnungen gingen verloren, sein Herbarium beispielsweise lobte aber sogar Carl von Linné: „Er macht gute Schilderungen, eine hervorragende Sammlung.“ Der französische Botaniker Charles Plimier benannte ihm zu Ehren die Gattung Marcgravia der Pflanzenfamilie der Marcgraviaceae.

Während einer Afrika-Expedition infizierte sich Georg Marggraf mit Tropenfieber und starb im Alter von nur 33 Jahren in Angola.

 

 

 

Alexandrine Tinné

* 17.10.1835 als Alexandrine Pieternella Françoise Tinné in Den Haag, † 1.8.1869 in der lybischen Sahara, niederländische Fotografin und Entdeckerin

 

Alexandrine Tinné war eine der reichsten Erbinnen der Niederlande und träumte schon als Kind davon, die Nilquellen zu entdecken. In den ersten Jahren der Glasplattenfotografie erwarb sie sich den Ruf einer hervorragenden Fotografin.

Im Alter von 27 Jahren brach sie von Kairo aus erstmals gen Süden auf und stieß bis in den Kongo vor. Berichtet wurde, dass sie bei dieser Reise mehrmals Sklaven freikaufte, denen sie dann anbot sich ihrer Expedition anzuschließen. Im Jahr darauf versuchte Alexandrine Tinné den Gazellenfluss im Süden Sudans zu erreichen, brach diese Tour jedoch nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter, die sie begleitet hatte, ab.

Erst sechs Jahre später stellte sie nochmals eine Expedition zusammen, wollte von Tripolis aus als erste Europäerin die Sahara durchqueren. Dabei fiel sie aber einer Stammes-Intrige zum Opfer, wurde als angebliche christliche Spionin von Tuareg ermordet.

 

 

 

SamuelSam” Cooke

* 22.1.1931 in Clarksdale, Mississippi, † 11.12.1964 in Los Angeles, amerikanischer Sänger

 

Sam Cooke gilt als einer der Väter der Soul-Music und war wohl nicht von ungefähr mit Malcolm X befreundet.

Legendär seine Bürgerrechtshymne „A Change is gonna come“: „Aber ich weiß, dass eine Veränderung kommen wird / Oh ja das wird es / Es war zu schwer zu leben / Aber ich habe Angst zu sterben / […] Aber ich weiß, es wird eine Veränderung kommen / Oh ja wird es / Dann gehe ich zu meinem Bruder / Und ich sage, Bruder, hilf mir bitte / Aber er windet sich und schlägt mich / Zurück auf meine Knie / Oh, es gab Zeiten, in denen ich dachte / Ich könnte nicht lange durchhalten / Aber jetzt denke ich, dass ich in der Lage bin, weiterzumachen…“

Eine Hotelmanagerin erschoss den dreiunddreißigjährigen Sam Cooke in einem Motel in Los Angeles. Die genauen Umstände seines Todes konnten nie geklärt werden.

„A Change ist gonna come“ wurde vom renommierten Musikmagazin “Rolling Stone” auf Platz 12 der „500 besten Songs aller Zeiten“ gewählt  und in die Grammy Hall of Fame sowie die National Recordung Registry der Linrary of Congress aufgenommen

 

 

 

Ernst Elsenhans

* 26.9.1815 in Feuerbach, † 7.8.1849 in Rastatt, badischer Journalist

 

Elsenhans, Ernst buchstabiere ich

den zuoberst auf dem Gedenkstein

der Rastatter Revolutionsopfer eingemeißelten

Namen: Elsenhans, Ernst (Redakteur).

Und Micha (heute Heimatforscher hier)

bestätigt mir, dass die Sieger, die damaligen,

die Preußen also, selbstredend

vor allen anderen Aufständischen

den mit der Konterbande im Kopfe

exekutierten. Kürzester Prozeß.

Klar, Knarren wirken nie

so bedrohlich wie Köpfe.

 

 

 

Claudian

* um 370 wohl in Alexandria, Ägypten, † wohl nach 404 in Rom, römischer Dichter

 

Claudian gilt als einer der bedeutendsten lateinischen Autoren der Spätantike. Offenbar verstand er es gleichermaßen gut, seinen Gönnern zu schmeicheln wie deren Feinde zu schmähen. Immerhin wurde in der Regentschaft Kaisers Honorius und dessen mächtigen Heermeisters Stilicho eine Claudian-Statue auf dem römischen Trajans-Forum aufgestellt.

Zweifellos sind Claudians Texte jedoch von Bedeutung für die Weiterentwicklung des tradierten Helden-Epos sowie zeitgeschichtliche Dokumente ersten Ranges, da sie für die Geschichte des Imperium Romanum, direkt nach dessen Teilung ins West- und Oströmische Reich, die oft einzige zeitgenössische Quelle sind.

Von seiner Statue blieb zumindest die Sockelinschrift erhalten.

 

 

 

Juri Alexejewitsch Gagarin

* 9.3.1934 in Kluschino, † 27.3.1968 bei Nowosjolowo, sowjetischer Kosmonaut

 

Als Juri Gagarin als erster Mensch um die Erde flog, ging ich in die erste Klasse. Stolz band ich mein blaues Pionierhalstuch um, wann immer das in der Schule zu tragen war, mittwochs, glaube ich, und ich versuchte, die zehn Gebote der Jungpioniere einzuhalten: Du darfst nicht lügen, beispielsweise. Das allerdings war nicht so einfach, da mein Vater mich auch in den Kommunionsunterricht schickte, wo ich die zehn Gebote Gottes zu lernen hatte. Da hieß eines zwar auch so, wie das für die Jungpioniere, aber genau das war das Problem. In der Pionierstunde durfte ich nicht sagen, dass ich auch in den Kommunionsunterricht gehe und im Kommunionsunterricht nicht, dass ich auch stolz mein blaues Pionierhalstuch trug. Und absolut niemanden erzählte durfte ich, dass ich belauscht hatte, wie mein Vater meiner Mutter erzählte, dass sein ehemaliger Abteilungsleiter, der in den Westen abgehauen war, ihm einen Job im Westen, in Pirmasens wohl, angeboten hatte. Mein Gott.

Eine genaue Erinnerung an den denkwürdigen 12. April 1961 habe ich nicht. Vielleicht mussten wir Schüler auf dem Meuschauer Dorfplatz zum Appell antreten, vielleicht lästerte Pfarrer Gerwinn mal wieder über die ungläubigen Soffjet-Russen. Vielleicht hatte ich Omas Handwagen mit dem schweren Wäschekorb zur Rolle auf den Neumarkt gezogen und hatte ihr beim Heißmangeln geholfen, vielleicht hatte mich mein Vater zu Sommer, Karl geschleppt damit mir die Haare geschnitten werden: Fasson!

Keine Ahnung auch, ob ich dann sieben Jahre später überhaupt mitbekam, dass Juri Gagarin bei einem Düsenjäger-Absturz unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen ums Leben kam. Da weigerte ich mich längst, auf Sommer, Karls Frisierstuhl Platz zu nehmen, da wuchsen mir die Haare bereits sacht über die Ohren, da spielte ich schon in einer Beat-Gruppe, hatte sogar im Strandkorb, unweit der Heißmangel auf der Bühne gestanden, da trug ich kein Pionierhalstuch mehr, sondern ein FDJ-Hemd, wenn sich’s nicht umgehen ließ, und hatte trotzdem die Heilige Kommunion empfangen. Und zunehmend und weit mehr als Gott und die Welt faszinierten mich natürlich nun nicht mehr nur die sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale.

 

 

 

Martin Schongauer

* wohl 1448 in Colmar, geannt: Hipsch Martin, † 2.2.1491 in Breisach, deutscher Maler und Kupferstecher

 

Martin Schongauer gilt als einer der bedeutendsten Grafiker vor Albrecht Dürer. Als erster Kupferstecher signierter er seine Werke, von den 116 erhalten sind. Nur wenige seiner Gemälde überdauerten jedoch die Zeitläufte. Als sein malerisches Hauptwerk wird die „Madonna im Rosenhag“ angesehen.

Der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin urteilte: „Wenn aber von Bildklarheit gesprochen werden soll, so ist meiner Meinung nach Martin Schongauer der einzige in diesem Zeitalter, der konsequent daran gearbeitet hat. […] Was man an ihm bewunderte, muß zunächst die Mannigfaltigkeit und die Kraft individuellen Lebens gewesen sein: das reiche Geschehen und der reiche Anblick seiner eng zusammengeschobenen Figuren. Blätter wie der Marientod und die große Kreuztragung sind auch da nachgeahmt worden, wo man für seine Idealität wenig Verständnis hatte.“

Und der Kunsthistoriker Alfred Stange schrieb über Martin Schongauer: „Er gab dem Kupferstich einen neuen Sinn, indem er ihn dem Tafelbild ebenbürtig machte; ebenso groß war seine Leistung als Maler. Sein Weg war weit gespannt, und nur allmählich hat er ihn sich erarbeitet. In den Breisacher Wandbildern aber hat er die Freiheit, die Dürer der deutschen Kunst in Erfindung wie Gestaltung geschenkt hat, entscheidend vorbereitet.“

Und über Schongauers „Madonna im Rosenhag“ sagte der Museumsdirektor Max Geisberg: „Der große Ernst der Darstellung, der durch den lieblichen Reichtum der Vegetation gemildert wird, zeigt bei der Mutter wie dem Kinde eine nach rechts und links sich verteilende, dem gedachten, vor dem Bilde in der Kirche knieenden Betern sich zuwendende Aufmerksamkeit. Das Gemälde ist die deutsche Sixtinische Madonna.“

 

 

 

 

Nicholas „Nick“ Piantanida

* 15.8.1932 Union City, New Jersey, † 29.8.1966 in Worthington, Minnesota, amerikanischer Fallschirmspringer

 

Dreimal versuchte Nick Piantanida den von Joseph Kittinger 1960 aufgestellten Höhenweltrekord für einen Fallschirmsprung aus der Stratosphäre zu brechen.

Nach dem ersten Versuch, der bereits auf knapp 5.000 m gescheitert war, mehr als 26.000 m unter dem Rekordwert also, hatte er zwar seine Fans und die Journalistenschar enttäuscht, blieb aber weiter angriffslustig.

Nach dem zweiten Versuch, bei dem er gut 6.000 m höher als der amtierende Weltrekordler gekommen war, entsprach sein Vorgehen letztlich nicht dem Reglement der Internationalen Luftfahrtbehörde und der Rekord wurde nicht anerkannt. Piantanida plante aber sofort einen weiteren Sprung.

Nach diesem dritten Versuch wurde er bewusstlos am Boden gefunden, da sich offenbar in unbekannt großer Höhe sein Helmvisier geöffnet hatte. Man transportierte ihn zwar umgehend in ein nahes Krankenhaus, das allerdings über keine Einrichtung zur Höhen-Dekompression verfügte. Nick Piantanida erwachte nie mehr aus dem Koma und starb vier Monate später ohne jenen Rekord gebrochen zu haben.

 

 

 

Alexander Sergejowitsch Gribojedow

* 15.1.1795 in Moskau, † 11.2.1829 in Teheran, russischer Dramatiker und Diplomat

 

Alexander Gribojedows Komödie „Verstand schafft Leiden“ gilt als meistaufgeführtestes Theaterstück Russlands. Er widmete sich jedoch nicht nur der Literatur, sondern auch der Politik.

Ab 1818 wurde er Sekretär der Russischen Botschaft in Tiflis, arbeitete federführend den russisch-persischen Friedensvertrag von Turkmantschi aus und reiste schließlich als bevollmächtigter Minister nach Teheran, um vor Ort die persischen Reparationszahlungen zu überwachen.

Da sprach eines Tages der armenische Christ Mirza Jakub in der russischen Botschaft vor, der in persische Gefangenschaft geraten und zwangsweise zum Islam konvertiert war, und bat um Hilfe und Schutz bei der Rückkehr in seine Heimat. Und dann suchten auch noch zwei junge armenische Frauen in der Botschaft um Asyl nach. Der Botschafter Gribojedow wurde aufgefordert, die Armenier auszuliefern, und da er sich weigerte, eskalierte die Situation. Ein Mob versammelte sich vor der Botschaft, und nachdem Mullahs das Kommando übernommen hatten, die behaupteten, beide Armenierinnen seien Perserinnen, die man zwingen wollte, zum Christentum überzutreten, wurde die Botschaft gestürmt. Dabei kamen Alexander Sergejowitsch Gribojedow und weitere 44 Menschen ums Leben.

Sein Leichnam wurde auf dem Berg Mtazminda in Tiflis beerdigt, und so das Pantheon für georgische und russische Schriftsteller und Persönlichkeiten begründet.

Sein Stück „Verstand schafft Leiden“ wurde lange Zeit von der russischen Zensurbehörde abgelehnt und erstmals vier Jahre nach seinem Tod gedruckt. Es kursierte jedoch in zahllosen Abschriften im Lande, und einmal hatte Gribojedow sogar eine Aufführung selbst miterleben können: 1827 in der armenischen Hauptstadt Jerewan. In der Ostantarktis heißt seit Jahrzehnten ein zweigipfliger Berg Gora Gribojedowa.

 

 

 

Heinrich von Kleist

* 18.10.1777 in Frankfurt (Oder), † 21.11.1811 (Selbstmord) am Kleinen Wannsee, Berlin, deutscher Dramatiker und Erzähler

 

Bassa Manelka. Davonpreschen. Zur Rast. Endlich. Sein Schnäpschen trinken. Sein Pfeifchen rauchen. Übermüde der Worte. Taub vom Getümmel. Ein zweites Gläschen, ein drittes vielleicht, wohlbemessen. Lachen, übermütig. Nein, wieder toll vor Begierde. Nach sich selbst. Ja, nach tiefer Ruhe. Unmöglich. Also Unwahrheit, Feigheit, Zufriedenheit aus dem Sattel hauen, dergestalt, dass doch ein Aus-Weg wird. Zumindest nie Stillstand, Versprengter. Der wäre tödlich, sofort. Und ohne, dass etwas bliebe. Kein Schauder, kein Besinnen, keine Tat. Der Staubwolke davonpreschen, der eigenen, ho ho, Bassa Teremtetem!

 

 

 

Elias Ravian

* 2.3.1945 in Vunakabai, Watom, † 8.3.1979 auf Karkar, papua-neuguineis Vulkanologe

 

Elias Ravian war einer der ersten Indigenen, der als Assistent am Rabaul Vulcanological Observatory eingestellt wurde und fungierte alsbald als leitender Beobachter. Einige Tage nach seinem 34. Geburtstag kam Elias Ravian bei Dampfexplosionen auf der Insel Karkar ums Leben.

 

  

 

 

Sabine Thalbach

* 4.8.1932 als Sabine Joachim in Berlin, † 30.9.1966 ebd., deutsche Schauspielerin

 

Sabine Thalbach debütierte 1949 als Stumme Katrin in Brechts „Mutter Courage“ am Berliner Ensemble.

Ab 1951 wirkte sie in mehr als 25 DEFA-Filmen mit, so in „Der Untertan“, „Vergesst mir meine Traudel nicht“, „Die Hexen von Salem“, „Karbid und Sauerampfer“, „Jetzt und in der Stunde meines Todes“, ab 1960 auch gern in Hörspielen, von Rolf Schneider oder Heinz Knobloch beispielsweise.

Sabine Thalbach starb im Alter von 34 Jahren an einer Thrombose.

 

 

 

Benoît Camille Desmoulins

* 2.2.1760 in Guise, † 5.4.1794 in Paris, französischer Revolutionär

 

Schon zwei Tage vor dem Sturm auf die Bastille rief Camille Desmoulins die Pariser zur Revolution auf: „Aux armes!“– „Zu den Waffen!“ Als Zeichen, ein Aufständischer zu sein, pflückte er sich ein Blatt von einem Baum und steckte es an seinen Hut. So entstand der Brauch, sich durch Kokarden auszuweisen.

Nach der erfolgreichen Bastille-Erstürmung hielt er beeindruckend Reden und propagierte wieder und wieder, dass die Volkssouveränität die einzige akzeptable Verfassungsform sei: Liberté – Égalité – Fraternité!

Dann fraß die Revolution aber auch dieses Kind: da Desmoulins die radikalen Jakobiner, Robespierre und Saint-Just vor allem, heftig angriff wurde er letztlich gemeinsam mit seinen Freund Danton guillotiniert.

Auf dem Schafott soll er noch ausgerufen haben: „Dies ist also der Lohn für den ersten Apostel der Freiheit! Die Ungeheuer, die mein Blut fordern, werden mich nicht lange überleben!“

 

 

 

Lowell George

* 13.4.1945 in Los Angeles, † 29.6.1979 in Arlington, Virginia, amerikanischer Sänger

 

Als vorletzten Song ihres Konzerts im ersten „Rockplast“ gaben Little Feat Lowell Georges Hymne „Willin“ zum Besten. Keine Frage, dass auch ich diesen Titel alsbald mit meiner damaligen Band landauf landab spielte.

 

Well I've been kicked by the wind, robbed by the sleet

Had my head stoved in, but I'm still on my feet

And I'm still, willin'

(Nun, ich bin vom Wind getreten worden, beraubt vom Eisregen

Hab ein Loch in meinen Kopf geschlagen, aber ich bin immer noch auf den Füßen,

Und ich bin immer noch willig.)

 

Zwei Jahre später starb Lowell George, der legendäre Little-Feat-Sänger, übergewichtig und an Hepatitis leidend, im Alter von 34 Jahren durch einen Herzinfarkt. Und wir sangen und spielten „Willin“ bei unseren Konzerten nun ein ums andere Mal als letzten, als Abschieds-Song.

 

And if you give me ... weed, whites, and wine

And you show me a sign

I'll be willin'

To be movin'

(Und wenn du mir ... Gras, weiße Wäsche und Wein gibst,

Und mir ein Zeichen gibst, ich werde willig sein,

weiterzumachen)

 

 

 

Alfred Jarry

* 8.9.1873 in Laval, † 1.11.1907 in Paris, französischer Schriftsteller

 

Einer der spektakulärsten Pariser Theaterskandale war, als am 10. Dezember 1896 bei der Uraufführung von Alfred Jarrys „König Ubu“ der Vater der Titelfigur das Publikum mit dem initialem Ausruf: „Merdre!“ provozierte: Schoiße… Buh, Buh, lauthals Proteste, Tumulte…

Eine Weltliteratur erklärende Internetseite erklärt:

„Der dicke, ungepflegte Vater Ubu war einst König von Aragon, bis die Spanier ihn stürzten. Jetzt ist er Dragonerhauptmann und militärischer Berater von König Wenzeslas von Polen und eigentlich ganz zufrieden mit seinem Schicksal. Doch Mutter Ubu will mehr: Sie versucht, ihren Mann zum Königsmord anzustacheln, und lockt ihn mit der Aussicht auf Leberwust und Regenkleidung, die er sich dann in unbegrenzten Mengen kaufen könne. Vater Ubu scheint zuerst anzubeißen, gibt sich dann aber doch moralisch. Mutter Ubu ist dennoch überzeugt, ihn am Haken zu haben.

Schoiße! (Vater Ubu, S. 5)

Mit dem Ziel, eine Verschwörung zu organisieren, laden Mutter und Vater Ubu Hauptmann Bordure und seine Gefolgsleute zu einem opulenten Essen ein. Der verfressene Vater Ubu schafft es allerdings nicht, mit dem Essen zu warten, bis der Besuch da ist. Hauptmann Bordure wird dann mühelos als Komplize für den Plan gewonnen, den König zu töten – er offenbart sich als Todfeind von Wenzeslas. Ubu verspricht Bordure, ihn zum Herzog von Litauen zu machen, sobald er selbst König von Polen sei. Als ein Bote das Treffen stört und Vater Ubu zum König bestellt, bekommt Ubu es mit der Angst zu tun. Er befürchtet, aufgeflogen zu sein. Seine rettende Idee ist, einfach alles Mutter Ubu und Bordure in die Schuhe zu schieben.

Und wer hindert dich, die ganze Familie zu massakrieren und dich an ihre Stelle zu setzen? (Mutter Ubu zu Vater Ubu, S.5)

Beim König wartet Vater Ubu gar nicht erst auf Vorwürfe: Er streitet von vornherein pauschal alles ab und gibt seiner Frau und dem Hauptmann die Schuld. Man hält ihn für betrunken, denn König Wenzeslas hat etwas ganz anderes mit ihm vor: Er will Ubu für seine treuen Dienste belohnen und ernennt ihn zum Grafen von Sandomir. Am folgenden Tag soll es eine Parade geben. An Ubus Plänen ändert die Beförderung aber nichts.

An deiner Stelle würde ich ebendiesen Arsch auf einen Thron setzen. Dann könntest du deine Reichtümer sagenhaft vermehren, jede Menge Leberwurst essen und in einer Kutsche durch die Straßen fahren. (Mutter Ubu zu Vater Ubu, S.6)

Bald treffen sich die Verschwörer wieder in Ubus Haus. Man diskutiert, wie der König umgebracht werden soll. Ubu ist dafür, ihn zu vergiften, Bordure will ihn mit dem Schwert erschlagen. Nach kurzem Überlegen, ob er seine Mitverschwörer nicht doch lieber gegen Belohnung anzeigen soll, erteilt Ubu dem Hauptmann die Erlaubnis und den Befehl zum Königsmord. Das Attentat soll anderntags bei der Parade vonstattengehen. Als Startsignal wird verabredet, dass Vater Ubu dem König auf den Fuß treten und ‚Schoiße’ sagen soll. […]

König Ubu hat fünf Akte – das ist allerdings Jarrys einziges Zugeständnis an die traditionelle Dramenkunst. Das Stück ist eine Persiflage so ziemlich aller Theaterkonventionen. Auf allen Ebenen stechen äußerste Übertreibung und anarchische Komik hervor. Die Figuren sind bewusst derb und holzschnittartig gezeichnet und erinnern noch an die Ursprünge des Stücks als Marionettentheater. Das Bühnenbild ist dem Willen des Autors zufolge sehr reduziert und allgemein gehalten, ein Schild soll den genauen Schauplatz der einzelnen Szenen anzeigen. Ganze Armeen werden durch wenige raufende Tölpel dargestellt, und wenn einer stirbt, ruft er: „Ich bin tot!“ All das zielt auf Illusionszerstörung. Auch die Sprechweise der Figuren ist stilisiert. Neben grotesker Direktheit und einem Überfluss an Fäkalwörtern gibt es zahlreiche Wortverbiegungen, so gleich beim ersten Wort des Stücks: ‚Schoiße’ (französisch: ‚merdre’ statt ‚merde’). Auch Worterfindungen prägen das Stück, etwa ‚Finanzhaken’, ‚Schweinezange’ oder ‚Physikstock’.“

Und Wikipedia weiß:

„Das Stück zieht die Machtgier und Tyrannei seiner Figuren ins Lächerliche und Groteske. Diese können unter anderem als Travestien von Shakespeare-Figuren gesehen werden: Ubu als Parodie des König Lear, Mutter Ubu als Lady Macbeth. Neben den Figuren können auch einzelne Motive (zum Beispiel Ubus ‚Schlachtross’) oder auch ganze Szenen (zum Beispiel Racheaufruf durch Geister der Verstorbenen) als parodistisches Aufnehmen einschlägiger literarischer Stoffe gelesen werden. […]: Die vulgäre und groteske Sprache des Stücks hat ihr Vorbild u.a. in den Romanen von Rabelais. […] Eine zentrale Stellung im Stück nehmen die Begriffe ‚Schoiße’, ‚Physik’ und ‚Phynanz’ ein. Sie stehen symbolisch für die herausragenden Charaktereigenschaften Ubus und können mithin als ‚anthropologische Konstanten’ gelesen werden. So repräsentiert die ‚Schoiße’ Ubus entfesselte und enthemmte Leiblichkeit, die stark primitive und vulgäre Züge trägt. Seine idiosynkratische Weltsicht spiegelt sich in der ‚Physik’ wider. Dass es sich hierbei nicht um die klassische Physik handelt, zeigt sich in diversen abstrusen Vorhaben Ubus (zum Beispiel der Konstruktion eines überdimensionalen Windwagens). Vielmehr wird hier bereits die ‚Pataphysik’ vorweggenommen, die in späteren Werken Jarrys noch eine bedeutende Rolle spielen soll. Unter dem Begriff Phynanz’ vereinigen sich sämtliche Aktivitäten die zu Ubus rascher und intensiver Bereicherung dienen sollen. Diese bedingungslose Bereicherung wird letztlich geradezu zu einer Art ‚amoralischem Imperativ’, mit dem Ubu sein Handeln vor Kritikern rechtfertigt.“

Bei aller Skandalträchtigkeit der Werke Alfred Jarrys, erhielt er zu Lebzeiten nie die Aufmerksamkeit, die er sich erhoffte, schon gar nicht die der literarischen Öffentlichkeit. Zunehmend manövrierte er sich in ein Außenseiterdasein am Rande des Existenzminimums, versuchte die Grenze zwischen Fiktion und Realität zu verwischen. So wurde er seiner Hauptfigur König Ubu immer ähnlicher, sprach und gebärdete sich mehr und mehr wie er. Während eines Abendessens schoss er beispielsweise mit Platzpatronen auf einen ihm unliebsamen Gast.

„Merdre!“

Alfred Jarry starb im Alter von 34 Jahren an tuberkulöser Meningitis. Seine letzten Worte sollen die Bitte nach einem Zahnstocher gewesen sein. André Gide lässt in seinem Roman „Die Falschmünzer“ Alfred Jarry bei einer Abendgesellschaft auftreten und mit Platzpatronen wild um sich schießen…

„Vive le Ubu roi!“

 

 

 

Jayne Mansfield

* 19.4.1933 als Vera Jayne Palmer in Bryn Mawr, Pennsylvania, † 29.6.1967 bei Slidell, Louisiana, amerikanische Schauspielerin

 

Bevor Jayne Mansfield in Hollywood Karriere machte und zum Sex-Symbol wurde, war sie mit Auszeichnungen überhäuft wurden wie: „Miss Photoflash 1952“, „Miss Negligee“, „Miss Nylon Sweater“, „Miss Freeway“, „Miss Electric Switch“, „Miss Geiger Counter“, „Gas Station Queen“, „Miss Analgesin“, „Cherry Blossom Queen“, „Miss 100% Pure Maple Syrup“, „Miss 4th of July“, „Miss Fire Prevention“, „Miss Tomato“ oder „Hot Dog Ambassador“ bedacht, und im Februar 1955 war sie im Playboy das „Playmate of the Month“. Im Jahr darauf war sie dann schon auf dem Cover des „Life“-Magazins zu sehen, Text: „Broadways klügste dumme Blondine“.

„Sie verstand, sich als Diva in Szene zu setzen, indem sie Pressekonferenzen in der Badewanne abhielt oder einen Swimmingpool in Herzform in den Garten ihrer Villa Pink Palace einbauen ließ. Von Bette Davis wurde die sogenannte ‚Miss Blitzlicht’ mit dem Spruch bedacht, ‚[…] dramatische Kunst sei, zu wissen, wie man einen Pullover füllt’. John Waters nannte sie einmal den ‚ersten weiblichen Frauenimitator’. 1963 trat sie provozierend nackt im Skandalfilm „Promises! Promises!“ auf. Der Kritiker Michael Feeney Callan schrieb: „Amerika war wie betäubt: Keine führende Schauspielerin, Monroe inklusive, hatte je eine solche Bloßstellung riskiert.“

Jayne Mansfield kam im Alter von 34 Jahren bei einem Autounfall ums Leben.

 

 

 

Katherine Mansfield

* 14.10.1888 als Kathleen Mansfield Beauchamp in Wellington, † 9.1.1923 in Fontainebleau, neuseeländische Schriftstellerin

 

Katherine Mansfield wurde durch ihre Kurzgeschichten weltberühmt, 73 vollendete sie. Eine der bekanntesten dürfte „Die Fliege“ sein:

[…] In diesem Augenblick gewahrte der Chef, daß eine Fliege in sein bauchiges Tintenfaß gefallen war, und nun ebenso kraftlos wie verzweifelt wieder herauszuklettern versuchte. Hilf mir! Hilf mir! Sagten diese zuckenden Beine. […] Der Chef nahm eine Feder, klaubte die Fliege aus der Tinte und ließ sie auf ein Stück Löschpapier fallen. […] Die schreckliche Gefahr war vorüber. Sie war entkommen. Sie war wieder zum Leben bereit. Doch eben da hatte der Chef einen Einfall. Er tauchte die Feder wieder in die Tinte, stützte sein fleischiges Handgelenk aufs Löschpapier, und als die Fliege ihre Flügel ausprobierte, fiel ein großer, schwerer Klecks auf sie herab. […] Und er hatte doch tatsächlich die glänzende Idee, auf die Fliege zu hauchen, um den Tintenprozeß zu beschleunigen. Trotzdem lag jetzt etwas wie Furcht und Schwäche in den Anstrengungen, und der Chef beschloß, daß dieses Mal das letzte sein sollte, als er die Feder tief ins Tintenfaß eintauchte. Es war das letzte Mal. Der letzte Klecks fiel auf das vollgesogene Löschpapier, und da lag die vollgespritzte Fliege und rührte sich nicht. Die Hinterbeine klebten am Körper, die Vorderbeine waren nicht zu sehen. […] Nichts tat sich, und es würde sich auch nichts mehr tun. Die Flige war tot. […]

Die Fliegen-Metapher scheint Katherine Mansfield seit ihrer Tuberkulose-Erkrankung sehr beschäftigt zu haben. In ihrem Tagebuch notierte sie einmal, dass sie sich wie eine Fliege fühle, die in den Milchkrug gefallen ist, und an einem anderen Tag schrieb sie: Und Gott sah herab auf die Fliege, die in den Milchkrug gefallen war, und sah, daß es gut war. Und die kleinsten Cherubim und Seraphim von allen, die sich am Unglück ergötzten, zupften ihre Silberharfen und schrillten: „Wie die Fliege gefallen ist, gefallen!“

In einem Brief an Virginia Woolf meinte sie, daß der Auftrag des Künstlers nicht so sehr darin bestehe, Fragen zu lösen, als vielmehr darin, sie zu stellen. Katherine Mansfield starb im Alter von 34 Jahren nach einer schweren Blutung.

 

 

 

Ayrton Senna

* 21.3.1960 in São Paulo, † 1.5.1994 in Bologna, brasilianischer Autorennfahrer

 

Ayrton Senna hatte, insbesondere durch seine Fahrkünste bei Regen, den Spitznamen Der Magische. Mehrmals wurde er postum zum „schnellsten Formel-1-Fahrer“ gekürt.

Sein Tod beim „Großen Preis von San Marino“ löste zahlreiche Diskussionen aus: die Lenksäule sei durch Pfusch seines Rennstalls gebrochen, seine Reifen seien nach einer safety-car-Phase zu kalt gewesen, aber auch: er sei zu riskant gefahren, um wieder Weltmeister werden zu können. Es gab diverse Gerichtsverfahren, die jedoch alle mit Freisprüchen endeten. Erst 20 Jahre nach Ayrton Sennas Unfalltod bekannte der Konstrukteur seines Rennwagens, dass der Bolide wohl einen Konstruktionsfehler hatte, der jenen furchtbaren Crash in der Tamburello-Kurve von Imola ausgelöst haben könnte.

Bei Ayrton Sennas Beerdigung in seiner Heimatstadt São Paulo folgten mehr als drei Millionen Menschen seinem Sarg. In Brasilien gab es eine dreitägige Staatstrauer.

Nach Ayrton Sennas Tod wurden die Sicherheitsvorkehrungen in der Formel-1 sehr verbessert. Dennoch starb 21 Jahre später wieder ein Formel-1-Pilot infolge eines Rennens: Jules Bianchi.

Vor seinem Tod hatte Ayrton Senna Gedanken geäußert, eine Organisation zu gründen, die armen und bedürftigen Kindern aus größter Not hilft. Diese wurde von seiner Familie mit dem „Instituto Ayrton Senna“ dann auch tatsächlich ins Leben gerufen. Und seine Schwester gründete zudem eine Stiftung, der zur Finanzierung des Senna-Instituto die Lizenzrechte an der Vermarktung des Namens Ayrton Senna zufließen. Als wichtigste Einnahmequelle dabei gilt eine Comicfigur, die den achtjährigen Ayrton darstellt: den Senninha.

Der Zeichentrickfilm „Senninha am Tag des Umzugs“ wurde beim Anima-Mundi-Festival in Rio de Janeiro hochgeehrt. Rennfahrer allerdings wird Senninha wohl nicht.

 

 

 

Paul Ackermann

* 20.4.1812 in Altkirch, † 26.7.1846 in Montbéllard, französischer Philologe

 

Paul Ackermann wird im Nachschlagwerk „Gelehrtes Berlin im Jahre 1845. Verzeichnis der im Jahre 1845 in Berlin lebender Schriftsteller und ihrer Werke“ im Rahmen des Editionsprojektes der Werke Friedrich des Großen als Mitwirkender „in Eigenschaft eines grammairen und littérateur für die französische Redaction der Notes, Compte-Rendus und Avertissements“ aufgeführt. Empfohlen hatte ihn Alexander von Humboldt. Vielleicht war Humboldt auf diesen jungen Sprachforscher aufmerksam geworden, da Ackermann bereits im Alter von 24 Jahren gemeinsam mit Charles Nodier den „Vocabulaire de la langue française“ heraus. Später nannte Ackermann den Romantiker Nodier als „unwissenden Schöngeist“, was die Anteile an der Erarbeitung des Vocabulaires bezeichnen dürfte.

Humboldt, der lange als Vorleser für den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm gewirkt hatte, schätzte Paul Ackermann als die Seele des Großunternehmens der Herausgabe der Werke des Alten Fritz, des großen Vorgängers Friedrich Wilhelms IV:, und bedauerte Ackermanns frühen Tod so sehr, dass er ihm auf dem Französischen Friedhof in Berlin ein Denkmal errichten ließ.

Wer weiß, was Alexander von Humboldt, der seit 1827 auch als Präsident einer Kommission zur Prüfung der Unterstützungssuche von Gelehrten und Künstlern agierte, noch alles für Paul Ackermann hätte tun, wozu er diesen hochbegabten jungen Wissenschaftler hätte ermutigen können, wer weiß.

 

 

 

Hilde Coppi

* 30.5.1909 als Betti Gertrud Käthe Hilda Rake in Berlin, † 5.8.1943 in Berlin-Plötzensee, deutsche Widerstandskämpferin

 

Hilde Coppi war Sachbearbeiterin in der Berliner Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und Mitglied der Widerstandgruppe „Rote Kapelle“.

In ihrer Arbeitsstelle organisierte sie Papier für Flugblätter, plakatierte beispielsweise Protest gegen eine antisowjetische Propaganda-Ausstellung, hörte Radio Moskau, informierte Angehörige deutscher Kriegsgefangener über deren Verbleib, und half beim Transport eines defekten Funkgeräts.

Am 12. September 1942 wurde Hilde Coppi mit ihrem Mann verhaftet. Am 27. November 1942 brachte sie im Frauengefängnis Barnimstraße ihren Sohn Hans zur Welt. Am 22. Dezember 1942 richteten die Nazis ihren Mann hin. Am 20. Januar 1943 wurde auch Hilde Coppi zum Tode verurteilt. Ein Gnadengesuch wurde von Hitler persönlich abgelehnt. Ihre Hinrichtung wurde bis zum August 1943 aufgeschoben damit sie ihr Kind abstillen konnte.

Nach der Verkündigung des Todesurteils hatte Hilde Coppi an ihre Mutter geschrieben: „Du wirst Dir denken können, daß ich keine schönen Stunden hinter mir habe. Ein Glück, daß das kleine Hänschen noch bei mir ist, in seinem Interesse muß ich mich sehr zusammennehmen. Ach, Mama, der Gedanke an die Trennung von meinem Kinde will mich fast verzweifeln lassen. Ich glaube für eine Mutter kann es keine größere Strafe geben, als sie von ihrem Kind zu trennen.“

Peter Weiss setzte den Coppis mit seiner „Ästhetik des Widerstands“ ein literarisches Denkmal.

 

 

 

Jean-Joseph Rabearivelo

* 4.3.1903 als Joseph-Casimir Rabearivelo in Ambatofotsy, † 12.6.1937 in Antananarivo, madagassischer Dichter

 

Jean-Joseph Rabearivelo war zwar arm, doch stolzer Angehöriger des Merina-Adels, leitete seine Herkunft vom madagassischen König Ralambo her. Sein Freitod im Jahre 1937 wurde also durchaus als Protest gegen die Besatzer seiner Heimatinsel, als Protest gegen die französische Kolonialmacht verstanden, in doppelter Hinsicht.

Rabearivelo hinterließ 1833 Seiten Tagebuch, und verfügte, dass diese erst 50 Jahre nach seinem Tod nicht gelesen werden dürften. Immerhin hatte er, der im März geboren wurde und dies als Zeichen verstand notiert: „Martianer sterben eines gewaltsamen Todes“.

Bücher zogen ihn schon seit seiner Kindheit magisch an. Seine Mutter Rabozivelo verkaufte sogar ihren Schmuck, damit ihr Junge jedes Buch, das er lesen wollte, auch lesen konnte. Als Schüler eines Jesuiten-Gymnasiums wurde er von der Schule verwiesen, da er beim Lesen verbotener Autoren erwischt wurde. Folgerichtig begann er zu schreiben, zuerst auf Madagassisch, um eine Frau anzubeten, dann zögerlich auch auf Französisch. Sein 1921 erschienenes Versdrama „Le prince s’amuse“ widmete er dem Kolonialbeamten und Dichter Pierre Camo. Dann erwog er, in einem Orden einzutreten, lernte sogar eifrig Latein, behauptete aber plötzlich, allen Glauben verloren zu haben und erklärte die Poesie zu seiner Religion.

Alsbald nahmen seine Gedichte nun Bilder und Themen der madagassischen Mythologie auf, und er dichtete sogar madagassische Volkslyrik auf Französisch nach. Zudem übersetzte er Baudelaire, Valéry, Verlaine, Rimbaud, Rilke, Poe, Tagore, Whitman ins Madagassische. Mit etlichen Autoren seiner Zeit korrespondierte er, mit André Gide beispielsweise. Und er lernte weitere Sprachen: Spanisch und Esperanto.

Seine Gedichtbände „Presque-Songes“ (1934), „Traduit de la nuit“ (1935) und „Chants pour Abeone“ (1937) sowie seine viel gespielten Theaterstücke „Aux portes de la vielle“ (1935) und das auf einem madagassischen Volksmärchen basierende „Imaitsoanala, fille d’oiseau“ (1936) trugen ihm den Ruf als madagassischer Nationaldichter ein. In seinem Tagebuch bekannte er jedoch, das tiefere innere Einsamkeit das Motiv für sein Schreiben sei. Weder seine Frau, noch seine Geliebte, die nur Madagassisch sprachen und seine auf französisch verfassten Gedichte nicht verstanden, vermochten diese Einsamkeit zu durchbrechen.

Und so hielt er in seinem Tagebuch zunehmend ein Gefühl fest, das er „Mir-ist-ich-weiß-nicht-wie“ benennt, das ihn krank machte, das sich durch den Tod eine seiner Töchter steigerte, das zur Bettlägerigkeit und letztlich zum Tode führte.

Jean-Joseph Rabearivelo fühlte sich der französischen Literatur zugehörig, lehnte es jedoch stets ab, die französische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Er war bewusst Madagasse, der in Tagebuch anvertraute, dass er das Französische besser beherrsche als so mancher Franzose. Er fühlte sich auf seiner Heimatinsel zuweilen beengt, konnte Madagaskar aber nie verlassen. In Gedanken tauscht er sich mit Dichtern aus, versucht so Weite zu gewinnen.

Auf der Höhe seines Ruhmes wollte die Kolonialbehörde ihn zur Weltausstellung nach Paris entsenden, berief ihn sogar ins Vorbereitungskommittee. Dann erklärte man Jean-Joseph Rabearivelo allerdings schnöde, in Paris gäbe es schon genug Dichter und entsandte stattdessen traditionelle madagassische Raffia-Weber.

Wie gesagt, sein Freitod kann durchaus auch als Protest verstanden werden. Seine Tagebücher sind veröffentlicht, mittlerweile. Madagaskar ist unabhängig, doch blieb bettelarm.

 

 

 

Albert Ayler

* 13.7.1936 in Cleveland, Ohio, † 25.11.1970 in New York City, amerikanischer Jazz-Saxophonist

 

Albert Ayler gilt als Wegbereiter des Free-Jazz. Der Musikkritiker LeRoi Jones meinte: „Er ist das Atomzeitalter, der Explosivsound von heute“, und sein Kollege, der Trompeter Richard Williams: „Ayler […]war in vielerlei Hinsicht dem alten Klang von Bubber Miley und Tricky Sam Nanton näher als dem von Charlie Parker, Miles Davis oder Sonny Rollins. Er brachte das wilde, primitive Gefühl zurück, das den Jazz in den späten dreißiger Jahren verlassen hatte […] Seine Technik kannte keine Grenzen, seine Tonskala ging vom tiefen Grunzen zu den schrillsten Tönen in höchster Höhe – ohne Parallele …

Albert Ayler war eine der umstrittensten Figuren des Jazz. Der englische Saxophonist Ronnie Scott sagte in einem Interview mit dem „Melody Maker“: „Nach den Maßstäben, die ich kenne, ist dies kein Jazz.“ Der deutsche Musikjournalist Joachim-Ernst Berendt hingegen schrieb: „We Play Peace war sein immer wieder ausgesprochenes Motto. Die freien Tenor-Ausbrüche von Ayler (der weitgehend unabhängig war von Coltrane, diesem sogar vorausgehend) fanden Geborgenheit in besonders eigenwilliger Weise; durch seinen Rückgriff auf Marsch- und Zirkusmusik der Jahrhundertwende, auf Volkstänze, Walzer und Polkas, aber auch auf die dirges, die Trauerstücke der funeral-Prozessionen im alten New Orleans.“ Und der österreichische Komponist Andre Asriel hielt seine Titel für „eindrucksvolle Stücke, in denen Ayler, der wiederholt seine Sehnsucht nach einer heilen, friedlichen Welt bekannte, deren Unmöglichkeit im Angesicht der rauhen Realität des Lebens“ der Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten gestaltete.

Albert Ayler selbst sagte einmal:Ich möchte etwas spielen, was die Leute mitsummen können. Ich spiele gern Lieder, wie ich sie sang, als ich noch ganz klein war, Volkslieder, die alle Leute verstehen.“ Seine Soli standen jedoch „zu seinen betont trivialen Themen in diametralem Gegensatz.“ Dabei entstanden „wilde, intensive Improvisationen, die die volkstümliche Naivität seiner Themen mit großer Schärfe negierten.“ (Asriel)

Eines Abends donnerte er dann sein Saxophon in den Fernseher, schmiss die Tür seiner New Yorker Wohnung hinter sich zu, bestieg die Fähre zur Freiheitsstatue, wo er jedoch nie ankam. Die Leiche des ertrunkenen, vierunddreißigjährigen Albert Ayler fand man im East River.

 

 

 

Felix von Lichnowsky

* 5.5.1814 als Fürst Felix Maria Vincenz Andreas von Lichnowsky in Wien, † 18.9.1848 in Frankfurt am Main, preußischer Politiker

 

Felix von Lichnowsky ist die Schlüsselfigur von Georg Weerths Roman „Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphanski den die „Neue Rheinische Zeitung“ vom 8. August 1848 bis zum 21. Januar 1849 in Fortsetzung abdruckte. Weerth wurde dafür in Abwesenheit wegen „Verunglimpfung des Andenken eines Verstorbenen“ zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.

Tatsächlich hatte sich Weerth anhand des Lebenslaufes von Lichnowskys über den deutschen Adel schlechthin lustig gemacht: das Offiziersdasein, zahllose Affären, das Mitwirken im spanischen Carlistenkrieg, das Wirken im Diplomatischen Corps und im Schlesischen Landtag, die Rolle während der 1848er Märzkämpfe und der Einzugs in die Frankfurter Nationalversammlung. Allerdings hatte Weerth den frühen Tod von Lichnowsky, nur sechs Wochen nach dem Erscheinen der ersten Folge seines „Schnapphahnskis“, keinesfalls voraussehen können. Als Mitglied der rechtsliberalen Casino-Fraktion wurde Felix von Lichnowsky bei den Septemberunruhen in Frankfurt am Main von einem aufgebrachten Mob vor dem Friedberger Tor so schwer verletzt, dass er am späten Abend des 18. September 1848 in einem Frankfurter Krankenhaus verstarb.

 

 

 

Mungo Park

* 11.9.1771 in Foulshiels, Schottland, † Januar/Februar 1806 bei Boussa, Nigeria, britischer Afrikareisender

 

Mungo Parks Bericht „Travels in the Interior of Africa“ war seinerzeit ein Bestseller und gilt heute als Klassiker. Zweimal bereiste der Schotte Afrika, wollte dabei vor allem den Lauf des Niger erkunden.

Zum Beginn seiner ersten Expedition notierte er: Ich wurde beauftragt, nach meiner Ankunft in Afrika zum Niger vorzudringen, entweder über Bambouk oder auf jedem anderen Weg, der sich als der geeignetste erweisen würde. Dass ich die Richtung und wenn möglich Ursprung und Ende dieses Flusses in Erfahrung bringen sollte. Dass ich mir die größte Mühe geben sollte, die wichtigsten Dörfer und Städte in seiner Nachbarschaft, besonders Tombuctoo und Houssa, zu besuchen; und dass es mir danach freistehen sollte, entweder über den Ganbia oder auf dem Weg, der mir unter den dann bestehenden Umständen meiner Lage und meiner Aussichten ratsam erscheinen würde, nach Europa zurückzukehren. […] Sollte ich auf meiner Reise zugrunde gehen, war ich bereit, meine Hoffnungen und Erwartungen mit mir untergehen zu lassen; und sollte es mir gelingen, meinen Landsleuten die Geographie Afrikas vertrauter zu machen und ihrem Ehrgeiz und Fleiß neue Quellen des Wohlstands und neue Handelswege aufzutun, wusste ich, dass ich in den Händen von Ehrenmännern war, die nicht versäumen würden, die Belohnung zu geben, die meine erfolgreichen Dienste in ihren Augen verdienten.

Während dieser Entdeckungsfahrt wurde Mungo Park von Gefolgsleuten eines maurischen Herrschers Ali in Benown gefangen gesetzt, dann nach Bubaker verlegt. Er schreibt: Ich war ein Fremder, ich war unbeschützt und ich war ein Christ. Jeder dieser Umstände einzeln genommen ist ausreichend, um aus dem Herzen eines Mauren jeden Funken von Menschenliebe zu verbannen. Wenn sie aber wie bei mir in einer Person vereinigt anzutreffen waren, wenn noch über dem der Argwohn allgemein herrschte, dass ich als ein Spion in das Land gekommen sei, so wird sich jeder Leser leicht vorstellen können, dass ich in einer solchen Lage alles zu fürchten hatte.“

Schließlich konnte Mungo Park aber in einem günstigen Moment fliehen und schlug sich bettelnd und fast verdurstend tatsächlich bis zum Niger durch: Als ich nach vorn schaute, sah ich mit unendlicher Freude das großartige Ziel meiner Mission; den lang gesuchten majestätische Niger, glitzernd in der Morgensonne, so breit wie die Themse bei Westminster, und langsam in östlicher Richtung fließend.

In London hatte man ihn längst für tot geglaubt, nach seiner Rückkehr wurde er entsprechend gefeiert, und sechs Jahre später erhielt er von der britischen Regierung das Angebot eine neue Niger-Mission zusammenzustellen und zu leiten. Ziel dieser Reise war die: Ausweitung des britischen Handels und die Erweiterung unseres geographischen Wissens und ob irgendein Landesteil für Großbritannien zur Kolonisation brauchbar wäre. Er sollte: dem Lauf dieses Flusses bis zu der größtmöglichen Entfernung, die auszumachen ist, folgen; Verbindung und Verkehr mit den verschiedenen Völkern an seinen Ufern herstellen; alles einheimische Wissen bezüglich dieser Völker erhalten…

Bei seiner Reiseplanung hatte er sich allerdings verschätzt, geriet in die Regenzeit und so ins Chaos. Als er endlich in Bamako ankam, waren zwei Drittel seiner Expeditionsteilnehmer erkrankt und ums Leben gekommen. Dennoch versuchte Mungo Park mit einem Boot weiter voranzukommen. In einem Brief betonte er, er habe den festen Entschluss, die Mündung des Niger zu entdecken oder bei dem Versuch zugrunde zu gehen.

Und er ging zugrunde: wahrscheinlich kenterte er mit seinem Boot in einer Stromschnelle des Hochwasser führenden Niger unweit dessen Mündung in den Atlantik.

T.C. Boyle setzte Mungo Park mit seinem Roman „Wassermusik“ ein literarisches Denkmal.

 

 

 

Ren Xiong

* 19.7.1823 in Xioshan, † 23.11.1857, chinesischer Maler

 

Ren Xiong entstammte einfachen sozialen Verhältnissen, gewann jedoch als Maler selbst in aristokratischen Kreisen Popularität. Und das, obwohl er sich formal vom idealisierenden Malstil der Quing-Dynastie abwandte, einen ganz eigenen, auf Realismus und Wirklichkeitsnähe beruhenden Stil entwickelte, und er inhaltlich die große Zerrissenheit zwischen arm und reich in der chinesischen Gesellschaft auszudrücken versuchte.

Berühmt wurde er jedoch durch sein Selbstporträt, das er wenige Monate vor seinem frühen Tod vollendete: ein Selbstporträt in Lebensgröße: 177,5 cm hoch.

Ren Xiong starb im Alter von 34 Jahren an Tuberkulose.

 

 

 

Sophie Xeon

* 17.9.1986 als Samuel Longauf in Glasgow, † 30.1.2021 in Athen, schottische Produzentin und Sängerin

 

Den Vollmond habe Sophie Xeon betrachten wollen, teilte ihr Management nach ihrem jähen Tode mit, dabei sei sie kletternd vom Balkon gestürzt. Den Vollmond in Athen also, auf den Spuren der Selene, der Artemis, Hyperions? Nach dem Schnupfen einer Linie Mondstaubs, für den Transit ins Jenseits angeweht im ewigen Taumel der Gezeiten? Wer weiß. Ihre Debütsingle hieß: „Nothing more to say“.

 

 

 

António José da Silva

* 8.5.1705 in Rio de Janeiro, genannt: O Judeu, † 19.10.1739 in Lissabon, portugiesischer Komödiendichter

 

 

António José da Silva entstammte einer in der portugiesischen Kolonie Brasilien zwangsgetaufter jüdischen Familie. In Portugal studierte er in Coimbra Jura und verfasste ab 1733 komödiantische Singspiele für Marionetten, die im Lissaboner Theater Barrio Alto mit großem Erfolg aufgeführt wurden.

Bereits 1726 war er von der Inquisition verhaftet und gefoltert worden, da man ihn verdächtigte, weiter dem jüdischen Glauben anzuhängen. Er schwor ab, doch wurde 1737, vielleicht weil seine Stücke allzu satirisch die portugiesische Gesellschaft vorführten, erneut verhaftet. Eine farbige Sklavin seiner ebenfalls angeklagten Mutter hatte behauptet, er habe den Sabbat geheiligt.

António José da Silva wurde letztlich zum Tode verurteilt. Vor seiner Hinrichtung bekannte er sich vor den Inquisitoren zum jüdischen Glauben. Seine letzten Worte sollen das „Schma Israel“ gewesen sein.

Die Inquistion versuchte, die Drucklegung seiner Stücke zu verhindern, die aber schließlich doch und in mehreren Ausgaben und Auflagen erschienen.

Das 1838 uraufgeführte Schauspiel „António José, ou O Poeta e a Inquisição“ von Goncalves de Magalhaes gilt als erste von einem brasilianischen Dichter verfasste Tragödie.

 

 

 

Hugo Distler

* 24.6.1908 in Nürnberg, † 1.11.1942 in Berlin, deutscher Komponist

 

Hugo Distler gilt als einer der wichtigsten Erneuerer der evangelischen Kirchenmusik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Um sein Werk schaffen zu können, versuchte er sich in der Nazi-Zeit – als Organist an der Lübecker Jakobikirche, als Dozent am Lübecker Staatskonservatorium wie an der Stuttgarter und schließlich an der Berliner Hochschule für Musik – mit den Machthabern zu arrangieren, trat sogar in die Partei ein. Als Komponist hatte er sich jedoch wieder und wieder Angriffen der NS-Propaganda zu erwehren, nach einer Uraufführung wurde eines seiner Stücke sogar als „kulturbolschewistisch“ diffamiert.

In einem Brief schrieb Hugo Distler: „Im übrigen wissen wir freilich überhaupt nicht, wie die Menschheit nach dem grausamen Krieg aussehen wird – davon schließlich wird alles abhängen. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann zurück in die Einsamkeit [...] Solang heißt es halt aushalten. Aber es ist dafür gesorgt, daß einem dieses Aushalten so schwer gemacht wird wie möglich.“

Nicht von ungefähr also schuf Hugo Distler als eines seiner letzten Werke ein Friedensoratorium: „Die Weltalter“. Dabei fügte er in den von ihm verfassten Text unter anderem ein Novalis-Zitat ein, das dann auch die Widerstandgruppe „Weiße Rose“ für ein Flugblatt nutzte: „Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt, und von heiliger Musik getroffen und besänftigt zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten, Werke des Friedens vornehmen und ein großes Friedensfest auf den rauchenden Walstätten mit heißen Tränen gefeiert wird. Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und das Völkerrecht sichern und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden ihr altes, friedenstiftendes Amt installieren.“

Hugo Distler komponierte Vokal- und Kammermusik sowie Orgelwerke. Nachdem er zum wiederholten Male einen Gestellungsbefehl für die Wehrmacht erhalten hatte, setzte er seinem Leben im Alter von 34 Jahren selbst ein Ende.

 

 

 

Georges Jacques Danton

* 26.10.1759 in Arcis-sur-Aube, † 5.4.1794 in Paris, französischer Revolutionär

 

Georg Büchner lässt seinen Danton sagen: „Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen.“

Danton war als Justizminister, Leiter des ersten Wohlfahrtsauschusses und Vorsitzender des Nationalkonvents einer der führenden Köpfe der Französischen Revolution.

Gegen das sogenannte Septembermassaker, bei dem 1792 mehr als tausend Gefängnisinsassen ums Leben kamen, war er als Justizminister nicht eingeschritten, hatte diese Morde sogar als notwendig erklärt, um den Willen des Volkes zu befriedigen. Als Vorsitzender des Nationalkonvents sprach er 1793 sich für eine Annexion Belgiens und weiterer Gebiete aus: „Frankreichs Grenzen sind von der Natur vorgezeichnet. Wir werden sie in vier Richtungen erreichen: Am Ozean, am Rhein, an den Alpen, an den Pyrenäen.“

Dann überwarf er sich jedoch mit dem schier übermächtigen Robespierre, der erklärte, die Dantonisten seien Teil einer „Verschwörung des Auslands“, deren Ziel eine Niederlage Frankreichs im Koalitionskrieg sei. Vor Gericht wagte es Danton dennoch seine Gegner zu verspotten, so antwortete er auf die Frage nach seinem Wohnsitz: „Bald im Nichts, danach im Pantheon der Geschichte! Was macht es mir schon aus!“

Am 16. Germinal des Jahres II wurde Danton mit mehreren seiner Anhänger, den Indulgenten, auf dem Place de la Révolution guillotiniert. Seine letzten Worte sollen an den Henker gerichtet gewesen sein: „Vergiß vor allem nicht, dem Volk meinen Kopf zu zeigen; er ist gut anzusehen.“

Büchners Danton sagt: „Ich weiß wohl – die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder.“

 

 

 

Ondraszek

* 13.11.1680 (getauft) als Ondřej Fuciman in Frýdek, auch: Ondráš z Janovic und Andrzej Szebesta, † 1.4.1715 in Sviadov, mährisch-schlesischer Volksheld

 

Ondraszek gilt als Robin Hood der Lachei und der Mährisch-Schlesischen Beskiden. Seine legendären Räubereien sind vor allem für die Gegen um den Lysá Hora überliefert. Im Alter von 35 Jahren wurde er von einem Mitglied seiner Bande, der sich das Kopfgeld von 100 Goldstücken verdienen wollte, in einem Wirtshaus mit einer Streitaxt erschlagen wurde.

Ondraszeks Leben ist Inhalt von Volkssagen wie Volkstänzen und wurde auch immer wieder von Schriftstellern, Komponisten und Malern verarbeitet.

 

  

 

 

Georg Weerth

* 17.2.1822 in Detmold, † 30.7.1856 in Havanna, Kuba, deutscher Schriftsteller

 

Homer ist tot. Ich lebe. Das letztere freut mich am meisten. Was Homer nicht tun konnte: Ich tue es. Homer besang den Odysseus – ich verherrliche den Ritter Schnapphahnski.

Und wie! Was für eine genial bissige Satire, Weerths „Ritter Schnapphahnski“! Und was für ein kurzes, doch intensives Leben Georg Weerth hatte! Immerhin war er mit Karl Marx und Friedrich Engels befreundet, der über ihn sagte: „In der Tat sind seine sozialistischen und politischen Gedichte denen Freiligraths an Originalität, Witz und namentlich an sinnlichem Feuer weit überlegen. Er wandte oft Heineschen Formen an, aber nur, um sie mit einem ganz originellen selbständigen Inhalt zu erfüllen.“

Der Verfasser des Schnapphahnski hielt sich bisher für einen der unschuldigsten Menschen unseres verderbten Jahrhunderts. Er hatte sich oft darüber geärgert – denn nichts ist langweiliger und uninteressanter als die Unschuld. Als er aber den Gerichtsvollzieher sah, und den Erscheinungsbefehl, in dem es klar und deutlich zu lesen war, daß er sich binnen zwei Tagen in dem Verhörzimmer des Richters melden solle, widrigenfalls nach der ganzen Strenge der Gesetze gegen ihn verfahren werde – kurz, als er sich davon überzeugte, daß man ihn für nichts mehr und nichts weniger als einen – Verbrecher halte: da sprang er empor mit dem Schrei des Entzückens, mit dem Jubel der Freude ob der endlich verlorenen Unschuld – er warf den Sessel um und den Tisch und alles, was darauf stand, und wäre fast dem Gerichtsvollzieher um den Hals gefallen, um ihn zu herzen und zu küssen, und ein über das andere Mal frohlockte er: „Ich bin ein Verbrecher! ein Verbrecher! Verbrecher!“

Tatsächlich wurde Georg Weerth im Jahre 1850 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und musste diese Strafe auch absitzen, da unschwer zu erkennen war, dass er als Vorlage für den „Ritter Schnapphahnski“, jenen hochblasierten Adligen, die Biografie des Felix von Lichnowsky genutzt hatte. Zwar war die erste Folge dieser Satire bereits Anfang August 1848 in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erschienen (und weitergeführt bis Anfang 1849), doch wurde Felix von Lichnowsky als Abgeordneter der ersten Deutschen Nationalversammlung Mitte September 1848 in Frankfurt am Main von einem Mob ermordet – und so klagte man Georg Weerth wegen „Verunglimpfung Verstorbener“ an.

Nach dieser Haft (und dem unverkennbar endgültigen Scheitern der 1848er Revolution) war Georg Weerth das Spotten, ja, das Schreiben überhaupt, offenbar vergangen, er kehrte Deutschland den Rücken, ließ sich nach einigen Umwegen als Geschäftsmann auf der Karibikinsel Saint Thomas nieder. Und 1856 wollte er sich dann in Kuba zur Ruhe setzen.

Auf der Reise dorthin erkrankte er jedoch auf Haiti an Gehirnhautentzündung infolge einer fortgeschrittenen Malaria-Infektion und starb im Alter von 34 Jahren in Havanna.

 

 

 

Simone Adolphine Weil

* 3.2.1909 in Paris, † 24.8.1943 in Ashford, England, französische Philosophin

 

Der Theologe Heinz Robert Schlette meinte, Simone Weil betrachtete das Leben als eine Suche nach dem Absoluten. Ihr Denken war von christlicher Mystik sowie von platonischen und buddhistischen Einsichten geprägt, darüber hinaus auch von der jüdischen Tradition. Religion und Politik waren für sie eine Einheit. Auf sie geht der Gedanke der „décréation“ zurück, der „totalen Selbstentäußerung des Menschen vor Gott“.

Simone Weil studierte an der Elitehochschule École nromale supérieure in Paris Philosophie. Ihre Kommilitonin Simone de Beauvoir erinnerte sich: „Eine große Hungersnot hatte China heimgesucht, und man hatte mir erzählt, daß sie bei Bekanntgabe dieser Nachricht in Schluchzen ausgebrochen sei: Diese Tränen zwangen mir noch mehr Achtung für sie ab als ihre Begabung in Philosophie. Ich beneidete sie um ein Herz, das imstande war, für den ganzen Erdkreis zu schlagen. Eines Tages gelang es mir, ihre Bekanntschaft zu machen. Ich weiß nicht, wie wir damals ins Gespräch gekommen sind; sie erklärte in schneidendem Tone, dass eine einzige Sache heute auf Erden zähle: eine Revolution, die allen Menschen zu essen geben würde. In nicht weniger peremptorischer Weise wendete ich dagegen ein, das Problem bestehe nicht darin, Menschen glücklich zu machen, sondern für ihre Existenz einen Sinn zu finden. Sie blickte mich fest an: ‚Man sieht, dass Sie noch niemals Hunger gelitten haben’, sagte sie. Damit war unsere Beziehung auch schon wieder zu Ende. Ich begriff, dass sie mich unter die Rubrik ‚geistig ehrgeizige kleine Bourgeoise‘ eingereiht hatte.“

Leo Trotzki vermittelte sie bei dessen Flucht eine Wohnung in Paris. Nach einem Gespräch bezeichneter er sie als „ganz und gar reaktionär“, sie habe einen „juristischen, logischen, idealistischen Geist“.

Sie lehrte Philosophie und versuchte sich als Fabrikarbeiterin, sie nahm in der anarchistischen Kolonne Durruti am Spanischen Bürgerkrieg teil und besuchte dann im Petersdom eine Messe, machte in einer Benediktinerabtei mystische Erfahrungen. Sie sagte: „In meinen Überlegungen über die Unlösbarkeit des Gottesproblems hatte ich diese Möglichkeit nicht vorausgesehen: die einer wirklichen Berührung von Person zu Person hienieden, zwischen dem menschlichen Wesen und Gott. Ich hatte wohl unbestimmt von dergleichen reden gehört, aber ich hatte es niemals geglaubt.“

Nach der deutschen Okkupation Frankreichs floh sie über Marseille und die USA nach England und wurde Mitglied des Befreiungskomitees von Charles de Gaulle. Der meinte jedoch, dass sie für die aktive Arbeit in der Résistance zu ungeschickt sei und zu jüdisch aussehe, hielt sie offenbar für verrückt, doch beauftragte sie mit der Ausarbeitung einer Verfassung des befreiten Frankreichs.

Simone hatte sich selbst eine Leidenspflicht aufgelegt. Sie notierte: „Dunkle Nacht. Vielleicht muß der Mensch (jedes Mal bis zum höchsten Zustand?) die Prüfung der fortwährenden Dauer durchlaufen (Hölle), bevor er Zutritt zur Ewigkeit erhält?“ Und an anderer Stelle: „Ist jedoch das Universum für mich wie ein anderer Leib, dann hört mein Tod auf, für mich von größerer Bedeutung zu sein als der Tod eines anderen.“ Sie wurde magersüchtig, erkrankte an Tuberkulose und starb schließlich im Alter von nur 34 Jahren.

An ihrer Beerdigung nahmen nur wenige Menschen teil, darunter aber Maurice Schumann, der einer der Väter der Europäischen Union werden sollte. Denkbar, dass ihn Simone Weils Sicht auf den Zweck jeder Gemeinschaft und des Staates beeindruckt hatte, der darin bestehe, Krieg und die Unterdrückung des Einzelnen zu verhindern. Politik müsse individualisiert, Parteien abgeschafft werden. Ein Jeder solle sich der Verantwortung dem anderen und der Gesellschaft gegenüber stellen. Und: der Mensch bedürfe einer bewussten Teilhabe an einer Tradition, in die er durch Geburt, Ort, Beruf und Umwelt gestellt sei. Erst die Verwurzelung befähige den Menschen dazu, das Leben mit seinen Aufgaben zu bejahen. Die Technik habe man den Bedürfnissen der Menschen anzupassen. Eine Humanisierung der Arbeit sei weder kapitalistisch noch sozialistisch, sondern auf die Würde des Menschen gerichtet…

Heinrich Böll schrieb: „Die Autorin liegt mir auf der Seele wie eine Prophetin; es ist der Literat in mir, der Scheu vor ihr hat; es ist der potentielle Christ in mir, der sie bewundert, der in mir verborgene Sozialist, der in ihr eine zweite Rosa Luxemburg ahnt; der ihr durch seinen Ausdruck mehr Ausdruck verleihen möchte. Ich möchte über sie schreiben, ihrer Stimme Stimme geben, aber ich weiß: ich schaffe es nicht, ich bin ihr nicht gewachsen, intellektuell nicht, moralisch nicht, religiös nicht. Was sie geschrieben hat, ist weit mehr als ‚Literatur‘, wie sie gelebt hat, weit mehr als ‚Existenz‘. Ich habe Angst vor ihrer Strenge, ihrer sphärischen Intelligenz und Sensibilität, Angst vor den Konsequenzen, die sie mir auferlegen würde, wenn ich ihr wirklich nahe käme. In diesem Sinne ist sie nicht ‚Literatur als Gepäck‘, aber eine Last auf meiner Seele. Ihr Name: Simone Weil.“

 

 

Rozz Williams

* 6.11.1963 als Roger Allen Painter in Pomona, Kalifornien, † 1.4.1998 in Los Angeles, amerikanischer Rocksänger

 

Im Alter von 16 Jahren gründete Rozz Williams die Death-Rock-Band „Christian Death“, und sukzessive „Premature Ejaculation“, „Shadow Projekt“, „Rozz Williams & Gitane Demin“, „Daucus Karota“ und „Heltir“. Mit all seinen Formationen spielte er mehr als 40 Platten ein.

Rozz Willimas nahm sich im Alter von 34 Jahren das Leben.

 

 

 

 

 

Lorraine Hansberry

* 19.5.1930 in Chicago, † 12.1.1965 in New York City, amerikanische Dramatikerin

 

James Baldwin sagte vor der Broadway-Premier Lorraine Hansberrys Stück “A Raisin in the Sun” im Jahr 1959: „Noch nie in der gesamten Geschichte des amerikanischen Theaters wurde so viel von der Wahrheit über das Leben schwarzer Menschen auf die Bühne gebracht“.

Lorraine Hansberry verfasste auch das Drehbuch für die Filmversion ihres in 35 Sprachen übersetzten und mit dem New York Drama Critics' Circle Award ausgezeichneten Stücks, das 1961 mit Sydney Poitier in der Hauptrolle in die Kinos kam und 2008 neu verfilmt wurde.

Am 24. Mai 1963 nahm sie am legendären inoffiziellen Treffen des damaligen Generalstaatsanwalts Robert F. Kennedy mit James Baldwin teil, das eine Verbesserung der Rassenbeziehungen in den USA ausloten sollte, jedoch konsenslos endete.

Der Amerikanist Eberhard Brüning schrieb: „Lorraine Hansberry hat sich immer gegen einen schwarzen Extremismus und eine undifferenzierte Antiweißhaltung ausgesprochen. Das wird in ihren dramatischen Werken ebenso deutlich wie in ihren Reden und Aufsätzen. Sie wandte sich dagegen, aus allem eine Rassenfrage zu machen.“

1964 erkrankte Lorraine Hansberry an Bauchspeicheldrüsenkrebs und starb im Jahr darauf.

Ihre Freundin Nina Simone verfasste zu ihrem Gedenken den Song „To Be Young, Gifted an Black“, den sie auch bei Lorraine Hansberrys Beerdigung sang:

Jung, begabt und schwarz sein

Oh was für ein schöner kostbarer Traum

Jung, begabt und schwarz sein

Öffne dein Herz für das, was ich meine

Auf der ganzen Welt, weißt du,

Gibt es Milliarden Jungen und Mädchen

Jung, begabt und schwarz

Und das ist eine Tatsache!

Wir müssen anfangen, unseren Jungen zu erzählen

Da wartet eine Welt auf dich

Diese Aufgabe hat gerade erst begonnen…

 

 

Joe Orton

* 1.1.1933 in Leicester, † 9.8.1967 in London, englischer Dramatiker

 

Joe Orton studierte an der Royal Academy of Dramatic Art in London und verdiente sich seinen Lebensunterhalt vor allem als Aktmodell. Im Alter von 30 Jahren musste er gemeinsam mit seinem Lebensgefährten und Mentor Kenneth Halliwell eine Gefängnisstrafe verbüßen, da sie Bibliotheksinventar gestohlen und mit Obszönitäten besudelt hatten.

Im Jahr darauf wurde jedoch Joe Ortons Erstlingswerk „Seid nett zu Mr. Sloane“ in London uraufgeführt und dann rasch auch in Hamburg wie am Broadway inszeniert. Das Stück galt durch die damals noch unter Strafe stehende, offene Darstellung von Homosexualität als provokativ. Der Regisseur Ernst Wendt sagte: „Orton hat die Komik des Perversen entdeckt […] und er handhabt das Amoralische so gefällig und witzig und leicht, als sei es das Alleralltäglichste: bös, aber nur zu menschlich.“ Und Hubert Zapf bewertet im „Großen Schauspielführer“ die Kritik des Stücks „die sich nicht nur gegen die von Orton selbst als krass empfundene Inhumanität und Gefühllosigkeit der Menschen richtet, sondern vor allem auch gegen die Tendenz, diese Inhumanität durch ein scheinhaftes, puritanisch eingefärbtes moralisches selbstverständlich zu verschleiern.“ Das Stück wurde 1968 fürs Fernsehen adaptiert und 1970 verfilmt. Joe Ortons Stil wurde später als „ortonesque“ bezeichnet.

Joe Orton schrieb weitere Stücke wie „Loot“, „The Good and Faithful Servant“  oder „Funeral games“ sowie vier postum veröffentlichte Romane und ein Tagebuch. Zwei seiner Bühnenstücke: „Fred and Madge“ und „The Visitors“ wurden bis heute nicht aufgeführt.

Am 10. August 1967 war Joe Orton mit den Beatles verabredet, für die er ein Drehbuch entworfen hatte. Am Tag zuvor erschlug ihn jedoch sein sieben Jahre älterer Lebensgefährte, der Joe Ortons Erfolg nicht ertragen konnte, mit neun Hammerschlägen und nahm sich dann mit Tabletten das Leben.

 

  

 

 

Charlie “Bird” Parker

* 29.8.1920 in Kansas City, † 12.3.1955 in New York, amerikanischer Jazz-Saxophonist

 

 

Anthony Proveaux textete 2001 auf Charlie „Bird“ Parkers „Ornithology“-Melodie von 1946:

 

They say that bird was really quite a genius

The way he played the saxophone was unknown

Was truly ahead of his time

Played in a passion that was totally true

Stated in a fashion that was totally new

A master of the rhythm and blues

He would stay out every night and he’d play

And he made bop into a language today

 

Bird really put his soul into his music

And every note that Parker blew was so true

You knew he was talking to you

Now everybody wants to study Bird

Play everything he wrote and spread the word

This music really hat to be heard

So study Ornithology and you will hear the quality of Bop

 

Wolfram Knauer urteilte, Birds Musik „hat den Jazz beeinflusst wie vor ihm nur die von Louis Armstrong, wie nach ihm die von John Coltrane und Miles Davis“.

Ja, Bird war ein Genie, weit seiner Zeit voraus, und wer weiß wie er den Jazz nach dem Bebop noch modernisiert hätte, wäre ihm mehr Lebenszeit vergönnt gewesen.

Letztmals stand er in dem nach ihm benannten New Yorker Jazz-Club „Birdland“ auf der Bühne, sprach die Schar der Bird-Fans noch einmal live mit dem schillernden Spektrum seiner „Ornithologie“ an: …every note that Parker blew was so true… Eine Woche darauf starb Charlie Parker  infolge seiner langjährigen Heroinabhängigkeit, geschwächt von Leberzirrhose, Magengeschwüren und einer Lungenentzündung.

 

 

 

Johann Friedrich Struensee

* 5.8.1737 in Halle/Saale, † 28.4.1772 in Kopenhagen, deutscher Arzt und Aufklärer

 

Der hallesche Arzt Johann Friedrich Struensee war ein gutes Jahr lang faktisch der Regent Dänemarks.

Sein kometenhafter Aufstieg begann in Hamburg-Altona, wo der junge Struensee nach Medizinstudium und Promotion als Stadtphysikus und Armenarzt wirkte. Seine Reputation stieg, zumal beim holsteinschen Adel, nachdem er zum Landphysikus in der Grafschaft Rantznau und der Herrschaft Pinneberg ernannt worden war. Und da er eine neuartige Therapie für Geisteskrankheiten entwickelt hatte, wurde er zum Leibarzt des siebzehnjährigen dänischen Königs Christian VII. berufen, der als physisch labil galt. Um den unberechenbaren König von den Regierungsgeschäften möglichst weit entfernt zu halten wurde Struensee im Jahr darauf mit Christian VII. auf eine einjährige Europareise geschickt.

Zurück in Kopenhagen verlieh Christian VII. Struensee, der auf der Reise das Vertrauen des Königs gewonnen hatte, zuerst den Titel Königlichen Vorleser, dann stieg er zum Wirklichen Etatrat , dann zum Kabinettssekretär und schließlich zum Geheimen Kabinettsminister mit der Vollmacht, anstelle des Königs Dekrete zu unterschreiben, auf. Und nun begann Struensee Erfahrungen und Erkenntnisse, die er auf seiner Europareise gewonnen hatte, in Reformen umzusetzen. Als erstes untersagte er die Anhäufung von Titeln und Orden ohne entsprechende Verdienste und führte die Meinungs- und Pressefreiheit in Dänemark ein.

Dann entließ er nach und nach bisherige Kabinettsmitglieder und stellte dafür Vertraute ein. Um weitere Reformen finanzieren zu können, erhob er nun Luxussteuern auf Reitpferde und das Glücksspiel und verzichtete dafür auf die Salzsteuer, welche die Armen hart belastet hatte. Er richtete eine Staatslotterie ein, strich Ehrengehälter und Pensionen, kürzte die Ausgaben für höfischen Luxus harsch und schickte 182 Kammerherren in den Ruhestand, die bis dahin im Range eines Generals standen und entsprechende Bezüge erhalten hatten. Insgesamt erließ er in 16 Monaten 622 Dekrete, erste Erfolge stellten sich rasch ein: Dänemark hatte rasch einen nahezu ausgeglichenen Haushalt, Kopenhagen wurde durch die Verlegung der Friedhöfe, die Pflasterung der Straßen und die Installierung von Straßenlaternen zur modernen Stadt. Dänemark galt als aufklärerischer Musterstaat, als fortschrittlichstes Land seiner Zeit.

Allerdings hatte Struensee sich selbst zum Grafen erhoben und die Gemahlin Christian VII., die Königin Caroline Mathilde zur Geliebten gemacht. Sehr wahrscheinlich war er der Vater der Prinzessin Louise Auguste von Dänemark.

Und ausgerechnet eine seiner ersten Reformen, die Einführung der Pressefreiheit, setzte seinen Sturz in Gang. Seine Feinde lancierten Gerüchte über Gerüchte bis dahin, dass Struensee den König stürzen und sich selbst zum Alleinherrscher ausrufen wolle, und hetzten die Bevölkerung gegen ihn auf.

Bei einem Maskenball bei Hofe wurde er dann verhaftet, vor Gericht gestellt und nach viertägiger Verhandlung zum Tode verurteilt. Wie sein Getreuer Enevold von Brandt wurde er geköpft, gevierteilt und aufs Rad geflochten. Bei der Errichtung des Schafotts vor der Stadt soll es Verzögerungen gegeben haben, da kein Tischler zum Bau bereit gewesen war, und kein Handwerker das Rad, auf das die Leichenteile geflochten werden sollten, hatte herstellen wollen. Die Handwerker machten sich erst unter Androhung von Folter und Kerker an die Arbeit. Die Räder wurden von einer alten Kutsche abmontiert. Zwei Jahre lang blieben die Leichen der Hingerichteten am Richtplatz zur Abschreckung hängen, bis die Knochen von den aufgerichteten Rädern fielen…

Immerhin blieb ein Teil der Struenseeschen Reformen in Dänemark bestehen, die Pressefreiheit beispielsweise.

 

 

 

Christian Dietrich Grabbe

* 11.12.1801 in Detmold, † 12.9.1836 ebd., deutscher Dramatiker

 

Christian Dietrich Grabbe lässt in seinem Stück „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ eine unvermittelt auftauchende Figur ausrufen: „Das ist der vermaleite Grabbe oder, wie man ihn eigentlich nennen sollte, die zwergichte Krabbe, der Verfasser dieses Stücks! Er ist so dumm wie’n Kuhfuß, schimpft auf alle Schriftsteller und taugt selber nichts, hat verrenkte Beine, schielende Augen und ein fades Affengesicht!“

Der Literaturwissenschaftler Hans-Georg Werner sagte: „Sein wirres, oft wüstes, immer wieder vom Scheitern bedrohtes, schließlich kläglich endendes Leben hat ihn offenbar zu Selbstinterpretationen gedrängt, die seine sozialen Missverhältnisse auf eine das Mitgefühl des Publikums bewegende Weise aus äußeren Zwängen erklären. So führte er seinen Alkoholabusus darauf zurück, dass er als Säugling von der Mutter mit einem in süßem Rum getränkten Zulp zur Ruhe gebracht wurde. Er verbreitete die Legende, er habe als Kind einen begnadigten siebzigjährigen Mörder, der sein täglicher Gesellschafter gewesen sei, an einem wollenen Faden im Hofe des Elternhauses herumführen müssen, und er kolportierte nicht ungern – gleichsam zum Ausgleich – dass er der illegale Sohn einer hochgestellten Persönlichkeit sei.“

Christian Dietrich Grabbe war der Sohn eines Zuchthausaufsehers, der dank eines Stipendiums seiner Detmolder Landesfürstin studieren konnte. Er wurde Jurist und verfasste Dramen wie „Herzog Theodor von Gothland“, „Don Juan und Faust“, „Kaiser Friedrich Barbarossa“, „Kaiser Heinrich VI:“, „Napoleon oder Die hundert Tage“, „Hannibal“ und „Die Hermannsschlacht“. Er gilt als einer der bedeutendsten Erneuerer des deutschsprachigen Theaters seiner Zeit, über die er urteilte: „ Die Guillotine der Revolution steht still, und ihr Beil rostet – mit ihm verrostet vielleicht auch manches Große, und das Gemeine, in der Sicherheit, daß ihm nicht mehr der Kopf abgeschlagen werden kann, erhebt gleich dem Unkraut sein Haupt.“

Hans-Georg Werner urteilt: „Grabbes dramatisches Werk war die dichterische Antwort auf einen Zustand sozialer Stagnation, in dem die durch Generationen hindurch in der deutschen Kultur eingebürgerte Hoffnung auf humane Evolution und gelinden Fortschritt dem Dichter wie eine heilige Fata Morgana erschien. Ihr hielt er das Bild seiner Wüteriche, Despoten und Helden, gewaltsame Massenaktionen und wildes Schlachten entgegen, von denen allein er Anstöße zur sozialkulturellen Bewegung erwartete.“

Grabbe selbst bilanzierte sein von Exzessen geprägtes Leben so: „Ich glaube, hoffe, wünsche, liebe, achte, hasse nicht, sondern verachte nur noch immer das Gemeine, ich bin mir selbst so gleichgültig, wie es mir ein Dritter ist; ich lese tausend Bücher, aber keines zieht mich an, Ruhm und Ehre sind Sterne, dessenthalben ich nicht einmal aufblicke; ich bin überzeugt, alles zu können, was ich will, aber auch der Wille erscheint mir so erbärmlich, daß ich ihn nicht bemühe; ich glaube ich habe so ziemlich die Tiefen des Lebens, der Wissenschaft und der Kunst gemessen, ich bin satt von den Hefen; nur Musik wirkt noch magisch auf mich, weil – ich sie nicht genug verstehe.“

Christian Dietrich Grabbe starb verkommen im Alter von 34 Jahren an Rückenmarksschwindsucht.

 

 

 

Ethel Rosenberg

* 28.9.1918 als Ethel Greenglass in New York, † 19.6.1953 in Ossining, amerikanische Angestellte

 

Gemeinsam mit ihrem Gatten Julius soll Ethel Rosenberg Rüstungsspionage für die Sowjetunion betrieben haben. Während sich die Vorwürfe gegen ihren Ehemann auch nach Freigabe von sowjetischen und amerikanischen Geheimarchiven als berechtigt erwiesen, traf Ethel Rosenberg bestenfalls die Schuld der Konspiration.

Dennoch wurden beide trotz heftiger Proteste, so von Papst Pius XII., Jean-Paul Sartre, Albert Einstein, Pablo Picasso, Fritz Lang, Bertolt Brecht oder Friedo Kahlo in einem fragwürdigen Prozeß zum Tode verurteilt und am 19. Juni 1953 im New Yorker Staatsgefängnis Sing Sing auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.

33 Jahre danach gab der New Yorker Staatsanwalt Roy Cohn, der die Anklage vertrat, zu, aus Geltungssucht einen unfairen Prozess gegen Ethel Rosenberg geführt zu haben. Cohn bekannte zudem, dass die US-Regierung die Beweise gegen die Rosenbergs „hergestellt" habe.

Überhaupt war der Prozess erst eröffnet wurden, nachdem sich Julius Rosenberg geweigert hatte, die ebenfalls in Haft befindlichen Führer der KP der USA als Preis für seine eigene Entlassung zu denunzieren. Die Geschworenen des Prozesses wurden erheblich unter Druck gesetzt. Während des Prozesse war der Spionagevorwurf durch die Behauptung verschärft worden, das Ehepaar Rosenberg habe der Sowjetunion maßgeblich ermöglicht, beim Bau der Atombombe mit den USA gleichzuziehen, was sich später definitiv als falsch herausstellte.

Die Rosenbergs waren die einzigen US-amerikanischen Zivilisten, die während des Kalten Krieges wegen Spionage angeklagt wurden. Sie sind außerdem die einzigen in den USA in Friedenszeiten wegen Spionage Hingerichteten. Präsident Eisenhower hatte kurz vor der Hinrichtung ein Gnadengesuch abgelehnt.

Die Verurteilung beeinflusst haben könnte auch, dass die Rosenbergs Juden waren. Nach dem italienischen Historiker Enzo Traverso wurden besonders die amerikanischen Juden „der Sympathie, wenn nicht gar der Komplizenschaft mit dem Kommunismus verdächtigt“, denn: „Im Kalten Krieg wurde die UdSSR zum totalitären Feind erklärt, gegen den alle Energien der ‚freien Welt‘ entfaltet werden mussten. Deshalb bestand die Gefahr, dass die Erinnerung an die Judenvernichtung und die Verbrechen der Nazis die öffentliche Meinung desorientieren.“ Ethel und Julius Rosenberg hatten im Laufe ihres Prozesses auf Auschwitz aufmerksam gemacht…

55 Jahre danach wurde ein bis dahin unter Verschluss gehaltenes Interview veröffentlicht, in welchem Richard Nixon, damals Vizepräsident, eingestand, „dass im Prozess erhebliche Fehler gemacht wurden“ und „Belastungsmaterial manipuliert“ wurde.

Das Schicksal der Rosenbergs spielt in Romane von Sylvia Plath, Robert Coover und E. L. Doctorow eine Rolle, ebenso in Filmen von Charlie Chaplin oder Sydney Lumet, in Songs von Bob Dylan, Billy Joël oder Roger Waters.

 

 

 

Lya de Putty

* 10.1.1897 in Vojčice, † 27.11.1931 in New York City, ungarische Schauspielerin

 

Erstmals stand Lya de Putty in Budapest vor der Kamera, in Bukarest agierte sie erstmals in einer Hauptrolle. In Berlin spielte sie in zwei Filmen Wilhelm Murnaus und die Leser der „Neuen Illustrierten Filmwoche“ wählten sie 1924 weit vor Asta Nielsen zur beliebtesten Schauspielerin.

1926 folgte ein Hollywood-Engagement, Lya de Putty gab die Titelrolle in „Manon Lescaut“. Doch so erfolgreich ihr erster Hollywood-Film war, wurde ihr zweiter, „The Sorrows of Satan“ zum künstlerischen und finanziellen Desaster. Sie versuchte sich das Leben zu nehmen, ging dann aber zurück nach Berlin, wurde aber zunehmend depressiv und stürzte sich schließlich aus dem Fenster ihrer Wohnung. Da sie in weichen Schnee fiel, verlief auch dieser Selbstmordversuch glimpflich.

Nun versuchte sie ihr Glück in London, ihr starker Akzent verhinderte jedoch eine Tonfilm-Karriere. Und auch ihr Bemühen auf Bühnen in New York Fuß zu fassen, blieb erfolglos.

Dann verschluckte sie beim Essen einen Hühnerknochen, der nur dramatisch mit einer Notoperation entfernt werden konnte. Und durch Komplikation kam es zu einer Blutvergiftung an der Lya de Putty im Alter von 34 Jahren starb.

 

 

 

Waleri Pawlowitsch Tschkalow

* 2.2.1904 in Wassiljowo, † 15.12.1938 in Moskau, sowjetischer Pilot

 

Im Alter von 26 Jahren wurde Waleri Tschkalow Testpilot beim Wissenschaftlichen Institut der sowjetischen Luftstreitkräfte, und war im folgenden Jahr einer der ersten Piloten, der Versuchsstarts- und Landungen auf einem fliegenden Flugzeugträger ausführte. Und als Zweiunddreißigjähriger flog er in 63 Stunden, 25 Minuten von Moskau nach Portland, Oregon, 9.130 Kilometer nonstop – Weltrekord!

Im Alter von 34 Jahren kam Waleri Pawlowitsch Tschkalow beim Erstflug des Jagdflugzeugs „Polikarpow I-16“ ums Leben. Seine Urne wurde an der Kremlmauer beigesetzt.

 

 

 

 

 

Masaoka Shiki

* 14.10.1867 als Masaoka Tsunenori im Landkreis Onsen, † 19.9.1902 in Tokio, japanischer Dichter

 

Masaoka Shiki gilt als Begründer der modernen Haiku- und Tanka-Dichtung und neben Basho, Buson und Issa als einer der vier großen Haiku-Meister.

Geboren wurde er als Masaoka Tsunenori und wurde als Kind auch Tokoronusuke und Noboru gerufen. Den Künstlernamen Shiki gab er sich, nach einem ersten Tuberkulose-Anfall, nachdem er Blut gehustet hatte. Shiki – der Gackelkuckuck, von dem man sagte, dass er, wenn er mit hoher Stimme singt, seine rote Zunge zeigt als ob er Blut spucke.

Kurz vor seinem frühen Tod verfasste Masaoka Shiki die Verse:

 

Hechima sakite

tan no tsumarishi

hotoke kana.

(Der Schwimmkürbis blüht,

und ich werde zu Buddha,

dem der Auswurf den Atem nahm.)

 

So wird sein Sterbetag in Japan Hechimaki genannt – „Schwimmkürbis-Trauertag“.

 

 

 

Maximilian I.

* 6.7.1832 auf Schloss Schönbrunn als Erzherzog Ferdinand Maximilian Joseph Maria von Österreich, † 19.6.1867 in Cerro de las Campana, Kaiser von Mexiko

 

Édouard Manet malte mehrmals „Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“, Karl Mays Kolportageroman „Waldröschen“ basiert auf dem Schicksal Maximilians I., und Franz Liszt komponierte das Klavierstück „Marche Funèbre – En mémoire de Maximilien I., Empereur du Mexique. † 19 Juin 1867“.

Der Legende nach soll bei seiner Hinrichtung sein Lieblingslied „La Paloma“ gespielt worden sein. Nachweislich aber wurde „La Paloma“ bei der Ankunft seines Sarges für die geplante standesgemäße Beisetzung in der Wiener Kapuzinergruft beim von ihm nahe Triests erbauten Schlosses Miramare intoniert, und war fortan auf österreichisch-ungarischen Kriegsschiffen tabu.

Maxilimian war den Lockungen des französischen Kaisers Napoléon III. erlegen, der in Mexiko ein an Frankreich angelehntes Reich schaffen wollte, Truppen entsandt und den gewählten Präsidenten Benito Juarez abgesetzt hatte. Maximilian ließ sich am 10. April 1864 zum Kaiser von Mexiko ausrufen, da der reformfreudige Habsburger glaubte, so seine Träume von einem liberalen, modernen Staat realisieren zu können, und da ihm versprochen worden war, dass dies dem Willen des mexikanischen Volkes entsprach, dass sich die Mexikaner nichts sehnlicher wünschten als einen Habsburger als Kaiser.

Tatsächlich hatte ihm eine mexikanische Delegation einen entsprechenden Volksentscheid überbracht, der jedoch von Juarez-Gegnern getürkt war. Bei der Ankunft Maxilimian I. in Veracruz jubelten ihm dann auch keine Volksmassen zu, sondern es spielte eine Bettlerkapelle auf, ein hastig im Matsch aufgerichteter Triumphbogen wurde von einer Sturmbö umgerissen, und endlich in seinem Regierungsplast angekommen, musste der Kaiser die erste Nacht auf dem Billardtisch schlafen, da alle Matratzen von Ungeziefer wimmelten.

Und nachdem die französischen Soldaten dann 1866 auf Druck der USA das Land verlassen mussten, vermochte sich Maximilian I. letztlich nicht mehr gegen die Juarez-Truppen zur Wehr zu setzen. Er wurde verraten, verhaftet und von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt.

Alsbald kam jedoch das Gerücht auf, dass es ein Agreement zwischen Juarez und Maxilimian gegeben habe und der gar nicht erschossen worden sei, sondern bis 1936 unter dem Namen Justo Armas in El Salvador weiter gelebt habe.

La Paloma ade – einmal wird es vorbei sein…

 

 

 

Alexander Walentinowitsch Wampilow

* 19.8.1937 in Tscheremchowo, † 17.8.1972 im Baikalsee, sowjetischer Dramatiker

 

Alexander Walentinowitsch Wampilows Stücke wurden 1971 an 28 sowjetischen Theatern 1028 mal aufgeführt, 1972 an 44 Theatern 1613 mal und zählen somit in jener Zeit zu den meistgespielten des Landes. Am bekanntesten waren „Abschied im Juni“, „Provinzanekdoten“ und „Entenjagd“, die wie acht weitere auch verfilmt wurden. Zudem waren Hörspielfassungen erfolgreich und es gab auch Inszenierungen in der ČSSR und der DDR. Wampilow veröffentichte auch Erzählungen, Kurzgeschichten und Anekdoten.

Stets trat er dabei für den Abbau zementierter gesellschaftlichere Schranken ein, gestaltete den Versuch übergroßen Anpassungsdrücken zu widerstehen.

Alexander Walentinowitsch Wampilow kam zwei Tage vor seinem 35. Geburtstag bei einem Bootsunfall auf dem Baikalsee ums Leben. Auf Entenjagd?

 

 

 

Archilochos

* um 680 v. Chr. auf Paros, † um 645 v. Chr, griechischer Dichter

 

Archilochos heißt die Hauptfigur in Friedrich Dürrenmatts Komödie „Grieche sucht Griechin, wobei der Name dabei von Arschloch abgeleitet wird.

Tatsächlich war Archilochos ein hochangesehener Autor und gilt als frühester formvollendeter griechischer Lyriker, der zuweilen sogar dem Epiker Homer gleichgestellt wurde.

Horaz besang Archilochos überschwänglich:

„Ich führte Archilochos' Jamben in Latium

Erstmals ein, nur folgend des Pariers Versmaß und Wohlklang,

Nicht seinem Stoff und dem Spott, der Lykambes ins Grab einst getrieben.

Darum - so bitt' ich - schmücke mich nicht mit minderem Lorbeer,

Weil ich mich scheute, Regeln und Rhythmus der Dichtkunst zu ändern.

Folgt doch dem Vers des Archilochos auch die kraftvolle Sappho,

Ja selbst Alkaios, wenn auch mit anderem Inhalt und Aufbau:

Denn er schmäht nicht den Schwiegervater mit boshaften Versen,

Will auch mit schlüpfrigen Liedern der Braut keine Fallstricke legen.

Ihn, den noch keiner gewürdigt, hab' ich, der lateinische Dichter,

Allen bekannt gemacht. Freude erfüllt mich, ein Neues zu bringen:

Kenner werden es lesen, würdige Hände es halten!“

Immer wieder gern zitiert wird ein Ausspruch Archilochos’: Πόλλ᾽ οἶδ᾽ ἀλώπηξ, ἀλλ' ἐχῖνος ἕν μέγα.  -Der Fuchs weiß viele verschiedene Sachen, der Igel aber nur eine große.

Wie er zur Dichtung kam, beschreibt eine Anekdote: Sein Vater beauftrage Archilochos, eine Kuh zu verkaufen. Auf dem Wege begegnete er einer Schar lachender Frauen, die ihm einen guten Preis für die Kuh boten. Und kam hatte Archilochos eingewilligt, waren sowohl die Frauen als auch die Kuh verschwunden, und eine Leier lag zu seinen Füßen. Archilochos begriff, dass er den Musen begegnet war. Sein Vater jedoch stellte hartnäckig Nachforschungen zum Verbleib der Kuh an, befragte schließlich sogar das Orakel von Delphi. Das prophezeite seinem Sohn großen und bezeichnete ihn als neuen Liebling der Musen.

Dennoch verdingte sich Archilochos auch als Söldner und fiel im Krieg zwischen Paros und Naxos.

Dürrenmatt dürfte den großen Lyriker verarscht haben, da Archilochos auch Spottverse dichtete und Schmähreden verfasste und so Lykambes, der ihm seine Tochter Nebule zwar zur Frau versprochen, dann aber mit einem besser Situierten verheiratet hatte, in den Selbstmord getrieben haben soll.

 

 

 

Rolf Dieter Brinkmann

* 16.4.1940 in Vechta, † 23.4.1975 in London, deutscher Schriftsteller

 

Marcel Reich-Ranicki nannte Rolf Dieter Brinkmann „Kühn und radikal“. Und Heiner Müller meinte: „Vielleicht das einzige Genie der westdeutschen Nachkriegsliteratur.“

Sein lyrisches Opus magnum „Westwärts 1 & 2“ gilt als einer der wichtigsten Gedichtbände des 20. Jahrhunderts, und brachte ihm postum den Petrarca-Preis ein. Insgesamt veröffentlichte er mehr als 25 Bücher.

Im Klappentext von „Keiner weiß mehr“ heißt es: „Direkt wir das Leben: so ist der einzige Roman Rolf Dieter Brinkmanns. Wie kein anderer machte er Literatur zur unmittelbaren Mitteilung einer Erfahrung. Brinkmanns Schriften formulieren das Lebensgefühl einer Generation, die der Faszination von Beat, Film und Mode erlegen ist.

Rolf Dieter Brinkmann kam fünfunddreißigjährig ums Leben, als er nach einer Lesung beim „Cambridge Poetry Festival“ in London versuchte vorm Pub „Shakespeare“ die Straße zu überqueren und dabei nicht den Linksverkehr beachtete.

Im Prolog von „Keiner weiß mehr“ zitierte er Keith Richard & Mick Jagger:

Oh, no, no,no

Oh, no, no,no

Oh, no, no,no…

 

 

 

En-hedu-anna

* 2286 v. Chr. in Mesopotamien, † 2251 v. Chr., sumerische Dichterin

 

En-hedu-anna scheint weltweit die erste Dichterein zu sein, deren Namen uns bekannt ist. Ihr Name lautet übersetzt: „Hohepriesterin. Zierde des Himmels(gottes) An“, sie wirkte in Ur, war dort Hohepriesterin des Mondgottes Nanna und in Uruk der Götter Anu und Inana und gilt als bedeutendste Frauengestalt des 23. Jahrhunderts v. Chr.

Sie verfasste eine Sammlung von 40 Tempelhymnen, die alle wichtigen Städte von Sumer und Akkad zur Zeit König Sargons, ihres Vaters, umfasst, von Eridu im Süden bis Akkade, Esnunna und Sippar im Norden. Und En-hedu-Anna erwähnte dabei nicht nur sich selbst, sondern sparte auch Persönliches, Verzweiflung und Trauer, Verlassenheit, Einsamkeit, Enttäuschung nicht aus.

Die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk sagte: „Es wird angenommen, dass das erste menschliche Wesen, das seinen Namen unter einen eigenen literarischen Text setzte und damit zur frühesten Schriftstellerin wurde, En-hedu-anna war […] In einer finsteren Zeit gesellschaftlicher Unruhen und brutaler Machtkämpfe, einer Zeit der Enttäuschungen und Zweifel schrieb sie einen Hymnus an Inanna – es ist die berührende Klage eines Menschen, der sich von Gott verlassen glaubt.“

En-hedu-anna dichtete vor 4.300 Jahren – erst etwa 500 Jahre später schrieb(en) ein oder mehrere (unbekannte) Autoren das Atraḫasis- und das Gilgamesch-Epos, vom wesentlich jüngeren, sich zumindest bei der Sündflut-Geschichte dieser beiden Epen bedienenden Alten Testament, ganz zu schweigen.

Tokarczuk: „Dank der Übersetzung, die einen Text naturgemäß in die Gegenwartssprache versetzt, ist dieser Hymnus für den heutigen Leser sprachlich gut verständlich – und auch der Inhalt bleibt ihm nicht verschlossen, erzählt der Hymnus doch von einer zutiefst persönlichen, dabei aber zeitlosen und universellen Erfahrung.

 

 

 

Friedrich von Hausen

* um 1155, † 6.5.1190 bei Philomelium in Kleinasien, deutscher Minnesänger

 

Friedrich von Hausen gilt als einer frühesten deutschen Minnesänger. Im Jahr 1189 begleitete er Barbarossa auf dessen Kreuzzug und kam im Jahr darauf – wie der Kessel – auf dem Wege ins Gelobte Land ums Leben. Barbarossa ertrank, sein Sänger fiel vom Pferd.

Mit seinen Kreuzliedern begründete Friedrich von Hausen jedoch den „rheinischen Minnesang, in der Wissenschaft auch als „Hausen-Schule“ bezeichnet.

 

Mîn herze und mîn lîp diu wellent scheiden,

     diu mit ein ander wâren nu manige zît.

der lîp wil gerne vehten an die heiden,

     sô hât iedoch daz herze erwelt ein wîp

     Vor al der welt. daz müet mich iemer sît,

daz siu ein ándèr niht volgent beide.

mir habent diu ougen vil getân ze leide.

     got eine müese scheiden noch den strît…

 

 

 

Friedrich Wilhelm Ludwig Leichhardt

* 23.10.1813 in Sabrodt, Mark Brandenburg, † vermutlich 1848 in Zentralaustralien, deutscher Botaniker

 

Ludwig Leichhardt hatte in London studiert und wollte weiter die Welt erkunden. Als er 1838 dort im preußischen Konsulat jedoch einen Reisepass beantragte, wurde der ihm verweht. Leichhardt war daheim zum Militär einberufen worden. Und als mittels Freunden schließlich einen britischen Pass in Händen hielt, galt er als fahnenflüchtig, aber reiste nach Frankreich, Italien und in die Schweiz und bestieg schließlich am 1. Oktober 1841 in Cardiff die „Sir Edward Paget“, um nach Australien zu segeln.

Im Jahre 1842 kam er in Sydney an und begann den noch weitestgehend unbekannten Kontinent Australien zu erkunden. 1844 brach er zu einer ersten Expedition auf, entdeckte Gebirgsketten, Flüsse und Berge und in Queensland sogar ein reiches Kohlevorkommen. Er beobachtete Flora und Fauna, das Klima und das Wetter, und hielt fleißig fest, wie die Aborigines lebten, wie sie sich ernährten, welche Werkzeuge sie benutzten, was sie glaubten und sich erzählten. Ende 1845 erreichte er Port Essington bei Darwin, somit hatte er eine gangbare Nord-Ost-Route entdeckt und beschrieben. Im März 1846 kam er wieder in Sydney an, wurde feierlich empfangen und dann sogar in Europa hoch geehrt. Später wurden in Australien Orte, Straßen, Flüsse, Wasserfälle, Höhenzüge, Aussichtspunkte, Vereine, eine Kohlenmine, ein Staudamm, eine Affinerie nach ihm benannt. Sein Reisebericht erschien 1847 in London auf Englisch und 1851 in Halle auf Deutsch.

Schon im Oktober 1846 brach Leichhardt zu einer zweiten Expedition auf. Nun wollte er eine Ost-West-Route entdecken. Er stieß bis zum Zusammenfluss von Comet und Mackenzie River vor, aber fast die gesamte Mannschaft, auch Leichhardt, erkrankte, alle fieberten schwer. Im Oktober 1847 erreichte er wieder Sydney, gescheitert.

Aber aufgeben wollte Leichhardt seinen Plan, auf dem Landwege nach Perth zu gelangen, längst nicht. Im Februar 1848 brach er von Port Stephens aus zu seiner dritten Expedition auf. Am 3. April 1848 schrieb Leichhardt in der Macpherson’s Station noch einen Brief an einen Freund in Sydney. Zwei oder drei Tage später zogen sie weiter. Seitdem fehlt jede Spur von Leichhardt und seinen Mannen. Zwar starteten dann etliche Suchaktionen, doch Ludwig Leichhardt glt als verschollen, verschollen irgendwo im Outback. Vermutet wird mittlerweile, dass er in der Nähe der Simpsonwüste ums Leben kam, wie auch immer.

Womöglich folgte er auf einem Traumpfad Walanganda nach und ist nun neben dem Herrscher über alle Geistwesen, getreu dem Aborigines-Mythos, in der Milchstraße zu entdecken, wer weiß. In Sabrodt am Schwielochsee, woher er stammte, der große Australien-Forscher, Ortsteil von Trebatsch, dann von Tauche, gibt’s mittlerweile ein Ludwig-Leichhardt-Museum, ein Wanderweg hier heißt „Leichhardt-Trail“, im Schwielochsee steht seit 2013 eine Ludwig-Leichhardt-Stele der australischen Künstlerin Sue Hayward. Vielleicht fängt sein Stern ja auch daheim nun an zu funkeln.

 

 

 

Christopher Ifekandu Okigbo

* 16.8.1932 in Ojoto, † September 1967 bei Nsukka, Biafra, nigerianischer Lyriker

 

Die „Sunday Times“ nannte Christopher Okigbos Tod „die schwerwiegendste Tragödie des nigerianischen Bürgerkriegs“. Er galt als einer der vielversprechendsten jungen Lyriker Westafrikas. Zu Lebzeiten hatte er zwei Gedichtbände veröffentlicht: „Heavensgate“ und „Limits“, vier Jahre nach seinem frühen Tod erschien „Labyrinths with Path of Tunder“.

Christopher Okigbo war Igbo, und nachdem sein Volk sich 1967 von Nigeria für unabhängig erklärt, den Staat Biafra ausgerufen hatte, kam es zum Krieg. Christopher Okigbo wurde Soldat und fiel alsbald im Range eines Majors. Postum verlieh ihm die Republik Biafra, die nur bis 1970 existieren sollte, den „National Order of Merit“.

Im Jahr 2007 aber wurden Christopher Okigbos gesammelte, auf den Traditionen der Igbo basierenden Werke von der UNESCO zum Weltdokumentenerbe erklärt.

 

 

 

Ljubow Sergejewna Popowa

* 6.5.1889 in Iwanowskoje, † 25.5.1924 in Moskau, russische Malerin

 

Ljubow Popowa studierte Malerei in Moskau und unternahm Studienreisen nach Italien und Frankreich. Nachdem sie vor dem Ersten Weltkrieg Samarkand besucht hatte, kreierte sie, inspiriert von orientalischen Formen und Farben, die „architektonischen Malerei“. 1918 wurde sie Kunstprofessorin, gab 1921 die Malerei jedoch auf und wandte sich der „Produktionskunst“ zu, schuf Buch-, Porzellan- und Textilentwürfe, wirkte richtungweisend als Industriedesignerin, arbeitete bis zu ihrem frühen Tod in einer Moskauer Textilfabrik.

Ihr herausragend eigenständiges Werk gilt in seiner Entwicklung als Summe wichtiger Experimente, als eine Art künstlerischer Methodologie der russische Avantgarde insgesamt. Nachdem Ljubow Popowa an Scharlach gestorben war, vergaß man sie jedoch alsbald.

Wieder bekannt wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg durch einen griechischen Kunstsammler, der zufällig eines ihrer Werke, die „Raum-Kraft-Konstruktion“ entdeckte, das als Wetterschutz an einem Fenster diente. Erwerben, bergen und ausstellen durfte er es jedoch erst, nachdem er eine gleichgroße Sperrholzplatte als Ersatz besorgt hatte.

 

 

 

Stephanus

* um 1 n. Chr., † um 36 n. Chr. in Jerusalem, christlicher Märtyrer

 

„Stephanus ist in der katholischen Kirche Schutzheiliger der Böttcher, Kutscher, Maurer, Pferdeknechte, Schneider, Steinhauer, Weber und Zimmerleute. Angerufen wird er bei Besessenheit, Kopfschmerzen, Steinleiden und für eine gute Sterbestunde“, weiß Wikipedia, „Stephanus ist der erste, von dem überliefert wird, dass er wegen seines Bekenntnisses zu Jesus Christus getötet wurde. Damit gilt er als der erste Märtyrer oder auch Erzmärtyrer.“

Der Evangelist Lukas berichtet über die Steinigung des Stephanus: ‚Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß … Saulus aber begrüßte diesen Mord.“ Mit Stephanus’ Hinrichtung begann die Christenverfolgung in Jerusalem, an der sich Saulus, der dann zum Apostel Paulus werden und eine ähnliches Schicksal erleiden sollte, besonders eifrig beteiligte.

Als Gedenktag für Stephanus gilt der 26. Dezember, der von der Römisch-katholischen, der Altkatholischen, der Anglikanischen, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Selbständigen Evangelisch-Luterischen Kirche begangen wird. Zur Erinnerung an sein Martyrium wurde als liturgische Farbe am Stephanstag Rot vorgeschrieben.

Emmanuel Carrère schreibt in „Das Reich Gottes“: „Dieser Mann, ‚erfüllt von Gnade und Kraft, der große Wunder tut’, ist der Shootingstar der Sekte. Wie vor ihm Jesus und wie nach ihm Paulus wird er angeklagt, ketzerische Reden gegen den Tempel und das Gesetzt zu halten, und wird vor den Sanhedrin gezerrt. Dort klagt er seinerseits die Kläger an, dem Heiligen Geist so zu begegnen wie ihre Väter den Propheten in der gesamten Geschichte des Volkes Israel indem sie sie töteten. Die Gemeinten zittern vor Wut und fletschen die Zähne. Hände schließen sich um Steine. Stephanus, in Ekstase zum Himmel aufblickend, ruft aus, er sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen.“

Bis heute zelebrieren insbesondere männliche Christen am Stephanustag nach dem Kirchgang diverse Bräuche, so im Münsterland das „Stephanus-Steinigen“, ein urtümlich-deftiges Trink-Ritual.

 

 

 

David Douglas

* 25.6.1799 in Perth, Schottland, † 12.7.1834 auf Hawaii, britischer Botaniker

 

Nach David Douglas wurde die Gewöhnliche Douglasie (Pseudotsuga menziesii) benannt. Er entdeckte diese Tannenart bei einer Forschungsreise durch Nordamerika und bereicherte mit ihr wie mit gut 200 anderen, von ihm entdeckten Pflanzen die europäische Flora.

Erstaunlich, denn David Douglas litt unter extremer Kurzsichtigkeit. So stürzte er letztlich auf Hawaii in eine Fallgrube, in der ein Stier hauste. Wer weiß, für was er dieses wilde Tier gehalten hatte, das offensichtlich Rot sah, den Forscher schnöde aufspießte und zertrampelte wie einen vom Baum gefallenen Zapfen.

 

 

 

Parvin E’tesami

* 16.3.1906 in Täbris, † 5.4.1941 in Teheran, persische Dichterin

 

Einem Zuhause ohne Frau fehlt es an Freundschaft und

                                                                         Zuneigung.

Wenn das Herz kalt ist, ist die Seele tot… -

 

sagt Parvin E’tesami in ihrem Gedicht „Der Platz einer Frau“.

 

Im Gebäude der Schöpfung war die Frau immer die Säule.

Wer kann ein Haus ohne Fundament bauen?

 

Ihre ersten Gedichte schrieb sie im Alter von acht Jahren, mit neun schloss sie die Amerikanische Mädchenschule in Täbris ab, mit neunzehn die Hochschule.

 

Möchten Sie die Pflichten von Mann und Frau kennenlernen?
Die Frau ist das Schiff, der Mann der Seemann.
Wenn der Kapitän weise und das Schiff solide gebaut ist.
Warum sollte man Angst vor Strudeln und Stürmen haben?
Wenn in diesem Meer von Problemen eine Katastrophe eintritt.
können sich beide auf den Fleiß und Einsatz des anderen verlassen.
 
Ihren ersten Gedichtband veröffentlichte sie im Alter von 29 Jahren.
 
Eine gute Ehefrau ist mehr als die Dame des Hauses.
Sie ist seine Ärztin und Krankenschwester, Wächterin und 
                                                                         Beschützerin.
In glücklichen Zeiten ist sie Kamerad und zärtliche Freundin.
In schwierigen Zeiten teilt sie die Not und ist Gehilfe.
Eine verständnisvolle Ehefrau runzelt in Zeiten der Knappheit nicht 
                                                                         die Stirn.

 

Parvin E’tesami gilt als eine der ersten Vertreterinnen einer intellektuellen Frauenbewegung im Iran.

 

Am Leben sind nur diejenigen, die ein Gewand der Vorzüglichkeit 
                                                                         tragen;
Tot sind diejenigen, deren Wert an ihrer Nacktheit gemessen wird.

 

Im Alter von 35 Jahren starb Parvin E’tesami an Typhus.

 

Nicht durch das Tragen von Ohrringen, Halsketten und 
                                                                         Korallenarmbändern
kann sich eine Frau für eine große Dame halten.
Wozu bunte Goldbrokate und glitzernde Ornamente gut sind,
wenn dem Gesicht die Schönheit der Exzellenz fehlt?
Die Hände und der Hals einer guten Frau, o Parvin,
verdienen die Juwelen des Lernens, nicht der Farbe.

 

 

 

Hryhorij Mychajlowytsch Kossynka

* 29.11.1899 in Schtescherbaniwka, † 15.12.1934 in Kiew, ukrainischer Publizist

 

In den 1920er Jahren gab es in der Ukraine eine leise kulturelle Renaissance. In den 1930er Jahren aber begann die Zeit der Rosstriljane widrodschennja, die Zeit der „hingerichteten Wiedergeburt“ – im Zuge der Stalinschen Säuberungen wurden zahllose ukrainische Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle hingerichtet oder kamen in Gulags ums Leben

Einer der ersten Hingerichteten war Hryhorij Mychajlowytsch Kossynka. Nach einer Lesung im Kiewer „Haus der Schriftsteller“ wurde er verhaftet, da er angeblich Kulaken-Ideologie und konterrevolutionäre Tendenzen verbreitet hatte, einen Monat später von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und gleichen Tags erschossen.

Ein ähnliches Schicksal erlitten beispielsweise die Autoren: Bohdan-Ihor Antonytsch, Mykola Chwyolwyj, Mychajlo Opanasowitsch Draj-Chmara / Hryhorij Danylowytsch Epik, Pawlo Petrowytsch Fylypowytsch / Majk Herwasijowytsch Johansen, Kulisch, Mykola Hurowytsch Kulisch, Iwan Julijanowytsch Kulyk, Walerjan Petrowytsch Pidmohylny, Jewhen Pawlowytsch Pluschnyk, Walerjan Lwowytsch Politschtschuk, Jakiw Hryhorowytsch Sawtschenko, Dmytro Jurijowytsch Sahul, Mychajlo Wassylowytsch Semenko, Mykola Kostjantynowytsch Serow, Wolodymir Jewtymowytsch Swidsinskyj, Marko Mykolajowytsch Woronyj, der Maler Mychajlo Lwowytsch Bojtschuk, die Grafikerin Sofija Oleksandriwna Nalepynska-Bojtschuk, der Regisseur Les Kurbas, der Komponist Wiktor Stepanowitsch Kossenko…

R.I.P.

 

 

 

Freddie Mercury

* 5.9.1946 als Farrokh Bulsara in Stonetown, Sansibar, † 24.11.1991 in Kensington, britischer Rock-Sänger

 

“Bulsara”, sagte der Mann und schüttelte mir die Hand.

„Please?“

„Farrrokh Bulsara.“

Ah, ich verstand, das war keine sansibarische Begrüßungsformel, der Mann stellte sich vor! Farrokh Bulsara. Dabei sah dieser Guide, der mich durch Stone Town führen sollte, Freddie Mercury zum Verwechseln ähnlich.

„Jankofsky“, sagte ich, „Jay Jay Jankofsky.“

„Welcome, Sir!“

Und keine Frage, der Mann kannte sich aus hier. Quicksilbrig lotste er mich durch schlüpfrige Gässchen zum quirligen Darajani Markt, zeigte mir das alte arabische Fort und das Beit al Ajaib, das House of Wonders, sowie das prunkvolle Anwesen des berüchtigten Sklavenhändlers Tippu Tip. Und er wusste natürlich auch, dass Livingstone sich von hier aus auf die Suche nach den Quellen des Nils begeben hatte und es in der Anglikanischen Kirche ein Kruzifix zu bewundern gibt, das angeblich vom Holz des Baumes stammt, unter dem das Herz des großen Forschers in Sambia begraben wurde. An der Stelle, wo nunmehr diese Christuskirche steht, befand sich einst der riesige Sklavenmarkt, die Pferche, und genau über dem Prügelbock soll der Altar errichtet worden sein.

Schließlich standen wir vor der Kirche am Mahnmal für die Millionen Sklaven, die von Sansibar City aus verschifft wurde. Ich zückte mein Basecape. Farrokh ging zu einem alten Klavier, das hier wohl nach einer Gedenkfeier vergessen worden war, klappte den Deckel auf, begann zu klimpern und sang leise: Spread your little wings and fly away / Fly away far away / Pull yourself together / ’Cause you know you should do better…

 

 

 

Fernando Pereira

* 10.5.1950 in Chaves, Portugal, † 10.7.1985 in Auckland, Neuseeland, portugiesisch-niederländischer Fotograf

 

Um unter dem portugiesischen Diktator Salazar nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden, floh Fernando Pereira in die Niederlande, wurde ein erfolgreicher Presse-Fotograf und Greenpeace-Aktivist.

1985 beteiligte er sich an der Protestaktion gegen die französischen Atomwaffen-Tests auf dem Mururoa-Atoll. Und als französische Geheimdienstagenten das Greenpeace-Schiff „Rainbow-Warrior“ im Hafen von Auckland versenkten, kam Fernando Pereira im Alter von 35 Jahren ums Leben.

 

 

 

Paul Nizan

* 7.2.1905 in Tours, † 23.5.1940 in Audruicq bei Dünkirchen, französischer Autor

 

Paul Nizan studierte Philosophie an der der École normale supérieure in Paris und war dann 1926/27 Hauslehrer in Aden. Im Jahr 1931 veröffentlichte er das Pamphlet „Aden“, für das Jean-Paul Sartre, den er auf der der École normale supérieure kennengelernt hatte, das Vorwort verfasste.

Plastisch schildert Paul Nizan die Zustände in der damaligen britischen Kolonie, das Gebaren der Kolonialherren, urteilt scharfsinnig, bringt nicht selten Zitierfähiges zu Papier: „Reisen ist eine Folge von endgültigen Abschieden.“

Nach seiner Rückkehr trat er in die Kommunistische Partei ein, reiste 1934 in die Sowjetunion, kämpfte in Spanien gegen Franco, erhielt 1938 den Prix Interaliiéé für seinen Roman „La Conspiration“, und trat 1939 aus Protest gegen den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt wieder aus der Kommunistischen Partei Frankreichs aus.

In „Aden“ erkannte er am Ende: „Der homo oeconomicus hat seine eigenen Illusionen vom Glück: er spricht von seiner Macht und unterhält Menschen, die ihm Illusionen fabrizieren: Romanciers, Historiker, Ependichter und Philosophen. Von Zeit zu Zeit, wenn gerade mal eines seiner Organe schlecht funktioniert, merkt er nämlich, daß seinem Leben die lebensnotwendige Substanz fehlt. Dann wirft er sich auf imaginäre Befriedigungen.“

Paul Nizan fiel wenige Tage nach dem deutschen Angriff auf sein Vaterland bei Dünkirchen.

In „Aden“ hatte er schon weit vorausgeblickt: „Der homo oeconomicus marschiert gegen die letzten Menschen, bekämpft die letzten Lebenden und  will sie zum Tode bekehren. Die große List der Bourgeoisie besteht darin, die Arbeiter zu Aktionären oder Rentiers zu machen und sie für die Moral, die Härte und den Tod des homo oeconomicus zu gewinnen. Werden die Menschen auf ewig diesem Leerlauf und der Verführung durch sprechende Maschinen verfallen?“

Das fragte Paul Nizan sich und uns im Jahr 1931, unglaublich – 1931!

 

 

 

Bernadette Soubirous

* 7.1.1844 in Lourdes, † 16.4.1879 in Nevers, französische Ordensschwester

 

Wenn Bernadette Soubirous, älteste Tochter bettelarmer, alkoholkranker Eltern, als Vierzehnjährige, kurz nachdem Papst Pius IX: das Dogma von der „Unbefleckte Empfängnis Marias“ verkündet hatte, nicht Erscheinungen gehabt hätte, die von katholischen Würdenträgern als Marienerscheinungen gedeutet und propagiert wurden, wäre ihr Geburtsort Lourdes heute wohl noch immer ein Kaff in den Ausläufern der Pyrenäen und keine ansehnliche Kleinstadt, in die Jahr für Jahr mehr als 6 Millionen Pilger kommen, essen, trinken, übernachten und Devotionalien und anderen Schnickschnack kaufen, wäre Lourdes heute sicher nicht einer der meist besuchten Wallfahrtsorte weltweit.

Der Ortspfarrer äußerte anfangs zwar Bedenken, der zuständige Bischof sagte dann jedoch in einem Hirtenbrief: „Wir erklären feierlich, daß die Unbefleckt Empfangene Gottesmutter Maria wirklich Bernadette Soubirous erschienen ist, am 11. Februar 1858 und in den folgenden Tagen, im ganzen achtzehn mal in der Grotte von Massabielle, bei der Stadt Lourdes. Und wir erklären, daß die Erscheinung alle Zeichen der Wahrheit besitzt, und daß die Gläubigen berechtigt sind, fest daran zu glauben.“

Die Diözese erwarb die Grotte von Massabielle und hielt hier fortan Gottesdienste ab. Eine Eisenbahnlinie wurde gebaut, um Wallfahrer in Massen ankarren zu können. Über der Grotte und im Ort wurden prachtvolle Basiliken errichtet, einer Quelle Heilkraft zugesprochen, Großveranstaltungen inszeniert…

Die römisch-katholische Kirche bedankte sich bei Bernadette Soubirous auf ihre Art und Weise: als Zwanzigjährige durfte sie in ein Kloster eintreten, obwohl sie die erforderliche Mitgift nicht aufbringen konnte, 1925 wurde sie von Pius XI. selig- und 1933 heiliggesprochen.

Kurt Tucholsky urteilte in seinen „Pyrenäenbuch“: „Bei alledem hat man sich die kleine Bernadette als ein bescheidenes, artiges, schwächliches Kind zu denken, das kein Wesens aus der Sache machte. Sie hatte einen schweren Stand: der Geistliche wollte nicht heran, die Polizei drohte sie einzusperren, wenn dieser Unfug nicht aufhöre, und das Dorf verlangte seine Wunder. […] nach jeder Halluzination wurde das Publikum größer, der Glaube stärker, die Legendenbildung wilder.“

 

 

 

Max Valier

* 9.2.1895 in Bozen, † 17.5.1930 in Berlin, österreichischer Autor und Erfinder

 

Nach dem Ersten Weltkrieg schrieb Max Valier während seines Astronomie-Studiums die Erzählung „Spiridon Illuxt“, in der er die Atombombe vorhersah. Mit Unterstützung von Hermann Oberth verfasste er dann 1924 „Der Vorstoß in den Weltenraum“, ein Buch, das immerhin 6 Auflagen erlebte, ein Buch, in dem er ein Programm zur Entwicklung der Raketentechnik skizzierte.

1927 gründete er in Breslau gemeinsam mit Johannes Winkler den „Verein für Raumschiffahrt“.

Ab 1928 entwickelte er Versuchsfahrzeuge, die von Pulverraketen abgetrieben wurden, dann Raketenschienenwagen, Raketenschlitten und sogar ein erstes Raketenflugzeug. 1930 düste er in seinem Raketenschlitten RAK mit mehr als 400 km/h über den zugefrorenen Starnberger See, ein Geschwindigkeitsrekord.

1930 begann Max Valier schließlich in Berlin mit Flüssigtreibstoffen zu experimentieren und starb beim Probelauf eines neuartigen Triebwerks. Max Valier gilt als erstes Todesopfer der Raumfahrt.

 

 

 

Akutagawa Ryūnisuke

* 1.3.1892 in Tokio, † 24.7.1927 ebd., japanischer Dichter

 

Eingeladen von der Deutschen Schule Yokohama, aus meinem Buch „Anna Hood“ zu lesen, nutzte ich diese Gelegenheit, Japan zu erkunden, nicht zuletzt das große Stadttor von Kyōto, das Rashomon zu sehen, das der große Dichter Ryūnisuke Akutagawa, der zunehmend an Psychosen litt und im Alter von 35 Jahren freiwillig aus dem Leben schied, durch sein gleichnamiges Buch weltweit bekannt machte: „Rashomon“.

Mit dem Shinkansen nach Kyōto, der alten Hauptstadt Japans. Wenn es so etwas wie Bahn-Kultur gibt, sollten deutsche Bahn-Manager in Japan zwangsweise Lehrgänge belegen müssen: Kaum fährt der Shinkansen Hikari mit seinem müränen/delphinschnauzenartigen Triebwagen in die Tokyo Station (seine Endstation) ein – passgenau präzise für jede Zugtür vor Zugangsschranken auf dem Bahnsteig, die erst zur Seite gleiten, wenn der Zug steht – schon werden die Aussteigenden von rosa gekleideten Putzfrauen und blau gekleideten Putzmännern mit Verbeugungen begrüßt und wieseln die Putzkolonnen schließlich in und durch jeden Waggon – Türen zu – und ratzbatz sind die Wagen geputzt und gesäubert und die Sitze in Fahrtrichtung gedreht – Türen auf – und da man auf den Anzeigentafeln genau erfährt, wo unreservierte Plätze sind, findet man auch zügig einen freien Platz. Also denn, auf nach Kyōto: 513,6 km in 158 Minuten!

Gegen 11 in Kyōto. Hochsommerliche Schwüle im Talkessel der Stadt, die gut 1000 Jahre - bis 1868 im Zuge der Meiji-Umwälzungen aus Edo Tokyo und zur neue Hauptstadt wurde - die Metropole des Landes war. Yasunari Kawabata schreibt in Schönheit und Trauer: „Er blickte über die Häuserdächer der Geschäftsstraßen von Kyōto zu den Westlichen Bergen hinüber. Selbst diese Westlichen Berge waren so nah. Verglichen mit Tokyo war Kyōto doch eine kleine, liebenswürdige Stadt.“

Der Weg zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten, der in meinem Reiseführer als „fußläufig“ beschrieben wird, streckt und streckt sich. Wenn man alle 17 Kulturstätten der alten Kaiserstadt besichtigen wollte, bräuchte man wahrscheinlich 17 Tage. Wir sind am Ende stolz auf uns, dass wir in der Glut vier gefunden und besichtigt haben: den Sanjusangen-do mit seinen schwer beeindruckenden 1001 Kanon-Statuen, den zauberhaften Maruyama-Park, den Chion-in mit dem größten Tempeltor und der größten Glocke Japans - das Tor soll im Übrigen in etwa dem Rashomon ähneln - dem nicht mehr vorhandenen einstigen südlichen Stadttor, berühmt durch Ryūnisuke Akutagawas gleichnamige und verfilmte Erzählung -, sowie den imposanten Higashi-Honganji-Tempel… en passant noch das alte Geisha-Viertel Gion, quirlige Haupt- beschauliche Nebenstraßen und Gassen und nicht zuletzt der futuristische Bahnhof, zu dem die High-Tech Shinkansen bestens passen…

Keine Frage, da bleibt die Ahnung, viel verpasst, Wichtiges nicht gesehen zu haben, schreibt doch Kawabata in seiner Nobelpreis-Novelle „Kyōto“ beispielsweise: „Von Kyōto mit seinen zahlreichen alten Tempeln und Schreinen heißt es nicht zu Unrecht, es vergehe kein Tag, an dem nicht irgendein größeres oder kleineres Götterfest gefeiert werde… Noch zahlreiche weitere Festveranstaltungen gibt es in Kyōto, wie etwa die ‚Totenmesse mit Kürbissen’ im Tempel Anrukuyo oder die ‚Beschwörung der Gurken’ im Tempel Rengeji. Ob auch sie den Geist der alten Kaiserstadt und zugleich den Geschmack ihrer heutigen Bürger repräsentieren? Da sind in den letzten Jahren etwa wieder aufgelebt die ‚Paradiesvogelfahrt’ im drachenköpfigen Boot auf dem Arashiyama-Fluß und das ‚Gastmahl am Gyokusui’, das auf dem schmalen Wasserlauf im Garten des Schreins von Kamigano veranstaltet wird. Beides waren einst elegante Spiele des alten Hofadels. Beim ‚Gastmahl am Gyokusui’ sitzen Leute in alter Hoftracht am Ufer, und während die Weinschälchen heranschwimmen, schreiben sie Gedichte oder zeichnen Bilder, nehmen das Weinschälchen, das bei ihnen vorüberkommt, auf, leeren es und lassen es weiterschwimmen. Pagen bedienen dabei… In Kyōto nehmen die alten Feste eben kein Ende.“

Trotz Nichtgesehenem, Nichterlebtem dennoch am Ende ein Hochgefühl: was für ein fantastischer Tag im alten Zentrum einer exotischen Hochkultur!

 

 

 

Marcus Andrew Hislop Clark

* 24.4.1846 in London, † 2.8.1881 in Melbourne, australischer Schriftsteller

 

Das erste Buch eines australischen Schriftsteller das ich las, dürfte „Lebenslänglich“ von Marcus Clark gewesen sein. Eindringliche Beschreibungen von Sträflingskolonien im Zuge der englischen Besiedlung Australiens. In seiner Vorrede sagte Marcus Clark 1870: „Einige der hier erzählten Ereignisse sind zweifellos tragisch und schrecklich. Ich hielt es indessen für unumgänglich, sie zu berichten; denn es handelt sich um Dinge, die tatsächlich geschehen sind und die unfehlbar immer wieder geschehen werden, wenn man die Missstände, deren Folgen sie sind, nicht beseitigt.“

145 Jahre später besuchten Jeanny und ich Melbourne, wo Marcus Clark gewirkt hatte:

Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch musste seinerzeit hier vom Schiff auf die Pier springen, da ihm als Delegierten zu einem Antikriegskongress die Einreise verwehrt wurde. Später schrieb er in seinem Australien-Reisebericht: „Melbourne ist ein Märchen, auch für den, der aus dem Märchen Sydney kommt. Sydney scheint entstanden zu sein, indem aus einem gigantischen Becher Tausende von Würfeln auf eine bizarr gezackte, von Hügeln umsäumte Bucht geschüttet wurden, unbekümmert darum, ob einer oder der andere Würfel ins Meer fiel… Was aber Melbourne anbelangt, so hat es sich ein Feenkönig sorgsam erdacht, bevor er es hinzauberte, und hernach hüpften seine Töchter über die Wege und bestreuten sie mit unsäglich bunten Blumen und Sträuchern.“

Tatsächlich entstand Melbourne im Gegensatz zu Sydney nicht aus einer Strafkolonie, sondern wurde von Siedlern geplant. Heute sind diese beiden Metropolen mit je etwa 4 Millionen Einwohnern etwa gleichgroß und stehen in enger und steter Konkurrenz. Wobei Melbourne bei einem interessanten Kriterium (und nicht nur gegenüber Sydney) die Nase vorn hat: 2014 wählte die englische Zeitschrift „The Economist“ Melbourne unter Berücksichtigung der kulturellen Gegebenheiten, des Klimas, der Lebenshaltungskosten und des sozialen Umfelds bereits zum siebenten Mal zur lebenswertesten Stadt der Welt!

Kisch brach sich 1934 ein Bein, wir gelangen ohne Komplikationen auf den Melbourner Pier und zu einem Ausflugsbus, der uns zu einer der Attraktionen des australischen Bundesstaates Victoria bringt, den Zwölf Aposteln.

Zur Economist-Einschätzung nur so viel: das Wetter spielt absolut nicht mit, 16/17°C. tiefhängende, graue Wolkenteppiche. Schauer. Immerhin: eine imposante Skyline ist nicht zu übersehen.

Wir streifen durch Geelong, weites Farmland, gelegentlich Eukalyptushaine. Kurzer Stopp in Colac, verschlafenes Hinterlandstädtchen mit Häusern aus der Gründerzeit. Weiter zur Great Ocean Road, die ihren Namen zu Recht trägt. Und plötzlich das Naturwunder The Twelf Apostels. (Ich hatte erwartet, dass wir zuvor noch Tiere zu sehen bekommen, denn im Melbourner Slang unseres heutigen Guides klang Apostels stets wie Opossums…) Vor der hochumgischteten Steilküste himmelwärts weisende Sandsteinfelsenfinger. Zwar sind es mittlerweile nur noch acht (letzter Einsturz 2005), doch schmälert das kaum die Erhabenheit dieser einzigartigen Landschaft.

Weiter zu malerischen Buchten und Schluchten: Loch Ard Goge. Und schließlich das Hafenstädtchen Port Campbell. Lunch am Strand and back to the ship – wo wir gerade rechtzeitig zum Dinner und zum Auslaufen eintreffen, da wir in den Feierabendverkehr mit nervraubenden, baustellenbedingten Staus gerieten. Auch so viel zur Lebensqualität Melbournes.

 

 

 

Ulrich von Hutten

* 21.4.1488 auf Burg Steckelberg bei Schlüchtern, † 29.8.1523 auf der Ufenau im Zürichsee, deutscher Humanist

 

Ich habs gewagt mit Sinnen

Und trag des noch kein Reu,

Mag ich nit dran gewinnen,

Noch muß man spüren Treu;

Darmit ich mein

Nit eim allein,

Wenn man es wollt erkennen:

Dem Land zu gut,

Wiewohl man tut

Ein Pfaffenfeind mich nennen.

 

Nachdem Ulrich von Hutten sich dem Klosterleben abgewandt hatte, studierte er vielenorts: in Köln, Frankfurt (Oder), Greifswald, Wien, sowie in Bologna; in Erfurt wurde er Humanist, in Mainz begegnete er Erasmus von Rotterdam, in Leipzig steckte er sich mit Syphilis an.

 

Da laß ich jeden liegen

Und reden was er will;

Hätt Wahrheit ich geschwiegen,

Mir wären hulder viel.

Nun hab ichs gsagt,

Bin drumb verjagt,

Das klag ich allen Frummen,

Wiewohl noch ich

Nit weiter fleich,

Vielleicht werd wiederkummen.

 

Er wirkte in Rostock und Wittenberg, reiste nach Venedig und Pavia. Aus Geldnot brach er schließlich sein Jura-Studium ab und verdingte sich als Söldner, um seine Rückkehr nach Deutschland finanzieren zu können.

 

Umb Gnad will ich nit bitten,

Dieweil ich bin ohn Schuld;

Ich hätt das Recht gelitten,

So hindert Ungeduld,

Daß man mich nit

Nach altem Sitt

Zu Ghör hat kummen lassen;

Vielleicht wills Gott,

Und zwingt sie Not,

Zu handeln diesermaßen.

 

„Bereits während seiner ersten Italienreise hatte Hutten das weltliche Auftreten des Papsttums erlebt und angeprangert. In den Folgejahren verschärfte sich diese Gegnerschaft: In Huttens Schriften trat an die Stelle einer humanistisch-aufgeklärten Kirchenkritik der Wunsch nach einem radikalen Befreiungsschlag, der die verweltlichte Kirche zur Räson bringen sollte (vgl. die Schriften im Gesprächbüchlin). Hutten verfasste Aufrufe an die deutsche Nation, sich dem Kampf gegen die sogenannten Kurtisanen, also die Profiteure der säkularen Herrschaft der Kurie, anzuschließen. Von den Zeitgenossen wurde er deshalb, trotz inhaltlicher Differenzen, an die Seite Luthers gestellt.“ (Wikipedia)

 

Nun ist oft diesergleichen

Geschehen auch hie vor,

Daß einer von den Reichen

Ein gutes Spiel verlor;

Oft großer Flamm

Von Fünklin kam,

Wer weiß, ob ichs werd rächen;

Staht schon im Lauf,

So setz ich drauf:

Muß gahn oder brechen.

 

Mit anderen Humanisten verfasste er die Aufsehen erregenden „Dunkelmännerbriefe“, er mahnte den Kaiser wie deutsche Fürsten zur Einheit, verspottete Jakob Fugger und kritisierte den Herzog von Württemberg.

 

Darneben mich zu trösten

Mit gutem Gwissen hab,

Daß keiner von den Bösten

Mir Ehr mag brechen ab,

Noch sagen, dass

Uff einig Maß

Ich anders sei gegangen

Dann Ehren nach;

Hab diese Sach

In gutem angefangen.

 

Das ihm der Kirchenbann angedroht wurde, schloss sich Ulrich von Hutten dem mächtigen Söldnerführer für Franz von Sickingen an, zog mit ihm gen Trier in den „Pfaffenkrieg“. Nachdem Franz von Sickingens seinen im Kampf erlittenen Verletzungen erlegen war, floh Ulrich von Hutten, dem nach Verhängung der Reichsacht die Todesstrafe drohte, in die Schweiz, wo er bei Zwingli Unterschlupft fand, doch im Alter von 35 Jahren an der Syphilis starb.

 

Will nun ihr selbs nit raten

Dies frumme Nation,

Ihrs Schadens sich ergatten,

Als ich vermahnet han:

So ist mir leid,

Hiemit ich scheid,

Will mengen baß die Karten;

Bin unverzagt,

Ich habs gewagt

Und will des Ends erwarten.

 

„Als Angehöriger einer ritterschaftlichen Familie sah Hutten im (bewaffneten) Kampf gegen Rom die vornehmste Aufgabe für seine Standesgenossen. Seine Appelle richteten sich zwar an alle Stände des Reiches, doch träumte er tatsächlich von einem starken Kaisertum, gestützt auf die Ritter. Aus diesem Grund glaubt man, in ihm den Exponenten einer Bewegung zu erkennen, die schließlich zur Formung der Reichsritterschaft führte. Größte Nachwirkung aber hatte zweifellos die Begründung eines Nationalmythos durch Hutten: In seiner Schrift „Arminius“ – die allerdings erst nach seinem Tod erschien – feierte er den Sieger der Hermannsschlacht als „ersten unter den Vaterlandsbefreiern“, der „das römische Joch“ abgeworfen und Germanien von der Fremdherrschaft befreit hätte. Das historische Ereignis erfuhr eine Deutung, die vor allem das national bewegte 19. Jahrhundert begeisterte.“ (Wikipedia)

 

Ob dann mir nach tut denken

Der Kurtisanen List,

Ein Herz laßt sich nit kränken,

Das rechter Meinung ist.

Ich weiß noch viel,

Wölln auch ins Spiel,

Und solltens drüber sterben:

Auf, Landsknecht gut

Und Reuters Mut,

Laßt Hutten nit verderben!

 

Ulrich von Hutten gilt als erster Reichsritter.

 

 

 

Li Wenglian

* 12.10.1985 in Beizhen, † 7.2.2020 in Wuhan, chinesischer Arzt

 

Li Wenglian hatte als einer der Ersten die Gefährlichkeit des neuen Corona-Virus erkannt, der in der Stadt, in der er praktizierte, ausgebrochen war. Schon am 30. Dezember 2019 postete er: „Sieben Fälle von Sars wurden auf dem Huanan-Markt diagnostiziert, sie werden in der Intensivstation unseres Krankenhauses isoliert.“ Am 8. Januar 2020 infizierte er sich bei der Behandlung einer Patientin selbst. Am 7. Februar später war er tot. Am 11. März 2020 erklärte die WHO den Corona-Ausbruch offiziell als Pandemie.

Ende 2020 bat mich eine Zeitung, einen Rückblick auf das „Corona-Jahr“ zu schreiben. Ich schrieb: „Pandemien geißeln die Erde seit Menschengedenken. Schon im Alten Testament werden Heimsuchungen beschrieben. Die Pest grassierte seit dem Mittelalter, und nach dem Ersten Weltkrieg fielen weitaus mehr Menschen der Spanischen Grippe zum Opfer, als in diesem Kriege ums Leben gekommen waren. Nun, gut 100 Jahre später, verheert ein Coronavirus die Welt. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Vor etwa 30 Jahren sagte ich in einer Diskussion nach einer Lesung – eingeladen als exotischer Ost-Autor’ - irgendwo in westlichen Landen, dass ich mich des Gefühls nicht erwehren könne, in meiner kleinen Lebenszeit noch einmal eine Wende zu erleben. Vielleicht fürchtete ich damals im Überschwang durch neu gewonnene Möglichkeiten und Ziele, dass ein Atomschlag oder eine Umweltkatastrophe oder eine Weltwirtschaftkrise alle Hoffnungen zunichte machen könnte. Eine Pandemie jedoch wäre mir beileibe nicht in den Sinn gekommen. War ich blind? Waren wir blind?

Warnzeichen gab es doch mehr als genug. SARS 1, Rinderwahn, Schweinegrippe, Ebola, MERS… Warum haben wir sie nicht gesehen? Nicht sehen wollen?

Nach Ausbruch der Corona-Pandemie sagte der Zukunftsforscher Matthias Horx in einer Fernsehdiskussion, dass diese Pandemie auch eine Chance für die Menschheit sei, allein durch die unabdingbaren Entschleunigungen: so gut wie keine Flugzeuge mehr in der Luft, keine Autos auf den Straßen, Fabriken geschlossen, Arenen, Läden… Könnte das nicht zu einer dauerhaften Abkehr vom weltweiten, angeblich alleinseligmachenden Wachstum führen, einem Killer-Wachstum, das die Welt in die Klima- und in wer weiß noch für Katastrophen führen kann. Satellitenbilder zeigten beispielsweise, dass über dem ‚Corona-China’ erstmals kein Smog mehr zu sehen sei…

Und im April 2020 schrieb Ullrich Fichtner im ‚Spiegel’: ‚Nachhaltigkeit wird das Schlüsselwort der Epoche sein, die mit Corona beginnt. Es wird sehr breit verstanden werden, und es wird angewandt werden auf alle menschliche Aktivität, auch im Privaten… Es wird spannend sein, an dieser neuen Welt mitzutun. Es wird wohltuend sein, falsche Entwicklungen, die sich immer weiterschleppten, fürs Erste zu stoppen. Es wird faszinierend sein zu bezeugen, wie sich ein neues Paradigma entfaltet, wie alte Ideen ableben und neue an Gestaltungskraft gewinnen.’

Seitdem hingegen weltweit Wursteleien, Schönfärbereien, Verdrehungen, Unterstellungen, Schuldzuweisungen, Kleingeisterei, Inkompetenz, Profitgier – von politischen Vereinnahmungen einmal ganz zu schweigen. Und zumindest halbwegs gerechte Lösungsansätze allein zur Bewältigung der materiellen Folgen scheinen weit und breit nicht in Sicht. Könnten ‚Corona-Gewinnler’ nicht zur Kasse gebeten werden?

Und wo bleiben grundsätzliche Diskussionen – im Fernsehen, in Parlamenten, allerorts - über das, was Menschheit als solche definiert, die Zivilisation? Über Werte, über Prioritäten? Über tatsächlich Unverzichtbares? Wo bleiben die zukunftsweisenden Entscheidungen, Beschlüsse, Gesetze?

Keine Frage, weit und breit haben vor allem Wissenschaftler, Ärzte, Pflegepersonal, hilfsbereite, ja, aufopferungsvolle Mitmenschen Hervorragendes, ja Geniales geleistet, um diese Pandemie in den Griff zu bekommen. Respekt, Hochachtung.

Im Sommer 2020 verfasste ich das Büchlein Unerreicht. Abgehakt! – 77 Orte weltweit’ und bekannte im Vorwort: ‚Mittlerweile weilte ich in mehr als 130 Ländern. Von 1973 bis 2018 berichtetet ich in meinen Bänden ‚Ortungen I. V’ darüber. Nun folgen Texte über Orte, die ich nicht (mehr) erreichen will oder kann, Orte von A – Z weltweit, leider.’ Unter ‚N’ beispielsweise schrieb ich:

Nauru

Als junger, chronisch von Geldsorgen geplagter Schriftsteller hatte ich gelesen, dass das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt Nauru sei, exotisch weit entfernt von meinem DDR-Alltag, wohl auch die kleinste Demokratie der Welt und mit einer der höchsten Alphabetisierungsraten. Dort würde man doch sicher gern kaufen und lesen, was ein aufstrebender Autor so schrieb… Längst aber ist die Quelle des Inselreichtums, deren einzige natürliche Ressource: das Phosphat, vollständig abgebaut - und die Diabetesrate der nauruanischen Männer gilt als die höchste weltweit. Vitaminmangel, Fettleibigkeit, Koma-Saufen, Herz- und Nierenversagen Alltag. Und bei Anstieg des Meerwasserspiegels droht zudem der baldige Untergang dieses einstigen Paradieses. Käme ich, alter, desillusionierter Schreiber, denn noch halbwegs gesund und bei Sinnen und rechtzeitig dorthin?

Nun, Anfang 2021, rückblickend auf das erste ‚Corona-Jahr’ kann ich mich jedoch des Gefühls nicht erwehren, dass selbst diese Pandemie – die als solche bald besiegt sein möge – die Welt nicht zur Besinnung bringen wird. Diese Pandemie noch nicht. Doch wie bekannt, stirbt die Hoffnung zuletzt.“

 

Mit Li Wenglian, der als einer der Ersten die Gefährlichkeit dieses neuen Virus erkannt, schon Ende 2019 gewarnt hatte und postum als Whistleblower bezeichnet wurde, hätte ich dies alles gern diskutiert, sehr gern. Als sein Vermächtnis gilt ein Satz, den er zuletzt vom Krankenbett aus postete: „Eine gesunde Gesellschaft sollte mit mehr als einer Stimme sprechen.

 

 

 

Achim von Akermann

* 30.9.1909 als Achim Engelbrecht Gerd von Akermann in Riga, † 8.2.1945 in Schneidemühl, deutschbaltischer Schriftsteller

 

Achim von Akermann wurde als Deutscher in der lettischen Hauptstadt Riga geboren. Im Alter von 33 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband, zwei weitere sollten folgen, bis Achim von Akermann als Sanitätsgefreiter der Wehrmacht im Alter von 35 Jahren wenige Wochen vor Kriegsende fiel.

Als junger Autor gelangte ich zu Sowjetzeiten erstmals in seine Heimatstadt und wurde herb ernüchtert:

Ich bummle durch Seitenstraßen, koste Kwaß vom Faß (nicht übel säuerlich), blicke in Geschäfte, tristes Viertel, dann die Altstadt, erinnert irgendwie an Stralsund oder Rostock. Verwinkelte Gassen, Hauch von Jahrhunderten, lauschige Hinterhöfe, doch überall wird gebaut, nirgendwo kommt man näher heran. Schade. Und auch all die Kirchen sind geschlossen, verriegelt und verrammelt. Dann entlang dem Ufer der Daugava. Hier ein Foto, da ein Foto. Blick von der Aussichtsterrasse des Hotels „Latvija“, 24. Stock, schöne Aussicht. Sengende Hitze. Ich entdecke Sekt, die Flasche für 2,20 Rubel! Also mitnehmen. Weiter durch Markthallen, außen schmutziggelb, innen düster, buntes Gemüseangebot, sogar Südfrüchte, schau an, Weintrauben en masse und Blumen, reichlich Blumen. Nirgendwo aber ein Erfrischungsstand. Auf meinen Lippen bildet sich Schleimschorf. Diese Hitze. Ich lasse mich vom Menschengewimmel durch die bahnhofsartigen Hallen treiben, an all den prallvollen Gemüse-, Backwaren-, Fisch-, Fleisch- und sonstigen Ständen vorbeischieben. Nicht wenige der Anbieter sind Kaukasier oder Asiaten gar, scheinen von weither eingeflogen, um hier Markt zu halten. Entsprechend teuer das alles, obwohl, die große Fülle verblüfft. Mitten im Gewühl eine alte, ehedem wohl sehr hübsche Frau ohne Beine im Rollstuhl, aber was heißt Rollstuhl: ein rostiges Fahrrad mit halbem Lenker für die linke und abenteuerlich hochgelegtem Pedal für die rechte Hand. Behutsam, wehmütig fast kurbelt sie an die Stände heran, muss Grobheiten, muss Flüche einstecken, ihre ganze Haltung jedoch Stolz.

Die meist alten Verkäuferinnen vom anschließenden Gemüse- und Blumenmarkt hocken unter Regenschirmen und Plasthauben zwischen ihren Beere, Kräutern, Äpfeln, Birnen, Salatköpfen, Möhren... Noch ein Stückchen weiter eine Art Trödelmarkt. Viele Zigeuner und wieder alte Frauen, Pullover, Schmuck, Tand feilbietend. Ich kaufe ein paar Kleinigkeiten, Mitbringsel, Geschenke, gebe meine letzten Rubel aus. Blödes Gefühl, mitten in der Fremde völlig mittellos dazustehen, nach-tauschen nicht möglich, Reiseschecks mussten schon daheim erworben werden. Und natürlich überkommt es mich gerade jetzt, ein Bierchen trinken zu gehen, all dieser Klebrigkeit zu entkommen. Doch eh keine Chance, nitschewo, kein Ausschank weit und breit.

Dann der Busbahnhof, awtowoksal. In endlosen Schlangen stehen die Leute nach Fahrkarten an. Seltsames Prozedere bis ich schließlich an der Reihe bin. Irgendwann begreife ich, dass man hier nur so eine Art Platzkarte ersteht und im Bus zu bezahlen hat. Nächste Schwierigkeit - den richtigen Bus erst einmal finden! Kaum setzt sich das klapprige Gefährt jedoch in Bewegung, schlägt plötzlich das Wetter um. Heftiger Regen, Kühle…

Tage später nimmt mich Nadja Nadja Konstantinowna, die Leiterin des Pionierlagers, in dem ich zu Gast bin, in ihre Dienstlimousine (schwerer, schwarzer Wolga) mit nach Riga Nach einer halsbrecherischen Fahrt (sechs Erwachsene plus Fahrer, der seine Fähigkeiten demonstrieren will, oder hat er den Geheimauftrag, mich zu Verschüchtern? - 150 Spitze über Feldwege, überholen wie’s und wo’s grad kommt...) sind wir gegen 10.00 Uhr in Riga. Chaotischer Verkehr - fährt hier jeder wie er denkt? In einem Bazar esse ich Melone, köstlich frisch. Dann in einer Fleischhalle versuche ich zu fotografieren. Sofort stürzt eine Verkäuferin mit weißer Spitzenhaube und fettblauem Lidschatten auf mich zu, schreit Zeter und Mordio. Menschenauflauf. Ich kann mich zum Glück verdrücken.

Mittagessen wird zum Problem. Überall Überfüllung, Schlangen, Schlangen. Kein Bier. Einmal furchtbaren Kaffee. Erst gegen 17.00 Uhr ein Stück Huhn, labberig, Tomaten mit saurer Sahne, Kwaß. Dazu dröhnt aus klobigen Lautsprecherboxen rumorend basslastig Discomusic. Damit einem der Appetit vergeht, oder was? Auffallend viele Frauenpärchen, sich wie Mann und Frau gebärdend, im Restaurant, auf den Straßen...? Auffallend viele Beschriftungen in Finnisch? (Ein lettischer Betreuer erzählt mir später hinter vorgehaltener Hand, dass mit der Helsinki-Fähre Freitag für Freitag Scharen von Finnen einströmten, um sich das Wochenende lang schrecklich zu besaufen.) Die Rückfahrt noch halsbrecherischer. Motto: Augen zu und durch!

Dann eine letzte Exkursion, als Höhepunkt geplant, Ziel: die KZ-Gedenkstätte Salaszpils unweit Rigas. Weitflächige Anlage inmitten eines Kiefernwaldes, überlebensgroße, beeindruckende Figuren auf einer großen Lichtung, eingangs ein langer, rhombischer Quader, Inschrift (übersetzt): „Hinter diesem Tor stöhnt die Erde“. Aus einem nahen Basaltstein klopft es laut und beklemmend: Herzschlag, wird uns erklärt. Auf diesen Strauß legt man die Sträuße, die Kränze, die Blumen. Hunderttausende wurden in Salaszpils von den Nazis umgebracht, auch viele Kinder. Für jeden Tag des Schreckens hieb man eine Kerbe in den Basalt, dann am 12. X. 1944 ein Stern, der Tag der Befreiung hier. Es ist schon ein hilflos machendes Gefühl auf heimischem Boden auf Zeugen dieser Vergangenheit zu treffen, Scham, Schande, wie sehr erst also hier, auf fremden Boden, als Deutscher. Und mir kommt wieder in den Sinn, was ich am liebsten vergessen, verdrängt hätte, mir kommt wieder in den Sinn, in welch ungeheuere Kumpanei man so hineingezogen werden könnte: „Heil Hitler!“ hatte mir in Riga ein alter Lette zugeraunt, als er hörte, dass ich deutsch sprach...

 

 

 

Marek Hłasko

* 14.1.1934 in Warschau, † 14.6.1969 in Wiesbaden, polnischer Schriftsteller

 

„Als Marek Hłasko am 14. Juli 1969 im Alter von fünfunddreißig Jahren seinem Leben in einer Wiesbadener Pension ein Ende setzte, starb ein Mann, der in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre als große Hoffnung der polnischen Literatur gegolten hatte“, schrieb Jutta Janke. „War ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen? Erlag er dem Alkoholismus, von dem ihn sein Förderer Igor Newerly, der im Warschauer Schriftstellerverband den Jugendzirkel leitete, vergebens zu heilen suchte? Der Wahrheit am nächsten wird man wohl mit der Vermutung kommen, daß Hłasko der Rolle des Idols, die er spielte und die er akzeptiert hatte, auf die Dauer nicht gewachsen war. Seine eigentliche Katastrophe ab er begann damit, daß er seine Heimatstadt Warschau verließ, damit verlor er, wie sein weiterer Entwicklungsweg beweist, sein Thema – nur hier konnte er leben und arbeiten.“

Der Literaturkritiker Artur Sandauer sagte: „Seine Helden haben eine ganz persönliche Problematik; in ihnen ist eine Art dunklen, desperaten, verlorenen Lyrismus, der mitunter an Jessenin erinnert. Diese alkoholisiert-kabarettistische Stimmung verbindet sich jedoch unvermutet mit einer sehr kühlen und nüchternen Beobachtung, wie wir sie aus dem amerikanischen Roman kennen. Eine Mischung aus Jessenin und Hemingway – dies macht die unverwechselbare Eigenart Hłaskos aus.“

Und Jarosław Iwaczkewicz meinte: „Hłaskos Wortschatz – oder besser der seiner Helden – ist brutal. Aber das ist nur die eine Seite. Wesentlicher Impuls seines Schaffens ist Hłaskos Liebe zur Reinheit. Deshalb wurde er zum Abgott, zum James Dean unserer Jugend, die sich, durch eine schreckliche Kindheit und die Schwierigkeiten der Entwicklung niedergedrückt, im Grunde genommen nach Reinheit sehnt, nach einer sonnigen Landschaft, unbedroht von Krieg und einer Flut von Lügen.“

Aufschlussreich, wie Marek Hłasko seine Kurzgeschichte „Finis perfectus“ beginnt: Seit langer Zeit schon litt dieser Mann und rieb sich auf. Niemand weiß, ich nicht und er selbst wohl auch nicht, in welcher Nacht er zum erstenmal von eisiger, giftiger Angst geschüttelt wurde; niemand weiß, wann in ihm das Gefühl erwachte, das einem zum Platzen gefüllten Geschwür ähnelte und das sein Leben in einen bedrückenden Kreislauf verwandelt hatte: Abende im Suff, Nächte auf Polizeirevieren, verkaterte Vormittage. Niemand weiß, an welchem Tage die Augen des Mannes zum erstenmal weiß wurden und niemand kennt die Stunde, da aus seinem Herzen jede Hoffnung schwand und dieses Herz zu einem Knäuel verkrampfter Muskeln wurde, das die furchterfüllte Zeit maß…

 

 

 

Theobald Wolfe Tone

* 20.6.1763 in Dublin, † 19.11.1798 ebd., irischer Politiker

 

Wolfe Tones Vorschlag, auf Hawaii eine britische Kolonie zu gründen, stießen beim Premier William Pitt d. J. auf taube Ohren. So gründete der Protestant Wolfe Tone, inspiriert von der französischen Revolution, 1791 die Society of United Irishmen, eine Vereinigung von Protestanten und Katholiken für den Kampf für die Unabhängigkeit seiner Heimatinsel.

Als entdeckt wurde, dass er eine französische Invasion Irlands anstrebte, floh er in die USA, hielt das amerikanische Volk aber für undemokratisch, da es einen „hochfliegenden Aristrokraten“ wie George Washington schätzte. Geldadel hasste Wolfe Tone wohl mehr als Geburtsadel.

Nun reiste er nach Paris und versprach einen großen irischen Aufstand, bat um Unterstützung von Interventionstruppen. Tatsächlich brach dieser Aufstand 1798 los, Napoleon wandte sich jedoch Ägypten zu, kleine französische Landungs-Expeditionen in Irland scheiterten.

Die Briten schlugen den Aufstand nieder, Wolfe Tone wurde gefangengenommen und zum Tod durch Erhängen verurteilt, nahm sich in Haft jedoch mit einem Taschenmesser das Leben.

 

 

 

Zilla Huma Usman

* 16.9.1971, † 20.2.2007 in Gujranwala, pakistanische Politikerin

 

Zilla Huma Usman studierte Politikwissenschaften an der University of the Punjab in Lahore. Im Alter von 31 Jahren wurde sie als Abgeordnete der Muslims League ins pakistanische Parlament gewählt, wirkte dann als Staatssekretärin und ab Ende 2006 als Ministerin für Soziales und widmete sich vor allem der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Nur zwei Monate nach ihrem Amtsantritt wurde Zilla Huma Usman in Gujranwala, wo sie Jahre zuvor einen für Frauen offenen Mini-Marathon organisiert hatte, im Alter von 35 Jahren von einem Islamisten erschossen.

 

 

 

 

 

Patrice Lumumba

* 2.7.1925 als Tasumbu Tawosa in Onalua, † 17.1.1961 bei Élisabethville, Katanga, kongolesischer Politiker

 

Jean-Paul Sartre sagte: „Seit Lumumba tot ist, hört er auf, eine Person zu sein. Er wird zu ganz Afrika.“

Im Zuge der Entkolonialisierung ging Lubumbas „Mouvement National Congolais“ bei den ersten Parlamentswahlen in der langjährigen belgischen Kolonie Kongo als Sieger hervor und Patrice Lumumba wurde erster Ministerpräsident der Republik Kongo.

Bei der Unabhängigkeitsfeier widersprach er dem belgischen König Baudoin, als der die „Errungenschaften und die zivilisatorischen Verdienste“ der Kolonialherrschaft lobte. Lumumba hingegen prangerte die „ erniedrigende Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde“ an: „Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mussten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. […] Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. […] Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, dass das Recht mit dem Stärkeren ist. […] Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebenso wenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.“

Die belgische Regierung sah Lumumba alsbald als eine Gefahr an, da er als Sozialist die reichen Bergbau- und Plantagen-Gesellschaften verstaatlichen wollte. Und als er die abtrünnige Provinz Katanga besuchen wollte, verweigerten dort stationierte belgische Truppen dem Präsidenten-Flugzeug die Landeerlaubnis. Danach bat der Kongo die UN um Hilfe und erklärte Belgien den Krieg.

Die folgenden Ereignisse gingen als „Kongo-Wirren“ in die Geschichte ein, eine Serie von Absetzungen, Entlassungen, Wiedereinsetzungen, Putschen. Schließlich wurde Patrice Lumumba in Léopoldville unter Hausarrest gestellt, blieb aber unter UN-Schutz. Nun fädelte der CIA-Resident im Kongo, offenbar auf direkte Weisung aus dem Weißen Haus, von US-Präsident Eisenhower, die Ermordung Lumumbas ein. Lumumba konnte fliehen, wurde gefasst, sollte vor Gericht gestellt werden, floh jedoch erneut und versuchte bei Getreuen unterzutauchen. Der neue Ministerpräsident Tschombé ließ allerdings bekanntgeben, dass Lubumba von ihm feindlich gesinnten Einwohnern Elisabethvilles ums Leben gebracht worden sei.

Éric Vuillard schreibt in „Ein ehrenhafter Abgang“: „Am 18. August [1960] äußerte sich der Nationale Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten besorgt über die Situation im Kongo. Jetzt kommen die Dallas ins Spiel. Lumumba stellt eine ernsthafte Bedrohing für die amerikanischen Interessen dar; der Direktor der CIA, Allen Dulles, schliesst daraus, dass er ‚mit allen Mitteln’ von der Macht entfernt werden muss.“

Im November 2001, fast vierzig Jahre nach Lumumbas Tod legte eine Untersuchungskommission einen Abschlussbericht vor, nachdem er von katangischen Soldaten unter belgischem Kommando gedemütigt, gefoltert und schließlich erschossen wurde. Um die Tat zu vertuschen wurde Lumumbas Leichnam zerteilt, mit Batteriesäure, die von einem belgischen Bergbauunternehmen zur Verfügung gestellt worden war, übergossen, und letzte Überreste schließlich verbrannt.

Und die Kommission sagte zudem, dass der belgische König Baudouin von den Plänen zur Tötung Lumumbas wusste und dieses Wissen nicht an die Regierung weitergab. Baudouin wird eine Mitschuld an diesem Mord zugeschrieben, da er unter Umgehung der politischen Instanzen seine eigene postkoloniale Politik betrieben habe.

 

 

 

Philipp Mainländer

* 5.10.1841 als Philipp Batz in Offenbach, † 1.4.1876 ebd., deutscher Dichter

 

In seinem Hauptwerk „Die Philosophie der Erlösung“ kam Philipp Mainländer zu dem Schluss, dass dem menschlichen Dasein kein Wert innewohne, dass vielmehr der „von der Erkenntnis, daß Nichtsein besser ist als Sein, entzündete Wille […] das oberste Prinzip aller Moral“ sei. Theodor Lessing nannte Mainländers Werk „das radikalste System des Pessimismus, das die philosophische Literatur kennt.“

Aus dem also entzündeten Willen fließt die Virginität, die Heiligkeit, die Feindesliebe, die Gerechtigkeit, kurz alle Tugend, und die Verwerflichkeit der widernatürlichen Wollust von selbst, denn der bewußte Wille zum Tode schwebt über der Welt. […] so ist Alles in der Welt Wille zum Tode, der im organischen Reich, mehr oder weniger verhüllt, als Wille zum Leben auftritt. Das Leben wird vom reinen Pflanzentrieb, vom Instinkt und schließlich dämonisch und bewußt gewollt, weil auf diese Weise das Ziel des Ganzen, und damit das Ziel jeder Individualität, schneller erreicht wird

1875, im Alter von 34 Jahren erlitt Philipp Mainländer einen geistigen Kollaps, nicht unähnlich dem, der Friedrich Nietzsche Jahre später ereilen sollte, wurde größenwahnsinnig und hielt sich für den „Messias der Sozialdemokratie“. Am 31. März 1876 erhielt er die druckfrischen Belegexemplare der „Die Philosophie der Erlösung“, am 1. April 1876 erhängte sich Philipp Mainländer.

 

 

 

Amadeo Clemente Modigliani

* 12.7.1884 in Livorno, † 24.1.1920 in Saint-Étienne, italienischer Maler und Bildhauer

 

Der Maler Ludwig Meidner sagte: „Unser Modigliani […] war ein charakteristischer und gleichzeitig hoch begabter Vertreter der Bohème vom Montmartre; wahrscheinlich sogar der letzte echte Bohémien.“

Wikipedia weiß: „Das Gesamtwerk Amedeo Modiglianis besteht aus Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen. Das Oevre umfasst etwa 420 Gemälde, von denen nur 14 datiert sind, und etwa 25 Skulpturen. Mit der Ausnahme von wenigen Landschaftsgemälden liegt der Schwerpunkt der Kunst Modiglianis auf der Darstellung des Menschen. Diese kommt in den Porträts, Akten und Skulpturen menschlicher Köpfe beziehungsweise Figuren zum Ausdruck und zeigt ein intaktes Bild des Menschen. Modigliani lässt sich keiner modernen Kunstströmung zuordnen. Seine Werke vereinen expressionistische, kubistische und symbolistische Elemente, zeigen jedoch ebenso einen Rückbezug zur Antike, zur Reniassance und zum Manierismus, die er aus seiner Studienzeit in Italien kannte. Somit entwarf er seinen ganz individuellen Stil.“

Sein berühmtestes Gemälde dürfte der „Liegende Akt“ sein. Zu Lebzeiten hatte er mit seinen Werken aber nur wenig Erfolg. Seine Bilder, Zeichnungen, Skulpturen waren wenig gefragt, da einem persönlichen Stil entsprangen und nicht den großen neuen Strömungen in der Kunst angehörten. Modiglianis Leben in Armut, geprägt durch seine schwächelnde Gesundheit, seinen Alkohol- und Drogenkonsum wie den Verhältnissen zu seinen Modellen  gaben mehrfach Vorlagen für Bücher und Filme.

Amadeo Modigliani starb im Alter von 35 Jahren an Tuberkulose.

 

 

 

Josè Rizal

* 19.6.1861 als José Protacio Mercado Rizal y Alonso Realonda in Calamba City, Luzon, † 30.12.1896 in Manila, philippinischer Schriftsteller und Arzt

 

Im Rizal-Park von Manila, an der Stelle, wo Josè Rizal als philippinischer Revolutionär 1896 erschossen wurden stehe ein Denkmal mit der Inschrift: „Ich möchte denen, die Leuten das Recht nehmen, ihr Land zu lieben, zeigen, dass wir in der Tat wissen, wie man sich für unsere Pflichten und Überzeugungen aufopfert; der Tod zählt nicht, wenn man für jene stirbt, die man liebt – für sein Land und für andere, die einem lieb sind.“

José Rizal studierte in Madrid Medizin, praktizierte als Ophthalmologe, illustrierte in Ulm eine Neuausgabe von „Max und Moritz“ und übersetzte Schillers „Wilhelm Tell“ in die philippinische Landessprache Tagalog. Er verfasste die Bücher „Noli me tangere – Rühr mich nicht an“, in dem er den Machtmissbrauch spanischer Priester und Mönche bis hin zu sexuellem Missbrauch philippinischer Frauen, Landraub und Korruption kritisierte, und „El filibusterismo – Der Aufruhr“, prangert er spanische Kolonialmacht schlechthin an.

Nachdem Josè Rizal 1892 auf die Philippinen zurückgekehrt war, wurde er vor Gericht gestellt und nach Dapitan auf Mindanao verbannt. 1896 gewährte ihm der Gouverneur den Wunsch, fortan zugunsten Spaniens zu agieren und wurde nach Kuba geschickt, um dort als Militärarzt zu dienen. Auf dem Weg brach in seinem Heimatland aber die Revolution aus. Er wurde in Barcelona verhaftet, auf die Philippinen zurückgebracht und wegen Anstiftung zum Aufruhr zum Tode verurteilt, obwohl er mit den Aufstandsführern nicht zusammenwirken wollte.

In seinem letzten Brief, adressiert an seinen Freund Ferdinand Blumentritt, schrieb er: Mein lieber Bruder: Wenn du diesen Brief erhalten hast, bin ich schon todt. Morgen um 7. Uhr werde ich erschossen werden, bin aber unschuldig des Verbrechens der Rebellion. – Ich sterbe gewissensruhig.

José Rizals Todestag wird auf den Philippinen als ein Nationalfeiertag begangen.

 

 

 

Bon Scott

* 9.7.1946 als Ronald Belford Scott in Forfar, Schottland, † 19.2.1980 in London, australischer Rocksänger

 

Die Stimme von „Highway to hell“ gehörte Bon Scott, dessen Spitznamen von „Bonnie Scotland“ herrührte - „prächtiges Schottland“. Tatsächlich hatte Bon, nachdem seine Familie von Schottland nach Australien ausgewandert war, Heimisches zu bewahren versucht, indem er Dudelsack-Kurse belegte. Dann versuchte er sich in Rockbands als Drummer, und mit AC/DC spielte er schließlich Welthits wie „T.N.T.“ oder „Whole Lotta Rosie“ ein.

Bei der Arbeit an einem neuen AC-DC-Album in London ging er eines eisigen Februarabends mit einem alten schottischen Freund auf Sauftour. Sein Freund fuhr ihn danach zu dessen Londoner Apartment, dabei schlief Bon auf dem Rücksitz ein und war beim besten Willen nicht munter zu schütteln. So ließ ihn sein Freund über Nacht im Auto hocken - und am nächsten Morgen war Bon Scott tot, erfroren wohl. Offiziell wurde als Todesursache „Alkoholvergiftung“ bzw. „Unfall“ angegeben.

Highway to hell.

 

 

 

Olena Iwaniwna Teliha

* 21.7.1906 in Dmitrow, † 21.2.1942 in Babyn Jar, ukrainische Dichterin

 

Fahrt nach Babyn Jar, zu der Schlucht, wo deutsche Besatzer Ende September 1941, kaum, dass sie die Stadt erobert hatten, in 36 Stunden mehr als 33.000 Juden erschossen, Frauen, Greise, Kinder…, das größte Einzelverbrechen des Zweiten Weltkriegs.

Nach allem, was ich bislang darüber las oder sah, hatte ich Babyn Jar weit außerhalb Kiews verortet. Umso erstaunter bin ich, dass dieser Ort des Grauens im Stadtgebiet liegt, inmitten Neubausiedlungen, Metro anbei.

Zufällig erlebe ich eine Kranzniederlegung am Babyn-Jar-Monument, Kriegsveteranen offenbar. Armeekapelle, Ehrengarde und sonstiges Drum und Dran. Doch irgendwie geht mir das Ganze verdammt nahe. Ja, zuweilen schäme ich mich hier schlichtweg, Deutscher zu sein.

Jewgenij Jewtuschenko schrieb in seinem berühmten Gedicht über Babyn Jar:

Mir ist angst.

Ich bin alt heute,

so alt wie das jüdische Volk.

Ich glaube, ich bin jetzt

ein Jude…

Und in Babyn Jar ermordeten Deutsche auch weiter Menschen, immer weiter, so auch Olena Teliha, die sich als Herausgeberin einer ukrainischen Wochenzeitung geweigert hatte, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten. In einem Gedicht hatte sie geschrieben:

Du wirst meine Tränen

nicht mitnehmen –

sie werden für später aufbewahrt.

Aber ich gebe dir für den Kampf

meinen Kuss,

ein durchdringendes Schwert…

Ja, ich deinen Namen gelesen, mit belegter Stimme, dort auf einem Gedenk-Kreuz in Babyn Jar: Olena Iwaniwna Taliha.

 

 

 

Gottlieb Schick

* 15.8.1776 in Stuttgart, † 11.4.1812 ebd., deutscher Maler

 

Gottlieb Schick, seinerzeit ein international anerkannter Künstler, schrieb in einem Brief: „Das Malen wird immer meine größte Freude sein, aber wenn ich die Malerei liebe, muß ich nicht notwendig ihre Mutter, ihr Urbild, die Natur lieben? Ich glaube, daß der ein schlechter Maler ist, der die Natur nur in seiner Werkstatt sieht. Das sitzende Modell ist nur halb die Natur, das Leben ist halb aus ihm geflohen, in Bewegung ist allein das Leben, und diesen Moment der Bewegung muß der Maler festhalten. Auf Spaziergängen, in Schauspielen, in Wirtshäusern, kann ich Formen und Charaktere studieren, kein Plätzchen in der Welt ist, das mich vom Studium der Malerei entfernen könnte, wenn sie recht meiner Seele eingepflanzt ist.“

Der Philosoph Ernst Platner sagte nach Schicks Tod: „Das, was er hervorbrachte, war wahrhaft und lebendig in seinem Gemüte empfunden, und deswegen ist es gänzlich frei von aller Nachahmung. Seine Werke zeigen allerdings Ähnlichkeit mit den Werken der großen Meister der italienischen Kunst des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, und ein vertrauter Umgang mit denselben hat ohnstreitig bedeutenden Einfluß auf seine Bildung gehabt. Aber sie haben nur dazu gedient, dasjenige, was in ihm selbst lag, zu erwecken und auszubilden, und er hat ihren Geist auf eine eigentümliche, nur ihm selbst angehörige Weise wieder hervorgerufen.“

Und Wilhelm von Humboldt urteilte: „Thorvaldsen als Bildhauer, Schick als Geschichtsmaler und Reinhart als Landschaftsmaler bleiben unstreitig die ersten unter den Nordländern.“

 

 

 

Takarai Kukaku

* 11.8.1661 als Enomoto Tadanori in Kakata, Pseudonyme: Shinshi, Hōshinsai, Shōsen, Rasha und Kyōraidō, † 1.4.1707, japanischer Dichter

 

Als Fünfzehnjähriger wurde Takarai Kikaku von Matsuo Bashō in die Kunst der Haiku-Dichtung eingeführt, zudem studierte er chinesischer Literatur, Medizin und Kalligrafie und Malerei.

Er dichtete:

Seit ich fünfzehn war,

habe ich Alkohol getrunken.

Heute ist Mond.

Oder:

Auch bei viel Sake

Passe ich das

meinen Bewegungen an.

In der Haiku-Sammlung „Hanami-guruna“ ist über ihn allerdings zu lesen: „dass er zuviel Sake getrunken hatte, als Danjūrō auftrat, und er dann nackt herumlief.“

Der Literaturwissenschaftler Kotani Yukio urteile: Takarai Kikaku „war ein Trinker und Improvisator mit großzügigem, heiterem Naturell und doch begabt mit Scharfblick und Tiefsinn.“

 

 

 

 

Gorch Fock

* 22.8.1880 als Johann Wilhelm Kinau in Finkenwerder, † 31.5.1916 im Skagerrak, deutscher Schriftsteller

 

Johann Wilhelm Kinau, der sich auch Jakob Holst und Giorgio Focco und Gorch Fock nannte, wurde bei seiner ersten Schiffsfahrt so seekrank, dass er Buchhalter wurde, zuletzt immerhin bei der Hamburg-Amerika-Linie. Und er begann zu schreiben, auf Plattdeutsch zumeist. Bekannt wurde er durch seinen Roman „Seefahrt ist not!“. Im Ersten Weltkrieg ließ er sich vom Heer zur Marine versetzen, war Ausguck auf dem vorderen Mast des Kleinen Kreuzers SMS Wiesbaden und ging mit dem in der Skagerrak-Seeschlacht unter.

Ein Gedenkstein wurde ihm gesetzt, ein Park, zwei Gedenkhäuser. drei Schiffe und mehr als hundert Straßen wurden nach ihm benannt, Bücher über ihn geschrieben, Hörspiele, Filme.

Auf dem Weg von Frederikshavn nach Fredriksstad schipperte ich hundert Jahre nach seinem Tod friedlich durchs Skagerrak, doch irgendwie war mit nicht wohl dabei.

 

 

 

Alykul Osmonow

* 21.3.1915 in Kaptal-Aryk, † 12.12.1950, kirgisisischer Dichter

 

In Frunse, das nunmehr Bischkek heißt, studierte Alykul Osmonow an der pädagogischen Hochschule und begann zu schreiben. „Kysyl Schük“ hieß sein erstes Gedicht. Mit dem Gedicht „Tschapajew“ wurde er landesweit bekannt, und nachgerade berühmt wurde er durch seine Übertragung von Schota Rustawelis „Recke im Tigerfell“ ins Kirgisische. Alykul Osmonow verfasste fleißig weiter Gedichtbände, Theaterstücke und Romane, seine Memoiren verbrannte er jedoch, da ein Lektor darin Volksverhetzung entdeckt haben wollte. Im Alter von 35 Jahren verstarb Alykul Osmonow an Tuberkulose. Keine Frage, ich wäre ihm gern begegnet, als ich einst in sein Heimatland gelangte:

Flug nach Frunse, der Hauptstadt Kirgisiens. Schöner Flug bei phantastischer Sicht. Tiefverschneite Gebirgsketten ziehen unter uns weg, dann rotbraune, schwarz­braune Steppen. Zwischenlandung in Leninabad. Hier kurvt das Bodenpersonal mit Fahrrädern übers Rollfeld, ein Techniker lehnt sein Fahrrad einfach an die Gangway unserer altersschwachen TU-134.

Halb eins im Hotel. Erstmals auf dieser Reise kein Neubau, sondern ein Altbauklotz, Kasernenstil. Der uniformierte Pförtner und sogar die Deschurnaja haben ein weißes Tuch vor Mund und Nase gebunden. Wirkt sehr befremdlich. Das Zimmer ist hoch wie ein Hinterhofschacht und vom Sockel bis zur Decke mit giftgrüner Ölfarbe gestrichen. Auch nicht eben anheimelnd. Die Stadt selbst kommt mir als ein unglaublich nichtssagender Ort vor, endlose, schnurgerade Straßen, halbverfallene Neu- und überdimensionierte Prunkbauten für Partei- und Staatsführung. Man brüstet sich, den größten Lenin-Platz der ganzen Sowjetunion zu haben. Na, bitte.

Die Menschen hier wirken sehr in sich gekehrt, sind wenig kontaktfreudig. Jemand erklärt, dass die Kirgisen noch vor zwei, drei Generationen Nomaden gewesen seien. Selbst auf Fragen bekommt man hier, wenn überhaupt, bestenfalls eine knapp genuschelte Antwort. Und jeder blickt stets stur an dir vorbei. Unglaublich, dass Aitmatow, einer der mir derzeit wichtigsten Autoren überhaupt, Kirgise ist. Und Osmonow…

Kaltes, trübes Wetter. Unsere Dolmetscherin ist von ausgesprochener asiatischer Freundlichkeit. Sie sagt: „Ich hören man sagt in Deutschland, wenn reisen Engel, dann schönes Wetter, ja. Sie also keine Engel, nicht wahr?“

Wir fahren mit einem klapprigen Bus in die Ala-Artscha-Schlucht (Wacholderschlucht). Schneegestöber. Die Dolmetscherin erzählt, wenn man sich im Fluß Ala-Artscha wasche, würde man zehn Jahre jünger. Wie meint sie denn das nun schon wieder?

Rastplatz in 2200 Meter Höhe. Dichter Nebel. Wir steigen über Felspfade weiter auf, vielleicht bis 2600, 2700 Meter. Meingott, so hoch war ich noch nie! Und die Luft wird klar, Sonne und phantastische Aussicht! Gletscher, Täler, Gipfel. Ein seltsames Rauschen wie von einem nahen Wasserfall. Drosselartige, rostrote Vögel umschwirren mich. Wie in einer anderen Welt.

Auf der Rückfahrt glauben wir am Wegesrand einen mohammedanischen Friedhof ausgemacht zu haben. Die Dolmetscherin ignoriert jedoch unsere Anfragen, berichtet stattdessen, dass es in Frunse neben einem russischen auch ein kirgisisches Theater gäbe. Das kirgisische Nationalepos „Manas“ sei, da die Kirgisen bis vor wenigen Jahrzehnten noch keine eigene Schriftsprache hatten, von Generation zu Generation als Steigreifspiel überliefert, mündlich also, begleitet von Gestik und Mimik.

In Frunse wird das Schneetreiben immer dichter. Die Stadt schneit ein. Auf den Straßen gleichgültig starrende Leute. Ein Volk, das vor sich hinzudämmern scheint. Nur vorm einzigen Schnapsladen der Stadt, prügeln sich heute, am Tag der Sowjetarmee, hohe Offiziere mit zwielichtigen Gestalten um die Wodka-Ration.

 

 

 

Jaco Pastorius

* 1.12.1951 als John Francis Anthony Pastorius III. in Norristown, Pennsylvania, † 21.9.1987 in Fort Lauderdale, amerikanischer Rock- und Jazz-Bassist

 

 

Als Weather Report einen neuen Bassisten suchte, stellte sich Jaco Pastorius auf einer Probe so vor: My name is John Francis Pastorius III, and I'm the greatest electric bass player in the world.

Selbstredend war Joe Zawinul, der Band-Leader skeptisch, sagte allerdings alsbald: „Jede Band braucht eine Antriebskraft, einen Motor. Und in dieser Band war Jaco der Motor. [,,,] In ‚A Remark You Made‘ lässt der besondere Ton des Basses die Melodie singen. Ich bin ein Komponist, der mit dem Klangbild arbeitet. … Als ich Jacos Klang hörte, fing ich an, ein Lied, basierend auf ihm und dem Saxophon und meinem kleinen Jive zu schreiben. … Niemand hatte einen besseren, saubereren Klang.“

Der Weather-Report-Drummer Peter Erskine urteilte: „Jaco Pastorius war sicher der hellste Stern am Himmel der Musikerpersönlichkeiten, die ich getroffen habe, ob am Bass oder an anderen Instrumenten. Er sorgte dafür, dass unser Zusammenspiel immer eine angenehme Herausforderung war. Er war ein guter Freund. Und sein angeborenes Gefühl für Time, genau wie seine rhythmischen Fähigkeiten, waren so klar und artikuliert, wie man es sich nur vorstellen kann. Die Tatsache, dass Jaco früher als Schlagzeuger angefangen hatte und ein eifriger wie kluger Zuhörer war, verlieh ihm ein Rhythmusverständnis, das nur wenige Bassisten jemals haben werden. Jaco zählte Frank Sinatra genau wie Bernard Purdie zu seinen Einflüssen; Johann Sebastian Bach und Igor Strawinski waren für seine Ausbildung genauso wichtig wie die Bassisten Jerry Jemmott, Chuck Rainey, Ron Carter und James Jamerson. […] Er konnte brettharte Rhythmen spielen oder den Bass lyrisch singen lassen. Wie er Sechzehntelnoten spielte, war unvergleichlich. … Sein karibischer Rhythmus auf dem Bass bestand aus Drum Patterns für die Conga, die er auf den Bass übertrug, durchsetzt von poetischen Melodielinien, die auf rätselhafte Weise nie den Groove unterbrachen.“

Der exzentrische Red-Hot-Chili-Pepper-Bassist Flea lobte: „Alles änderte sich mit ihm. Er zerfetzte, was vorher gewesen war. Er hat einfach die Regeln dessen verändert, was auf dem Bass möglich ist.“

Jerry Jemmott meinte: „Das waren keine einfachen Töne. Sie hatten Gefühl, sie hatten Bedeutung, und sie hatten Charakter. So was kann man nicht lernen – Jaco konnte einfach das spielen, was er im Herzen hatte.“

Und Sting erklärte: „Wir stehen alle auf Jacos Schultern. Keiner kann ohne diesen Teil der DNA existieren. Wir brauchten Jaco, um dorthin zu kommen, wo wir heute stehen.“

Jaco Pastorius spielte auch mit Blood, Swear & Tears, Al Di Meola, Herbie Hancock, John McLaughlin, Pat Metheney, Joni Mitchell, Paul Bley, John Scofield, Mike Stern und den Supremes. Er trat als Solist auf und leitete eigene Bands.

Bei einer Tournee durch Japan malte er sich jedoch plötzlich sein Gesicht schwarz an und warf seinen Bass in die Bucht von Hiroshima. Bei einer Party stürzte er vom Balkon und brach sich den Arm. Schließlich diagnostizierte man bei ihm eine bipolare Störung.

Jaco […] wollte aber ohne Medikamente auskommen. In seinen hellen Phasen konnte er begeistern, doch die dunklen Phasen wurden häufiger und, verstärkt durch Alkohol und Kokain, auch intensiver“, berichtete Joe Zawinul.

Nun ging es mit Jaco rapide bergab, er verlor nach und nach alle sozialen Kontakte und wurde sogar obdachlos. Und als er am 12. September 1987 um 4.20 Uhr schwer betrunken in den „Midnight Bottle Club“ in Wilton Manors wollte, kam es zu einer Schlägerei mit dem Türsteher. Jaco knallte dabei so unglücklich mit dem Hinterkopf auf den Betonboden, dass er ins Koma fiel und neun Tage darauf starb, fünfunddreißig Jahre alt.

Der Musikkritiker Thom Jurek schrieb über Jaco Pastorius: „Er war eindeutig die Messlatte – musikalisch, technisch und emotional – und ist es wahrscheinlich immer noch.“

Ja, Jaco war wohl der größte Elektro-Bass-Spieler der Welt.

 

 

 

Stephen „Stevie“ Ray Vaughan

* 3.10.1954 in Dallas, † 27.8.1990 in East Troy, Wisconsin, amerikanischer Bluesrock-Gitarrist

 

Im Juli 1990 hatte Stevie Ray Vaughan seine Lieblingsgitarre „Number One“, eine alte Fender Stratocaster, die durch ein herabstürzendes Bühnenteil beschädigt worden war, noch gründlich instandsetzen lassen.

Ende August 1990 bestieg er nach einem gemeinsamen Konzert mit Eric Clapton, Robert Cray und Buddy Guy einen Hubschrauber, um rasch zum nächsten Auftritt nach Chicago zu kommen. Nur wenige Minuten nach dem Start stürzte dieser Hubschrauber bei schlechtem Wetter in hügeligem Gelände ab. Mit Steve Ray Vaughan kamen drei Crewmitglieder Claptons und der Pilot ums Leben.

Auf der Liste der „Besten Gitarristen aller Zeiten“ des Musikmagazins „Rolling Stone“ rangiert Stevie Ray Vaughan auf Platz 12. Sein Heimatstaat Texas erklärte im Jahr nach seinem Tod den 3. Oktober zum „Stevie Ray Vaughan Day".

 

 

 

Sonja Lerch

* 15.5.1882 als Sarah Sonja Rabinowitz in Warschau, † 29.3.1918 in München-Stadelheim, deutsche Pazifistin

 

Im Alter von 17 Jahren bestand Sonja Rabinowitz die Lehrerrinnenprüfung, studierte in Wien und Bern, und unterrichtete dann in Warschau und Odessa, wo sie als 1907 als Mitglied des Arbeiter- und Deputiertenrates verhaftet und inhaftiert wurde. Ihr gelang die Flucht über Konstantinopel nach Wien, in Frankfurt am Main engagierte sie sich für die SPD. Schließlich studierte sie in Gießen und Zürich Nationalökonomie und promovierte über das Thema „Zur Entwicklung der Arbeiterbewegung in Russland bis zur großen Revolution von 1905“.

Mit dreißig heiratete sie und gab in Berlin Privatunterricht in slawischen Sprachen. Im Jahr darauf habilitierte sich Sonja Lerch an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und wirkte hier als Privatdozentin.

1918 gründete sie in München die USPD mit, organisierte mit Kurt Eisner und anderen einen Streik von Munitionsfabrikarbeitern zur Durchsetzung des allgemeinen Friedens und wurde wegen Landesverrats verhaftet.

Am 29. März 1918 wurde Sonja Lerch im Gefängnis München-Stadelheim erhängt aufgefunden.

Ernst Toller schrieb über ihr Schicksal in seinem Drama „Masse Mensch“ und in seiner Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland“.

 

  

 

 

Wolfgang Amadeus Mozart

* 27.1.1756 in Salzburg, getauft als Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilius Mozart, † 5.12.1791 in Wien, österreichischer Komponist

 

"Mon très cher père!

Diesen Augenblick höre ich eine Nachricht, die mich sehr niederschlägt. Nun höre ich aber, dass sie wirklich krank seien! Wie sehnlich ich einer tröstenden Nachricht von Ihnen selbst entgegensehe, brauche ich Ihnen doch wohl nicht zu sagen; und ich hoffe es auch gewiss - obwohl ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, mir immer in allen Dingen das Schlimmste vorzustellen - da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes!", schrieb Wolfgang Amadeus Mozart am 4. April 1787 in einem Brief an seinen Vater.

Viereinhalb Jahre später war er tot, Wolfgang Amadeus Mozart, fünfunddreißigjährig, einer der größten Geister der Weltgeschichte, hochverschuldet, verarmt.

Seine letzte Komposition war ein Requiem (KV 626), darin das unsterbliche „Lacriomsa“. Auf einem Platten-Cover war zu lesen: „Noch am Tage vor seinem Tode ging er mit einigen ihm nahestehenden Musikern die Partitur durch: mitten im ‚Lacrimosa’ soll er zu weinen begonnen und die Noten beiseite gelegt zu haben. Am darauffolgenden Tag starb er, ohne das Requiem vollendet zu haben.“

Text „Lacrimosa“: „Tränenvoll der Tag / an dem aus der Asche / ein schuldiger Mann aufsteigen soll, um verurteilt zu werden. / Erbarme dich über ihn, Herr: / Sanfter Herr Jesus, / gewährt ihnen ewige Ruhe. / Amen.“

Doch hatte Mozart sein Requiem nicht längst vollendet? - : „…da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes!“

Amen, mon très cher génie!

 

 

Werner Schwab

* 4.2.1958 in Graz, † 1.1.1994 ebd., österreichischer Schriftsteller und Dramatiker

 

Werner Schwab besuchte die Kunstgewerbeschule in Graz und die Bildhauerschule der Wiener Akademie der bildenden Künste. Im Alter von 34 Jahren begann er zu schreiben. Sieben Jahre später gründete er die Künstlervereinigung „Intro Graz Spectrum“ mit und inszenierte hier sein Stück „Das Leblose ist das Leblose und die Musik“. „Präsidentinnen“ und Übergewicht, unwichtig: Uniform“ wurden in Wien, „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ in München aufgeführt, weitere Uraufführungen folgten in Stuttgart und Graz. Die Fachzeitschrift „Theater heute“ wählte ihn 1991 zum „Dramatiker des Jahres“ und er wurde rasch zu einem der meistgespielten Dramatiker deutscher Sprache. Er verfasste 16 Theaterstücke, von denen sieben erst postum zur Aufführung kamen, zudem schrieb er Prosa wie „Der Dreck und das Gute. Das Gute und der Deck“ oder „Abfall, Bergland, Cäsar“.

Werner Schwab starb im Alter von 35 Jahren an einer Atemlähmung infolge einer Alkoholvergiftung.

 

 

 

 

Nick Alexander

* 1979, † 13.11.2015 in Paris, britisches Bandmitglied

 

Am Abend des 13. November 2015 stürmten Dschihadisten bei einem Konzert der Band „Eagles of Death Metal“ den Pariser Club „Betaclan“, schossen mit Maschinenpistolen wild um sich, warfen Handgranaten in die Menge, ermordeten 89 Menschen.

Der sechsunddreißigjährige Brite Nick Alexander verkaufte als Crew-Mitglied der Band Merchandise-Artikel und wurde so zu einem der Opfer.

 

 

 

At-Tāhir al-Hāddad

* 4.12.1899 in Tunis, † 7.12.1935, tunesischer Frauenrechtler

 

In seinem im Jahr 1930 erschienenem Buch „Our Women in the Shari’a and Society“ setzte sich At-Tāhir al-Hāddad vehement für Frauenrechte ein, forderte die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, eine gleichberechtigte Schulbildung und ein gleichberechtigtes Eigentums- und Erbrecht samt zivilem Scheidungsrecht für Frauen. Polygamie und Zwangsehen lehnte er ebenso ab wie die Ganzkörperverschleierungen, da es dafür keine Vorschriften im Koran gäbe. Keine Frage, dass er heftig angefeindet und letztlich zur Abschlussprüfung seines Jura-Studiums nicht zugelassen wurde. At-Tāhir al-Hāddad starb kurz nach seinem 36. Geburtstag an Tuberkulose.

Ein tunesischer Moslem setzte sich bereits vor fast 100 Jahren für Frauenrechte ein, das klingt unglaublich, ist aber zweifellos wahr.

Und wahrhaft fühlte ich mich, als ich Ende 2018 eingeladen war, an einem tunesischen Literaturfestival teilzunehmen, in eine Vergangenheit zurückversetzt:

Das letzte Mal war ich vor Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien, der ja hierzulande seinen Anfang nahm: die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi im Dezember 2010 in Sidi Bouzid. Nun holt mich mein alter Freund Salah im Flughafen Tunis ab. Wie damals, als wir gemeinsam im Auto nach Touzeur gefahren waren, denke ich, dass wir wiederum in einen Mietwagen steigen, um in die Wüste zu kommen, und ich in Sidi Bouzid um einen Stopp beten kann oder Salah von sich aus einen Stopp einlegt. Doch Überraschung: wir fliegen!

Und das dauert! Obwohl Salah für sich und mich gültige Tickets hat, Abflugzeit: 15.30 Uhr, werden wir erstmal am Inlands- Check-In abgewiesen. 15.30 Uhr fliegt heute ein Flieger nach Djerba. Wir sollen später wieder vorbeikommen. Wann – später? Schulterzucken, so sehr Salah auch aufgebracht mit den Tickets herumfuchtelt. Doch geht es offenbar nicht nur uns so, mit diesem Flieger wollten weitere Schriftsteller zum Literaturfestival Tozeur gelangen. Schon gesellt sich der italienische Teilnehmer zu uns, dann der ägyptische, dann eine Libanesin, eine Syrerin, zwei Jordanier, ein Mauretanier. So vergeht die Zeit wenigstens in einem Smaltalk Arabisch-Französisch- Italienisch-Englisch. Und schon tief in der Dunkelheit landen wir schließlich tatsächlich in Tozeur, finden sogar noch ein offenes Restaurant. Hier gibt’s Bier aus Kaffeetassen und Couscous mit Dromedarfleisch. Wohl bekomms.

Und auch das Hotel ist von der schlichten Art: Kein Tisch, kein Stuhl im Zimmer, Fernseher funktioniert nicht, Kühlschrank ebenso (mangels Steckdose). Und in meinem Drei-Bett-Zimmer stehen zwar drei Betten, doch gib es nicht ein Zudeck, nicht eine Decke. Gut, die lange Fußmatte könnte ich nutzen… Dennoch schlafe ich so gut, wie im Hetzkampagnen-Deutschland schon lange nicht mehr.

Ich versuche von Salah zu erfahren, was sich seit dem Arabischen Frühling verändert habe in Tunesien. Zuvor war er der Generalsekretär, nun ist er Präsident des Tunesischen Schriftstellerverbandes. Das weiß ich schon. Aber sonst? Er lächelt salomonisch. Und als ich ihm erzähle, dass ich bei der Einreise-Passkontrolle endlos befragt wurde, welchen Beruf ich habe und nachdem ich writer angegebenen hatte, die Passkontrolleurin wieder und wieder wissen wollte, für welche newspaper ich schriebe, und ich wieder und wieder sagte: „No, I’m not a journalist“, sie dennoch weiter bohrte welche newspaper es denn sei. Und erst als mir in den Sinn kam zu sagen: „I’m a poet – I write about love!“, schaltete sie plötzlich von verbissen auf freundlich um und stempelte ruckzuck meinen Pass. Als ich dies also Salah erzählte, sagte er nur: Pass auf, was du sagst! Aja.

Kutschfahrt durch die Oase von Tozeur, eine der größten, wenn nicht gar die größte der Sahara wohl. Vor acht Jahren wurde mir dies schon mal geboten. Und eine Neuerung bemerke ich: um einige der Dattelpalmen ist Erde angehäufelt, zwei mal vier im Quadrat etwa. Die Binnenfläche fein von Plastik- und sonstigem Müll gesäubert. Das seien neue Pachtgärten, erklärt der Kutscher. Bald werden hier Tomaten oder Paprika wachsen.

Am Nachmittag weiß ich noch immer nicht, was mich beim Festival erwartet und was von mir erwartet wird. Kein Plan, keine Erläuterungen. Immerhin wird nun in ein anderes Hotel umgezogen. Aus meinem Drei- wird ein Zweibettzimmer – und die Betten haben sogar ein Zudeck! Als ich das Fenster öffne, höre ich im Hotelgarten einen Kuckuck rufen. Der war mir also vorausgeflogen. Hallo!

In diesem Hotel gibt es allerdings wieder andere Probleme: Geld tauschen kann ich frühestens nächsten Morgen. In der Bar gibt’s aber nur was gegen cash, nein, aufs Zimmer schreiben ist unmöglich! Und dann sehe ich Kakerlaken durchs Zimmer huschen. Und was für welche! Beim besten Willen, kann ich mich nicht erinnern solche Tierchen hierzulande früher schon mal in Hotels gesehen zu haben.

Und auf einmal – es ist längst dunkel und der Muezzin hat längst gerufen, läutet das Telefon und Salah sagt: Komm, wir gehen in ein anderes Hotel. Hm – ich habe doch nicht gemeckert, nicht eine Silbe…? Kann man hier jetzt meine Gedanken lesen?

Also denn nun das dritte Hotel in 24 Stunden, das scheint einen Stern mehr zu haben, immerhin. Doch zum dritten Mal endlose Eincheckformulare ausfüllen, Koffergeld geben… das kommt langsam Entwicklungshilfe nahe. Weiter keinerlei Informationen über das Festival jedoch. Na denn, gute Nacht.

Am nächsten Morgen höre ich beim Frühstück, dass es wohl nach dem Frühstück so etwas wie eine Eröffnung des Festivals gäbe. Und tatsächlich sehe ich gegen halb zehn dann einige beschlipste Herren durch den Hotelgarten zu einem Nebengebäude schlendern. Und – voila! – über dessen Tür hängt plötzlich ein Transparent: Welcome to the Tozeur International Festival of Poetry!

Der Saal ähnelt einem Zeltinneren und füllt sich nach und nach. Eine Stunde lang sind alle Leute hier – Kollegen? – damit beschäftigt Selfies von sich im Saal und mit dem einen oder anderen Anwesenden zu machen. Ist das die Begrüßungszeremonie? Dann marschieren ganz wichtige Schlipsträger ein, Salah natürlich dabei, das Gebrabbel, Gemurmel verebbt. Und schon scheppert die Nationalhymne aus den Saallautsprechern. Alles springt auf, singt mit, klatscht am Ende. Und nun kommen die Reden, ausschließlich auf Arabisch natürlich beim Internationalen Festival. Dann Ballett, Lautsprecher auf maximale Verzerrung, dann Propagandalyrik der palästinensischen Delegation, sogar eine Zehnjährige in PLO-Kampfuniform skandiert… Die kurdische Delegation in Peschmerga-Tracht flötet und trommelt und singt, und die Palästinenser animieren zum Mitklatschen. Und dann Freudentrillern die Frauen… Der Delegierte aus Nigeria in schönster Boubou-Tracht schläft. Und schon ist Mittag.

Ein Programm habe ich jedoch noch immer nicht, habe keine Ahnung, wie’s weitergeht, muss also irgendwie auf „Sichtkontakt“ bleiben. Um 3 bewegt sich was, um 4 beginnt schließlich im Saalzelt ein Podiums-Palaver. Rasch leert sich der Saal. Man sieht sich beim Lunch.

Nächster Tag: The same procedere as every day? No! Als ich das Festzelt betreten will, hängt über dem Eingang ein anderes Plakat, Staatsflagge mit Fotos martialisch dreinblickender Helden. Und die security beäugt mich misstrauisch. Nach einiger Suche finde ich heraus, dass das Festival heute in einem Saal im Hotel tagt. Ach, wenn es doch so etwas wie einen Plan gäbe… Oder wird der nur mir vorenthalten? Ansonsten: Yes, the same procedere

Dann ein Hoffnungsschimmer: Um diesem Langeweilestress zu entkommen, hatte ich Salah gebeten, ob es nicht vielleicht möglich sei, mir den nahen Chott el Jerid zu zeigen, einen riesigen, periodischen Binnensee, der im Winter Wasser führt. Eine Attraktion offenbar. Und nach einer Weile verkündete mir Salah, dass dies eine gute Idee sei, am Nachmittag nun sogar alle Festivalteilnehmer zum Chott el Jerid fahren würden.

Tatsächlich finden sich am Nachmittag (eine Stunde später als nach Nachfragen herausgefunden) an Kleinbussen Teilnehmer ein. Und es regnet! Doch zum Chott geht es nicht. Nein, da sei kein Wasser drin. Dafür soll gezeigt werden, wo vor Jahrzehnten eine Folge von Star Wars gedreht wurde. Wow! Mos Espa heißt dieses Fantasie-Dorf mitten in der Wüste. Pappmaché, Touristenfang, Kamelreiten, Fenek Fotografieren etc.pp.

Zurück über Nefta, ein Wüstenstädtchen nahe der algerischen Grenze. Und ohrwurmgleich nistet sich mir ein alter Song von Aphrodites Child ein (den ich einst spielte): You shall come to me to the end of the world…

Rückflug nach Tunis. Und the same procedere… mit einem absoluten Höhepunkt aber: 14.00 Uhr sollten wir im Hotel abgeholt werden, 14.30 Uhr kam das Auto – und 14.50 Uhr waren wir schon wieder zurück im Hotel. Der Flug war stillschweigend von 16.00 Uhr auf 23.00 Uhr verschoben wurden. Tatsächlich fliegen wir dann um 1.30 Uhr… Morgens um halb vier im Hotel in Tunis. Erledigt

 

 

 

Thomas Müntzer

* um 1489 in Stolberg, † 27.5.1525 bei Mühlhausen, deutscher Reformator und Revolutionär

 

„Mal angenommen, Müntzer ist verrückt. Sektiererisch. Ja. Messianisch. Ja. Intolerant. Ja. Verbittert. Vielleicht. Einsam. In gewisser Weise. Und hier, was er schreibt: ‚Nimm wahr, ich hab meine Worte in deinen Mund gesetzt, ich hab dich heute über die Leute und über Reiche gesetzt, auf daß du auswurzlest, zerbrechest und verwüstets und bauest und pflanzest.’ Und weiter: „Sie mögen streiten! Der Sieg ist wunderlich zum Untergang der starken, gottlosen Tyrannen.’ Schließlich dann: ‚Liebe Brüder, laßt euer Warten und Zaudern, es ist Zeit, der Sommer ist vor der Tür. Wollet nicht Freundschaft halten mit den Gottlosen, sie hindern, daß das Wort nicht wirke in voller Kraft. Schmeichelt nicht euren Fürsten, sonst werdet ihr selbst mit ihnen verderben. Ihr zarten Schriftgelehrten, seid nicht unwillig, ich kann es nicht anders machen.“ Und wir, was könnten wir nicht anders machen?“ schrieb Érich Vuillard in „Der Krieg der Armen“.

Der Germanist Siegfried Streller sagte in einem Geleitwort zu einer Ausgabe von Texten Thomas Müntzers: „Müntzers Anschauungen erwachsen aus den Bedingungen ihrer Zeit. Er fußt dabei auf Traditionen, die weit ins Mittelalter zurückreichen. Chiliastische Erwartungen von einem ewigen Gottesreich, Vorstellungen der deutschen Mystik und Gedankengut der verschiedenen mittelalterlichen Ketzergruppen haben entscheidend zur Ausprägung seines Weltbildes beigetragen. Aber er hebt alle diese Vorstellungen auf eine neue Stufe, verwandelt sie in der Auseinandersetzung mit seiner Zeit in eine neue Qualität. […] Neu an Müntzers Anschauungen ist, daß er nicht passiv auf das Reich Gottes warten will, sondern der Bibel die Verpflichtung entnimmt, daß jeder Auserwählte darum streiten muß, das Gottesreich auf Erden zu verwirklichen. Die Gottlosen müssen bekehrt oder ausgerottet werden. Er scheut sich nicht, den Fürsten ins Gesicht zu sagen, daß ihre Zeit vorüber sei, weil sie die Grundsätze des Christentums nicht erfüllen. […] Müntzers Vision von einer neuen Gemeinschaft, in der alle gleich sind und jeder nach seinen Bedürfnissen lebt, ist uns nur aus den Vernehmungsprotokollen überliefert. In seinen Schriften findet sich dieses Fernziel nicht. Wohl aber wird er sie im Verbündnis seinen engsten Vertrauten als Züge des Gottesstaates auf Erden entwickelt haben. Mit diesen utopisch-kommunistischen Gedanken griff er weit über die Möglichkeiten seiner Zeit hinaus.“

Éric Vuillard: „Indem er den Aufstand im thüringischen Allstedt zu organisieren versuchte, löste sich Münster von den anderen Predigern. Das Hauptanliegen wurde gesellschaftlich, zornerfüllt. Der vornehme Flügel seiner Sympathisanten bekam es mit der Angst zu tun. Er redete von einer Welt ohne Privilegien, ohne Besitz, ohne Staat. Er hetzte heftig gegen die Unterdrückung auf. Luther nannte er das ‚sanftlebende Fleisch zu Wittenberg’. Er sagte: ‚Die ganze Welt muß einen großen Stoß aushalten.’ Er sagte: ‚Die Herren machen das selber, daß ihnen der arme Mann feind ist. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? Ah, liebe Herren, wie schön wird es sein, den Herrn mit eisernem Stabe das Töpfergefäß zertrümmern zu sehen! So ich das sage, muß ich aufrührerisch sein! Wohlhin!’ Und er machte sie auf.“

Nach der verlorenen Bauernkriegs-Schlacht bei Frankenhausen wurde Thomas Müntzer gefangengenommen, grausam gefoltert und schließlich vor den Toren Mühlhausens öffentlich enthauptet. Sein Leib wurde aufgespießt und sein Kopf, der diese umstürzlerischen Ideen ausgebrütet hatte, zur Abschreckung weithin sichtbar auf einen Pfahl gesteckt.

 

 

 

Murasaki Shikibu

* um 978 wohl in Heian-kyō (dem heutigen Kyōto), † wohl 1014, japanische Dichterin

 

Murusaki Shikibu schrieb den ersten bedeutenden Roman der östlichen Welt (zuweilen wird sogar vom ersten Roman der Weltliteratur gesprochen), auf jeden Fall ein Meisterwerk der klassischen japanischen Literatur: „Genjii Monogatari - Geschichten des Prinzen Genji“:

Neben dem Prinzen spielt dessen Konkubine Murasaki die Hauptrolle in diesem Buch. Genji „verbringt seine Zeit mit den schönen Künsten wie Malen, Dichtung und Kalligrafie, und mit militärischen Sportarten. Sehr früh entwickelt sich auch sein Interesse für das andere Geschlecht, und er kann dank seiner gehobenen Stellung seine Gelüste befriedigen. Das Ergebnis sind viele ganz unterschiedliche Affären mit Frauen. So trifft er zum Beispiel auf ein Mädchen, Murasaki, das ihn fasziniert, da sie die Nichte einer von ihm früher verehrten Hofdame und dieser ähnlich ist“, weiß Wikipedia. „Nach der Abdankung des alten Tennō gibt es Auseinandersetzungen mit dem neuen Kaiser und vor allem dessen Mutter, die früher zugunsten von Genjis Mutter vernachlässigt worden war. Genji geht freiwillig in die Verbannung, kann aber später an den Hof zurückkehren. Auch fernab des Hofes hat er eine Beziehung und zeugt sein erstes Kind, kann jedoch seine Geliebte nicht mit zurück an den Hof nehmen. Zurückgekehrt in die Hauptstadt und in seine vorherige gehobene Position, setzt er seine Abenteuer mit Frauen fort. Er nimmt Murasaki zu sich und erzieht sie wie sein eigenes Kind, kann aber auch bei ihr nicht der Versuchung widerstehen, sie zu seiner Geliebten zu machen. Er schafft es zeitlebens nicht, einer Dame treu zu bleiben, und beherbergt auch mehrere Damen gleichzeitig in seinem Haus, die oft wirtschaftlich von ihm abhängig sind. […] Nach Murasakis Tod scheint Genji seinen Lebenswillen zu verlieren.“ Wie und wann der Prinz stirbt, bleibt jedoch offen.

Murusaki Shikibu war Hofdame, diente vor allem der japanischen Kaiserin Jōtō-mon’in. Ab Mitte der Kamakura-Zeit (etwa um 1250) wurde sie als eine der Sechsunddreißig weiblichen Unsterblichen der Dichtkunst geehrt.

Begraben worden sein soll sie südlich des Byakugō-in, eines dem Urin-in zugehörigen Klosters in Kyōto.

 

 

 

Diana Frances Spencer

* 1.7.1961 in Sandringham, Norfolk, † 31.7.1997 in Paris, „Lady Di“, Princess of Wales

 

Lady Di, wären sie auch zur „Königin der Herzen” geworden, wenn ihr Thronfolger-Gatte Charles sich nicht immer offenkundiger von ihr ab-, und seiner Geliebten Camilla zugewandt hätte?

In einem Interview sagte sie: „In dieser Ehe waren wir zu dritt, also war es ein wenig überfüllt.“

Lady Di, wären nach ihrem Unfalltod auch Verschwörungstheorien aufgetaucht, wenn sie sich nicht von Prinz Charles hätte scheiden lassen, dem englischen Königshaus – aus Sicht der Royals selbstredend - immens geschadet hätte?

Sie sagte auch: „Ich wäre gerne die Königin der Herzen, eine Königin in den Herzen der Menschen, allerdings sehe ich mich nicht als Königin dieses Landes.“

Lady Di, für ihre Beerdigung hatte Elton John seinen Hit „Candle in the wind“ umgetextet und sang: „Goodbye, England's Rose“.

 

 

 

Tibull

* um 55 v. Chr. als Albius Tibullus, † 19/18 v. Chr., römischer Dichter

 

Tibull war wohl der Erste, der Rom „Ewige Stadt“ nannte, und er gilt als einer der Begründer der römischen Liebeselegie.

Quintilian sagte über diese Gattung: „Tibull erscheint mir als ihr reinster und elegantester Vertreter. Es gibt auch Leute, die Properz vorziehen. Ovid ist frecher, Gallus rauher als diese beiden.“

Zwei Gedichtbände sind von Tibull überliefert, die wohl beide zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden, der erste enthält zehn, der zweite sechs Elegien. Lange Zeit wurden Tibull zwei weitere Bücher zugeschrieben, die allerdings von Nachahmern stammen dürften.

Über sein Leben weiß man sicher nur, dass er einer wohlhabenden römischen Ritterfamilie entstammte, dass er mit dem General und Mäzen Marcus Valerius Messalla Corvinus befreundet war, und wahrscheinlich an dessen Feldzug nach Aquitanien teilnahm, sowie dass der Dichter Domitius Marsus einen Nachruf auf Tibull verfasste.

 

 

 

Peter von Vaux-de-Cernay

* um 1182, † nach 1218, französischer Mönch

 

Das erste Massaker an Katharern verübten Katholiken in Béziers, das letzte viereinhalb Jahrzehnte später in Montségur.

Peter von Vaux-de-Cernay, der Chronist des Kreuzzugs gegen die katharischen Albigenser, beziffert allein die Anzahl der Gläubigen, die in Sainte-Madaleine, der Hauptkirche von Béziers, zusammengetrieben und ermordet wurden, auf 7.000.

2010 kam ich durch Béziers und notierte: Ketzer kommt von Katharer, und die wurden hier massakriert im Jahr des Herrn 1209, Mann, Weib, Kind, Kreuzzug von Christen gegen Christen. Heute kennt man die Stadt ob ihres Rugby-Teams.

 

 

 

Vercingetorix

* um 82 v. Chr., † 46 v. Chr. in Rom, gallisch-keltischerer Fürst

 

„Das vereinigte Gallien / das eine einheitliche Nation bildet / die von demselben Geist beseelt ist / kann der ganzen Welt trotzen“, soll Vercingetorix laut Julius Caesar gesagt haben.

Tatsächlich gelang es dem Averner-Fürst Vercingetorix fast alle gallischen Stämme für den Abwehrkampf gegen Rom zu vereinen: die Anden, Aulerci, Cadurcer, Haeduer, Lemovicer, Mandubier, Parisier, Pictonen, Senoen und Turonen.

Nach mehreren Schlachten hatten die Gallier unter dem Oberkommando des Vercingetorix Caesars schier übermächtigen Legionen aber nichts mehr entgegenzusetzen. Nach der Belagerung und dem Fall von Alesia geriet Vercingetorix in Gefangenschaft, wurde sechs Jahre lang eingekerkert, dann in Rom zu Caesars Triumph schmählich durch die Straßen getrieben und öffentlich erdrosselt.

Unsterblich aber wurde Vercingetorix in der Figur des Asterix.

 

 

 

LeRoy Wilton Homer jr.

* 27.8.1965 in Plainview, New York, † 11.9.2001 bei Shanksville, Pennsylvania, amerikanischer Pilot

 

LeRoy Wilton Homer jr. war der erste Offizier des United Airlines Fluges 93 von Newark nach San Francisco am 11. September 2001. Als Terroristen das Cockpit stürmten hatten er und der Kapitän Jason M. Dahl schon erfahren, dass bereits zwei andere Flugzeuge entführt und in die Türme des New Yorker Word Trade Centers gesteuert worden waren. Die beiden Piloten wie die Flugbegleiterin Wanda Green und Passagiere stellten sich den Entführern entgegen, kämpften mit ihnen, so dass den Attentätern schließlich klar wurde, dass sie ihr Ziel, das Washingtoner Capitol, nicht würden erreichen können. Daraufhin brachten sie das Flugzeug auf einem Feld in Pennsylvania zum Absturz. Alle 33 Passagiere, die sieben Besatzungsmitglieder wie auch die vier Al-Quaida-Terroristen kamen ums Leben.

 

 

 

Eugen Leviné

* 10.5.1883 in Sankt Petersburg, auch: Eugen Leviné-Nissen, † 5.6.1919 in München-Stadelheim, Revolutionär

 

In Sankt Petersburg geboren, studierte Eugen Leviné in Heidelberg und Berlin Jura, kehrte 1905 nach Russland zurück, um an der Revolution mitzuwirken, wurde verhaftet, misshandelt und 1908 von seiner Mutter freigekauft. Im Jahr darauf promovierter er in Heidelberg mit seiner Arbeit „Über Typen und Etappen in der Entwicklung gesellschaftlich organisierter Arbeiter“ und wurde Mitglied der SPD. Im Ersten Weltkrieg dolmetschte er in einem Kriegsgefangenenlager, wurde dann Mitglied der USDD und gründete den Spartakusbund mit. Anfang 1919 zählte er zur Leitung der KPD.

Nach der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner radikalisierte er sich und avancierte im April 1919 zum Führer der zweiten Münchner Räterepublik. Nach der blutigen Niederschlagung der Revolution wurde Eugen Leviné verhaftet, zum Tode verurteilt und im Alter von 36 Jahren hingerichtet. Während seiner Gerichtsverhandlung wegen Hochverrats hatte er gesagt: „Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub.“

 

  

 

 

Franz Marc

* 8.2.1880 als Franz Moritz Wilhelm Marc in München, † 4.3.1916 in Braquis bei Verdun, deutscher Maler

 

Bertold Brecht sagte zum wohl bekanntesten Gemälde Franz Marcs: „Mit gefallen die blauen Pferde, die mehr Staub aufgewirbelt haben als die Pferde des Achilles. Und ich ärgere mich, wenn den Malern zugerufen wird, sie dürften Pferde nicht blau malen; darin kann ich kein Verbrechen sehen, die Gesellschaft wird diese leichte Entstellung der Wirklichkeit verschmerzen. Ja, im Notfall, sagen wir, um die Maler nicht zu verstimmen, könnten unsere Biologen sogar versuchen, blaue Pferde zu züchten.“

In einem Brief an August Macke hatte Franz Marc erklärt: „Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft und überwunden werden muß! Mischst Du z.B. das ernste, geistige Blau mit Rot, dann steigerst Du das Blau bis zur unerträglichen Trauer, und das versöhnende Gelb, die Komplementärfarbe zu Violett, wird unerläßlich. […] Mischst Du Rot und Gelb zu Orange, so gibst Du dem passiven und weiblichen Gelb eine megärenhafte, sinnliche Gewalt, daß das kühle, geistige Blau wiederum unerläßlich wird, der Mann, und zwar stellt sich das Blau sofort und automatisch neben Orange, die Farben lieben sich. Blau und Orange, ein durchaus festlicher Klang. Mischst Du nun aber Blau und Gelb zu Grün, so weckst Du Rot, die Materie, die Erde, zum Leben.“

Paul Klee notierte in seinem Tagebuch zu Franz Marc: „Zu den Tieren neigt er sich menschlich. Er überhöht sie zu sich.“

Nach dem seinem Besuch der Münchner Gedächtnisausstellung für den gefallenen Franz Marc meinte Rainer Maria Rilke in einem Brief: „endlich wieder einmal ein oeuvre“ gesehen zu haben, „eine im Werk erreichte und errungene Lebens-Einheit.“

Else Lasker-Schüler schrieb in ihrem Nekrolog für Franz Marc: „Der blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten. Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte; und er verklärte ihre unverstandenen Seelen“.

Herwarth Walden trauerte: „Nun ist ein Künstler gefallen, der nicht fallen kann. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Aber die Erde war ihm heimisch. Die Erde, die Lebendiges erzeugt und Lebendiges trägt. Ihm schien die Erde, ihm redeten die Tiere, die Wälder und die Felsen.“

Bereits 1910 hatte Franz Marc seine allgemeine Wirkungsabsicht, die er dann konsequent bis zu seinem frühen Tod umsetzte, in einem Brief skizziert: „Meine Ziele liegen nicht in der Linie besonderer Tiermalerei. Ich suche einen guten, reinen und lichten Stil, in dem wenigstens ein Teil dessen, was wir moderne Maler zu sagen haben werden, restlos aufgehen kann. Ich suche mein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge zu steigern, suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Ringen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft – suche das zum Bilde zu machen, mit neuen Bewegungen und mit Farben, die unseres alten Staffelbildes spotten… Ich sehe kein glücklicheres Mittel zur Animalisierung der Kunst, wie ich es nennen, möchte, als ein Tierbild, deshalb greife ich danach.“

 

 

 

Daniiel Charms

* 30.12.1905 als Daniiel Iwanowitsch Juwatschow in Sankt Petersburg, † 2.2.1942 in Leningrad, sowjetischer Dichter

 

Daniiel Charms sagte: Gedichte schreiben muß man so, daß, wenn man das Gedicht gegen das Fenster wirft, das Glas zu Bruch geht. Nur zwei seiner Gedichte für Erwachsene wurden allerdings zu seinen Lebzeiten gedruckt. Erst im Zuge der Perestroika erschien in der Sowjetunion 1988 eine Ausgabe seiner Werke unter dem Titel „Flug in den Himmel“. Bis dahin galt er in der öffentlichen Wahrnehmung als humoristischer Kinderbuchautor.

Samuil Marschak hatte Charms ermutigt, für Kinder zu schreiben. Und Charms trug seine Texte auch gern für Kinder vor. Die Kinderbuchautorin Nina Gernet erinnerte sich: „Die Kinder ließen sich von Charms’ finsterem Aussehen nicht täuschen. Sie hatten ihn nicht nur sehr gern, er verzauberte sie förmlich. Ich habe Charms oft auftreten sehen und gehört. Und immer das gleiche. Der Saal lärmt. Daniil Charms kommt auf die Bühne und murmelt etwas. Nach und nach werden die Kinder still. Charms spricht nach wie vor leise und finster. Die Kinder lachen prustend. Dann verstummen sie – was sagt er? […] Dann konnte er mit den Kindern machen, was er wollte – sie schauten ihm atemlos auf den Mund, völlig gefangen vom Wortspiel, vom Zauber seiner Gedichte, von ihm selbst.“

Und Charms entdeckte sich die Form der Kinderlyrik für drastische Texte:

 

Bäume alle alle alle piff

Steine alle alle alle paff

Natur ganz ganz ganz puff

Mädchen alle alle alle piff

Männer alle alle alle paff

Ehe ganz ganz ganz puff

Slaven alle alle alle piff

Juden alle alle alle paff

Rußland ganz ganz ganz puff

 

Im Dezember 1931 wurde Daniil Charms zum ersten Mal verhaftet. Er gab zu Protokoll: „Ich arbeite im Bereich der Literatur. Ich bin kein politisch denkender Mensch, sondern die Frage, die mir nahesteht, ist: die Literatur. Ich erkläre, daß ich im Bereich der Literatur mit der Politik der Sowjetregierung nicht einverstanden bin, und wünsche als Gegengewicht zu den in diesem Punkt bestehenden Maßnahmen die Freiheit der Presse, sowohl für mein eigenes Werk als auch für das literarische Schaffen der mir nahestehenden Literaten, die mit mir eine eigene literarische Gruppe bilden.“ Ein Gericht verurteilte ihn zu drei Jahren Verbannung, sein Vater erreichte jedoch eine vorzeitige Haftentlassung.

1937, fünf Jahre jedoch notierte er in sein Tagebuch: „Eine noch schrecklichere Zeit ist für mich gekommen. Im Detizdat [demVerlag für Kinderliteratur - JJ] haben sie sich an irgendwelchen Gedichten von mir gestoßen und fangen an, mich zu unterdrücken. Man druckt mich nicht mehr. Man zahlt mir das Geld nicht aus und begründet das mit irgendwelchen zufälligen Verzögerungen. Ich fühle, dort geht etwas Geheimes, Böses vor. Wir haben nichts zu essen. Wir hungern fürchterlich.“

1941, zwei Monate nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde Daniiel Charms wegen angeblicher Verbreitung „defätistischer Propaganda“ erneut verhaftet. Ein Gerichtsmediziner meinte: „Er ist orientierungsfähig. Er hat fixe Ideen, die Wahrnehmung ist gemindert. Er gibt absonderliche Vorstellungen von sich.“ Und ein Gericht urteilte schließlich: „Aufgrund des Resultats der gerichtspsychiatrischen Untersuchung vom 10.IX.1941 wird der Angeklagte Juvačëv-Charms in der ihm zur Last gelegten Schuld für geisteskrank und unzurechnungsfähig erklärt. [… Er] hat sich bis zu seiner völligen Genesung in eine psychiatrische Heilanstalt zur Zwnagsheilung zu begeben.“

 

Eines Tages aß Orlow zu viel Erbsenpüree und starb. Und Krylow, der davon hörte, starb auch. Und Spiridonow starb von allein. Und Spiridonows Frau fiel vom Büffet und starb auch. Und Spiridonows Kinder ertranken im Teich. Und Spiridonows Großmutter geriet an die Flasche und wurde Landstreicherin. Und Michailow hörte auf, sich zu kämmen, und bekam Räude. Und Kruglow malte eine Dame mit einer Knute in der Hand und wurde verrückt. Und Perechrjostow erhielt telegrafisch vierhundert Rubel und wurde so hochnäsig, daß er aus dem Dienst flog. Alles gute Menschen, die nicht Fuß fassen können.

 

Daniiel Charms starb während der deutschen Belagerung Leningrads in der psychiatrischen Abteilung des Kresty-Gefängnisses wahrscheinlich an Unterernährung. Der Slawist Wolfgang Kasack schrieb über Daniil Charms: „Er erfaßte das Ausgeliefertsein, die Herabwürdigung auf das Materielle und die Entseelung der Existenz durch das Schaffen einer fiktionalen Welt automatisch funktionierender, einander entfremdeter Figuren, entpersönlichter (also auch ihre Individualität nicht bewahrender) Menschenlarven. […] Der Umstand, daß das Schaffen von Charms in Rußland und im Ausland erst lange nach seiner staatlichen Ermordung zugänglich war, ist tragisch, aber die positive Beurteilung und der Einfluß seiner Werke Jahrzehnte nach ihrem Entstehen beweisen die Gültigkeit dieser durch so viel Leid erkauften Dichtung.“

Der Schriftsteller Nikolai Chardschiew, der diverse handschriftliche Manuskripte Charms gerettet hatte, sagte: „Charms war nicht für diese Welt geschaffen. Er war zu zerbrechlich, zu zart.“

 

 

 

Isabella Valancy Crawford

* 25.12.1850 in Dublin, † 12.2.1887 in Toronto, kanadische Lyrikerin

 

Walter Bauer, in Deutschland bekannt geworden durch seine “Stimme aus dem Leunawerk“, wanderte 1952 nach Kanada aus. Seinen Spuren folgend gelangte ich 1995 erstmals nach Toronto, in die Stadt, wo der 1904 in meiner Vaterstadt Merseburg geborene große Schriftsteller starb. Schon lange vor Walter Bauer lockte die Stadt am Ontariosee Autoren an, die es daheim nicht mehr hielt. Fast vergessen scheint mittlerweile die Lyrikerin Isabella Valancy Crawford, die gut 90 Jahre vor Walter Bauer in dieser neuen Heimat ankam, es jedoch nur schaffte einen Gedichtband zu veröffentlichen, und noch dazu auf eigene Kosten. Dennoch gilt sie als eine der ersten und bedeutendsten Dichterinnen Kanadas, während der weitaus produktivere Walter Bauer hier so gut wie nie wahrgenommen wurde. Isabella Valancy Cradford hatte den Vorteil, in ihrer Muttersprache Englisch schreiben zu können, Walter Bauer hingegen schrieb auch in Kanada weiter auf Deutsch, obwohl er als Hochschulprofessor selbstredend des Englischen mächtig war.

Als ich im Flugzeug tief unter mir den Sankt-Lorenz-Strom entdecke, frage ich mich: wie mag es Walter Bauer zumute gewesen sein, als er via Genua und Halifax hier entlang zur letzten Station seines Lebens, nach Toronto gelangte?

Joachim Bielert., einer von Walter Bauers Nachfolgern an der Universtity of Toronto, den ich im Deutschen Literaturarchiv Marbach kennengelernt hatte, als wir feststellten, dass wir beide Unterlagen aus Walter Bauers Nachlass einsahen, holt Jeanny und mich vom Flughafen ab. Seine Frau Pat serviert uns ein köstliches Dinner: Atlantic Salmon, dazu chilenischen Wein. Trotzdem spürten wir den Jetleg mehr und mehr. Doch um uns der Ortszeit schnellstmöglich anzupassen, um himmelswillen nicht zu zeitig schlafenzugehen, verordnete uns Joachim noch einen Spaziergang am Ontario-See entlang. Gegen neun Uhr aber wurde uns jedwedes Gespräch durch ständiges Gähnen unmöglich.

Am nächsten Morgen aber wachen wir relaxt und dem hiesigen Tagesrhythmus offenbar schon verinnerlicht auf. Strahlender Sonnenschein, über die Wiesen huschen schwarze Eichhörnchen, Squirrel (wie Joachim sagt), und Scharen uns unbekannter Vögel (Robins), schwirren durch die Bäume. Keine Frage (nach verstohlenem Kneifen in den eigenem Unterarm): Terra incognita.

Joachim fährt uns in die Innenstadt, Toronto downtown. Und erstmals erleben wir Wolkenkratzer, sehen den höchsten Fernsehturm der Welt, den CNN-Tower, daneben den riesigen Skydome. Und war der Begriff „downtown „für mich bislang pejorativ besetzt, registriere ich nunmehr, dass diese Stahl-und-Glas-Architektur auch ihre Ästhetik hat. Und was für eine!

Doch wir müssen zum Bahnhof, zur Union Station. Henry Beissel, Übersetzer und Freund Walter Bauers, mit dem ich im vergangenen Jahr erstmals zusammentraf, als er in Merseburg mit dem Walter-Bauer-Preis geehrt wurde, erwartet uns in seinem Heim. Der Bahnhof dann reichlich schweißtreibend - wie findet man den richtigen Bahnsteig? Richtig, durch Intuition! Im Zug schließlich alles recht freundlich, sogar Platzservice, und phantastische Aussichten auf den gewaltigen Ontario-See. Nach vier Stunden Fahrt Ankunft in Cornwell. Arlette, Henrys Frau, holt uns ab. Über Maxville, wo sich sommers Schotten aus aller Welt zu Highland-Games treffen (wie Arlette erklärt), zu ihrem „Reich“ Ayorama, ein 40-Hektar-Waldgründstück mitten in the Canadian Bush, kleiner See, massives Holzhaus, Nebengelass zum Malen für Arlette, Schreibhütte für Henry. Künstlerherz, was willst du mehr. Doch Arlette spricht auch von Einsamkeit und Isolation.

Da Henry erst gegen 10 p.m. aus Montreal, aus der Uni, kommen wird, bin ich gezwungen ausschließlich Englisch zu sprechen, da Arlettes Deutsch für Konversation nicht reicht. Und siehe da, es geht zunehmend besser (unter gelegentlicher Zuhilfenahme von Gestik und Mimik, versteht sich). Zum Dinner wieder Salmon, diesmal mit Kräutern statt Meerrettich und Kalifornischen statt Chilenischen Wein. Dann haben Jeanny und ich jedoch plötzlich wieder gegen die Zeitverschiebung anzukämpfen, schaffen es aber, Henry noch zu begrüßen und ein wenig zu plaudern.

Nicht unwichtig auch für Walter Bauers kanadisches Lebensgefühl, dass er so gut wie nie aus Toronto herauskam, seinem Titel „Fremd in Toronto“ somit alltäglich Bedeutungsebenen hinzufügte. (Leiden, auch selbstzugefügtes Leiden an der Fremde als Schreibanlass?) Wenn er sich aus seinem Alltagstrott mal hinausbewegte, schien er dies vor allem Henry zu verdanken. Mal Ausflüge zu Theateraufführungen nach Stratford, mal nach Montreal, mal eine kleine Sommerreise nach Prince-Edward-Island, mal eine Reise in Vorbereitung seiner von Henry übersetzten ersten kanadischen Gedichtauswahl nach Vancouver. Ansonsten natürlich seine Reise zur Verleihung des Albert-Schweitzer-Preises 1956 nach München. Und ein-, zweimal universitäre Vortragsreisen in die USA. Das war’s dann aber auch in 24 Jahren Kanada...

Tage später heißt es Abschied nehmen von Ayorama, Fahrt über den Highway 401 nach Toronto. Umso weiter wir nach Westen kommen, nimmt die Rotfärbung der Wälder weiter ab, schon ist es nur noch der Sumach, nicht der Maple, der Ahorn, der rötlich glänzt. In Toronto zeigt uns Henry, wo Walter Bauer in der Roxborough Street Zuhause war. Arden, seine kanadische Lebensgefährtin, wohnte „um die Ecke“. Und wie Walter Bauers Nachkriegswohnungen in Feldafing oder Stuttgart einmal mehr ein ähnlich mondänes Viertel. Henry sagt, dass Walter Bauer recht bewusst seiner Kindheit und Jugend, dem proletarischen Milieu, der Enge zu entfliehen suchte. Zum Licht, zur Weite.

Am St. Lawrence Market treffen wir uns mit Günter Hess, Walter Bauers Nachlaßverwalter, der eigens aus London (Ontario) anreiste, um mit uns eine Buchprojekt zu besprechen und um mit mir morgen alle Torontoer Walter-Bauer-Stätten aufzusuchen. Wir essen in einer Fischgaststätte, diskutieren, legen einen Plan fest, wollen ein Walter-Bauer-Lesebuch herausgeben, müssen aber schon weiter, denn Henry und Arlette sind am Abend in Niagara on the Lake verabredet, wo wir morgen mit Ihnen zu einem Theaterbesuch eingeladen sind.

Freundlicherweise fährt uns Henry noch zu Joachim, wo unsere Koffer „parken“. Doch wird diese Fahrt zur Tortur: Aus unerfindlichen Gründen ist der Highway gen Westen gesperrt, wir erleben amerikanischen Großstadtstau live, Henrys wildes Überholen. Irgendwie kommen wir dennoch an. Kleiner Spaziergang durchs Viertel. Am Abend Party mit Joachim und Pat und Günter und dessen Ex-Freundin Susannah. Schöner Abend mit feinem kanadischem Roastbeef, Ceddar-Käse, Torten und reichlich chilenischem Rotwein. Und Diskussionen selbstredend, nicht zuletzt über Walter Bauer...

Sonntag. Beizeiten mit Joachim zu Günter. Der übernachtete bei Susannah. Und in einem Hochhaus gleich gegenüber hatte Walter Bauer seine letzte Wohnung, Redpath Avenue. Seit 1967/68 lebte er hier, Appartement hochoben, Arbeitszimmer mit Blick nach Osten, gen Sonnenaufgang, den liebte er zu beobachten. Weiter zu Walter Bauers Grab, nicht weit von der Redpath, auf dem Mount Pleasant. Riesiges, doch wohlgepflegtes Gelände. Man fährt mit dem Auto vor, ja bis zum Grab. Gut, dass ich an einen Blumenstrauß dachte, keine Frage, das geht mich an. Neben Walter liegt Arden.

Dann noch einmal zur Roxborough, Walter Bauers vorletzter Wohnung, schließlich zur Universität. Weitläufiger, parkähnlicher Campus im Zentrum der Stadt. Victorianische Gemäuer. Günter und Joachim zeigen uns das Hart-Haus, in dessen Kellertheater Arden spielte, die kleine Bar, in der W.B. gern saß und plauderte, dann die Seminar- und die Vorlesungsräume, in denen er unterrichtete, und schließlich Walter Bauers eigentliches „Reich“, die German faculty: grüner Innenhof mit Arkaden, die dem Merseburger Kreuzgang nachempfunden sein könnten. Hier dürfte sich W.B. heimisch gefühlt, den Hauch der Merseburger Zaubersprüche gespürt haben. Schon früh am morgen, vor allen anderen, saß er hier an seinem Schreibtisch, schrieb Gedichte (die er dann tintenfrisch der Sekretärin zum Abtippen zu geben pflegte), beobachtete die auf den langen Parkwegen zur Uni kommenden Studenten.

Weiter zur Madison Avenue, unweit des Campus, wo Walter Bauer zuerst wohnte in Toronto (sieht man von einem kurzzeitigen Notquartier in der Indiana Road 195 ab). Madison Avenue, Torontoer Nobelviertel der Jahrhundertwende, als er hier einzog, waren aus den einstigen Villen aber längst Studentenbuden geworden. Schräg gegenüber wohnte Arden. Und die beiden lernten sich zu Weihnachten (1952?) kennen. Ein Bekannter rief bei Walter Bauer von einer Party an und sagte, hier sei eine einsame kanadische Dichterin, gegenüber hocke ein einsamer deutscher Dichter - ob man sich nicht kennenlernen möchte? So begann das (erzählt Günter). Und bald schon schob Walter Bauer auf dem Weg zur Uni morgen für morgen Liebesbriefe unter Ardens Hinterhaustür durch... Eine weitere Adresse von Walter Bauer in Toronto war für einige Wochen Grenbrooke Street, im Norden Torontos. Der Professor mit dem Jutta (Walter Bauers zweite deutscher Frau) „durchging“, stellte ihm freundlicherweise kurzzeitig (wohl da er mit Jutta auf Reise ging) seine Wohnung zur Verfügung. Nun gut.

Am nächsten Morgen fahren Jeanny und ich nach ausgiebigem Frühstück mit der Subway downtown, laufen von St. Georges die University Avenue hinunter, shoppen im Eaton-Centre, lachen über einen durch die Wolkenkratzer-Straßenschluchten zuckelnden German-Bratwurst-Wagen, schlendern, fotografieren. Um 3 p.m. steht ein Vortrag von mir in Walter Bauers einstiger Fakultät auf dem Programm. Äußerst freundlicher Empfang durch den Chairman des German Department, der mich den Anwesenden dann auch vorstellt. Offenbar sind alle hiesigen Germanisten anwesend, dazu interessierte Studenten, alles in allem etwa vierzig Leute. Mein Vortrag (Ostdeutsche Literatur seit der Wende, doch selbstredend berichte ich auch darüber, dass es in Leuna nunmehr eine Walter-Bauer-Straße und in Merseburg eine Walter-Bauer-Bibliothek und einen von beiden Städten gemeinsam gestifteten Walter-Bauer-Preis gibt) scheint gut anzukommen, eine interessante Diskussion entwickelt sich danach. Gutes Gefühl, hier (gerade hier!) verstanden zu werden, anzukommen. Auch lerne ich Professor Froeschle persönlich kennen, mit dem ich bislang nur korrespondierte und für dessen Deutsch-kanadisches Journal ich schrieb.

Mit Gus daraufhin auf ein Bier und anschließend mit Joachim und Pat zum Dinner in einem feinen italienischen Restaurant. Gus (der wie ich einst Musiker war) zeigt sich in jeder Hinsicht aufgeschlossen, begleicht am Ende die Rechnung (auf Universitätskosten sicherlich). Joachim fährt Gus nach Hause, wir fahren natürlich mit. Und da Gus in dem Stadtviertel wohnt, in dem Pat unterrichtet (Deutsch natürlich), lernen wir auch noch deren Schule kennen. Ihr Klassenraum voller deutscher Plakate, und ich muss einen Kreis um Merseburg und Leuna ziehen. Von dort kam Walter, von dort komme ich.

 

 

 

Bob Hite

* 26.2.1945 in Los Angeles, † 6.4.1981 in Venice, Kalifornien, amerikanischer Blues-Sänger

 

„Don’t forget to boogie!“ rief Bob Hite am Ende seiner Konzerte den Fans stets zu - und das waren etliche Gigs weltweit, vor allem mit Canned Heat: 1967 beim Monterey Pop Festival ebenso legendär wie 1969 in Woodstock. Seinen letzten Auftritt hatte der schwer übergewichtige „Bear“, mittlerweile stark drogenabhängig, dann aber im April 1981. Da brach Bob Hite in der Pause nach einem Heroin-Kokain-Mix zwischen zwei Sets zusammen und war nicht mal mehr fähig, sich wie gewohnt zu verabschieden: „Don’t forget to boogie!“

 

 

 

Marylin Monroe

* 1.6.1926 als Norma Jeane Baker in Los Angeles, † 4.8.1962 in Brentwood, Kalifornien, amerikanische Schauspielerin

 

Ob JFK für seine Marylin auch „Happy Birthday“ gehaucht hat? Vielleicht als sie mal wieder nichts als Chanel N° 5 trug?

Wer weiß.

Der Dramatiker Arthur Miller, einer ihrer Ehemänner, meinte: „In ihrer Nähe treten bei den meisten Männern die Charakterzüge noch stärker hervor, die sie sowieso schon haben: Ein Heuchler wird noch heuchlerischer, ein Wirrkopf noch verwirrter, ein Zurückhaltender hält sich noch mehr zurück. Sie ist wie ein Magnet, der die wesentlichen Eigenschaften aus der männlichen Bestie herauszieht.“

Aber vielleicht war Kennedy ja unmusikalisch.

 

 

 

Henry Purcell

* 10.9.1659 in Westminster, † 21.11.1695 ebd., englischer Komponist

 

Schon zu Lebzeiten galt Henry Purcell als einer der bedeutendsten englischen Komponisten und wurde mit dem Titel „Orpheus britannicus“ geehrt.

Bereits als Siebzehnjähriger trat er das Organistenamt an der Westminster Abbey an. Als er im Alter von nur fünfunddreißig Jahren starb, wurde er neben der Orgel der Westminster Abbey begraben. Auf seinem Grabstein steht: Here lyes Henry Purcell Esq., who left this life and is gone to that blessed place where only his harmony can be exceeded.”

Henry Purcell schrieb die Barock-Oper „Dido and Aeneas“, Semi-Opern wie „King Arthur, ort he British Worthy“, „The Fairy Queen“ oder Timon of Athens“, Orgel- und Cembalostücke, diverse Duette, mehr als 100 Lieder sowie die Choräle „Remember not, Lord our offences” und „Music for the Funeral of Queen Mary”, der in einer elektronischen Fassung zur Titelmusik von Stanley Kubricks Film „Clockwerk Orange” gerierte. Pete Townsend ließ Purcells Musik in den Anfangstakten seines weltberühmten Titels “Pinball Wizard“ aufleben.

Seit 1990 trägt ein Asteroid den NamenPurcell“.

 

 

 

Vincent Reffet

* 15.9.1984 in Annecy, † 17.11.2020 in Dubai, französischer Extremsportler

 

Vincent Reffet sprang vom höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa und flog mit einem an den Rücken geschnallten Carbonflügel und vier Triebwerken über Dubai. Bei einem Trainingsunfall mit einem Wingsuit, mit dem er angeblich vom Boden abheben konnte, kam er jedoch in der Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate im Alter von 36 Jahren ums Leben. Vor seinem Tod sagte er: „Mit dieser Maschine kann ich wie ein Vogel fliegen“…

Jeanny und ich kamen 12 Jahre vor seinem Tod nach Dubai, ich hatte hier auf dem Weg nach Johannesburg Monate zuvor schon mal einen Zwischenstopp eingelegt:

Übermorgenland - reizvolle Ortsbeschreibung, die ich gern selbst gefunden hätte, doch vor kurzem in einem Artikel las, in dem es um die drohende Zahlungsunfähigkeit des scheinbar märchenhaft reichen Boom-Landes Dubai ging. Nicht nur das superneue höchste Gebäude der Welt, der Burj Khalifa, sondern so manche futuristische Planung könnte hier allerdings wortwörtlich auf Sand gebaut sein. Turmbau zu Dubai.

Was immer mitschwingt beim feuilletonistischen Gebrauch dieser Verortung an Ironie und Kritik, übertönt mir dennoch nicht den hoffnungsvollen, den visionären, den traumhaften Aspekt des Ganzen: Übermorgenland!

Immer unerträglicher wird doch im Alltag diese Gehinke der Politik von Krise zu Krise, dieses weltweite Unvermögen Globale Probleme zu lösen, geschweige denn Perspektiven aufzuzeigen, dem Dasein Sinn über den Alltag hinaus zu geben. Den Emiratis scheint zumindest bewusst, dass die Quelle ihres Reichtums, das Öl, in absehbarer Zeit versiegt und sie alsbald andere, alsbald neue Staats- und Gesellschaftsfundamente brauchen werden. Oder?

Während einer Zwischenlandung hatte ich die sichtbaren Investitionen in diese Zukunft, die modernistische Skyline Dubais, beim An- und Abflug und durch die Flughafenfenster ja schon einmal gesehen, unschwer zu erkennen das ehrgeizige Ziel, Tourismus-, Handels- und Finanzmetropole des 21. Jahrhunderts werden zu wollen. Nun aber, Mitte Februar 2010, soll’s ein bisschen mehr als Transit sein, will ich versuchen, diesen Verheißungen hier und ringsum zum (Be)Greifen näher zu kommen:

Nach schier endlosem Winterweiß über Nacht Wüstentöne. Und in der Wüstencity dann allerorts gepflegtes Grün und Blumenrabatten in den Landesfarben (rot-weiß). Und natürlich (sic!) all der Beton, der Stahl, das Glas in kühnen und kitschigen und oft kalten Formen. An Menschen wird hier offensichtlich nur als Autoinsassen oder Geldausgeber gedacht. Alle Funktionalität scheint einzig auf money, money, money gerichtet. Zumindest mühen wir uns fast zwei Stunden vergebens, von der pompösen Wafi-Mall zum Dubai Creek, zu den Anfängen dieser Stadt, zu finden. Kleiner Handelsort an günstig gelegenem Meerarm. Stadtpläne verwirren, Hinweisschilder gibt es nicht, alle Sichtachsen sind zugebaut, somit keine Orientierung möglich. Dennoch tat dieser Spaziergang vorbei an ägytischen und griechischen Tempeln oder orientalischen Palästen (mit Aufschriften wie Planet Hollywood etc.pp.) richtig gut. Allein die Wärme! Und wären die Autos nicht, wären wir wohl so ziemlich allein in diesem Viertel. Gut, es ist Freitag, Feiertag also, doch ob’s wirklich daran liegt? Sind die smarten Dischdasch-Träger in ihren Luxuskarossen eigentlich echt? Irgendwie kommt mir das hier wie ein gigantisches Disneyland für Erwachsene vor.

Keine Frage jedoch, dass die Skyline mit der alles hoch überragenden, oft im Wolkendunst verschwimmenden Nadelspitze des Burj Khalifa (zumal im Licht der untergehenden Sonne) zum Immer-wieder-Hingucken verleitet. Allerdings hat auch das Leuna-Werk bei Nacht seine Ästhetik (wie wir spätestens seit Joseph Roth wissen). Ja, vielleicht wäre das tatsächlich ein Tipp für die Dubaier Abkupferer, sieht die hiesige nächtliche Skyline doch verdammt nach Weltfinanzkrise aus…

Vermutung: die Dubaier „Ideen-Geber“ waren nicht da, woher die jeweiligen Ideen stammen, waren nie bei den Wurzeln, nie „bei den Leuten“, sondern holten sich Inspirationen dort, wo Ideen schon (des Geldes wegen) verwurstet wurden, Las Vegas etc.pp.

Der Versuch, aus ökonomischen Zwängen heraus, die Dinge zu verändern, ist aller Ehren wert, ja notwendig. Doch scheint man hier vor allem auf Berater aus der „alten Welt“ gehört, folglich nichts Zukunftsträchtiges hinbekommen zu haben.

Nicht so recht in die Zeit zu passen scheint auch, dass der Herrscher Dubais, dass Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum Gedichte schreibt. Das scheint doch längst vorbei, dass Schriftsteller oder Dichter als Staatsmänner oder Minister ihre besondere Art des Denkens, ihre Visionen in Realpolitik einbringen konnten, oder? Erst kürzlich erschien vom Emir Dubais auf Deutsch: „In der Wüste findet nur der Kluge den Weg“. Klingt gut, klingt viel versprechend der Titel. Schon das erste Kapitel des Bandes heroisiert aber ausschließlich Pferde und Pferderennen, das zweite thematisiert blumig schwülstig die Liebe und im dritten geht’s zwar um Politik, allerdings heißt da ein Text schon mal gleich: „Allen, die gegen den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt der Emirate kämpfen“… Nein, da ist nichts von Morgen, geschweige denn Übermorgen.

 

 

 

George Gordon Noel Byron

* 22.1.1788 in London; † 19.4.1824 in Mesolongi, „Lord Byron”, britischer Dichter

 

Die Biographin Fiona McCarthy sagte, Lord Byrons „lange Gewohnheit des Verbergens seiner sexuellen Vorlieben“ habe „ihre Auswirkungen auf die schillernden Verschleierungen seines Schreibens“ gehabt.

Und der Historiker Peter Cochran meinte, dass Lord Byrons homosexuelle Seite und die Tatsache, dass dies für ihn eine echte Gefahr bedeutete, sollte es an die Öffentlichkeit gelangen, Auswirkungen auf sein Werk hatte. So habe fast von Anfang an, als er mit dem Schreiben von Gedichten begann, die Vorsicht ihm ein bestimmtes „Maß an Heuchelei“ vorgeschrieben. Und mit dem Reiferwerden seiner Kunst habe er damit begonnen, hinter einer „Reihe zunehmend ausgeklügeltereren Fassaden zu arbeiten.“

Lord Byron hatte mindestens sieben Geliebte, darunter seine Halbschwester, sowie für ein Jahr sogar eine Ehefrau, und zeugte mit denen mindestens drei Töchter. Während seiner ersten Griechenland-Reise, bei der er heldisch den Hellespont durchschwamm, bekannte er in einem Brief aber, dass er eine große Anzahl befriedigender, homosexueller Erlebnisse gehabt habe.

Lord Byron, der darunter litt, nicht tanzen zu können, da er einen Klumpfuss hatte, widmete sein dramatisches Gedicht „Manfred“ als Antwort auf den „Faust I“ Johann Wolfgang von Goethe. Goethe setzte Byron nach dessen frühen Tod mit der Figur des Eupherion im „Faust II“ ein literarisches Denkmal.

 

Manfred:

…Leiden ist Wissen: wer am meisten weiß,

Beklagt am tiefsten die unsel’ge Wahrheit:

Der Baum des Wissens ist kein Baum des Lebens.

Philosophie und Forschung sind und die Quellen

Der Wunder und die Weisheit der Welt

Hab’ ich versucht und fühl’ in meinem Geist

Die Macht ihm diese unerthan zu machen, -

Sie helfen nichts. Ich that den Menschen Gutes,

Und Gutes widerfuhr mir selbst von Menschen, -

Es half mir nichts. Ich hatte meine Feinde,

Doch keiner sagte, mancher fiel vor mir, -

Es half nichts, Gutes oder Schlimmes, Leben,

Kraft, Triebe, alles, was ich seh’ in Andern,

Es war für mich wie Regen für den Sand…

 

Im Jahr 1816 verließ Byron, obwohl er einen Sitz im House of Lords hatte, Großbritannien für immer, lebte fortan vor allem in Italien. Im Zuge des Griechischen Aufstandes gegen die Herrschaft der Osmanen nahm er 1823 das ihm angebotene Kommando über die freien griechischen Streitkräfte an.

Sein Gedicht „The Destruction of Sennacherib“ handelt vom Ende der Belagerung Jerusalems im Jahr 701 v. Chr, die durch die Vernichtung der assyrischen Armee unter König Sennacherib durch Mückenschwärme möglich wurde. Bevor Lord Byron 1824 im Alter von 36 Jahren an eben dieser uralten Plage starb, notierte er, er sei „für diese Malariasaison zu lange draußen gewesen.“

 

 

 

Bob Marley

* 6.2.1945 als Robert Nesta Marley in Nine Miles, Jamaica † 11.5.1981 in Miami, jamaikanischer Sänger

 

Get up, stand up.

Stand up for your rights…

 

sang Bob Marley, Rastafari, Reggae-Mitbegründer, Bürgerrechtsaktivist:

 

Don’t give up the fight…

Stand up for your rights!

 

Bei einem Fußballspiel zog sich Bob Marley eine Fußverletzung zu, deren Behandlung ihm die Rastafari-Idelologie untersagte. Später zeigte sich an einem seiner großen Zehen ein Melanom, und als er während einer USA-Tournee beim Joggen zusammenbrach, diagnostizierte man, dass der Krebs metastasiert, auch schon seine Lunge, die Leber, das Gehirn befallen hatte.

Eine fragwürdige Therapie, die er sich bei einem Heiler am Tegernsee unterzog, schlug nicht nur nicht an, sondern er verlor auch seine Dreadlocks, seine stolze Rasta-Löwenmähne, eine Katastrophe für einen Rastafari. Beim Versuch, zum Sterben nach Jamaika zurückzukehren, starb Bob Marley bei einem Zwischenstopp in Florida.

Sein Sarg wurde in seinem Heimatdorf bei einer nationalen Trauerfeier beigesetzt. In sein Mausoleum mitgegeben wurden ihm u.a. seine Gitarre, eine rote Gibson Les Paul Special, sowie ein frischer Marihuanazweig.

 

 

 

Ferdinando „Nicola“ Sacco

* 22.4.1891 in Torremaggiore, Italien, † 23.8.1927 in Charlestown, Massachusetts, amerikanisches Justizopfer

 

Here's to you, Nicola and Bart

Rest forever here in our hearts

The last and final moment is yours

That agony is your triumph -

sang Joan Baez am Ende des Films „Sacco e Vanzetti” von Giuliano Montaldo. Komponiert hatte den Song, der in den 1970er Jahren zu einer Hymne der Menschrechtsbewegung, für Opfer politischer Justiz wurde, Ennio Morricone.

„Here’s to you, Nicola and Bart“ erfuhr seitdem immer wieder Adoptionen, so durch Franz Josef Degenhardt, Harry Gregson-Williams, Daliah Lavi, Linda Lee Hopkins, Emma Marrone, Mireille Mathieu, Nana Mouskouri, Georges Moustaki, DJ Stéphane Pompougnac, Lisbeth Scott, Hayley Westenra und anderen. Zahllose Bücher wurden über den Justizmord an Nicola Sacco und Bart Vanzetti geschrieben, Bilder gemalt.

Nach ihrer Einwanderung hatten sich Sacco und Vanzetti der anarchistischen Arbeiterbewegung angeschlossen. Nach Ende des Ersten Weltkrieges rutschten die USA in eine wirtschaftliche Depression, die Zahl der Arbeitslosen nahm zu und es kam zu Streiks und Attentaten, die vor allem Linken zugeschrieben wurden. Als besonders verdächtig wurden Einwanderer gebrandmarkt. Angesichts der Revolution in Russland ging die Angst vor dem Bolschewismus um.

Im Zuge von Ermittlungen zu einem Doppelmord wurden so im Mai 1920 Sacco und Vanzetti verhaftet und in offenkundig politisch motivierten Gerichtsverfahren von den Geschworenen für schuldig befunden und letztlich zum Tode verurteilt. Im Jahr 1977 erklärte der damalige demokratische Gouverneur von Massachusetts, Michael Dukakis, der Sacco-und-Vanzetti-Prozess sei „durchdrungen von Vorurteilen gegen Ausländer und Feindlichkeit gegenüber unorthodoxen politischen Ansichten“ und daher alles andere als gerecht gewesen.

Sieben Jahre lang versuchten Verteidiger das Todes-Urteil anzufechten, brachten acht Revisionsanträge ein, unterstützt von Protesten des „Sacco-Vanzetti Defense Committee“, die eine große Resonanz in allen Bevölkerungsschichten und Glaubensgruppen fanden: Katholiken, Quäker, Presbyterianer, Atheisten, Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller… Und auch weltweit regte sich Protest, in Frankreich, der Schweiz und in Italien vor allem.

Ungeachtet dessen wurden Nicolo Sacco und Bart Vanzetti im August 1927 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.

Drei Monate vor seiner Hinrichtung soll Vanzetti gesagt haben: „The last moment belongs to us, that agony is our triumph!” („Der letzte Moment wird uns gehören, dieser Todeskampf ist unser Triumph!“ – woraus dann Joan Baez ihren Text formte.

 

 

 

Savien Cyrano de Bergerac

* 6.3.1619 als Hector Savien de Cyrano in Paris, † 28.7.1655 in Sannois, Val d’Oise, französischer Schriftsteller

 

Der als Haudegen und Lebemann bekannte Cyrano gilt auch als einer der Begründer der Science-Fiction-Literatur. Allerdings wurden seine beiden utopischen Romane „Les États et Empires de la Lune -Die Staaten und Reiche des Mondes“ und „Les États et Empires du Soleil - Die Staaten und Reiche der Sonne“ erst postum publiziert.

Unter nie geklärten Umständen (Unfall? Mordanschlag?) fiel Cyrano im Stadtpalast seines Pariser Protektors eine Balken auf den Kopf und im Jahr darauf starb er im Hause seines Cousins in Sannois.

Sein Gruß der Mondbewohner: „Songez à librement vivre“ - Seid bedacht, frei zu leben!“ wurde zum geflügelten Wort – und ein Mondkrater wurde nach ihm benannt: Cyrano.

Voilà!

 

 

Thomas Alder

* 1.1.1932 in Murnau, † 6.5.1968 in München, deutscher Schauspieler

 

Thomas Alder war Musiker, nahm Schauspielunterricht, wirkte am Landestheater Tübingen und stand im Alter von 24 Jahren erstmals vor der Kamera. „Die Heinzelmännchen“ hieß der erste Film, in dem er mitwirkte, „Das sündige Dorf“ der letzte.

Thomas Alder nahm sich im Alter von 34 Jahren das Leben.

 

  

 

 

Frantz Fanon

* 20.7.1925 in Fort-de-France, Martinique, † 6.12.1961 in Bethesda, Maryland, französischer Psychiater und Schriftsteller

 

Frantz Fanon starb im Dezember 1961 sechsunddreißigjährig an Leukämie. Im selben Monat erschien auch sein Hauptwerk „ Die Verdammten dieser Erde“, das noch immer als Manifest des Antikolonialismus gilt:

Verlassen wir dieses Europa, das nicht aufhört, vom Menschen zu reden, und ihn dabei niedermetzelt, wo es ihn trifft, an allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken der Welt. Ganze Jahrhunderte hat Europa nun schon den Fortschritt bei anderen Menschen aufgehalten und sie für seine Zwecke und seinen Ruhm unterjocht; ganze Jahrhunderte hat es im Namen seines angeblichen ‚geistigen Abenteuers‘ fast die ganze Menschheit erstickt. ... Also, meine Kampfgefährten, zahlen wir Europa nicht Tribut, in dem wir Staaten, Institutionen und Gesellschaften gründen, die von ihm inspiriert sind. […] Vor zwei Jahrhunderten hatte sich eine ehemalige europäische Kolonie in den Kopf gesetzt, Europa einzuholen. Es ist ihr so gut gelungen, daß die Vereinigten Staaten ein Monstrum geworden sind, bei dem die Geburtsfehler, die Krankheiten und die Unmenschlichkeit Europas grauenhafte Dimensionen angenommen haben. […] haben wir nichts Besseres zu tun, als ein drittes Europa zu schaffen? Der Okzident hat ein Abenteuer des Geistes sein wollen. Im Namen des Geistes, des europäischen Geistes versteht sich, hat Europa seine Verbrechen gerechtfertigt und die Versklavung legitimiert, welcher es vier Fünftel der Menschheit unterworfen hatte. […] Für Europa, für uns selbst und für die Menschheit, Genossen, müssen wir eine neue Haut schaffen, ein neues Denken entwickeln, einen neuen Menschen auf die Beine stellen.

Jean-Paul Sartre schrieb in seinem Vorwort zu „Die Verdammten dieser Erde“: „Fanon spricht mit lauter Stimme, wir Europäer können ihn hören; der Beweis dafür ist, daß Sie dieses Buch in den Händen halten. Fürchtet er denn nicht, daß die Kolonialmächte aus seiner Offenheit Profit schlagen? Nein, er fürchtet nichts. Unsere Verfahrensweisen sind veraltet, sie können die Emanzipation manchmal bremsen, aber sie können sie nicht zum Stehen bringen. […] Er hat den Weg gewiesen: als Wortführer der Kämpfer hat er die Vereinigung, die Einheit des afrikanischen Kontinents gegen alle Zwietracht und Partikularismen gefordert.“

 

 

 

Uwe Greßmann

* 1.5.1933 in Berlin, † 30.10.1969 ebd., deutscher Lyriker

 

Adolf Endler schrieb: „Der Pariser Henri Rousseau war Zöllner, der Berliner Greßmann ist oder war als Bote tätig. Beide sind als Künstler Beherrscher einer Welt, in die man nur eingelassen wird, wenn man sein altes Märchenbuch als Paß vorweist. ‚Er hatte eine kindliche Auffassung von der Welt’, heißt es bei Roger Shattuck über Rousseau, ‚und seine ernsthafte Wunderlichkeit appelliert an das Kind in uns.’ Auch in Greßmanns Gefilden verliert der nüchterne Aktenverstand bald Weg und Steg. Die Firma, Personifikation aller Firmen, heißt Irma; die Zeitungen, ‚Blätter’, falle vom Pressebaum; der Frühling, ein Vogel, richtet den Kopf hoch: ‚Davon ist der Himmel so blau.’“

 

Die Sage vom Vogel Frühling

Wer Dichter sein will, heißt es in dem Dorf der Eichen,

Der trinke aus dem Brunnen der Träume Wein.

Und schau! Wie Armin und Brentano an dem Pumpenschwengel

                 hängen

Und in des Strahles Wunderhorn blasen.

Und viele kommen und halten beider Hände Schalen darunter;

Denn wer Dichter sein will, heißt es in dem Dorf der Eichen:

Der trinke aus dem Brunnen der Träume Weine, Weine, Weine…

 

Richard Pietraß meinte: „Es gibt Menschen, die für ihre Umwelt zu einer Herausforderung werden und diese durch nichts als ihr Anderssein. Der Normbürger, der warm im Schoß von seinesgleichen ruhte, fühlt sich gestört, unterschwellig in Frage gestellt durch diese andere Möglichkeit (die für ihn keine ist) und neigt dazu, sie, findet sich keine andere Handhabe, der Lächerlichkeit preiszugeben. Ein derart Exponierter war der Dichter Uwe Greßmann, der in den sechziger Jahren in Berlin zwischen Mitte und Pankow auffällig wurde: eine Heiligengestalt im Lodenmantel, die, von Krankheit gezeichnet, unverletzlich unter den Sterblichen wandelte.“

 

LEBENSLAUF (1): Schlimm, niemandes Kind zu sein und wie ein Anzug durch viele Hände zu gleiten. Gefall ich nicht? Könnte ich mich an irgendwen halten. An einen Bügel etwas. Ich hänge an ihm wie an einem Vater.

 

Günter Kunert lobte: „Greßmann war einer, der die seelische Substanz besaß, die zu einem Spitzenplatz in der Hierarchie der Literatur berechtigt, von seiner Epoche und Umständen jedoch gehandikapt, zu früh verstorben, so dass er diesem legitimen ‚Zug zum Höheren’ nicht seiner Anlage entsprechend zu folgen vermochte: ein Autodidakt, befaßt mit Platon und Kant, Hegel und Marx. Greßmann war tendenziell ein bedeutender Dichter, unbeeindruckt von oberflächlich-ideologischer Pseudokunst und intellektueller Verblendung; ein Zurückgesetzter und Verkannter; eine Gestalt mit langen, glatt über den Kopf gekämmten, ungepflegten Haaren, seine magere Erscheinung versteckt in einem viel zu weiten, abgetragenen Regenmantel wie in einem transportablen Zelt, jede Vorstellung von einer Körperlichkeit durch solche Bekleidung abwehrend oder zurückweisend: am Telefon die hohe Stimme im berlinischen Tonfall sprach ernsthaft davon, daß ihr Besitzer nun an einer neuen Kosmogenie arbeite – einem weitgespannten Unternehmen, das von großer geistiger Kühnheit, einem scharfen und empfindlichen Epochenbewußtsein und […] zugleich von einer Unschuld des Gemüts zeugte.

 

LEBENSLAUF (2): Und einmal kamen welche zurück aus Warschau. Sie sprachen wie von einer heiklen Geschichte durch deren Straßen keiner alleine durfte von ihnen, Grauenhaft. Sie kamen und suchten: Aufmachen! Und ich öffnete mich wie ein Abort, zögernd. Geborgenheit verließ mich; sie wurde abgeführt. Die Aufschrift verriet sie. Und was geschah ihr anders als ein Blick? Du hast noch einmal Glück; es war eine Übung. Du warst ein Feind sozusagen, der du nicht bist. Was weinst?

 

Edith Lässig sagte: „Daß Uwe nur eine kurze Lebensspanne hatte, muß er geahnt haben, denn was an Kraft zu investieren war, hat er in seine dichterischen, philosophischen Arbeiten investiert, nämlich mit der Angst im Rücken, daß ihm seine Zeit zu kurz ist.“

 

LEBENSLAUF (3): Die Krankheit kam mir wie eine Erlösung, die mir in fünf Jahren Kraft gab, mich zu finden. […] Nur an den Nadelstichen und Eingriffen, die ich bekam, merkte ich die Krankheit und an den Tabletten, die ich einnehmen musste (wie eine Festung). Sonst war sie die freundliche Schwester innerer Anlagen. Und wie sie mich unterhielt, mich hieß zu zeichnen und zu dichten; wie sie mit Freude schickte, die wie Bücher waren(zu mir); die man liest.

 

Uwe Greßmann starb im Alter von 36 Jahren an Tuberkulose.

 

 

 

George Smith

* 26.3.1840 in London, † 19.8.1876 bei Aleppo, englischer Assyrologe

 

Der englische Assyrologe George Smith übersetzte als Erster das Gilgamesch-Epos, den wohl ältesten literarischen Text der Welt. Gefunden worden waren die Gilgamesch-Tontafeln 1853 von Hormuzd Rassam bei der Ausgrabung der Bibliothek des assyrischen Königs Assurbanipal in Ninive. George Smith gilt jedoch als Wiederentdecker des in seinem Ursprung bis ins 24. Jahrhundert v. Chr. zurückreichenden Epos.

Auf zwölf Tontafeln (elf fand Rassam, eine wurde später hinzugefügt) beschäftigt sich die Gilgamesch-Geschichte mit der Überflutung der Erde und hat sehr große Ähnlichkeiten zum sicher jüngeren Bericht der Sintflut im Buch Genesis der Bibel. Geschildert werden in mehr als 3.000 Versen die Heldentaten und Abenteuer Gilgameschs, eines Königs von Uruk, seine Freundschaft zu Enkidu, der Tod des Freundes und Gilgameschs daraufhin folgende Suche nach der Unsterblichkeit. Am Ende muss er jedoch einsehen, dass Unsterblichkeit nur den Göttern gegeben ist, dass Menschen sterblich sind.

George Smith reiste 1873 auch selbst nach Ninive und spürte fehlende Gilgamesch-Fragmente auf. Während einer weiteren Reise starb er im Alter von 36 Jahren in Ikisji bei Aleppo an den Folgen einer Ruhr-Erkrankung.

 

 

 

Françoise Noël Babeuf

* 23.11.1760 in Saint Nicolas, † 27.5.1797 in Vendôme, französischer Journalist

 

Seit jeher lebten nach Wahrheiten suchende Journalisten gefährlich, so auch Françoise Noël Babeuf:

Babeuf spielte eine wichtige Rolle in der französischen Revolution. 1790 hatte er die Zeitung „Correspondant picard“ gegründet, und aufgrund „hitziger“ Artikel gegen Mächtige wurde er mehrmals verhaftet. 1792 wurde Babeuf zum Mitglied des Parlaments des Départements Somme gewählt, aber wegen radikaler Haltung auf den Posten des Gemeindeverwalters von Montdidier abgeschoben. Es folgten Betrugsvorwürfe und neuerliche Verfolgung. Dennoch wurde er nun zum Sekretär der Lebensmittelverwaltung der Pariser Kommune ernannt. Und er gab ab September 1794 eine neue Zeitung heraus, das „Journal de la liberté de la presse“, das schon einen Monat später „Le tribun du peuple“ heißen sollte. Und hier kritisierte er die ökonomischen Ergebnisse der Revolution. Umgehend wurde er erneut verhaftet, radikalisierte sich im Gefängnis weiter, wurde entlassen und wiederum verhaftet. Und sein „Tribun du peuple“ wurde im Theater Bergeres öffentlich verbrannt.

Die ökonomische Lage verbesserte sich jedoch nicht, im Gegenteil, und Babeuf geißelte die Missstände mehr und mehr, rief zu Revolte auf, um die Verfassung von 1793 wieder in Kraft zu setzen, und scharte Gleichgesinnte in der „Societé des Égaux“ um sich. Und er gründete erneut eine Zeitung, die „Éclaireur du peuple ou le défenseur de vingt-cinq millions“, die in den Straßen von Paris heimlich verteilt wurde. Hier schrieb Babeuf unter dem Namen „Lalande, soldat de la patrie“. Und er nannte die Regierenden Blutsauger, Tyrannen, Henker, Schurken, Scharlatane. Im April 1796 tauchten überall in Paris Plakate mit dem Titel „Analyse de la doctrine de Babeuf, tribun du peuple“ auf, und Babeufs Lied „Sterbend vor Hunger, sterbend vor Kälte“ wurde zum Gassenhauer.

Nunmehr wurden Spitzel angesetzt, die angebliche Beweise für eine Verschwörung, für einen von Babeuf geplanten Staatsstreich lieferten. Nochmals wurde Babeuf verhaftet, nun aber nie wieder freigelassen. Man stellte ihn vor Gericht und fällte schließlich das Todesurteil. Am 8. Prairial (27. Mai) 1797 wurde Françoise Noël Babeuf guillotiniert.

 

 

 

Alexander Burnes

* 16.5.1805 in Montrose, genannt: Bokhara Burnes, † 2.11.1841 in Kabul, britischer Reiseschriftsteller

 

Alexander Burnes entdeckte als erster Europäer die kolossalen Buddha-Statuen von Bamyian, beschrieb sie, veröffentlichte diesen Bericht mit anderen Reisenreportagen, wurde populär.

Dann avancierte Sir Alexanderer Burnes, vertrat das britische Empire diplomatisch in Kabul und wurde von afghanischen Freischärlern ermordet.

 

In Corona-Zeiten schrieb ich in „Unerreicht. Abgehakt“:

Bamiyan

Stolze 53 und 35 Meter ragten sie hoch auf, die beiden größten stehenden Buddha-Statuen der Welt, ja, und 1.500 Jahre waren sie alt. Islamistische Sprengkommandos brauchten dann immerhin volle 4 Tage, um dieses Weltkulturerbe zu zerstören, restlos, ein für alle Mal. Was also sollte man dort – wenn man nicht selbst in die Luft gejagt werden will?

 

 

 

Józef Czechowitz

* 15.3.1903 in Lublin, † 9.9.1939 ebd., polnischer Dichter

 

Józef Czechowitz kam neun Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen bei einem Bombenangriff auf seine Heimatstadt Lublin ums Leben.

Bereits 1936 hatte er „ein Gedicht über den Tod“ geschrieben:

 

durch die azurblauen Phosphorflammen ein

Klirren das Klirren von Laken der

Rand des schwarzen Wassers mit Schilf bedeckt

mit schwarzem Schilfschwarz wie ein Vogel

 

staubiger Steppennebel bläulicher

Mond steht wieder der Mond ist wieder

 

gekrönt hilf nicht schwachen

grauen Flügeln flattert ihr Flüsterschrei

aus deiner Schwäche

und das stört die Welt wie Wein

 

Steppe Blau steht

auf dem Boden in Städten auf Brücken Straßen

Menschenmassen aus Torfenstern Türen

laufen vor sich davon erschrecken

 Gedränge klirren Blechklirren verspotten

 

uns sonst hinter Wasser hinter Wasser mit Glasur

stumme Aufblitze von Visionen, aber der Mond hat sie ruiniert, der

graue Duft von aromatischen Kräutern rollt hier über den Schlamm

unter der Welle, die dasselbe ins Schilf flüstert, in der

 

Nähe fangen alte Frauen das dämmerige Fleisch

mit den Händen in einem Dickicht auf die blauen Lichter ein Dickicht

nach der Spur ein Junge schlank wie ein Gewirr von

niemandes Augen lockt Wiese diese Gotteswiese

geschlossene Augenlider lassen ihre Gesichter frieden

gekrönt sehen sie nicht weiß nicht träumt nicht

 

und hier schüttet ein nettes Kind Sand ins Geschirr mit seinen

händen wählt anmutig und weiß auch nicht sieht nicht

junge männer gehen und schlafen sandalen ihr tau reibt ihre

schultern unter den wolken sie werden ohnmächtig vom

kampf träumen sie rauchen zasnuwa hier ist keine sonne

woher werden die Gebete kommen, biege

 

das Mädchen in einen Schleier und Rosen eine weiße Girlande

denn das Leichentuch ist der Schaum des Schleiers die Blume des Todes Hochzeitstuch

und die neben dir stehen vor der Leere des Himmels

oder sind sie wirklich zusammen in der geruch erstickender steppen

 

o menschen menschen im gras menschen am schwarzen wasser

ein zauber von dir ein zauber hat uns eingehüllt

 

alte Männer die Jungs meiner Mutter mich und die Babyjungfrauen gekrönt

gleich gleich gleich

unter dem Mond

 

 

 

Ödön von Horváth

* 9.12.1901 in Sušak, † 1.6.1938 in Paris, österreichisch-ungarischer Schriftsteller

 

Eine Wahrsagerin hatte Ödön von Horvath prophezeit, dass ihm in den ersten Junitagen des Jahres 1938 das „bedeutendste Ereignis seines Lebens“ bevorstehe.

Nach dem „Anschluss Österreichs“ an Nazi-Deutschland war Ödön von Horváth aus seiner Heimat geflohen. Seine erfolgreichen Stücke wie die „Geschichten aus dem Wienerwald“, „Glaube Liebe Hoffnung“, „Kasimir und Karoline“, „Don Juan kommt aus dem Krieg“, „Ein Dorf ohne Männer“, oder „Sladek, der schwarze Reichswehrmann“ durften „im Reich“ nicht mehr aufgeführt werden.

In einem Brief schreib er im März 1938: „Gott, was sind das für Zeiten! Die Welt ist voller Unruhe, alles drunter und drüber, und noch weiß man nichts Gewisses! Man müsste ein Nestroy sein, um all das definieren zu können, was einem undefiniert im Wege steht! Die Hauptsache… ist Arbeiten! Und nochmals: Arbeiten! Und wieder: Arbeiten! Unser Leben ist Arbeit – ohne sie haben wir kein Leben mehr. Es ist gleichgültig, ob wir den Sieg oder nur die Beachtung unserer Arbeit erfahren – es ist völlig gleichgültig, solange unsere Arbeit der Wahrheit und der Gerechtigkeit geweiht bleibt. So lange gehen wir auch nicht unter, so lange werden wir auch immer Freunde haben und immer eine Heimat, denn wir tragen sie in uns – unsere Heimat ist der Geist. Der Geist, der nichts zu tun hat mit den blöden Schlagworten von Blut und Boden…“

Klaus Mann urteilte über den Autor zeitkritischer Romane wie „Der ewige Spießer“: „Ödön von Horváth ist einer unserer Besten gewesen. Er war ein Dichter, nur wenige verdienen diesen Ehrennamen. Die Atmosphäre echter Poesie war in jedem Satz, den er geschrieben hat, und sie war auch um seine Person, war in seinem Blick, seiner Rede.“

In der Vorrede zu seinem Roman „Der ewige Spießer“ sagt Ödön von Horváth: „Der Spießer ist bekanntlich ein hypochondrischer Egoist, und er trachtet danach, sich überall feige anzupassen und jede neue Formulierung der Idee zu verfälschen, indem er sie sich aneignet. Wenn ich mich nicht irre, hat es sich herumgesprochen, daß wir ausgerechnet zwischen zwei Zeitaltern leben. Auch der alte Typ des Spießers ist es nicht mehr wert, lächerlich gemacht zu werden; wer ihn heute noch verhöhnt, ist bestenfalls ein Spießer der Zukunft. Ich sage: ‚Zukunft’, denn der neue Typ des Spießers ist erst im Werden, er hat sich noch nicht herauskristallisiert.“

Franz Werfel schrieb: „Ödön von Horváth wurde gefällt, lange bevor er sich zu letzten Tat gesammelt hatte. Die fragmentarische Leistung jedoch genügt schon, um zu ahnen, daß dieser Dichter dazu geboren war wie kein anderer, dem deutschen Roman die erschöpfende ‚Dämonologie des Kleinbürgers’ zu schenken. ‚Jugend ohne Gott’ und ‚Ein Kind unserer Zeit’ wären vermutlich die ersten Bände dieser Dämonologie geworden. Der Kleinbürger. Wie ihn Horváth schildert, ist weniger der Angehörige einer Klasse als der dumpf-gebundene, dem Geiste widerstrebende, als der schlechthin verstockte Mensch.“

Walter Mehring meinte: „Ein solches Schlusskapitel so jäh unzeitgemäß, hätte hinzuschreiben überhaupt nur ein Schriftsteller unserer Generation sich getraut: Ödön von Horváth. Es fügt sich ganz organisch, von ihm selbst gefunden, seinem Werk an, das oft mit einem übermütigen Satz über den Zaun des Jenseits springt.“

Der Schweizer Schriftsteller Hansjörg Schneider schrieb in einem Nachwort zu einer Ausgabe Horvaths Werke: „Die ihn kannten, versichern, dass er viel auf Prophezeiungen und Vorahnungen gab und vor gewissen Dingen Angst hatte, ohne zu wissen warum. Nie benutzte er einen Lift, und Straßen waren ihm unheimlich. ‚Straßen können einem übelwollen’, äußerte er einmal, ‚können einen vernichten’. Es war eine Straße, eine der schönsten der Welt, die ihm zum Verhängnis wurde.“

Am 1. Juni 1938 hatte sich Ödön von Horváth in Paris mit einem amerikanischen Regisseur getroffen, um über eine Verfilmung seiner Romane und möglicherweise sogar über eine Auswanderung in die USA zu sprechen. Nach dem Gespräch bot ihm der Regisseur an, ihn mit seinem Auto ins Hotel zurückzufahren. Ödön von Horvath lehnte ab, ging übervorsichtig zu Fuß und wurde mitten auf den Champs-Élysées von einem herunterstürzenden Ast erschlagen.

 

 

 

Oury Jalloh

* 2.6.1968 in Kabala, Koinadugu, † 7.1.2005 in Dessau, Flüchtling aus Sierra Leone

 

„Der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte Oury Jalloh wurde vor seinem Tod schwer misshandelt. Dabei wurden ihm unter anderem Schädeldach, Nasenbein, Nasenscheidewand und eine Rippe gebrochen. Das ergibt ein neues forensisches Gutachten des Rechtsmediziners und Radiologie-Professors Boris Bodelle von der Universitätsklinik Frankfurt, das die taz einsehen konnte. Das Gutachten hatte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh (IGOJ) in Auftrag gegeben. […] Laut dem Frankfurter Gutachten zeigen Entzündungen, dass Jalloh zum Zeitpunkt der Verletzungen noch gelebt haben muss, die Brüche ihm also nicht etwa während der Löscharbeiten oder beim Transport in die Leichenhalle zugefügt sein können. Es sei davon auszugehen, dass die Veränderungen ‚vor dem Todeseintritt entstanden sind‘, heißt es im Gutachten.“ („Die Tageszeitung, 28. Oktober 2019)

Seit Oury Jallohs Tod gab es diverse Untersuchungen, Anhörungen, Begutachtungen, Prozesse, und so lange der Verdacht nicht glaubwürdig ausgeräumt werden kann, dass in jener Dessauer Zelle höchst Merkwürdiges, ja, Unerhörtes geschah, dass der Flüchtling aus Sierre Leone seine feuerfeste Matratze, an die er gekettet war, kaum selbst in Barnd gesteckt haben kann, wird es wohl Menschen geben, die weiter versuchen zu klären, hartnäckig weiter hinterfragen, wie Oury Jalloh ums Leben kam.

„Von Jahresanfang bis August 2020 beschäftigten sich die vom Landtag von Sachsen-Anhalt beauftragten Sonderermittler Jerzy Montag und Manfred Nötzel mit dem Fall. Sie kamen in ihrem 303 Seiten starken Abschlussbericht für den Rechtsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt sodann zu dem Ergebnis, dass das Handeln der Polizei fehlerhaft und „rechtswidrig“ war. Die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Halle im Oktober 2017 sei jedoch „nachvollziehbar und angesichts der Beweislage sachlich und rechtlich richtig“. Es gebe keine offenen Ansätze, um wegen Mordes oder Mordversuchs zu ermitteln.“ (Wikipedia)

Das letzte Wort im „Fall Jalloh“? Sicher nicht.

Mittlerweile beschäftigten sich nicht nur Menschenrechtler, Juristen und Politiker immer wieder mit dem „Fall Jalloh“, sondern auch Film- und Theater-Regisseure, investigative Journalisten, Autoren, Musiker…

 

 

 

Graham Bond

* 28.10.1937 in Romford, † 8.5.1974 in London, englischer Musiker

 

Legendär die Graham Bond Organisation, die Mitglieder-Liste liest sich wie ein „Who is Who“ der Rockmusik: Ginger Baker, Jack Bruce, Pete Brown, Dick Heckstall-Smith, Jon Hiseman, John McLaughlin…

Graham Bond behauptete, sein eigenes Geburtsdatum nicht zu kennen und ein unehelicher Sohn des britischen Okkultisten Aleister Crowley, der sich in Anlehnung an die biblische Apokalypse „The Great Beast 666“ nannte. Graham Band sang, spielte Saxophon und Keybords, und führte die Hammond-Orgel und das Mellotron in die Rockmusik ein. Sein Debüt-Album hieß: The Sound of 65“.

Drogen spielten in seinem Leben immer wieder eine Rolle und er beschäftigte sich auch mit Schwarzer Magie.

Graham Bond starb im Alter von nur 36 Jahren in der Londoner Subway-Station Finsbury Park, wo ihn ein Zug der Piccadilly Line erfasste und er nur noch anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert werden konnte.

 

 

 

Orhan Veli

* 13.4.1914 in Istanbul, ab 1934 Orhan Veli Kanık, † 14.11.1950 ebd., türkischer Dichter

 

Orhan Veli gilt als Erneuerer der türkischen Poesie. Etliche seiner Gedichte wurde vertont, populär blieb seine Hommage an Istanbul:

 

İstanbulu dinliyorum, gözlerim kapalı.

Önce hafiften bir rüzgâr esiyor,

Yavaş yavaş sallanıyor

Yapraklar, ağaçlarda;

Uzaklarda, çok uzaklarda, Sucuların hiç durmıyan çıngırakları

İstanbulu dinliyorum, gözlerim kapalı.

… -

Istanbul, ich höre dich und schließe meine Augen.

Zuerst weht nur ein leichter Wind,

Streicht langsam nur und nicht geschwind

Die Blätter in den Bäumen.

Weit, weit, wie aus alten Träumen

Trägt er mir nun der Händler stetig Treiben.

Istanbul, ich höre dich und schließe meine Augen.

Orhan Veli Kanık starb im Alter von nur 36 Jahren in seiner Heimatstadt Istanbul an den Folgen eines Sturzes in eine Baugrube.

 

 

 

 

Bartholomäus Ziegenbalg

* 10.7.1682 in Pulsnitz, † 23.2.1719 in Tranquebar, Indien, deutscher Missionar

 

Bartholomäus Ziegenbalg studierte als Schüler August Hermann Franckes an der Universität Halle Theologie, konnte sein Studium aus gesundheitlichen Gründen jedoch nicht abschließen, wurde Lehrer in Merseburg, wirkte auch in Erfurt, Pulsnitz und Werder. Im Alter von 23 Jahren wurde er in die Dänisch-Hallesche Mission berufen und traf im Jahr darauf in der dänischen Kolonie Tranquebar in Südindien ein. Da er sich gegen die Lebensweise der hier lebenden Europäer äußerte und sich für soziale Belange der Einheimischen einsetzte, wurde er sogar für einige Monate arrestiert.

Bartholomäus Ziegenbalg lernte Tamilisch, übersetzte die Bibel und gründete die erste evangelisch-lutherische Tamilgemeinde in Tranquebar. Er verfasste Schriften wie eine „Genealogie der malabarischen Götter“ oder eine „Beschreibung der Religion, und heiligen Gebräuche der malabarischen Hindus“, die jedoch erst Jahrzehnte nach seinem Tod gedruckt wurden. August Hermann Francke mahnte ihn, dass Missionare nach Indien gesandt worden seien, um das Heidentum auszurotten und nicht, um heidnischen Unsinn in Europa zu verbreiten.

Bartholomäus Ziegenbalg starb im Alter von 36 Jahren

 

 

 

 

Georges Bizet

* 25.10.1838 als Alexandre-César-Léopold Bizet in Paris, † 3.6.1875 in Bougival, französischer Komponist

 

Zum Gedenken an George Bizet, den Schöpfer der „Carmen“ wird seit 2019 sein Geburtstag als Weltoperntag begangen.

Seine erste Sinfonie schrieb er im Alter von 17 Jahren. Neben der Oper „Carmen“ komponierte George Bizet, der auch als hervorragender Pianist galt, zeit seines kurzen Lebens weitere 14 musikdramatische Werke, 15 Stücke für Soloklavier, zahlreiche Lieder und weitere Sinfonien, Ouvertüren, eine Suite und ein Te Deum.

Den Welterfolg seiner „Carmen“ konnte George Bizet nicht mehr erleben, drei Monate nach der Uraufführung starb er sechsunddreißigjährig an einem Herzinfarkt.

 

 

 

Alexander Sergejewitsch Puschkin

* 6.6.1799 in Moskau, † 10.2.1837 in Sankt Petersburg, russischer Dichter

 

„Man kann sagen, daß es vor Puschkin in Russland keine Literatur gegeben hat, die der Aufmerksamkeit Europas würdig ist und in Bezug auf Tiefe und Mannigfaltigkeit den erstaunlichen Leistungen der europäischen Literatur gleichkommt. Im Schaffen Puschkins spürt man etwas Vulkanisches, eine wunderbare Verbindung von Leidenschaft und Weisheit, von bezaubernder Liebe zum Leben und scharfer Verurteilung der Banalität des Lebens, seine ergreifende Zärtlichkeit scheute nicht vor einem satirischen Lächeln zurück, und er ist in jeder Beziehung ein Wunder“, urteilte Maxim Gorki.

Nikolai Gogol schrieb: „Puschkin ist eine außerordentliche und vielleicht eine einzigartige Erscheinung des russischen Geistes: das ist der russische Mensch in seiner Ausprägung, wie er sich vielleicht in zweihundert Jahren offenbaren wird. In ihm spiegeln sich die russische Natur, die russische Sprache, der russische Charakter in seiner Reinheit, in solcher geläuterten Schönheit, wie sich eine Landschaft  auf der gewölbten Fläche eines optischen Glases spiegelt.“

Willi Bredel lobte: „Er hat seinem Volk und allen Menschen nicht nur unsterbliche Dichtungen hinterlassen, sondern durch sein Leben auch das Vorbild eines Mannes gegeben, der charakterlich unmakelhaft sauber, gesinnungsmäßig unbestechlich ehrlich, ein wirklicher Freund der Menschen und ihr Verkünder und Vorkämpfer eines glücklichen Lebens war.“

Daniil Granin meinte: „Für Puschkin kann die Kunst nur von einem Menschen geschaffen werden, der den höchsten Forderungen der Sittlichkeit nachkommt.“

Nicht von ungefähr also, dass Alexander Sergejewitsch Puschkin, Schöpfer der „Pique Dame“, des „Eugen Onegin“, des „Boris Godunow“, im Alter von nur sechsunddreißig Jahren infolge eines Duells um die Ehre seiner Frau zu Tode kam.

Michail Lermontow verfasste Puschkin zu Ehren sein berühmtes Gedicht „“Der Tod des Dichters“: „Der Dichter wollte seine Ehre rächen, / Die er durch giftges Wort verletzt geglaubt, / Da traf ihn selbst das Blei, sein Herz zu brechen, /Zu beugen sein gewaltig Haupt…“

Puschkins Freund Wassili Andrejewitsch Schukowski sagte: „Welchem Russen ist nicht durch seinen Tod etwas Verwandtes vom Herzen gerissen?“

 

 

 

Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg

* 15.11.1907 in Jettingen, Bayern, † 21.7.1944 in Berlin, deutscher Offizier

 

In der Uchronie, der Imagination des historischen „Was-wäre-wenn?“, gibt es kaum einen „klassischeren Fall“ als: Was wäre der Menschheit erspart geblieben, wie würde die Welt heute aussehen, wäre Stauffenbergs Attentat auf Hitler geglückt?

 

 

 

Wladimir Wladimirowitsch Majakowski

* 19.7.1893 in Baghdati, Georgien, † 14.4.1930 in Moskau, sowjetischer Dichter

 

„Die phantastische Metaphysik Majakowskis, sein rücksichtsloses Miteinander von Sublimen und Gassenhauer, Zaubersprache und Jargon, der enorme Umfang seiner Mittel, seine besessene Rhetorik könnten vielleicht ihresgleichen haben, wäre nicht mit allem dieses merkwürdige Bekennertum verbunden, dieses Zurschaustellen eines Herzens, die Konfession, die sich jeder Spekulation, jedem Strategen, jedem Opportunismus entziehen“, schrieb Stephan Hermlin.

Und Louis Aragon sagte: „Einige Philosophen lehrten mich, die Welt zu verneinen. Der Dichter Wladimir Majakowski lehrte mich, daß man sich an die Millionen Menschen wenden muß, an diejenigen die diese Welt umgestalten wollen.“

Im Prolog zu seinem Poem „Wölkchen in Hosen“ schrieb Majakowski 1915:

 

Euer Traum

im Hirn ist verweichlicht bereits,

wie ein fetter Lakai auf dem speckigen Sofa, bis ich

ihn erst einmal mit dem blutigen Fetzen des Herzens gereizt

und mich sattgelacht, arrogant und bissig.

In meiner Seele fand sich von grauen Haaren kein Schimmer,

keine Greisenzärtlichkeit fand sich!

Da schreit’ ich: Es donnert die kraftvolle Stimme.

Und ich bin schön

und bin zweiundzwanzig

 

Dann verehrte er Lenin, agitierte sogar, Lenin aber empfahl, statt Majakowski besser Puschkin zu lesen. Gegen Ende der 1920er Jahre begann Majakowski jedoch zunehmend das Sowjet-System kritisch zu sehen, die überbordende Bürokratie vor allem, schrieb die Komödie „Die Wanze“.

Und im Alter von 36 Jahren schoss sich Wladimir Majakowski schließlich mit einer Pistole ins Herz.

In einem Abschiedsbrief hatte teilte er mit: „Wie man so sagt, der Fall ist erledigt; das Boot meiner Liebe am Alltag zerschlug. Bin quitt mit dem Leben. Gebt niemandem die Schuld, dass ich sterbe, und bitte kein Gerede. Der Verstorbene hat das ganz und gar nicht gemocht.“

 

 

 

Karl Philipp Moritz

* 15.9.1756 in Hameln, † 26.6.1793 in Berlin, deutscher Schriftsteller

 

Karl Philipp Moritz wirkte als Hutmacher, Schauspieler, Hofmeister, Lehrer, Redakteur, Schriftsteller, Freimaurer, Spätaufklärer, Philosoph und Kunsttheoretiker und gab in seinem kurzen Leben dem Sturm und Drang, der Berliner Aufklärung, der Berliner und der Weimarer Klassik sowie der Frühromantik Impulse. Befreundet war er mit Goethe und Moses Mendelssohn, zu seinen Schülern zählten Alexander von Humboldt, Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder.

Sein bekanntestes Werk dürfte der vierteilige Roman „Anton Reiser“ sein, der als einer der ersten psychologischen Romane der deutschen Literatur gilt und das Scheitern des Protagonisten beschreibt, seinen Traumberuf Schauspieler auszuüben.

Karl Philipp Moritz starb im Alter von 36 Jahren an einem Lungenödem.

 

 

 

Sophie Petersen

* 30.5.1837 als Catharina Sophie Cecilie Petersen in Kopenhagen, † 15.2.1874 ebd., dänische Frauenrechtlerin

 

Sophie Petersen lernte Altgriechisch, um das Neue Testament und Altisländisch, um die Edda in der Originalsprache lesen zu können. Im Alter von 32 Jahren begann sie sich für die Einrichtung eines Lesesaals von Frauen einzusetzen, der dann drei Jahre später tatsächlich eröffnet werden konnte.

Die Frauenrechtlerin Charlotte Klein erinnerte sich: „Eines Winterabends trat eine kleine weibliche Gestalt in mein Wohnzimmer ein. Da war etwas Stilles und Bescheidenes um ihre ganze Person, aber ihr ausdrucksvoller Blick und die Leichtigkeit und Klarheit, mit der sie sich ausdrückte, belehrte einen schnell, dass das kein alltäglicher Mensch war, den man vor sich hatte. Das war die Gründerin der weiblichen Lesevereinigung, Fräulein Sofie Petersen.“

Im Alter von 36 Jahren starb Sofie Petersen.

 

 

 

 

 

Walerjan Petrowytsch Pidmohylnyj

* 2.2.1901 in Tschapli, † 3.11.1937 auf den Solowezkiu-Inseln

 

Walerjan Petrowytsch Pidmohylnyj gilt als Begründer des modernen neorealistischen ukrainischen Romans. Seine ersten Geschichten veröffentlichte er im Alter von 19 Jahren in der Zeitschrift „Sitsch“. Im Jahr darauf erschien seine Erzählung „Ostap Schaptala“, 1928 „Die Stadt“ und 1930 „Kein zu großes Drama“.

Im Zuge der Stalinschen Säuberungen verlor er seine Anstellung als Redakteur, wurde mehrfach verhaftet und schließlich zu 10 Jahren Haft auf den Solowezki-Inseln, einem berüchtigten Gulag im Weißen Meer, verurteilt. Kurz vor dem 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurde Walerjan Petrowytsch Pidmohylnyj hier im Alter von 36 Jahren erschossen.

 

 

 

 

 

Jean-Antoine Watteau

* 10.10.1684 in Valenciennes, † 18.7.1721 in Nogent-sur-Marne, französischer Maler

 

Jean-Antoine Watteau schuf eine neue Gattung der Bildenden Kunst, die „Watteau-Malerei“: die Darstellung von galanten Festen, ländlichen Vergnügungen, Schäferstücken und Schauspielern. Mit den Kostümen seiner Figuren beeinflusste er die Mode seiner Zeit: Coiffures à la Watteaum, Kostüme à la Watteau, Watteauhäubchen, Negligés à la Watteau…

Mit großer Sicherheit und Lebendigkeit der Zeichnung verband er eine geistreiche und leichte, wenn auch bisweilen flüchtige Pinselführung und ein fein ausgebildetes Naturgefühl, das sich besonders in den landschaftlichen Hintergründen seiner Gemälde zeigt. Die größte Zahl von Gemälden Watteaus befindet sich, von Friedrich dem Großen angekauft, im Besitz der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (in Schloss Charlottenbrug und im Neuen Palais in Potsdam), darunter […] ‚Der Liebesunterricht’, ‚Ein ländliches Vergnügen’, ‚Die tanzende Iris’ und ‚Das Firmenschild des Kunsthändlers Gersaint’ sowie demnächst im Louvre zu Paris ‚Der Fehltritt’, ‚La finette’, ‚l’Indifferent’, ‚Der italienische Harlekin Gilles’ und ‚Die Gesellschaft im Park’. Eine große Anzahl von Bildern Watteaus befindet sich auch in englischem Privatbesitz (die hervorragendsten in der Londoner Wallace Collection)“, weiß Wikipedia.

Insgesamt hinterließ Jean-Antoine Watteau fast 800 Werke, neben Gemälden vor allem die Vorlagen für den vierbändigen Grafik-Zyklus „Recueil Jullienne“.

Der Schöpfer der weltberühmten „Fetes galantes“, der als einsam galt, starb im Alter von 36 Jahren an Tuberkulose.

 

 

 

Wilhelm Dodel

* 15.2.1907 in Moskau, † Januar 1944 in Grustinja, deutscher Maler

 

Otto Dix sagte über Wilhelm Dodel: „Er war einer meiner begabtesten Schüler.“

Und die Kunsthistorikerin Hannelore Gärtner schrieb: „Dodels Schaffen der letzten zwanziger Jahre bis 1933 wurde vom leidenschaftlichen Kampf gegen das Bestehende, für ein besseres Morgen geprägt. Leider lassen die wenigen von der Vernichtung durch Faschismus uns Krieg verschonten Werke diese revolutionäre Haltung des Künstlers nicht in ihrer tatsächlichen Bedeutung erkennen. […] Er träumte von einem neuen, befreiten Menschentum, dem er in seinen Bildern Gestalt zu geben versuchte.“

Susanne Kunath berichtet: „Dodel wurde nie müde,  sich seine Malmittel selbst zuzubereiten, in wochenlangen Mühen. Es hingen zierliche Leinenbatistbeutelchen mit Dammakristallen gefüllt in Terpentinen und destillierten Wassermengen zum Auflösen. Es wurden Riesenmengen ungebleichten Nessels bebrüht, zerteilt, getrocknet, aufgespannt und siebenfach grundiert und mit Rasierklingen geschliffen, spiegelblank, um eine Imprimatur zu tragen, worauf mit Temperaweiß gehöht und schwarz die Tiefen in die präzisen Zeichnungen eingearbeitet wurden, stunden- und tagelang. Die Farbpulver wurden eigens angerieben und mit Eitemperaemulsion vermengt, mit Terpentin und Öl vermalt, isoliert mit wochenlang trocknenden Mastizschichten. Ein Bild dauerte Monate und Jahre, gerechnet von den ersten Naturstudien an. Ein Alchimist! Ein Fan würde man heute sagen.“

Wilhelm Dodel wurde 1939 zum Kriegsdienst eingezogen und fiel Anfang 1944 an der Ostfront.

 

 

 

Jewhen Pawlowytsch Hrebinka

* 2.2.1812 in Ubjeschyschtsche, † 15.12.1848 in Sankt Petersburg, ukrainischer Autor

 

Im Alter von 19 Jahren publizierte Jewhen Pawlowytsch Hrebinka erste literarische Werke. Drei Jahre später veröffentlichte er die Sammlung „Kleinrussische Fabeln“. Weitere Bücher Jewhen Pawlowytsch Hrebinkas sind: „Geschichten eines Pyrjatyners“, „Hetman Svihorskyj“ und „Bohdan“. Weithin bekann wurde als Textdichter von „Schwarze Augen“:

Schwarze Augen, brennende Augen

Leidenschaftlich und schön!

Wie ich dich liebe!

Wie ich dich fürchte!

Wisse, dass ich dich

Nicht zu guter Stunde gesehen habe…

 

  

 

 

Pejo Jaworow

* 1.1.1878 als Pejo Totow Kratscholow in Tschirpan, † 29.10.1914 in Sofia, bulgarischer Dichter

 

Pejo Jaworow gilt als Begründer des bulgarischen Symbolismus. Zuschreiben begann er als Redakteur von Zeitungen und Zeitschriften, die dem „Bulgarisch-Makedonisch-Adrianopoler Revolutionären Komitee“ nahestanden. Sein erstes literarisches Werk „Napred“ erschien dann auch in einer dieser Zeitungen.

1903 nahm er am Ilinden-Aufstand teil, kämpfte in Mazedonien an der Seite von Goze Deltschew (dessen Biograph er auch wurde) gegen die Osmanen.

Pejo Jaworow verfasste auch Gedichte und Theaterstücke. Zu seinen bekanntesten Werken zählen„Schlaflosigkeiten“ und „Den Schatten der Wolken nach“.

Als sich seine Frau 1913 nach einer Eifersuchtsszene erschoss, versuchte auch er Selbstmord zu begehen, verletzte sich jedoch durch einen Schuss nur schwer und erblindete. Im Jahr darauf aber nahm Pejo Jaworow dann Gift und schoss sich zudem in den Kopf.

 

 

 

 

Ana Mendieta

* 18.11.1948 als Ana Maria Mendieta in Havanna, † 8.9.1985 in New York City, kubanische Künstlerin

 

Einige Kunstwerke Ana Mendietas gelten als Ikonen der Kunst der 1970er Jahre. Schon mit ihren ersten Werken wie „Rape Scene“ thematisierte sie die Gewalt gegen Frauen. Als ihre bekanntesten Werke zählen die „Silhuetas“, über die sie sagte: Ich habe einen Dialog zwischen der Landschaft und dem weiblichen Körper [basierend auf meiner eigenen Silhouette] vollzogen. Ich glaube, dass es direkt der Tatsache geschuldet ist, dass ich in meiner Jugend aus meinem Heimatland [Kuba] gerissen wurde. Das Gefühl, aus dem Mutterleib [Natur] ausgeworfen worden zu sein, ist überwältigend. Meine Kunst erlaubt mir, die Bindung, die mich mit dem Universum vereinen, wieder zu ergründen. Sie ist eine Rückkehr zur mütterlichen Quelle. […] Dieser obsessive Bekräftigungsakt meiner Verbundenheit mit der Erde ist tatsächlich eine Bekräftigung urzeitlichen Glaubens an eine omnipräsente weibliche Kraft, das Nachbild des Umgebenseins im Mutterleib und ein Ausdruck meines Durstes nach dem Sein.

Wikipedia weiß: „Nachdem sich Mendieta als Studentin anfangs mit Malerei beschäftigt hatte, wandte sie sich im Rahmen der von Hans Breder veranstalteten Intermedia-Seminare an der Iowa State University der Performance zu. Ihre erste derartige Arbeit war ‚Death of a Chicken’. Diese war Mendietas einzige Performance, die ein Tieropfer umfasste, während sie in der Folge noch mehrmals Blut einsetzte. Es folgten Performances wie ‘Untitled (Grass on Woman)’, die auch als ihr erstes earth-body work gilt, ‘Untitled (Facial Cosmetic Variations)’ und ‘Untitled (Facial Hair Transplant).”’

Im Alter von 36 Jahren stürzte Ana Mendieta unter nie geklärten Umständen aus dem Fenster im 34. Stock ihres New Yorker Apartments.

„Ana Mendieta war aufgrund der Umstände ihres Todes und ihrem Status in der Kunstgeschichte immer wieder Gegenstand von Protesten. Als 1992 das Guggenheim SoHo eröffnet wurde, gab es eine Demonstration von 500 Feministinnen, die unter anderem Plakate mit der Aufschrift ‚Where Is Ana Mendieta?’ trugen“, berichtet Wikipedia. „Zu dieser Zeit richtete sich der Protest gegen die Ignoranz des Kunstbetriebs gegenüber dem Schaffen von Mendieta, das vor allem Gegenstand feministischer Kunstkritik war. Aber selbst nachdem Mendieta in renommierten Museen ausgestellt wurde, blieb sie ein Symbol für den Kampf von Frauen im Kanon der Kunstgeschichte.“

 

 

 

 

 

Henri de Toulouse-Lautrec

* 24.11.1864 als Henri Marie Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa in Albi, † 9.9.1901 in Chȃteau Malromé, Saint-André-du-Bois, französischer Maler

 

Henri Toulouse-Lautrec spielte eine führende Rolle in der Entwicklung der Plakatkunst. Seine großformatigen Lithografien, die er nicht zuletzt für das Pariser Varieté „Moulin Rouge“ entwarf, gelten als Meilensteine der Werbung.

Insgesamt umfasst das Werk des kleinwüchsigen Künstlers 737 Ölgemälde, 275 Aquarelle, 5084 Zeichnungen und 359 Lithografien.

Infolge seiner Absinthsucht starb Henri de Toulouse-Lautrec im Alter von nur 46 Jahren.

Im Jahr 2000 wurde ein Asteroid nach ihm benannt.

 

 

 

Heinrich Rudolf Hertz

* 22.2.1857 in Hamburg, † 1.1.1894 in Bonn, deutscher Physiker

 

Heinrich Rudolf Hertz gilt als Entdecker der elektromagnetischen Wellen, deren Frequenz-Einheit ihm zu Ehren benannt wurde. Auf seiner Entdeckung basierte die Entwicklung der drahtlosen Telegrafie und des Radios.

Die Nazis versuchten die physikalische Einheit „Hertz“ unter Beibehaltung des Symbols „Hz“ in „Helmholtz“ umzuwidmen, schmähten Heinrich Hertz als „Halbjuden“, entfernten sein Porträt aus dem Hamburger Rathaus und benannte Hertz-Institutionen und Hertz-Straßen um.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies rückgängig gemacht, gibt es deutschlandweit diverse nach Heinrich Hertz benannte Straßen, Denkmale, Schulen und Kasernen sowie wissenschaftliche Institutionen weltweit, und ein Mondkrater und Asteroid wurden nach ihm benannt, und in Japan wurde ihm der Orden des „Heiligen Schatzes“ verliehen.

Nach einem schweren Migräne-Anfall wurde bei Heinrich Hertz 1892 Morbus Wegener festgestellt, woran er schließlich im Alter von nur 36 Jahren verstarb.

 

 

 

Gérard Philipe

* 4.12.1922 in Cannes, † 25.11.1959 in Paris, französischer Schauspieler

 

Gérard Philipe, postum „Liebling der Götter“ genannt und mit dem „César“ geehrt, starb wenige Tage vor seinem 37. Geburtstag an Leberkrebs. Seinem letzten Willen entsprechend wurde er in Ramatuelle, oberhalb der Bucht von St. Tropez, im Kostüm des El Cid beerdigt.

Die Verkörperung dieses spanischen Nationalhelden war eine der Rollen, die Gérard Philipes Ruf als Schauspieler begründeten, unvergessen auch Gérard Philipe als „Till Ulenspiegel“, „Fanfan, der Husar“ und nicht zuletzt als „Liebling der Frauen“.

 

 

 

Ada Lovelace

* 10.12.1815 als Augusta Ada Byron, voller Name: Augusta Ada King-Noel, Countess of Lovelace, in London, † 27.11.1852 ebd., britische Mathematikerin

 

Obwohl Ada Lovelace das einzige eheliche Kind Lord Byrons war (dem sie allerdings nie begegnete) und einen ihrer Söhne Byron nannte, wurde sie als Wissenschaftlerin bekannt.

Bereits als Dreizehnjährige (5 Jahre nach dem Tod ihres weltberühmten Vaters) erfand sie zum Spaß eine dampfgetriebene Flugmaschine und die die „Flugologie“. Mit dem Mathematiker Charles Babbage entwickelte sie dann die „Analytical Engine“, die zwar nie fertig gestellt wurde, deren Potential sie aber hellsichtig erkannte, wie beispielsweise die Bernouilli-Zahl mit dieser Maschine berechnet werden könne. Damit formulierte Ada Lovelace die Grundidee der Informatik und gilt als erste Programmiererin der Welt.

Eine in den 1970er Jahren entworfene „strukturierte Programmiersprache mit statischer Typenbindung“ wurde nach ihr benannt: „Ada“. Seit 1982 verleiht die „Association of Women in Computing“ den „Ada Lovelace Award”, seit 2009 wird jährlich der der “Ada Lovelace Day“ begangen, an dem, „Frauen und ihre Werke in Ingenieurswissenschaften, Technik und Mathematik“ gewürdigt werden. Im Jahr 2017 wurde das „blockchainbasierte Netzwerk Cardoso“ gestartet, dessen erste Anwendung, eine Krypto-Währung, Lady Lovelace ehrt.

Ada Lovelace starb im Alter von nur 36 Jahren an Gebärmutterhalskrebs. Wunsch entsprechend wurde sie neben ihrem Vater in der St. Maria Magdalena Kirche in Hucknall, Nottinghamshire, beigesetzt.

 

 

 

Siamanto

* 15.8.1878 in Eğin als Atom Jartschanjan, † August 1915, armenischer Dichter

 

Siamanto gilt als Begründer der „Poesie des Verbrechens“. Als Sechzehnjähriger hatte er vor Massakern an der armenischen Bevölkerung aus dem Osmanischen Reich fliehen müssen. Nach der jungtürkischen Revolution von 1908, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle Minoritäten verkündete, kehrte Siamanto in die Türkei zurück. Spätestens 1909 musste er durch Pogrome gegen Armenier in Adana erkennen, dass die Jungtürken inhaltlose Versprechen abgegeben hatten, um ihre wahren Ziele zu verschleiern. Unter dem Eindruck dieses Verbrechens, über das der österreichisch-ungarische Konsul telegraphiert hatte: „Adana in Asche gelegt, fast alle Armenier massakriert…“, verfasste Siamanto seinen wohl bedeutendsten Gedichtzyklus: „Blutige Briefe einer Freundin“.

Sein Herausgeber Edouard Aknouni schrieb zum Geleit: „Dies ist kein Lobgesang für Helden, gespielt auf einer goldenen Harfe / Und auch kein Requiem, das den Ohren schmeichelt, / Sondern ein Unheilsdenkmal nur aus Menschenschädeln, / Verfugt durch Tränenmörtel und durch Blutzement. // Erzähl das weiter, daß die Welt es hört und staunt / und durch das Staunen unseren Schmerz vielleicht versteht.“

 

… Es gibt kein Haus mehr, keine Bewohner, ich steh allein

Mit meinem Tod, dahin der Wohlstand unterm Dach,

Dahin die Lämmchen, Hühnchen, hin mein weißer Hahn,

Dahin auf einmal allesamt, verbrannt im Stall.

Ich hatte auf dem Speicher Weizen für den Winter

Und auf dem Dachboden zwei Bienenstöcke,

Dahin das alles samt dem Dorf an einem Tag nur,

Mein Schornstein, der an jedem Morgen rauchte,

Seitdem er stand – wer wollte was damit bezwecken,

So fragt ihr. Oh, da rechts die Reste meines Hauses!

Oh, seht das meinen Brunnen an der Bachrandmauer,

Zerstört, kaputt, nun kann er noch Asche wässern

Statt Blumen. Doch was ist das gegen meinen toten Enkel?

Gebt mir zwei Steine, meinen Kopf zermalm ich …

Auch meinen Maulbeerbaum? Wer konnte ihn so schlagen?

Ich pflanzte ihn am Tage der Geburt des Enkels.

Ach, denkt mit mir, wie ich ihm zusah dort beim Wachsen

Und wie er meinen Enkel, gerade sieben, schon beschattete

Nach froher Zeit mit meinen Wiegenliedern.

Auch meinen Maulbeerbaum, schaut her, so hingerichtet,

Geschlagen und zersägt bis in die Wurzeln,

Kommt bald der Leichenwagen, hör ich nicht sein Krächzen?

Legt mich da drauf, ein Platz ist ja noch frei …

 

Wilhelm Bartsch dichtete den Siamanto-Zyklus 100 Jahre nach dem Genozid an den Armeniern durch die Jungtürken im Zuge des Ersten Weltkrieges nach. Bartsch urteilte: „Siamantos Werk beeinflusst auch heute noch nicht nur die armenische, sondern auch die Weltliteratur.“

Die Armenologin Armenuhi Drost-Abgarjan sagte: „Am 24. April 1915 wurde Siamanto mit zahlreichen Vertretern der armenischen Intellektuellen durch die türkische Justiz festgenommen und später ohne Gerichtsverhandlung bestialisch ermordet.“

 

 

 

Frang Bardhi

* 1606 in Kallmet e Zadrimës, † 9.6.1643, albanischer Bischof

 

Frang Bardhi war in seinem muslimisch beherrschten Heimatland Albanien römisch-katholischer Bischof der Diözese Sapa und Sardes. Und um möglichst viele einheimische Priester heranzubilden, sie mit lateinischen Schriften und der gebräuchlichen Kirchensprache vertraut zu machen, verfasste er ein lateinisch-albanisches Wörterbuch, das „Dictionarium Lattino Epiroticum“. Im Anhang fügte er eine Liste albanischer Orts- und Personennamen, mehr als 100 albanische Sprichwörter sowie Kurz-Dialoge als Anwendungsbeispiele an, und schuf so ein einzigartiges Werk der albanischen Sprach- und Kulturgeschichte.

Weiter schrieb Frang Bardhi eine Entgegnung auf ein Pamphlet des bosnischen Klerikers Tomko Marnavich, der behauptet hatte, der große Albaner Skanderberg sei Slawe gewesen. Und Frang Bardhi klärte seine Landsleute nicht nur über die tatsächliche Abstammung ihres Patrioten auf, sondern formulierte auch deutlich seine Hoffnung, dass die Albaner einmal so erfolgreich gegen die türkischen Besatzer kämpfen würden, wie sei es dereinst unter der Führung Skanderbegs getan hatten.

Frang Bardhi wurde nur 37 Jahre alt.

 

 

 

Crazy Horse

* um 1839 als Tȟašúŋke Witkó vielleicht in Rapid Creek, South Dakota, † 5.9.1877 in Fort Robinson, Nebraska, Anführer der Oglala

 

Bei seinem Stamm war es üblich, dass der Name mit zunehmendem Alter wechselte. So hieß Tȟašúŋke Witkó eine zeitlang Curly Hair, dann, als er sich als Zehnjähriger als Fänger von Wildpferden hervorgetan hatte, His Horse on Sight, und schließlich, nachdem er tapfer gegen einen Nachbarstamm gekämpft hatte, Crazy Horse.

Und sein Ansehen wuchs mehr und mehr, nicht zuletzt, da er es verstand, Stämme zur Abwehr der immer weiter in ihre angestammten Gebiete vordringenden Weißen, zusammenzuführen. Und er hatte ein Vision: statt getreu der Lakota-Sitte mit Kriegsbemalung und Federschmuck in den Kampf zu ziehen, würde man unverwundbar bestäubte man seine blanke Haut, sein blankes Haar, ganz leicht.

Tatsächlich fügte Crazy Horse US-Truppen schmerzliche Verluste zu, nicht zuletzt in dem legendären Gefecht am Little Big Horn. Dann wurde den Lakota und anderen Stämmen aber zunehmend die Lebensgrundlage entzogen, wurden die seit jeher durch die Weiten der Prärie streifenden Bisonherden brutal abgeschlachtet.

Am 8. Mai 1877 ergab sich Crazy Horse, dessen Volk durch Kälte und Hunger geschwächt und kampfunfähig war, in Fort Robinson in Nebraska. Und um für seinen Stamm vielleicht ein Reservat zugesprochen zu bekommen, blieb ihm nur, sich irgendwie mit dem US-Heer zu arrangieren. Er wurde zum US-Indianerscout ernannt und sollte mit dem neugewählten Präsidenten Rutherford B. Hayes sprechen können. Das allerdings erregte den Neid anderer Häuptlinge, Intrigen wurden eingefädelt und es kam zu endlosen Übersetzungs-Missverständnissen. Am Ende glaubten US-Kommandanten, Crazy Horse wolle sich wieder zum Kriegshäuptling aufschwingen, um alle Weißen zu töten. Es wurde sogar ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt.

Vier Monate nach seiner Kapitulation wurde Crazy Horse im US-Fort Robinson ermordet.

 

 

 

William Falconer

* 21.2.1732 in Edinburgh, † seit Dezember 1769 vermisst, schottischer Autor

 

William Falconer überlebte als achtundzwanzigjähriger midshipman den Schiffbruch der „Ramillies“, geriet bald darauf auf der „Britannia“ in Seenot, und schrieb nun sein episches Gedicht „The shipwreck“. Das „schildert in korrekten und wohlklingenden Versen die Geheimnisse der Tiefe, die Schrecken des Meeres, den Mut der Seeleute, die ihnen trotzen, und zugleich die Einrichtung des Schiffs, mit solcher Realität, dass es selbst in technischer Hinsicht für Seeleute von Wert ist.“ (Wikipedia)

William Falconer verfasste erfolgreich weitere Gedichte, Oden und Satiren vor allem, sowie ein „Universal dictionary of the marine“, das sogar die Anerkennung des Ersten Lords der Admiralität fand.

Im Alter von 37 Jahren segelte William Falconer als Schiffszahlmeister auf der „Aurora“ nach Indien, die beim Kap der Guten Hoffnung spurlos verschwand.

 

 

 

Jacques Futrelle

* 9.4.1875 als John Health Futrell im Pike County, Georgia, † 15.4.1912 im Nordatlantik, amerikanischer Autor

 

Jacques Futrelle wurde als Schriftsteller durch seine Kurzgeschichten über „Die Denkmaschine“ bekannt, deren erste Folge 1905 im „Boston American“ erschien. Als letztes verfasste er den Roman „Blind Man’s Bluff“.

Nachdem Jacques Futrelle 1912 seinen 37. Geburtstag in London gefeiert hatte, fuhr er am nächsten Morgen nach Southampton und bestieg die RMS „Titanic“, um luxuriös in die USA zurückzureisen.

So war er denn mittendrin im Geschehen bei einem Zäsurtag der Menschheit, ja, das Unsinkbare sank. Wenn Jacques Futrelle diesen Tag überlebt hätte, hätte er drüber schreiben können.

 

 

 

Johann Hüglin

* vor 1490 in Lindau, † 10.5.1527 in Meersburg, deutscher Reformator

 

Johanned Hüglin, Pfarrer in Sermatingen am Bodensee, unterstützte aufständische Bauern. Nach Niederschlagung der Aufstände wurde er denunziert und festgenommen. Vorgeworfen worden war ihm unter anderem, dass er am Freitag Fleisch gegessen und im Wirtshaus gegen die Obrigkeit gehetzt habe. Und nachdem er sich weigerte, Negatives über Martin Luther zu äußern, verbrannte man ihn nach kurzem Prozess im Alter von 37 Jahren.

Zuletzt soll Johann Hüglin den Schaulustigen noch zugerufen haben: Dir sei Lob und Dank, ewiger Gott, dass du mich gewürdigt hast, um deines heiligen Namens willen an diesem Tag Tod und Marter zu erleiden.

 

  

 

 

Konca Kuriş

* 1962 in Mersin, † 1998 (1999?) in Meram, türkische Feministin

 

Konca Kuriş beschäftigte sich intensiv mit dem Koran und sprach sich für die Gleichstellung muslimischer Frauen aus. Nachdem eine Lokalzeitung über sie berichtet und sie als „islamische Feministin“ bezeichnet hatte, wurde sie von der kurdischen Hizbullah aus ihrem Haus entführt. Erst 555 Tage später, am 20. Juni 1999 wurde ihr Leichnam im Keller eines Hauses in Meram einbetoniert gefunden. „Die Feindin des Islams und laizistisch-feministische Konca Kuriş hat sich in Wort und Tat an Gott und dem Koran vergangen. Daher wurde sie von Kämpfern der Hizbullah entführt und in unseren Basen verhört. Konca Kuriş hat sich den Worten der offiziellen Religion und Anweisungen der gottlosen, laizistischen Republik Türkei entsprechend verhalten. Sie wurde von Zionisten instrumentalisiert. Sie hat Taten begangen, die geeignet waren, Zweifel unter den Muslimen zu säen und wurde gemäß den Bestimmungen der Scharia bestraft“, begründeten ihre Mörder die Tat.

 

 

 

Raffael

* 6.4.1483 als Raffaello Sanzio da Urbino in Urbino, † 6.4.1520 in Rom, italienischer Maler

 

Sein berühmtestes Gemälde schuf Raffael 1512/13: „Die sixtinische Madonna“. 1754 erwarb es der sächsische König August III.

Gut 250 Jahre später warb die Staatliche Kunstsammlung Dresden mit dem Slogan: „Die schönste Frau der Welt wird 500. Die Sixtinische Madonna – Raffaels Kultbild - feiert Geburtstag“.

Und die beiden fürwitzigen Putten lehnen aus dem Bild und scheinen zu greinen: „Mal sehen, wer so kommt…“

 

 

 

Johann Friedrich Böttger

* 4.2.1682 in Schleiz, † 13.3.1719 in Dresden, deutscher Erfinder

 

Justus von Liebig sagte: „„Unter den Alchimisten befand sich stets ein Kern echter Naturforscher… Was Glauber, Böttger, Kunckel in diese Richtung leisteten, kann kühn den größten Entdeckungen unseres Jahrhunderts an die Seite gestellt werden.“

Johann Friedrich Böttger hatte August dem Starken vorgegaukelt, Gold machen zu können, und um dessen angebliches Wissen geheim zu halten, hielt der Sachsen-König den Alchemisten de facto fortan gefangen.

Bekanntlich vermochte Böttcher schließlich zwar nicht Gold, sondern Porzellan herzustellen. Im Jahre 1709 meldete er August seine Entdeckung: „Aber ich erschrecke doch, wenn ich Bedencke, daß eine so lange Zeit ich mich im steten Unglück, Ew. Mayst. aber in immer wehrender Gedult hat erhalten können… Ob aber der achtjährige Verlust meiner Freyheit so Beschaffen gewesen, daß ich als Mensch niemahls Uhrsache gehabt hatte Betrübt zu seyn, überlaße ich dem höchsterleuchtenden Nachdencken von Ew. Königl. Mayst. und einer stillen und unpartheyischen Beurtheilung der ganzen Welt… Denn es sind einige Personen welche mich ohne weiteres nachdencken unter die Zahl solcher Leuthe setzen, deren Künste nur in unnüzbaren Subtilitaeten, nicht aber in Reellen Wissenschafften zu Bestehen pflegen,… Damit aber die vergangene Zeit durch die izige möge in etwas wieder melioriret werden: So erkühne ich mich hiermit in Allerunterthänigkeit Ew. Mayst. Demüthigst zu Bitten, eine Verpflichtete Commißion niedersezen zu laßen, welche meine vorstellende Wissenschafften gründlich untersuchen möge, ob nehmlich dieselben Dero Landen nüzlich und nöthig oder aber schädlich und inpracticabel zu halten seyn.“

Alsbald aber drängte der mal wieder „klamme“ Monarch Böttger erneut massiv, Gold zu machen. Und dann starb Johann Friedrich Böttger, der mittlerweile auch die Sächsische Porzellanmanufaktur leitete, alkoholkrank, ausgelaugt, im Alter von nur 37 Jahren.

 

 

 

Rainer Werner Fassbinder

* 31.5.1945 in Bad Wörrishofen, † 10.6.1982 in München, deutscher Regisseur und Schauspieler

 

„Ich möchte für das Kino das sein, was Shakespeare fürs Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie war. Jemand, nach dem nichts mehr ist wie zuvor“, sagte Rainer Werner Fassbinder in einem Interview.

Es könnte also sein, dass er das Kernanliegen seines Schaffens schon in einem Dialog seines ersten Stückes „Katzelmacher“ (in dem er den Jorgos spielte) skizziert hatte:

 

Gunda      Du bis von Griechenland?

Jorgos      Griechenland.

Gunda      Und gefällt es dir da? Ob du hier einen Gefallen hast.

Jorgos      Nix verstehn.

Gunda      Deutschland schön?

Gunda      Viel schön.

Jorgos      Nix viel Liebe?

Jorgos      Nix verstehn Liebe.

Gunda      Vom Herzen.

Jorgos      Nix.

Gunda      Nein? Nix Fräulein?

Jorgos      Was Fräulein? Fickifick?

Gunda      Ja.

Jorgos      Na nix…

 

„Der letzte Film, in dem Rainer Werner Fassbinder kurz vor seinem Tode 1982 noch einmal eine Hauptrolle spielte, hieß ‚Kamikaze 1989’. Darin verkörpert er einen kettenrauchenden, dem Alkohol verfallenen Polizeileutnant, der am bitteren Ende seiner Karriere angekommen ist. Ein Einzelkämpfer gegen eine Welt, die er längst durchschaut hat und für die nur noch Verachtung bleibt. Kamikaze, der zerstörende Selbst-Zerstörer. Ist dies nicht zugleich eine Persönlichkeitsskizze des Rainer Werner Fassbinder? Immerhin hat der hyperproduktive Stückeschreiber, Bearbeiter, Drehbuchautor, Kameramann, Regisseur und Schauspieler seinen Abstieg in den Weltruhm noch erlebt. In ‚Querelle’ nach Jean Genet – seiner letzten Regiearbeit – agieren Jeanne Moreau und Franco Nero. Ein Rosa-Luxemburg-Film mit Jane Fonda ist geplant. Hollywood zeigt zunehmend Interesse. Aber auf dem inzwischen immer raffinierter belichteten Zelluloid finden sich kaum noch Spuren jener anarchisch-ungebärdigen Rebellionshaltung, aus der heraus seine frühen Theaterstücke und Filme entstanden waren. Die soziale Grundierung der Figuren – in den ersten Arbeiten noch mehr oder weniger deutlich zu erkennen – geht zunehmend verloren. Fassbinder weicht zwar auch später brisanten politischen Themen nicht aus, nutzt sie aber in immer stärkerem Maße nur als Vehikel für seine Selbst-Darstellungen, als Material seiner Selbstfindungs-Versuche“, urteilt Dieter Krebs.

 

Gunda      Ich geh grad heim, da kommt mir der Griech entgegen. Ich grüß, weil ich eine Erziehung hab. Da hält er mich fest und schmeißt mich ins Gras und sagt immer fickifick. Bis ich eine Todesangst gehabt hab. Dann bin ich weggelaufen.

Franz       Jetzt geht es los mit den fremden Sitten.

 

In einem anderen Interview offenbarte Rainer Werner Fassbinder: „Ich will den deutschen Hollywood-Film!“

 

 

 

Michel Petrucciani

* 28.12.1962 in Orange, † 6.1.1999 in New York, französischer Jazz-Pianist

 

Der Jazz-Gitarrist Tony Petrucciani komponierte für seinen Sohn „Michel’s Blues“, ein Stück das die beiden bei gemeinsamen Konzerten gern spielten und nicht selten vor „Someday my prince will come“. Er sagte: „Mit meinem Sohn Michel auf eine internationale Tournee zu gehen, war einfach eine magische Erfahrung. Wir teilten eine unvergleichliche Liebe durch Musik“.

Michel Petrucciani war kleinwüchsig und litt unter der Glasknochenkrankheit. Dennoch spielte er bereits im Alter von dreizehn Jahren mit Kenny Clarke und Clark Terry. Als Zwanzigjähriger beeindruckte er beim renommierten Montreux Jazz Festival. Und er trat weiter mit Jazz-Größen auf: Lee Konitz, Wayne Shorter, Charles Lloyd, Jim Hall, Jack DeJohnette, John Abercrombie, nahm mit ihnen und anderen Musikern wie Roger Willemsen, der ihn durch seine Fernsehshow in Deutschland bekannt gemacht hatte, zahlreiche CDs auf.

Das italienische Kulturministerium zeichnete Michel Petrucciani 1983 als „Besten europäischen Jazzmusiker“ aus, und die „Los Angeles Times“ wählte ihn zum „Jazz Man Of The Year“. 1994 wurde er zum „Chevalier de la Légion d’honneur“ ernannt. Und im Pariser 18. Arrondissement gibt es seit 2003 einen „place Michel Petrucciani“.

Im Jahr 1999 starb der einzigartige Jazz-Pianist Michel Petrucciani im Alter von 37 Jahren an einer Lungenentzündung. Er wurde auf dem Friedhof Père Lachaise neben Frédéric Chopin beigesetzt.

 

 

 

Jerzy Popiełuszko

* 14.9.1947 als Alfons Popiełuszko in Okopy, † 19.10.1984 bei Wocławek, polnischer Priester

 

In seinen Predigten geißelte Jerzy Popiełuszko das Ende 1981 verfügte Verbot der Gewerkschaft Solidarnosc und die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen. Seine Warschauer St.-Stanislaw-Kostka-Gemeinde wurde zum Sammelbecken für oppositionelle Bürgerrechtler, seine monatliche „Messe für das Vaterland“ fand so regen Zulauf, dass sie über Lautsprecher ins Freie übertragen werden musste.

Ende 1983 wurden ihm bei einer Hausdurchsuchung Sprengstoff, Granaten und Munition untergeschoben. Aufgrund des großen öffentlichen Drucks musste der wegen angeblicher Sabatoge-Planungen inhaftierte Priester jedoch freigelassen und sogar amnestiert werden.

Im 13. Oktober 1984 dann scheiterte ein Anschlag auf sein Auto, sechs Tage später jedoch stoppten drei Geheimdienstler seinen Wagen bei Torun, entführten Jerzy Popiełuszko und ertränkten ihn im Wichsel-Stausee bei Włocławek.

Seine Beerdigung wurde zu einer machtvollen Demonstration gegen die polnische Staatsführung, mindestens 800.000 Menschen nahmen daran teil.

 

 

 

Arthur Rimbaud

* 20.10.1854 in Charleville, † 10.11.1891 in Marseille, französischer Dichter

 

„Beispiellos stehen Gestalt und Werk des französischen Dichters Arthur Rimbaud innerhalb der neueren Literaturgeschichte da. Diese Dichtung ging aus von einem jahrhundertealten poetischen Muster, sprengte es und gelangte zu einer neuen künstlerischen Sehweise und Sprache, die mehr als ein halbes Jahrhundert Vorbild der französischen und vielleicht der Lyrik überhaupt geblieben ist. Dies allerdings weniger im Sinne von poetischen Strukturen, sondern vor allem als künstlerisch-geistiges Pendant zu einer geschichtlichen Situation, die durch ein Ereignis über sich selbst hinausweist: die Pariser Kommune. Rimbaud teilte mit den Kommunarden die revolutionäre Gesinnung, die Verachtung der bourgeoisen Welt, die Utopie einer arkadischen Gemeinschaft befreiter Menschen, in der Tragik der Niederlage immer auch die Hoffnung beim Morgengrauen einzutreten in leuchtende Städte – noch in den Waffen einer heiteren Geduld…“, preist der Klappentext einer Rimbaud-Gesamtausgabe des Insel-Verlages den genialen Franzosen.

 

Zu mir. Die Geschichte einer meiner Tollheiten.

Schon früh prahlte ich damit, alle möglichen Landschaften zu besitzen. Die Berühmtheiten der modernen Malerei und Dichtung fand ich lachhaft.

Ich leibet alberne Zeichnungen, Supraporten und farbige Dekors, Plakate vom Zirkus, Ladenschilder, bunte, volkstümliche Bilderbogen, die veraltete Literatur, Kirchenlatein, Erotika ohne Orthographie, die Romane unserer Großmütter, alte Opern, Märchen, Kinderbücher und Gassenhauer, einfache Rhythmen.

Ich träumte von Kreuzzügen, von Entdeckungsreisen, die noch keiner beschrieben hat, von Republiken ohne Geschichte, erstickten Religionskriegen, von Revolutionen der Sitten, von Umschichtungen der Rassen und Kontinente: ich glaubte an jeden Zaubertrick.

Ich erfand die Farbe der Vokale! – A schwarz, E- weiß, I rot, O blau, U grün. – Ich bestimmte Form und Bewegung eines jeden Konsonanten, und ich traute mir zu, im Medium der natürlichen Rhythmen ein poetisches Wort zu erfinden, das eines Tages allen Sinnen zugänglich sei. Die Übertragung behielt ich mir vor.

Es war zunächst ein Versuch. Ich schrieb am Schweigen, der Nacht, nannte das Unsagbare. Ich formulierte den Rausch.

 

Maurice Choury schrieb in einem Rimbaud-Essay: „Er hat alles gesagt, was er zu sagen hatte. Er hat seine Liebe zu den Arbeitern ausgesprochen:

Er liebt’ die Männer der Vorstädte, welche in Kitteln, schwarz, heimkehren noch am Tag.

‚Herde des Elends’, arme Menschen, Arbeiter, für die er ‚keine Gebete verlangt’; hätte er nur ihr Vertrauen, wäre er glücklich…

Er wünschte ‚innige Bewegungen sozialer Brüderlichkeit’.

Er sprach von der Notwendigkeit, ‚die unendliche Versklavung der Frau’, seiner ‚Schwester der Barmherzigkeit’, zu brechen.

Er sang eine Hymne auf die Wissenschaft, den neuen Adel:

‚Nichts ist eitel; auf denn, Wissenschaft! Und vorwärts! …

… Wir verlangen

Die große Zeit, die Zeit der Wissenschaft,

Wenn sucht von früh bis spät der Mensch mit aller Kraft

Die großen Ursachen und Wirkungen zu jagen,

Daß, wie er langsam siegt, ihn alle Dinge tragen

Und er auf alles dann aufspringt wie auf ein Pferd!’

Aber die Wissenschaft ist zu langsam, und der Dichter schreit seine Ungeduld hinaus:

‚Wann werden wir, über Sandufer und Berge hinweg, die Geburt der neuen Arbeit begrüßen, die neue Weisheit, die Flucht der Tyrannen und Dämonen, das Ende des Aberglaubens […]!’

‚Der Gesang der Himmel, der Marsch der Völker! Sklaven, verfluchen wir nicht das Leben.’

Und er sieht in der Zukunft ‚endlose Strände, von weißen, freudvollen Nationen bedeckt.’

Alles ist gesagt. Der Dichter verstummt endgültig. Er war noch keine neunzehn Jahre alt… Es bleibt ihm noch Zeit, einen achtzehn Jahre währenden Leidensweg zu durchlaufen.“

Der sah dann so aus: Reisen mit Verlaine nach Belgien und London, Rückkehr nach Frankreich, Verlaine verletzt Rimbaud mit einem Revolverschuss, dann Rimbaud wieder in London, Rückkehr in die Heimatstadt Charleville, Reise nach Stuttgart um Deutsch zu lernen, dann in die Schweiz, weiter nach Mailand, Livorno und Marseille, nach Paris wieder in Charleville, wo er Russisch und Arabisch lernt, dann in Wien, Ausweisung, Eintritt in die holländische Fremdenlegion, über Southhampton, Gibraltar, Neapel, Suez und Aden nach Batavia, Desertion, als Matrose über Kapstadt, Sankt Helena, die Azoren, Nordirland, Liverpool und Le Havre wieder nach Charleville, dann nach Bremen, Stockholm, wo er als Zirkus-Kassierer sein Geld verdiente, Norwegen und Kopenhagen, Italien und Marseille erneut nach Charleville, dann nach Hamburg und Roche, in die Schweiz, nach Genua und Alexandria und Zypern, wo er als Bauaufseher arbeitet, dann nach Alexandria und Hodeira und Aden, wo er in den Dienst einer Handelsfirma tritt, weiter nach Harar und zurück nach Aden, Arbeit als Kaffee-Aufkäufer, dann als Waffenhändler, Rückkehr nach Frankreich, Amputation des rechten Beins in Marseille, dann Tod durch Knochenkrebs.

Seht, nicht von dieser Welt sind die Dichter: so lasset sie ihr seltsam Leben führen, lasset sie hungern, frieren, lasset sie ziehen, singen und lieben: so reich sind sie als wie Hans Herz, der was lachet und weint und machet uns weinen und lachen: Lasset sie leben: die Barmherzigen segnet Gott und den Dichter die Welt.

 

 

 

Albert Weisgerber

* 21.4.1878 in St. Ingbert, † 10.5.1915 bei Fromelles, deutscher Maler

 

Albert Weisgerber besuchte die Kunstgewerbeschule in München und studierte an der Akademie der Bildenden Künste München, arbeitete dann bis 1913 als Zeichner für die Zeitschrift „Die Jugend“ und er zeichnete auch für den „Simplicissimus“.

Erste Anerkennung fand Albert Weisgerber im Alter von 28 Jahren durch Ankäufe der Münchner Pinakothek und der Städtischen Galerie Frankfurt am Main. Zu seinen bekanntesten Gemälden zählen „Ausritt im Englischen Garten, „Prozession in St. Ingbert“  oder „Im Münchner Hofgarten“. Im Alter von 35 Jahren gründete er mit anderen Künstlern die „Münchener Neue Secession“, deren erster Präsident er wurde.

Albert Weisgerber fiel als Kompanieführer des Königlich bayerischen Reserve-Infanterie-Regiments 16 im Alter von 37 Jahren westlich von Lille.

 

 

 

 

Theodor Maximilian Bilharz

* 23.3.1825 in Sigmaringen, † 9.5.1862 in Massaua, Eritrea, deutscher Mediziner

 

Nach seiner Promotion folgte Theodor Maximilian Bilharz dem zum Direktor des ägyptischen Medizinalwesens berufenen Wilhelm Griesinger als Assistent nach Kairo und wurde dort alsbald Chefarzt an verschiedenen Krankenhäusern. Zudem lehrte er an der Medizinischen Hochschule Kairo und wurde 1855 zum Professor der Anatomie wie zum Major ernannt.

Im März 1862 begleitete er Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha bei einer Ägyptenreise und behandelte dabei dessen an Typhus erkrankte Frau. Dabei infizierte er sich selbst und starb im Alter von 37 Jahren.

Theodor Bilharz entdeckte eine neue Art des Afrikanischen Salmler und verfasste ein vielbeachtetes Werk über das „elektrische Organ“ des Zitterwelses. Weithin bekannt jedoch wurde er durch die Beschreibung der Blutharnruhr, der Bilharziose.

 

 

 

 

 

Jewhen Pawlowytsch Pluschnyk

* 26.12.1898 in Kantemirowka, † 2.2.1936 auf den Solowezki-Inseln, ukrainischer Autor

 

Während des russischen Bürgerkrieges unterrichtete Jewhen Pawlowytsch Pluschnyk in mehreren Dörfern Sprache und Literatur und versuchte dann in Kiew Schauspieler zu werden, was ihm aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung nicht gelang. Er begann zu schreiben und schloss sich verschiedenen literarischen Gruppierungen an.

Im Alter von 27 Jahren debütierter Jewhen Pawlowytsch Pluschnyk mit dem Gedichtband „Dny“, im Jahr darauf erschien die zweite Lyrik-Sammlung und ein weiteres Jahr später der Roman „Neduha“. Er verfasste auch drei Dramen, die jedoch nie zur Aufführung kamen.

Bevor sein dritter Gedichtband „Riwnonowaha“ erscheinen konnte, wurde er Ende 1934 verhaftet und zum Tode durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde schließlich in 10 Jahre Lagerhaft umgewandelt, was für den tuberkulosekranken Autor jedoch einem Todesurteil gleichkam. Jewhen Pawlowytsch Pluschnyk starb im Alter von 37 Jahre im berüchtigten Gulag auf den Solowezki-Inseln.

  

 

 

 

Jacques Roumain

* 4.6.1907 in Port-au-Prince, † 18.8.1944 ebd., haitianischer Autor

 

Jacques Roumain gilt als einer der wesentlichen Autoren der Négritude. Sein postum erschienener Roman „Gouverneurs de la rosée  - Herr über den Tau“ zählt „Kindlers Neues Literaturlexikon“ zu einem der großen Werke der Weltliteratur.

Die Hispanistin Frauke Gewecke sagte zu „Herr über den Tau“: Jacques Roumain „verband darin das Anliegen der Indigenisten mit einer eindeutigen politisch-ideologischen Aussage, die Tradition und Moderne miteinander versöhnte. Auch bei ihm ist der Ort der zentralen Handlungskonflikte ein Dorf, in dem die Menschen, gebunden an die traditionelle Lebensweise, aufgrund einer (durch permanentes Abholzen auch selbst verschuldeten) Dürreperiode in extremer Armut leben; auch bei ihm sind die den Indigenisten so wichtigen Aspekte des dörflichen Lebens einschließlich des Vodou keineswegs ausgespart. Doch indem der Held des Romans, der lange als Zuckerrohrschneider in Kuba gelebt hat, die dort gemachten Erfahrungen gewerkschaftlicher Organisation mit dem in Haiti traditionellen koumbit, einer Form kollektiver Nachbarschaftshilfe, verknüpft, gelingt es ihm, das Dorf über gemeinschaftliches Handeln – konkret den Bau einer Bewässerungsanlage – aus der Misere herauszuführen. Und indem der Protagonist wohl die dörfliche Lebensweise für sich als identitätsstiftend anerkennt, jedoch die Effizienz des Vodou als Mittel zur Wirklichkeitsbewältigung in Frage stellt, werden schließlich die dem Vodou inhärenten regressiven – hier konkret: Passivität fördernden – Momente als entwicklungshemmend und destruktiv entlarvt.“

Nachdem er in Europa studiert hatte, gründete er in seiner zu je er Zeit von den US besetzten Heimat Zeitschriften und wird wegen angeblicher Verstöße gegen das Pressegesetz verhaftet. Nach politischen Umbrüchen übernimmt er ab 1930 Regierungsämter, regt 1934 die Gründung der Kommunistischen Partei Haitis an, wird deren Generalsekretär und alsbald wegen Landesverrats für drei Jahre inhaftiert.

Danach geht Jacques Romain ins Exil nach Brüssel und Paris, kehrt nach neuerlichen Regierungswechseln nach Haiti zurück und verstirbt im Alter von 37 Jahren, nachdem er kurzzeitig noch als Konsul in Mexiko gewirkt hatte. Als Todesursache wurden Malaria, Anämie, Darmgeschwür und Leberzirrkose genannt, wahrscheinlich war sein früher Tod jedoch auf die unsäglichen Haftbedingungen in den haitianischen Gefängnissen zurückzuführen.

 

 

 

Soraya

* 11.3.1969 als Soraya Raquel Lamilla Cuevas in Point Pleasant, New Jersey, † 10.5.2006 in Miami, Florida, kolumbianisch-amerikanische Sängerin und Gitarristin

 

Bevor Soraya Musikerin wurde, arbeitete sie als Flugbegleiterin. Ihr erstes Album „One nights like this / En esta noche“ erschien im Jahr 1996 und sie tourte als Gastmusikerin bei Konzerten von Zucchero, Michael Bolton oder Sting durch die USA, Lateinamerika und Europa. Ihr zweites, im Jahr darauf veröffentlichtes Album „Wall of smiles / Torre de marfil“ brachte ihr weltweit Anerkennung.

Kurz vor dem Erscheinen ihres dritten Albums „I’m yours / Cuerpo y alma“ im Jahr 2000 wurde bei Soraya Brustkrebs diagnostiziert. Nach einer dreijährigen Auszeit kam dann ihr viertes Album „Soraya“ heraus, mit dem sie den Latin Grammy als „Bestes Album eines Singers-Songwriters“ gewann.

Nachdem ihr fünftes Album „El Otro Lado de Mi“ erschienen war, starb Soraya im Alter von 37 Jahren an Brustkrebs. Ihre Erfahrungen im Kampf gegen die Krankheit hatte sie in Songs zu verarbeiten versucht, so nicht zuletzt in „No one else / Por ser quien soy“, und sie engagierte sich für die Früherkennung von Brustkrebs. Soraya sagte: Ich weiß, dass es viele Fragen ohne Antworten gibt und dass die Hoffnung mich nicht verlässt, und vor allem, dass meine Mission nicht mit meiner physischen Geschichte endet.

 

 

 

 

Nathanael West

* 17.10.1903 als Nathan Wallenstein Weinstein in New York City, † 22.12.1940 in El Centro, Kalifornien, amerikanischer Autor

 

Nathanael West veröffentlichte vier Romane, die bis zu seinem frühen Tod infolge eines Autounfalls mehr oder weniger erfolglos blieben: „The Dream Life of Balso Snell“, „Miss Lonelyhearts“, „A cool Million“ und „The Day of the Locust“. Erst in den 1950ern begannen Kritiker seine Geschichten zu loben und die Verkaufszahlen, insbesondere von „The Day of the Locust – Der Tag der Heuschrecke“, stiegen. Mittlerweile zählt Nathanael West zu den Klassikern der modernen amerikanischen Literatur und zu den Wegbereitern der Postmoderne.

„‚Tag der Heuschrecke’ ist der Roman der Traumfabrik Hollywood; nicht der Stars, Manager und Magnaten, sondern der zahl- und namenlosen Komparsen, einem neuen Schwarm von Goldsuchern. Der das gelobte Land Kalifornien heimsucht – und von ihm heimgesucht wird. Nathanael West, der wie sein Freund Scott Fitzgerald jahrelang als Drehbuchautor in Hollywood verschlissen wurde, hat den Tagträumen der des Filmproletariats seine Stimme gegeben“, verkündet der Klappentext der deutschen Erstausgabe von „The Day of the Locust“ im Diogenes Verlag.

„Kindlers Literatur Lexikon“ zufolge gilt ‚Der Tag der Heuschrecke“ nicht nur als einer der besten Romane aus dem Filmmilieu, sondern als eine der bittersten und erregendsten Gestaltungen des von Illusionen gefoppten und von Angstträumen erfolgten Menschen in einer Massenkultur.“

Der Literaturkritiker Walter Ernest Allen sagte zu „Der Tag der Heuschrecke“: „Es ist, als ob man Zeuge der letzten ironischen Vorstellung des Amerikanischen Traums würde.“

Nein, nicht ganz wohl: Eine der Hauptfiguren in Nathanael Wests 1939 erschienenem Hauptwerk heißt Homer Simpson, und Homer Simpson heißt auch eine der Hauptfiguren der 50 Jahre später erstmals ausgestrahlten Zeichentrick-Fernsehserie „The Simpsons“. Schau an.

Es ist schwer, über das Bedürfnis nach Schönheit und Romantik zu lachen, wie geschmacklos, ja greulich die Auswirkungen auch immer sein mögen. Dagegen ist es leicht zu seufzen. Nichts ist trauriger als das wahrhaft Ungeheuerliche.

 

 

 

Heloise Ruth First

* 4.5.1925 in Johannesburg, † 17.8.1982 in Maputo, südafrikanischer Autorin

 

Der südafrikanische Schriftsteller Ronald Segal nannte das Attentat auf Ruth First „the final act of censorship - den Schlussakt der Zensur“.

Erstmals stand sie 1956 zusammen mit ihrem Mann Joe Slovo, Walter Sisulu und Nelson Madela im „Treasure Trial“ vor Gericht, wurde nach vier Jahren zwar freigesprochen, aber gebannt, konnte vor allem ihre journalistische Arbeit nur noch eingeschränkt wahrnehmen.

1963 nahm die südafrikanische Sicherheitspolizei Ruth First auf der Grundlage des „General Law Amendment Act“  in der Johannesburger Witwaterstrand-Universität fest und hielt sie für 117 Tage ohne anwaltliche Unterstützung in Einzelhaft. Sie durchlitt psychische Folterungen und unternahm einen Suizidversuch. Über diesen Gefängnisaufenthalt schrieb sie das Buch „One Hundred and Seventeen Days“, das auch erfolgreich verfilmt wurde.

1973 erhielt Ruth First einen Lehrauftrag vom Department of Sociology der Universität Durham. 1977 übernahm sie in Maputo eine Professur und die Funktion als Forschungsdirektorin des „Centro de Estudos Africanos“.

1982 erheilt sie nach einer UNESCO-Konferenz an der Universität Maputo eine Paket, Absender angeblich eine UN-Organisation. Tatsächlich kam diese Sendung von der South African Police und war eine Briefbombe, die Ruth First tötete.

An ihrer Beisetzung auf dem Llanguene-Friedhof am Rande von Maputo nahmen neben ihren Familienangehörigen zahlreiche ANC-Repräsentanten, Staatspräsidenten, Parlamentsmitglieder und Botschafter aus 34 Ländern teil, Kondolenzschreiben trafen von 67 Ländern und Organisationen ein.

Anlässlich ihres 10. Todestages redete auf einer Gedenkfeier in Kapstadt Nelson Mandela.

 

 

 

Christa McAuliffe,

* 2.9.1948 als Sharon Christa Corrigan in Boston, † 28.1.1986 bei Cape Caneveral, Florida, amerikanische Astronautin

 

Christa McAuliffes Todestag sollte weltweit ein Gedenktag für die Opfer blinder Zukunftsgläubigkeit, den Irrglauben der völligen Beherrschung der Natur durch den Menschen sein.

Christa McAuliffe war Lehrerin und im Rahmen des NASA-Programms „Teacher-in-Space“ für eine Raumfahrtmission aus rund 11.000 Bewerbern ausgewählt wurden. In ihrer Bewerbung hatte sie geschrieben: „Als Frau war ich immer neidisch auf Männer, die am Raumfahrtprogramm teilnehmen konnten. Ich fand, dass Frauen tatsächlich ausgeschlossen waren von einem der spannendsten Berufsfelder, die es gibt. Diese Gelegenheit, meine Fähigkeiten als Pädagogin mit meinen Interessen für Geschichte und Raumfahrt zu verbinden, ist eine einzigartige Chance, meine früheren Träume wahrzumachen. Ich war bei der Geburt des Raumfahrtzeitalters dabei, und ich möchte gerne mitmachen.“ Für den Flug der Raumfähre „Challenger“ war geplant, dass Christa McAuliffe übers Fernsehen zwei halbstündige Unterrichtslektionen aus dem Weltraum abhalten sollte: „Der ultimative Ausflug“ und „Warum wir Amerikaner den Weltraum erforschen“.

Am 28. Januar 1986 zerbarst die „Challenger“ 73 Sekunden nach dem Start. Mit Christa McAuliffe starben an Bord dieses Space Shuttles die amerikanischen Astronauten Gregory Jarvis, Ronald McNair, Ellison Onizuka, Judith Resnik, Dick Scobee und Michael Smith. 

Zu gedenken wäre aber auch all der bei ihren Missionen ums Leben gekommenen sowjetisch-russischen Kosmonauten. Und es dürfte eine basislose Hoffnung sein zu glauben, dass nicht auch chinesischen Taikonauten und sicher in nicht allzu ferner Zukunft sogar Raumfahrt-Touristen zu Opfern werden…

Bekanntlich kam es im Jahr 1986 nur 3 Monate nach der Challenger-Katastrophe in Tschernobyl zum Super-GAU. Und auch die NASA, die lauthals versprochen hatte, das Space-Shuttle-Programm sorgfältig aufzuarbeiten, aus Fehlern zu lernen, war dazu schlichtweg unfähig: Am 1. Februar 2003 verglühte die Raumfähre „Columbia“ mit 7 Astronauten beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.

Und dies, obwohl der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman in seinem Challenger-Untersuchungsbericht abschließend gewarnt hatte: „[…] reality must take precedence over public relations, for Nature cannot be fooled. -  […] die Realität muss Vorrang vor Public Relations haben, denn die Natur lässt sich nicht zum Narren halten.“

 

 

 

Vincent Willem van Gogh

* 30.3.1853 in Groot-Zundert, † 29.7.1890 in Auvers-sur-Oise, niederländischer Maler

 

160 Jahre nach van Goghs Tod kam ich nach Arles und notierte desilluioniert:

Am schönsten saniert wirkt die Klinik, in der sie Vincent hielten bis zum Tode (nunmehr Espace Van Gogh): Innenhoffassaden sonnenblumengelb und Beete in seinen Farben.

 

 

 

 

Shamina Shaikh

* 14.9.1960 in Louis Trichardt, † 8.1.1998 in Mayfair, Johannesburg, südafrikanische Frauenrechtlerin

 

Shamima Shaikh studierte Arabisch und Psychologie an der University of Durban-Westville und unterrichtete dann an der Taxila Primary and Secondary School.

Im Alter von 33 Jahren wurde sie zur Regionalvorsitzenden der muslimischen Jugendbewegung in Transvaal gewählt und wurde durch ihre Kampagne „Frauen in der Moschee“ weithin bekannt. Dann wurde sie erste zur ersten Nationalkoordinatorin des „Muslim Youth Gender Desk“, das unter ihrer Führung zur führenden Organisation der südafrikanischen Ausprägung des islamischen Feminismus wurde. Und sie war auch in weiteren Organisationen federführend, war Vize-Chefredakteurin von „Al-Qalam“, der Zeitung des progressiven Islam in Südafrika und gründete den muslimischem Sender „The Voice“.

Shamima Shaikh starb im Alter von 37 Jahren an Brustkrebs.

 

 

 

 

 

Elise Ferdinandine Amalie Struve

* 2.10.1824 als E.F.A. Siegrist in Mannheim, † 13.2.1862 in New York, deutsche Revolutionärin

 

Amalie Struve spielte mit ihrem Mann eine wichtige Rolle in der 1848er Revolution: Sie war beim Heckeraufstand dabei, musste nach der Niederlage des Heckerzuges im April 1848 in die Schweiz fliehen, versuchte im September beim Struve-Putsch in Lörrach vor allem Frauen für die Aufrichtung einer Republik zu mobilisieren, scheiterte erneut, geriet in Gefangenschaft, saß 205 Tage in Einzelhaft, agitierte danach unverdrossen weiter, wirkte 1849 beim Maiaufstand in Rastatt, unterlag ein drittes Mal, ging mit ihrem Mann nach England ins Exil, schrieb das Buch „Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen“, wanderte 1852 nach Amerika aus, engagierte sich als Frauenrechtlerin und starb schließlich bei der Geburt ihrer dritten Tochter.

Ihr Mann Gustav unterstützte Abraham Lincoln, nahm dann als Soldat im 8. New Yorker Freiwilligen Infanterieregiment am amerikanischen Bürgerkrieg teil, kehrte nach seiner Amnestierung nach Deutschland zurück und starb in Wien.

 

 

 

Alfred Friedrich Delp

* 15.9.1907 in Mannheim, † 2.2.1945 in Berlin-Plötzensee, deutscher Jesuit

 

Wenn die Kirchen der Menschheit noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumuten, sind sie abgeschrieben, schrieb Alfred Delp im Gefängnis. Nach dem Abitur trat er in den Jesuitenorden ein, wirkte als Erzieher und Lehrer am Kolleg St. Blasien im Schwarzwald, wurde 1937 zum Priester geweiht und war dann Seelsorger im Münchner Stadtteil Bogenhausen. Ab 1942 arbeitete er im Kreisauer Kreis um Graf von Moltke mit und wurde im Juli 1944 verhaftet, obwohl er mit dem Attentat auf Hitler nachweislich nichts zu tun hatte.

Am Tag seiner Hinrichtung notierte Alfred Delp: Wie lange ich nun hier warte, ob und wann ich getötet werde, weiß ich nicht. Der Weg hierher bis zum Galgen nach Plötzensee ist nur zehn Minuten Fahrt. Man erfährt es erst kurz vorher, dass man heute und zwar gleich ‚dran‘ ist. Nicht traurig sein. Gott hilft mir so wunderbar und spürbar bis jetzt. Ich bin noch gar nicht erschrocken. Das kommt wohl noch. Vielleicht will Gott diesen Wartestand als äußerste Erprobung des Vertrauens. Mir soll es recht sein. Ich will mir Mühe geben, als fruchtbarer Samen in die Scholle zu fallen, für Euch alle und für dieses Land und Volk, dem ich dienen und helfen wollte.

Und auf dem Weg unter den Galgen sagte er zum Gefängnispfarrer: In wenigen Augenblicken weiß ich mehr als Sie.

 

 

 

 

 

Hermann Rorschach

* 8.11.1884 in Zürich, † 2.4.1922 in Herisau, Schweizer Psychiater

 

Hermann Rorschach wollte Künstler werden, studierte dann aber Medizin, wurde Psychiater und durch einen von ihm entwickelten und nach ihm benannten Test berühmt.

Rorschach kleckste Tinte auf Papier und behauptete Rückschlüsse auf das Wahrnehmungsvermögen, die Intelligenz und emotionale Charakteristika von Testpersonen anhand deren Klecks-Beschreibungen ziehen zu können.

Eine Appendizitis wurde bei ihm jedoch zu spät diagnostiziert, und Hermann Rorschach starb im Alter von nur 37 Jahren an einer Bauchfellentzündung.

 

 

 

Alma Rosé

* 3.11.1906 in Wien, † 5.4.1944 im KZ Auschwitz, österreichische Musikerin

 

Alma Rosés Vater, Konzertmeister und Violinist, leitete das weltberühmte Rosé-Quartett, ihre Mutter war eine Schwester Gustav Mahlers, ihre Patentante, nach der sie benannt wurde, die Gattin des großen Komponisten. Nicht verwunderlich also, dass Alma auch Musikerin, dass sie Geigen-Virtuosin wurde.

1932 gründete sie das Damenorchester „Die Wiener Walzermadeln“, mit dem sie erfolgreich durch Europa tourte, und das 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs von der Reichskulturkammer aufgelöst wurde. 1939 floh Alma Rosé nach London, gastierte in Amsterdam und musste sich nach der deutschen Besetzung der Niederlande verstecken, ging eine Scheinehe mit einem holländischen Ingenieur ein, da sie hoffte, dessen „arischer“ Name könne sie schützen, gelangte nach Frankreich, doch wurde in Dijon verhaftet, im Sammellager Drancy interniert und schließlich nach Auschwitz deportiert. Im Frauenlager Auschwitz-Birkenau übertrug ihr die Oberaufseherin die Leitung des sogenannten „Mädchenorchesters“.

Fania Fénelon, Sängergin und Pianistin dieses Orchesters, erinnerte sich: „Alma erschien. Alle stehen auf. Ich beobachte diese Frau im Näherkommen, sie ist nicht hübsch, aber welche Ausstrahlung sie hat! Man könnte meinen, sie betrete die Bühne. […] Alma leidet. Sie lebt für die Musik, bekommt aber die Spielerinnen technisch nicht in den Griff. Das bringt sie zur Weißglut. Sie leitet das Orchester mit Gefühl, sie kann es nicht führen. Ich habe das schon nach kurzer Zeit begriffen. Alma ist Violinvirtuosin, sie kann nicht dirigieren, sie liest ihre Partitur als Ausübende, nicht als Dirigentin.“

Fania Fenelon vergaß auch nicht, was ihr Alma Rosé erzählt hatte: „Mir war kaum bewußt, daß wir Juden waren. Für mich war das nur eine Religion, nicht einmal Philosophie oder gar anderes als bei den Deutschen. In meiner Familie, die schon immer deutsch war, wurde nie darüber gesprochen, man kam gar nicht auf die Idee. Wir dachten deutsch. Mein Vater hatte als Konzertmeister der Wiener Philharmoniker eine privilegierte Stellung und die Machtergreifung Adolf Hitlers wirkte sich auf uns nicht nachteilig aus. (Sie lächelt schon ein bißchen bitter.) Wir gehörten zwar zu einer Minderheit, die aber die Nazis großzügig neben sich duldete. Das Streichquartett meines Vaters war bekannt, geschätzt, es glänzte in ganz Europa. Die Geschichten von Verhaftungen und Deportationen spielten sich für mich in sagenhafter Ferne ab, waren weit, weit weg. Sie berührten mich nicht, interessierten mich auch nicht. Für mich zählte nur die Musik – ich hatte nie was anderes als sie! Meine plötzliche Verhaftung riß mich von ihr los. So verlor ich sie, damit habe ich alles verloren…“

Alma Rosé starb im Alter von 37 Jahren unter nie geklärten Umständen, möglicherweise an einer Vergiftung, im KZ Auschwitz-Birkenau.

Anita Lasker-Wallfisch, Cellistin im „Mädchenorchester“ sagte: „An ihrer Wiege stand Gustav Mahler, an ihrer Bahre Josef Mengele.“

 

 

 

Robert Burns

* 25.1.1759 in Alloway; † 21.7.1796 in Dumfries, schottischer Dichter

 

Im Jahr 1707 verlor Schottland mit dem Act of Nation seine Unabhängigkeit, wurde zum Teil Großbritanniens, da es beim Versuch eine eigene Kolonie im malariaverseuchten Darién aufzurichten, jämmerlich gescheitert und bankrott gegangen war. Robert Burns, der schottische Nationaldichter, wetterte noch Jahrzehnte danach gegen den Act of Nation: „Wir sind verraten und verkauft für Englands Gold!“

Jeanny und ich besuchten zu Brexit-Zeiten erstmals sein Heimatland:

Vom Küstenstädtchen Invergordon mit dem Bus entlang des langen, reizvollen Meerarms Firth Cromanty durch Ausläufer der Highlands zum Loch Ness. Urquhart Castle. Etliche Boote und sogar ein Walbeobachter streben an der martialischen Burgruine vorbei auf eine Nebelbank im See zu, zielsicher, unbeirrbar. Und so starre den also auch ich in den Nebel, starre und starre, und – wow!...

Weiter nach Inverness, malerisch am kürzesten Fluss des Landes gelegen (nur 9 Kilometer lang), am Ness. Quicklebendig und freundlich erscheint uns diese aufstrebende Stadt. Ich erstehe sogar ein wunderbares Exemplar für meine Basecape-Sammlung: im Kilt-Stil! Inverness soll die am schnellsten wachsende Stadt Großbritanniens sein, auf jeden Fall die fünftschönste. Gut, glauben wir.

Zurück über die Black Isle, wobei die Reiseleiterin sagt, dass sie für die Unabhängigkeit Schottlands vom Brexit-Großbritannien sei und Robert-Burns-Lieder singt, nicht zuletzt „Auld Lang Syne“  – „Nehmt Abschied, Brüder“…

 

 

 

Paola Kaufmann

* 8.3.1969 als Paola Yannielli Kaufmann in General Roca, † 25.9.2006 in Buenos Aires, argentinische Autorin und Biologin

 

Paola Kaufmann studierte an der Universität Buenos Aires und promovierte im Alter von 24 Jahren in Neurowissenschaften. Als Schriftstellerin debütierte sie im Alter von 33 Jahren. Für ihr zweites Buch „Le hermana“ wurde sie mit dem „Premio Casa de las Américas“ und für ihr drittes „El lago“ mit dem „Premio Planeta“ ausgezeichnet. Postum erschien „El salto“.

Paola Kaufmann starb im Alter von 37 Jahren.

 

 

 

 

 

Jürgen Schumann

* 29.4.1940 in Colditz, † 16.10.1977 in Aden, deutscher Pilot

 

Jürgen Schumann war Kapitän der Lufthansa-Boeing „Landshut“, die am 13. Oktober 1977 auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main von palästinensischen Terroristen entführt wurde.

Bei einer Zwischenlandung in Dubai konnte Jürgen Schumann den Flughafen-Behörden heimlich Informationen über die Highjacker geben. Nach einer weiteren Zwischenlandung in Aden kehrte er nach einer notwendigen Fahrwerkskontrolle, wobei er mit Beamten versuchte über Möglichkeiten einer Geiselbefreiung zu sprechen, freiwillig in das Passagierflugzeug zurück und wurde vom Anführer des Terror-Kommandos mit gezieltem Kopfschuss ermordet.

Am 18. Oktober 1977 stürmte eine deutsche Spezialeinheit in Mogadischu die „Landshut“ und konnte alle Geiseln lebend befreien.

 

 

 

Wiktorija Amelina

* 1.1.1986 als Wiktorija Jurijewana Amelina in Lwiw, † 1.7.2023 in Dnipro, ukrainische Autorin

 

Wiktorija Amelina studierte in Lwiw Informatik, arbeitete nach ihrem Magisterabschluss als Programmiererin und Managerin, entschloss sich dann aber, Schriftstellerin zu werden.

Im Alter von 29 Jahren erschien ihr erster Roman „Herbst Syndrom oder Homo compatiens“, im Jahr darauf ihr zweiter „Ein Haus für Dom“ sowie das Kinderbuch „Irgendwer, oder Wasserherz“.

Mit Fünfunddreißig organisierte Wiktorija Amelina das „New York Literature Festival“, das im Städtchen Nju-Jork in der Oblast Donezk stattfand. 2023 gab sie das Kriegstagebuch des im Jahr zuvor von russischen Besatzern ermordeten ukrainischen Kinderbuchautors Wolodymyr Wakulenko heraus.

Im Alter von 37 Jahren wurde Wiktorija Amelina bei einem russischen Raketenangriff auf eine Pizzeria in Kramatorsk schwer verletzt und starb wenige Tage darauf.

 

 

 

 Ketty La Rocca

* 14.7.1938 in La Spezia, † 7.2.1976 in Florenz, italienische Konzept- und Body-Art-Künstlerin und Dichterin der Visuellen Poesie

 

Im Alter von 26 Jahren begann sich Ketty La Rocca  mit Collagen zu beschäftigen. Dann entwickelte sie performative Serien, in denen sie die Sprache der Hände mit Worten kombinierte. Sie misstraute der Sprache wie den Bildern und „stereotypen Zeichen der Alltagswelt“ und versuchte die „herrschende Politik der Körper“ sichtbar zu machen.

Im Alter von 34 Jahren war sie mit ihrem Video „Appendice per una supplica“ auf der Biennale in Venedig vertreten. Ketty La Rocca, die zur „Feministischen Avantgarde der 1970er Jahre“ gezählt wird, arbeitet auch mit Spiegel- und Metallobjekten, Textgemälden und einzelnen, aus schwarzem Kunststoff gefertigten Buchstaben, wobei das „I“ und das „J“ selbstbewusst für das englische oder das französische Wort „Ich“ stehen.

 

 

 

Mihail Sebastian

* 18.10.1907 als Iosif Hechter in Brăila, † 29.5.1945 in Bukarest, rumänischer Schriftsteller

 

Die Veröffentlichung von Mihail Sebastians Tagebüchern, in denen er den zunehmenden Antisemitismus im Rumänien der 1930er Jahre bis hin zu den Pogromen und Deportationen der 1940er Jahre, beschreibt, führten zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion im Nach-Ceauşescu-Rumänien über die faschistische Vergangenheit des Balkanstaates und die schwerwiegende Verstrickungen von bis dahin hochangesehenen Intellektuellen wie Nae Ionescu und Mircea Eliade.

„Einzelne Auszüge aus Sebastians Tagebüchern, die Aspekte seines literarischen Werks betrafen, wurden bereits während der kommunistischen Zeit in Rumänien in verschiedenen Zeitschriften gedruckt, doch stand einer Gesamtveröffentlichung mindestens die staatliche Zensur im Wege. 1961 konnte Sebastians Familie die Tagebücher über die israelische Botschaft ins Ausland schmuggeln. Sie gelangten schließlich nach Paris, wo emigrierte Angehörige der Familie Hechter leben; einer Veröffentlichung stimmten sie jedoch erst Jahrzehnte später zu. Gegen Ende 1995 erschienen sie im von Gabriel Liiceanu geführten Bukarester Verlagshaus Humanitas. In den folgenden Jahren erschienen Übersetzungen der Tagebücher auf Französisch (1998), Englisch (2000), Spanisch, Tschechisch, Polnisch, Niederländisch, Hebräisch und Schwedisch (2019). Die deutsche Übersetzung, besorgt von Roland Erb und Edward Kanterian, erschien 2005 im Claassen-Verlag.“ (Wikipedia)

Rezensenten sahen eine Affinität dieser Tagebücher mit denen Anne Franks oder Victor Klemperers. Philip Roth lobte die Sebastian-Tagebücher auch ob ihrer literarischen Qualität, Arthur Miller verglich Mihail Sebastians Beobachtungsgabe mit der Anton Tschechows.

„Nach Erscheinen der deutschen Übersetzung der Tagebücher wurde Sebastian 2006 postum mit dem Geschwister-Scholl-Preis geehrt. Die Jury führte aus, die Tagebücher zeugten von ‚wacher Beobachtung und vielfältiger Reflexion’ und spiegelten ‚exemplarisch das Drama des rasanten Verfalls demokratischer Strukturen und zivilisierter Sitten.’“

Bereits mit seinem zweiten Roman „Seit zweitausende Jahren“ hatte Mihail Sebastian 1934 in Rumänien einen Eklat ausgelöst: Ich werde nie aufhören, Jude zu sein, denn dies ist keine bloße Rolle, die man einfach ablegen könnte … Mag der Staat sich für kompetent erklären, mich zu einem Schiff, zu einem Eisbären oder zu einem Photoapparat zu erklären, so werde ich doch nichts anderes als Jude, Rumäne, Mensch der Donau bleiben. ‚Zu viel auf einmal‘, flüstert die antisemitische Stimme in mir (eine solche gibt es nämlich auch, mit der ich zu so mancher Stunde mein Zwiegespräch führe). Freilich, es ist zu viel. Und doch sind alle drei Versionen wahr.

Nae Ionescu schrieb daraufhin in Anspielung auf Mihail Sebastians Geburtsnamen: „Iosif Hechter, du bist krank. Du bist krank in deiner Substanz, weil du nicht anders kannst als leiden und weil dein Leiden tiefe Ursachen hat. Der Messias ist schon gekommen, und du hast ihn nicht erkannt. Iosif Hechter, fühlst du nicht, wie dich Kälte und Dunkelheit umgeben?“

1940 verlor Mihail Sebastian sowohl seine Anstellung als Zeitungsredakteur wie auch seine Anwaltslizenz. Dann wurde er zur Zwangsarbeit eingezogen, entging jedoch glücklich der Deportation in die Ghettos und Todeslager Transnistriens.

Nach der Befreiung Rumäniens von der faschistischen Herrschaft wurde er zum Presseberater des Außenministeriums und schließlich zum Professor für Literatur an der Bukarester Universität berufen. Auf dem Wege zu seiner Antrittsvorlesung geriet er beim Überqueren einer Straße jedoch unter einen Lastwagen und Mihail Sebastian kam im Alter von nur 37 Jahren ums Leben.

 

 

 

Suzuki Norio

* April 1949 in Chiba, † November 1986 im Himalaja, japanischer Entdecker

 

Drei Ziele wollte Norio Suzuki in seinem Leben erreichen: er wollte Hiroo Onoda finden, der noch fast dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf einer kleinen philippinischen Insel kämpfte, da ihn die Nachricht vom Ende des Krieges im tiefen Dschungel nicht erreicht hatte. Dann wollte er eine seltene Panda-Art lokalisieren und zu guter Letzt den Yeti treffen.

Tatsächlich spürte Norio Suzuki den kaisertreuen Leutnant Onoda auf und überzeugte ihn endlich, zu kapitulieren. Auch den höchstscheuen Panda soll er gesehen haben. Bei der Suche nach dem Yeti kam Norio Suzuki jedoch ums Leben.

Werner Herzog schreibt in seinem Buch „Das Dämmern der Welt“: „Bald nach Onodas Rückkehr nach Japan unternahm Norio Suzuki eine Expedition in den Himalaja, um den Yeti zu finden, wie er es sich vorgenommen hatte. Am Fuß des Dhaulagiti wurde er von einer Lawine erfasst und getötet. Hiroo Onoda machte sich sofort von Japan aus nach Nepal auf. Von einem Sherpa begleitet, unternahm er einen drei Wochen dauernden Treck und stieg bis zu einer Höhe von über fünftausend Metren auf, ehe er die majestätische Südflanke des gewaltigen Achttausenders erreichte. Wo man Suzuki begraben hatte, war von den Sherpas eine Steinpyramide errichtet worden. Onodas Träger setzte seinen Rucksack ab. ‚Dies hier ist das Grab.’ In Onoda war es, als würden riesige Fäuste aus dem Himmel auf ihn herunterfahren, als wolle ihn die unfassbare Natur der Schneegebirge, der Gletscher, der Abgründe in der Mitte zerreißen. Onoda trat vor den Steinhaufen. Nur das Flattern der Gebetswimpel war eine Erinnerung an gewesenes Leben. Onoda, das Gesicht wieder so unbewegt wie alles um ihn, nahm Haltung an.“

 

 

 

Mary Henrietta Kingsley

* 13.10.1862 in Islington, † 3.6.1900 in Simon’s Town, Südafrika, britische Ethnologin

 

Mary Kingsley besteige als erste Europäerin den Kamerunberg und betrieb ethnologische Feldstudien in Angola, Äquatorialguinea, Gabun, Ghana, Nigeria, Sierre Leone und dem Kongo und verfasste darüber mit britischen Humor das siebenhundertseitige Werk „Travels in West Africa“. Sie polemisierte jedoch auch Missionierungspraktiken der anglikanischen Kirche in diesen Regionen. Nach Ausbruch des Burenkrieges meldete sie sich freiwillig als Krankenschwester und starb in einem Internierungslager für burische Gefangene an Typhus. Ihrem Wunsch gemäß, wurde sie auf See bestattet, wodurch ihr als erste britische Frau militärische Ehren zuteil wurden.

Im Mai 2005, als ich das erste Mal nach Südafrika kam, sollte ich auch durch den Ort kommen, in dem Mary Kingsley gestorben war, durch Simon’s Town an der Ostküste der Cape Peninsula auf dem Weg zum Kap der Guten Hoffnung:

Das Wetter bleibt schön, also nichts wie zum Tafelberg. Auffahrt mit der Seilbahn. Und tatsächlich bietet sich eine grandiose Aus­sicht – zur Wolkenfreiheit gibt’s Fernsicht gratis.

Im Zentrum Kapstadts dann auf dem Afrikanischen Markt beim Green Market Einkauf diverser Souvenirs. Freundliche Atmosphäre, es muss zwar gehandelt werden, aber nicht so verbissen wie in arabischen Ländern.

Weiter zum Kap der Guten Hoffnung. Allein schon die Anfahrt über die malerische Küstenstraße wäre eine Reise wert. Seltsame (endemische) Vegetation im Cape Point Nationalpark. Direkt am Kap sehe ich hoch oben vom Fuße des Leuchtturms tief unten im Wasser eine große Schule Delphine. Und ich erhalte eine Urkunde, mit der Bestätigung: We hereby proclaim that Mr. Jankofsky did witness the meeting of the Atlantic and Indian Oceans at The Cape of Good Hope, the fairest Cape in all the circumference of the globe.

Auf der Rückfahrt, vorbei an den Gedenkkreuzen für Bartholomeo Diaz und Vasco da Gama erlebe ich einmal mehr die einzigartigen Farbspiele des hiesigen Sonnenuntergangs. Auf dem Meer braut sich zudem eine Nebelbank zusammen. Sollte nun etwa auch noch der Fliegende Holländer auftauchen, dessen Schiff hier irgendwo ja tatsächlich verschwand?

 

 

 

Waleri Michailowitsch Sablin

* 1.1.1939 in Leningrad, † 3.8.1976 in Moskau, sowjetischer Offizier

 

Anfang November 1975, anlässlich des 58. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, zettelte der Politoffizier im Range eines Korvettenkapitäns Waleri Michailowitsch Sablin, nachdem er der Besatzung den Film „Panzerkreuzer Potemkin“ vorgeführt hatte, eine Meuterei auf der Anti-U-Boot-Fregatte „Storoschewoi“ an. Er schloss den Kapitän ein, prangerte in einer Rede das Abweichen der KPdSU von den Idealen Lenins an und rief dazu auf, mit dem Schiff von Riga nach Leningrad zu laufen, dort neben dem Revolutionssymbol, dem Schlachtschiff „Aurora“ zu ankern und sich über die Medien an die sowjetische Bevölkerung zu wenden, um einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Er sagte: Es ist an der Zeit, Gerechtigkeit zurückzubringen. Unser Auftritt ist nur ein kleiner Impuls, der große Taten folgen lassen wird.

Der Matrose Alexander Schein (der später zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde) sagte später aus: „Seine Rede hat uns enorm inspiriert. Alles, was wir heimlich unter uns diskutiert hatten, wurde plötzlich laut und offiziell ausgesprochen. Würde entstand in jedem von uns.“

Schon als Dreiundzwanzigjähriger hatte Waleri Michailowitsch Sablin mutig einen Brief an  Nikita Chruschtschow geschrieben und gebeten, die Kommunistische Partei von Schmeichlern und korrupten Elementen zu befreien. Sein Offizierskollege Nikolai Tscherkassin erinnerte sich: „Er hat immer global gedacht und er versuchte, soziale Phänomene in ihrer Tief zu verstehen. Er war der geborene Politiker.“

Die sowjetische Admiralität fürchtete jedoch, dass Korvettenkapitän Sablin mit der hochmodernen Fregatte der Burewstnik-Klasse nach Schweden fliehen wollte und stellte der auslaufenden „Storoschewoi“, wohl auf Befehl Parteichefs Breshnews, eine Kampfeinheit aus Jagdbombern und Kriegsschiffen entgegen.

Nachdem eine Bombe das Deck getroffen hatte, gab Waleri Michailowitsch Sablin auf, wurde verhaftet, dann von einem Militärgericht wegen „Verrats an der Nation“ zum Tode verurteilt und im Alter von 37 Jahren hingerichtet.

 

 

 

 

 

Georg Wilhelm Steller

* 10.3.1709 als Georg Wilhelm Stöller in Windsheim, † 23.11.1746 in Tjumen, deutscher Forscher

 

Georg Wilhelm Steller nahm 1741 an der zweiten Kamtschatka-Expedition Vitus Berings teil und wurde so zum ersten und einzigen Wissenschaftler, der eine dann nach ihm benannte Seekuh lebend sah. Bald darauf rotteten Pelztierjäger die Bestände der Stellersche Sehkuh vollständig aus.

Georg Wilhelm Steller war auch der erste Europäer, der auf Kamtschatka die Sitten und Kultur der Itelmenen und dabei insbesondere deren Obertongesänge beschrieb.

Als er im Sommer 1744 über Land zurück nach Petersburg zu gelangen versuchte, wurde er in Irkutsk verhaftet und beschuldigt, Völker Ostsibiriens gegen die russische Herrschaft aufgewiegelt zu haben. Erst im Winter 1745 kam er frei, erkrankte jedoch infolge der während der Bering-Expedition und im Irkutsker Gefängnis durchlittenen Strapazen schwer und starb schließlich völlig entkräftet im westsibirischen Tjumen, wohin er sich noch geschleppt hatte, im Alter von 37 Jahren.

 

 

 

Hossein Fatemi

* 10.2.1917 in Nain, † 10.11.1954 in Teheran, iranischer Politiker

 

Mit dreiunddreißig wurde Hossein Fatemi iranischer Außenminister. Er galt als enger Vertrauter des iranischen Reform-Premiers Mossadegh und schlug die Verstaatlichung der reichen Öl- und Gasvorkommen des Landes vor.

Nachdem Mossadegh durch einen von der CIA inszenierten Staatsstreich gestürzt war, der Schah wieder an die Macht kam, floh Fatemi in den Untergrund und begann seine Memoiren zu schreiben. Gut 200 Tage vermochte er sich in Tudeh zu verstecken, dann wurde er entdeckt, verhaftet, gefoltert und schließlich von einem Militärgericht wegen „Verrats am Schah“ zum Tode verurteilt. Ein Erschießungskommando exekutierte den siebenunddreißigjährigen Hossein Fatemi in der Teheraner Ghasr-Kaserne.

Der ägyptische Präsident Nasser erinnerte sich Jahre darauf jedoch an Fatemis Ideen und verstaatlichte den Suez-Kanal.

 

 

 

Arkadi Petrowitsch Gaidar

* 22.1.1904 in Lgow, † 26.10.1941 bei Lepljawo, sowjetischer Schriftsteller

 

Nicht mein Leben war ungewöhnlich, ungewöhnlich war nur die Zeit, in der ich lebte, schrieb Arkadi Gaidar 1934 in Autobiografie. Als Vierzehnjähriger wurde Arkadi Gaidar Soldat in der  Roten Armee. …ich war ein hochgewachsener Junge, kräftiger Junge und wurde schon bald darauf […] in den 6. Lehrgang für Rote Kommandeure in Kiew aufgenommen. Schließlich wurde ich […] Kommandeur der 6. Kompanie der 2. Kursantenbrigade an der Petljura-Front und mit sechzehn Jahren Kommandeur des Sonderregiments Nr. 58 für den Kampf gegen das Banditentum. Im Dezember des Jahres 1924 schied ich aus der Armee aus, weil ich krank geworden war.

Und Arkadi Gaidar versuchte sich als Autor: Am Anfang schrieb ich die Erzählung „In den Tagen der Niederlagen und Siege“. Als ich sie dem Schriftsteller Fedin zeigte, meinte der: „Sie können noch nicht schreiben, aber Sie haben das Zeug dazu, und daher werden sie es einmal können. Dann machte ich mich ans Lernen. […] Für meine besten Bücher halte ich „R. K. R.“, „Ferne Länder“, „Unterstand Nr. 4“ und „Die Schule. In der „Schule“ ist ausführlich dargestellt, wie Boris Gorichow –ein Junge wie ich – an die Front kam und was er dort sah, was er dort tat und was er lernte…

Sein berühmtestes Buch sollte er jedoch erst nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verfassen: „Timur und sein Trupp“, das für die Entwicklung der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur richtungweisend sein sollte, in den Ostblockstaaten weit verbreitet war, auf dem die „Timur-Bewegung“ basierte, die vorbildhafte Hilfsbereitschaft von Heranwachsenden im Alltag, das auch erfolgreich verfilmt wurde. Wie stets hat auch hier dieser Held Gaidars Bezüge zu seiner Biografie: sein 1926 geborener Sohn hieß Timur.

Arkadi Petrowitsch Gaidar fiel vier Monaten nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion als Partisan.

 

 

 

Klabund

* 4.11.1890 als Alfred „Fredi“ Georg Hermann Henschke in Crossen/Oder, † 14.8.1928 in Davos, deutscher Schriftsteller

 

Fredi Henschke dichtete sich seinen Künstlernamen aus den Worten Klabautermann und Vagabund zusammen, wie Jürgen Rennert erklärte: „Klabautermann und Vagabund singen zweisam-einsam Illegitim und illegal / machten eine Reise, / Jener starb am Gaspedal / dieser am Geleise…“ Manchmal nannte sich Henschke auch Pol Patt oder Jucundus Fröhlich.

1917, im dritten Kriegsjahr schrieb Klabund Kaiser Wilhelm II. einen offenen Brief:

Sie, Majestät, haben es in der Hand, der Welt den baldigen Frieden zu geben. […] Sie berufen sich darauf, daß Sie im November vorigen Jahres schon einmal bereit waren zum Frieden. In der Tat: Sie streckten dem Feind die Hand zum Frieden hin – aber die Hand war zur Faust gekrampft und war keine menschliche, blutdurchpulste Hand. Es war die eiserne Faust des Götz von Berlichingen. […] Noch immer spukt in den öffentlichen und geheimen Kabinetten Berlins das „Untertanen-Prinzip“. Und Sie waren schlecht beraten, als Sie die Osterbotschaft auf den Ton der Gnade abstimmten. Rechte, Majestät, werden nicht verliehen. Sie sind ursprünglich da, sind wesentlich  und existieren.

Geben Sie auf den Glauben an ein Gottesgnadentum und wandeln Sie menschlich unter Menschen. Legen Sie ab den Purpur der Einzigkeit und hüllen Sie sich in den Mantel der Vielfalt: Der Bruderliebe. […] Denn das deutsche Volk ist in Jahren unsagbaren Leidens gereift und den Kinderschuhen entwachsen: es braucht keine Bevormundung mehr. Es hat sie satt.

Seit seinem 22. Lebensjahr litt Klabund an einer nicht ausheilen wollenden Tuberkulose. 1928 zog er sich bei einem Aufenthalt in Italien zudem eine Lungenfellentzündung zu und starb alsbald siebenunddreißigjährig in einem Davoser Sanatorium. Die Grabrede in Klabunds Heimatstadt Crossen hielt sein Freund Gottfried Benn.

In seiner „Selbstbiografie“ sagte Klabund:

Oft hat mir der Wind die Blätter verweht, auf denen ich schrieb. Ich habe bei meinen vielen Wanderschaften zwei ganze Dramenmanuskripte verloren. Wer sie gefunden hat, soll sie behalten, ob er nun sein Zimmer damit tapeziert oder ob er sie seiner Frau nach dem Nachtmahl vorliest. Immer wieder muß ich mit heißer Klinge die klingenden Kämpfe in mir zu Ende fechten. Den Kampf der roten und der weißen Rose. Wenn ich einmal verblutet dahinsinke, soll man mir weiße und rote Rosen aufs Grab werfen. Das soll geschmückt sein wie ein Brautbett, und ein liebendes Paar soll wie Goldregen darauf niederstürzen. Und noch im Tode werde ich das neue Leben segnen.

 

 

 

Li Zicheng

* 22.9.1606 als Li Hóngji im Mizhi Distrikt † Juni 1644 oder 1645, chinesischer Bauernführer

 

In der Mao-Zeit galt Li Zicheng als „Erster Bekämpfer des Feudalismus“, Reiterstandbilder wurden ihm zu Ehren errichtet: Li Zicheng mit Filzhut und schwarzer Jacke, hoch zu Ross einen Armbrust-Pfeil abschießend.

Li Zicheng war in der Ming-Zeit Hirte, Weinverkäufer, Postkurier und Metallarbeiter, bevor er sich aufständischen Bauern anschloss und ob seiner Tapferkeit und seines Mutes alsbald deren Anführer wurde. Er besiegte die Ming-Truppen, nahm sogar Peking ein, woraufhin sich der letzte Ming-Kaiser erhängte und rief sich selbst zum Kaiser ausrufen, zum Bauernkaiser Chuǎng Wáng.

Seine Herrschaft war jedoch kurz. Rasch verlor er die Kontrolle über seine plündernden, mordenden, vergewaltigenden Truppen, da er sie wegen der leeren Schatzkammern nicht löhnen konnte. Die Manschu rückten ein, besiegten Li und richteten die Qing-Dynastie auf.

Li Zicheng floh über Xi’an in den Süden, wo er entweder ermordet wurde oder sich an einem Lotusbaum erhängte oder als Mönch weiterlebte. Auf jeden Fall war er als kühner Reiter noch lange im Land präsent.

 

 

 

Sudirman bin Arshad

* 25.5.1954 in Temerloh, † 22.2.1992 in Kuala Lumpur, malaysischer Sänger

 

Sudirman bin Arshad gewann in der Londoner Royal Albert Hall 1989 den Titel „Asia’s No. 1 Performer“. Er galt als der Elvis Presley von Malaysia, wurde auch als „singender Anwalt“ oder „Volkssänger“ gerühmt. Und er wirkte nicht nur als Sänger, sondern auch als Komponist und Autor, Schauspieler, Karikaturist und Hersteller von Dosengetränken. Bis heute werden seine Songs zum Fastenbrechen oder am Nationalfeiertag gespielt. Und hörten Jeanny und ich, als wir 25 Jahre, nachdem Sudirman an einer chronischen Lungenerkrankung verstorben war, seinen Wohnort besuchten, nicht zuweilen seine Stimme, bei deren Klang Konzertbesucherinnen immer mal wieder scharenweise in Ohnmacht gefallen sein sollen, durch die Gassen und Parks Kuala Lumpurs wehen?

Mit einem Volant verzierten Bus in die Hauptstadt Malaysias, nach Kuala Lumpur. Die ersten Straßenzüge, die ersten Häuser, die wir sehen, erscheinen zu Singapur wie Tag und Nacht. Doch unsere Fremdenführerin klärt rasch auf, dass hier in Hafennähe vor allem Leute wohnen, die im Hafen oder anschließenden Gewerken arbeiten. Diese Tätigkeiten wollen Einheimische, wollen Malaien im Allgemeinen nicht mehr ausführen, also wurden und werden Gastarbeiter angeheuert – Indonesier vor allem, aber auch Philippinos, Bangla Deshi und Nepalesen. (Kommt uns irgendwie bekannt vor…) Die Unterkünfte für diese Arbeiter stellen die jeweiligen Firmen, also wird hier auf Deibel kommt raus gespart, sieht’s hier aus, wies hier eben aussieht…

Tatsächlich werden die Straßen, umso mehr wir uns Kuala Lumpur nähern, immer besser, der Müll verschwindet und die Häuser werden ansehnlich. Und im hochmodernen, quicklebendigen Zentrum der Hauptstadt haben wir wieder singapurische Verhältnisse…

Im Fernsehturm, dem KL-Tower, bringt uns ein Fahrstuhl rasch auf die Aussichtsplattform in etwa 270 Meter Höhe. Imposante Wolkenkratzer ringsum. Anschließend besichtigen wir wohl das bekanntest Gebäude dieser Stadt, die Petronas-Doppeltürme, vor wenigen Jahren mit 452 m noch das höchste Gebäude der Welt (heuer nur noch auf Platz 15 dieser Liste…). Nicht so einfach, dieses Riesengebäude im Ganzen zu fotografieren! Doch in einem anschließenden wunderbar gepflegten und luftigen Park gelingt dann auch das.

Und glücklicherweise geraten wir sogar noch in Brauchtumsgeschehen: Am letzten Tag des chinesischen Neujahrsfestes (die Chinesen stellen im islamischen Staat Malaysia die mit Abstand größte Minderheit) werden aus einem Bistro durch Tanz-Löwen die bösen Geister für ein gutes neues Jahr vertrieben. Dieses Procedere sieht dem Spergauer Lichtmeß-Fest nicht unähnlich. Schau an!

Ernst Jünger weilte mehrmals in Kuala Lumpur, letztmals 1986, um den Halleyschen Kometen besser als daheim (wo er ihn 1910, am Anfang seines langen Lebens, schon mal verfolgt hatte) sehen zu können: „Die Stadt soll den Rekord an Gewittern halten – ich weiß nicht, ob es stimmt. Jedenfalls begann es zum zweiten Mal zu donnern, als wir beim Golfklub aus dem Wagen stiegen… Fortschritte … in der Klimatisierung: die Apparate laufen leiser als während unseres Aufenthaltes vor zwanzig Jahren, auch regeln Thermostaten die Temperatur. Die Kühlung kostet hier jährlich ebenso viel, wie wir in Wilflingen für die Heizung ausgeben.“

Zur Einstimmung auf Malaysia hatte ich mehrmals versucht, zeitgenössische malaysische Literatur zu lesen, war mit dem angestaubten Erzählstil, den Plots und vor allem der stets vordergründigen Moralität der Kolleginnen und Kollegen nicht klargekommen. Schade, vielleicht versuche ich’s in zwanzig Jahren nochmals…

 

 

 

Rosalind Elsie Franklin

* 25.7.1920 in London, † 16.5.1958 ebd., britische Biochemikerin

 

James Watson und Francis Crick wurden für die Entschlüsselung der Doppelhelixstrtuktur der DANN weltberühmt und mit dem Nobelpreis geehrt. Beide hatten für ihre Arbeit Forschungsergebnisse von Rosalind Elsie Franklin ohne deren Zustimmung und Wissen genutzt. In ihren Nobelpreisreden erwähnten sie die vier Jahre zuvor verstorbene Rosalind Elsie Franklin mit keinem Wort.

Immerhin erschienen Nachrufe auf Rosalind Elsie Franklin in der Londoner wie der New Yorker „Times“ sowie im „Nature“. Sie sei eine „Vertreterin einer erlesenen Reihe von Pionieren, die die Struktur der Nukleoproteine in Bezug auf Virenkrankheiten und die Genetik beleuchteten“ gewesen.

Rosalind Elsie Franklin starb im Alter von 37 Jahren an Eierstockkrebs, eine Auswirkung möglicherweise der Röntgenstrahlen, denen sie sich bei ihrer Erforschung der DNA ständig ausgesetzt hatte.

 

 

 

Helmuth James Graf von Moltke

* 11.3.1907 in Kreisau, † 23.1.1945 in Berlin-Plötzensee, deutscher Widerstandskämpfer

 

Helmuth James Graf von Moltke schrieb in einem Abschiedsbrief an seine Söhne: „… ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat.“

Vor dem Volksgerichtshof hatte er erklärt, er stünde hier „… nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher … sondern als Christ und als gar nichts anderes“.

Helmuth James Graf von Moltke lehnte als tiefreligiöser Mensch den Nazi-Staat ebenso wie ein Attentat auf Hitler ab. Er gründete den Kreisauer Kreis in der Überzeugung, Hitlers Reich werde von innen heraus zusammenbrechen. Vorgehalten wurde ihm von Freisler, dem berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofs, er habe im Kreisauer Kreis darüber nachgedacht, wie ein Deutschland in einer Zeit nach Hitler aussehen könnte. Das genügte für sein Todesurteil.

 

 

Jenö Rejtö

* 29.3.1905 als Jenö Rejtö in Budapest, Pseudonyme: P. Howard, Gibson Lavery, † 1.1.1943 in Jevdokovo, ungarischer Schriftsteller

 

Im Alter von 19 Jahren brach Jenő Rejtő seine Ausbildung als Schauspieler ab und vagabundierte durch halb Europa. Nach seiner Rückkehr begann er zu schreiben und hatte mit der Operette „Wer wagt, gewinnt“ einen ersten Erfolg. Wikipedia weiß: „Seine Bücher parodieren Kriminalgeschichten, Western und Abenteuerromane. Sie spielen rund um die Welt, oft auf hoher See oder in der Fremdenlegion und zeichnen sich durch running Gags, skurrile Gestalten sowie Rejtős typischen irrwitzigen Humor aus. Insgesamt schrieb er rund 50 Romane, die weltweit übersetzt wurden“, so: „Das vierzehnkarätige Auto“, „Der blonde Hurrikan“ oder „Quarantäne im Grand Hotel“. Drei seiner Bücher wurden auch verfilmt.

Im Alter von 37 Jahren erkrankte er schwer, doch wurde aus einem Hospital zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt und starb in einem Lager.

 

  

 

 

Thomas Sankara

* 21.12.1949 in Yako, † 15.10.1987 in Ouagadougou, Präsident von Obervolta

 

Der Fallschirmjäger Thomas Sankara putschte sich in Obervolta 1983 an die Macht, lehnte es als fünfter Präsident des Landes ab, Schulden an den Westen zurückzuzahlen, agierte panafrikanisch, strebte eine Westafrikanische Union an, initiierte eine ambitionierte Frauen- und Gesundheits- und Aufforstungspolitik, versuchte gegen den Hunger wie gegen die Korruption zu kämpfen und nannte Obervolta in Burkina Faso um: „Land der aufrichtigen Menschen“.

Thomas Sankara war auch als Gitarrist der Band „Tout-a-Coup Jazz“ beliebt, wurde jedoch nach einem neuerlichen Staatsstreich von einem langjährigen Weggefährten, der sich umgehend zum sechsten Präsidenten des Landes ausrief, ermordet.

 

 

 

Gustav II. Adolf

* 9.12.1594 in Stockholm, † 6.11.1632 Lützen, schwedischer König

 

Nach der Schlacht bei Breitenfeld, Mitte September 1631, ritt der siegreiche Schwedenkönig Gustav II. Adolf mit großem Gefolge in Merseburg ein.

Im Schloss übergab der Hauptmann der verbliebenen kaiserlichen Wache dem Sieger von Breitenfeld die Truppenfahne, anschließend begab sich Gustav II. Adolf in den Dom, und zu Mittag speiste der Schwedenkönig beim Gastwirt Matthes Müller, im besten Hause am Platz, in der „Goldenen Sonne“ am Markt.

Bedient wurde er von drei strammen Weibsbildern, die Wikinger Schildmaiden hätten sein können. „Meine Idisi“, sagte der Wirt und grinste.

Und was tafelten die Idisi dem Schwedenkönig in der „Goldenen Sonne“ alles auf:

Eyersope mit Safran, Pfefferkörner und Honigk darein ... Schavfleysch mit Czypollen darüber ...

gebraten Hun mit Tzwetzschcken.

Stockfisch mit Oel undt Roßzynen.

Bleyer in Oel gebacken.

Gesotten Al mit Pfeffer.

Und dabei raunten sie Zaubersprüche:

Eiris sazun idisi, sazun heraduoder.

Suma hapt heptidun, suma heri lezidun,

suma clubodun umbi cuonio uuidi.

Insprinc haptbandun inuar uigandun!

Zaubersprüche, immer wieder Zaubersprüche, Zaubersprüche bei jeder zauberhaften Köstlichkeit.

Gerehster Pückling mit Senff.

Speisefische sawer gesotten...

Kleine Vögel in Schmaltz gepregelt mit Rettich...

Gelb Schwynefleysch, Eyerkochen mit Honigk und Wynbeeren ...

gebraten Gancz mit Leinschen Rüblein.

Gesalzen Hechjt mit Petterlin.

Ein Sallat mit Eyern.

Ein Gallardtin mit Mandeln besetzt...

Zaubersprüche, Zaubersprüche:

Bên zi bena, bluot zi bluoda

lid zi geliden, sose gelimida sin!

Zaubersprüche, Zaubersprüche, Zaubersprüche und vor allem mit dem Wein, mit dem goldenen, mit reichlich Wein:

Insprinc haptbandun inuar uigandun!

Und zu guter Letzt raunten die Idisi dem Schwedenkönig zu, eindringlich zu, dass er nie, dass er nie wieder hierher, dass er nie wieder ins Merseburger Land kommen und schon gar nicht mehr hier kämpfen solle:

Insprinc haptbandun inuar uigandun!

So sehr dem König diese drei Walküren, diese Prachtweiber, gefielen, folgte er am Ende ihrem Rat nicht, ritt im Jahr darauf bei Lützen an einem sonnenlosen Novembertag in die Schlacht.

Und die Welt wurde ein andere.

 

 

 

Krzysztof Komeda

* 27.4.1931 als Krzysztof Trzciński in Posen, † 23.4.1969 in Warschau, polnischer Jazz-Pianist

 

Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Krzysztof Trzciński feierte seinen ersten Erfolg als Pianist auf den erste Sopoter Jazz-Festival mit dem Komeda-Sextett. Da im Polen der späten 1950er Jahre Jazz noch misstrauisch beäugt wurde, nannte er sich als Musiker fortan Krzysztof Komeda und wurde alsbald zur Schlüsselfigur der sich etablierenden polnischen Jazz-Szene. Das Wort „Jazz“ wurde in Polen zum Symbol für Freiheit.

Dann begann Komeda auch Filmmusiken zu komponieren, so für „Das Messer im Wasser“, „Tanz der Vampire“ und „Rosemary’s Baby“ von Roman Polański.

Im Januar 1969 zog er sich bei einem Sturz eine Gehirnblutung zu, die nicht richtig diagnostiziert und behandelt wurde. Krzysztof Komeda fiel ins Koma und starb bald darauf im Alter von 37 Jahren.

 

 

 

Hanns Lothar

* 10.4.1929 als Hans Lothar Neutze in Hannover, † 11.3.1967 in Hamburg, deutscher Schauspieler

 

Seinen ersten Bühnenerfolg hatte Hanns Lothar 1942 als „Standhafter Zinnsoldat“, als Filmschauspieler debütierte er 1948 in „Wege im Zwileicht“. 1959 agierte er als Christian Buddenbrock erfolgreich in einer Verfilmung des weltberühmten Thomas-Mann-Romans. Seinen bekanntesten Auftritt dürfte jedoch in Billy Wilders Film „Eins, Zwei, Drei“ gehabt haben. Insgesamt wirkte er in 45 Filmen mit.

Hanns Lothar wurde nur 37 Jahre alt, er starb an einer Nierenkolik.

 

 

George Herbert Leigh Mallory

* 18.6.1886 in Mobberley, Cheshire, † 8.6.1924 auf dem Mount Everest, britischer Bergsteiger

 

„Als Mallory, Irvine, Beetham und Hazard von England her Mitte März in Dardschiling eintrafen, waren die anderen schon da. Die Vorbereitungen waren nahezu getroffen, die Träger und Lasttiere ausgesucht, was sie für den Angriff auf den Mount Everest brauchten, zusammengetragen und eingepackt“, schrieb Walter Bauer in „Mount Everest. Bericht von Mallory und seinen Freunden. „…einige Tage später brachen sie auf, zum langen Wege durch Sikkim und Tibet, um in das Niemandsland des Everest einzudringen. Von ihnen allen war Mallory der einzige, der an der Erkundung des Angriffsweges von 21, und am ersten, vom Everest abgewiesenen Angriff des folgenden Jahres teilgenommen hatte. Mallory, Dozent im Cambridge, seit vielen Jahren als einer der besten Bergsteiger gerühmt, war jetzt siebenunddreißig Jahre alt. Er sah sehr gut aus, doch nicht ungewöhnlich kräftig; er war schlank, schmal und hatte ein fein gebildetes, etwas nachdenkliches Knabengesicht. Aus dem Wenigen, was er sprach, schoß zuweilen Ungeduld und gedämpfte Glut hervor. Die anderen empfanden seine Anwesenheit wie die einer ständigen, verhaltenen Flamme. Er war ihnen allen voraus, und ohne Zögern gewährten sie ihm diesen Vorsprung. Wenn sie jetzt schon davon gesprochen hatten, wem die Ehre des letzten Sturmes auf den Gipfel zukommen sollte – einen anderen als ihn hätten sie nicht gewußt. Er freilich wusste von den beiden vorangegangenen Versuchen her zu gut, daß jeder nur ein Teil der Kameradschaft war. Der Everest wies den Hochmut des Einzelnen mit Verachtung ab. Der Angriff war kein verwegenes Abenteuer, sondern ein Unternehmen, in dem alles durchdacht, geplant, berechnet sein mußte. Auch das Wagnis der letzten Schritte in das unberührte Heiligtums des Gipfels war nur möglich, wenn alle es vorbereiteten und sicherten. Mallory wußte es. Er kannte den Everest. Er hatte ihn mit den Kameraden umkreist, um den Aufstieg zu finden. Er hatte die Stelle entdeckt, die den Berg verwundbar machte, er hatte sich emporgezwungen, und war abgeschüttelt worden. Niemand kannte den Everest so gut wie er.“

Es bleibt offen, ob Mallory (zu guter Letzt zusammen mit Irving) auf den Gipfel des Mount Everest gelangte. Beide blieben nach ihrem Aufstiegs-Versuch am 8. Juni 1924 verschwunden. George Mallorys mumifizierte Leiche wurde 75 Jahre später auf einem geneigten Schneehang in 8.150 m Höhe gefunden. Als Erstbesteiger des höchsten Berges der Erde gelten seit 1953 der Neuseeländer Edmund Hillary und der Sherpa Tenzing Norgay.

Auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle, hatte George Mallory geantwortet: „Because is it there – weil er da ist!“

Walter Bauer: „Am 13. Juni fanden sich alle im Standlager ein. Die Lasttiere kamen, um die Lasten fortzubringen. Somerwell und Betham bauten aus Steinen und Felsplatten ein Ehrenmal, und Betham meißelte die Namen der Toten aller drei Everestfahrten ein. Die Toten des Angriffs von 1924 hießen Schamscher, Manhabadur, Irvine und Mallory.“

 

 

 

Thomas Clayton Wolfe

* 3.10.1900 in Asheville, North Carolina, † 15.9.1938 in Baltimore, Maryland, amerikanischer Schriftsteller

 

In einem Nachwort zu Thomas Wolfes Look Homeward Angel sagte Joachim Krehayn: „Seine Erfolge errang Wolfe durch vier große Romane, von denen allerdings nur „Schau heimwärts, Engel!“ (1929) und „Von Zeit und Strom“ (1931) zu seinen Lebzeiten erschienen. Auch die Erzählung „Mein Onkel Bascom“ (1932), der Kurzgeschichtenband „Vom Tod zum Morgen“ (1933) und die Rechenschaftslegung „Die Geschichte eines Romans“ (1936) wurden noch vor seinem Tod veröffentlicht. Seine übrigen Romane „Geweb und Fels“ (1939) und „Es führt kein Weg zurück (1940) sowie der Erzählungsband „Hinter jenen Bergen“ (1941) und von Herausgebern besorgte Ausgaben von Briefen erschienen postum.

Fast allen seinen Werken ist ein Schicksal gemeinsam: Sie wurden in der endgültigen Fassung nicht vom Autor, sondern von seinen Verlegern aus umfangreichen Manuskripten und zahllosen Aufzeichnungen zusammengestellt. Der Autor hatte die Angewohnheit, naturalistische Tagebuchnotizen, journalistische Impressionen, romantisierende und realistische Erzählpartien zu entwerfen und zu bearbeiten, sie dann später wieder aufzugreifen und neu zu fassen. Scheinbar ohne jede Systematik schrieb er sich seine Probleme von der Seele.“

Der Amerikanist Karl-Heinz Schönfelder meinte: „Seine vier umfangreichen Romane müssen als ein einziges Buch betrachtet werden, in dem der schmerzhafte geistige Reifeprozess eines Mannes geschildert wird, der nach langen Jahren des Suchens und Irrens den Zusammenhang zwischen Individuum und Gesellschaft erkennt und den Weg vom isolierten Ich zum brüderlichen Wir findet. Jedes Erlebnis führt ihn zu neuen Erkenntnissen, jede Erfahrung gewährt ihm neue Einsicht. Dem Helden kommt deshalb eine so überragende Bedeutung zu, weil seine sich ständig wandelnden Anschauungen vom Mensch und der Welt, vom Leben und Tod die Entwicklung des Autors widerspiegeln.

Bereits im Alter von 23 Jahren schrieb Thomas Wolfe seiner Mutter: „Gott sitzt nicht immer im Himmel, die Welt ist nicht immer in Ordnung. Nicht alles ist schlecht, aber es ist auch nicht alles gut; nicht alles ist hässlich, aber es ist auch nicht alles schön; es ist Leben, Leben, Leben – das einzige, worauf es ankommt. Es ist wild und grausam, gütig und edel, leidenschaftlich und großmütig, dumm und hässlich, schön, schmerzlich und fröhlich – das alles ist es und noch viel mehr – und das alles will ich kennenlernen, und das werde ich, bei Gott, und wenn sie mich dafür kreuzigen. Um das zu finden, zu verstehen, werde ich bis ans Ende der Welt gehen. Und wenn ich damit fertig bin, werde ich dieses Land kennen wie meine Handfläche, und dann werde ich es zu Papier bringen, und es wird wahr und schön sein.“

Joachim Krehayn urteilte: „Die Rolle des Kritikers fiel Thomas Wolfe zu, ohne dass er sie gesucht hätte. Er schrieb seine Beobachtungen, Gefühle, Erinnerungen und Erkenntnisse nieder, weil dies der einzige für ihn gangbare Weg zur Selbstverständigung war, die Wahrheit seines Lebens als Dichtung zu präsentieren.“ Sinclair Lewis würdigte ihn in seiner Nobelpreisrede 1930 mit den Worten: „Da ist Thomas Wolfe, ein Junge von, ich glaube, dreißig oder weniger Jahren, dessen einziger Roman Look Homeward, Angel an die Seite unserer besten Literaturwerke gestellt werden kann, eine kolossalische Schöpfung von tiefer Lebenslust.“

Oft ist spekuliert worden, was Thomas Wolfe noch alles hervorgebracht hätte, welche Rolle er für die Weiterentwicklung der amerikanischen Literatur er noch hätte spielen können, wäre er nicht kurz vor seinem 38. Geburtstag an Gehirntuberkulose gestorben. Nobody knows

Sein letzter, postum erschienener Roman „Es führt kein Weg zurück“ endet mit den Zeilen:

Lieber Fox, alter Freund, so sind wir denn am Ende unseres gemeinsamen Weges abgekommen. Ich habe Dir nichts mehr zu sagen – darum lebe wohl.

Aber eins muß ich Dir noch sagen, ehe ich gehe:

Es hat nach mir gerufen in der Nacht, beim letzten Flackern des schwindenden Jahres; es hat nach mir gerufen in der Nacht und hat zu mir gesagt, ich werde streben – wo, weiß ich nicht.

Es hat gesagt:

„Laß fahren diese Erde, die du kennst, um höherer Erkenntnisse willen; laß fahren dieses dein eigenen Leben, um eines höheren Lebens willen; laß fahren die geliebten Freunde, um einer höheren Liebe willen; ein Land erwartet dich, das gütiger als die Heimat ist und größer als die Erde…

Dort ist der Grund, auf dem die Pfeiler der Erde ruhn – der Hort des Weltgewissens… ein Wind erhebt sich, und die Ströme fließen.“

 


Zitate aus:

(soweit nicht direkt in den jeweiligen Texten ausgewiesen)

 

Abosch, Heinz „Simone Weil…“

Adriani, Götz „Toulouse-Lautrec…“

Anders; Ferdinand „Von Schönbrunn und Miramar nach Mexiko…“

Arnold, Heinz Ludiwg (Hg.) „Rolf Dieter Brinkmann…“

Asriel, Andre „Jazz. Aspekte und Analysen“

Bartl, Peter „Bardhi, Frang“

Bauer, Walter „Mount Everest. Bericht von Mallory…“

Berger, Renate „Paula Modersohn-Becker“

Berger, Renate „Rodolfo Valentino“

Bilang, Karla „Georges Seurat“

Büchner, Georg „Dantons Tod“

Brown, Tina „Diana“

Böttcher, Hans-Joachim „Böttger – Vom Gold- zum Prozellanmacher“

Callan, Michael Feenay „Jayne Mansfield…“

Caretta, Vincent „Phillis Wheatley…“

Claußnitzer, Gert „Wilhelm Dodel“

Cochran, Peter „Byron and men…“

Crane, Hart „Moment Fugue“

Dagerman, Stig „Der Mann, der nicht weinen wollte“

Dahm, Bernhard „Josè Rizal…“

Dawes, Kwame „Bob Marley…“!

Dondelinger, Patrick „Die Visionen der Bernadette Soubirous“

Durnowo, Marina „Mein Leben mit Daniiel Charms“

Eckert, Michael „Heinrich Hertz“

Epstein, Brian „Der fünfte Beatle erzählt“

Essers, Ilse „MaxValier…“

Fassbinder, Rainer Werner „Katzelmacher und andere Stücke“

Fénelon, Fania „Das Mädchenorchester von Auschwitz“

Fermi, Laura „Mein Mann und das Atom“

Finker, Kurt „Graf Moltke und der Kreisauer Kreis“

Gaidar, Arkadi „Der Mann mit dem roten Stern”

Guiraudou, Richard-Pierre u.a. “Gustave Flourens…”

Grabbe, Christian Dietrich „Werke“

Grashoff, Udo „Johann Friedrich Struensee…“

Greßmann, Uwe „Lebenskünstler“

Goudineau, Christian „Caesar und Vercingetorix“

Haley, Benjamin „Michel Petrucciani: Leben gegen die Zeit“

Haring, Keith „Tagebücher“

Harper, Kenn „Minik. Der Eskimo von New York“

Herzog, Werner „Das Dämmern der Welt“

Hildebrandt, Dieter „Horváth“

Hłasko, Marek „Hafen der Sehnsucht“

Hoffmann, Peter „Claus Schenk Graf von Stauffenberg“

Huppert, Hugo „Erinnerungen an Majakowski“

Hutten, Ulrich von „Ein neu Lied…“

Jankofsky, Jürgen u.a. „Eine Handvoll Asche“

Jessenin, Sergej „Gedichte“

Kanigel, Robert „Der das Unendliche kannte. Das Leben des genialen Mathematikers Srinivasa Ramanujan“

Kaser, Norbert C. „herrenlos brennt die sonne“

Kasten, Erich „Steller und die Itelmenen“

Klabund „Erzählungen und Grotesken“

Kleist, Heinrich von „Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“

Knauer, Wolfram „Charlie Parker“

Lammel, Gisold „Gottlieb Schick“

Lauterbach, Iris „Antoine Watteau“

Liebig, Justus von „Chemische Briefe“

Lotman, Juri Michailowitsch „Alexander Puschkin“

Maddox, Brenda „Rosalind Franklin…“

Mailer, Norman „Marylin Monroe“

Mainländer, Phulipp „Schriften in vier Bänden“

Marggraf, Wolfgang, Cover-Text zu „Mozart, Requiem KV 626“

März, Roland „Franz Marc“

Masaoka Shiki „Ich werde gehen”

Maul, Stefan „Das Gilgamesch-Epos”

McCarthy, Fiona „Byron, Life and Legend“

Müller, Hartmut „Lord Byron…“

Neumeister, Christoff „Tibull…“

Ortner, Helmut „Fremde Feinde: der Fall Sacco & Vanzetti“

Ostrowski, Nikolai „Wie der Stahl gehärtet wurde“

Otoo, Sharon Dodua „Adas Raum“

Perrault, Gilles „Auf den Spuren der Roten Kapelle“

Reed, John „10 Tage, die die Welt erschütterten“

Reissner, Larissa „Von Astrachan nach Barmbeck“

Richter, Klaus „Das Leben des Physikers Johann Wilhelm Ritter“

Rudolph, Frank „Cyrano de Bergerac…“

Rueb, Franz „Ulrich von Hutten…“

Sabin, Stefano „apropos Ethel Rosenberg“

Sanou, Ismael u.a. „Thomas Sankara“

Schwandt, Christoph „George Bizet“

Siamanto „Blutige Briefe einer Freundin“

Södergran, Edith „Klauenspur“

Sommerlad, Fritz „Aus dem Leben Philipp Mainländers…“

Timm, Uwe „Morenga“

Tokarczuk, Olga „Übungen im Fremdsein“

Villon, François „Die Lebensbeichte“

Wagner, Manfred „Franz Schubert“

Walther, Angelo „Giorgione“

Walther, Angelo „Raffael, die Sixtinische Madonna“

Wenzkat, Ingrid „Adriaen Brouwer“

Wikipedia

Wilson, Peter Niklas „Spirits Rejoice! Albert Ayler und seine Botschaft”

Winkler, Willi „Karl Philipp Moritz“

Wolfe, Thomas „Der verlorene Knabe“

Wollmann, Therese „Scheich Ibrahim…“

www.getAbstract.com

Zimmerman, Franklin B. „Henry Purcell“

Zorn, Fritz „Mars“

 


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