JÜRGEN JANKOFSKY

 

 

 

 

 

 

Jankopedia

 

III

 

 

 

 

 

 

 

Als Quijotes Träume wahr werden, versiegt seine Einbildungskraft.

Carlos Fuentes

 

Spekulationen, was passiert wäre, wenn Alexander ein verirrter Pfeil getroffen hätte und es nie ein ptolemäisches Ägypten oder ein seleukidisches Syrien gegeben hätte, sind bestenfalls müßige Spielerei. Allerdings mag es wichtige Fragen aufwerfen, etwa: Wie viel kann ein Einzelner in der Geschichte wirklich bewirken? Dennoch laasen sich solche Fragen niemals definitiv beantworten.

David Graeber / David Wengrow

 

 

 

 

Badi’al-Zaman al-Hammadani

* 969 in Hamadan, Iran, , † 1007 in Herat, Afghanistan, arabischer Autor

 

Als Badi‘al-Zamān al-Hamadanis bedeutendstes Werk gilt die Gedichtsammlung „Maganat Badi' az-Zaman al-Hamadhani“: 52 episodische Geschichten bei denen er als Erster die bis dahin ausschließlich für kunstvolle religiöse Texte gebrauchte Form „saj“ auf weltliche Anekdoten anzuwenden.

Wikipedia weiß: „Insgesamt sind 52 von al-Hamadanis Maqama in Manuskripten erhalten. Jeder Maqama ist eine vollständige Geschichte, aber Maqama werden oft in einer Sammlung mit einem übergreifenden Thema präsentiert. Jede Geschichte hat zwei Hauptfiguren, den Erzähler (normalerweise Isa ibn Hisham) und einen Protagonisten (normalerweise Abu I-Fath von Alexandria, der ein Schurke und ein Betrüger ist). Andere Charaktere, oft historische Charaktere, werden in verschiedenen Geschichten vorgestellt. Die Anekdoten, die in al-Hamadanis Maqamat präsentiert wurden, trugen zu einem wachsenden Interesse an den Aktivitäten arabischer Kleinbürger, insbesondere Bettlern, Trickbetrügern und Kriminellen, bei.

Seine „Maqamat“ war weit verbreitet und fand zahlreiche Nachahmer. Gern fügte al-Hammadani auch Rätsel in seine Maqama ein:

Spitze ist seine Speerspitze, scharf sind seine Zähne,

seine Nachkommen sind seine Helfer, die Auflösung der Vereinigung ist sein Geschäft.

Er greift seinen Herrn an und klammert sich an seinen Schnurrbart;

Einführen seiner Reißzähne in Alt und Jung.

Angenehm, von guter Form, schlank, enthaltsam.

Ein Schütze, mit reichlich Schäften, um den Bart und den Schnurrbart.

(Der Kamm)

 

 

 

Arminius

* um 17 v. Chr., † um 21. n- Chr., germanischer Fürst

 

Was wäre Deutschland heute, wenn Arminius, Armin der Cherusker also, später auch Hermann genannt, nicht – ja, was eigentlich?

Arminius Varus nicht hatte besiegen können, vernichtend?

Er danach die germanischen Stämme hätte einen können?

Marbod, König der Markomannen, nicht den Kopf des Varus, den Arminius ihm als Bündnis-Angebot übersandt hatte, an Augustus weitergeschickt hätte?

Kaiser Augustus angesichts des abgetrennten Hauptes nicht ausgerufen hätte: „Varus, gib mir meine Legionen zurück“?

Arminius nicht Thusnelda entführt und geheiratet, und sein Schwiegervater, der cheruskische Gaugraf und Römerfreund Segestes, ihm nicht fortan übel mitgespielt hätte?

Arminius in Idastaviso, auf der zauberspruchträchtigen Idisstättenwiese also, sowie am Angrivarierwall Germanicus hätte bezwingen können, wie er Varus bezwang?

Adgandestrius, der Fürst der einst verbündeten Chatten Rom nicht angeboten hätte, Arminius zu vergiften?

Arminius nicht letztlich von Verwandten ermordet worden wäre?

Arminius gegen Varus an einem Ort gesiegt hätte, der sich endlich eindeutig verorten ließe?

Tacitus nicht geurteilt hätte: „Er war unbestritten der Befreier Germaniens.“

Ulrich von Hutten Arminius nicht als „ersten Vaterlandsverteidiger“ bezeichnet hätte, der es würdig wäre „König der Deutschen“ zu werden?

Melanchthon nicht Ähnliches gesagt hätte?

Daniel Casper von Lobenstein nicht einen 3000-seitigen Roman mit dem Titel „Großmuethiger Feldherr Arminius“ geschrieben hätte?

Klopstock nicht die Ode „Hermann und Thusnelda“, und die Barditen „Hermanns Schlacht“, „Hermann und die Fürsten“ und, „Hermanns Tod“ verfasst hätte?

Karl Ludwig Sand, der Mörder August von Kotzebues, kurz vor seiner Hinrichtung nicht gesagt hätte: „Will uns die deutsche Kunst einen erhabenen Begriff von Freiheit bildlich geben, so soll sie unsern Hermann, den Erretter des Vaterlandes , darstellen, stark und groß, wie ihn das Nibelungenlied unter dem Namen Siegfried kennt, der kein anderer als unser Hermann“?

Nicht Johann Elias Schlegel, Justus Möser, Christoph Otto von Schönaich, Christoph Martin Wieland, Jakob Bodmer, Hölderlin und auch Goethe vom Arminius-Stoff inspiriert worden wären?

Wenn Heinrich von Kleist nicht das Drama „Die Hermannsschlacht“ und Christian Dietrich Grabbe kein Stück mit dem Titel „Hermannschlacht“ geschrieben hätten?

Nicht zahllose Hermannschlacht-Opern komponiert und etliche Hermannschlacht-Filme gedreht worden wären?

Friedrich Ludwig Jahn Arminius nicht „Volksheiland“ genannt und Deutsche, die sich „Enke Hermanns“ nannten, den ersten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht nicht als nationales Fest gefeiert und die die Völkerschlacht als „Zweite Hermannschlacht“ ausgerufen hätten?

Heinrich Heines Harzreise-Ironie verstanden worden wäre: „Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann/ mit seinen blonden Horden/ so gäb’ es die deutsche Freiheit nicht mehr/ wir wären römisch geworden!“

Arminius/Hermann nicht stattdessen für diverse monumentale Heldendenkmale (eines sogar in den USA, in New Ulm!) hätte herhalten müssen?

Was?

Ja, was wohl?

 

 

 

 

Aššurbānipal

* 27.10.669 v. Chr., † 631/627 wohl in Ninive, neuassyrischer König

 

Wer weiß, ob Aššurbānipals Name heute noch bekannt wäre, hätte er wie zahllose andere Könige der Vorzeit nur geherrscht, Paläste erbaut und mehr oder weniger erfolgreich Schlachten geschlagen.

Aššurbānipal legte jedoch in Ninive eine das gesamte Wissen seiner Zeit umfassende Bibliothek an, 25.000 Tontafeln, in der auf Keilschrift auch die wohl älteste Erzählung der Welt, das Gilgamesch-Epos, aufbewahrt wurde.

Auf einer Tafel berichtet Aššurbanipal über sich selbst: „Ich habe gelernt, was der weise Adapa gebracht hat, habe mir den verborgenen Schatz, die gesamte Tafelschreiberkunst angeeignet, bin in die Wissenschaft von den Vorzeichen am Himmel und auf der Erde eingeweiht, diskutiere in der Versammlung der Gelehrten, deute mit den erfahrensten Leberschauern die Leberomina. Ich kann komplizierte, undurchsichtige Divisions- und Multiplikationsaufgaben lösen, habe schon immer kunstvoll geschriebene Tafeln in schwer verständlichem Sumerisch und mühsam zu entzifferndem Akkadisch gelesen, habe Einblick in die Schriftsteine aus der Zeit vor der Sintflut, die ganz und gar unverständlich sind.“

19 Jahre nach Aššurbanipals frühen Tod ging das Neuassyrische Reich unter.

 

 

 

Joachim du Bellay

* um 1522 in Liré, † 1.1.1560 in Paris, französischer Autor

 

Joachim du Bellay gilt neben Pierre de Ronsard als der bedeutendsten französischen Lyriker der Mitte des 16. Jahrhunderts. Etwa im Alter von 25 Jahren gründete er mit Ronsard in Paris den Dichterkreis „la brigade“, der dann in „La Plénade“ umbenannt wurde. Mit siebenundzwanzig publizierte er zwei seiner wichtigsten Werke: die programmatische Schrift „Verteidigung und Berühmtmachung der französischen Sprache“ und die Gedichtsammlung „Die Olive und einige andere lyrische Werke“.

Im Alter von 31 Jahren wurde er Majordamus, Hausmeier, des Kardinals Jean du Bellay und ging mit ihm nach Rom. Zurück in Paris erschien fünf Jahre später sein bedeutendstes Werk „Les regrets“, eine der ersten französischen Sonett-Sammlungen. Weitere Werke wie „Diverse ländliche Spiele“ oder Buch I der römischen Altertümer“, zudem übersetzte er Platons „Symposion“.

Joachim du Bellay starb depressiv und nach längerem Kränkeln wohl an einem Herzschlag im Alter von 38 Jahren.

 

 

 

 

 

Hrotsvit von Gandersheim

* um 935, † nach 973, deutsche Äbtissin und Dichterin

 

Hrotsvit von Gandersheim gilt als erste Deutsche Dichterin. Ihr Dramenbuch umfasst sechs Dialoglegenden, in denen sie versuchte, eine christliche Alternative zu Terenz zu bieten: aus schlüpfrigen Episoden werden Geschichten über die Keuschheit von Jungfrauen – die ersten Dramen seit der Antike.

Doch Hrotsvits schrieb auch ein Legendenbuch in leoninischen Hexametern sowie eine Geschichte der Ottonen, die „Gesta Ottonis“ und die „Primordia coenobii Gandeshemensis“, eine Geschichte des Stiftes Gandersheim.

Und Hrotsvits verfasste weitere Werke, die aber im Laufe der Zeit verlorengingen. Bekannt ist, dass sie auch eine poetische Vita der Schutzpatrone des Stiftes Gandersheim, der heiligen Päpste Innozenz I. und Anastasius I., zu Papier gebracht hatte.

Ihre erhaltenen, in einer Handschrift aus dem 10./11. Jahrhundert enthaltenen Texte, dem „Codex“, wurden gut 500 Jahre nach ihrem Tod im Regensburger Kloster St. Emmeran entdeckt, und 1501 in der „Opera Hrotsvitae“ ediert – illustriert von Albrecht Dürer.

 

 

 

Francis bin Fathallah bin Nasralla Marrash

* um 1835 in Aleppo, † um 1873 ebd., syrischer Autor

 

Der Arabist Shmuel Moreh sagte, Francis Marrash habe versucht, „eine Revolution in der Diktion, den Themen, der Metapher und der Bildsprache in der modernen arabischen Poesie“ zu initiieren. Und die palästinensische Autorin Salma Khadra Jayyusi beschrieb seine prosaischen Schriften als „oft romantisch im Ton, manchmal zu poetischen Höhen aufsteigend, deklamatorisch, lebendig, farbenfroh“. Francis Marrashs Texte gelten als erste Beispiele poetischer Prosa in der modernen arabischen Literatur.

Während seines Medizinstudiums in Paris erblindete er, kehrte in seine Heimatstadt Aleppo zurück und diktierte fortan seine Werke, in denen er sich vor allem mit Geschichte, Religion und Wissenschaften auseinandersetze. Er pries die Prinzipien der Französischen Revolution und kritisierte somit die osmanische Herrschaft in seiner Heimat. Der irakische Literaturwissenschaftler Matti Moosa hielt Fancis Marrash für den „ersten wirklich kosmopolitischen arabischen Intellektuellen und Schriftsteller der Neuzeit.“ Seine Gefühls-, und Ausdrucksweisen habne das zeitgenössische arabische Denken sowie die moderne arabische Literatur nachhaltig beeinflusst.

Als sein bedeutendstes Werk gilt „Ghabat al-haqq“ – Der Wald der Wahrheit", laut Wikipedia „eine Allegorie über die Bedingungen, die erforderlich sind, um Zivilisation und Freiheit zu errichten und zu erhalten. Diese Allegorie erzählt die apokalyptische Vision eines Krieges zwischen einem Königreich der Freiheit und einem Königreich der Sklaverei, das durch die Gefangennahme des Königs des letzteren und einen anschließenden Prozess vor dem König der Freiheit, der Königin der Weisheit, der Wesir des Friedens und der brüderlichen Liebe, der Kommandant der Armee der Zivilisation, mit dem Philosophen aus der Stadt des Lichts – der den Autor vertritt – als Rat.“

Ich habe keine Lust mehr auf Liebeslieder über Behausungen, die schon in Odenmeeren untergegangen sind. [...]

Erwähne den Kutscher auf seiner Nachtfahrt und die weit schreitenden Kamele nicht mehr und höre auf, von Morgentau und Ruinen zu reden…

 

 

 

Qurrat al-’Ain

* 1814 als Fatima Baraghani in Qazvin, † 1852 in Teheran, persische Dichterin

 

Der englische Orientalist Edward Granville Browne sagte: „Das Erscheinen einer solchen Frau wie Qurrat al-’Ain ist in jedem Land und in jedem Alter ein seltenes Phänomen, aber in einem Land wie Persien ist es ein Wunder, ja fast ein Wunder. Aufgrund ihrer wunderbaren Schönheit, ihrer seltenen intellektuellen Begabung, ihrer leidenschaftlichen Beredsamkeit, ihrer furchtlosen Hingabe und ihres glorreichen Martyriums sticht sie inmitten ihrer Landsfrauen unvergleichlich und unsterblich hervor. Hätte die Bábí-Religion keinen anderen Anspruch auf Größe, genügte dies – dass sie eine Heldin wie Qurrat al-’Ain hervorbrachte.“

„Sie studierte in Kerbela und schloss sich dort dem Schaichismus an. Die Ehrenbezeichnung Qurrat al-ʿAin erhielt sie von Sayyid Qāzim Raschtī, dem Hauptjünger und Nachfolger von Ahmad al-Ahsā’ī, dem Gründer des Schaichismus. Ihr Einsatz für die Schaichi-Bewegung führte zu ihrer Scheidung. Nach dem Tod ihres Lehrers im Jahre 1844 schloss sie sich dem Babismus an, zu dem sie sich insbesondere durch den Gedanken der Gleichberechtigung der Geschlechter hingezogen fühlte. Aufgrund eines Briefes, der den Bab zutiefst beeindruckte, wurde sie zu einem der 18 Hurūf al-Hayy („Buchstaben des Lebendigen“) ernannt“, weiß Wikipedia. „Sie war eine führende Persönlichkeit des Babismus, eine Vorkämpferin der Frauenrechte im Iran, persische Dichterin und islamische sowie babistische Religionsgelehrte. Sie vertrat eine konsequente Interpretation des Babismus, die seinen messianischen Charakter betonte und dazu führte, dass die junge religiöse Bewegung sich vom Islam trennte, was zu grausamen Verfolgungen der Babi führte. Besonders bekannt ist Qurrat al-ʿAin auch für ihr unverschleiertes und charismatisches Auftreten in der Öffentlichkeit, was in der iranischen Gesellschaft der Mitte des 19. Jahrhunderts einen Tabubruch darstellte.“

Nach einem lokalen Aufstand wurde sie 1850 verhaftet und zwei Jahre darauf im Alter von 38 Jahren hingerichtet.

 

 

 

Sabas

* 334 im Buzău-Tal † 14.4.372 ebd, gotischer Märtyrer

 

Über den gotischen Märtyrer Sabas urteilt Mischa Meyer in seiner kundigen „Geschichte der Völkerwanderung“: „… ein übereifriger Christ, der wiederholt durch sein provokantes Verhalten auffiel und auf diese Weise sein Martyrium geradezu erzwang.“

Sabas gehörte zum Stamm der Terwingen, die auf dem Balkan südlich der Donau lebten, und weigerte sich eines Tages, weiter an tradierten heidnische Kulte mitzuwirken, an einem Opfermahl teilzunehmen beispielsweise, und wurde aus der Dorfgemeinschaft verbannt. Nach einiger Zeit durfte er zurückkehren, prahlte aber unablässig, Christ geworden zu sein und wurde schließlich im Fluss Musäus ertränkt.

Eine zeitgenössische Quelle berichtet: „Dann drückten sie ihn unter Wasser, während der Gott dankte und ihn pries – bis zum Ende nämlich diente ihm seine Seele -, sie warfen ihn nieder und stemmten ihm einen Holzbalken in den Nacken; dadurch pressten sie ihn in die Tiefe. Auf diese Weise durch Holz und Wasser zur Vollendung geführt, bewahrte er das Zeichen der Erlösung unbefleckt, im Alter von 38 Jahren.“

 

 

 

Johannes van Esschen,

* um 1485 in Essen, Flandern, † 1.7.1523 in Brüssel, christlicher Märtyrer

 

Johannes van Esschen wurde zusammen mit Hendrik Vos in einem Inquisitionsverfahren wegen ketzerischer Predigten zum Tode verurteilt und auf dem Grote Markt in Brüssel verbrannt. Beide einstigen Augustinermönche gelten als die ersten Märtyrer der Reformation. Martin Luther dichtete für sie höchstpersönlich „Ein neues Leben wir heben an“:

„1. Ein neues Lied wir heben an,

das walt Gott unser Herre,

zu singen, was Gott hat getan

zu seinem Lob und Ehre.

Zu Brüssel in dem Niederland

wohl durch zwei junge Knaben

hat er sein Wunder g’macht bekannt,

die er mit seinen Gaben

so reichlich hat gezieret.

 

2. Der Erst recht wohl Johannes heißt,

so reich an Gottes Hulden.

Sein Bruder Heinrich nach dem Geist,

ein rechter Christ ohn Schulden.

Von dieser Welt geschieden sind,

sie ha’n die Kron erworben,

recht wie die frommen Gotteskind

für sein Wort sind gestorben,

sein Märt’rer sind sie worden.

[…]

8. Zwei große Feur sie zünd’ten an,

die Knaben sie her brachten,

es nahm groß Wunder jedermann,

dass sie solch Pein veracht’ten.

Mit Freuden sie sich gaben drein,

mit Gottes Lob und Singen,

der Mut ward den Sophisten klein

vor diesen neuen Dingen,

da sich Gott ließ so merken.

 

9. Der Schimpf sie nun gereuet hat,

sie wollten’s gern schön machen.

Sie wag’n nicht rühmen sich der Tat,

verbergen ganz die Sachen.

Die Schand im Herzen beißet sie

und klagen’s ihr’n Genossen,

doch kann der Geist nicht schweigen hie:

Des Abel Blut, vergossen,

es muss den Kain melden.

 

10. Die Asche will nicht lassen ab,

sie stäubt in allen Landen;

da hilft kein Bach, Loch, Grub noch Grab;

sie macht den Feind zuschanden.

Die er im Leben durch den Mord

zu schweigen hat gedrungen,

die muss er tot an allem Ort

mit aller Stimm und Zungen

gar fröhlich lassen singen.

[…]“

 

 

 

Yagan

* vermutlich 1795, † 11.7.1833 in Belhus bei Perth, Australien, Krieger der Noongar

 

Yagan spielte beim Widerstand der Aborigines gegen die Inbesitzname ihres Kontinents durch Europäer eine große Rolle.

1829 begannen Briten in der Heimatregion seines Stammes zu siedeln und alsbald verwehrten die Weißen den Noongar den Zutritt zu ihren angestammten Jagdgebieten und heiligen Stätten. Die Noongar ernteten dafür die auf ihrem Gebiet angelegten Felder der Briten ab und töteten deren Rinder. Zudem fühlten sich die Siedler durch die traditionellen Brandrodungen der Aborigines bedroht.

Ende 1931 eskalierte die Situation: ein Siedler erschoss ein Familienmitglied Yagans beim Plündern eines Kartoffelfeldes. Getreu dem Stammensrecht der Noogar tötete Yagan daraufhin einen Weißen. 1832 griff Yagan mit seinen Leuten weiter Briten an und wurde zum Gesetzlosen erklärt. Für seine Ergreifung wurde ein Kopfgeld von 20 £ ausgesetzt. Er wurde verraten, verhaftet und verurteilt, konnte jedoch fliehen. Folgende kleinere Auseinandersetzungen mit Siedlern wurden in der „Perth Gazette“ aber zu „rücksichtslose Kühnheiten dieses Desperados“ hochstilisiert, der „sein Leben für den Gegenwert einer Stecknadel riskiert […]. Er würde aus dem nichtigsten Anlass heraus jedem Menschen, der ihn provoziert, das Leben nehmen. Er ist derjenige, der hinter jedem Unfug steckt“.

Als daraufhin bei einem Ladeneinbruch Yagans Bruder erschossen wurde, töteten Yagan mit seinen Männern wiederum Siedler. Nun wurde Yagan geächtet, Briten jagten ihn. Als der Siedler Fletcher Moore auf seiner Farm jedoch dem umherstreifenden Yagan begegnete, versuchte er sich mit ihm zu unterhalten und hielt in seinem Tagebuch fest: „Yagan kam näher, legte seine linke Hand auf meine Schulter, blickte mich ernst an und verfiel in eine Art Rezitation, während er mit der anderen Hand dazu gestikulierte. Ich bedauere es immer noch, dass ich ihn nicht verstehen konnte. Vom Tonfall und der Art, wie er es sagte, aber dachte ich, dass er mir folgendes sagen wollte: Ihr seid in unser Land gekommen; ihr habt uns von unseren Jagdgründen vertrieben und unsre Lebensweise zerstört. Wenn wir heute in unserem eigenen Land herumziehen, schießen die weißen Männer auf uns. Warum behandeln uns die weißen Männer so?“

Bei einem weiteren Aufeinandertreffen wurde Yagan jedoch von anderen Siedlern erschossen. Hinzukommende Soldaten trennten seinen Kopf vom Körper und häuteten seinen Rücken, um die Stammestätowierungen als Trophäe aufzubewahren.

Ein halbes Jahr später wurde Yagans Kopf nach London gebracht und einer Abendgesellschaft, verziert mit einem Stirnband und einer Kakadufeder, vorgestellt. Dann gelangte Yagans Kopf ins Liverpool Museum.

Nach dem Glauben der Aborigines musste ein Toter vollständig und an einem Ort begraben werden, damit sein Geist die Ewigkeitsreise antreten könne. Erst Ende August 1997, 164 Jahre nach Yagans Tod, am Tag, an dem Lady Di verunglückte, wurde Yagans Schädel bei einer Zeremonie in der Liverpool Town Hall an eine Noongar-Delegation zurückgegeben. Wegen Streitereien zwischen den Noongar dauerte es jedoch nochmals 13 Jahre, bis Yagans geschändeter Kopf endlich im Juli 2010 im Swan Valley bei Perth, an der Stelle an der er erschossen wurde, getreu der tradierten Bestattungsriten beigesetzt werden konnte.

 

 

 

Axel Bakunts

* 13.6.1899 als Alexandr Stepani Thevosian in Goris, † 8.7.1937 in Jerewan, armenischer Schriftsteller

 

In Goris kreuzt sich die einzige Straße von Armenien über den Tashtupass nach dem Iran, nach Täbris, mit der einzigen Straße hinunter zum Latschin-Korridor und weiter hinauf nach Bergkarabach, nach Stepanakert. Ein Hotel hier heißt „Mtnandor“ und ist nach einem Buch von Axel Bakunts benannt. Das beginnt so: „Der einzige Pfad, der nach Mtnadzor führt, ist beim ersten Schneefall unpassierbar und niemand kann die Wälder bis zum Frühjahr durchqueren. Bis heute gibt es in den dichten Wäldern Mtnadzors Gebiete, die noch kein Mensch betreten hat. Bäume fallen und verrotten. Ein neuer Baum wächst anstelle des alten. Bären tanzen pfeifend wie Schafhirten. Wölfe heulen zum Mond. Das Schwarzwild durchpflügt mit den Hauern die Erde und frisst die Eicheln des letzten Herbstes…“

Das Museum der Stadt ist das Geburtshaus Bakunts. Hier erfährt man, dass der bedeutendste Sohn des Ortes in Echmiadzin armenische Literatur studierte, in Erzerun, Mamkhatoun, Ardahan und Sardarapat gegen die Türken kämpfte, später leitender Agronom seiner Heimatregion war und bei Erkundungswanderungen das vergessene Kloster Bgheno-Noravank entdeckte, dann wegen „nationalem Abweichlertum“ und „antisowjetischer Umtriebe“ verhaftet und nach 11-monatiger Haft in Jerewan erschossen wurde. Sein letzter Wunsch soll eine Zigarette gewesen sein, deren Tabak er mit trockenem Gras gestreckt habe – Gras aus Mtnadzor vielleicht, dem fiktiven Ort seines wichtigsten Buches.

 

 

 

Israel „Iz“ Ka’ano’i Kamakawiwo’ole

* 20.5.1959 in Kaimukī, † 26.7.1997 in Honolulu, hawaiianischer Sänger

 

Iz Kamakawiwo’ole wurde berühmt durch ein einziges Medley: „Somewhere over the rainbow / What a wonderful world”.

„Somewhere” hatte einst Judy Garland im „Zauberer von Oz“ gesungen, „Wonderful world“ Louis Armstrong:

 

I see trees of green, red roses too. I see them bloom for me and you, / and I think to myself: What a wonderful world… - Ich sehe grüne Bäume, rote Rosen – sie blühen für dich und mich. / Und ich denke so bei mir: was für eine wunderbare Welt! // Ich sehe den blauen Himmel, weiße Wolken, / den vom Licht verwöhnten Tag und das ehrwürdige Dunkel der Nacht – / und ich denke mir: was für eine wunderbare Welt! // Die Farben des Regenbogens, die sich an Himmel so hübsch ausmachen, spiegeln sich in den Gesichtern der Menschen wider, die ihn sehen…“

 

„Somewhere over the rainbow / Way up high / And the dreams that you dream of / Once in a lullaby, oh // Somewhere over the rainbow / Bluebirds fly / And the dreams that you dream of / Dreams really do come true… - Irgendwo über dem Regenbogen / Sehr weit oben / Und die Träume, von denen du träumst / Einmal in einem Wiegenlied, oh // Irgendwo über dem Regenbogen / Drosseln fliegen / Und die Träume, von denen du träumst / Träume werden wirklich wahr…“

 

Der schwer übergewichtige Ukulele-Spieler und Sänger Israel Kamakawiwi’ole, der auf Hawaii „Gentle Giant“, der „sanfte Riese“, genannt wurde, starb im Alter von nur 38 Jahren an akuter Atemnot.

 

 

 

Federico García Lorca

* 5.6.1898 als Federico del Sagrado Corazón des Jesús Garcia Lorca in Fuente Vaqueros, Granada, † 19.8.1936 in Víznar, spanischer Dichter

 

In den Zweigen des Kirschbaums

Sah ich zwei nackte Tauben,

die eine war die andere,

und beide waren niemand.

 

Der spanische Nobelpreisträger Vicente Aleixandre sagte: „Federico ging wie ein Zauber durch das Leben, scheinbar ohne Stütze. Seine Freunde sahen ihn kommen und gehen, und sein beflügelter Geist strahlte Anmut aus. Er verlieh dem Augenblick Glück und verschwand dann ebenso schnell wieder wie das Licht, das er in der Tat vorbereitet hatte. Man sah in Federico vor allem einen Menschen, der mit innerer Kraft seine Mitwelt verzauberte, der Trübsal zerstreute und ein Zauberkünstler der Freude war, ein dem Genuß des Lebens Verschworener, der die Schatten beherrschte, die er durch seine Gegenwart begrub. Aber ich rufe mir auch gern einen anderen Federico ins Gedächtnis, ein Bild von ihm, das nicht alle gesehen haben: den edlen Federico der Traurigkeit, den einsamen und leidenschaftlichen Menschen, den man auf der Höhe seines triumphalen Lebens kaum kannte. […] Ein nächtliches Haupt, von Mondlicht umstrahlt, fast steingelb und wie durch einen alten Schmerz versteinert. Was schmerzt dich, mein Sohn? schien der Mond ihn zu fragen. Mich schmerzt die Erde, die Erde und die Menschen, der menschliche Körper und die Seele, meine eigene und die der anderen, die eins mit mir sind.“

 

Córdoba.

Einsam und fern,

 

Schwarzes Pferdchen, großer Mond,

Oliven im Sacke am Sattel.

Kenn ich auch alle Wege –

Nie komm ich in Córdoba an.

 

Durch die Ebne, durch den Wind,

schwarzes Pferdchen, roter Mond,.

Es lässt mich nicht aus den Augen

Der Tod von Córdobas Türmen.

 

Ach, welch ein endloser Weg!

Ach, du mein wackeres Pferdchen!

Ach, mich erwartet der Tod,

eh ich nach Córdoba komme!

 

Córdoba.

Einsam und fern.

 

Dalís Schwester Ana Maria schrieb: „Jemand sagte, García Lorca sei wie ein Schwan, der, seiner Umwelt entrissen, schwerfällig und anmutlos sei, der aber, kaum daß er den See berührt hat, nicht nur sehr schön ist, sondern auch Schönheit auf seine Umgebung ausstrahlt. So war er in der Tat. Seine Welt ist Rezitieren, Gitarre- oder Klavierspielen und von Dingen sprechen, die ihn interessieren. Außerhalb seiner Welt hatte zwar sein hartes, angespanntes Gesicht einen intelligenten, lebensprühenden Ausdruck, aber weder seine gedrungene, vierschrötige Gestalt noch seine Bewegungen, die eher schwerfällig waren, hatten etwas Anziehendes. Kaum befand er sich indes in seiner Welt, wurde er beweglich und schien von vollkommener Eleganz.“

Der kolumbianische Literaturwissenschaftler Carlos Rincón urteilte in seinem Nachwort für eine Lorca-Gedichtausgabe: „García Lorca hat Weltgeltung erlangt. Filme, Zeitungen und Fachzeitschriften in aller Welt würdigten den Dichter 1966, dreißig Jahre nach seiner Erschießung. Er gilt bereits als ein ‚klassischer’ Autor. Die spanische Ausgabe seines Gesamtwerkes von fast zweitausend Seiten ist in der 14. Ausgabe erschienen. In der ganzen Welt steigt die Flut der Übersetzungen seiner Dichtungen an. Seine Stücke erleben immer neue Aufführungen. Giorgio Strehler, der ihn für eine der Schlüsselfiguren des modernen Theaters hält, inszenierte ihn im Piccolo Theatro in Mailand, und auch Brecht trug sich mit dem Gedanken, die „Wundersame Schusterfrau“ mit Ernst Busch aufzuführen. Sein Einfluß erreicht die jungen Dichter in Indien ebenso wie die in den arabischen Ländern. In Lateinamerika schreibt man heute nicht mehr so, als hätte es Lorca nicht gegeben. Von Cervantes abgesehen, gibt es wohl keinen Autor spanischer Zunge, dessen Werk Gegenstand so zahlreicher Untersuchungen ist. Die Lorca-Bibliographie wächst ins Unermeßliche. Die Dissertationen häufen sich in den Bibliotheken. Das Verständnis seines Werkes scheint nicht nur für das Verständnis der spanischen Literatur, sondern für das Verständnis der zeitgenössischen Literatur überhaupt unerläßlich zu sein.“

Lorca definierte „Dichter“ als „Professor seiner fünf körperlichen Sinne.“ Und: keine Frage – so schrieb der große spanische Dichter bis er nur wenige Tage nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs von Franquisten ermordet wurde.

 

Wenn dereinst ich sterbe,

begrabt mich mit meiner Gitarre

unter dem Sande.

 

Wenn dereinst ich sterbe,

zwischen den Orangen

und den guten Minzen.

 

Wenn dereinst ich sterbe,

dann begrabt mich, wenn ihr wollt,

in einer Wetterfahne.

 

Wenn dereinst ich sterbe!

 

 

 

Mumtaz Mahal

* April 1593 als Arjumand Banu Begum in Agra, † 17.6.1631 in Burhanpur, indische Fürstin

 

Am Stadtrand von Agra im indischen Uttar Pradesh, am Südufer des Flusses Yamuna, erhebt sich seit dem Jahre 1648 ein 68 Meter hohes, 57 Meter langes und 57 Meter breites, von Minaretten umstandenes und einer gewaltigen Kuppel bekröntes, strahlend weißes Mausoleum, eines der neuen sieben Weltwunder – der Taj Mahal.

Erbauen ließ es der Großmogul Shah Jahan für seine Hauptfrau Mumtaz Mahal, die „Exzellenz des Palastes“, die bei der Geburt ihres 14. Kindes starb.

Shah Jahan hatte wohl geplant, auf dem gegenüberliegenden Ufer des Yamuna für sich ein baugleiches schwarzes Mausoleum errichten zu lassen. Beide Gebäude hätten im Zentrum eines vom Fluss geteilten Paradiesgartens stehen sollen, in den großen Wasserbecken der Komplexe hätte sich das jeweils andere Mausoleum gespiegelt. Das allerdings konnte nie realisiert werden, da Shah Jahan von einem ihrer Söhne, 1658 entmachtet und bis zu seinem Tode gefangen gehalten wurde.

Rabindranath Tagore nannte den Taj Mahal „eine Träne auf der Wange der Zeit.“

 

 

 

Guillaume Apollinaire

26.8.1880 als Wilhelm Albert Włodzimierz Apolinary de Wąż-Kastrowicki in Rom, † 9.11.1918 in Paris, französischer Dichter

 

Ja, so wurde der erste Surrealist geprägt: Da saßen Kopf an Kopf die bereits betrunkenen Saufbolde, grölten aus vollem Halse, schunkelten und schlugen die leeren Maßkrüge in Scherben… Seit Perkeo, dem Säuferzwerg vom großen Fass in Heidelberg, hatte man noch nie ein solches Besäufnis erlebt… Zu Zeit des Märzenbieres, dann im Mai, der Bockbierzeit, vertilgte Hannes Irlbeck seine vierzig Liter Bier. Zu gewöhnlichen Zeiten kam er nur auf fünfundzwanzig. Gerade als das anmutige Paar des Ygrées in seine Nähe kam, setzte sich Hannes mit seinen riesigen Arschbacken auf eine Bank, die schon rund zwanzig unmäßig dicke Männer und Weiber trug und deshalb auf der Stelle zusammenkrachte. Die Trinker plumpsten zu Boden und streckten die Beine in die Höhe… Ringsum brach ein dröhnendes Gelächter aus…

Expressis verbis: Und das werdende Kind ward heftig geschüttelt und gerüttelt durch Macarées Lachlust, denn sie hatte großen Spaß an dieser unmäßigen Sauferei und ließ es sich nicht nehmen, in Gesellschaft ihres Gatten weit über den Durst zu zechen. Nun hatte aber die ausgelassene Freude einen günstigen Einfluss auf den Charakter des Nachkömmlings: sie verhalf ihm zu einer guten Dosis gesunden Menschenverstandes schon vor seiner Geburt, und zwar zum wahren Verstand – dem der großen Dichter.

Kein Wunder also, dass sein bekanntester Gedichtband „Alcools“ hieß, Arbeitstitel: „Eau-de-vie“ (und er Kritikern mit Duellen zu drohen pflegte, ja, mit „11.000 Ruten“ -„Les onze mille verges ou Les amours dùn hospodar“) am liebsten und bei „Les Mamelles de Tiresias“. Kein Wunder, dass Guillaume Apollinaire sogar verdächtigt wurde, die Mona Lisa gestohlen zu haben (gemeinsam mit Picasso übrigens).

Bildlich: Das feurige Omelette wurde auf einem Irrlicht gebraten – (und von Dalí später uhrig drapiert). Gern möchte ich diesen Mann zwischen den Trugbildern, die inmitten der Wiesen wogen, in die Irre führen. Aber er flieht zu der Zeit hin, die erst kommt; gerade ist er aus ihr zurückgekehrt.

Und obwohl ihn ein Schrapnellsplitter übel an der Schläfe traf, überlebte er die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, starb jedoch am 9. November, zwei Tage vor dem Ende desselben (als in Berlin vorlaut die deutsche Republik ausgerufen wurde) an der Spanischen Grippe.

Welt, wähle zwischen deinem Leben und der Dichtung; wenn man nicht ernsthafte Maßnahmen gegen sie ergreift, ist es um die Kultur geschehen. Du wirst nicht zaudern. Von morgen an wird die neue Ära beginnen. Die Dichtung wird nicht mehr existieren, man wird die Lyren, die zu schwerfällig geworden sind für die alten Inspirationen, zerbrechen. Man wird die Dichter abschlachten.

 

 

 

Bedřich Fritta

* 19.9.1906 in Böhmisch Weigsdorf, Pseudonym: Friedrich Taussig, † 8.11.1944 in Auschwitz-Birkenau, tschechischer Grafiker

 

Der Werbegrafiker und Karikaturist Bedřich Fritta wurde Anfang 1941 mit dem „Transport J“ ins Ghetto Theresienstadt deportiert und dort von der Nazi-Kommandantur mit der Leitung des Zeichensaals und der Technischen Kanzlei betraut.

Das Internationale Rote Kreuz, sollte bei Besuchen über den wahren Charakter dieses Ghettos getäuscht werden. Bedřich Fritta gelang es jedoch bis zu 25 Künstler in dieser Kanzlei zu versammeln und nicht nur Propagandamaterial und Baupläne, sondern auch Zeichnungen und Grafiken zu fertigen, die den krass anders als schönen Ghetto-Alltag abbildeten, zu fertigen und einige sogar ins Ausland zu schmuggeln.

Am 17. Juli 1944 wurde Bedřich Fritta wegen „Verbreitung von Greuelpropaganda“ ins Theresienstädter Gestapo-Gefängnis „Kleine Festung“ gebracht, von Adolf Eichmann höchstpersönlich verhört, und schließlich im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet.

 

 

 

Jeff Porcaro

* 1.4.1954 in Hartford, Connecticut, † 5.8.1992 in Hollywood, Kalifornien, amerikanischer Rock-Schlagzeuger

 

Erstmals ging Jeff Porcaro als knapp Zwanzigjähriger mit Sunny & Cher auf Tournee. Als begehrter Studiomusiker spielte er Alben von Eric Clapton, Michael Jackson, Al Jarreau, Elton John Madonna, Paul McCartney, Pink Floyd, Bruce Springsteen, Rod Stewart und anderen mit ein. Im Alter von 23 Jahren gründete er mit seinem Bruder Steve und weiteren Rockmusikern die Band „Toto“.

Im Alter von 38 Jahren starb Jeff Porcaro an einem Verschluss der Herzkranzgefäße.

Der Toto-Gitarrist Steve Lukather erinnerte sich: „Das letzte Mal, als ich mit Jeff sprach, war an dem Tag, an dem er starb. Er rief mich an und lud mich zu einem Barbecue am selben Abend ein. Wir besprachen, wie die Setlist für die kommende ‚Kingdom of Desire‘-Tour aussehen sollte. Jeff verabschiedete sich; er wollte noch den Garten aufräumen und das Barbecue vorbereiten. Die letzten Worte, die ich zu ihm sagte, waren ‚Love you, bro.‘ Um 18:30 Uhr bekam ich einen Anruf von dem Bassisten Abe Laboriel Sr. Er war gerade in einer Aufnahmesession mit Jeffs Vater Joe Porcaro gewesen, als dieser einen Anruf erhielt, dass Jeff womöglich einen Krampfanfall erlitten habe. […] Ich geriet in Panik und raste zum Westlake Hospital, wo sich Jeffs Familie versammelt hatte. Ich brauchte auf dem Freeway über eine halbe Stunde und verfuhr mich zudem. Als ich am Westlake ankam, empfing mich Jake, ein Nachbar von Jeff, der dort zufällig in der Notaufnahme als Arzt arbeitete. Ich schrie ‚Jake, wo ist Jeff, ist er ok?‘ Aber er schüttelte den Kopf. ‚Jeff ist von uns gegangen. Er ist gestorben.‘ […] Sein Tod machte einfach keinen Sinn für mich damals, er war nicht einen Tag krank in seinem Leben; aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass sein Wirken so außergewöhnlich und einzigartig war, dass er kein langes Leben brauchte. […] Jeff war nicht einfach ein Drummer, er war eine lebende Legende, ein Jahrhunderttalent, der Hunderte von Karrieren anderer Künstler ermöglichte und an dem noch heute Drummer ihre Fähigkeiten messen.“

 

 

 

 

Wols

* 27.5.1913 als Alfred Otto Wolfgang Schulze in Berlin, † 1.9.1951 in Paris, deutscher Künstler

 

Jean-Paul Sartre sagte: „Klee ist ein Engel, Wols ein armer Teufel. Der eine erschafft oder wiedererschafft die Wunder dieser Welt, der andere erfährt an ihnen das wunderbare Entsetzen.“ Klee habe „den Traum und den Gedanken bis zur erstaunlichsten Schönheit getrieben“, Wols hingegen treibe „seine Gymnastik am abschüssigen Hang“.

Wolfgang Schulze, der seinen Künstlernamen Wols aus den Anfangsbuchstaben seines Vor- und Familiennamens gebastelt hatte, reiste 1932 mit einer Empfehlung des BauhausKünstlers und -Lehrers László Moholy-Nagy nach Paris und blieb bis auf kurze Intermezzi bis zu seinem Tode in Frankreich. Er gilt als  Wegbereiter des Tachismus und Ahnherr des Informel.

Wols’ knapp zwanzigjährige künstlerische Schaffensphase lässt sich grob in drei Abschnitte gliedern: Er begann mit Fotografien in den Pariser Jahren ab 1932 und arbeitete spätestens seit 1937 als professioneller Fotograf. Während seiner Internierung ab 1939 wechselte er zu Zeichnungen und Aquarellen, die auch nach seiner Freilassung bis zum Kriegsende den Hauptanteil seiner Werke bildeten. Ab 1945 verlagerte sich das künstlerische Schwergewicht auf Ölbilder. Daneben schuf er zahlreiche Radierungen für Buchillustrationen. […] Wols’ Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde waren zuerst beeinflusst durch den Surrealismus und zeigen verspielte Phantasiewelten; sie entstanden zum Teil unter Einfluss von Alkohol und anderen Drogen. Später interessierte ihn mehr die Verbindung von heftigen Pinselstrichen mit einer zum Relief tendierenden Malstruktur. Auf der anderen Seite runden zarte Aquarelle, Federzeichnungen und Buchillustrationen das Werk zum Lyrisch-Verspielten hin ab“, weiß Wikipedia.

Kunsthistoriker schätzen sein umfängliches Werk auf 80-85 Ölgemälde, 910-1.000 Aquarelle, 170 Zeichnungen, zahlreiche Fotografien. Der Maler Georges Mathieu schrieb nach seinen Besuch einer Ausstellung von Wols-Gemälden in der Galerie Drouin im Jahr 1947: „Vierzig Meisterwerke! Jedes zerschmetternder, aufwühlender, blutiger als das andere: ein Ereignis, ohne Zweifel das wichtigste seit den Werken van Goghs. Ich kam aus dieser Ausstellung ganz erschüttert heraus. Wols hatte alles vernichtet. Nach Wols war alles neu zu machen… Im ersten Anlauf hat Wols die Sprachmittel unserer Zeit genial, unabweisbar und unwiderlegbar eingesetzt und zu höchster Intensität gebracht. Und was mehr war, diese Ausdrucksmittel waren erlebt. Wols hat diese 40 Leinwände mit seinem Drama, mit seinem Blut gemalt. Es handelte sich um 40 Monumente aus der Kreuzigung eines Menschen, der die Verkörperung einer Reinheit, Sensibilität und Weisheit war, die nicht allein dem Abendland, sondern der ganzen Schöpfung selbst zur Ehre gereichen.“

Postum wurden Werke von Wols auf der „documenta, der „documenta III“ und der „documenta III in Kassel sowie in einer umfangreichen Werkübersicht auf der XXIX. Biennale in Vendig ausgestellt.

Wols starb nach dem Verzehr von verdorbenem Fleisch im Alter von 38 Jahren an einer Lebensmittelvergiftung-

 

 

 

Michael Caßler

* 22.9.1733 in Braunsdorf, Geiseltal, † 12.2.1772 ebd., deutscher Erfinder

 

Nicht der Freiherr von Drais, sondern Michael Caßler, ein Böttcher und Stellmacher aus Braunsdorf im Geiseltal, dürfte das erste funktionsfähige Laufrad der Welt erfunden und gebaut haben. Gut 55 Jahre bevor sich Drais in Baden auf sein Vehikel schwingen konnte, soll Caßler auf seinem hölzernen Rad bereits von seinem Heimatort Braunsdorf zum nahen Schloss Bedra gefahren sein, 1761.

Weiterhin erfand Michael Caßler eine Buttervorrichtung und installierte einen Klingelzug von seiner Hoftür zu seinem Wohnhaus.

Zu seiner Ehrung ziert das Wappen der Stadt Braunsbedra ein Rad auf goldenem Grund.

 

 

 

Chatschatur Abowjan

* 15.10.1809 in Kanaker, † 14.4.1848 in Jerewan, armenischer Schriftsteller

 

Chatschatur Abowjan, der „Vater der modernen armenischen Literatur“, bestieg an der Seite des deutschen Naturforschers Johann Jakob Friedrich Wilhelm Parrot am 9. Oktober 1829 auf der Suche nach der Arche Noah als erster Mensch den heiligen Berg der Armenier, den Ararat.

Mit einem seiner Nachkommen, meinem Freund Levon Ananjan verfasste ich 2011 das zweisprachige deutsch-armenische Kinderbuch „Anna und Armen“. Und selbstredend spielt darin auch der Ararat, der infolge des Ersten Weltkriegs in der Türkei aufragt, eine gewichtige Rolle:

 

Das Flugzeug aus Berlin landete mit deutscher Pünktlichkeit. Und obwohl es schon spät am Abend war, wimmelte es im Jerewaner Flughafen vor Menschen. Armen schien das recht, vielleicht ließ sich seine Aufregung ja im Gedränge verbergen. In einer Hand quetschte er einen Blumenstrauß und mit der anderen hielt er ein Schild hoch, darauf stand in großen Buchstaben: ANNA!

Erst gestern war Armen in seiner Schule Sieger im Quiz Was weißt du über Deutschland? geworden, erster Preis: Abholung und Begleitung der von seiner Lehrerin, eingeladenen Gäste.

„Dort, Frau Aramyan, schnell!“ rief Armen und winkte, als er in der Menge eine modern gekleidete Frau mit einem blonden, blauäugigen Mädchen entdeckte.

„Guten Tag“, begrüßte sie das Mädchen auf Armenisch, „ich bin Anna - und das ist Frau Überall!

„Willkommen in das sönnliche Armenien“, entgegnete Armen verblüfft und reichte ihr den Blumenstrauß.

Im Auto, auf dem Weg in die Stadt, erzählte Frau Aramyan stolz, dass Deutsch in ihre Schule wie in anderen armenischen Schulen eine besondere Rolle spiele und auch an Universitäten hierzulande Deutsche Sprache und Literatur gelehrt würde.

„Wozu habe ich denn dann das dicke deutsch-armenische Wörterbuch mitgeschleppt?“, stöhnte Anna.

Armen lachte. „Damit du perfekt Armenisch lernst!“

Anna kurbelte das Seitenfenster herunter, blickte neugierig auf die Lichter des nächtlichen Jerewan. „Schön hier“, sagte sie, „alles so modern.“

„Ja“, sagte Frau Aramyan, „dabei ist unsere Hauptstadt sogar einige Jahre älter als Rom!“ Und Armen strahlte, als sei der Gründer Jerewans sein Großvater höchstpersönlich gewesen.

Am nächsten Morgen fuhren sie als erstes nach Tsitsernakaberd, der Gedenkstätte des Genozids, des Völkermordes an den Armeniern im Ersten Weltkrieg.

An der ewigen Flamme legten Anna und Frau Überall je eine weiße Nelke nieder. Und waren Anna schon hier die Augen feucht geworden, liefen ihr im Genozid-Museum angesichts der Fotos unschuldiger Opfer, der Verwüstungen, der Gräuel hemmungslos die Tränen. Solch eine Ungerechtigkeit, solch ein Verbrechen!

Armen tastete nach Annas Hand. „Komm!“

Im Freien, vom Platz vorm Museum, weit oberhalb der Stadt, war im Dunst der Ararat zu entdecken.

„Guck mal, unser heiliger Berg“, sagte Armen, „Kannst du die Arche Noah entdecken, ganz oben unterm Gipfel?“

Angestrengt starrte Anna zu dem hoch aufragenden, schneebekrönten Bergkegel hinüber, schüttelte schließlich den Kopf. „Nö.“

Armen führte seine Finger wie ein Fernglas vor die Augen. „Ich schon!“

Anna stutzte, formte dann auch ihre Finger zum Fernglas und lächelte endlich wieder. „Ja! Ja, ich verstehe.“

Am Ausgang schrieb Frau Überall ins Gästebuch des Museums: „Wir spüren 100 Jahre nach diesem unglaublichen Verbrechen, noch immer den tiefen Schmerz des armenischen Volkes und wollen versuchen mit zu heilen, wo immer wir können.“

„Danke“, sagte Frau Aramyan leise, „Danke. Mein Ururgroßvater wurde damals auch von Türken getötet, und es gibt wohl keine armenische Familie, die kein Opfer betrauert.“

 

Und bereits in den 1990er Jahren, als ich noch Stadtschreiber in Merseburg war, hatte mich der Ararat, auf der Suche nach einem gangbaren Neuanfang nachhaltig beschäftigt:

 

Lustig gemacht hatte ich mich über jenen, zweifellos etwas verwirrt wirkenden Alten, der vor nicht allzu langer Zeit an meiner Bürotür klopfte und mich unbedingt für seine Arche-Noah-Expedition gewinnen wollte. Sogar Verkehrskarten der Ararat-Region hatte er vor mir ausgebreitet und war mit dem Zeigefinger eifrig mögliche Routen entlanggefahren, fiel mir nun ein, kaum dass ich die Schlagzeile Sensationsfund: Arche Noah am Berg Ararat geortet! erblickte.

Der ausführliche Bericht schien dann aber auszuschließen, dass dieser Alte einer jener hochgelobten Entdecker wäre. Von einem Team von Geophysikern und Geologen unter Leitung eines amerikanischen Wissenschaftlers, das in jahrelanger Kleinarbeit den biblischen Boden mit Radaraufnahmen durchleuchtet und in 2.300 Meter Höhe schließlich eindeutig das gesuchte Schiffswrack gefunden habe, war nämlich die Rede. Zudem dürften die Beweggründe meines Besuchers offenbar anderer als wissenschaftlicher Natur gewesen sein, hörte ich ihn doch noch zitieren (aus dem 1. Buch Moses, wie er sagte): Da sprach GOTT zu Noah: Alles Fleisches Ende ist vor mich gekommen; denn die Erde ist voll Frevels von ihnen; und siehe da, ich will sie verderben mit dem Ende…

Dieser kauzige Alte hatte mich damals allerdings bereits zum zweiten Male aufgesucht. Wochen zuvor rief ein Kollege an und warnte mich, ein Verrückter zöge durch die Ämter und fordere aus religiösen Motiven den angestammten Namen eines stadtbekannten Platzes umgehend zu ändern. Vermutete ich anfangs einen Scherz, zwangen mich die mit großem Ernst vorgetragenen Erörterungen meines Minuten später auftauchenden Eiferers alsbald weitschweifig zu argumentieren. Zugegeben, der Name dieses Platzes war nicht eben alltäglich: Hölle! Doch versuchte ich dem Alten durch historische Exkurse – Hölle wahrscheinlich von einer hier einst befindlichen Hohle, oder da die Hausfrauen hier einst ihre Wäsche hellten, keineswegs aber aus biblischen Wurzeln… - versuchte ich ihm also die fixe Idee zu nehmen, dass er sich vom Namen dieses Platzes in seinem Glauben beleidigt, zutiefst beleidigt fühlen müsse, ja, dass es ihm unmöglich sei, diesen teuflischen Ort zu betreten.

Vielleicht hatte er in anderen Amtszimmern nur Desinteresse oder kühle Ablehnung gefunden, vielleicht war ich seit langem der erste Mensch, der überhaupt mit ihm sprach, eindringlich mit ihm sprach, denn wenn ich mich recht entsann, erwähnte er damals beiläufig, dass er seine Frau vor Jahresfrist begraben hatte. Auf jeden Fall war ich dann der einzige städtische Beamte, dem er eine Teilnahme an seiner Arche-Noah-Expedition anbot. Nur mir, keinem der Kolleginnen und Kollegen, die er in Sachen Hölle noch aufgesucht hatte, trug er seine Expeditionspläne vor.

Denn siehe, ich will eine Sündfluth mit Wasser kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darinnen ein lebendiger Odem ist, unter dem Himmel…

Obwohl ich mir, wie gesagt, nicht vorzustellen vermochte, dass mein Besucher mit jenem Sensationsfund am fernen Ararat irgendetwas zu tun haben könnte, beschlich mich beim Lesen des Zeitungsartikels doch zunehmend eine Unruhe. So weltfremd wie ich gedacht hatte, schien der schrullige Alte also keineswegs zu sein, oder? Müsste ich ihm dafür, dass ich mich ihm Kreise der Kollegen auf seine Knochen amüsiert hatte, nicht sogar Abbitte tun? Mir fiel wieder ein, wie er sein Vorhaben begründet hatte: Zweifellos stünde es einer Stadt, in der es als normal gelte, eine Hölle zu haben, gut zu Gesicht, zur Auffindung Noahs Arche beizutragen. Ja, vielleicht wäre es sogar ihre letzte Chance, sündigen Treibens und allgegenwärtiger Gleichgültigkeit gegenüber der Zukunft zu entkommen!

Nur allzu gut konnte ich mir das Gesicht meines Amtsleiters vorstellen, wenn ich eine Dienstreise zum Ararat beantragt hätte. Und die Überlegung, das Anliegen des Alten irgendwie anders durch den Magistrat zu unterstützen, lohnte der Nachfrage beim Kämmerer nicht. Einige Stadtfähnchen oder Abziehbilder mit dem Stadtwappen hätte ich ihm mit auf den Weg geben können, aber das erschien mir letztlich doch zu albern.

Warum jedoch hatte ich nicht einen Augenblick lang erwogen, Urlaub zu nehmen? Warum war mir nicht in den Sinn gekommen, das Angebot des Alten persönlich und nicht stur dienstlich zu verstehen? Warum sah ich das Ganze nicht als Chance, dem sich in mir immer spürbarer anstauenden Überdruss über die wachsende Stupidität der Alltage, dem Gefühl, dass einem das Wasser durch ohnmächtig machende Verwaltungsmissstände langsam bis zum Hals stand, zu entkommen?

Und der HERR sprach zu Noah: Gehe in den Kasten, du und dein ganzes Haus; denn dich habe ich gerecht ersehen vor mir zu dieser Zeit…

Erstaunliche Übereinstimmungen in Detailfragen wurden in dem Zeitungsbericht aufgelistet: Die Dimensionen des aufgespürten Schiffswracks entsprächen mit einer Länge von 172 Metern und einer Breite von 43 Metern fast genau den 300 mal 30 Ellen, von denen in der Bibel die Rede ist. Und der Fundort am Hang des Berges Al Judi im Ararat-Massiv werde im Koran präzise als Landeort der Arche Noah nach der Sintflut genannt.

Schon überlegte ich, wer im Büro eine Bibel, wer einen Koran im Schreibtisch liegen haben könnte, wollte die Zeitungsangaben am Originaltext vergleichen und hoffte wohl auch, eine Beschreibung Noahs zu finden, der meiner Erinnerung nach doch in ähnlichem Alter wie mein merkwürdiger Besucher war, oder? Da wurde ich dringend ins Archiv gerufen. Einbrecher hatten hier in der vergangenen Nacht wie die Vandalen gehaust.

Und als ich am nächsten Tag die Zeitung aufschlug, entdeckte ich neben dem Sensationsbericht über jenen Archiveinbruch eine Notiz, wenige Zeilen nur, die mir aber zu schaffen machen: Das türkische Kulturministerium und das türkische Amt für Religionsangelegenheiten dementierten Berichte europäischer Medien ausdrücklich, nach denen die Arche Noah in der Nähe des Berges Ararat entdeckt worden sei.

 

 

 

Musa Mostafa ulı Cälil

* 15.2.1906 in Mustafino, † 25.8.1944 in Berlin-Plötzensee, tatarischer Dichter

 

Musa Mostafa ulı Cälil gilt als einer der bedeutendsten tatarischen Dichter. Am bekanntesten sind seine „Moabiter Hefte – Moabit däftäre“, herausgegeben postum von Konstantin Simonow, die Cälil schrieb, nachdem er 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war, in der Legion Idel-Ural dienen musste, um gegen die Sowjetunion zu kämpfen, in seiner Einheit jedoch eine Sabotagegruppe gründete, aufflog, verhaftet, inhaftiert und von 2. Senat des Reichskriegsgerichts in Dresden wegen „Zersetzung der Wehrkraft, Feindbegünstigung und Kriegsverrats“ zum Tode verurteilt und schließlich hingerichtet wurde.

Nach ihm wurde eine in Tatarstan neugründete Stadt benannt: Dschalil, ein Berg in der Antarktis und ein Asteroid.

 

 

 

Philippe Pierre Cousteau

* 30.12.1940 in Toulon, † 28.6.1979 bei Lissabon, französischer Forscher

 

Oft begleitete Philippe Cousteau seinen berühmten Vater auf Expeditionen, als Taucher, Fotograf, Kameramann, Pilot. Schon als Kind war er auf dem Forschungsschiff Jacques Cousteaus, der „Calypso“, unterwegs, und nicht von ungefähr hieß sein Flugboot „Flying Calypso“.

Er wirkte auch als Autor: 1970 erschien im Ergebnis einer Expedition ins Rote Meer und den Indischen Ozean sein Buch „The Shark: Splendid Savage of the Sea“, postum wurde sein Bilderbuch „Follow the Moon Home“ mit dem Green Book Award ausgezeichnet.

Philippe Cousteau kam im Alter von 38 Jahren ums Leben, als seine „Flying Calypso“ bei einer missglückten Landung auf dem Tejo bei Lissabon aufschlug.

 

 

 

Paul Fleming

* 5.10.1609 in Hartenstein, Sachsen, † 2.4.1640 in Hamburg, deutscher Arzt und Lyriker

 

Bis Isfahan kam der große sächsische Poet Paul Fleming schon 1637 und blieb zwei volle Jahre in dieser zauberhaften, blaukuppeligen Stadt und dichtete:

Das reich=durchfloßne Thal/ die stets=beseeten Felder/

Das immer=grüne Haar der unverletzten Wälder/

folgt’ uns bis in Mogan/ da selten Regen fält/

und gleichwohl Wild und Vieh/ und Menschen unterhält.

Araxes/ da wo er in Zyrus trübe Fluhten

sein leimicht Wasser wältzt/ als wie gezähmet hin.

Schirvan das ließ uns frey und sicher durch sich ziehn.

Das ewige Derbent/ das Werck deß großen Griechen/

für dem die Skythen noch erschrocken sich verkriechen/

das Jung für Alter sieht und noch die Mauer zeigt/

die hier von einer See bíß an die ander reicht/

Ließ sich uns wol durchsehn. Biß hierher ließ sichs trauen…

Auch mein französischer Kollege Alain Lance schwärmte von seiner Zeit als Lehrer dort. Und mein Jerewaner Schriftstellerfreund Levon Ananyan berichtete mir sogar von Besuchen der Isfahaner armenisch-apostolischen Vank-Kathedrale.

Und so sehr es mich lockt, Alains und Levons und vor allem Pauls Spuren zu folgen, zögere ich angesichts intoleranter Ayatollahs nachhaltig.

 

 

 

Jewgeni Petrow

* 13.12.1903 als Jewgeni Petrowitsch Katajew in Odessa, † 2.7.1942 auf dem Flug von Sewastopol nach Moskau, sowjetischer Schriftsteller

 

Die „12 Stühle“ dürfte neben „Das goldene Kalb“ wohl die berühmtesten Werke des Autorenduos Jewgeni Petrow / Ilja Ilf sein. Eine Textstelle aus „12 Stühle“ könnte auch als Exposé für diesen Roman dienen:

Der Stühle sind viele.

Die letzte Volkszählung ermittelte eine Bevölkerungsstärke von einhundert dreiundvierzig Millionen Seelen, Zieht man neunzig Millionen Bauern ab, die Sitzbänken, Hängeböden und Liegepritschen – im Orient abgeschabten Teppichen und Wandbehängen – vor Stühlen den Vorzug geben, so bleiben noch immer fünfzig Millionen Personen, aus deren häuslichen Leben die Stühle nicht wegzudenken sind. Berücksichtigt man die mannigfachen Zählfelder und die Gewohnheiten mancher Bürger, sich zwischen zwei Stühle zu setzen – weshalb man auf jeden Fall die Gesamtzahl halbieren könnte -, so finden wir, daß es im Lande nicht weniger als sechsundzwanzigeinhalb Millionen Stühle geben muß. Um ganz sicherzugehen, verzichten wir noch auf einmal auf sechseinhalb Millionen. Die verbleibenden zwanzig Millionen sind dann aber das Minimum.

In diesem Labyrinth von Stühlen aus Nussbaum, Eiche, Esche, indischem Rosenholz, Mahagoni und karelischer Birke, unter den Stühlen aus Fichte und Kiefer sollen die Helden unseres Romans einen Gambs-Stuhl aus Nussbaum mit geschweiften Beinen finden, denn dessen Bauch mit englischen Zitz bezogen, birgt die Schätze der Madame Penschowa.

Ilja Ehrenburg schrieb: „In den Memoiren sind die beiden Namen eins: ‚Ilfpetrow’. Dabei glichen sie einander gar nicht. Der schüchterne, schweigsame Ilja Ilf scherzte selten, dafür hatten es seine Scherze aber in sich. Wie viele Schriftsteller, über die Millionen lachten – von Gogol bis hin zu Sostschenko -, war Ilf Melancholiker. […] Ilf fand Gefallen am Bohemeleben. Petrow dagegen liebte das Gemütliche. Er kam mit dem unterschiedlichsten Menschen aus. Auf Versammlungen sprach er für Ilf mit. Stundenlang konnte et die Leute zum Lachen bringen und amüsierte sich dabei selber königlich. Er war ein sehr guter Mensch. Er wollte, daß die Menschen besser lebten, und registrierte alles, was ihnen das Leben lichter oder schöner machen könnte. Er war wohl der optimistischste Mensch, der mir je im Leben begegnete. Alles sollte besser sein, als es in Wirklichkeit war. […] Siamesische Zwillinge waren die beiden nicht, aber sie schrieben gemeinsam, reisten gemeinsam und waren ein Herz und eine Seele. Sie ergänzten einander gut – Ilfs bissige Satire war eine gute Würze für Petrows Humor.

Ilja Ilf starb im Frühjahr 1937 neununddreißigjährig an Tuberkulose. Jewgeni Petrow kam als Kriegsberichterstatter bei einem Flugzeugabsturz im Sommer 1942 achtunddreißigjährig ums Leben.

 

 

 

Ludwig Rubiner

* 12.7.1881 in Berlin, Pseudonym: Ernst Ludwig Grombeck, † 27.2.1920 ebd., deutscher Autor

 

Die Menschen in schlaffer Geilheit und träg liebten die Erde nicht

     mehr.

Aber die Erde schrie, wir hörten sie nicht, und sie donnerte Zeichen

     her.

O mein Freund, glauben Sie nicht, was ich Ihnen sagen werde, sei

     neu oder interessant.

Alles, was ich Ihnen zurufe, wissen Sie selbst, aber Sie haben es

      nie aus rundem Munde laut bekannt.

Sie haben es zugedeckt. Ich will Sie erinnern. Ich will Sie aufrufen -

schrieb Ludwig Rubiner im Jahr 1916 in seinem Gedicht „Das himmlische Licht“.

Aufschlussreich erscheinen auch allein schon die Titel anderer Veröffentlichungen Ludwig Rubiners: „Der Dichter greift in die Politik“ (1912), „Maler bauen Barrikaden“ (1914), „Die Änderung der Welt“ (1916), „Der Mensch in der Mitte“ (1917), „Kameraden der Menschheit. Dichtungen zur Weltrevolution“ (1919), „ Die Gemeinschaft. Dokumente der geistigen Weltwende“ (1919).

Ludwig Rubiner, der als Dichter wie Literaturkritiker, Übersetzer, Lektor und Essayist wirkte, starb achtunddreißigjährig infolge einer Lungenerkrankung, sein Stück „Die Gewaltlosen“ wurde 1920 postum aufgeführt.

 

 

 

Marielle Franco

* 27.7.1979 als Mariella Francisco da Silva in Rio de Janeiro, † 14.3.2018 ebd., brasilianische Politikerin

 

Dank eines Stipendiums konnte die afrobrasilianische Straßenhändlerin Marielle Franco an der Päpstlichen Katholischen Universität von Rio de Janeiro Sozialwissenschaften studieren, und schloss 2014 ein postgraduales Studium im Fach „Öffentliche Verwaltung“ ab. Zwei Jahre darauf wurde sie ins Stadtparlament von Rio des Janeiro gewählt, und setzte sich vor allem für Favela-Bewohnerinnen ein, forderte eine andere Politik im Umgang mit Armut und prangerte immer wieder Polizeigewalt bei Einsätzen in den Favelas Rio des Janeiros an.

Marielle Franco galt als Symbol und Repräsentantin für offen lesbisch lebende, feministische und anti-kapitalistisch orientierte Frauen, Mütter und Politikerinnen.

Im Alter von 38 Jahren wurde Marielle Francon in ihrem Auto erschossen.

 

 

 

Anacharsis Cloots

* 24.6.1755 als Johann Baptist Hermann Maria Baron de Cloots in Donsbrüggen, Pseudonym: Ali-GurBer, † 24.3.1794 in Paris, deutscher Revolutionär

 

Joseph Beuys nannte sich in Verehrung des deutschen Revolutionärs Anarchis Cloots phasenweise JosephAnacharsis Clootsbeuys.

Bereits vor der Französischen Revolution hatte Cloots in Paris gelebt, verkehrte mit Voltaire und Rousseau, und nach einer ausführlichen Bildungsreise durch Europa kehrte er 1789 nach Frankreich zurück. Er legte seinen Adelstitel und seine bisherigen Vornamen ab und nannte sich fortan Anarchis, schrieb für Zeitungen und hielt Reden.

Am 19. Juli 1790 betrat er in Begleitung von 36 Bürgern, die er für je 12 Francs engagiert und aus einem Theaterfundus als „Deputation des Menschengeschlechts“ eingekleidet hatte, um zu bezeugen, dass alle Welt der revolutionären Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 Gefolgschaft leisten werde, die Pariser Nationalversammlung. Nach diesem Spektakel war Anarchis Cloots eine der prominentesten politischen Figuren in Paris und nannte sich „Redner des Menschengeschlechtes“.

1792 wurde er als Abgeordneter des Départements Oise in den Nationalkonvent gewählt und organisierte 1793 die Umgestaltung von Notre Dame de Paris in einen „Tempel der Vernunft und der Freiheit“ mit.

Im Zuge des Jakobinischen Terrors wurde er dann jedoch der Spionage für den preußischen König verdächtigt, verhaftet, in einem viertägigen Schauprozess zum Tode verurteilt und am 4. Germinal des Jahres II guillotiniert.

 

 

 

Florence Griffith-Joyner

* 21.12.1959 als Dolorez Florence Griffith in Los Angeles, † 21.9.1998 in Mission Viejo, Kalifornien, amerikanische Leichtathletin

 

Die Sprinterin Florence Griffith-Joyner galt als „Diva der Tartanbahn“, da sie gern mit langen, buntlackierten Fingernägeln, Löwenmähne und grellen, hautengen Laufanzügen an den Start ging.

Sie war Weltrekordlerin, Weltmeisterin wie Olympiasiegerin, doch zog sich vom Sport zurück, als die Dopingkontrollen verschärft wurden. Im Alter von 38 Jahren erstickte Florence Griffith-Joyner im Schlaf.

 

 

 

Jakob Ludwig Felix Mendelssohn Bartholdy

* 3.2.1809 in Hamburg, † 4.11.1847 in Leipzig, deutscher Komponist

 

Als Neunjähriger spielte Felix Mendelssohn Bartholdy erstmals öffentlich Klavier, als Zehnjähriger trat er in die Berliner Sing-Akademie ein, als Elfjähriger nahm er Orgelunterricht und begann zu komponieren. Als Zwölfjähriger lernte er Goethe und Carl Maria von Weber kennen, als Sechzehnjähriger Gioachino Rossini und Giacomo Meyerbeer.

Als Achtzehnjähriger beschloss Felix Mendelssohn Bartholdy fortan keine Opern, sondern nur noch Instrumentalmusik zu schaffen, als Zwanzigjähriger initiierte und leitete er eine Wiederaufführung der „Matthäus-Passion“, der ersten seit Bachs Tod, und ging auf Tourneen durch Europa: England (wohin er letztlich zehnmal reisen sollte), Schottland, Italien. Als Sechsundzwanzigjähriger begann er im Leipziger Gewandhaus zu dirigieren. Als Dreiunddreißigjähriger wurde er zum Preußischen Generalmusikdirektor ernannt, mit vierunddreißig gründete er in Leipzig die erste deutsche Musikhochschule.

Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte zahlreiche kirchliche und weltliche Vokalwerke, diverse Chorwerke, Singspiele, Opern und Schauspielmusiken, Kammermusiken, Orgelwerke, Orchesterwerke, Sinfonien, Konzerte – mehr als 400 Titel werden im MWV, dem Mendelssohn Werkverzeichnis aufgeführt.

Als Achtunddreißigjähriger erlitt Felix Mendelssohn Bartholdy am 9. Oktober 1847 einen ersten Schlaganfall. Nach weiteren Schlaganfällen am 25. Oktober und 3. November verlor er das Bewusstsein und starb am 4. November 1847.

 

 

 

David Reimer

* 22.8.1965 als Bruce Reimer in Winnipeg, † 4.5.2004 ebd., kanadisches Gender-Opfer

 

David Reimer wurde als eineiiger Zwillingsbruder Brian Reimers geboren. Als sie sechs Monate alt waren, wurde bei beiden eine Vorhautverengung festgestellt. Bei einer folgenden Beschneidung wurde Davids Penis irreparabel verletzt und schließlich – nachdem die Eltern sich entschieden hatten, eine geschlechtsverändernde Operation durch führen zu lassen - samt Hoden entfernt. Nun wurde Brian Brenda genannt und ab dem 12. Lebensjahr hormonell behandelt.

Der Sexualwissenschaftler John Money, der die Reimers beraten hatte, da er versuchte nachzuweisen, dass das biologische Geschlecht (sex) nichts mit dem sozialen Geschlecht (Gender) zu tun habe, sich allein oder in wesentlichem Maße die Erziehung in den frühen Lebensjahren für die Ausprägung einer geschlechtsspezifischen Identität eine Rolle spielt, nannte Branda ein „normales, glückliches Mädchen“. Freunde beschrieben Brenda jedoch als zutiefst unglückliches Kind mit großen sozialen Problemen.

Im Alter von 25 Jahren erfuhr Brenda, dass sie als Junge geboren wurde, nannte sie fortan David und unterzog sich einer konträren Behandlung mit Brustentfernung, Testosteroninjektionen und Phalloplastik. Zehn Jahre später heiratete David Reimer und adoptierte die Kinder seiner Frau.

Nachdem sein Zwillingsbruder gestorben, seine Frau sich von ihm getrennt und er seine Arbeit verloren hatte, nahm sich David Reimer im Alter von 38 Jahren das Leben.

 

 

 

Auguto César Sandino

* 18.5.1895 als Augusto Nicolás Calderón Sandino in Niquinohomo, † 21.2.1934 in Larreynaga, nicaraguanischer Freiheitskämpfer

 

Nach der zweiten Invasion von US-Marines in Nicaragua im Jahre 1926 Heimatland gründete der einstige Knecht, Bergmann, Mechaniker, Wächter und Büroangestellter Augusto César Sandino zur Befreiung seiner Heimat die „Grupo Armado Liberal“.

Bald darauf sandte der US-Präsident Calvin Coolidge weitere 6.000 Marines nach Nicaragua, Auftrag: „Get Sandino dead or alive!“

Augusto César Sandino führte als „General de Hombres Libres General der freien Männer“ etwa 2.000 bis 6.000 Kämpfer an. Nach dem Abzug der US-Truppen im Jahr 1933 legten Sandinos Männer die Waffen nieder und versuchten friedlich eine Plantagen-Kooperation zu betreiben.

Am 21. Februar 1934 lud der neue Präsident Nicaraguas Sandino zu einem Bankett nach Managua und der General de Hombres Libres wurde von Nationalgardisten ermordet.

Als Widerstandgruppe gegen die das Land unterdrückende Somoza-Diktatur gründete Carlos Fonseca 1961 die FSLN - die Sandinistische Nationale Befreiungsfront, die 1979 die Macht in Nicaragua übernahm, 1990 abgewählt wurde, 2006 nach nochmals an die Regierung gelangte, jedoch alsbald als korrupt galt. 2019 wurde die FSLN aus der Sozialistischen Internationale ausgeschlossen.

 

 

 

Caravaggio

* 29.9.1571 als Michael Angelo Merisi in Caravaggio, † 18.7.1610 in Mailand, italienischer Maler

 

Caravaggio gilt als Begründer der italienischen Barockmalerei, aber auch als „Archetyp des verruchten Künstlers“. In Derek Jarmans Kultfilm „Caravaggio  wird er „als Außenseiter der Gesellschaft […]“ dargestellt, „der sich weder in seinen künstlerischen noch in seinen sexuellen Freiheiten durch irgendwelche Gesetze oder Konventionen einschränken lässt“.

Wikipedia weiß: „Caravaggio führte ein bewegtes Leben. Nach einer Lehrzeit bei Simone Peterzano in Mailand reiste er nach Rom, wo er vom mittellosen Künstler zum bevorzugten Maler der römischen Kardinäle aufstieg. Wegen eines Totschlags wurde er aus Rom verbannt und ließ sich in Neapel und später Malta nieder. In Malta wurde er zum Ritter des Malteserordens ernannt, floh aber von dort nach einer tätlichen Auseinandersetzung nach Sizilien und kehrte nach einem Jahr nach Neapel zurück. Auf die Aufhebung seiner Verbannung aus Rom wartend, starb er im Alter von 38 Jahren.“

Für seine Heiligenbilder ließ er häufig Huren Modell stehen, und in Mehrfigurenbildern fügte er sich auch gern selbst ein, so trägt in der römischen Version seines „David und Goliath“ das abgeschlagene Haupt Goliaths seine Züge.

Unsterblich aber Werke wie: „Medusa“ oder „Judith und Holofernes“ oder „Abendmahl in Emmaus“ oder „Die Grablegung Christi“ oder „Kreuzigung des heiligen Petrus“ oder „Heiliger Hieronymus beim Schreiben“ oder „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“…

 

 

 

George Gershwin

* 26.9.1898 als Jacob Gershovits in New York City, † 11.7.1937 in Hollywood, amerikanischer Komponist

 

Mit “Porgy and Bess” schuf George Gershwin 1935 die erste eigenständige Oper Nordamerikas, und er verfügte, dass sein Hauptwerk szenisch stets nur von schwarzen Sängerinnen und Sängern aufgeführt werden dürfe. Richtungweisend gingen etliche seiner Kompositionen als Standards in den Jazz, und „Summertime“, die Arie aus „Porgy and Bess“, sogar in die Rockmusik ein.

Weltberühmt nach wie vor seine „Rhapsody in Blue“ oder seine Tondichtung mit Jazzelementen und Soundeffekten – „Ein Amerikaner in Paris“; immer wieder erfolgreich gespielt auch seine Songs: „The Man I Love“ oder „I Got Rhythm“ oder „Oh, Lady Be Good!“ oder „But Not For Me“ oder „Lululaby“…

George Gershin starb im Alter von nur 38 Jahren in Hollywood bei der Arbeit an einer Filmmusik an einem Gehirntumor.

 

 

 

Ferhat Hached

2.2.1914 in Abbasia, † 5.12.1952 bei Radés, tunesischer Gewerkschafter

 

Ferhat Hached gründeten 1946 den Gewerkschaftsdachverband Union Générale Tunisienne du Travail mit und war bis zu seinem Tod dessen erster Generalsekretär.

Im Alter von 38 Jahren wurde Ferhat Hached durch ein Attentat der „Main Rouge“, einer verdeckten Terrororganisation des französischen Geheimdienstes, ermordet.

In fast jeder Stadt Tunesiens ist eine große Straße nach ihm benannt. Drei Jahre nach seinem Tod wurde ihm in Tunis ein Mausoleum errichtet.

 

 

 

 

Carl Otto Ehrenfried Nicolai

* 9.6.1810 in Königsberg, † 11.5.1849 in Berlin, deutscher Komponist

 

Otto Nicolai gründete die Wiener Philharmoniker und begründete seinen Ruf als Opernkomponist mit den „Lustigen Weibern von Windsor“. Zudem schuf er zahlreiche Lieder, geistliche und weltliche Chorwerke. Und nicht zuletzt bei den Salzburger Festspielen werden auch andere Nicolai-Opern, wie „Il templario“, die auf Walter Scotts „Ivanhoe“ basiert,  immer wieder gern aufgeführt.

Otto Nicolai starb im Alter von nur 38 Jahren an einer Hirnblutung.

 

 

 

Hans Paasche

* 3.4.1881 in Rostock, † 21.5.1920 auf Gut Waldfrieden, Neumark, deutscher Pazifist

 

Kurt Tucholsky schrieb für die „Weltbühne“:

„Paasche

Wieder Einer./ Das ist nun im Reich/Gewohnheit schon. Es gilt ihnen gleich./ So geht das alle, alle Tage./ Hierzuland löst die soziale Frage/ein Leutnant, zehn Mann. Pazifist ist der Hund?/ Schießt ihm nicht erst die Knochen wund!/ Die Kugel ins Herz!/ Und die Dienststellen logen:/ Er hat sich seiner Verhaftung entzogen./ Leitartikel. Dementi. Geschrei./ Und in vierzehn Tagen ist alles vorbei./ -Wieder Einer. Ein müder Mann,/ der müde über die Deutschen sann./ Den preußischen Geist – er kannte ihn/aus dem Heer und aus den Kolonien,/ aus der großen Zeit – er mochte nicht mehr./ Er hasste dieses höllische Heer./ Er liebte die Menschen. Er hasste Sergeanten/(das taten alle, die beide kannten)./ Saß still auf dem Lande und angelte Fische./ Las ein paar harmlose Zeitungswische…/ -Spitzelmeldung. Da rücken heran/ zwei Offiziere und sechzig Mann./(Tapfer sind sie immer gewesen,/ das kann man schon bei Herrn Schäfer lesen.)/Das Opfer im Badeanzug… Schuss. In den Dreck./ Wieder son Bolschewiste weg –!/ Verbeugung. Kommandos, hart und knapp./ Dann rückt die Heldengarde ab./ Ein toter Mann. Ein Stiller. Ein Reiner./ Wieder Einer. Wieder Einer.

Und Harry Graf Kessler: „Man erfährt, daß in den Pfingsttagen der Pazifist Paasche von Reichswehrsoldaten auf seinem Gute ermordet worden ist. Natürlich „auf der Flucht“ […] Die Sicherheit für politisch Mißliebige ist gegenwärtig in Deutschland geringer als in den verrufensten südamerikanischen Republiken oder im Rom der Borgia.“

Der Marineoffizier Hans Paasche, der nach seinem aktiven Wehrdienst eine zeitlang am Victoriasee gelebt hatte, war durch seine bissige Satire auf den europäischen Lebensstil „Die Forschungsreisen des Afrikaners Lukanga Mukanga ins innerste Deutschland“ bekannt geworden. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Kapitänleutnant reaktiviert, entwickelte er sich zum überzeugten Pazifisten und wurde 1916 aus der Marine entlassen. Und nachdem er im Jahr darauf mit französischen Kriegsgefangenen in seinem westpreußischen Gut Waldfrieden den Jahrestag der Erstürmung der Bastille gefeiert, auf dem Gasthaus sogar die Trikolore gehisst hatte, wurde er verhaftet und unter Umgehung eines Prozesse in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Am 9. November 1918 befreiten ihn revolutionäre Matrosen und fuhren ihn schnurstracks in den Reichstag, wo er er in den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte gewählt wurde. Hans Paasche kämpfte für eine radikaldemokratische, sozialistische Politik, deren vorrangiges Ziel nach seinen Vorstellungen zunächst eine Zerschlagung des Großgrundbesitzers im Rahmen einer Bodenreform zu sein hatte. Er schlug den Abriss der Siegesallee samt Siegessäule vor und ließ zwei Waggons mit Geheimakten beschlagnahmen, um Kriegsverbrechen untersuchen zu lassen. Eines seiner zentralen Anliegen war die Festnahme und Aburteilung der für den Ersten Weltkrieg verantwortlichen Personen.

Nachdem seine Frau jedoch an der Spanischen Grippe gestorben war, zog sich Hans Paasche, enttäuscht auch vom Erstarken konterrevolutionärer Kräfte, auf sein Gut Waldfrieden zurück, nicht zuletzt, um sich um seine vier Kinder zu kümmern.

Am 21. Mai 1920 erschienen zwei Offiziere mit fünfzig Soldaten auf zwei mit Maschinengewehren bestückten Lastkraftwagen auf Gut Waldfrieden. Hans Paasche hielt sich gerade mit seinen Kindern an einem nahegelegenen See auf. Er wurde herbeigerufen und beim Näherkommen durch einen Schuss ins Herz getötet – „auf der Flucht“.

 

 

 

Enver Şimşek

* 4.12.1961 in Salur Koy, † 11.9.2000 in Nürnberg, türkischer Händler

 

Enver Simsek war das erste Opfer der rechtsterroristischen NSU-Mörder.

Enver Simsek war 1985 nach Deutschland immigriert, arbeitete zunächst in einer Fabrik, eröffnete einen Blumenhandel und dann einen Großhandel mit angeschlossenen Blumenläden und -ständen. Er war verheiratet und Vater von zwei Kindern. Am 9. September 2000 war er nur zufällig an einem Stand auf dem Gelände des ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgeländes, normalerweise lieferte er nur die zu verkaufenden Blumen aus, an diesem Tag hatte er jedoch die Urlaubsvertretung übernommen, verkaufte selbst. Acht Schüsse wurden auf Enver Şimşek abgefeuert. Zwei Tage später erlag er seinen schweren Verletzungen, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Nach Enver Simsek erschossen die NSU-Terroristen bis 2007 noch neun weitere Menschen: Abdurrahim Özüdoğru (49), Süleyman Taşköprü (31), Habil Kılıç (38), Mehmet Turgut (25), Ismail Yaşar (50), Theodoros Boulgarides (41), Mehmet Kubaşık (39), Halit Yozgat (21), Michèlle Kiesewetter (22).

 

 

 

Alan Dower Blumlein

* 29.6.1903 in Hampstead, † 7.6.1942 in London, britischer Erfinder

 

Alan Dower Blumlein reparierte im Alter von sieben Jahren die Türklingel am Haus seiner Mutter und stellte dafür eine Rechnung aus, unterschrieben mit: „Alan Blumlein, Electroingeneer“. Im Laufe seines Lebens erlangte er dann als solcher 128 Patente.

Eine seiner wichtigsten Erfindungen dürfte das nach ihm benannte „Blumlein-Verfahren“ aus dem Jahr 1931 sein, das Mirkofonaufnahmen in Stereo ermöglichte. Anfang 1934 waren dann in den Londoner Abbey-Road-Studios mit dieser „binauralen“ Technik betriebsbereit und es entstanden erste Stereo-Aufnahmen mit dem London Philharmonic Orchestra. Erst 1957 allerdings gab es eine erste Stereo-Schallplatte. Dixieland Jazz auf der einen, Eisenbahngeräusche auf der anderen Seite.

Beteiligt war Alan Dover Blumlein auch an der Entwicklung des H2S-Radars. Bei der Erprobung eines Radargeräts kam er achtunddreißigjährig bei einem Flugzeugabsturz um Leben.

 

 

 

Fletcher Christian

* 25.9.1764 in Brigham, Cumberland, † 20.9.1793 in Adamstown, Pitcairn, britischer Seefahrer

 

Adamstown: einziger Ort Pitcairns und wohl kleinste Hauptstadt der Welt: kaum mehr als 30 Leutchen leben noch hier, Nachfahren der Bounty-Meuterer (angeführt vom Master Mate Christan) und deren polynesischen Frauen. Immerhin gibt es hier eine Schule, ein Gesundheitszentrum, ein Museum, ein Gemeindehaus (das auch als Regierungs- und Gerichtsgebäude dient), eine Polizeiwache, eine Kirche, ein Post- und Schatzamt, ein Warenhaus sowie ein Kulturzentrum. Und weltweit durften hier Frauen erstmals wählen: 1838! Wahrscheinlich stimmten sie damals wie heute für Marlon Brando.

 

 

 

Giacomo Leopardi

* 29.6.1798 in Recanti, † 14.6.1837 in Neapel, italienischer Dichter

 

Giacomo Leopardi gilt neben Alessandro Manzoni als richtungweisender Erneuerer der italienischen Literatursprache im 19. Jahrhundert. Er bekannte einmal: Ich schätze jene Dichtung wenig, die im Herzen des Lesers, wenn er gelesen und nachgedacht hat, nicht ein so edles Gefühl hinterläßt, daß es ihn für eine halbe Stunde hindert, einem nichtswürdigen Gedanken Raum zu geben und eine unwürdige Tat zu begehen.

Der Übersetzer Helmut Endrulat schrieb: „Ein schmächtiger, blasser, wortkarger Mann, verwachsen und in sich verschlossen, von Kindheit an kränklich und aufgrund eines Augenleidens in ständiger Furcht zu erblinden, aufgewachsen in einer engstirnigen Kleinstadt des damaligen Kirchenstaates, achtbar, doch stockkonservativ der Vater, die Mutter hart und bigott, ein Leben lang ohne Amt und Anstellung, stets in Geldnöten, ein Mann, der sich nach Frauenliebe sehnte und immer abgewiesen wurde, der Pech hatte auch mit seinen Freunden, ein Atheist und Materialist – Giacomo Leopardi starb früh, kaum neununddreißigjährig.“

 

Wozu unsre Sehnsüchte taugen, unsere Leiden,

wozu dieses Sterben taugt. Dieses letzte Erblassen

der Lippen und der Wangen,

… Diese unmeßbaren Einsamkeiten,

was bedeuten sie uns? Und ich, was bin ich?

 

Der Literaturhistoriker Francesco De Sanctis sagte über Giacomo Leopardi: „Leopardi ist Skeptiker und macht uns gläubig. Er glaubt nicht an eine bessere Zukunft für das Vaterland und erzeugt Mut und Liebe zu großen Taten. Er hat eine derart schlechte Meinung von der Menschheit, und seine freundliche Seele verehrt und besingt sie.“

 

Edler Natur ist jener,

der mutig die sterblichen Augen

aufschlägt und das Geschick

der Menschheit betrachtet und freimütig eingesteht,

ohne die Wahrheit zu schmälern;

Ein karges, zerbrechliches Leben, ein hartes Los,

ist und Menschen beschieden.

 

 

 

Alberto Adriano

* 1961, † 14.6.2000 in Dessau, mosambikanischer Gastarbeiter

 

Im ersten Jahr des neuen Jahrtausends wurde Alberto Adriano von drei Jung-Nazis in Dessau so schwer zusammengeschlagen, dass er drei Tage danach verstarb. Im Jahre 1988 war er als Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR geholt worden, und irgendwie hatte er es geschafft, nicht wie die meisten seiner hier arbeitenden Landsleute nach der deutschen Wiedervereinigung abgeschoben zu werden, hatte hier irgendwie bis zum Sommer 2000 überlebt.

Im Jahr 2007 reiste ich Alberto Adrianos Heimatland, wollte versuchen, eine Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und dem mosambikanischen Schriftstellerverband zu vereinbaren, vielleicht eine Anthologie auf den Weg zu bringen, in dem abgeschobene Vertragsarbeiter berichten, wie es ihnen in Deutschland ergangen war.

Mir war klar, dass ich in ein Land wollte, das 15, 20 Jahren zuvor noch als ärmstes der Welt galt. Damals allerdings wütete in Mosambik der Bürgerkrieg. Nach wie vor zählt unser Reiseziel aber zu den ärmsten Staaten. Durchschnittliches Jahreseinkommen pro Kopf unter 300 $.

Von Johannesburg aus über die karge Hochebene, dann die schier endlose, wohl 200-300 Kilometer lange Abfahrt ins mosambikanische Tiefland, schöne Aus- und Ansichten allenthalben, vor allem als die Sonne untergeht und lange Schatten wirft, die rote Erde noch röter, das vielfältige Grün noch satter erscheinen lässt. Halb sieben wird’s jedoch schlagartig dunkel. Zwei Stunden später die Grenze. Alles aussteigen! Zu Fuß geht’s von der südafrikanischen zur mosambikanischen Grenzstation, gut einen Kilometer durch eine stacheldrahtbewehrte Sicherheitsschleuse. Laster und Busse kurven vorbei. Viel Volks mit Bergen undefinierbarer Ballen, ängstliche Augen, Schweiß, reichlich Uniformierte. Im düsteren mosambikanischen Grenzhäuschen schließlich die notwendige Stempelei. Hie und da noch Gestikulieren, nochmalige „Zoll-Blicke“ in den Bus, dicke Schwüle, dann endlich rollen wir ins Zielland hinein.

Sofort ist die Straße nicht mehr von reflektierenden Randstreifen gerahmt, auch kein Mittelstreifen mehr. Dunkelheit. Dafür entdecke ich ein leuchtendes Kreuz des Südens an unserer Seite. Halb elf in Maputo. Herberge eine Backpacker-Absteige, Rucksacktouristen, Zimmer aber okay, sogar mit Innen-WC und Dusche.

Der Versuch, in einem Lokal gleich einige Häuser weiter, noch etwas zu Essen zu bekommen, schlägt jedoch fehl, da der Kellner zwar Speisekarten bringt, dann aber erst nach einer halben Stunde wieder erscheint, um die Bestellung aufzunehmen, diese auch notiert, nach einer weiteren Viertelstunde jedoch kommt und sagt, nun sei die Küche geschlossen…

Am Morgen erster Eindruck von Maputo: weitläufig, vor allem durch die schachbrettartige Anlage der breiten, schnurgeraden Avenidas und Ruas, geruhsames Treiben, pragmatisches Gemisch von Neubauten und Bauten der Kolonialzeit, die meisten verwohnt, reparaturbedürftig, das Zentrum halbwegs aufgeräumt, in der Hafengegend sowie im Marktviertel jedoch Müllberge und Dreck allenthalben, Obdachlose, Straßenkinder.

Dann erlebe ich hier einen Feiertag mit, den Tag des Friedens. Vor 15 Jahren schlossen die beiden Bürgerkriegsparteien RENAMO und FRELIMO nach 15 Jahren brutalster Kämpfe (1 Million Tote, 5 Millionen Flüchtlinge bei geschätzten knapp 20 Millionen Einwohnern) Frieden, wirken seitdem demokratisch zusammen: die FRELIMO stellt (wie seit der Unabhängigkeit von Portugal im Jahre 1975) die Regierung, die RENAMO nunmehr die parlamentarische Opposition (und beherrscht wohl auch die Nordprovinzen). Dem Augenschein und dem Vernehmen nach scheint das irgendwie zu funktionieren. Bei Strafe des gemeinsamen Untergangs wahrscheinlich. Doch selbst für einen, der die deutsche Wende durchlebte, nur schwer vorstellbar…

Kein Problem, ins große Stadion zu gelangen, wo die offizielle Staatsfeier stattfindet. Der Präsident ist anwesend, und nach all den Nobelkarossen mit Flaggenständern zu urteilen, auch große Teile des diplomatischen Korps. Reden und Gesänge, Fernsehteams. Enge.

Am Abend treffe ich mich mit einem deutschen Fotografen und Sozialarbeiter, den ich zufällig im Stadion kennen gelernt hatte. Er zeigt mir seine jüngst in einer hiesigen Galerie eröffnete Ausstellung (die Ende des Jahres auch in der Evangelischen Akademie Wittenberg zu sehen sein soll). Und dann erweist er sich auch als kundiger Mosambikkenner. So berichtet er, dass er gelegentlich Familien zusammenführe, will sagen: Als in der Wendezeit fast alle in der DDR beschäftigten mosambikanischen Vertragsarbeiter (insgesamt waren es wohl Zehntausende) schlagartig ausreisen mussten, blieben nicht selten bei deutschen Frauen Kleinkinder zurück, die ihre Väter nicht oder nur vage kennen lernen konnten. Erst kürzlich habe er nach Suchanzeigen einer solchen Tochter aus dem Thüringischen den Vater im Norden Mosambiks auffinden können, habe die Tochter dann mehrere Wochen lang begleitet und behutsam mit den hiesigen Verhältnissen, dem unbekannten Vater, dessen neuer Frau, den Stiefgeschwistern vertraut gemacht. Der Vater habe nach seiner Rückkehr keine Chance gehabt einen angemessenen Platz in den neuen mosambikanischen Verhältnissen, in der Phase der Abkehr vom Sozialismus, zu finden. Obwohl in der DDR gut ausgebildet, habe er keinerlei Job finden können, lebe nun wie so mancher seiner Schicksalsgenossen, bestelle sein kleines Feld, um die Familie recht und schlecht ernähren zu können, klage aber nicht, habe sich eingefügt.

Nicht so manche anderen Rückkehrer. Eine Gruppe habe beispielsweise von anderthalb Jahren die deutsche Botschaft besetzt, um ihre berechtigten Forderungen, nach versprochenen, doch hartnäckig noch immer ausstehenden Ausgleichszahlungen durchzusetzen. Und erst vor wenigen Wochen ging in Deutschland durch die Presse, dass in einer Verhaftungswelle mindestens 400 dieser Leute nach neuerlichen öffentlichen Protesten inhaftiert wurden. Den Mosambikanern, die in den spätern 70er und frühen 80er Jahren (als Mosambik noch auf dem Wege ins sozialistische Lager war) in die DDR kamen, hatte man eine gediegene Ausbildung und tolle Jobs nach ihrer Rückkehr versprochen. Tatsächlich schufteten dann nicht wenige jahrelang zwischen Thüringer Wald und Ostseeküste am Fließband, um die horrenden Auslandsschulden ihres Vaterlands bei der DDR zu tilgen. Teile dieses damals (den mosambikanischen Arbeitern) nicht ausgezahlten Lohnes wollen manche nun zumindest auf die Sozialleistungen, auf eventuelle Rentenansprüche angerechnet haben. Verrückt, diese Leute waren guten Glaubens für Jahre ins Ausland gegangen, um ihrem im Aufbruch befindlichen, präsozialistischen Land bei der Entkolonialisierung, beim Aufbau zu helfen. Doch als sie zurückkehrten, zurückkehren mussten, gab es dieses Land (und im Übrigen auch das Land, das sie angelockt hatte) nicht mehr, wurden sie daheim, ob ihrer möglichen ideologischen Ausrichtung scheel angesehen und geschnitten…

Irgendwie erschien es mir zu guter Letzt, als hätte ich Alberto Adriano in einem Protestmarsch im Zentrum Maputos gesehen. Ja, er nickte mir zu und spreizte Mittel- und Zeigefinger seiner Linken: Victory!

 

 

 

James Ayscough

* um 1720, † 1759, englischer Optiker

 

Der englische Augenoptiker James Ayscough schrieb im Jahr 1752 das Buch „A Short Account Of The Eye And Nature Of Vision: Chiefly Designed To Illustrate The Use And Advantage Of Spectacles“ und entwickelte Brillen mit doppelt ausklappbaren Seitenstücken. Dafür empfahl er statt klaren, blau oder grün eingefärbte Linsen – und kann somit als Erfinder der Sonnenbrille gelten.

 

 

 

Sarah Good

* 21.7.1653 in Wehnam, Massachusetts, † 29.7.1692 in Danvers, Massachusetts, amerikanisches Hexenprozess-Opfer

 

Sarah Good war eine der „Hexen von Salem“. Mehr als 200 Personen wurden im kolonialen, puritanischen Massachusetts wegen angeblicher Hexerei angeklagt, 30 für schuldig befunden, 19 gehängt – 14 Frauen, 5 Männer.

Es waren zumeist Frauen, die unter Verdacht gerieten, wenn sie nicht den Normen der puritanischen Gesellschaft entsprachen, wenn sie unverheiratet und/oder arm waren. Zudem galt die Bevölkerung von Salem Village als zerstritten, schier ewig gab es hier Streit über Grundstücksrechte, Weiderechte, Besitzansprüche, aus Missgunst, Geiz, Eifersucht, Neid und Gier.

Sarah Good war nach familiären Erbstreitigkeiten völlig verarmt, musste nach dem Tod ihres Mannes sogar betteln. Bald wurde gemunkelt, dass sie stets „murmelnd“ wegging, wenn sie ein Almosen empfangen hatte, sich nie bedanke. Und religiöse Eiferer hielten ihr vor, dass sie nicht am Gottesdienst teilnehme. Daraufhin soll Sarah Good geantwortet haben, dass sie nicht in die Kirche ginge, da sie keine angemessene Kleidung mehr besitze.

Nachdem zwei Mädchen nach offenbar epileptischen Anfällen behaupteten, Sarah Good und zwei andere Salemerinnen hätten sie verhext, wurde sie verhaftet. Man warf ihr vor, die puritanischen Erwartungen an Selbstbeherrschung und Disziplin abzulehnen, da sie Kinder verachtete und quälte, anstatt sie auf den Weg der Erlösung zu führen.

Eine der Mitangeklagten sagte aus, dass Sarah Good ihrer Katze befohlen hatte, die Mädchen anzugreifen, was die Kratzer und Bissspuren an deren Körper verursacht habe. Und sie gab zu Protokoll, Sarah Good mit schwarzen und gelben Vögeln um sich herum zu sehen, und dass Good auch diese Tiere geschickt hatte, um den Mädchen zu schaden. Als die Mädchen im Gerichtssaal einen weiteren Anfall bekamen, behauptete die Zeugin, sie könne jetzt in Sarah Goods rechter Hand einen gelben Vogel sehen. Die beiden Mädchen stimmten dem zu.

Bis zuletzt beteuerte Sarah Good immer wieder ihre Unschuld, wurde jedoch gnadenlos hingerichtet.

 

 

 

Tim Hardin

* 23.12.1941 in Eugene, Oregon, † 29.12.1980 in Los Angeles, amerikanischer Sänger

 

How can we hang on to a dream, sang Tim Hardin im Sommer 1969 in Woodstock.

Drei Jahre zuvor hatte sein Debüt-Album Aufsehen erregt. Namhafte Musiker coverten fortan immer wieder seine Songs: Reason to Believe: Glen Campbell, Johnny Cash, Cher, Lobo, Wilson Philips, Rod Stewart, - Lady Came From Baltimore: Joan Baez, Bob Dylan, Cliff Richard, Scott Walker, - If I Were a Carpenter: Chicken Shack, Bobby Darin, Four Tops, Dolly Parton, John Pearse, Robert Plant, Bon Seger, Leslie West, - Red Balloon: Small Faces, Paul Weller - Black Sheep Boy: Okkervil River, Scott Walker - How can we hang on to a Dream: Emerson. Lake & Palmer, Marianne Faithfull, Fleetwood Mac, Gandalf, Francosie Hardy, Moody Blues, Nazareth, The Nice, The Lemonh, The Leightning Seeds.

Elf Jahre danach starb Tim Hardin an einer überdosierten Mischung von Heroin und Morphin: How can we hang on to an dream

 

 

 

Ibn Sahl

* 1212 als Abu Ishaq Ibrahim Ibn Sahl al Isra’ili al Ishbili in Sevilla, † 1251 im Mittelmeer, Dichter in el-Andalus

 

Nach Sevilla wollten Jeanny und ich schon seit langem, vor allem die Hinterlassenschaften aus der Zeit des maurischen Dichters Abn Sahl, genannt: al Andalus, bewundern. Typisch für den Geist jener Zeit: Ibn Sahl war ein zum Islam konvertierter Jude: Sein „Diwan“ gilt als hervorragendes Werk der andalusischen Literatur.

Wir fahren im Bus von Cadiz nach Sevilla: quirlige Straße über einen riesigen, modernen Brückenbogen, der sich von der Landzunge, auf der Cadiz liegt, über den Golf von Cadiz bis zum Festland spannt, Autobahn vorbei an Jerez de la Frontiera, der Sherry-Stadt, durch die Ebene des Guadalquivir zu der Stadt, die laut Guide als die , na ja, auf jeden Fall eine der schönsten Städte der Welt, na ja, auf jeden Fall Andalusiens gilt.

Auf jeden Fall war Sevilla nach der Entdeckung Amerikas eines der, wenn nicht das Zentrum der Welt. All die Reichtümer aus den neuen spanischen Kolonien wurden nicht etwa im Hafen von Cadiz angelandet, sondern die Gold- und Silberschiffe fuhren den Guadalquivir mehr als 100 Kilometer flussauf bis ins sichere Sevilla, um ihre Ladungen zu löschen, hier wurden die Schätze verwaltet und verteilt. Kein Wunder, dass Kolumbus hier begraben wurde. Einer der Gründe für den Niedergang Sevillas war dann nicht von ungefähr die Versandung des Guadalquivirs.

Schon mit dem ersten Innenstadt-Eindruck sind die Pracht und die einstige Macht gegenwärtig. Grandios der Alcázar, der Königspalast, mit seiner wunderbaren maurisch-jüdischen-christlichen Architektur und Kunst. Gewaltig die Kathedrale, die größte gotische der Welt. Beeindruckend auch all die Paläste ringsum, aber nicht minder, das verwinkelte einstige Judenviertel sowie die weitläufigen Parks und Gärten und die einstige Tabakfabrik, heutige Universität, in der Carmen spielt...

Ende der 1920er Jahre versuchte man an einstige Größe anzuknüpfen, richtete eine ibero-amerikanische Weltausstellung ein. Alle Staaten, die einst zum spanischen Kolonialreich gehörten (aber auch Portugal) erbauten feste Pavillons: durch Maya-Kunst geprägte beispielsweise der kleine Guatemalas oder mit exotisch bunten Kacheln verzierte größere Kolumbiens. Die Größe und Ausstattung der Pavillons entsprach offenbar dem Selbstverständnis der jeweiligen Staaten. Als wir den spanischen ansteuern grinst unser Guide und sagt, dass man hier eine wichtige spanische Charaktereigenschaft vorgeführt bekommt: die Bescheidenheit… Zehn Jahre baute man an diesem pompösen, schlossähnlichen Rondell, in dessen Hof man Droschke oder auf dem umlaufenden Kanal mit Schmuckbrücken Gondel fahren kann. Zum Glück geht in diesem Augenblick ein Wolkenbruch nieder.

Und als wir wieder auf die Autobahn einbiegen, steht über der Stadt ein Regenbogen. Und dazu passt wunderbar ein Gedicht Ibn Sahls:

O Vollmonde, die am Tag der Abreise entstanden sind,

hell, auf dem Weg der Gefahr hervorgegangen:

Mein Herz trägt keine Sünde in der Liebe; stattdessen kommt

von dir Schönheit; aus meinem Auge der Blick.

Ich freue mich, obwohl ich von Leidenschaft verwundet bin.

Gegenseitigkeit mit meiner Geliebten ist nur imaginär.

Immer wenn ich mich bei ihm über meine Leidenschaft beschwere, lächelt er

wie die Hügel in der strömenden Wolke.

Wenn es ihnen Regen bringt, wie eine Beerdigung,

während sie in ihrer Freude eine Hochzeitsfeier sind.

Weiß das geschützte Reh, dass er

das Herz eines Liebhabers entzündet hat, in dem er lebte,

so dass es brennt und pocht wie

das Feuer, das vom Ostwind gehänselt wird?

 

 

 

Omar Kingsley

* 1840 in St. Louis, Pseudonym Ella Zoraya, † 3.4.1879 in Ostindien?, amerikanischer Zirkuskünstler

 

Omar Kingsley wurde als „Miss Ella“ berühmt. In „Das Artistentum und seine Geschichte“ war zu lesen: „Wer hat nicht von jenem ‚Miss Ella-Rummel’ gehört, deren klangvoller Name Anfang der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Europa durchbrauste, von dem Tamtam jener geheimnisvollen Ella Zoraya, die plötzlich als blutjunge, doch furiose Reiterin vor dem Publikum stand, die [...] geradezu einen Taumel der Begeisterung entfachte. Könige und Arbeiter huldigten ihr.“ Und Stephanie Haerdle berichtete: Miss Ellas Frisur wird imitiert, ihre Art die Locken zu legen übernommen. Man trägt die Taille mit einem Posamenten-Besatz verziert als ‚Ella Taille’, kauft ‚Ella-Kämme’, ‚Ella-Fächer’, ‚Ella-Taschen’ und ‚Ella-Bijouterieschmuck’.“

Shauna Vey hingegen urteilt: „Zoraya hat die Grenzen der Zuschauererwartung überschritten, indem sie die wahrgenommenen Konventionen sowohl des Genres als auch der Weiblichkeit verletzt hat.“

Zweifel an der Weiblichkeit Ella Zorayas wurden laut, nachdem ab den 1860er Jahren männliche Merkmale immer deutlicher ihr Äußeres prägten, sie mit einer Zirkusmitarbeiterin durchbrannte und diese schließlich heiratete. Fortan trat Ella Zoraya auch unter dem Namen Omar Kingsley auf.

Omar Kingsley starb wohl neununddreißigjährig in Ostindien an den Pocken. Allerdings soll er auch noch Jahre danach in Cincinatti gesehen worden sein.

Johann Strauss (Sohn) komponierte „Miss Ella“ zu Ehren die „Ella-Polka“ (op. 160).

 

 

 

Kleopatra VII. Philopator

* 69 v. Chr. in Alexandria, Ägypten, † 12.8.30 v. Chr. ebd., Pharaonin

 

Cassius Dio sagte über Kleopatra: „Sie gewann die beiden größten Römer ihrer Zeit für sich, und wegen des dritten nahm sie sich das Leben.“

Mit Cäsar hatte sie einen Sohn: den Caesarion, den Cäsar zwar anerkannte jedoch nicht als seinen Erben einsetzte. Nach Cäsars Tod wurde Kleopatra die Geliebte von Markus Antonius, der zunehmend an Macht gewann, jedoch schließlich Octavian, den Cäsar als seinen Erben benannt hatte und der als Kaiser Augustus in die Geschichte eingehen sollte, unterlag.

Nach Octavians Sieg nahm sich erst Markus Antonius und dann Kleopatra das Leben. Den Caesarion ließ Octavian sicherheitshalber hinrichten.

Gemutmaßt wurde, dass Kleopatra an der Niederlage ihres Geliebten Markus Antonius nicht ganz unbeteiligt gewesen sei, dass sie ihn zugunsten des 18 Jahre jüngeren Octavian verraten haben könnte, um ihre Machtansprüche weiter zu sichern.

Die wahren Umstände ihres Todes wurden viel diskutiert aber nie geklärt. Angeblich habe sich Kleopatra ja im Bade von einer Kobra beißen lassen…

 

 

 

Evangelista Torricelli

* 15.10.1608 in Faenza, † 25.10.1647 in Florenz, italienischer Physiker

 

Evangelista Torricelli gilt als einer der herausragenden Physiker und Mathematiker des Barock. Er trug zur Entwicklung der Infinitesimalrechung bei, entwickelte das „Torricellische Ausflussgesetzt“ für ausströmende Flüssigkeiten, verbesserte Galileis Fernrohr und entwickelte unter anderem auch ein einfaches, aber leistungsstarkes Mikroskop.

Berühmt wurde er jedoch, da es ihm als Ersten gelang, ein Vakuum für längere Zeit aufrechtzuerhalten, eine „torricellische Leere“ zu erzeugen. René Desacartes bezweifelte das zwar, meinte ein Vakuum sei bestenfalls in Torricellis Kopf vorhanden, aus seinen Exeperimenten entwickelte Torrcicelli jedoch das Quecksilberbarometer. Zudem erklärte er die Entstehung von Wind als Folge von Druck- und Temperaturunterschieden korrekt.

Lange Zeit war „Torr“ die Maßeinheit für den Luftdruck: 1 Torr = 1 mm Hg = 1 mm Quecksilbersäule.

Evangelista Torricelli starb im Alter von nur 39 Jahren wahrscheinlich an Typhus.

 

 

 

Dennis Carl Wilson

* 4.12.1944 in Inglewood, Kalifornien, † 28.12.1983 in Marina del Rey, Kalifornien, amerikanischer Rockmusiker

 

Der Beach Boy Dennis Wilson schrieb den Text für „You are so beautiful”, eine Ballade, die durch Joe Cocker zum Welterfolg werden sollte.

Bei den Beach Boys hatte er seinen Bruder Brian inspiriert, Songs übers Surfen zu komponieren und damit den Ruhm der Band mitbegründet. Weniger ruhmvoll allerdings war seine Zusammenarbeit mit Charles Manson, die jedoch nach der Produktion eines Demo-Bandes und vor Mansons Mordattacken endete.

Dennis Wilson starb im Alter von 39 Jahren im Hafen von Marina del Rey, als er zugedröhnt nach Gegenständen tauchte, die er zuvor von seiner Yacht ins Meer geschmissen hatte.

You are so beautiful to me / Can’t you see / You’re everything I hoped for…

Er wurde mit Sondererlaubnis durch Gouverneur Reagan auf See bestattet, wozu ein anderer Beach Boy, Al Jardine, sagte: „The Beach Boys‘ entire career is bathed in Dennis’ love of the ocean. It was only right that he went back there.”

Dennis Wilson war fünfmal verheiratet, zuletzt mit der Tochter seines Bandkollegen Mike Love. Scott, einer seiner Söhne, schrieb später: „All I could see was my father’s body disappearing into the water forever.”

 

 

 

Dylan Thomas

* 27.10.1914 als Dylan Marlais Thomas in Swansea, † 9.11.1953 in New York, walisischer Dichter

 

In der letzten Geschichte seines von James Joyce inspirierten Erzählbandes „Porträt des Künstlers als junger Dachs“ lässt Dylan Thomas seinen Protagonisten denken: Dichter leben auf Schritt und Tritt mit ihren Gedichten; ein Mann mit Visionen braucht keine andre Gesellschaft…

 

Der Schriftsteller Karl Heinz Berger meinte: „Es war eigentlich ein unspektakuläres Leben, das der am 27. Oktober 1914 in der walisischen Hafen- und Industriestadt Swansea Geborene geführt hat, hauptsächlich gezeichnet von den Mühen um den Lebensunterhalt und der gefühlten Notwendigkeit, sich in Vers und Prosa auszudrücken. Nicht einmal mit der Aufzählung diverser Beschäftigungen vom Streckenarbeiter bis zum Koch, mit denen die Vita so mancher prominenter Literaten geschmückt ist, läßt sich aufwarten. Er hat beim Literarischen verharrt, freilich beim Literarischen in seinen verschiedensten Ausprägungen, vom Dichten und Erzählen bis hin zum Verfassen von Kritiken, dem Schreiben und Vortragen von Funkmanuskripten und dem Entwerfen von Drehbüchern für Kurz- und Spielfilme.“

 

Mein Handwerk meine trübe Kunst

In der Nacht die Stille bringt

Wenn nur der Mond wütet

Und die Liebenden im Bett halten Not

Und allen Kummer im Arm,

Üb ich bei Licht das singt –

Nicht für Ruhm oder Brot

Oder prahlenden Zauberschwarm

Auf Elfenbeinbühnen behütet

Nein meine Mühe vergütet

Ihres heimlichsten Herzens Gunst.

 

Für den Stolzen der fernbleibt der Brunst

Des wütenden Monds schreib ich nicht

Auf diese Schaumwirbelseiten

Noch für jene die ragen im Tod

Mit Nachtigallen und Psalmen,

Nur für Liebende in deren Armen

Liegen die Leiden der Zeiten

Und die mir nicht Feste bereiten

Und nicht achten auf meine Kunst.

 

In einem Brief bekannte Dylan Thomas: Der Dichter ist sich selbst das Gesetz, und seine Größe oder Klarheit steht und fällt damit. Er hat nur eine Begrenzung, und das ist die weitestgestreckte von allen: die Begrenzung durch die Form. Poesie findet ihre eigene Form; Form sollte nie aufgezwungen werden; die Struktur sollte aus den Worten aufsteigen, und sie möchte ich nicht ausdrücken lassen, was andere Leute gefühlt haben; ich möchte eine Hülle wegreißen und etwas zeigen, was die Leser nie gesehen haben.

 

Lyrik wie die Dylan Thomas’ gilt als kaum eins zu eins übersetzbar. Allein die erste Strophe seines Gedichts „Fern Hill“ – ein Ort seiner Kindheit, der in der ersten Erzählung von „Porträt des Dichters als junger Dachs, in „Die Pfirsiche“ eine tragende Rolle spielt, klingt in der Nachdichtung Erich Frieds anders an als in der Reinhard Paul Beckers oder der Heinz Pionteks:

 

Now as I was young and easy under the apple boughs

About the lilting house and happy as the grass was green,

   The night above the dingle starry,

     Time let me hail and climb

   Golden in the heydays of his eyes,

And honoured among wagons I was prince of the apple towns

And once below a time I lordly had the trees and leaves

     Trail with daisies and barley

   Down the rivers of the windfall light.

 

Als ich noch jung war und leicht unter den Apfelzweigen

Rund um das trällernde Haus, und so glücklich war ich wie das

                                                                                       Gras grün

   Und die Nacht überm Talgrund voll Sternen,

     Ließ Schwager Zeit mich Holla rufen und klettern

   Golden in seiner Augen Erntezeit.

Und geehrt bei den Heuwagen war ich der Prinz der Apfelstädte

Und einmal vor tiefer Zeit gebot ich den Bäumen und Blättern

     Mit Maßliebchen und Gerste

   Die Flüsse des unreif fallenden Lichtes hinunterzuziehn.

 

Als ich jung war und leicht unter den Apfelzweigen

Um das wiegende Haus und glücklich weil das Gras grün war

   Und die Nacht über der Waldschlucht bestirnt,

     Ließ die Zeit mich jubeln und steigen

   Golden in den Glückstagen ihrer Augen

Und ehrenvoll unter Wagen war ich der Prinz der Apfelstädte,

Und es war einmal ich, der gebieterisch Bäume und Laub

     Mit Gänseblümchen und Gerste

   Die Ströme des Fallobstlichts hinabziehn ließ.

 

Ja, als ich jung war und leicht unter dem Apfelgezweig

Rund um das trillernde Haus und selig wie grünendes Gras war,

Die Nacht sternbrennend über der Schlucht,

Ließ mich die Zeit jauchzen und steigen

Golden in den aufschäumenden Augenblicken,

Und geehrt unter den Erntekarren war ich ein Prinz der Apfelstädte,

Und einmal vorzeiten hieß ich gebieterisch Bäume und Laub

Mit Gänseblumen, mit Gerste

Hinabziehn die Ströme des Fallobstlichts.

 

Johannes Bobrowski dichtete über Dylan Thomas: „… Marlais, / dem Wimperstreif folg, / einem zornigen Schwalbenflügel, / ehe der Strom / rauscht, die Wasser heraufgehn / um die Mauer, Babel ertrinkt, die verwirrte / Rede, Geschrei, von der Zinne / das Flüstern zuletzt.“

 

„Man hat es als einen Widerspruch empfunden, daß Dylan Thomas ein überaus lebensfroher und zugleich tragischer Dichter gewesen ist. Er fürchtete zwar den Tod, aber mehr noch fürchtete er den Tod im Leben, ein Leben ohne Leidenschaft. Äußerste Freude setzt sich jedoch auch äußerster Gefahr aus; sie wagt das bedingungslose Leben, und eben das grenzt an den Tod. Dylan Thomas kannte dieses unabwendbare Gesetz, und er hat das Risiko des frühen eigenen Todes auf sich genommen, um das Lebendige preisen zu können. Wie kein anderer Dichter unserer Zeit hat er dieses Gesetz in seinem Leben und in seiner Lyrik verwirklicht“, sagte der Lyriker Michael Hamburger.

 

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Die nackten Toten die sollen eins

Mit dem Mann im Wind und im Westmond sein;

Blankbeinig und bar des blanken Gebeins

Ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht.

Wenn sie irr werden solln sie die Wahrheit sehn,

Wenn sie sinken ins Meer solln sie auferstehn.

Wenn die Liebenden fallen – die Liebe fällt nicht;

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

 

„Wenn Dylan Thomas vom Tod spricht, dem kein Reich mehr bleiben soll, spricht er in höchster wortschöpferischer Dichte von der Dialektik der Natur, von der Vielschichtigkeit aller Existenz auf dieser Erde“, urteilte Bernhard Scheller. „Um seinen frühen Tod ranken sich Legenden und Gerüchte, Freunde in aller Welt trauern um ihn. Igor Strawinsky, der mit Dylan gemeinsam an einer Oper nach Homers ‚Odyssee’ arbeiten wollte, schreibt eine Kantate in memoriam. Am 24. November 1953 wird der Dichter in Laugharne beigesetzt, die Kneipen des Städtchens haben an diesem Tag rund um die Uhr geöffnet…“

 

 

 

Dietrich Bonhoeffer

* 4.2.1906 in Breslau, † 9.4.1945 im KZ Flossenbürg, deutscher Theologe

 

Dietrich Bonhoeffer, einer der profiliertesten Vertreter der Bekennenden Kirche, wurde auf ausdrücklichen Befehl Hitlers als einer der letzten Nazi-Gegner, die mit dem Stauffenberg-Attentat in inhaftiert waren, noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs hingerichtet.

Schon am Anfang der Nazi-Herrschaft hatte er sich gegen die Gleichschaltungspolitik geäußert: Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst und drei kirchliche Grundaufgaben formuliert: „1. Die Kirche hat den Staat zu fragen, ob sein Handeln von ihm als legitim staatliches Handeln verantwortet werden könne […] 2. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören […] 3. Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.

Zum Jahreswechsel 1942/43 notiert er: Man muß damit rechnen, daß die meisten Menschen nur durch Erfahrungen am eigenen Leibe klug werden […] Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christi gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden. […] Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und daß es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, daß Gott kein zeitloses  Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.

Und Dietrich Bonhoeffer brachte auch ein „Stellvertretendes Schuldbekenntnis“ zu Papier: Ich bin schuldig des ungeordneten Begehrens, ich bin schuldig des feigen Verstummens, wo ich hätte reden sollen, ich bin schuldig der Heuchelei und der Unwahrhaftigkeit angesichts der Gewalt, ich bin schuldig der Unbarmherzigkeit und der Verleugnung der Ärmsten meiner Brüder, ich bin schuldig der Untreue und des Abfalls von Christus. […] Diese vielen Einzelnen schließen sich ja zusammen in dem Gesamt-Ich der Kirche. In ihnen und durch sie erkennt die Kirche ihre Schuld. Die Kirche bekennt, ihre Verkündigung von dem einen Gott, der sich in Jesus Christus für alle Zeiten offenbart hat und der keine anderen Götter neben sich leidet, nicht offen und deutlich genug ausgerichtet zu haben. […] Sie hat dadurch den Ausgestoßenen und Verachteten die schuldige Barmherzigkeit oftmals verweigert. Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie. […] Die Kirche bekennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Haß und Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie ist schuldig geworden am Leben der schwächsten und wehrlosesten Brüder Jesu Christi. […] Die Kirche bekennt, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre, auf die sie keinen Anspruch hatte, und so die Begierden der Menschen nicht gezügelt, sondern gefördert zu haben. Die Kirche bekennt sich schuldig des Bruchs aller zehn Gebote, sie bekennt darin ihren Abfall von Christus. […] Durch ihr eigenes Verstummen ist die Kirche schuldig geworden an dem Verlust an verantwortlichem Handeln, an Tapferkeit des Einstehens und der Bereitschaft, für das als recht Erkannte zu leiden. Sie ist schuldig geworden an dem Abfall der Obrigkeit von Christus.

Der SS-Arzt, der Dietrich Bonhoeffers Hinrichtung begleitet hatte, schrieb zehn Jahre danach: „Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor der Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knieen. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefaßt die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“

 

 

 

 

 

 Alfredo Catalani

* 19.6.1854 in Lucca, † 7.8.1893 in Mailand, italienischer Komponist

 

Alfredo Catalanis wohl bedeutendstes Werk die Opfer „La Wally“, erwuchs aus dem volkstümlichen Roman „Die Geierwally“ von Wilhelmine von Hillern. Immerhin gab Arturo Toskanini, der gern Opern Catalanis dirigierte, einer seiner Töchter den Namen Wally. Und Gustav Mahler hielt „La Wally“ für die beste italienische Oper schlechthin.

Sein letztes Werk, die Oper „Nella Selva“ blieb jedoch nur ein Entwurf, da Alfredo Catalani im Alter von 39 Jahren an Tuberkulose starb.

 

  

 

Daniel Damasio Ascencio Filipe

* 1.2.1925 auf Boa Vista, † 6.4.1964 in Lissabon, kap-verdischer Autor

 

Daniel Damasio Ascencio Filipe schrieb mutig gegen den Faschismus in Portugal an. Die Geheimpolizei des Diktators Salazar verhaftete und folterte ihn daraufhin. Im Alter von 39 Jahr starb Daniel Damasio Ascencio Filipe an den Folgen dieser Verhöre.

Jeanny und ich besuchten im 2017 sein seit den 1970er Jahren von Portugal unabhängiges Heimatland, ich notierte:

Am Cabo Verde, der Westspitze Afrikas, stand ich vor 15 Jahren und träumte mich zu den Kapverden hinüber, atlantischer Archipel, unbesiedelt bis die Portugiesen, unwirtlich bis die Touristen kamen. Verde, grün, jedoch war wohl nur ich (sprichwörtlich), ja, bis mir grünte, dass dort draußen längst der Sahel beginnt, also Gelb angesagt wäre, amarelo. (Wobei Gelb meine Lieblingsfarbe ist, was womöglich erklärt, weshalb ich immer mal wieder zu kapverdischen Pauschalreiseangeboten schielte.)

Zwischenlandung auf Boa Vista, dann Sal – unsere Urlaubsinsel im 15-Insel-Archipel Cabo Verde. Erster Eindruck: Brauntöne dominieren diese beiden Inseln, wenig Grün. Frühlingshafte Temperatur, laues Lüftchen aus Nordost, sehr angenehm. Weniger, dass wir zwar in Deutschland die notwendigen Visa beantragt und bezahlt hatten, die Reisegesellschaft diese aber offenkundig nicht besorgte. Einreise-Chaos also. Es dauert bis wir im Hotel sind…

Das allerdings hält, was es versprach, weitläufige Anlage, Gebäude im maurischen Stil und in Braun, castanho. Gutes Essen, hiesiges auch, Fisch vor allem.

Alsbald zieht es jedoch zu, und aus schwarzem Himmel fällt Regen. Meingott, es hieß doch stets, dass es hier im Februar absolut sonnensicher und regenfrei sei. Vielleicht erleben wir hier sogar, das Sal grün wird…

Meine Stimmung bessert sich wieder etwas nach dem Genuss von einem, nein zugegeben: zwei Gläschen Grogue. Kein Zynismus! Grogue wird nicht verwässert und heiß serviert, sondern Grogue heißt der hiesige Rum – sehr lecker, Prost!

Heftiger Sturm in der Nacht. Am Morgen dann jedoch endlich Sonne – klar, ist ja auch Sonntag…

Noch vor wenigen Jahren galt Kap Verde als eines der ärmsten Länder der Welt, nunmehr zählt es zu den wohlhabenden Afrikas: offenbar dank einer gesunden Autarkie – vor allem in der Energiewirtschaft: zunehmend Wind- und Solarparks statt Erdölimporten. Lebensmittel müssen aufgrund der großen Trockenheit jedoch nach wie vor fast ausschließlich importiert werden. Wichtig auch für den Aufschwung: der Tourismus. Und nicht zuletzt: von den rund 1,2 Millionen Kap Verdern leben nur etwa 500.000 im Land. Und die „Auslands-.Kapverder“ transferieren reichlich Geld an die Familien in der Heimat… Immerhin schafft es Kap Verde mittlerweile auf einen Mittelplatz (Tendenz aufsteigend) im Human Development Index und das Bruttosozialeinkommen pro Kopf liegt bei rund 2.900 US$ (kaum weniger als dem Armeniens) - Platz 101.

Die kapverdische Literatur zählt zu den produktivsten Afrikas. Dank der Inselsituation? Ähnlich der Literatur Islands für Europa? -erstaunlich was da 300.000-Wikinger-Nachfolger so hervorbringen. Allerdings herrscht auf Kap Verde (bis auf gestern) meist besseres Wetter.

Im Vergleich zwischen dem, was Klassiker der kapverdischen Literatur schrieben zu dem, was heutige Autoren zu Papier bringen, werden gesellschaftliche Entwicklungen auch deutlich. So schrieb Baltasar Lopes 1947 in seinem durchaus lesenswerten Roman „Chiquinho“: „Wir sind wie Vögel in einem Käfig. Und das Schlimmste ist, daß die Tür des Käfigs offen steht, wir aber trotzdem nicht herauskönnen…“ Doch Germano Almeida 1991 in „Das Testament des Herrn Napumoceno“: „… so hatte er es dennoch auch für seine Pflicht gehalten zu erklären, dass er die Wohltaten der Wissenschaft und der Technik gewaltig überschätzt habe, zumindest was unsere Inseln betraf, denn am Ende sei er zum Schluss gekommen, dass die Hand, die die kleinen wunderbaren Dinge schuf, auch die todbringendsten Werkzeuge zur Zerstörung der Menschen geschaffen habe. Und man könnte, verfolgte man diesen Gedanken weiter, einerseits sagen, dass wir zwar arm sind, weil unsere Kaianlagen nicht einmal über Kräne verfügen, andererseits aber auch, dass wir zwar arm sind, jedoch nicht Gefahr laufen, uns selbst zu zerstören. Daher erschien ihm das Wichtigste zu sein, die Friedfertigkeit der Inseln zu erhalten, ihre Stille, die der eines verlorenen Paradieses glich. Wir sollten daher alle Anstrengungen auf uns nehmen, mit Zähnen und Klauen jedes Ansinnen zu bekämpfen, das die Grundfesten unserer Sicherheit erschüttern könnte, denn was bringt es dem Menschen, allen Reichtum der Welt zu erlangen, wenn er seine Seele verliert? Kein Vermögen ist so groß, dass es unseren Frieden ersetzen könnte.“

Montag: Santa Maria , größte Stadt Sals, rund 25.000 Einwohner. Der Autor meines Reiseführers scheint allerdings noch nie hier gewesen zu sein. Einen hoch im Zentrum aufragenden Kirchturm beschreibt er. Beim Versuch mich daran zu orientieren, so ins Zentrum Santa Marias zu finden, kann ich aber beim besten Willen nichts turmähnliche entdecken. Als wir dann irgendwann rein zufällig doch vor einem Kirchlein stehen, überragt dessen Turmkreuz nicht mal die windschiefen Fernsehantennen auf den umliegenden Dächern… Und der mehrmals als wahre Weltsensation gepriesene, angeblich von Menschengewimmel gepriesene Fischerkai Cais de Pesca erweist sich als klapprige Landungsbrücke, auf der einige Matronen Fisch ausnehmen und zum Trocknen auslegen. Foto und gut.

Dafür versuchen die Souvenirhändler hier, Schund zu Weltspitzenpreisen zu verhökern. Ein Wunder fast, dass ich meinen obligaten Souvenirmagnet am Ende halbwegs akzeptabel erwerben kann…

Auffällig die riesigen Flächen am Stadtrand, die für Hotelneubauten ausgewiesen sind, protzige Schautafeln. Woher will dieses Inselchen, dieses Städtchen die Ressourcen und Kapazitäten nehmen, sollten tatsächlich einmal Touristen en masse all diesen Betonklötzen zuströmen? Insofern fast gutes Zeichen wohl, dass einige der begonnenen Bauten offensichtlich schon Ruinen sind. Ein Casino-Komplex (knallrot! – escarlate!) scheint jedoch fertig, der selbst Las Vegas zur Ehre gereichen könnte. Na denn, gut Glück!

Die Grande Dame der kapverdischen Musik, Cesária Évora sang 2006 mit sehnsüchtig-warmen Alt:

 

Der Himmel hat sich aufgeklärt

Das Bewusstsein sich erhellt

Die Zeit ist gekommen, der Realität sich zu stellen

Ein armes Volk hat sein Leid gelindert

Um zu leben in Freiheit und Fortschritt

Ich habe Vertrauen in unsere Fähigkeiten

Mutter Afrika wird glücklich sein eines Tages

 

Afrika, Afrika, Afrika

Mein Afrika, unser Afrika

Afrika, Afrika, Afrika

Wege der Welt, fruchtbarer Kontinent

 

Senegal und die Kapverden sind sich nicht so fern

Ich kann sagen, dass diese zwei Länder eins sind

Da es uns bestimmt ist, bitte ich Gott um die Vereinigten

Staaten von Afrika

So dass mein Traum endlich wahr wird für dich und unsere

Mutter Afrika…

 

 

 

Johann Georg Adam Forster

* 27.11.1754 in Nassenhuben, Preußen, † 10.1.1794 in Paris, deutscher Naturforscher und Revolutionär

 

Erik Neutsch sinnierte in seiner Erzählung „Forster in Paris“: „…es stimmte nicht, dass er, Georg Forster, was man ihn nunmehr in Deutschland anhängen wollte, ein Mann von groben Manieren und ungeschliffenen Umgangsformen sei, ein Eigenbrötler, eine Art Robinson, den zwar kein Schiffbruch, jedoch die langjährige Weltreise mit Cook aller Zivilisation entwöhnt und für die Feinheiten der Sitten nahezu unempfänglich gemacht habe. Er mochte nur nicht die Leisetreter, die Schwätzer, die Höflinge, Leute, die sich aufplusterten wie Paradiesvögel, aufbliesen wie Fregatthähne während der Balz, wenn sie ihre roten Kehlhäute blähten und weiter nichts von sich gaben als Schnabelrasseln – die waren ihm stets zuwider gewesen, und lediglich insofern konnte es sein, dass er sich für europäische Begriffe ein Stück von der Rauheit des Meeres, der Natürlichkeit unberührter Inseln und Landstriche in seinem Charakter bewahrt hatte. Deshalb, seiner unbedingten Ehrlichkeit wegen, seines Abscheus vor Halbheiten, schlimmer: vor Inkonsequenz im Denken und Handeln, hatte er sich mit Campe überworfen, mit Spener zerstritten, seinen Verlegern…“

Johann Georg Foster war als Naturforscher bei der ersten Weltumseglung von West nach Ost dabei, hatte darüber das legendäre Buch „Reise um die Welt mit Kapitän Cook“ geschrieben, wurde in die Royal Society wie in die Leopoldina gewählt, lehrte als Hochschulprofessor in Kassel und Wilna und begrüßte als Mitglied des Mainzer Jakobinerklubs die Französische Revolution.

Seine Ansichten galten seit langem als revolutionär, so hatte er entgegen der seinerzeit selbst von Kant vertreten Rassen-Theorie geäußert, daß die Natur des Menschen zwar überall klimatisch verschieden, aber im ganzen, sowohl der Organisation nach, als in Beziehung auf die Triebe und den Gang ihrer Entwickelung, spezifisch dieselbe ist.

Und nach dem Sturm auf die Bastille hatte er in einem Brieg geschrieben: Schön ist es aber zu sehen, was die Philosophie in den Köpfen gereift und dann im Staate zustande gebracht hat. […] Also ist es doch der sicherste Weg, die Menschen über ihre Rechte aufzuklären; dann gibt sich das übrige wie von selbst.

Auch mit Alexander von Humboldt ging er auf Reise und verfasste darüber das dreibändige Werk „Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790“, das sogar von Goethe gelobt wurde: „so angenehm als unterrichtend, man mag, wenn man geendigt hat, gerne wieder von vorne anfangen und wünscht sich, mit einem so guten, so unterrichteten Beobachter zu reisen“.

Als Mitglied des ersten demokratischen Parlaments Deutschlands, des Nationalkonvents, war er nach Paris entsandt wurden, um den Anschluss der von ihm mitgegründeten Mainzer Republik an Frankreich zu beantragen. Der Antrag kam jedoch zu spät, anti-französische Koalitionstruppen eroberten Mainz zurück. Über Forster wurde die Reichsacht verhängt, er konnte nicht zurück nach Deutschland, saß völlig mittellos in Paris fest, erkrankte schwer und starb infolge einer Lungenentzündung.

Kurz vor seinem Tode hatte er noch notiert: Die Revolution ist ein Orkan. Wer kann ihn hemmen? Ein Mensch, durch sie in Tätigkeit gesetzt, kann Dinge tun, die man in der Nachwelt nicht vor Entsetzlichkeit begreift.

Wer weiß, ob Georg Forster nicht auch dem großen Terror unter Robespierre zum Opfer gefallen, nicht auch guillotiniert worden wäre, wer weiß, ob dieser kluge, aufrechte Aufklärer und Revolutionär diese Phase der Revolution überlebt hätte.

 

 

 

Augustin Jean Fresnel

* 10.5.1788 in Broglie, † 14.7.1827 in Ville-d’Avray, französischer Physiker

 

Als Neunjähriger konnte Augustin Jean Fresnel noch nicht lesen, fünf Jahre später trat er jedoch in die École polytechnique ein, die er als Ingenieur mit Auszeichnung absolvierte. Im Alter von 30 Jahren schrieb er eine Abhandlung über die Beugung des Lichts, für die er den Preis der Pariser Académie des sciences erhielt. Im Jahr darauf wurde er zum Sekretär der Kommission für Leuchttürme ernannt, nachdem er für Leuchttürme spezielle Spiegel, die Fresnel-Linsen entwickelt hatte. Nach ihm wurde die Fresnel-Zahl benannt, die ein  Maß für die Stärke der Beugung an einer Blende angibt.

Augustin Jean Fresnel im Alter von 39 Jahren an Tuberkulose.

 

  

 

 

Petar Kočić

* 29.6.1877 in Zmijanje bei Banja Luka, † 27.8.1916 in Belgrad, serbischer Schriftsteller

 

Auf dem Weg nach Zmijanje blasen vorm alten habsburgischen Bahnhof Banja Lukas, Zigeuner für eine Hochzeit auf. Komm! Trinken! Tanzen!

Dann im Gewimmel der Kočić-Korrida, (Bullenreiten in memoriam der Dichter-Ikone), reicht mir ein Alter seinen Flachmann und radebrecht, kaum dass er hört, dass ich Deutscher bin, er sei Partisan gewesen, damals. Komm! Trinken! Vorbei!

Und am Nachbartisch schmettert ein Damenkränzchen beim Spanferkelessen inbrünstig serbische Volkslieder.

Unwetter wirbelt Unrat hoch, sage ein Sprichwort, toastet der Korrida-Direktor und stößt mit mir aufs Wohl der Poesie an. Komm! Trinken! Komm!

Ein graumähniger Poet erzählt, ihm sei etwas eingefallen als er neulich im Stadtpark eine Nackte fotografierte. Am Abend lesen wir anlässlich des Geburtstages live im Republika Srpska TV. Trinken! Trinken! Trinken!

Na, Prost.

 

 

 

Blaise Pascal

* 19.6.1623 in Clermont-Ferrand, † 19.8.1662 in Paris, französischer Gelehrter

 

Im Alter von 19 Jahren erfand Blaise Pascal die Pascaline, eine mechanische Rechenmaschine. Als Vierundzwanzigjähriger veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Vakuum-Experimente unter dem Titel „Traité sur le vide“. Im Jahr darauf publizierte er über das Gesetz der kommunizierenden Röhren, und als Neunundzwanzigjähriger verfasste er eine Abhandlung über Hydrostatik und begann sich auch für Philosophie sowie die Theorie des Glückspiels zu interessieren. Er beschäftigte sich mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung und weiteren mathematischen Problemen. Als Einunddreißigjähriger publizierte er den „Traité du triangle arithmétique“ über das Pascalsche Dreieck und die Binomialkoeffizienten, worin er auch erstmals das Beweisprinzip der vollständigen Induktion explizit formulierte, den „Traité des ordres numériques“ über Zahlenordnungen und die „Combinaisons“ über Zahlenkombinationen. Und nach einem Erweckungserlebnis wurde er fromm.

Um 1655 führte er im Kloster Port Royal des Champs ein Gespräch mit seinem Beichtvater, in dem er zwischen den beiden Polen der montaigneschen Skepsis und der stoischen Ethik Epiklets eine Skizze der Anthropologie bietet, die er später in den „Pensées“ entwickeln sollte. Dann schrieb er seine „Provinzlerbriefe“: „achtzehn Briefe eines fiktiven Paris-Reisenden namens Montalte, von denen die ersten zehn an einen fiktiven Freund in der heimatlichen Provinz gerichtet sind, die nächsten sechs an die Pariser Jesuitenpatres insgesamt und die letzten beiden speziell an den Beichtvater des Königs. In diesen Briefen beschreibt Montalte zunächst in der Rolle eines theologisch unbeschlagenen und naiven jungen Adeligen, wie Jesuiten ihm altklug und herablassend ihre Theologie erklären; später, nachdem er quasi seine Lektion gelernt hat, beginnt er mit ihnen zu diskutieren und so scharfsinnig wie witzig ihre Lehren ad absurdum zu führen. Pascal persiflierte und attackierte so die zwar gewissermaßen verbraucherfreundliche, aber tendenziell opportunistische und oft spitzfindige Theologie –die berühmte Kasuistik– der Jesuiten und entlarvte ihren sehr weltlichen Machthunger. Die Lettres provinciales hatten, obwohl sie nach der Nr.5 verboten wurden, bei Erscheinen der Buchausgabe auf den Index kamen und 1660 sogar vom Henker verbrannt wurden, großen und langandauernden Erfolg und bedeuteten längerfristig den Anfang vom Ende der Allmacht der Jesuiten, zumindest in Frankreich. Wegen ihrer Klarheit und Präzision gelten sie als ein Meisterwerk der französischen Prosa, das ihrem Autor einen Platz unter den Klassikern der französischen Literaturgeschichte verschaffte.“ (Wikipedia)

Blaise Pascal verfasste weitere naturwissenschaftliche und philosophische Schriften und gründete im Jahr seines Todes mit einem Freund ein Droschkenunternehmen, womit er den öffentlichen Personennahverkehr in Paris begründete. Er handelte stets nach seiner Maxime Jener, der uns ohne uns geschaffen hat, kann uns nicht ohne uns retten, und starb im Alter von nur 39 Jahren möglicherweise an Magenkrebs.

 

 

 

August von Platen

* 24.10.1796 als Karl August Georg Maximilian Graf von Platen-Hallermund in Ansbach, † 5.12.1835 in Syrakus, Sizilien, deutscher Dichter

 

Den hässlichsten Streit der deutschen Literaturgeschichte fochten wohl August von Platen und Heinrich Heine aus: Platen, der Heine wegen seines Judentums, Heine, der Platen wegen seiner Homosexualität schmähte. In der Literaturkritik geht zumeist Heine, ob seines Witzes als Sieger hervor, dem Platen nur seine Bissigkeit entgegenzusetzen hatte. Infolge dieses Streits kam Platen nicht mehr auf Dauer aus seinem italienischen Exil nach Deutschland zurück, starb dort letztlich schwer alkoholkrank.

 

Es sehnt sich ewig dieser Geist ins Weite,

Und möchte fürder, immer fürder streben:

Nie könnt ich lang an einer Scholle kleben,

Und hätt ein Eden ich an jeder Seite.

 

Mein Geist, bewegt von innerlichem Streite,

Empfand so sehr in diesem kurzen Leben,

Wie leicht es ist, die Heimat aufzugeben,

Allein wie schwer, zu finden eine zweite.

 

Doch wer aus voller Seele haßt das Schlechte,

Auch aus der Heimat wird es ihn verjagen,

Wenn dort verehrt es wird vom Volk der Knechte.

 

Weit klüger ist’s, dem Vaterland entsagen,

Als unter einem kindischen Geschlechte

Das Joch des blinden Pöbelhasses tragen.

 

Der Germanist Heinrich Henel schrieb: „Dem Grafen August von Platen hat die böse Fee des Märchens zwei Angebinde in die Wiege gelegt: die Liebe zum eigenen Geschlecht und das Verlangen nach dichterischere Größe. Das waren schlimme Gaben, denn beide Bedürfnisse waren unerfüllbar. Die hohe Intelligenz des Mannes, die Lauterkeit und Stärke seines Charakters gaben ihm das Recht, ungewöhnliche Leistungen von sich selber und leidenschaftliche Erwiderungen seiner Liebe zu erwarten. Beides blieb ihm versagt, denn es war sein Fluch, seine Kräfte am unrechten Ort einsetzen und seine Leibe denen schenken zu müssen, die sie nicht erwidern konnten. Platen hätte ein großer Gelehrter und zugleich Dichter mittleren Ranges werden können, aber das hat ihm nicht genügt. Er setzte alles auf eine Karte seines Dichtertums und war bitter enttäuscht, als die große Leistung und damit der große Ruhm ausblieb. Ebenso hat es ihm weder an der Bewunderung und dem Wohlwollen hervorragender Männer (darunter Schelling, Rückert, Gotthilf Heinrich Schubert, Gustav Schwab und der Archäologe Anselm Feuerbach) noch an der Anhänglichkeit treuer Freunde gefehlt, ab er auch das befriedigte ihn nicht. Was er begehrte, war die sinnlich-übersinnliche Gemeinschaft mit einem schönen und zugleich klugen und kunstbegeisterten Manne. […] Die Aussichtslosigkeit seiner homosexuellen Wünsche und seines dichterischen Ehrgeizes hat Platen früh erkannt, aber natürlich vermochte die intellektuelle Einsicht nichts gegen die Gewalt so tief angelegter Triebe.“

 

 

 

Jóhann Sigurjónsson

* 19.6.1880 in Laxamýri, † 31.8.11919 in Kopenhagen, isländischer Dramatiker

 

Jóhann Sigurjónsson verfasste neun Stücke in isländischer und dänischer Sprache. Im Alter von 24 Jahren erschien „Dr. Rung“, im Alter von 31 sein bekanntestes Werk „Bjærg-Eyvind og hans hustru – Berg-Eyvind und sein Weib“, darin enthalten das weitverbreitete traurige Wiegenlied „Sofðu unga ástin mín – Schlaf meine junge Liebe“. Mit Vierunddreißig schrieb er sein kaum minder bekanntes Schauspiel „Galdra-Loftur – Loftur der Zauberkundige“. Mit Neununddreißig starb Jóhann Sigurjónsson an Tuberkulose.

 

 

 

 

 

Guru Dutt

* 9.7.1925 in Bangalore, † 10.10.1964 in Bombay, indischer Regisseur

 

Guru Dutt gilt als einer der bedeutenden indischen Filmregisseure, Schauspieler und Produzenten und trug in Bombay zum weltweiten Aufstieg Bollywoods bei.

Mittlerweile heißt die Stadt seines Wirkens Mumbai, und im Jahre 2018 wagten Jeanny und ich einen Trip in diese indische Metropole:

Mumbai gilt als lauteste Stadt der Welt, hörten wir. Und Suketu Mehta schreibt: „Wenn Mumbai die Zukunft der urbanen Zivilisation auf diesem Planeten sein soll, so helfe uns Gott.“ Andererseits sollten hier die Bürgersteige mit Gold gepflastert sein und zweifellos ist dies der Standort von Bollywood. Schaun wir also mal - eingedenk einer alten indischen  Spruchweisheit (übertragen von Ludwig Fritze): „Gewöhnlich wird ein großer Lärm gemacht von nicht’gen Dingen; / so mächtig, wie das Messing tönt, vermag nicht Gold zu klingen.“

Die Portugiesen gründeten diesen Ort, nannten ihn Bom Baia, gute Bucht, unter den Engländern wurde daraus Bombay. Und im Zuge der indischen Nationalisierungsbestrebungen gibt’s seit 1996 Mumbai (angeblich benannt nach einer Göttin eines einst hier siedelnden Urvolks).

Ob auf die 22-Millionen-Einwohner-Metropole in puncto Lautstärke der Superlativ abzuwenden ist, sei dahingestellt. Auf dem Weg zum ersten Besichtigungsort, der Victoria-Station, wird im chaotischen Verkehr mit Ochsenkarren über rußende Busse bis zu SUVs und Maseratis gehupt, gehupt, gehupt. Allein 55.000 Taxis sind hier offiziell zugelassen. Und diese gel-schwarzen Tatas hupen besonders oft und schrill… Tuk-Tuks sind im südlichen Teil der Stadt, den alten Kolonialvierteln, verboten. Die lassen aber wohl für die nördlichen Stadtviertel, wo auch diese Vehikel fahren dürfen, für die Slums, eine Steigerung dieses Chaos durchaus erwarten…

Victoria-Station, Weltkulturerbe, heißt heute: Chhatrapati Shivaji Terminus. 2008 begann hier (und an vier weiteren Punkten) einer der schlimmsten Terror-Angriffe auf die Stadt. Ich sehe noch die Fernsehbilder, wie einer dieser pakistanischen Rotzlöffel, dessen Knarre größer als er selbst zu sein schien, durch die riesige, von Menschen wimmelnde Bahnhofshalle stürmte und schoss, schoss, schoss.

Seitdem hat Indien seine Sicherheitsvorkehrungen bis zum Gehtnichtmehr getrieben. Schon diese endlosen Mühen mit dem Visum-Antrag (von den haarigen Kosten ganz zu schweigen), dann diese nervenden Pässe-Abgaben-und-Einreisezettel-Erhalten-Spielchen, das ständige Vorzeigenmüssen von Papieren, Sicherheitsschleusen, -kontrollen allenthalben. Nun gut, wenn’s denn wirklich nützte…

Bedrohlicher als der Verkehrslärm wirkt auf mich aber die Bausubstanz der Stadt. Auf der einen Seite wachsen Hochhäuser in den Himmel und wird eine Metro gegraben, andererseits sind ganze Straßenzüge mit (Kolonial)Häusern, die dereinst mal sehr schön gewesen sein müssen, derart verwohnt, verkeimt, erodiert, dass es bis zu Einstürzen nicht mehr lange dauern wird.

Nächste Station: das Haus, in dem Mahatma Gandhi von 1917 bis 1934 lebte. Sein schlichtes Arbeits- und Wohnzimmer ist zu sehen, sein Spinnrad, seine Sandalen, dann auch seine Bibliothek, zudem eine Ausstellung, Schaubilder zu den wichtigsten Stationen seines Lebens (die offenbar selbst Analphabeten Informationen vermitteln dürften), auch Fotos und Autographe. Ermordet wurde der große Hindu Gandhi von einem fanatische Hindu, der verhindern wollte, dass sich aus den Angehörigen aller Religionsgemeinschaften, aus Hindus und Moslems vor allem, nach der Unabhängigkeit von England ein Volk entwickelte, das die Sitten, Rituale, Ansichten des jeweils toleriert und gemeinsam eine Zukunft baut. Gemäß hinduistischer Vorschrift wurde Gandhi 1948 am Tag nach seinem Tode auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Das entsprechende Foto der Ausstellung ist mit so beschriftet: „From unreal to real / From dark to light / From death to immortality…”

Bezeichnenderweise war ein Fanal, das letztlich 1947 zur Unabhängigkeit hinführte, ein Aufstand von Matrosen in Bombay – und das Motto dieser Proteste war, dass Hindus und Moslems nur gemeinsam stark wären und erfolgreich sein könnten…

Zu den radikalen Unversöhnlichkeiten dieser beiden Hauptbevölkerungsgruppen, kamen noch die gigantischen sozialen Unterschiede in Indien dazu, die Gandhi schon 1944 beschrieb: „Ökonomische Gleichheit ist der Meisterschlüssel zu gewaltloser Unabhängigkeit. Ökonomische Gleichheit bedeutet die Abschaffung des ewigen Konflikts zwischen Arbeitern und Kapital. Es bedeutet, die wenigen Reichen, in deren Händen die Masse des nationalen Reichtums konzentriert ist, auf das gleiche Niveau zu bringen wie die halbverhungerten, nackten Millionen, deren Niveau erhöht werden muß.“

Und die Schere der Ungerechtigkeit klafft immer weiter auf (auch wenn uns mehrmals versichert wird, dass in Mumbai jeder Arbeit finden könne, der Arbeit suche). Mittlerweile ist Indien der Staat mit der größten Bevölkerung der Welt: 1,4 Milliarden Menschen! Da braucht es radikale neue Denkansätze, wie dereinst Gandhis Ideen des gewaltlosen Widerstands, um Perspektiven für diesen riesigen Subkontinent zu eröffnen.

Immerhin wird in Indien diskutiert, ein Grundeinkommen für jeden Bürger einzuführen. Andererseits provoziert derzeit eine hindu-nationalistische Regierung wieder Konflikte mit den Moslems. So wird ein generelles Verbot des Schlachtens von Kühen und sogar Wasserbüffeln lanciert. Rindfleisch jedoch ist eine Ernährungsgrundlage für zahllose Arme und vor allem für Moslems. Aktuelle Parole der Hindu-Hetzer: Wer das Tier tötet, das unseren Kindern Milch gibt, muss unser Feind sein…

Nächste Besichtigung: ein von der Hare-Krishna-Bewegung betriebener Hindu-Tempel. Ein orange gekleideter, europäischer, verzückt blickender Jüngling überreicht uns am Eingang einen Flyer – auf Deutsch! – Darin „Antworten auf Ihre Fragen“: „Was ist der Beutel, den viele Leute in der rechten Hand tragen?

Eine Meditationskette. Auf jeder Perle wird einmal das Mantra: Hare Krishna Hare Krishna Krishna Krishna Hare Hare, Hare Rama Hare Rama Rama Rama Hare Hare gechantet. Dieses Mantra ist eine spirituelle Tonschwingung, die das Bewusstsein läutert und unsere Liebe für Gott wiederherstellt. Krishna bedeutet „allanziehend“, Rama „Ursprung allen Glücks“ und Hare „göttliche Energie“. Daher bedeutet das Mantra „O Allanziehender, O Ursprung allen Glücks, O göttliche Energie, bitte stelle mich wieder in Deinen Dienst“. Der Beutel vermeidet, dass die Kette auf dem Boden schleift. Da sie für die Meditation benutzt wird, ist es wichtig, sie mit Respekt zu behandeln.“

Dann die wohl größte Wäscherei der Welt, Freiluftwäscherei! Dhobi Ghat: 8.000 Männer, die Dhobis, arbeiten hier wie seit eh und je (ja, ausschließlich Männer, da es Frauen untersagt ist, von Haus zu Haus zu gehen, um die Dreckwäsche einzusammeln und nach dem Waschen gebügelt wieder ins Haus zu liefern). Angesichts dieses mittelalterlichen Gewusels vor Wolkenkraterkulisse fühle ich mich irgendwie an den Hausgeist bei „Harry Potter“ erinnert, an Dobby… Letzte Stationen: Das Gateway auf India, das Taj Mahal Hotel und das Prince of Wales Museum. Das heißt nun: Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya. Punktum.

Doch zum Abschluss filmreif noch einen Bombay Sapphire, einen doppelten bitte!

 

 

 

Joseph von Fraunhofer

* 6.3.1787 in Straubing, seit 1824 Ritter von Fraunhofer, † 7.6.1826 in München, deutscher Physiker

 

Der Autodidakt Joseph Fraunhofer führte als erster Experimente zur Beugung von Licht an optischen Geräten durch – die Fraunhofer’sche Beugung. Nach ihm benannt wurden auch die Linien im Sonnenspektrum – die Fraunhofer’schen Linien. Er erfand das Spektroskop und baute für seine Zeit sensationelle Fernrohre, mit den Friedrich Georg Wilhelm Struve Doppelsterne untersuchte und Johann Gottfried Galle den Neptun entdeckte. Passend tragen nunmehr auch ein Mondkrater und ein Asteroid Fraunhofers Namen.

Vorbild für junge Forscher und Namensgeber der Fraunhofer-Gesellschaft wurde er vor allem durch seiner Denkweise, exakte wissenschaftliche Arbeit mit deren praktischer Anwendung für innovative Produkte zu verbinden.

Wer weiß, was Joseph von Fraunhofer noch alles gefunden und verbunden hätte, wäre er nicht schon im Alter von 39 Jahren an Tuberkulose gestorben.

 

 

 

Martin Luther King

* 15.1.1929 in Atlanta, † 4.4.1968 in Memphis, amerikanischer Bürgerrechtler

 

Martin Luther King schrieb: Predigen ist für mich ein dualer Prozess. Einerseits muss ich versuchen, die Seele eines jeden Einzelnen zu verändern, damit sich die Gesellschaft verändern kann. Andererseits muss ich versuchen, die Gesellschaft zu verändern, damit sich jede einzelne Seele verändern kann. Darum muss ich mir über Arbeitslosigkeit, Slums und wirtschaftliche Unsicherheit Gedanken machen.

Um die geplante Bürgerrechtsgesetzgebung John F. Kennedys zu unterstützen, bekannte Martin Luther King am 28. August 1963 anlässlich des „Marsches auf Washington für Arbeit und Freiheit“ vor mehr als 250.000 Menschen vor dem Lincoln Memorial: I have a dream…

Danach begann das FBI ihn intensiv zu bespitzeln. Am 22. November 1963 wurde Kennedy ermordet – ein Schock für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, ohne Zweifel auch für Martin Luther King.

Im Herbst 1964 predigte Martin Luther King im geteilten Berlin: Hier sind von beiden Seiten der Mauer Gottes Kinder. Und keine durch Menschenhand gemachte Grenze kann diese Tatsache auslöschen. Ohne Rücksicht auf die Schranke der Rasse, des Bekenntnisses, der Ideologie oder Nationalität gibt es eine untrennbare Bestimmung: Es gibt eine gemeinsame Menschlichkeit, die uns für die Leiden untereinander empfindlich macht. In diesem Glauben können wir aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung schlagen. In diesem Glauben werden wir miteinander arbeiten, miteinander beten, miteinander kämpfen, miteinander leiden, miteinander für die Freiheit aufstehen in der Gewissheit, dass wir eines Tages frei sein werden. … Halleluja!

Ende 1964 wurde Martin Luther King mit dem Friedensnobelpreis geehrt und begann sich ab 1966 zunehmend gegen den Vietnam-Krieg zu wenden, wurde so zur „persona non grata“ im Weißen Haus.

Am 3. April 1968 sagte er in seiner berühmten Rede I've been to the mountaintop im Mason Temple von Memphis, voller Vorahnung wohl, dass er das Promised Land gesehen habe und deshalb nichts und niemanden fürchte und sich keine Sorgen um ein langes und erfülltes Leben mehr mache. Am 4. April 1968 wurde Martin Luther King auf dem Balkon des Memphiser Lorraine Motels erschossen.

 

 

 

Boris Vian

* 10.3.1920 in Ville-d’Avray, Pseudonym: Vernon Sullivan, † 23.6.1959 in Paris, französischer Schriftsteller und Jazz-Trompeter

 

„Boris spielte mit dem Leben / wie andere an der Börse / mit Gendarmen und Dieben / Aber nichts als Falschspieler / sondern als Seugneur / wie die Maus mit der Karte / im Schaum der Tage / im Lichte des Glücks / wie er Trompete spielte / oder Herz-Zerspringen / Und er war ein guter Spieler / unaufhörlich verschob er seinen Tod / auf morgen / Wegen Versäumnis abgeurteilt / wußte er wohl, daß der eines Tages / seine Spur wiederfinden würde / Boris spielte mit dem Leben / und er war gütig zu ihm / Er liebte es / wie er die Liebe liebte / als echter Deserteur des Unglücks“, schrieb Jacques Prévert.

 

Ich möchte fern

Ich möchte gern

Ein großer Dichter werden

Damit die Leute mich

Wie einen Tatterich

Am Kopf mit Lorbeer ehren

Doch leider

Mach ich mir

Aus Büchern nicht genug

Ich lieb’ dafür zu sehr den Krug

Ich denk’ zu sehr auch an der Leut’ Gewinn

Als daß ich gleich zufrieden bin

Zu schreiben ohne Sinn

 

George Brassens meinte: „Wie der Hund seinen Schwanz nötig hat, so braucht das Publikum Chansons von Boris Vian!“

 

Rock-and-roll-Mops

Das hat mich angfacht

Rock-and-roll-Mops

Macht, daß die Schwarte kracht

Rock-and-roll-Mops

Die Kraft verdutzendfacht

Rock-and-roll-Mops

Schafft, daß man’s noh mal macht.

 

Boris Vian Spielkamerad in Kindheitstagen war Yehudi Menuhin. Später war er befreundet mit Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir. Seine Songs sangen Yves Montand, Moulodji, Nana Mouskouri, Henri Salvador, Juliette Gréco, Joan Baez. Er wirkte als Schriftsteller, Ingenieur, Lyriker, Jazztrompeter, Chansonnier, Dramatiker, Schauspieler, Musikkritiker, Übersetzer, wesentliches Mitglied Alfred Jarrys Collège de 'Pataphysique und Leiter der Jazzplattenabteilung bei Philips. Sein Freund Raymond Queneau nannte Vians „Der Schaum der Tage“: „eine der ergreifendsten Liebesgeschichten der Gegenwart.“

 

Eines Tages

Gibt’s noch was andres als den Tag

Etwas das offener, das man den Jodel nennt

Und noch etwas, durchsichtig wie das Geigenharz

Das elegant man sich ins Auge klemmt

Es wird das Orli geben, grausamer

Das Spektakel, gelockerter

Den Höhepunkt, nicht ganz so ewig

Den Bauf, der ständig zugeschneit

Es wird den Chalamonder geben

Den Trunkiboli, leicht barockisiert

Und eine Menge Analogner

Die Stunden werden anders ein

Nicht gleich, ergebnislos

Sinnlos jetzt schon festzulegen

Genaue Einzelheiten

Eins aber ist gewiß: eines Tages

Gibt’s noch was andres als den Tag.

 

 

 

Ernesto „Che“ Guevara

* 14.6.1928 in Rosario, Argentinien, † 9.10.1967 in La Higuera, Bolivien, Revolutionär

 

 

Alles hat sich zum Schlechten gewendet. (…) Der Tag vergeht mit der verzweifelten Suche nach einem Ausweg. (…) Wir erleben einen Tiefpunkt unserer Moral und unseres revolutionären Ruhms.

Ernesto Che Guevara „Bolivianisches Tagebuch“

 

Die letzten Stunden seines Lebens in der Gewalt seiner verachteten Feinde müssen für ihn sehr bitter gewesen sein. Aber niemand war besser als Che darauf vorbereitet, eine solche Prüfung zu bestehen.

Fidel Castro

 

Denkbar: mit dem Auto zum Airport Leipzig-Halle. Flug nach Frankfurt / Main, weiter via Madrid-Barajas nach Santa Cruz de la Sierra 19 Stunden, 40 Minuten. Hotel und bequem einchecken auf die „Ruta del Che“, aus dem Reiseprospekt:

TAG 1

Santa Cruz-Samaipata

Um 7:00 Uhr morgens fahren wir von Santa Cruz nach Samaipata. Diese Stadt wurde einst von den Guerrillero`s des Che eingenommen.

Samaipata – Vallegrande. Spaeter fahren wir los in Richtung Vallegrande. Die Fahrt dauert 2,5 Std. dann erreichen wir die bildschoene im traditionellen Kolonialstiel gebaute alte Stadt. Nach dem Mittagessen besuchen wir die „Che Plaetze“ in Vallegrande: Der Waschraum im Hospital, wo Che`s Leichnam (fuer das Volk und Presse sichtbar) aufgebahrt wurde. Das Che Museum und das Denckmal, ist aufgestellt am Platz, wo Che`s Grab gefunden wurde. Das Grab wurde misteroeser Weise erst nach Jahrzenten gefunden. Wir uebernachten in Vallegrande.

TAG 2

Nach dem Fruchstueck fahren wir in Richtang „La Higuera“. Wir stoppen in Pucara, ein fotogenes Dorf, typisch in den Bolivianischen Taelern. Spaeter geht unsere Reise weiter nach „La Higuera“, Che`s Hinrichtungsstaette. Wir besuchen die Schule, in der Che gefangen gehalten wurde und laufen zu der „Quebarda del Churo“, der Platz seines letzten Wiederstands.

Zurueck in Vallegrande werden wir uebernachten.

TAG 3

Heute machen wir uns auf, zur Rueckreise nach Samaipata. Auf dem Weg zurueck stoppen wir um durch die Kaktuswueste zu laufen und auch die Hoehlenbemalungen von „Mataral“ lassen wir nicht aus. Danach halten wir bei den Wasserfaellen von ‚Cuevas‘ und nehmen ein erfrichendes Bad.

Um 18:00 Uhr sind wir zurueck in Santa Cruz. Dass heisst in Ihrem Hotel.

Diese Tour mit ihren verschiedenen Zielen kann sich durch Strassen und Wetterverhaeltnissen aendern. Bitte kontacktieren Sie uns fuer mehr Information oder Reservierung.

Gracias, genug der Information, gracias, mehr als genug, und reservieren werde ich das nicht, nein, das werde ich nie buchen, es sei denn, ich vertrottele, verblöde, vergesse woher ich komme.

Das ist mir schlichtweg zu billig.

 

Meine Niederlage wird nicht bedeuten, daß der Sieg unmöglich war. Im Bemühen, den Gipfel des Everest zu erreichen, haben viele Niederlagen erlitten, aber schließlich wurde der Everest doch bezwungen.

Ernesto Che Guevara

 

 

 

Ferdinand Lassalle

* 11.4.1825 als Ferdinand Johann Gottlieb Lassal in Breslau, † 31.8.1864 in Carouge, Schweiz, deutscher Schriftsteller und Politiker

 

„Ferdinand Lassalle von der Hand eines walachischen Adeligen im Duell tödlich verletzt! Lassalle an den Folgen eines Duells verstorben! Diese Sensationsmeldungen lösten im August 1864 starke Emotionen aus: echte Trauer, verständnisloses Kopfschütteln, Neugier und Spott, mancherorts auch Genugtuung. Wer war Ferdinand Lassalle? Dem Kaufmannssohn Lassal aus Breslau war eine mühevolle, erfolgreiche Karriere als Jurist gelungen. Als Politiker, brillanter Redner und Organisator der jungen Arbeiterbewegung machte er von sich reden. Man kannte ihn auch auf Empfängen und Bällen der ‚großen’ Gesellschaft als charmanten, geistreichen Plauderer. Seine Frauenepisoden nährten Klatschspalten und Salongespräche. War Lassalle ein Politiker von Format? ein Volkstribun? ein großer Geist seiner Zeit? ein Ehrgeizling? ein Salonheld? ein Scharlatan? Er war von allem etwas!“ (Klappentext zu „Lassalle“ von Stefan Heym).

Vier Tage nach Lassalles Tod schrieb Friedrich Engels an Karl Marx: „Lassalle mag sonst gewesen sein persönlich, literarisch, wissenschaftlich, wer er war, aber politisch war er sich einer der bedeutendsten Kerle in Deutschland. Er war für uns gegenwärtig ein sehr unsichrer Freund, zukünftig ein ziemlich sichrer Feind, aber einerlei, es trifft einen doch hart, wenn man sieht, wie Deutschland alle einigermaßen tüchtigen Leute der extremen Partei kaputtmacht. Welcher Jubel wird unter den Fabrikanten und unter den Fortschrittsschweinhunden herrschen, Lassalle war doch der einzige Kerl in Deutschland selbst, vor dem sie Angst hatten. Aber was ist das für eine sonderbare Art; ums Leben zu kommen: sich in eine bayrische Gesandtentochter ernstlich zu verlieben – dieser would-be Don Juan -, sie heiraten wollen, in Kollision kommen mit einem abgedankten Nebenbuhler, der noch dazu ein walachischer Schwindler ist, und sich von ihm totschießen lassen. Das konnte nur dem Lassalle passieren bei dem sonderbaren Gemisch von Frivolität und Sentimentalität, Judentum und Chevaleresktuerei, das ihm ganz allein eigen war. Wie kann ein politischer Mann wie er sich mit einem walachischen Abenteurer schießen!“

Immerhin hatte es Ferdinand Lassalle fertig gebracht, die erste deutsche sozialdemokratische Parteiorganisation zu initiieren und zu leiten, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, und zählt somit zu den Gründervätern der SPD.

Kurz vor seinem Tod hatte er geschrieben: „Ich habe die Inventur meines Lebens gemacht. Es war groß, brav, wacker, tapfer und glänzend genug. Eine künftige Zeit wird mir gerecht zu werden wissen.“

 

 

 

Maurice Rupert Bishop

* 29.5.1944 in Aruba, † 19.10.1983 in Fort Rupert, Grenada, grenadischer Politiker

 

Saint George’s: Die Straßen der Landeshauptstadt Grenadas sind in den Landesfarben Gelb-Grün-Rot bewimpelt, allerorts Transparente: We’re proud of our nation! – Kürzlich wurde der Jahrestag der Unabhängigkeit begangen.

Und einmal rückte die kleine Inselrepublik in ihrer kurzen Geschichte sogar schon in den Fokus der Weltgesichte: 1979 war der charismatische Marxist Maurice Bishop durch einen unblutigen Putsch an die Macht gekommen, hatte längst überfällige Reformen eingeleitet und versucht, einen möglichst unabhängigen Kurs zwischen Ost und West zu steuern. Hardliner seiner Partei wollten jedoch eine Annäherung an Kuba erzwingen, und am Ende interner eskalierender Streitereien wurde Maurice Bishop 1983 von den eigenen Parteigängern liquidiert.

Im Fort Rupert, hoch über der Inselhauptstadt, dem Schauplatz dieses Verbrechens, kann man eine Gedenktafel für Maurice Bishop und die Getreuen, die hier mit ihm ums Leben kamen, entdecken. Tropik pur ringsum: Blumen, Bäume, Vögel - Gelb, Grün, Rot…

Chaos brach aus nach diesem infamen Mord, Unruhen. Und angeblich da die einstigen Kolonialherren, die Briten, unter deren Commonwealth-Schutz Grenada stand, zögerten für Ordnung zu sorgen, bat die Premierministerin der nahen Inselrepublik Dominica, Mary Eugenia Charles, Ronald Reagan, zu intervenieren. (Später wurde aufgedeckt, dass die CIA Miss Charles geschmiert hatte – what a suprise!)

Umgehend rückten die Amis mit 7.000 GIs samt modernstem Kriegsgerät an, Operation Urgent Fury, Goliath gegen David also - wobei der David hier ja nicht mal ’ne Steinschleuder hatte…

Und es gibt ihn noch, diesen kleinen, unabhängigen Staat Grenada, der Jahrestage feiert, auf den man stolz sein kann…

 

 

 

Tahar Djaout

* 11.1.1954 in der Kabylei, † 2.6.1993 in Algier, algerischer Schriftsteller

 

Wenn du redest, stirbst du. Wenn du nicht redest, stirbst du auch. Also sprich und stirb. – sagte Tahar Dajout und redete und schrieb, wurde mit dem Prix Méditerranée ausgezeichnet und im algerischen Bürgerkrieg Opfer eines Terroranschlags der Groupe Islamique Armé.

Sein Kollege Boualem Sansal meinte, Tahar Djaouts Worte bewirkten ein „fantastisches Lauffeuer“ im Kampf gegen die islamischen Fanatiker in Algerien: „Den Menschen fiel es wie Schuppen von den Augen… Seine Worte machten Mut.“

 

 

 

Mihai Eminescu

* 15.1.1850 als Mihail Eminovici in Ipoteşti, † 15.6.1889 in Bukarest, rumänischer Dichter

 

Mihai Eminescu gilt als bedeutendster rumänischer Dichter des 19. Jahrhunderts – seine Werke wurden in 63 Sprachen übersetzt -,  der Maßstäbe für die Weiterentwicklung der rumänischen Literatur setzte. Der Literaturwissenschaftler Edgar Papu sagte: „Der Motiv- und Formenreichtum der Eminescuschen Lyrik ist ungemein. Sie umfasst das Soziale, die kosmische Vision, Vorahnungen der Zukunft, mystische Quellen, alte Spruchweisheit von der Stoa bis zur indischen Philosophie. Sie umfasst alle Seelenzustände von der Begeisterung, dem Überschwang, der Ekstase, der Träumerei und der Zärtlichkeit bis zur skeptischen Nüchternheit, der Empörung und dem Sarkasmus. Alle poetischen Formen sind bei ihm vertreten, von der alkaischen Strophe der Antike und dem vollendeten Ausdruck des Sonetts bis zur kühnsten Vorwegnahme des freien Verses und der rhythmischen Prosa der Gegenwart.“

Doch nicht zuletzt basiert Mihai Eminescus Ruhm auf seiner Liebeslyrik.

 

Zugvögel

Wenn ich mich in Gedanken versenke an uns Zwei,

Dann ist's, als ob das Eismeer mir vorgezaubert sei:

Am grauen Himmelsbogen erglänzt kein einz'ger Stern,

Als gelber Fleck nur zeigt sich der Mond in weiter Fern',

Und hin streicht über Wellen und sturmgepeitschte Schollen

Ein Vöglein, dessen Flügel es nicht mehr tragen wollen;

Sein Männchen fliegt indessen, in voller Kraft und heiter

Mit der Genossen Kette zum fernen Westen weiter.

Es blickt ihm nach das Vöglein; nicht Freude mehr, nicht Schmerz,

Nur Träume des Vergangnen ziehn plötzlich durch sein Herz,

Dann brechen ihm die Augen, die müden im Verscheiden –

So hat auch mich betroffen der Trennung bittres Leiden:

Ich muß in Nacht und Düster verlassen hier vergehen,

Du aber schwingst, vergessend, dich auf zu lichten Höhen!

 

Im Alter von 33 Jahren zeigten sich bei ihm erste Symptome einer Geisteskrankheit und Mihai Eminescu starb schließlich neununddreißigjährig in einem Bukarester Sanatorium.

 

 

 

Mercédès Adrienne Ramona Manuela Jellinek

* 16.9.1889 in Wien, geschiedene von Schlosser, verheiratete von Weigl, † 23.2.1929 ebd., österreichische Namensgeberin

 

Mercédès Jellinek war die Tochter des Diplomaten und Autohändlers Emil Jellinek. Bei der Tourenfahrt Nizza-Colomar-Tourettes-sur-Loup-Magagnosc-Nizza siegte im Jahr 1899 ein Daimler-Phönix-Rennwagen, den Emil Jellinek unter dem Pseudonym Monsieur Mercédés angemeldet hatte. Daraufhin bestellte er 36 Daimler-Automobile, immerhin ein Drittel der Jahresproduktion der Daimler-Motoren-Gesellschaft und forderte die Konstruktion eines noch besseren Wagens, den er Mercedes nannte. Schon acht Monate später, zu Weihnachten 1900, wurde dieser neue Typ an Monsieur Jellinek nach Nizza geliefert, und fuhr im folgenden Jahr diverse Siege ein.

„Am 23. Juni 1902 meldete die Daimler-Motoren-Gesellschaft den Namen Mercedes als Warenzeichen an. Am 26. September wurde die Marke gesetzlich geschützt. 1909 wurde der Mercedes-Stern als Warenzeichen eingetragen“, weiß Wikipedia.

Mercédès Jellinek starb im Alter von 39 Jahren an Knochenkrebs. Ein Auto hat sie wohl nie gefahren, geschweige denn besessen.

 

 

 

Kurt Scheele

* 19.5.1905 in Frankfurt am Main, † 9.11.1944 bei Smolensk, deutscher Maler

 

1936 erwarb Dwight D. Eisenhower anlässlich einer Ausstellung in New York ein Ölgemälde von Kurt Scheele.

1937 diffamierten die Nazis die Werke Kurt Scheeles als „entartete Kunst“

1939 erteilten die Nazis Kurt Scheele ein generelles Arbeitsverbot.

1940 wurde ihm eine Professur in Kairo angeboten, die Nazis zogen ihn aber zur Wehrmacht ein.

1944 starb Kurt Scheele in einem sowjetischen Kriegsgefangenlager wahrscheinlich an Fleckfieber.

 

 

 

Justus Miles Forman

* 1.11.1875 in Le Roy, New York, † 7.5.1915 vor der südirischen Küste, amerikanischer Autor

 

Justus Miles Forman reiste gern, vor allem den Pazifischen Ozean. Er verfasste Reiseberichte darüber und verkaufte sie erfolgreich an Magazine. Zudem verfasste Romane er wie „Journey’s Ende“, zählte zu dem meistgelesenen amerikanischen Schriftstellern seiner Zeit und die Urheberrechte für seine Werke verkauften sich im Ausland besser als die anderer amerikanischer Autoren.

Dann wollte Justus Miles Forman auch am Broadway reüssieren. Sein erstes Stück floppte aber und er wollte versuchen, in Europa ein aufgeschlosseneres Publikum zu finden.

Er kaufte sich ein Ticket für die Passage von New York nach Liverpool auf dem britischen Luxusliner „Lusitania“. Kurz vor der Abreise erhielt Justus Miles Forman einen mysteriösen Anruf von einem Unbekannten mit starkem deutschen Akzent, der ihn vor der Überfahrt mit der „Lusitania“ warnte. Der Mann sagte, er würde in die Luft gejagt werden. Forman hielt dies für einen Gag eines Freundes, hörte dann jedoch, dass Leute, die ihn begleiteten, ähnlich gewarnt worden waren. Dennoch bestieg er am 1. Mai 1915 das Schiff.

Am 7. Mai 1915 versenkte ein deutsches U-Boot die „Lusitania“ im Nordatlantik. Mit Justus Miles Forman starben 1.198 Menschen.

 

 

 

Jules Alfred Huot de Goncourt

* 17.12.1830 in Paris, † 20.6.1870 ebd., französischer Autor

 

Jules Alfred Huot de Goncourt gilt zusammen mit seinem älteren Bruder Edmond Louis Antoine als Begründer des Naturalismus.

Ihre wichtigsten Romane sind ‚Les hommes de lettres’ (1860), die Geschichte eines Literaten in seinem Milieu; ‚Sœur Philomène’, die Geschichte einer Krankenschwester in ihrem Alltag (1861); ‚Renée Mauperin’ (1864), die Geschichte einer jungen Großbürgerin in ihrem Milieu; ‚Germinie Lacerteux’ (1865), die Geschichte eines Dienstmädchens, das quasi idealtypisch alles Gute und Böse erlebt, das einem Dienstmädchen widerfahren kann; ‚Manette Salomon’ (1867), die Geschichte einer Frau im Künstlermilieu. Die Goncourts betrachten die niederen Stände mit alle ihren abstoßenden Zügen, Pathologien und auch die Unterwelt als legitime Gegenstände ihrer Kunst, freilich aus rein ästhetischem Interesse und ohne große Empathie. Auch die Biografien, die sie verfassten (z.B. von Marie Antoinette, Madame de Pompadour oder Madame du Barry), und die kulturgeschichtlichen Monografien (z.B. ‚L’Histoire de la société française sous la Révolution’, 1854; ‚L’Art du XVIIIe siècle’, 1859ff., oder ‚La Femme au XVIIIe siècle’, 1862) gelten heute als richtungweisend“, weiß Wikipedia.

Seit 1851 führten die Brüder auch gemeinsam ein „Journal“ und notierten darin am 8. Februar 1866: „…de demander à une œuvre d'art qu'elle serve à quelque chose…“  meinten also, dass es lächerlich sei von einem Kunstwerk zu erwarten, dass es (irgend)einer Sache diene – begründeten somit auch die L'art pour l'art-Bewegung.,

Nach dem frühen Tod seines jüngeren Bruders Jules verfügte Edmond Louis Antoine Huot de Goncourt testamentarisch die Aufrichtung einer Akademie, der ausschließlich Autoren angehören dürfen, die nicht Mitglied der Académie Francaise sind. Und nach Abwehr erbrechtlicher Ansprüche und Genehmigung ihres Statuts verfügte diese Akademie im Jahr 1903, künftig jährlich einen neuerschienenen französischsprachigen Roman auszuzeichnen – den Prix Goncourt zu vergeben.

Thomas Mann bekannte, die Romane der Brüder Goncourt, insbesondere ‚Renée Mauperin,’ hätten ihm die entscheidende Inspiration für das Abfassen der ‚Buddenbrooks’ gegeben.

 

 

 

Muborakscho Mirsoschojew

* 19.8.1961 in Ruschon, Berg-Badachstan, † 8.2.2001, tadshikischer Rockmusiker

 

Als ich mit einer Delegation junger Autoren durch sein Land reiste war er 24, ich 32 – gut möglich, dass wir einander begegnet sind… immerhin galt er als einer der wichtigsten tadshikischen Rockmusiker, und ich hatte mich ja auch eine zeitlang in diesem Metier versucht. Da hätten wir durchaus ins Gespräch kommen, hätten gut fachsimpeln können, in einer Hotel-Bar in Duschanbe, der Hauptstadt Tadshikistans vielleicht. Und da Muborakscho Mirsoschojew auch als Schauspieler agierte, engagierte er sich womöglich sogar als Fremdenführer? Wer weiß.

Duschanbe heißt Montag auf Tadshikisch (einer dem Persischen verwandten Sprache), Montag, da in der alten Siedlung, dem Kischlak an der Seidenstraße montags Markttag war. (Später hieß der Ort allerdings eine zeitlang Stalinabad). Während eines ersten Stadtbummels werden wir von unserem hiesigen Dolmetsch mit reichlich Informationen versorgt. 820 m ü. NN liegt die Hauptstadt dieses Hochgebirgslandes, dessen sich Einwohnerschaft sich zu 56% aus Tadshiken, 21% Usbeken, 11% Russen, 2% Deutschen, 1% Koreanern und etliche andere Völkerschaften rekrutiere. Die Deutschen seien in drei Wellen ins Land gekommen: mit der beginnenden Industrialisierung in den dreißiger Jahren, mit der Vertreibung der Wolgadeutschen in den Vierzigern sowie in den fünfziger Jahren, als in umliegenden Republiken Hunger herrschte...

Verwundert stehen wir plötzlich vor einem Denkmal Avicennas, des berühmten persischen Arztes, Mathematikers, Philosophen. Ja, der wirkte vor 1000 Jahren hier. Heute sei Tadshikistan die Republik mit dem höchsten Bevölkerungswachstum der Sowjetunion. In den Städten, wo 43% der Bevölkerung lebe, haben Familien im Durchschnitt vier bis fünf Kinder, auf dem Lande sieben bis acht. Ab dem achten Kind erhielten Mütter hier einen Ehrenorden 2. Klasse, ab dem 10. Kind 1. Klasse. Alle Schulen arbeiteten zweischichtig.

Und dann höre ich zu meinem größten Erstaunen, dass es im Lande Arbeitslosigkeit gebe. Das klingt so: Im Gegensatz zu den umwohnenden ehemaligen Nomadenvölkern seien die Tadshiken seit ehedem sehr seßhaft gewesen, deshalb gebe es in dichtbesiedelten Gebieten nicht genug Arbeit. Aber: „Wenn Leute nicht kommen zu Arbeit, kommt Arbeit zu Leute!“ Aha.

Kaum minder interessant: Am Busbahnhof entdecke ich, daß zweimal wöchentlich ein Linienbus nach Kabul fährt. Und wie selbstverständlich wird am Zeitungskiosk die “Kabul New Times“ verkauft. Ja, viele Tadshiken haben Verwandte im nahen Afghanistan, meldeten sich insofern auch freiwillig, um mit der Roten Armee dort zu kämpfen.

Kaum minder beängstigend: Tadshikistan ist Erdbebengebiet. Das letzte Erdbeben war hier erst am 12. Februar (vor sechs Tagen, meingott), ein Beben der Stärke 6, dessen Epizentrum 180 km vor Duschanbe lag. Und das letzte große Beben war vergangenes Jahr in Kairakkum. Die Stadt wurde total zerstört, tausende Opfer waren zu beklagen. Hatten wir davon schon jemals gehört?

Am nächsten Morgen verzieht sich der über der Stadt liegende Dunst und die nahen Berge werden sichtbar, quasi gleich hinterm Hotel ragt das Hissar-Gebirge, ein Ausläufer des Pamir, auf. Traumhaft. Und so grell reflektiert der Schnee dort das Sonnenlicht, daß mir die Augen zu schmerzen beginnen. Eigentlich war um zehn Uhr ein Treffen mit Vertretern des hiesigen Schriftstellerverbandes angesagt. Doch kurz zuvor erfahre ich, daß diese Begegnung ausfällt. In der Nacht sei jemand vom Vorstand verstorben. So fahren wir gleich in die Berge. Auf nach Nurek!

Während der Fahrt hören wir vom unablässig plappernden Dolmetsch, daß die Zöpfe der Frauen hier zur Tracht gehörten. Die Anzahl der Zöpfe bei Mädchen entspräche deren Lebensalter. Verheiratete Frauen trügen zwei Zöpfe... Die spatzengleich auftretenden Vögel hießen indische Stare... Einer Legende zufolge sei das Land deswegen so reich an Bodenschätzen und Sprachen, da sich Allah, als er diese Gaben an die Menschen verteilen wollte, den Gabensack an den Spitzen des Pamir aufschlitzte. Zuweilen könnten sich hier Hausnachbarn aufgrund unterschiedlichster Dialekte nicht verständigen... Nurek sei berühmt wegen seines Staudammes, des höchsten Schüttgutstaudammes der Welt! Der Stausee sei 78 Kilometer lang und 280 Meter tief. Obwohl sich das Klima hier wegen des Stausees schon etwas verändert habe, und die Sommer nicht mehr so extrem heiß seien, messe man nicht selten Temperaturen um die 50° C. Arbeiter bekämen in Nurek bis zu 30% Hitzezuschlag. Ein Sprichwort sage: Warum hat Allah noch die Hölle erfunden, da es schon Nurek gibt! In zehn Jahren solle hier allerdings Erholungsgebiet sein. Aha.

Tatsächlich ist es in diesem imposanten Hochgebirgstal Mitte Februar bereits so warm, dass hier allerorten die Mandelbäume blühen. In phantastischem Farbkontrast dazu, die türkisfarbenen Was­ser des vom Gebirgsfluss Wachsch gespeisten Stausees, die in Ocker- und Brauntönen ringsum und steil aufragenden Berge. Und dann kommt uns auf der Krone des Staudammes auch noch ein alter Mann in Landestracht, buntgestreiften Umhang (Chalat) und reich bestickter Kappe (Tjubejka), auf einem Esel entgegengeritten. Abenteuerliche Rückfahrt über tiefverschneite Pässe. Überholmanöver des Busfahrers, die nicht nur die weiblichen Mitglieder unserer Delegation aufkreischen oder die Hände vors Gesicht schlagen lassen.

Am Abend im Hotel haben wir uns landestypisches Essen mit Erklärung bestellt. Da wird reichlich aufgetafelt: Piroggen aller Coleur, mit Hackfleisch oder süßlichem Kraut oder Undefinierbarem gefüllt und vor allem Reis mit Gemüse und Fleisch, Pilaw, wobei alles Fleisch Hammelfleisch ist, Hammel, Hammel, immer und ewig Hammel, leicht tranig meist und in Ölseen schwimmend. In der Gruppe wird es irgendwann üblich zu sagen, man gehe zur Altölfete statt zum Essen... Alle Nachtischköstlichkeiten, die zum grünen Tee gereicht werden, sind so süß, daß ich schon beim Anblick alle meine Zahnplomben spüre...

Teezeremonie: Schälchen werden nur mit wenigen Schlucken gefüllt, um himmelswillen nicht randvoll gegossen, denn das hieße, der Gast sei nicht willkommen. Das nur halbvolle Schälchen hingegen zeige, dass man mit dem Gast noch möglichst lange zusammensitzen und plaudern, ihm stets noch nachschenken können möchte. Der zuerst eingegossene Tee wird sogar dreimal in die Kanne zurückgefüllt, erst dann sei er trinkbar. Unsere Redensart „verliebt, verlobt, verheiratet...“ entspräche dieser Symbolik, meint der Dometsch. Einheimische Männer tragen selbst in der Hotelbar ihre Pelzmützen, stolz, versteht sich. Trifft man sich zufällig auf der Straße, bleibt man nicht einfach stehen und beginnt ein Schwätzchen, sondern hockt sich hin.

Nach dem Frühstück fahren wir am nächsten Tag in nördlicher Richtung aus Duschanbe hinaus, gelangen alsbald wieder in die Berge, wild-romantisches Tal eines stürmischen Flusses, des Warsob. An einem Schlagbaum endet unser Ausflug, nein keine Grenze, Lawinengefahr! Wir stapfen durch den Schnee links und rechts der Piste, erkunden ein nahe gelegenes Bergdorf, bitte recht freundlich! und sind schon wieder unterwegs in die Hauptstadt. Über den Warsob, der angeblich ständig sein Bett wechselt, erzählt man sich eine Sage (erzählt der Dolmetsch): Ein persischer Schah hatte eine sehr schöne Frau. Während eines langen Feldzuges berichtete ihm sein Wesir, die Frau wäre ihm untreu. Daraufhin ordnete der Schah ein Gottesurteil an. Die Frau wurde in den Fluss geworfen, geht sie unter, ist sie schuldig. Die Frau aber hatte sich listig zahllose Röcke angezogen, so dass sie auf einem Luftpolster schwamm. So wurde am Ende der Wesir enthauptet.

Zurück in Duschanbe wagen wir uns in das Viertel hinter dem Basar, elende Hütten, Unrat, Köter. Und beim Versuch zu fotografieren erscheinen sofort Milizionäre. Merkwürdig auch, dass es nirgendwo eine Landkarte Tadshikistans zu kaufen gibt.

Nach dem Mittagessen sonne ich mich auf dem Balkon meines Hotelzimmers. Aus einem nahen Kulturpark dringt folkloristisch-exotische Musik, am Horizont meine ich vor stahlblauem Himmel die Pamirgipfel aufragen zu sehen, und es ist so heiß, dass ich schließlich den Oberkörper entblöße. Mitte Februar!

Am Nachmittag dann ein Museumsbesuch, Erklärungen über Sitten und Gebräuche des Landes: Die Tulpe symbolisiere Glück, der Granatapfel Reichtum. Wenn Mädchen geboren werden, begönnen alle Frauen der Großfamilie an einem Wandteppich zu sticken, der als Mitgift dienen soll. Man sage: Solange eine Frau Arbeit hat, bleibt sie auch am Leben... Neugeborene würden die ersten drei Tage nur von zerlassener Butter ernährt, erst dann bekämen sie Muttermilch. Die ersten 40 Tage nach der Geburt dürfe nur die Mutter bei dem Kind sein. Dann würde es der Familie gezeigt, es gäbe ein großes Fest, alle brächten Geschenke. Wird ein Kind krank, ginge die Mutter zu sieben reichen Familien, in denen zu­mindest ein Kind schon das siebente Lebensjahr erreicht hat und erböte jeweils einen Stoffstreifen, woraus ein Glück bringendes Kleidchen genäht würde. Und zuweilen lege man kranken Kindern auch Puppen ins Bett, die man nach überstandener Krankheit verbrenne.

Dann der Höhepunkt des Tages, nein dieser Reise: Besichtigung der Nationalbücherei, benannt nach Firdûsi (um 934 - 1020/26), dem persisch-tadshikischen Nationaldichter. Und unglaublich, doch wahr: eine Bibliothekarin holt ein Original der „Schachname“ des weltberühmten Buches der persischen Könige aus dem Panzerschrank. Ehrfurcht. Ich glaube, ich verneigte mich.

 

 

 

Irène Némirovsky

* 11.2.1903 in Kiew, Pseudonym: Pierre Nérey, † 17.8.1942 im KZ Auschwitz, Französisch schreibende staatenlose Autorin

 

Im Zuge der Oktoberrevolution floh Irène Némirovsky Familie über Finnland und Schweden 1919 nach Paris. 1921 begann sie zu schreiben. 1929 wurde ihr Roman „David Golder“ zum Bestseller.

Von den fünf geplanten Teilen ihres Romans „Suite francaise“ konnte sie jedoch nur noch zwei vollenden. Im ersten Teil wird die überstürzte Flucht von Pariser Intellektuellen und Angehörigen der Bourgeoisie angesichts der drohenden Eroberung der Stadt durch die Deutschen im Juni 1940 geschildert. Der zweite Teil handelt von der Einquartierung eines deutschen Regiments in dem kleinen Ort Bussy im Jahr 1941 und von den Beziehungen der Besatzer zur einheimischen Bevölkerung. Die Geschichte endet mit dem Abzug der deutschen Truppe nach Russland.

Irène Némirovsky wurde am 13. Juli 1942 verhaftet, drei Tage später ins Durchgangslager Pithiviers gebracht und am Tag darauf nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie am 17. August neununddreißigjährig starb.

 

 

 

Frédérik Chopin

* 1.3.1810 als Fryderyk Franciszek Szopen in Żelazowa Wola, † 17.10.1849 in Paris, polnischer Komponist

 

Mehrfach versuchte Marschall Józef Pilsudski in den 1920er Jahren die Gebeine Frédérik Chopins, des großen polnischen Komponisten, der zuletzt in Frankreich gelebt hatte und an einer Herzbeutelentzündung gestorben war, nach Polen zu überführen, um sie in der Wawe-Kathedrale von Krakau an jener Stelle beizusetzen, wo Polens Könige und Freiheitskämpfer ruhen. Vergeblich.

Chopin selbst hatte vor seinem Tod gebeten, dass sein Herz entnommen und seine Ruhe in der Heimat finden sollte. Bis zum Warschauer Aufstand 1944 wurde es in der Warschauer Heilig-Kreuz-Kirche aufbewahrt. Um die Urne vor der Zerstörung zu bewahren, übergaben die Deutschen sie an Erzbischof Szlagowski. Nun stand die Herzurne bis Oktober 1945 auf dem Klavier in der Salonkapelle im ersten Stock des Presbyteriums der Heiligen-Jadwiga-Kirche. Schließlich gelangte sie über den Geburtsort Chopins zurück in die Heilig-Kreuz-Kirche und der Epitaph auf Säule mit dem Herz Chopins lautet „Gdzie skarb twój, tam i serce twoje - Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“

Zu Chopins Beerdigung war in Paris eine eigens hierfür erstellte Orchesterfassung seines berühmten Trauermarsches aus der Klaviersonate Nr. 2, b-Moll, opus 35, gespielt worden.

Am ersten Jahrestag seines Todes wurde auf dem Friedhof Père-Lachaise ein Grabmal eingeweiht, dessen Sockel eine eiserne Kassette enthielt, die ein silbernes Kreuz, das Chopin gehörte, Münzen aus seinem Geburts- und Sterbejahr, polnische Erde und ein Blatt Papier mit dem Satz „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“.

Frédérik Chopin hatte einmal gesagt: Das Letzte ist die Einfachheit. Nachdem alle Schwierigkeiten ausgeschöpft sind, eine immense Menge an Noten gespielt worden ist, ist es die Einfachheit, die mit ihrem Charme hervorkommt, wie das letzte Siegel der Kunst. Jeder, der dies sofort erreichen will, wird niemals Erfolg haben; man kann nicht mit dem Ende beginnen. Man muss viel studiert haben, sogar ungeheuer viel, um dieses Ziel zu erreichen; das ist keine leichte Sache.

 

 

 

Jüri Ehlvest

* 15.3.1967 in Tallinn, † 11.10.2006 in New York City, estnischer Autor

 

Der estnische Autor Jüri Ehlvest schrieb vor allem surrealistisch. Das verstehe ich, seitdem ich 2008 seine Heimatstadt besuchte:

 

Tallinn

Ehekrach & arktischer Regen. Kann jedoch sein, ein jeder hätte Probleme von der Fähre in die Altstadt zu finden. Keinerlei Schilder & schlammige Wege. Beim Geldwechseln wirst Du freundlich beschissen (wer kennt schon der Kurs zu estnischen Krone!), Tourist-Info geschlossen. Bier & Likör (wärmend) servieren Kellner in Westen, die ich als Junghippie trug & dazu folkrockts: „Meine Oma fährt im Hühnerstatt Motorrad“. Immerhin: Deutschritterbraten sättigt. Sonntag, der Dreizehnte.

 

 

 

Felix Fechenbach

* 28.1.1894 in Mergentheim, Pseudonym Rudolf Franke, † 7.8.1933 in Scherfede, deutscher Journalist

 

Seit jeher lebten nach Wahrheiten suchende Journalisten gefährlich, so auch Felix Fechenbach:

Kurt Ferchenbach war befreundet mit Bertolt Brecht, Albert Einstein und Kurt Tucholsky. Er war Mitbegründer der der USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, und beteiligte sich an der bayerischen Novemberrevolution, wirkte an der Absetzung König Ludwig III. mit, war Mitglied des Münchner Arbeiter- und Soldatenrats und Sekretär der Staatskanzlei Kurt Eisners. Und seine Publikationstätigkeit für in- und ausländische Zeitungen brachte ihm 1922 eine Verurteilung wegen Landesverrats ein. Nach seiner Haftentlassung reiste er nach Palästina, berichtete begeistert darüber und schloss sich der zionistischen sozialdemokratischen Bewegung Poale Zion an.

Felix Ferchenbach schrieb ab 1925 für die sozialdemokratische Tageszeitung „Vorwärts“ und für das „Volksblatt“ in Detmold, glossierte unter dem Pseudonym „Nazi-Jüsken“ Aktionen der NSDAP. Am 15. Januar 1933 erhielt er Redeverbot und am 11. März 1933 wurde er in „Schutzhaft“ genommen.

Am 7. August 1933 schließlich wurde Felix Ferchenbach bei der Überführung von Detmold ins KZ Dachau im Kleinenberger Wald zwischen Paderborn und Warburg von einem SS- und einem SA-Mann „auf der Flucht“ erschossen.

 

 

 

Brigitte Reimann

* 21.7.1933 in Burg b. Magdeburg, † 20.2.1973 in Berlin, deutsche Schriftstellerin

 

Adieu sollte das letzte Wort von „Franziska Linkerhand“ sein. Brigitte Reimann konnte es nicht mehr schreiben, hatte im Tagebuch aber notiert, es schreiben zu wollen: Adieu.

1962 (laut Tagebuch am 24. August), zehneinhalb Jahre vor ihrem Tod also, begann Brigitte Reimann in Hoyerswerda mit ersten Notizen zu ihrem großen Roman, im Kopf hatte sie den aber wohl schon seit einiger Zeit – vielleicht weil ihr zunehmend (und trotz aller Ehrungen und Hofierungen) bewusst wurde, wie wenig letztlich von dem, was sie bis dahin geschrieben hatte, Bestand haben, allein ihren eigenen Ansprüchen genügen würde - und natürlich auch des neuen, großen Stoffes wegen - drängend ihren neuen Lebensumständen und ambivalenten Lebenserfahrungen erwachsend.

„Singend im Regen“ sollte dieses Buch ursprünglich heißen, dann wurde Anfang 1963 daraus „Schwarzer Schnee“, dann „Grillen in meinem Schuh“ oder „Heuschrecken in meinem Kissen“, und am 23. November 1963 notierte sie endlich: Heute habe ich das Buch „Franziska“ begonnen.

Aufschlussreich, dass sie in jener Zeit Briefe an die Eltern mehrmals mit: Viele Grüße von Eurer Brigitte Nichtsnutz unterzeichnete. Nichtsnutz gleich Linkerhand?

In ihrem Sibirien-Reisebericht „Das grüne Licht der Steppen“ bekannte sie im Juli 1964 immerhin: Seit ich den Roman angefangen habe, verbringe ich, statt zu schreiben, die meiste Zeit damit, die Wege zu laufen, die uferlosen Diskussionen zu führen, die meiner Franziska bevorstehen. Das arme Mädchen.

Und im Umkehrschluss findet sich im 5. Kapitel der „Franziska Linkerhand“ schließlich die Stelle: Schwarzer Schnee. Das beeindruckte sie, es klang wie ein Romantitel und erweckte in ihr Vorstellungen von einem finster schönen Land…

Und am Ende des 13. Kapitels steht ein Absatz, der schlaglichtartig den Schreibprozess wie auch Erzählperspektiven des Franziska-Textes zu erhellen scheint: das konsequente Nutzen autobiografischen Materials und alter egos bis hin zu Schlüsselszenen und Schlüsselpersonen (wobei hier in einer an den fiktiven Ben gerichteten Passage expressis verbis sogar der „Klarnamen“ ihres 3. Ehemannes auftaucht): Wenn du dein Buch schreiben würdest, wenn du jenen anderen, den wir leise bei seinem geliehenen Namen Jon rufen, aus dir herauslösen könntest; dein Herz waschen, wie die Alten sagten; ihm aufbürden, was jetzt auf deinen Schultern lastet, und ihn hinausschicken, dein anderes Ich als Romanfigur… ich wünschte, ich hoffte für dich und für mich: je weiter er sich entfernt, desto näher rückst du wieder dir selbst.

Brigitte Reimann verstand es zudem, nicht nur autobiografisches, sondern auch fiktives Material ihrer früheren Texte für den Franziska-Roman zu nutzen – wobei wiederum ihr fiktives Material früherer Bücher auch schon (und dabei nicht selten) autobiografisch gestimmt war. So schwärmt die Recha in „Ankunft in Alltag“ bereits davon, Architektin zu werden: Stell dir vor, du entwirfst eine ganze Stadt mit hundert Parks, mit Plastiken auf jedem Rasen und Häuser … Träume aus Beton und Glas … und in jeder Wohnung Sonne und Himmel.

Vorstellbar, dass ihr ab einem gewissen Zeitpunkt letztendlich alles, was sie erlebte, erdachte, erfühlte, erträumte, Rohmaterial für Texte wurde, dass sie lebte, um zu schreiben, umso spektakulärer, umso exzentrischer, desto ergiebiger. Oder wie wäre beispielsweise zu erklären, dass sie am 11. November 1959 ihre Tagebücher der Jahre 1947 bis 1954 komplett verbrannte – darüber aber in der Tagebuchaufzeichnung jenes Tages penibel berichtete?

Im 2. Franziska-Kapitel schrieb sie über die Kindheit: Der Spiegel damals war nur Spiegel, vor dem ich eitel prüfte, ob die Schleife gefällig gebunden, der Scheitel gerade gezogen war – und noch keine Ahnung von der Schrecksekunde, vom Grauen vor dem Doppelwesen, hinter dessen Spiegelstirn ich dachte… Wann gab es diese Schrecksekunde? Real? Fiktiv? Mit den ersten Erfolgen? Den ersten Katastrophen? Irgendwann in den 1950ern? Früher? Später?

Schreibend an der „Franziska Linkerhand“ versuchte Brigitte Reimann (zumal in ihrer letzten Lebenszeit) nicht nur einmal, Abstand zu dem, was sie früher geschrieben hatte (mit Ausnahme von „Geschwister“ vielleicht) zu gewinnen. So bekannte sie an ihre Freundin Veralore am 14. April 1972: Das ganze andere Zeug, was man so vor Jahren geschrieben hat, kann man später einfach nicht mehr ansehen und möchte sich über jede Seite mit dem Rotstift hermachen. So sehr sie also am Ende nur die „Franziska“ stehen ließ, war dies offenkundig weniger eine Distanzierung von ihren Stoffen, denn deren formaler Bewältigung.

1957 aber hatte sie an einem Roman-Manuskript gearbeitet, das wie die „Franziska“ Fragment blieb, jedoch seinerzeit nicht veröffentlicht wurde, in der Ablage verschwand, möglicherweise sogar bei ihr in Vergessenheit geriet, sich erst im Nachlass wieder fand: „Joe und das Mädchen auf der Lotusblume“. Brigitte Reimann bricht so radikal mit Tabus wie danach nie wieder, sollte die TAZ nach der Erstveröffentlichung dieses (und eines weiteren) Fragments 2005 urteilen. Und dies bezieht sich augenfällig nicht allein auf den Stoff, sondern die erstaunliche Qualität der Sprache, die Modernität, Authentizität, Flexibilität, die Präzision und den Reichtum der poetischen Bilder. All das erreichte sie erst mit und in der „Franziska“ wieder, aufbauend (ob bewusst oder unbewusst) auf Erfahrungen des „Lotusblüten“-Experiments und so langsam weiter und weiter vorankommend.

Zwei Beispiele aus „Joe und das Mädchen auf der Lotusblüte“, Sätze wie voller Vorahnungen, ja, nunmehr symbolisch lesbare Sätze, seien hier eingefügt: Ich warte auf ein Wunder. Wenn ich um eine Straßenecke biege, stürzt ein roter Schauder über mich, weil das Wunder nun gleich vor mir stehen wird. Jeden Morgen laufe ich dem Postboten entgegen. Ich warte auf den Brief, der mich nicht erreicht, ich weiß nicht, wer den Brief geschrieben hat, der mich einmal erreichen wird. Ich weiß nicht, wie das Wunder hinter der Straßenecke aussieht. Ich weiß nur, daß dann alles ganz anders sein wird… - (…) Manchmal liebe ich den Herbst, seine Verschwendung, sein großzügiges Ausschütten starker Farben, seine krasse Lebensgier…

Dazu zwei Beispiele aus „Franziska Linkerhand“: … wie allein das Mädchen war, unerreichbar für eine menschliche Stimme, für die fremdsprachigen Vokabeln Schmerz, Kind, Glück, ausschließlich mit der Arbeit des Gebärens beschäftigt und in einer Einsamkeit, die nur der des Sterbens vergleichbar ist… - (…) Sie hob die Zeitschicht von diesem Abend ab, als ob sie ein Medaillon öffnete, geübt, jedenfalls mühelos, es genügt, mit dem Fingernagel das Federchen am Verschluß zu berühren, der Deckel aus dünnem Gold springt auf, unverblasst in fünfzig Jahren leuchtet die Miniatur...

Nachdenkenswert wohl auch: in „Joe und das Mädchen auf der Lotusblüte“ wie in „Franziska Linkerhand“ spielt eine Kunstfigur, eine Plastik mit Namen Aristide eine Rolle!

Dank des Kunstgriffs, des Glücksgriffs letztlich, die Protagonistin zur Architektin zu machen, gelang es Brigitte Reimann aus dem Franziska-Stoff ein unvergessliches, ein bleibendes Stück Literatur zu formen: ein alter ego, das eine neue Stadt, Neustadt eben, mitkonzipiert und -gestaltet, das an der Zukunft des Landes, der Zukunft der Welt mitbauen will, dabei tagein tagaus mit Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten zu kämpfen, einen gangbaren Weg (auch für sich) zu finden sucht. So konnten die tagtäglichen Zweifel und Verzweiflungen einer engagierten jungen Frau, die an die Möglichkeit einer besseren, einer menschlicheren Gesellschaftsordnung, die an den Aufbau einer gerechteren Welt glaubte, Literatur werden. Weltliteratur? – Auf jeden Fall eine, die räumlich wie zeitlich weit über die DDR hinausweist.

Wobei sogar Ahnungen, was Fehler im Aufbau-Alltag bedeuteten, eine Ahnung, welch negative Weltschlagzeilen „Neustadt“ -Hoyerswerda einmal machen würde, eine Ahnung, dass Trabantenstädte weltweit in Gettoisierungen driften könnten, bereits deutlich mitschwingen.

Dieses Buch ist im Geist der Veränderungen verfasst, die 15 Jahre nach seinem Erscheinen zum Ende des Landes in dem Franziska Linkerhand agierte und Brigitte Reimann schrieb, führte, ja, im Geist der Wende: mit schonungslosem Blick auf Missstände, aber um verbessern zu wollen, um an eine Zukunft glauben, also weitermachen zu können.

Und Brigitte/Franziska beschlich noch eine andere Ahnung: Andere in meinem Alter haben schon Bücher geschrieben oder ein Teilchen X entdeckt oder Flüsse umgeleitet. Hoffen und hinleben auf die Zukunft, auf das magische Jahr Zweitausend? Die Entwürfe für die Zukunft werden in der Gegenwart gemacht, das zählt für mich: Gegenwart, heute jetzt… Chopin starb mit neununddreißig Jahren. Court et bonne. Ein Leben, das sich gelohnt hat.

In Petzow hatte Brigitte Reimann bereits am 12. Februar 1962 notiert: Ich habe eine zwiespältige Moral entdeckt: die Konsequenzen meiner Helden sind auch meine Konsequenzen, ich bin ihrer Entscheidungen nicht fähig, ich vollziehe in meinen Geschichten ein Leben, das eigentlich ich leben müsste – nacherlebte Abenteuer, ein Scheinleben, wie verträgt sich das? Als habe ich zwei Leben -

Und die Linkerhand-Ich-Erzählerin weiß: … ich wollte mich nicht unterwerfen, nicht den Weiberschmerzen, nicht dem stupiden Weiberalltag, den meine Mutter mir vorexerzierte, für mich, dachte ich, wird alles anders sein, und wenn ich das Leben, wie ich es mir damals vorwegträumte, in ein Bild umsetzen wollte, würde ich ein Pferd zeichnen, ein Pferd in rasendem Galopp, frei, wild, ohne Zaumzeug, die Mähne im Wind und mit Hufen, die den Boden nicht berühren

Franziska Nichtsnutz? – Brigitte Linkerhand?

Sollte Brigitte Franziska und Franziska Brigitte spiegeln, bedurfte es der Hervorbringung dieses Romans, bedurfte es dieser qualvollen Jahre des Schreibens, ja, und er musste folglich unvollendet bleiben.

Allerdings wird berichtet, durch Burg irre seit einigen Jahren eine Frau, die sich als Inkarnation der Brigitte/Franziska sehe. Oder ob das vielleicht wahrhaftig…? Alter und Aussehen könnte stimmen. Ja sie wähne, Schriftstellerin zu sein, behaupte, bedeutende Werke verfasst und zügellos gelebt zu haben. Nicht verhindern konnte sie aber offenbar, dass das Haus in dem die Reimann in Burg aufwuchs, schnöde abgerissen wurde. Und den Brigitte-Reimann-Preis hat sie selbstredend auch nie erhalten. Dafür soll sie mehrfach in die Klapse gebracht worden sein.

Statt wirrem Gestammel am Ende hier also besser die letzten von Brigitte Reimann tatsächlich geschriebenen Sätze des unvollendeten, doch großen Romans „Franziska Linkerhand“: Es muß, es muß sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden. (…) es war ein Schrei (…) mein gebrochener und ungläubiger Schrei, während ich durch eine Gasse jagte, zwischen südlich erhitzter Mauer, keine Fenster, nur ein schmales Gittertor, im Vorübereilen sehe ich wilde Blumen, Lorbeerbüsche, einen Baum mit granatroten Früchten…

Adieu!

 

 

 

Carl Maria von Weber

* 18. oder 19.11.1786 als Carl Maria Friedrich von Ernst Weber in Eutin, † 5.6.1826 in London, deutscher Komponist

 

Als Soldat weilte ich hin und wieder im Schloss Ermlitz.

Schlossherr war dort einst Johann Heinrich Apel, der gemeinsam mit Friedrich Laun ein siebenbändiges „Gespensterbuch“ veröffentlichte, darin auch die Geschichte „Der Freischütz“. Die nun inspirierte Friedrich Kind, einem einstigen Mitschüler Apels in der Leipziger Thomasschule und wohl auch des Öfteren im Schloss Ermlitz zu Gast, so dass er sie zu einem Opern-Libretto umschrieb. Das ursprünglich tragische, änderte er aber in ein glückliches Ende um. Und diese Fassung wiederum gefiel Carl Maria von Weber so gut, dass er darauf die erste deutsche Oper komponierte, den „Freischütz“.

Zu meiner Soldatenzeit war aus dem Ermlitzer Schloss ein Kinderheim geworden, und ich fuhr dort keinesfalls mit Flinte hin, nein, mit meiner Gitarre, ja, um mit Thomanern für Waisen zu spielen.

 

 

 

Josef Chaim Brenner

* 11.9.1881 in Nowi Mlyni, Ukraine, † 2.5.1921 in Abu Kabir bei Jaffa, hebräischer Schriftsteller

 

Nachdem er in Potschep die Tora studiert hatte ging Josef Chaim Brenner nach Gomel und veröffentlichte seine erste Kurzgeschichte „Pat Lechem – Ein Stück Brot“. Mit Neunzehn zog er nach Białystok, dann nach Warschau und diente von 1901 bis 1904 in der Zaristischen Armee. Bei Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges floh er nach London und gründete die Zeitschrift „Ha Meorer – der Erwecker“. Mit Siebenundzwanzig zog er nach Lemberg und im Jahr darauf wanderte er ins Osmanischer Reich aus, lebte in Chadera, dann in Jerusalem und schließlich in Jaffa. Mit Neunundzwanzig löste er die „Brenner-Affäre“ aus, da er in einem Artikel für die Arbeiterzeitung „HaPoel Hazair polemisiert hatte, das Volk Israel sei durch die zunehmenden Übertritte europäischer Juden zum Christentum nicht in der Existenz bedroht; außerdem sei die Bibel weder das „Buch der Bücher“ noch die „Heilige Schrift“. Mit vierunddreißig unterrichtete er am Herzlia-Gymnasium von Tel Aviv hebräische Grammatik und Literatur. Mit Neununddreißg gründete er die Gewerkschaft Hisdrut mit. Bei Ausbruch der Unruhen von Jaffa trat er für eine Verständigung zwischen Arabern und Juden ein und wurde er von Arabern ermordet.

„Brenners literarisches Werk spiegelt die Erfahrungen seines Lebens wider. Immer wieder kommt das Motiv des Wanderns zur Sprache, wobei seine literaischen Figuren sich zunächst der Illusion hingeben, dass ein Wechsel des Wohnorts auch zu einer Änderung des persönlichen Schicksals führen werde. Einige seiner Romane sind aus der Perspektive des ‚allwissenden Erzählers’ geschrieben, tragen jedoch einen intimen und persönlichen Ton. Er bereicherte die hebräische Umgangssprache durch die Aufnahme von jiddischen, russischen und deutschen Wörtern und Redewendungen und schreckte bei Erzählungen aus dem betreffenden Sprachgebiet auch nicht vor der Benutzung von Anglizismen und Arabismen zurück. Seine Protagonisten sind Antihelden, die offen zu ihrem ‚Antiheldentum’ stehen. Als Verlierer und Außenseiter werden sie auf satirische Weise Gewinnertypen gegenübergestellt, die im sozialen und sexuellen Bereich ihren Erfolg genießen“, weiß Wikipedia. „Für Brenner bedeutete das Leben in der jüdischen Diaspora Müßiggang, und die Rettung eines solchen Lebens lag in der Arbeit. Produktive Arbeit für das jüdische Volk war seiner Ansicht nach eine Lebensfrage. Das Judentum sei keine Ideologie, sondern eine individuelle Erfahrung, die nur durch Änderungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich zu einer kollektiven Erfahrung werden könne.“

Nicht von ungefähr wurde der größte Kibbuz Israels, Giv’at Brenner südlich von Rechovot, nach Josef Chaim Brenner benannt.

 

 

 

Laza K. Lazarević

* 13.5.1851 in Šabac, † 10.1.1891 in Belgrad, serbischer Arzt und Schriftsteller

 

Laza K. Lazarević  wurde „der serbische Turgenjew“ genannt. In seinen zahlreichen Erzählungen gibt es oft psychologische Hintergründe. Er wurde an den serbischen Königshof berufen und war Mitglied der königlichen Akademie. Als Arzt arbeitete er auch in Militärspitälern während des Serbisch-Türkischen Krieges. Das Lazarević-Syndrom wurde nach ihm benannt und in Belgrad das Neuropsychiatrische Krankenhaus-

Anfang September 2008  kam ich auf der Durchreise nach Bosnien erstmals nach Belgrad:

Keimstätte von Metamorphosen sei diese weiße (heute eher graue) Stadt: erschreckend angesichts allgegenwärtiger Losungen, Hauswandschmierereien, Plakate: Free Karadzic! Andererseits wurde dieser Bosnienkriegskopf hier auch jüngst verhaftet und ausgeliefert.

 

 

 

Emiliano Zapata Salazar

* 8.8.1879 in San Miguel Anenecuilco, „El Caudillo del Sur“, † 10.4.1919 in Chinameca, mexikanischer Revolutionär

 

¡Es mejor morir de pie que vivir toda una vida de rodillas! – sagte Emilano Zapata - Besser aufrecht sterben, als ein Leben lang auf den Knien leben!

Und der Bauernsohn handelte entschlossen danach: 1910 schloss er sich den mexikanischen Revolutionären an, um den Diktator Profitio Díaz zu stürzen. Schon im Jahr darauf wurde er zum obersten Chef der revolutionären Bewegung des mexikanischen Südens gewählt und eroberte mit seinen in jeder Hinsicht unterlegenen Landarbeiter-Heer Cuernavaca, die Hauptstadt seines Heimatbundesstaates Morelos. 1913 verbündete er sich mit dem im Norden agierenden Verbänden Pancho Villas. Oberkommandierender dieser Armee wurde Venustiano Carranza. Und nachdem Carranza 1917 Präsident Mexikos geworden war, lockte er Emiliano Zapata in eine Falle und ließ ihn ermorden.

In Mythen und Legenden konnte El Caudillo del Sur diesem heimtückischen Hinterhalt jedoch entgehen, floh in die Berge und hilft den Unterdrückten, den Indigenas vor allem, noch immer: ¡Es mejor morir de pie que vivir toda una vida de rodillas!...

 

 

 

Alfred Willi Rudolf „Rudi“ Dutschke

* 7.3.1940 in Schönefeld bei Luckenwalde, † 24.12.1979 in Aarhus, Dänemark, deutscher Soziologe

 

Rudi Dutschke bezeichnete sich im Jahr vor seinem Tod als „Sozialist, der in der christlichen Tradition steht“, und das Christentum „als spezifischen Ausdruck der Hoffnungen und Träume der Menschheit“.

Im Februar 1968 hatte ein CSU-Bundestagsabgeordneter Rudi Dutschke, der sich durch Studentenproteste, nicht zuletzt gegen den Vietnam-Krieg, bekannt geworden war, als „ungewaschene, verlauste und verdreckte Kreatur“ diffamiert. Die Bild-Zeitung stellte ihn mehrfach als „Rädelsführer“ dar und veröffentlichte einen Artikel mit Dutschkes Foto unter dem Titel „Stoppt den Terror der Jungroten jetzt!“, in dem verlangt wurde, man dürfe „nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.“

Am 11. April 1968 schoss ein Hilfsarbeiter, der ein Exemplar der „Deutschen National Zeitung“ mit der Schlagzeile „Stoppt den roten Rudi jetzt!“ bei sich hatte, auf Rudi Dutschke. Er schrie „Du dreckiges Kommunistenschwein!“ und traf ihn zweimal in den Kopf, einmal in die Schulter.

Rudi Dutschke überlebte nur knapp, starb aber 11 Jahre später infolge seiner schweren Hirnverletzungen bei einem epileptischen Anfall.

 

 

 

Jaroslav Hašek

* 30.4.1883 in Prag, † 3.1.1923 in Lipnize nad Sázovou, tschechischer Schriftsteller

 

Mit Jaroslav Hašek hätte ich mich gern verabredet.

Nach dem Ende der Kriege um acht im Kelch?

Ja, gern. Sehr gern.

Ich gebe einen aus!

Na zdraví – Wohlsein!

 

 

 

Malcolm X

* 19.5.1925 als Malcolm Little in Omaha, nach seiner Pilgerreise nach Mekka 1964: El Hajj Malik el-Shabazz, † 21.2.1965 in New York, amerikanischer Bürgerrechtler

 

Malcolm X – wohin hätte er seine schwarzen Brüder und Schwestern, wohin hätte er Amerika, wohin hätte er die Welt führen können?

Malcolm wurde als viertes von sieben Kindern eines Gelegenheitsarbeiters und Reverends und seiner aus Grenada stammenden Frau geboren. Malcolm war hellhäutig und hatte rote Haare – vererbt wohl von seinem schottischen Großvater. Sein Vater bezichtigte Weiße der Brandstiftung an seinem Haus und wurde 1931 unter nie geklärten Umständen von einer Straßenbahn überfahren. Seine Mutter wurde verrückt danach. Malcolm wuchs in Heimen und bei Pflegealtern auf und durfte als Schwarzer, trotz herausragender schulischer Leistungen, nicht studieren. Er wurde kriminell, bekannt als „Detroit Red“ und landete im Gefängnis. Hier kam er in Kontakt mit der „Nation of Islam“. Deren Mitglieder lehnten ihre Nachnamen, da die ihren Vorfahren von Sklavenhaltern gegeben worden waren, ab und aus Malcolm Little wurde Malcolm X. Der nun wurde zum Ziehsohn des Führers der „Nation of Islam“, eines „Botschafter Allahs“ und zum „Aushängeschild der Nation“. In den Medien wurde Malcolm X nun als „Hass-Prediger“ und „schwarzes Monster“ stigmatisiert, da er das Recht der Schwarzen auf Selbstverteidigung vertrat. Alles Gerede von Gleichberechtigung und Gerechtigkeit hielt er für Heuchelei, bezeichnete Martin Luther King als Kompromissler, als einen „Onkel Tom“. Er sagte, er unterscheide zwischen dienstbaren „Hausnegern“ und rebellischen „Feldnegern“. Die Weißen hätten stets eine Sprache der Gewalt gewählt, also müssten die Schwarzen lernen ihre eigene Sprache zu sprechen, um verstanden zu werden. Sie sollten aufstehen und tun, was auch immer nötig sei (by any means necessery) um zu ihrem Recht zu kommen. Die Lüge, Afrika sei nur ein Dschungel und die Schwarzen seien erst durch die Weißen zivilisiert worden, müsse hinweggefegt werden. Schwarze hierzulande müssten sich zugleich als Afrikaner und als Amerikaner fühlen, als Afroamerikaner. Mit seinem Ziehvater und somit der „Nation“ brach er, da dieser ihm ein Redeverbot auferlegt, Vermögen angehäuft und seine außerehelichen Affären mit dem Satz zu rechtfertigen versucht hatte, als letzter der Propheten müsse er die Sünden aller Propheten wiederholen. Malcolm X verkündete: „Immer wenn ich eine Religion sehe, die mich nicht für mein Volk kämpfen lassen will, sage ich: zur Hölle mit dieser Religion, deshalb bin ich ein Muslim. (…) Unsere Religion ist der Islam, unsere Philosophie ist Schwarzer Nationalismus“, und wandte sich der afroamerikanischen Befreiungsbewegung zu. Im Anschluss an seine Pilgerreise nach Mekka bereiste er Afrika und gelangte zu der Überzeugung, dass die nationale Ausbeutung der Afroamerikaner, der internationalen Ausbeutung der Dritte- Welt-Menschen entspräche, es seinen die gleichen Strukturen, die Afroamerikaner wie Afrikaner unterdrückten: „Es ist unmöglich für einen Weißen, an den Kapitalismus und nicht zugleich an den Rassismus zu glauben. Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus!“

Malcolm X – logisch, dass er ermordet wurde, auf offener Bühne.

 

 

 

Vaqif Mustafazadə

* 16.3.1940 in Baku, † 16.12.1979 in Taschkent, aserbaishanischer Komponist

 

Nachdem sie einander beim Jazz-Festival in Tallin kennengelernt hatten, soll B.B. King gesagt haben: „Mr. Mustafazade, they call me the 'King of the Blues,' but I sure wish I could play the blues as well as you do.” - und Dizzy Gillespie nach Vaqif Mustafazadəs frühem Tod infolge eines Herzinfarkts: „Vagif's music is from another planet! It's the music of the future!”

In seiner Kindheit war Jazz im stalinistischen Aserbaidshan noch verboten. Seine Tochter Əzizə Mustafazadə wurde unter dem Namen Aziza Mustafe Zadeh seit den 1990er Jahren als Jazzsängerin und –pianistin und berühmt. Nicht von ungefähr wohl heißt ein Titel ihres Albums „Dance of Fire“: „Father“.

 

 

 

Yue Fei

* 24.3.1103 in Tangyin, † 28.1.1142 in Hangzhou, chinesischer Volksheld

 

Reißt kein Haus ein, weil ihr Feuerholz braucht, auch nicht, wenn ihr friert und bestehlt das Volk nicht, selbst wenn ihr Hunger leidet – soll Yue Fei gesagt haben.

Yue Fei kämpfe in Zeiten der Song-Dynastie gegen die in Zentralchina immer mächtiger werdenden tungusischen Jurchen, Vorfahren der Mandschu. Dabei ging er legendär listig vor, besiegte beispielsweise eine auf dem Jangtsekiang operierende feindliche Schaufelradboot-Flotte, indem er Treibholz den Strom hinabziehen ließ, das die Schiffsantriebe blockierte.

Als sich der beim Volk beliebte Yue Fei dann aber auch für eine Rückeroberung Nordchinas stark machte, wurde er vom Song-Hof verhaftet und hingerichtet.

 

 

 

Garoto

* 28.6.1915 als Aníbal Augusto Sardinha in São Paulo, † 3.5.1955 in Rio de Janeiro, brasilianischer Gitarrist Komponist

 

Im Alter von 25 Jahren spielte Garoto seine erste Schallplatte ein und neun Jahre später begleitete er in den USA Duke Ellington und Art Tatum. Obwohl er nur 39 Jahre alt wurde, hatte vor allem seine Gitarrentechnik großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der brasilianischen Musik. Erst 1990 aber wurde eine vollständige Ausgabe seiner Gitarrenwerke publiziert.

Jeanny und ich besuchten im Jahr 2014 Garotos Heimatstadt:

Zwei Stunden etwa braucht der Bus, um von Santos ins etwa 700 Meter hoch gelegene São Paulo zu gelangen. Kurvenreiche Autobahnen durch Dschungel, allenthalben lila blühende Ipé-Bäume. Und dann die Megalopolis São Paulo, mehr als 22 Millionen Menschen sollen mittlerweile in diesem Großraum leben. Größte Stadt des Landes, Wirtschaftsmotor, nicht zuletzt 1.500 deutsche Unternehmen produzieren hier. Doch irgendwie scheint die Stadt zu schnell gewachsen, zumindest schneller als die Infrastruktur.

Und das, was über Armut und Sauberkeit gesagt war, scheint hier wieder deutlich in Frage gestellt. Müll, allenthalben Elendsviertel, selbst in Zentrumsnähe, Bekiffte, Becrackte reihenweise auf Bürgersteigen wie tot schlafend – mitten am Tage… (Was mich eigentlich nicht überraschen sollte, da ich ja u.a. auch „Mama es geht mir gut“ des hier lebenden jüngeren Autors Luiz Ruffato gelesen hatte, das sogar auf der letzten Frankfurter Buchmesse eine Rolle spielte, eigentlich...)

Wir besichtigen Parks, zuerst den Ipiranga, dann den Ibirapuerte, keine Frage, beide sehr schön. Auf dem Weg zum hiesigen Prado geraten wir in einen Probelauf für den anstehenden Karneval. Und obwohl ich als Alt-Rocker einiges gewöhnt bin, wummert der Lautsprecherwagen der Karnevalisten lauter als alles, was ich bislang erdulden musste. Hubschrauber kreisen, Unmengen Polizeiwagen, Pferdestaffeln sogar. So gut scheint’s um die hiesige Sicherheitslage offensichtlich nicht bestellt zu sein. Und zu guter Letzt zieht noch ein Tropengewitter auf…

Carolina Morales de Jesus schrieb am 28. Mai 1959 in ihrem „Tagebuch der Armut“ über ihren Alltag in einer Favela São Paulos: „Das Leben ist wie ein Buch. Nur nachdem wir es gelesen haben, wissen wir, was es enthält. Wenn wir am Ende des Lebens stehen wissen wir erst, wie unser Leben verlaufen ist. Mein Leben ist bitter schwarz gewesen. Schwarz ist meine Haut. Schwarz ist der Ort, wo ich wohne…“ Was würde diese großartige Autorin heute sagen?

 

 

 

Lola Montez

* 17.2.1821 als Elizabeth „Eliza“ Rosanna Gilbert in Grange, Irland, † 17.1.1861 in New York, irische Tänzerin

 

Die Geschichte der Lola-Montez-Skandale begann im Jahr 1843 im thüringischen Zwergstaat Reuß-Ebersdorf, wo sie eine Affäre mit Fürst Heinrich LXXII. hatte. Dann tanzte sie für Friedrich Wilhelm IV. und Zar Nikolaus I. in Berlin. In Warschau führte ihr Auftritt zu Tumulten, in Paris, wo auch Alexandre Dumas der Ältere und Alexandre Dumas der Jüngere zu ihren Verehren gehörten, wurde einer ihrer Liebhaber bei einem Duell erschossen.

Und dann kam sie im Alter von 25 Jahren nach München und wurde die Geliebte des sechzigjährigen Bayernkönigs Ludwig I., der sogar sein Testament ändern ließ: falls Lola Montez bei seinem Ableben weder verheiratet noch Witwe wäre, sollten ihr 100.000 Gulden ausgezahlt werden. Zudem erhielt sie bis dahin 2.400 Gulden jährlich, ein fürstliches Palais in München und Ludwig I. erhob sie zur Gräfin von Landsfeld „wegen der vielen, den Armen Bayerns erzeigten Wohltaten“.

Ihr Auftreten löste jedoch in München immer wieder Proteste aus, vor allem in der Studentenschaft. Im Februar 1848 kam es auf dem Theatinerplatz sogar zu Handgreiflichkeiten, woraufhin der Bayernkönig die sofortige Schließung der Universität anordnete und den Studenten befahl, die Stadt binnen drei Tagen zu verlassen. Nach Unruhen und heftigen Protesten der Bevölkerung wurde die Universität wieder geöffnet, doch nun musste Lola Montez fluchtartig München verlassen.

Ihre folgenden Lebensstationen waren die Schweiz und London, wo sie vor 1843 schon mal geheiratet hatte, nun, obwohl nie geschieden, mit einem jungen Offizier die Ehe einging, der Bigamie angeklagt wurde und wieder fliehen musste, über Frankreich und Belgien in die USA gelangte.

Am Broadway trat sie 1852 in der Theaterrevue „Lola Montez in Bavaria“ auf, dann ging sie nach San Francisco, und tourte schließlich durch Australien. 1857 zurück in New York schrieb sie Schönheitsratgeber, sicherte ihren Lebensunterhalt durch Lesungen, engagierte sich für „Gefallene Mädchen“ und wurde bekennende Christin. Lola Montez starb im Alter von 39 Jahren an einer Lungenentzündung.

 

 

 

Agathe Uwilingiyimana

* 23.5.1953 in Nyaruhengeri, † 7.4.1994 in Kigalit, ruandische Politikerin

 

Die aus einer Hutu-Bauernfamilie stammende Hochschullehrerin Agathe Uwilingiyimana avancierte in Ruanda zur Bildungsministerin und schließlich sogar bis zu ihrer Ermordung im Zuge des ruandischen Genozids Premierministerin.

Roméo Dallaire, der kommandierende General der in Ruanda stationierten UN-Truppen erinnerte sich: „Mein erstes offizielles Treffen war ein Termin mit der Premierministerin der amtierenden Interimsregierung, Agathe Uwilingiyimana, weit und breit schlicht als Madame Agathe bekannt […]. Wir trafen uns in Madame Agathes großem, luftigem Büro. Sie hatte eine mütterliche Art, hinter der jedoch auch ein eiserner Wille durchschien. Sie unterstützte eine UN-Friedenstruppe. Ruandas Zukunft hinge in der Schwebe, sagte sie, und wir dürften die historische Gelegenheit zur Schaffung einer Demokratie nicht verpassen, nur weil ein paar Hardliner die Macht nicht teilen wollten.“

Als sich der Ausbruch des Bürgerkriegs abzuzeichnen begann, traf sich General Dallaire ein letztes Mal mit Agathe Uwilingiyimana: „Als ich mich erhob, rannen Tränen über ihre Wangen, und ich spürte einen Kloß im Hals, als ich ihr versicherte, dass ich Ruanda nie aufgeben würde. Was immer auch geschähe. Es war beklemmend, sie so zu sehen; sie hatte in all den schwierigen Monaten, die ich sie kannte, wie ein Fels in der Brandung gestanden. In ihrem Mut und ihrer Standhaftigkeit hatte sie nie geschwankt, und ihr unbedingter Glaube an ihr Land und seine Menschen hatten mir immer Kraft gegeben.“

Über Agathe Uwilingiyimanas Ende berichtet die amerikanische Historikerin Alison des Forges: Uwilingiyimana und ihre Familie,, flohen mit Hilfe von Polizisten, die ein Loch in den Zaun schnitten, der das Haus umgab. Sie kamen etwa gegen 7 Uhr auf dem Gelände von Radio Kigali U.N.D.P. an und versteckten sich dort. Augenzeugen der späteren, von den UN veranlassten Untersuchung gaben an, dass ruandische Soldaten etwa gegen 10 Uhr das Gelände betraten und nach Agathe Uwilingiyimana suchten; die Umstände ihres Todes sind ungeklärt. Sie wurde vor ihrem Tod vergewaltigt und mit einer in die Vagina geschobenen Bierflasche tot aufgefunden. Alles deutet darauf hin, dass die ruandischen Soldaten ihr sexualisierte Gewalt antaten und sie umbrachten.“

Der Völkermord in Ruanda hatte am Tag vor der Ermordung Agathe Uwilingiyimanas begonnen und dauerte bis Mitte Juni 1994, fast 100 Tage. Mindestens 500.000, wahrscheinlich 1.000. 000 kamen dabei ums Leben, vor allem Angehörige der Tutsi-Minderheit, und Hutu, die versuchten, etwas gegen diese unglaublichen Grausamkeiten zu tun.

 

 

 

Falco

* 19.2.1957 als Johann Hölzel in Wien, † 6.2.1998 bei Puerto Plata, Domikanische Republik, österreichischer Sänger

 

Als Johann Hölzel in Westberlin als Jazz-Bassist tingelte, sah er 1978 das Neujahrsspringen der Vierschanzentournee und war so beeindruckt von Falko Weißpflog, dass er sich fortan Falco nannte. In einem Interview sagte er dazu 1993: Also ich glaube, wenn du Hans Hölzel heißt und 1981 im Musikgeschäft antreten willst, dann kannst du damit keinen Preis gewinnen. […] Falco war eine gute Idee, nicht? Ein deutscher Name, der damals, 1980, gut in die Landschaft gepasst hat, der aber trotzdem […] internationalen Charakter hatte und ich keine Ahnung hatte, so wirklich, vom Kopf her, wie groß das Ding werden wird.

Seinen ersten internationalen Hit hatte er im Herbst 1981 mit „Der Kommissar“. Zum Weltstar wurde er 1986 mit „Rock me Amadeus“.

Nachdem es dann mit der Karriere nicht mehr so gut weiterlief und sein Privatleben in die Schlagzeilen geriet, zog er sich in die Dominikanische Republik zurück, um in Ruhe an einem neuen Album arbeiten zu können: Die Frage ist nicht, was mache ich hier. Die Frage ist, was lasse ich in der Zeit, in der ich da bin, zu Hause für einen Blödsinn aus.

Kurz vor seinem 40. Geburtstag kam Falco bei einem Autounfall zwischen Villa Montellano und Puerto Plata ums Leben.

 

 

 

Roque Dalton

* 14.5.1935 in El Salvador, † 10.5.1975 in Quezaltepeque, salvadorianischer Dichter

 

„Roque Dalton brachte sogar Steine zum Lachen… Die Lyrik Roques war wie er: zärtlich, bissig, kämpferisch. Wie gelang es dem Tod nur, ihn einzuholen?“, fragte Eduardo Galeano.

Und Julio Cortázar sagte: „… was aus Roque Dalton einen Menschen machte, der mir einen Aussicht auf Zukunft verkörpert: Lebensfreude, Sinn für das Spielerische, Suche nach Liebe auf allen Ebenen, Zweifel statt Dogma, Kritik statt Ehrfurcht.“

In seinem Poem „Schimmel“ schrieb Roque Dalton in Kapitel VIII:

In meinem letzten Gefängnis betete ich bei zwei Gelegenheiten. Unpassend, ich weiß, für einen Kommunisten mittleren Alters, aber darum nicht weniger wahr. Was mich den Rest meines Lebens verfolgen wird, ist nicht jene intime Konzession an die Angst, sondern das, was ich das Zusammentreffen des Außergewöhnlichen nennen würde. Das erstemal war es, wie alle Welt weiß, als das Erdbeben die Zellenwände einstürzen ließ. Das zweitemal, als sie mir sagten, am nächsten Tag würde es mir an den Kragen gehen, und sie würden mich mit dem ganzen Scheißmist von Gesetz als rotes Schreckgespenst in Verruf bringen.

Ein Polizist lieh mir für eine Viertelstunde eine Bibel: auf gut Glück schlug ich sie auf und machte mir eine Art bitteren Spaß draus;

Und das erste,

was ich las, war folgendes: „Er ist wie ein Schaf

zur Schlachtung geführt, und wie ein Lamm still ist vor

                                                                seinem Scherer,

so hat er nicht aufgetan seinen Mund. In seiner Niedrigkeit

ward ihm gerechtes Urteil versagt. Wer wird von seinem

                                                                Geschlechte reden?

Denn sein Leib wird von der Erde weggenommen.“

Als Wunder mag es ja noch angehen, Padre, aber leugnen

                                                                Sie mir nicht,

daß es eine Hundsgemeinheit ist, wirklich.

 

Roque Dalton war Jesuitenschüler und trat der illegalen KP El Salvadors bei, wurde zum Tode verurteilt, und kam kurz vor der Hinrichtung dank eines plötzlichen Machtwechsels im Land frei, ging nach Mexiko, dann nach Kuba, kehrte nach El Salvador zurück, wurde verschleppt, kam frei, als bei einem Erdbeben sein Gefängnis einstürzte, erneutes Exil in Kuba, Mitarbeit in der Redaktion der „World Marxist Review“ in Prag, Reise durch Westeuropa, nach Vietnam und Nordkorea, 1973 erneute Rückkehr nach El Salvador.

 

     Nr. 357

Die Aufseher lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen. Zum Beispiel, die mit Steinen nach Kaninchen schmeißen, sobald welche mit Margeriten im Maul aus dem Garten gerannt kommen. Und jene, die vor meiner Zelle herumhumpeln, dabei starke Worte brüllen und zusehen, wie sich in ihren Uhren der Geifer des Regens sammelt. Dann noch, die mich frühmorgens mit einem Pissestrahl wecken (wobei sie mir mit der Taschenlampe das Gesicht lecken) und missmutig erzählen, daß es noch kälter geworden ist. Zu keiner dieser Gruppen gehört Nr. 357, früher Hirte und Musikant und jetzt aus Rache Polizist, wegen irgendeiner undurchsichtigen Geschichte, allerdings nur noch bis zur Entlassung (das heißt der von Nr. 357), Ende des Monats. Weil er sich nachts einmal davongestohlen hatte und bis neun Uhr morgens bei seiner Frau schlief, dem Dienstreglement zum Hohn. Vor ein paar Tagen hat mir Nr. 357 eine Zigarette geschenkt. Als er mich gestern ein großes Blatt Anis kauen sah (mit der Hakenrute, die ich mir gebastelt hatte, war mir gelungen, die Pflanze in die Nähe des Gitters zu ziehen), fragte er mich nach Kuba. Und heute hat er mir vorgeschlagen, ich könnte ihm doch ein kleines Gedicht schreiben – etwas über die Berge von Chalatenango -, damit er ein Andenken von mir hat, wenn sie mich umgebracht haben.

 

Roque Dalton hatte sich in kubanischen Militärcamps als Guerilla ausbilden lassen und bot sich 1973 der Befreiungsbewegung El Salvadors FPL an. Deren marxistischer Führer aber wies ihn mit der Begründung zurück, seine Rolle in der Revolution sei nicht die eines Soldaten, sondern die eines Dichters. Daraufhin schloss sich Roque Dalton der „Revolutionären Volksarmee“, der maoistischen ERP an. Mit deren Führern geriet allerdings alsbald aneinander, wurde von einem „Revolutionären Tribunal“ wegen spalterischer Absichten zum Tode verurteilt und am 10. Mai 1975 exekutiert.

 

Es ist schön, Kommunist zu sein,

auch wenn man davon ziemliche Kopfschmerzen bekommt.

 

Wobei die Kopfschmerzen der Kommunisten

sich historische erklären, das heißt,

sie gehen nicht weg von Schmerztabletten,

sondern nur von der Errichtung des Paradieses auf Erden.

So ist das.

 

Unter dem Kapitalismus tut uns der Kopf weh,

und sie schlagen uns den Kopf ein.

Im Kampf für die Revolution ist der Kopf eine Zeitzünderbombe.

 

Beim sozialistischen Aufbau

Planen wir die Kopfschmerzen,

wodurch sie nicht weniger werden, ganz im Gegenteil.

 

Der Kommunismus wird, unter anderm,

eine Aspirin sein von der Größe der Sonne.

 

 

 

Amelia Mary Earhart

* 24.7.1897 in Atchison, Kansas, † verschollen am 2.7.1937 im Pazifik, für tot erklärt am 5.1.1939, amerikanische Fliegerin

 

Joni Mitchel sang: „She was / swallowed by the sky / Or by the sea / like me she had a / dream to fly / Like Icarus / ascending / On beautiful / foolish arms / Amelia…”

Bekannt wurde Amelia Earhart, da sie als erste Frau Nonstop den Atlantik überflog, allerdings nicht als Pilotin. Sie sagte danach: „Stultz ist die ganze Strecke alleine geflogen – zwangsläufig. Ich war nur Gepäck, wie ein Sack Kartoffeln… vielleicht werde ich es eines Tages alleine versuchen.“ Dennoch wurde sie zur „Frau des Jahrs 1928“ gewählt. In Interviews und in Vorträgen betonte sie fortan immer wieder, dass es darum gehe, „die Frauen aus dem Käfig ihres Geschlechts herauszuholen“, dass  an Frauen keine anderen Maßstäbe angelegt werden sollten als an Männer, aber auch, dass Frauen „den Hinweis auf ihr Geschlecht schon viel zu lange als Ausflucht benutzt“ hätten.

Und tatsächlich überquerte sie 1932 dann selbst den Atlantik. Und 1935 überflog Amelia Earhart als erster Mensch im Alleinflug den Pazifik zwischen Hawaii und Kalifornien. Und kurz vor ihrem 40. Geburtstag wollte sie die Erde am Äquator umrunden.

Sie startete am 21. Mai 1937 in Miami, landete in Brasilien, Westafrika, Kalkutta, Rangun und wollte von Neuguinea aus mit einem Zwischenstopp auf der Howlandinsel den Pazifik überfliegen. Dort kam sie jedoch nie an. Und obwohl nun die bis dahin größte Suchaktion in der Geschichte der Luftfahrt begann, blieb sie verschollen.

Vermutlich stürzte Amelia Earhart ab, nachdem ihr der Treibstoff ausgegangen war, da sie das Inselchen wegen fehlerhafter Positionsangaben und Schwierigkeiten bei der Sprechfunkkommunikation nicht fand. Orakelt wurde, dass sie in japanische Gefangenschaft geraten oder mit neuer Identität untergetaucht sei. Im Science-Fiction-Film „Star Trek“ wird sie von Außerirdischen entführt.

1937 hatte sie noch gesagt: Please know I am quite aware of the hazards. I want to do it because I want to do it. Women must try to do things as men have tried. When they fail, their failure must be but a challenge to others.

1939 wurde Amelia Earhart für tot erklärt.

Jimmy MacCarthy sang: „And your heart is Amelia, dying to fly.”

 

 

 

Friedrich Huch

* 19.6.1873 in Braunschweig, † 12.5.1913 in München, deutscher Schriftsteller

 

Friedrich Huch erhob die Traumaufzeichnung mit seinen Werken „Träume“ und „Neue Träume“ zu einer eigenständischen literarischen Gattung. Am bekanntesten allerdings wurde sein Schülerroman „Mao“ und als sein Hauptwerk gilt „Pitt und Fox. Die Liebeswege der Brüder Sintrup“.

Ludwig Huch starb im Alter von 39 Jahren an den Folgen einer Mittelohroperation. Die Trauerrede bei seinem Begräbnis hielt Thomas Mann.

 

 

 

 

François-Dominique Toussaint Louverture

* 20.5.1763 als Toussaint Bréda in Cap-Haïtien, † 7.4.1803 im Fort de Joux, Frankreich, haitianischer Freiheitskämpfer

 

François-Dominique Toussaint Louverture wurde „der schwarze Napoleon” genannt. Als die Nachricht vom Sturm auf die Bastille die französische Kolonie Haiti erreichte, kam es zum Bürgerkrieg, und der freigelassene Sklave François-Dominique Toussaint Louverture schloss sich Bewegung zur Sklavenbefreiung an. Dank seines militärischen Sachverstandes und seiner Erfolge stieg er rasch zum Anführer dieses Aufstandes auf, dem bis dahin erfolgreichsten Sklavenaufstand in einer westeuropäischen Kolonie. 1794 wurde die Sklaverei in Haiti abgeschafft.

1801 besetzte François-Dominique Toussaint Louverture auch den spanischen Ostteil der Insel Hispaniola, die heutige Dominikanische Republik, wo er ebenfalls die Sklaverei abschaffte und eine große Landreform durchführen ließ. Dann geriet er aber mit Frankreich in Streit, da das Mutterland die ausgehandelten Rechte der einstigen Sklaven nicht einzuhalten gedachte. Ein erstes nach Haiti geschicktes Truppenkontingent konnte er noch von der Insel vertreiben. Daraufhin befürchtete Napoleon Bonaparte offenbar, dass der Einfluss und die Vorbildwirkung François-Dominique Toussaint Louvertures weiter anwachsen könnte und entsandte ein ganzes Expeditionsheer unter General Charles Victoire Emmanuel Leclerc. Das nahm den „schwarzen Napoleon“ schließlich gefangen, deportierte ihn nach Frankreich und setzte den „Code noir“ wieder in Kraft – die Abschaffung der Sklaverei in allen französischen Kolonien war zwar bereits 1794 beschlossen, doch nur in Haiti war dies tatsächlich umgesetzt worden.

Immerhin wurde Haiti 1804 die Unabhängigkeit zugesprochen – der erste unabhängige Staat der Karibik.

François-Dominique Toussaint Louverture starb im Alter von nur 39 Jahren im Fort de Joux bei Portarlier an den Folgen seiner überharten Haftbedingungen.

Anna Seghers schrieb in ihrer Erzählung „Die Hochzeit von Haiti“: „Toussaint haßte die Weißen nicht, wie sehr sie ihn haßten. Er verachtete auch die Mulatten nicht, wenn sie ihn auch verabscheuten. Er hatte als Kind schon erfahren, wie wenig die Hautfarbe über den Mann besagt. Manche Mulattenaufseher hatten die Neger grausamer als die Weißen zur Arbeit getrieben. Andere Mulatten waren sanft und gütig und witzig und wo sie auftraten, in Geschäften und in Familien, ein Bindeglied zwischen den Rassen, die sie geformt hatten. Als hätten sie nur das Beste von beiden in ihre Gehirne und Herzen eingelassen. […] Die weiße Kultur erschien ihm ein strahlendes, unermeßliches Schloß. In seine armseligen Knabenjahre war davon ein Abglanz gefallen, der ihm das Leben wert gemacht hatte. Man durfte sie nie geringschätzen, weil sie von den Weißen ausgedacht war. In einem besseren Leben mußte man alle Menschen daran teilnehmen lassen. Man mußte denselben Abglanz auf alle Leben fallen lassen.“

 

 

 

Alarich I.

* um 370 in Peuke, † 410 bei Cosenza, westgotischer Herrscher

 

Als die Völker zu wandern begannen, führte Alarich die Seinen, die alsbald Westgoten heißen sollten, nach der Plünderung Roms gen Africa.

Er kam allerdings nur bis Kalabrien, fast bis in die Stiefelspitze Italiens immerhin, bis Cosenza, so dass noch August von Platen dichtete:

Nächtlich am Busento lispeln, bey Cosenza, dumpfe Lieder, / Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder! // Und den Fluß hinauf, hinunter, zieh’n die Schatten tapfrer Gothen, / Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Todten. // Allzufrüh und fern der Heimath mußten hier sie ihn begraben, / Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben…

Kann sogar sein, dass sich von Platen das Ganze vor Ort genau ansah, nachdem er nach Italien ins Exil gegangen war.

Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette, / Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette. // In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde, / Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde. // Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe, / Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe….

Den sagenhaften Schatz zu heben, wird ihm ja wohl kaum in den Sinn gekommen sein.

Abgelenkt zum zweyten Male, ward der Fluß herbeygezogen: / Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen. // Und es sang ein Chor von Männern: Schlaf’ in deinen Heldenehren! / Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je dein Grab versehren! // Sangen’s, und die Lobgesänge tönten fort im Gothenheere; / Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!

Aber vielleicht sollte man den Völkerscharen, die heute von Afrika her gen Italien drängen, erlauben, im Busento zu graben. Denn wer weiß schon, wo sie sonst dereinst, gut geführt, sesshaft werden.

 

 

 

Anacoana

* 1464 in Yaguana, † 1504 auf Hispanola, Königin der Taíno

 

Dominica ist die einzige Insel der Karibik, wo indianische Ureinwohner überlebt haben. Ein englischer Gouverneur stand ihnen 1903 ein Reservat an der Ostküste der Insel zu. Und dahin fahren Jeanny und ich.

Unsere heutige Fremdenführerin Morica ist Indianerin, lebt mit etwa 3.500 Kariben in diesem Reservat. So sollte das, was sie erzählt, wohl auch glaubwürdig sein: Das Reservatsland gehört dem Stamm, darf nicht verkauft werden, wird in den Familien von Generation zu Generation für die jeweiligen Grundstücke weitergegeben. Im Prinzip heiraten Kariben untereinander, wenn ein Karibe aber beispielsweise eine Schwarze heiraten will, muss sie ins Reservat ziehen, kann dann nach 12 Jahren zum Stamm gehören. Im umgekehrten Fall müssten Karibenfrauen das Reservat verlassen. Es gibt eine Grundschule hier (finanziert von Hugo Chavez!), alle weiterführenden Schulen stehen dann aber außerhalb. Ebenso gibt es hier kein Krankenhaus, auch keinen Supermarkt. Doch immerhin sind ja alle Grundnahrungsmittel wie seit Urväterzeiten im dichten Inselgrün reichlich vorhanden: Bananen, Kokosnüsse, Papaya, Mango, Sternfrüchte, Tarok, Cassava… Und Fische gibt’s in den klaren Bächen und Flüssen, die oft malerisch über Kaskaden gen Meer stürzen, wie im Meer selbst mehr als genug.

Meine Befürchtung, schlappe folkloristische Darbietungen geboten zu bekommen, bestätigt sich glücklicherweise nicht. Durch „normale“ Siedlungen der Kariben gelangen wir zum Museumsdorf Kalinago Barana Auté, Rundgang mit kundigen Erläuterungen. Die Männer beispielsweise lebten in einem großen Haus beisammen, die Frauen hatten mit ihren Kindern kleine Hütten. Im Alter von 12 Jahren hatten die Jungen Initiationsriten zu überstehen, so wurden ihnen scharfe Gewürze in frisch geritzte Armwunden gerieben, danach zogen sie mit ins Männerhaus. Wollte ein Mann eine Frau heiraten, übergab die ihm ein Steinbeil und suchte einen Baum aus, den er zu fällen hatte. Gefiel ihr seine Arbeit, konnte geheiratet werden. Die Kariben haben eine eigene Sprache, die allerdings keine Schrift kennt. Insofern wird dieses Idiom auch nicht in der Schule gelehrt, sondern nur von Mund zu Mund weitergegeben.

Der Chief des Stammes wird aller 5 Jahre gewählt. Es sitzen auch Vertreter der Kariben im Parlament der Insel. Schwer zu sagen, ob die letzten karibischen Ureinwohner sich also heimisch fühlen im Staate Dominica…

 

 

 

Victor von Aveyron

* um 1788, † 1828 in Paris, französisches „Wolfskind”

 

Zweimal wurde ein wilder, nackter Junge in einem Wald bei Saint-Sernin-sur-Rance entdeckt und eingefangen, der sich jedoch auch zweimal wieder befreien und in den Wald zurücklaufen konnte. Erst am Morgen des 9. Januar 1800 gelang es, ihn bei einem Dorf im Department Aveyron für immer in menschliches Gewahrsam zu nehmen.

Er war etwa 12 Jahre alt, doch nur 1,36 m groß, konnte nicht sprechen, nicht sein eigenes Spiegelbild erkennen und schlief von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Er ernährte sich von Eicheln, Nüssen und Kastanien und verabscheute Süßigkeiten, Gewürze und gegarte Speisen, Er war unfähig, etwas nachzuahmen, interessierte sich nicht für die Spiele anderer Kinder, reagierte auch nicht auf Musik oder menschliche Sprache, mit Ausnahme des Vokals O, bei dem er sich umdrehte. So erhielt er den Namen Victor.

Zwei Psychiater stritten sich, ob Victor ein „geborener“ oder ein „Idiot“ durch die Umstände seines Aufwachsens sei, Victors „Idiotie“ also keine biologischen, sondern kulturelle Ursachen habe.

Im Jahr 1801 beschrieb der Psychiater, der Victor für einen nicht biologischen Idioten hielt, tatsächlich Fortschritte in seinem Alltagsverhalten: „Er zieht sich jetzt alleine an, bemüht sich, sein Lager nicht zu beschmutzen, deckt den Tisch, hält seinen Teller hin, um Essen zu bekommen, geht Wasser holen, wenn der Krug leer ist, fertigt unliebsame Besucher ab, indem er ihnen den Ausgang zeigt, fordert die Neugierigen auf, ihn in einem kleinen Handkarren herumzufahren, bringt dem Arzt einen Kamm, wenn dieser absichtlich seine Haare in Unordnung gebracht hat, und legt des Morgens die Kleider seiner Erzieherin zurecht.“

Fünf Jahre später berichtete der gleiche Psychiater, ein Monsieur Itard, dass sich Victor mit einfachen und öden Arbeiten beschäftige, wie dem Sägen von Holz und leichten Hausarbeiten. Er freute sich über Lob, zeigte Reue bei einem Tadel und war empört, wenn ihm dieser unberechtigt erschien. Zudem hatte durch das ständige Üben mit einem Lehrer die Bedeutung der wichtigsten Wörter kennengelernt und vermochte diese selbstständig zu schreiben.

In den folgenden Jahren zeigte Victor jedoch keinerlei weiteren Fortschritte, und als man vermutete, dass er volljährig sei, wurde er für 150 Franc jährlich in die Obhut einer Madame Guérin gegeben. Bei ihr vegetierte er in einem Nebengebäude der Pariser Taubstummenanstalt des Monsieur Itard bis er zu guter Letzt etwa vierzigjährig verstarb

Francois Truffaut drehte 1970 den Film ‚Der Wolfsjunge, dem das Schicksal Victors von Aveyrons zugrunde lag.

 

 

 

Neagoe Basarab

* um 1481, † 15.9.1521 in Curtea de Arges, Herrscher der Walachei

 

Neagoe Besarab war nicht nur ein mächtiger und diplomatisch geschickter Bojar, der versuchte die Walachei in ein europäisches Bündnissystem gegen den wachsenden Einfluss des Osmanischen Reiches einzubringen, sondern gilt auch als Verfasser eines für den orthodoxen Kulturbereich Ost- und Südeuropas einmaligen Fürstenspiegels. Dieses Werk aus den Jahren 1519/20 enthält eine umfangreichen Sammlung Biblischer, patristischer, und philosophischer Argumente zur Untermauerung einer christlichen Herrschaft und hat einen zweiten, sich auf pragmatische Aspekte fokussierenden Teil, wo Tischsitten des Herrschers, Hofprotokolle, die Wahl der Berater, die Amtsverleihung am Hofe, Gesandschaften, militärische Strategie und dergleichen eine Rolle spielen.

Zudem unterstützte Neagoe Basarab die orthodoxe Kirche vom Balkan bis Konstantinopel und Jerusalem bis zum Berg Sinai durch großzügige Schenkungen. So konnte beispielsweise die Klosterkirche von Curtea de Argeș erbaut werden, eine hoch ästhetische architektonische Synthese von byzantinischen, armenischen, balkanischen Elementen.

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Jacobus Clemens non Papa

* um 1515 als Jacques Clement wohl in Dordrecht, † 1555 wohl in Diksmuide, flämischer Komponist

 

„Im Bereich der Meß- und besonders der Motettenkomposition stellt Jacobus Clemens non Papa die absolut zentrale Figur in der Musik der Mitte des 16. Jahrhunderts dar, unter dessen Feder sich wie in selbstverständlicher technischer Meisterschaft die üppige Klangfülle des franko-flämischen Stils mit einer nicht extrovertiert-expressiven oder ausgesprochen deklamatorischen, aber doch detailgenauen und subtil rhetorischen Textdarstellung verbindet“, urteilte der Musikwissenschaftler Thomas Schmidt-Beste.

Über das Leben des Jacobus Clemens non Papa ist nicht allzu viel bekannt. Aktenkundig erwähnt wurde er erstmals 1538, weitere Spuren finden sich in Brügge, ’s-Hertogenbosch, Ypern und Leiden. Die Komponisten Gherardus Mes und Gallus Dreßler gelten als seine Schüler.

Wikipedia weiß: „Das außerordentlich umfangreiche kompositorische Werk von Jacobus Clemens non Papa umfasst fünfzehn Messen, 233 Motetten, 16 Magnificat-Vertonungen in zwei Zyklen, etwa 90 Chansons, acht mehrstimmige niederländische Lieder und eine fast vollständige mehrstimmige Bearbeitung der 150 niederländischen Psalmen in Versform (Souterliedekens). Besonders auffällig ist dieser Werkumfang, weil seine Entstehung sich auf weniger als 20 Jahre zusammendrängt. Schon zu Lebzeiten haben sich seine Werke in Sammeldrucken meist niederländischer Verleger verbreitet, in Handschriften sogar in ganz Europa. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden viele seiner Stücke für Laute, Zither und Tasteninstrumente bearbeitet. Der Ruhm des Komponisten erreichte seinen Höhepunkt um das Jahr 1560.“

 

 

 

Hone Heke

* um 1810 im neuseeländischen Pakaraka als Hone Wiremu Heke Pokai, † 6.8.1850 in Kaikohe, Māori-Häuptling

 

Der Maori-Häuptling Hone Heke fällte aus Protest gegen die englischen Invasoren viermal den Fahnenmast von Kororareka samt Union Jack, und löste damit den flagstaff war aus. Nach fast zwei Jahrzehnten des Kämpfens unterzeichnete er 1848 einen Waffenstillstand, welcher der neuseeländischen Nordinsel einige Jahre Frieden bescherte, und zog sich in sein Stammesgebiet zurück, wo er zwei Jahre darauf an Tuberkulose verstarb. Als eine der bedeutendsten Aktionen des flagstaff war gilt eine Expedition Hone Hekes nach Tauranga.

175 Jahre nach Hone Hekes Tod kamen auch Jeanny und ich nach Tauranga: Nachtfahrt zur Region Bay of plenty. Dank des geschäftigen Hafens gilt Tauranga als die am schnellsten wachsende Stadt Neuseelands. Nicht weit von hier, an der Landspitze Maketu, soll einst eines der legendären Ahnen-Kanus gelandet sein. Mit insgesamt sieben solcher Kanus gelangten demnach die Vorfahren der späteren Maori-Stämme aus ihrer ost-polynesischen Heimat hierher, vier zur Nord-, drei zur Süd-Insel. Im 13. Jahrhundert wohl.

Wir fahren im Bus entlang endloser Kiwi-Plantagen zu einem der heutigen Zentren der Maori-Kultur, nach Rotorua. In diesem Städtchen mit seinem gepflegten Kurpark dampfen allenthalben Thermalquellen, gischten Geysire, Schwefelgestank. Wir besuchen aber, noch etwa 15 Kilometer weiter, eine nachgebaute Maori-Siedlung.

Begrüßungszeremonie mit reichlich rausgestreckten Zungen, Augenrollen und Nasenaneinanderreiben, dann Handwerks- und Tanzvorführungen vor Hütten mitten im Wald. Gesänge im Langhaus und schließlich das traditionelle Essen, Hangi: Gerichte aus dem Erdofen, Fleisch, Fisch, Muscheln und alle Beigaben aus Süßkartoffeln (leckeres Brot sogar). So sehr das alles hier folkloristisch ist, sind es doch vor allem junge Maori, die sich hier engagieren, die Sitten und Gebräuche ihres Volkes vorführen. In heutigen Maori-Siedlungen dürfte man kaum Einblicke in einstiges Leben gewinnen können. Überhaupt scheint es seit Jahrzehnten starke Identitätsfindungsprozesse der Maori zu geben, die sich nicht allein in der Pflege kulturellen Traditionen oder der Sprache (die seit 1987 immerhin offiziell anerkannt ist) niederschlägt, sondern auch in politischen und juristischen Ansprüchen.

Nicht wenigen Grundbesitz übertrug der neuseeländische Staat beispielsweise an die Maori-Gemeinschaften zurück, hier in Tauranga die alte Siedlungsstätte Mount Maunganui, der hoch den Hafen überragt und 1864 im Zuge eines der Feldzüge der sogenannten Maori-Kriege von englischen Truppen erobert und dann widerrechtlich angeeignet worden war.

Witi Ihiamera, der wohl bekannteste Maori-Schriftsteller („Whalerider“!), schreibt in seinem Buch „Whanau“: „Nichts ist von der Größe erhalten. Und nicht viel ist übrig geblieben vom Familienland, von dem Land der Maori. Ja, und dennoch hat es einst viel Land gegeben, das uns gehörte. Wir bebauten es gemeinsam und lebten gemeinsam von den Erträgen. Aber es glitt uns aus den Händen, wurde verkauft oder uns in großen Flächen genommen. Die einzelnen Familien des Dorfes wuchsen, und das restliche Land konnte sie nicht ernähren. Die Familien zersplitterten, so wie das Land zersplitterte. Manche zogen fort auf der Suche nach einem besseren Verdienst, einem besseren Leben. Wenige kehrten zurück. (…) Gleich wo die Maori leben, gleich, in welchem Maß sie integriert sind oder sich ihr Lebensstil, ihre Haltung geändert haben, die meisten Maori drücken ihre Identität auch weiterhin durch Nennung ihrer geografischen, historischen und genealogischen Bindungen aus. Die Stammesidentität schiebt sich vor die individuelle Identität. Es ist eine gefühlsmäßige Identität, sie gründet sich auf den Begriff der Aroha, der Liebe und Sympathie füreinander als Mitglied eines Familienverbandes, und auf Whanaungatanga, die überkommene Pflicht, sich gegenseitig beizustehen, zu helfen. Liebe und Pflicht sind die wichtigsten Bande. Sie verknüpfen jeden einzelnen nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch miteinander in einer industriellen Gegenwart.“

 

 

 

Hans Kohlhase

* um 1500 in Tempelberg, † 22.3.1540 in Berlin, deutscher Kaufmann

 

Am 1. Oktober 1532 wurden Hans Kohlhase in Wellaune von Bediensteten des sächsischen Adligen Günter von Zaschwitz willkürlich die Reisepferde konfisziert. So verpasste der Kaufmann Kohlhase den Leipziger Michaelismarkt, wohin er reisen und wo er handeln wollte, und sah sich ruiniert. Als er nun aber auf Schloss Schnaditz, bei Günter von Schachwitz, sein Eigentum zurückforderte, wurden ihm Bedingungen gestellt, die er weder annehmen konnte noch wollte. Und als Kohlhase vergeblich beim Kurfürsten Johannes I. von Brandenburg wie beim Kürfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen um Hilfe nachgesucht und als auch ein Gütetermin auf Burg Düben am 13. Mai 1533 nichts brachte, schrieb er am 13. März 1534 einen Fehdebrief an den sächsischen Adel.

Und die darin angedrohten Taten realisierte Hans Kohlhase dann, dem „Microchronicum Marchicum“ des Peter Hafftiz zufolge: mit aktiver und passiver Unterstützung von Helfern aus allen Schichten der ländlichen und städtischen Gesellschaft des brandenburgisch-obersächsischen Grenzraumes: In der kurfürstlichen Residenzstadt Wittenberg wurden Brände gelegt, in der Herrschaft Teupitz sowie in der Gegend Zossen der Adel bedrängt und bei Jüterbog die Besitzungen des Klosters Zinna angegriffen. Doch an der Beute aus diesen Überfällen hat sich Hans Kohlhase niemals bereichert. Meist wurde die Beute an Bedürftige verteilt. Nachdem Adel und Geistlichkeit Druck auf die Landesherren ausgeübt hatten, kam es am 7. Dezember 1534 bin Jüterbog zu einer Einigung, der zufolge Hans Kohlhase eine Entschädigung von 600 Gulden zustand. Der Brandenburger Kurfürst annullierte jedoch den Vertrag und selbst Martin Luther vermochte nicht, Hans Kohlhase davon abzubringen, seine Fehde wieder aufzunehmen. In der folgenden Zeit wurden circa 160 brandenburgische Städte und Dörfer verdächtigt, Hans Kohlhase zu unterstützen; viele Personen wurden gefoltert und

hingerichtet. Und als Hans Kohlhase dann Anfang Februar 1540 einen kurfürstlichen Silbertransport überfiel und die Barren als Pfand einbehielt, traf das den brandenburgischen Kurfürsten empfindlich. Guten Glaubens folgte Kohlhase dann einem Versprechens des Kurfürsten, dass er mit Freiem Geleit zu Verhandlungen nach Berlin kommen könne, doch wurde ihm hier umgehend der Prozess gemacht. Nachdem Hans Kohlhase schließlich in einer dreistündigen Verteidigungsrede Gerechtigkeit für sich und seine Sache gefordert hatte, wurde er vor dem Straußberger Tor gerädert.

Rasant verbreitete sich nunmehr das Gerücht, Kohlhase sei der neue und wahre Robin Hood gewesen. Und so vor allem verblasste die Kunde von der Suche des Hans Kohlhase nach einer besseren Welt wohl auch in kommenden Zeiten nicht.

 

 

 

Pheidippides

* 530 v. Chr. in Athen, † 12.9.490 v. Chr. ebd., griechischer Bote

 

Herodot berichtet, dass Pheidippides vor der Schlacht von Marathon von Athen nach Sparta lief, um die Spartaner um Hilfe gegen die eingefallenen Perser zu bitten. Der legte die rund 245 km lange Strecke in weniger als zwei Tagen zurück, die Spartaner feierten jedoch gerade ein rauschendes Fest und lehnten ab, so dass die Athener letztlich auf sich allein gestellt waren. In der legendären Schlacht von Marathon standen ihnen dann jedoch Myriaden von Mücken beiseite, die tausende, in sumpfigem Gelände lagernde Perser durch Malaria-Ausbrüche schwächten und letztlich ums Leben brachten.

500 Jahre später erzählte Plutarch von einem Läufer namens Thersippos, der nach Schlacht von Marathon nach Athen gerannt sei, um die Botschaft vom ruhmreichen Sieg über die Perser zu verkünden. Und nochmals 100 Jahre darauf nannte Lukian diesen Boten Philippides, worauf es im Laufe der Zeit zur Verschmelzung mit dem verbürgten Pheidippides kam.

Tja, und da die Strecke von Marathon nach Athen gut 42 km lang ist, kam es bei der Belebung der Olympischen Spiele im Jahr 1896, also fast 2.500 Jahre nach Pheidippides, zum ersten Marathonlauf der neuen Geschichte.

Seitdem dürfte so mancher Leichtathlet gejubelt haben: Veni, vidi, vici! – Ich kam, ich sah, ich siegte! – was Plutarch bekanntlich Cäsar ausrufen ließ, eigentlich aber nur eine lateinische Übersetzung des altgriechischen Originals ἦλθον, εἶδον, ἐνίκησα  - älton, ejdon, enikäsa  ist und wohl den Malariamücken zugeschrieben werden müsste…

 

 

 

Johann Philipp Reis

* 7.1.1834 in Gelnhausen, † 14.1.1874 in Friedrichsdorf, deutscher Physiker

 

Am 26. Oktober 1861 hielt Johann Philipp Reis hielt einen Vortrag beim Physikalischen Vereins in Frankfurt am Main mit dem Titel: „Über die Fortpflanzung von Tönen auf beliebige Entfernungen durch Vermittlung des galvanischen Stroms“, und führte dabei erstmals den Prototyp eines Fernsprechers, den er „Telephon“ nannte, öffentlich vor.

Die deutsche Wissenschaft und Öffentlichkeit hielt jedoch nichts von diesem Apparat, und da Johann Philipp Reis schwer an Tuberkulose erkrankte, vermochte er seine Erfindung nicht weiter zu entwickeln und starb im Alter von 40 Jahren, ohne dass ihm die gebührende Anerkennung zugekommen wäre.

So kam der Ruhm, den ersten wirtschaftlich einsetzbaren Fernsprecher entwickelt zu haben, schließlich dem Amerikaner Alexander Graham Bell zu, der es geschickt verstand, die Reis’sche Basisarbeit zu nutzen.

Immerhin errichteten die Mitglieder des Physikalischen Vereins zu Frankfurt nach der allgemeinen Einführung des Telefons einen Obelisk auf dem Grab von Johann Philipp Reis.

 

 

 

Spartacus

* 111 v. Chr. in Thrakien, † 71. v. Chr. in Strongoli, Italien, Sklavenführer

 

Der Geschichtsschreiber Appian ließ Spartacus zu einem Gladiatorenfreund sagen: „Man darf das Leben nicht für Schauspiele einsetzen, sondern für die Freiheit“, was das Gefüge der römischen Sklavenhalter-Gesellschaft grundsätzlich in Frage stellte.

Karl Marx beurteilte Spartacus als einen „wahren Vertreter des römischen Proletariats“, und meinte in einem Brief sogar, er sei „der famoseste Kerl, den die ganze antike Geschichte aufzuweisen hat“ gewesen.

Allein mehr als 30 antike Autoren beschäftigten sich mit Spartacus Gern wird er immer wieder als Symbolfigur gegen Unterdrückung und Knechtschaft bezeichnet und vielfältig bis heute als Vorbild und Namensgeber genutzt.

Allerdings wurde er nicht wie im Hollywood-Film „Spartacus“ gekreuzigt“, sondern fiel auf dem Schlachtfeld. Zur Abschreckung gekreuzigt wurden entlang der Via Appia nach der Niederschlagung des Spartacus-Aufstandes 6.000 seiner Mit-Rebellen.

 

 

 

Heinrich von Veldeke

* vor 1150 in Hasselt, † zwischen 1190 und 1200 in Freyburg (Unstrut), niederländisch-deutscher Dichter

 

Der Eneasroman Heirnich von Veldekes gilt als ältester höfischer Roman deutscher Sprache. Mit seiner Dichtung setzte er Maßstäbe für einen reinen und klaren Stil.

 

Dô nam der hêre Ênêas / die frouwen under sîn gewant. / wol geschaffen her si vant. / her begreif si mit den armen. / do begunde ime irwarme / al sîn fleisch und sîn blût. / dô heter manlîchen mût, / dâ mite gwan er di oberen hant; / der frouwen her sich underwant. / (…) minnechlîche her si bat, / daz si in gewerde / des si selbe gerde, / (iedoch sprach di dar wider) / und er legete sie dar nider, / alsez Vênûs geriet: / sine mohte sich erweren niet. / her tete ir daz her wolde, / sô daz her ir holde manlîche behielt. / ir wizzet wol, waz des gewielt.

Da nahm der edle Eneas / die Dame unter seinen Mantel. / Er nahm ihre Schönheit wahr. / Seine Arme schlang er um sie. / Darauf belebte sich / sein ganzes Fleisch und Blut. / Weil er ein Mann war, / gewann er die Oberhand; / er bemächtigte sich der Dame. / (…) Freundlich bat er sie, / ihm zu gewähren, / wonach sie sich selber sehnte / – aber sie lehnte ab – / und er legte sie nieder, / so wie Venus es anordnete: / Sie konnte sich nicht wehren. / Er tat mit ihr, was er wollte, / sodass er ihre Zuneigung tapfer behielt. / Ihr wisst gut, was das war.

 

Über Veldekes Leben ist nicht allzu viel bekannt. Die halleschen Germanisten Hans.Joachim Solms und Jörn Weinert schreiben: „Es wird angenommen, dass er einem Ministerialengeschlecht entstammte, das nach dem kleinen, in den Quellen nur selten bezeugten Dorf Veldeke (Provinz Limburg) benannt war. […] Für den Autor und sein Werk war sicher von Relevanz, dass sich der namengebende wahrscheinliche Herkunftsort im Westen des Reiches im unmittelbaren Grenzbereich zur Romania befand. Einflüsse, die in sprachlicher und gesamtkultureller Hinsicht aus dieser räumlichen Nähe erwuchsen, werden in Veldekes literarischem Œvre deutlich. Es ist wahrscheinlich, dass sich aus dieser ‚Grenzlage’ für ihn ein größeres sprachliches Spektrum ergab, das ihm mit Bezug auf das Altfranzösische Kompetenzen verschaffte und ihn im Hinblick auf unterschiedliche Varietäten im sog. Mittelhochdeutschen (das Deutsch der Zeit des 11. bis 14. Jahrhundert) Möglichkeiten eröffnete, den Bedürfnissen seines jeweiligen und über sein unmittelbares Lebensumfeld hinaus vorhandenes Publikum auch im sprachlichen Ausdruck zu entsprechen. Man hat vermutet, dass Heinrich von Veldeke zunächst für ein Leben als Kleriker ausgebildet worden war und dann aus unbekannten Gründen den Weg zurück in ein weltliches Leben beschritt. […] Da er wohl selbständig die Servatius-Legende aus dem Lateinischen übertrug und dabei über 6.000 Verse hinweg seiner Vorlage treu geblieben ist, wird man von seiner guten Kenntnis dieser Gelehrtensprache ausgehen können. In Heinrichs Hauptwerk, dem Eneasroman, wird ebenfalls deutlich, dass der Autor die lateinische Überlieferung dieses Stoffes gekannt haben muss. Unter Bezugnahme auf die lateinische Fassung Vergils ist Heinrich an einigen Stellen über seine französische Hauptquelle, den Roman d’Enéas, hinausgegangen und hat diesen geradezu ‚korrigiert’.“

Sicher überliefert ist, dass Heinrich von Veldeke sein zu vier Fünftel fertiges Eneas-Manuskript in Kleve gestohlen wurde. Anlässlich der Hochzeit des Thüringer Landgrafen Ludwig III. mit Margarete von Kleve sollte er seine Dichtung vortragen. Nach den Feierlichkeiten war das Manuskript verschwunden. Als Dieb verdächtigte man Heinrich Raspe III., den Bruder des Landgrafen. Und tatsächlich wurde Heinrich von Veldeke neun Jahre später nach Thüringen gerufen, erhielt sein Manuskript zurück und vollendete auf der Freyburger Neuenburg, wo er denn auch starb,  um 1185 seinen großen Roman.

 

Do her denken begonde / mit allen sinnen sînen / umb die schônen Lavînen, / (…) do begonder heizen unde rôten. / von minnen erhitzete im sîn blût / und verwandelt im sîn mût. / dô wânde der helt vile mâre, / daz ez ein ander wêwe wâre, / suht oder fieber oder ride…

Als er zu denken begann / mit all seinen Gedanken / an die schöne Lavinia, / da erhitzte er sich und wurde rot. / Von der Minne wurde sein Blut heiß / und veränderte sein Gemüt. / Darauf dachte der große Held, / dass es ein Leiden sei, / Krankheit, Fieber oder Fieberschauer...

 

 

 

Wolfram von Eschenbach

* um 1180 wohl in Obereschenbach oder Pleinfeld, † um 1220, Minnesänger

 

„Das ist nach Wolfram des Menschenlebens höchstes Ziel, daß man sich des Himmels Huld verdiene, ohne den Freuden der Erde den Rücken zu kehren“, schrieb der germanistische Mediavist Friedrich von der Leyen in seinem Nachwort zu einer Ausgabe des „Parzival“, der als Wolfram von Eschenbachs bedeutendstes Werk, als wichtigstes Epos seiner Zeit gilt.

Er verfasste aber auch Minnelieder wie Guot wip, ich bite dich minne, das strophische „Titurel“-Fragment sowie die unvollendet gebliebene Reimpaarerzählung „Willehalm“. Über die berichtet Jörg Peukert, Direktor der Freyburger Neuenburg, die zu Zeiten Wolframs zum Herrschaftsbereich des Thüringer Landgrafen Hermann I. gehörte: „Wolfram von Eschenbach schuf im Auftrag des Fürsten den ‚Willehalm’. Quelle dafür war das gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstandene französische Epos ‚Aliscans’. Dieses gehörte zu den so genannten Chansons de geste, die die Behandlung historisch-heldischer Stoffe zum Inhalt hatte. Das Werk war Teil eines gesamten Epenzyklus im Wilhelm von Toulouse, einem Verwandten des karolingischen Königshauses. […] Noch während Wolframs Arbeit am ‚Willehalm’ verstarb Landgraf Hermann im Jahr 1217. Doch scheint der Dichter auch noch danach – unter Hermanns Sohn Ludwig IV: - das Werk fortgesetzt zu haben. Indiz hierfür ist die Aufnahme von Themen, die durchaus dessen Interessen entsprachen. Dazu gehören Fragen nach der grundlegenden Ordnung der Welt sowie die eines gottgefälligen Lebens in ihr. So wird Willehalm zum ‚Ritterheiligen’ stilisiert, und seine Gemahlin Gyburc erscheint im Spannungsfeld ihres Lebens als Fürstin und als ‚heilige Frau’. Gerade diese Konstellation erinnert sehr an Elisabeth und Ludwig IV: und damit an zwei Personen, die auf das engste mit der Neuenburg verbunden sind.“

Auftraggeber für den „Parzival“ könnte der Graf von Wertheim gewesen sein, den Wolfram als min herre im „Parzival“ nennt. Dieser Versroman widmet sich als das erste in deutscher Sprache erhaltene Werk dem Heiligen Gral, insbesondere dem Leben der Artus-Ritter Parzival und Gawan.

Weltberühmt wurde Wolfram von Eschenbachs Hauptwerk durch Richard Wagners Adaption, durch den „Parsifal“, uraufgeführt gut 660 Jahre nach dem Tod des Dichters in Bayreuth.

 

 

 

Wladimir Michailowitsch Komarow

* 16.3.1927 in Moskau, † 24.4.1967 im Adamowski Rajon, sowjetischer Kosmonaut

 

Wladimir Michailowitsch Komarow war der erste Mensch, der bei einer Weltraum-Mission ums Leben kam.

Er war Testpilot und wurde 1960 in die erste Kosmonautengruppe der Sowjetunion aufgenommen. 1964 flog er mit „Woschod 1“ erstmals ins All.

Am 23. April 1967 startete er mit „Sojus 1“, sein Ersatzmann war Juri Gagarin. In der Umlaufplan stellten sich jedoch Probleme ein, der Versuch, das Raumschiff rasch und unbeschadet zur Erde zurückzubringen scheiterte, die Landekapsel schlug in der Oblast Orenburg hart auf dem Boden auf, Wladimir Michailowitsch Komarow starb, 40 Jahre alt.

Die Urne mit seinen sterblichen Überresten wurde an der Moskauer Kremlmauer beigesetzt.

 

 

 

Regiomontanus

* 6.6.1436 als Johannes Müller in Königsberg, Bayern, † 6.7.1476 in Rom, deutscher Gelehrter

 

Regiomontanus gilt als Begründer der modernen Trigonometrie und früher Reformator des Julianischen Kalenders. Auf ihn geht der Punkt zwischen den beiden Faktoren einer Multiplikation zurück. Neben Nikolaus von Kues war er zudem der wesentliche Wegbereiter des kopernikanischen Weltbildes. Die Genauigkeit seiner astronomischen Beobachtungen wurde erst von Tycho de Brahe übertroffen.

Christoph Kolumbus und Vasco da Gama nutzten seine „Ephemeriden“, eine Vorausberechnung der täglichen Bewegungen der Himmelskörper, der Konjunktionen und Finsternisse auf die folgenden 32 Jahre vom Jahr 1474, bei ihren Entdeckungsreisen.

Als Zwölfjähriger errechnete er ein astronomisches Jahrbuch, als Sechzehnjähriger war er Baccalaureus, als Einundzwanzigjähriger lehrte er als Magister in Wien Mathematik und Philologie. Er entwickelte den Jacobsstab weiter, erstellte auch gern als Horoskope und wirkte als Drucker und Verleger.

Nicht von ungefähr also wurden ein bereits 1472 von ihm beobachteter Asteroid, ein Mondkater sowie eine astronomische Zeitschrift nach ihm benannt.

Regiomontanus, der laut einer astrologische Rektifikation seines Geburtshoroskops „anno 1436, den 6. Jun. hor. 4 min. 40 a[e]quatis á meridie zu Königsberg“  auf die Welt gekommen war, starb im Alter von 40 Jahren wahrscheinlich an einer in Rom grassierenden Seuche und wurde auf dem Campo Sancto Teutonico beigesetzt – der Legende nach allerdings im Pantheon. Wohlverdient.

 

 

 

Sarah Margaret Fuller

* 23.5.1810 in Cambridge, Massachusetts, † 19.7.1850 vor Fire Island, New York, amerikanische Feministin

 

Im Jahr 1844 erschien das Hauptwerk der Schriftstellerin Margaret Fuller „Woman in the Nineteenth Century“, mit dem sie ihren Ruf als frühe Feministin begründete. Darin „wandte sich nicht nur gegen das vorherrschende Stereotyp der Frau als eines in erster Linie emotionsbestimmten Wesens und forderte nachdrücklich geistige Bildung gleichermaßen für die Frauen, sondern verlangte zugleich ein Heraustreten der Frauen aus der Privatsphäre, die durch ihre Rolle als Mutter und Ehefrau geprägt war, in die öffentliche Sphäre von Beruf und Gesellschaft. Ausgehend von der intellektuellen Gleichwertigkeit der Frau setzte sie sich unablässig für eine gleichberechtigte Beziehung der Geschlechter ein; das aus ihrer Sicht der Sklaverei ähnliche persönliche Abhängigkeitsverhältnis der Frau in der Beziehung zum Mann sollte stattdessen zu einer gegenseitigen Achtungsbeziehung werden. […] Sie zitiert aus der Präambel der Declaration of Independence das dort aufgeführte unveräußerliche Grundrecht All men are born free and equal und stellt fest, dass ebendieses Grundrecht den Frauen vorenthalten wird.“ (Wikipedia)

Im Jahr 1846 reiste sie als Korrespondentin der „New York Tribune“ nach Europa. In England traf sie den italienischen Freiheitskämpfer Giuseppe Manzini, der sie in Italien mit Giovanni Angelo Marchese d'Ossoli bekannt machte, den sie heiratete. Nach der Niederschlagung der Römischen Republik verließ sie Italien. Beim Untergang des Schiffes, das Margaret Fuller, ihren Mann und ihren 1848 geborenen, gemeinsamen Sohn zurück nach Amerika bringen sollte, kam sie mit ihrer Familie ums Leben. Ihr Manuskript über die Römische Revolution ging dabei verloren. Margaret Fuller wurde nur 40 Jahre alt.

 

 

 

John Winston Lennon

* 9.10.1940 in Liverpool, † 8.12.1980 in New York, britischer Musiker und Autor

 

Tagebuch JJ, 15.12.1980:

Im Fernsehen sehe ich Bilder von einer Gedenkkundgebung für John Lennon. Zehntausende in tiefer Trauer… Mit seiner Ermordung dürfte diese Ära, die auch meine Jugend einschließt, endgültig abgeschlossen sein. Welcher Fatalismus: Erschossen von einem „wahrscheinlich“ Geisteskranken…

 

Memento

(einige Tage nach der Ermordung John Lennons, den „Homo faber“ lesend, studienhalber)

 

Null Grad Ludens:

Das friert

Den Arsch auf Grundeis

Faber, da kommt

Nichts mehr rüber,

Hol über, hol über,

Mensch. Nun komm

Schon, wie immer du heißt.

Mich friert,

verliere Dear Prudence.

 

 

 

Werner Seelenbinder

* 2.8.1904 in Stettin, † 24.10.1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden, deutscher Sportler

 

Werner Seelenbinder schrieb in seinem Abschiedsbrief aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden: Die Stunde des Abschieds ist nun für mich gekommen. Ich habe in der Zeit meiner Haft wohl alles durchgemacht, was ein Mensch so durchmachen kann. Krankheit und körperliche und seelische Qualen, nichts ist mir erspart geblieben. Ich hätte gerne gemeinsam mit Euch, mit meinen Freunden und Sportkameraden, die Köstlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, die ich jetzt doppelt zu schätzen weiß, nach dem Krieg mit Euch erlebt. Es waren schöne Stunden, die ich mit Euch verlebt habe, und ich habe in meiner Haftzeit davon gezehrt und mir diese herrliche Zeit zurück gewünscht. Das Schicksal hat es nun leider nach langer Leidenszeit anders bestimmt. Ich weiß aber, daß ich in den Herzen von Euch und auch bei vielen Sportanhängern einen Platz gefunden habe, den ich immer darin behaupten werde. Dieses Bewusstsein macht mich stolz und stark und wird mich in letzter Stunde nicht schwach sehen.

Der Ringer Werners Seelenbinder gewann im August 1933 erstmals den Titel Deutscher Meister in der Halbschwergewichtsklasse. Bei der Siegerehrung verweigerte er jedoch den Hitlergruß, wurde verhaftet und erhielt ein Jahr Wettbewerbssperre. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin belegte er den 4. Platz im Griechisch-Römischen Stil, bei den Europameisterschaften 1937 in Paris und 1938 in Tallinn wurde er jeweils Dritter.

1939 zur Arbeit in einem Rüstungsbetrieb zwangsverpflichtet, organisierte er mit deutschen Antifaschisten und polnischen Zwangsarbeitern eine illegale Widerstandszelle, wurde im Februar 1942 erneut verhaftet, in verschiedenen Zuchthäusern und Konzentrationslagern eingekerkert, dann vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und schließlich enthauptet.

64 Jahre nach seiner Ermordung nahm die Stiftung Deutsche Sporthilfe Werner Seelenbinder in seine „Hall of Fame“ auf.

 

 

 

Volker Handloik

* 19.7.1961 in Rostock, † 11.11.2001 bei Dasht-e-Qaleh, Afghanistan, deutscher Journalist

 

Jahr für Jahr kommen hunderte Journalisten bei ihrer Arbeit ums Leben, manche geraten in Schusslinien, andere werden ermordet. So auch Volker Handloik:

Amer Bashir, Kommandant der afghanischen Nord-Allianz hatte Volker Handloik und weitere Journalisten eingeladen, um über den Sieg seiner Allianz über die Taliban zu berichten. Im Kalakata-Gebirge wurde ihr gepanzertes Fahrzeug jedoch plötzlich von drei Seiten her beschossen. Mit Volker Handloik, der für den „Stern“ schrieb, starben die vierunddreißigjährige französische Radio-Reporterin Johanne Sutton und der einunddreißigjährige, für RTL berichtende Pierre Billaud.

Knut Müller berichtet in seinem Buch „Die Wahrheit fiel zuerst“ über seinen Kollegen Handloik: „Auf eigene Faust wollten die drei an die Front. Alle drei wurden – von wem auch immer, vin Taliban oder Banditen – bei Mazar-e-Sharif erschossen. Sie starben, weil sie unerfahren waren. Und weil sie Pech hatten.“

Postum wurde Volker Handloik mit dem Hansel-Mieth-Preis geehrt.

 

 

 

August Jäger

* 13.8.1808 in Ringelheim, Pseudonym: August von Schlumb, † 8.12.1848 in Nietleben bei Halle, deutscher Schriftsteller

 

Als Theologiestudent in Halle sekundierte August Jäger bei einem Duell mit tödlichem Ausgang, wurde verurteilt und musste in Magdeburg eine Festungshaft absitzen. Danach meldete er sich in Straßburg zur Fremdenlegion und kam nach anderthalb Jahren wieder frei, da er Kurzsichtigkeit vortäuschte. Der Bericht über diesen Legionsdienst wurde sein erster literarischer Erfolg, der jedoch durch seinen Roman „Felix Schnabel oder Der deutsche Student“, der als Beitrag zur Sittengeschichte des 19. Jahrhunderts gilt, weit übertroffen wurde.

Dann wirkte August Jäger in Zürich, Paris und London, kehrte nach Deutschland zurück, arbeitete in Leipzig an der 8. Auflage der Brockhaus Enzyklopädie mit und verkehrte in Köthen in Bankierskreisen. Der Journalist Max Ring schrieb: „Einer der unterhaltendsten Gesellen dieser Schar [in Köthen] war der unter dem Kneipnamen Schlump bekannte ... Dr. Jäger, ein unerschöpflicher Erzähler der seltsamsten Abenteuer, ein moderner Münchhausen, der wie sein Vorbild auf Kosten der Wahrheit durch die wunderbarsten Geschichten die Zuhörer fesselte und ergötzte.“

Schließlich erkrankte August Jäger an Syphilis und wurde in die Provinzial-Irrenanstalt Halle-Nietleben eingewiesen, wo er im Alter von 40 Jahren verstarb.

 

 

 

Takeuchi Yūko

* 1.4.1980 in Urawa, † 27.9.2020 in Tokio, japanische Schauspielerin

 

Bereits im Alter von 18 Jahren wurde Takeuchi Yūko durch ihre Rolle in „The Ring“ zum Filmstar. Danach wirkte sie in Japan in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen sowie in diversen Fernsehserien mit. International bekannt wurde sie mit neunundzwanzig durch ihr Mitwirken in der US-Science-Fiction-Serie „FlashForward“.

Im Alter von 40 Jahren nahm sich Takeuchi Yūko das Leben.

 

  

 

 

Robert Capa

* 22.10.1913 als Endre Ernö Friedman in Budapest, † 25.5.1954 in Thái Bình, Vietnam, amerikanischer Kriegsberichterstatter

 

Robert Capa formulierte die „goldenen Regeln“ des Fotojournalismus: „1 - Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran. 2 - Die Wahrheit ist das beste Bild. 3 - Hollywood ist die größte Scheiße, in die ich je getreten bin.“

Drei seiner Fotos wurden zu Ikonen der Kriegsberichterstattung: Das erste schoss er am 5. September 1936 während des Spanischen Bürgerkriegs – fallender Republikanischer Soldat im Augenblick seines Todes -, das zweite am 6. Juni 1944 bei der amerikanischen Invasion in der Normandie an Omaha Beach – das dritte am 18. April 1945 im Zuge der amerikanischen Besetzung Leipzigs vom GI Raymond J. Bowman als „Der letzte Tote“

Robert Capa kam am 25. Mai 1954 im Ersten Indochinakrieg ums Leben, als er auf eine Antipersonenmine trat.

 

 

 

Elfriede Lohse-Wächtler

* 4.12.1899 als Anna Frieda Wächtler in Löbtau, † 31.7.1940 in Pirna, deutsche Malerin

 

Elfriede Lohse-Wächtler studierte an den Dresdner Kunstakademie, wirkte in der avantgardistischen Dresdner Sezessionsgruppe mit und gehörte zum Freundkreis von Otto Dix, Otto Griebel und Conrad Felixmüller. Dann trat sie dem Bund Hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen sowie der Hamburger Künstlerschaft bei und beteiligten sich an Ausstellungen der Neuen Sachlichkeit.

1929 erlitt Elfriede Lohse-Wächtler infolge materieller und partnerschaftlicher Probleme einen Nervenzusammenbruch, kehrte vereinsamt 1932 nach Dresden zurück, wo sie ihr Vater nach Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf einweisen ließ. Im Mai 1935 wurde sie wegen „unheilbarer Geisteskrankheit“ entmündigt, im Dezember 1935 zwangssterilisiert.

1937 beschlagnahmten die Nazis Werke Elfriede Lohse-Wächtlers aus der Hamburger Kunsthalle und dem Museum Altona als „Entartete Kunst“, vernichteten diese Bilder höchstwahrscheinlich.

1940 wurde Elfriede Lohse-Wächtler in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein im Zuge der Euthanasie-Aktion T4 ermordet, offizielle Todesursache: „Lungenentzündung mit Herzmuskelschwäche“.

Seit 1991 waren und sind Werke Elfriede Lohse-Wächtlers immer wieder in Sammel- und Einzelausstellungen zu sehen, so in Dresden, Hamburg, Pirna, Heidelberg, Solingen, Aschaffenburg, Frankfurt am Main, Bonn, Berlin, Stockholm…

 

 

 

László Rajk

* 8.3.1909 in Székelyudvarhely, † 15.10.1949 in Budapest, ungarischer Politiker

 

László Rajk kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Frankisten, wurde danach in französischen Lagern interniert, konnte jedoch entkommen und nach Ungarn zurückkehren. Während des Zweiten Weltkriegs war er als Widerständler aktiv, gehörte danach dem Hohen Nationalrat an und wurde ungarischer Innen-, dann Außenminister.

Unter dem Vorwurf „Titoismus“ betrieben und mit westlichen Geheimdiensten zusammengearbeitet zu haben, wurde László Rajk 1949 verhaftet, in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und im Alter von 40 Jahren hingerichtet.

 

  

 

 

Karl Schwarzschild

* 9.10.1873 in Frankfurt am Main, † 11.5.1916 in Potsdam, deutscher Astrophysiker

 

Stephan Hawking wurde zwischen Isaac Newton und Charles Darwin in der Westminster Abbey beigesetzt. Auf seiner Grabplatte wurde die Hawking-Temperatur eingraviert, die von ihm berechnete Temperatur für ein Schwarzes Loch von der Größe unserer Sonne: 0,00000006 Grad Kelvin.

Zweifelsohne hat Stephan Hawking enorm zum Verständnis Schwarzer Löcher beigetragen. Erstmals fabulierte der Cambridge-Professor John Mitchell im Jahre 1783 über derartige Phänomene, die lange Zeit „gefrorener Stern“ genannt wurden. 1967 führte John Wheeler den Begriff „Schwarzes Loch“ ein. Und einer der ersten Wissenschaftler, der sich mit Schwarzen Löchern wissenschaftlich auseinandersetzte, war Karl Schwarzschild. Nicht von ungefähr heißen Eigenschaften Schwarzer Löcher: die Schwarzschild- Metrik, die Schwarzschild-Tangherlini-Metrik, der Schwarzschildradius, die Schwarzschild-Singularität.

Und Karl Schwarzschild verfasste eine Abhandlung über die Relativitätstheorie und eine über Quantenmechanik. Zudem forschte er zur fotografischen Helligkeitsmessung von Sternen, und untersuchte mit der Stellarstatistik die Verteilung der Sterne in der Milchstraße. Er prägte auch den Begriff des Strahlungsgleichgewichts, verbesserte die Theorie optischer Systeme und führte er Methoden der Himmelsmechanik zur Berechnung von Emissionsspektren ein.

Im Jahr 1914 meldete sich Karl Schwarzschild jedoch freiwillig für den Kriegsdienst und kehrte 1916 als Invalide von der Front zurück. Zwei Monate später war er tot.

„Malen Sie sich aus, dass eine Uhr von dem Schwarzen Loch verschluckt wird. Während die Uhr dem Schwarzen Loch näher und näher kommt, beginnt sie immer langsamer zu gehen. Die Zeit selbst verlangsamt sich. Wenn die Uhr in das Schwarze Loch eintritt (…) bleibt sie stehen, nicht weil sie kaputtgegangen wäre, sondern weil die Zeit in dem Schwarzen Loch nicht existiert. Und genau das geschah, als das Universum begann“, schrieb Stephen Hawking.

Karl Schwarzschild hatte gesagt: „Es ist immer angenehm, über strenge Lösungen einfacher Form zu verfügen.“

Im Jahr 2009 veranstaltete Stephen Hawking eine Party für Zeitreisende, allerdings lud er dazu erst Tage nach der Party ein, um sicher zu stellen, dass daran auch wirklich nur Zeitreisende teilnehmen. Später verkündete er, dass niemand gekommen sei. Wirklich niemand, Mr. Hawking? Erschien nicht für zumindest 0,00000006 Sekunden jemand aus dem Schwarzschild-Loch?

 

 

 

Emily Wilding Davison

* 11.10.1872 in London, † 8.6.1913 in Epsom, englische Suffragette

 

Emily Wilding Davison gilt als Märtyrerin der Frauenrechtsbewegung.

Nachdem sie in Oxford Biologie, Chemie, englische Sprache und Literatur studiert hatte, die Abschlussprüfungen mit Auszeichnung bestanden hatte, ihr jedoch wie allen anderen englischen Studentinnen jener Zeit der akademische Grad verwehrt worden war, schloss sie sich der Women’s Social and Political Union an und beteiligte sie sich an Aktivitäten zur Erlangung des Frauenwahlrechts.

Im März 1909 wurde Emily Davison erstmals verhaftet, als sie Premierminister Herbert Asquith eine Petition überreichen wollte und wegen „Störung der Öffentlichkeit“ zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Vier Monate später war sie erneut in Haft, diesmal für den Versuch, in einer Halle in London im Beisein des damaligen Schatzkanzlers David Lloyd George eine Rede zu halten. Und im September 1909 wurde sie wegen Steinwerfens zu einer Strafe von zwei Monaten verurteilt. Insgesamt verbüßte sie achtmal Gefängnisstrafen, so auch wegen Zerschlagen von Fensterscheiben, Anzünden von Briefkästen, Strafvereitelung und Körperverletzung.

Wiederholt trat sie während ihrer Haft in Hungerstreik, verbarrikadierte ihre Zelle, stürzte sich sogar eine Treppe hinunter und zog sich dabei einen Wirbelsäulenschaden zu. In der Nacht der Volkszählung von 1911 versteckte sich in einem Schrank im Palace of Wstminster, so dass sie auf dem Volkszählungsformular ihren Wohnsitz wahrheitsgemäß mit House of Commens angeben konnte.

Am 4. Juni 1913 lief Emily Davison während des Epsom Derbys auf die Galopprennbahn und wurde vom Pferd des Königs Georg V. überrannt. Sie zog sich schwerste innere Verletzungen und einen Schädelbruch zu und starb vier Tage später im Epsom College Hospital, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

86 Jahre später ließ der Labour-Abgeordnete Tony Benn am Palace of Westminster eine Gedenktafel für Emily Davisonb mit folgender Inschrift anbringen: „It is a modest reminder of a great woman with a great cause who never lived to see it prosper but played a significant part in making it possible. -  Es ist eine bescheidene Erinnerung an eine große Frau mit einer großen Sache, deren Gedeihen sie nie erleben konnte, für deren Ermöglichung aber sie eine sehr bedeutende Rolle spielte.“

 

 

 

Jeghische Tscharenz

* 13.3.1897 als Jeghische Soghomonjan in Kars, † 27.11.1937 in Jerewan, armenischer Dichter

 

Der Dichter Jeghische Tscharenz wurde in Kars geboren, eine alte armenische Stadt, die seinerzeit zu Russland gehörte, heute zur Türkei.

Bekannt wurde Tscharenz durch seinen satirischen Roman „Das Land Nairi“, Gedichte wie „Armenien“, „Danteske Legende“ oder „Die rasenden Massen“. Zudem übertrug er Werke von Goethe, Gorki, Majakowski, Puschkin und Walt Whitman ins Armenische. Seinen Nachruhm begründete Jeghische Tscharenz jedoch mit seinen Texten über den Völkermord der Jungtürken an seinem Volk sowie durch sein „Requiem Æternam im Gedenken an Komitas“, das er nach dem Tod des legendären armenischen Komponisten Komitas verfasste.

Im Zuge der Stalinschen Repressionen wurde Jeghische Tscharenz im Juni 1937 verhaftet und kam fünf Monate später im Jerewaner NKWD-Gefängnis „unter ungeklärten Umständen“ ums Leben.

1954, ein Jahr nach Stalins Tod wurde er rehabilitiert, 1957 ihm zu Ehren auf einem Hügel, auf dem er gern saß und zum heiligen Berg der Armenier, zum Ararat, hinüberblickte, der nach dem Ersten Weltkrieg der Türkei zugesprochen wurde, den „Torbogen von Tscharenz“ errichtet, und 1967 sogar die armenische Kleinstadt Lussawan in Tscharenzawann umbenannt.

 

Die sonnig schmeckende Sprache meines süßen Armeniens lieb ich,

Die tränenerstickt klagende Saite unsrer alten Saz-Laute lieb ich,

Der blutähnlichen Blumen und der Rosen Düfte, feuergleich,

Und unsrer nairischen Mädchen Tänze, sanft und geschmeidig, lieb ich!

 

Ich liebe unsres Himmels Blau, den lichten See, die klaren Wasser,

Die Sommersonne und des Wintersturms Drachengeheul, erhaben,

Im Finsteren verlorner Hütten unwirtliche Mauern, schwarz,

Und unsrer uralten Städte tausendjährige Steine lieb ich!

 

Wo ich auch sei – niemals vergeß ich unsrer Lieder Klagelaut,

Niemals vergeß ich unsrer Bücher Eisenschrift, Gebet geworden;

Wie scharf mir auch ins Herz schneiden unsere Wunden, ausgeblutet,

Dennoch: brennenden Bluts, verwaist – dich, Hajastan, meinen Jar, lieb ich!

 

Für mein sehnsuchtskrankes Herz kann es kein anderes Märchen geben,

Keine dem Narekatzi, Kutschak gleich von Licht gekrönte Stirne!

Durchstreif die Welt: es gibt keinen Schneegipfel gleich dem Ararat;

Ein Weg zu erreichenbarem Ruhm – meinen Berg, den Massis, lieb ich!

 

 

 

Urmuz

* 17.3.1883 als Demetru Demetrescu-Buzău in Curtea de Arges, † 23.11.1923 in Bukarest, rumänischer Schriftsteller

 

Bevor Urmuz Jurist wurde, studierte er ein Jahr lang Medizin und ärgerte sich über zu sezierende Leichen, da sie nicht sprechen wollten: Ständig versuchte ich sie zu pieken, aber keine von ihnen wollte reagieren.

Die Romanistin Eva Behring erkannte bei Urmuz eine „zerstörerischen Spottlust“.

Seine Schwester Eliza V. Vorvoreanu einnerte sich: „Sein Spott galt den Gierigen, den Liebhabern üppiger Mahlzeiten und sogenannter erlesener Getränke. Er selber aß einfach; ihn ließen teure Dinge kalt (Lebensmittel, Kleidung etc.). Er parodierte jene, denen es an Bildung fehlte, die sich zwar gelehrt gaben, aber die Ideen verbogen und ihre Sätze mit prätentiösen und unverständlichen Ausdrücken verdrehten; vor allem parodierte er den Stil der Feuilleton-Romane aus den Zeitungen. Obwohl er die Menschen liebte und achtete […] lachte er über die ‚Unbewußtheit’ derer, die von der Imitation anderer leben. Die Beschaffenheit etlicher Institutionen und das Verhalten einiger Beamter brachten ihn zum Lachen.

In „Die Fuchsiade. Heroisch-erotisches und musikalisches Prosapoem“ schreibt Urmuz: Später während der Pubertät, sollen Fuchs auch so etwas wie Geschlechtsorgane gewachsen sein, die aber aus weiter nichts als einem überschwänglichen jungen Feigenblatt bestanden, denn er war von Natur ausnehmend schamhaft und hätte sich mit Händen und Füßen gesträubt, etwas anderes als höchstens ein Blatt, oder vielleicht eine Blüte zu akzeptieren…

Seine Schwester: „Die grotesken Wesen, die erschuf, haben seine Gedanken niemals beschwert. Dort sind sie erhalten geblieben, auf den bizarren Seiten, damit andere sich an ihnen delektieren. […] In seinem Kopf haben diese Gestalten nicht weitergespukt, und er hat sich auch nicht ‚eine Kugel in die Schläfe gejagt, um sie freizulassen’. Nein, nichts Düsteres haftet ihnen an, kein Fluch […] und kein Wahnzustand, aus dem sie entstanden wären.“

In „Die Auswanderung“ sagt Urmuz: Vom Leben angewidert und vom Ruhm und Alter gebeugt, nahm er die Mütze ab und traf zu diesem Zeitpunkt seine letzten Dispositionen, die auch sein letzter Wille waren. Er verzichtete auf alle Titel und auf sein ganze Vermögen, zog sich nackt aus, bis auf eine Schnur aus Lindenbast, die er um die Hüften anbehielt, und nachdem er in diesem Zustand noch einen Blick hinaus aufs schrankenlose Meer geworfen, stieg er in den erstbesten Federwagen, dem er begegnete, und begab sich mit jagenden Pferden in die größte Stadt der näheren Umgebung, wo er sich in der Advokatenkammer einschreiben ließ…

Eugène Ionescu, teilte 1949 in Frankreich, zehn Jahre bevor er „Die Nashörner“ schuf,  in einem Brief mit: „Ich habe Urmuz wörtlich übertragen: ich bin der Ansicht, daß nichts hinzugefügt werden darf und daß er in seiner Nacktheit schon genügend ‚schockierend’ ist. Ich glaube sogar, daß sein Wert in seiner ‚anti-literarischen’ Schribiweise besteht; daß eine rohe, nicht stilisierte sondern ganz einfach genaue Übersetzung am wenigsten Gefahr läuft, ihn zu verraten.

Ein Polizist gab zu Protokoll: „Wir N. Dezideratul, Polizeikomissar Chef Rev. 3 Periph. Buk. Schutzmann vom Dienst Nr. 738 Roşu Gh. gab uns Meldung, daß an der Chaussee Kiselef hinter dem Buffet in den Sträuchern in einem Strauch in der Nähe der Ecke Chuassee Jianu und Str. D-tru Ghica in der Tat ein Individuum auf dem Rücken liegend mit dem Gesicht nach oben tot durch Einschuß in die rechte Schläfe und in der rechten Hand einen Revolver Marke S.T.M. Bekleidet grauer Anzug und Überzieher ebenfalls grau mit Streifen schwarze Schuhe und brauner Hut bei der an ihm gemachten Durchsuchung wurde gefunden mehrere Aufzeichnungen, Briefe und ein Mitgliedsausweis Nr. 10436 der Gesellsch. Der Öffentlichen Beamten auf den Namen D. Demetrescu-Buzău Assist Richter Kassation sowie auch den Betrag Lei 943 (neunhundertdreiundvierzig) in einem Portemonnaie von schwarzer Farbe und an ihm wurde auch noch eine Taschenuhr Gold ohne Deckel und 2 Schlüssel gefunden. […] und er hat Selbstmord begangen.“

 

 

 

Alexander Alexandrowitsch Blok

* 28.11.1880 in Sankt Petersburg, † 7.8.1921 ebd., russischer Dichter

 

„Blok, der Dostojewski in seiner prophetischen Gabe wohl am nächsten stand“, meinte der sowjetische Kulturpolitiker Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski.

In seiner „Autobiografie schreibt Alexander Blok im Juni 1915: Das ernsthafte Schreiben begann, als ich ungefähr achtzehn war. Drei, vier Jahre lang zeigte ich meine Schreiberei nur meiner Mutter und Tante. Es waren alles lyrische Gedichte, und bis zum Erscheinen meines ersten Buchs „Verse von der Schönen Dame“ hatten sich etwa achthundert angesammelt, abgesehen von denen der Knabenzeit. Ins Buch aufgenommen wurden nur ungefähr hundert. Einiges von dem Alten habe ich später herausgebracht oder veröffentlich ich noch heute in Zeitschriften und Zeitungen. […] Die Universität spielte in meinem Leben keine besondere Rolle, zumindest aber vermittelte mir die Hochschulbildung eine gewissen geistige Disziplin und bestimmte Fertigkeiten, die mir hilfreich sind bei literaturhistorischen Studien und eigenen literaturkritischen Versuchen und sogar bei der künstlerischen Arbeit […].

Im Covertext einer umfassenden Blok-Werkausgabe im Verlag Volk und Welt steht zu lesen: Bloks „zutiefst zeitgenössisches Werk weist, indem es die Frage nach einer würdigen Menschheitsexistenz neu stellt, weit über seine Zeit hinaus.“ Fritz Mierau sagte in seinem Nachwort zu dieser Ausgabe: „Die Fähigkeit, ‚begierig zu leben und zu handeln in der angebrochenen Epoche der Wirbel uns Stürme’, habe nur jene neue Menschenart, die Block den Künstler-Menschen nannte. Diesen Künstler-Menschen begriff Block nicht als das Ergebnis der europäischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, sondern als ihren Widerpart. Es sei eben gerade nicht der gespaltenenethische oder politische oder humane Mensch, sondern der Mensch der Elementarkräfte, deren er sich auf artistisch-meisterliche Weise in ihrer Ganzheit bewußt sei. […] Die neue Menschenart, der Künstler-Mensch, hat Blok von früh an beunruhigt.“

 

Über Europa reißt ein Vieh

Von Gier gequält auf seinen Rachen.

Wer wird ihn töten, diesen Drachen?

Wir wissens nicht. Wie eh und nie

Hülln unsre Grenzen sich in Dunst.

Was jenseits liegt – wir sehn es nicht,

Wir spürn nur, daß es brandig riecht –

Dort wütet eine Feuersbrunst.

 

In seinem letzten Brief schrieb Alexander Blok am 4. Juni 1921 an seine Mutter: Von Krankheit zu schreiben ist unerträglich öde, aber weiter ist nichts zu schreiben. Arbeiten kann ich nicht, denn die Temperatur ist selten normal, alles tut weh, das Atmen fällt mir schwer usw. Woran es liegt, ist nicht bekannt. Wenn die Nerven sich etwas erholt haben, wird man bestimmen können, ob das eine echte Herzkrankheit ist oder nur neurotisch. Die Temperatur muß gesenkt werden. Ich nehme eine Vaudeville-Menge von Arzneien ein.

Der Literaturwissenschaftler Hermann Kähler berichtete: „In den Briefen aus den letzten Wochen spricht er von Skorbut, Gicht und Herzbeschwerden. Ihm fallen die Zähne aus, er hat Fieber und solche Schmerzen, dass er im Bett nicht mehr liegen, nur noch sitzen kann. Er selbst führt seine Krankheit auf ungenügende Ernährung und falsche Lebensweise zurück und meint, er müsste eigentlich in ein Sanatorium. In neueren Darstellungen wird als Todesursache Endokarditis genannt, eine infektiöse, bakterielle Entzündung der Herzinnenhaut.“

 

Ich selbst bin Hamlet. Steh versteint,

Wenn Arglist ihre Netze webt,

Im Herzen meine Liebe weint

Nach dir, die mir die Welt belebt.

 

Entführt hat dich, Ophelia,

Des Lebens Strom ins Land der Kälte,

Die Heimat, die mich sterbend sah,

Sah auch die Klinge, die mich fällte.

 

 

 

John William „Trane“ Coltrane

* 23.9.1926 in Hamlet, North Carolina, † 17.6.1967 in Huntington, amerikanischer Jazz-Saxophonist

 

Der deutsche Musikkritiker Harry Lachner schrieb: „Was an John Coltranes Soli auch heute noch fasziniert, ist seine große melodische Gestaltungskraft, die Art und Weise, wie er sich souverän abwechselnd innerhalb und außerhalb der üblichen Akkord-Folge bewegt. Anders als andere Musiker seiner Zeit war ihm nicht daran gelegen, sich als jemand zu inszenieren, der etwas des reinen Spiels wegen dekonstruiert. Er hatte so viel an Kreativität und Einfallsreichtum zu verschwenden, daß er damit alles – jeden Ton, jede Akkordfolge, jede Fremdkomposition – mit neuer Bedeutung aufladen konnte.“ Der italienische Jazz-Journalist Arrigo Polillo urteilte über John Coltranes berühmtestes und erfolgreichste Album „A Love Supreme“, eine vierteilige Suite: es „stellte den – später sollte sich zeigen: vorläufigen - Schlusspunkt von Johns langer Forschungsreise in die Welt der Töne und des Geistes dar.“ Der Gitarrist Carlos Santana sagte: Als ich A Love Supreme zum ersten Mal hörte, traf es mich wie ein Überfall. Was mich anging hätte es vom Mars stammen können oder von einer anderen Galaxie.“ Und der irische Sänger Bono: „Ich saß oben im Grand Hotel in Chicago (während einer Tournee im Jahr 1987) und hörte mir A Love Supreme an, und dabei lernte ich die Lektion meines Lebens. Früher hatte ich Fernsehpredigern zugeschaut und dabei gesehen, wie sie sich Gott nach ihrem eigenen Bild zurechtmachten: winzig, unbedeutend und geldgierig. Die Religion ist zum Feind Gottes geworden, dachte ich … Religion ist das, was passiert, nachdem Gott, wie Elvis, das Haus verlassen hat. Aus meinen frühesten Erinnerungen wusste ich, dass die Welt sich in eine Richtung bewegt, die von der Liebe wegführt, und auch ich spürte diesen Zug. Es gibt so viel Schlechtigkeit auf dieser Welt, aber das Schöne ist unser Trost … die Schönheit von John Coltranes Saxophonstimme, ihr Flüstern, das Wissende in ihr, ihre verborgene Sexualität, ihr Lob der Schöpfung. Und so fing ich an, Coltrane zu verstehen. Ich drückte die Repeat-Taste und blieb wach, um einem Mann zuzuhören, der mit der Gabe seiner Musik Gott gegenübertritt.

 

Peace and harmony is based on love

And used properly, by a selfless mind, for the benefit of the humanity

Love knows no business

Love knows no bargain

Love never expects anything in return

Love knows only giving, giving, and giving

Without even waiting for a thank you

Such a Love is the supreme One

Let that Love Supreme reign over the Universe

 

Frieden und Harmonie basieren auf Liebe

Und richtig eingesetzt, von einem selbstlosen Geist, zum Wohle der Menschheit

Liebe kennt kein Geschäft

Liebe kennt kein Schnäppchen

Liebe erwartet nie eine Gegenleistung

Liebe kennt nur Geben, Geben und Geben

Ohne auf ein Danke zu warten

Solch eine Liebe ist das Höchste

Lass diese höchste Liebe über das Universum herrschen

 

Die 1971 in San Francisco gegründete Saint John Coltrane African Orthodox Church verehrt John Coltrane als einen Heiligen.

 

 

 

Pál Maléter

* 4.9.1917 in Eperjes, † 16.6.1958 in Budapest, ungarischer Offizier

 

Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Leutnant Pál Maléter in der Horthy-Armee gegen die Sowjetunion, geriet in Gefangenschaft, wurde zum Partisan ausgebildet, sprang mit dem Fallschirm in Siebenbürgen ab und kämpfte nun gegen die Nazis. Nach dem Krieg wurde er zum Hauptmann der neuen ungarischen Grenztruppen befördert und trat in die Kommunistische Partei ein. Er reüssierte zum Kommandanten der ungarischen Präsidentengarde und arbeitete schließlich im Verteidigungsministerium.

Als am 23. Oktober 1956 der Ungarische Volksaufstand losbrach, war Pál Maléter Oberst und Kommandant einer Panzerdivision. Und als diese in Budapest den Aufstand mit niederschlagen sollte, wurde er selbst zum Aufständischen, wurde von der neuen ungarischen Regierung zum General befördert und am 29. Oktober 1956 zum Verteidigungsminister ernannt.

Fünf Tage später leitete er die ungarische Delegation, die mit den Sowjets über die Freiheit Ungarns verhandeln sollte. Er wurde jedoch auf Weisung des KGB-Chefs festgenommen, nach der Niederschlagung des Aufstandes zum Tode verurteilt, und schließlich wie Präsident Imre Nagy und 350 weitere Revolutionäre hingerichtet.

Im Oktober 1989 dann wurde Pál Maléter vollständig rehabilitiert.

 

 

 

Alton Glenn Miller

* 1.3.1904 in Clarinda, Iowa, † 15.12.1944 über dem Ärmelkanal, amerikanischer Jazz-Musiker

 

Die erste Goldene Schallplatte der Musikgeschichte gewann im Jahr 1942 Glenn Miller mit „Chattanooga Choo-Choo“. Komponiert hatte er diesen Hit jedoch ebenso wenig wie seinen Evergreen „In the Mood“. Einzig „Moonlight Serenade“ stammte von ihm.

Im Alter von 38 Jahren trat Glenn Miller in die US-Navy ein, um gegen die Nazis zu kämpfen. Im Rang eines Captain leitete er dann das „Army Air Force Orchestra“, nahm vor allem in den Londoner Abbey Road Studios zahlreiche Songs auf, die sogar live auf BBC zu hören waren.

Nachdem die Alliierten Frankreich befreit hatten, sollte Glenn Miller mit seinem Orchester im Pariser „Olympia“ auftreten. Dort kam er jedoch nie an, sein Flugzeug verschwand bei dichtem Nebel. Vermutet wurde, dass britische Lancaster-Bomber, ihre Ladung, die sie bei einem Angriff auf Deutschland nicht loswerden konnten, über dem Ärmelkanal abwarfen und damit die kleine Propellermaschine trafen, in der Glenn Miller saß.

 

 

 

Edgar Allan Poe

* 19.1.1809 in Boston, Massachusetts, † 7.10.1849 in Baltimore, Maryland, amerikanischer Schriftsteller

 

„Edgar Allan Poe hat in wenigen Jahren trotz widrigster Lebensumstände und trotz der ständigen Notwendigkeit, journalistische Tagesarbeit zu liefern, eine außerordentliche Leistung vollbracht. Auf frei gänzlich verschiedenen Gebieten, dem der Literaturkritik, der Poesie und der Kurzgeschichte, ist er als schöpferischer, origineller Geist in die Weltliteratur eingegangen“, schrieb Wolfgang Sinde in seinem Nachwort zu einer Ausgabe von Poes Short Stories.

Bekanntlich verfasste Poe nicht nur weltberühmte Short Stories wie „Sturz in den Malstrom“, „Die Grube und das Pendel“, „Die Maske des Roten Todes“, „Der Untergang des Hauses Usher“, „Der Goldkäfer“, „Das unvergleichliche Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall“ oder „Lebendig begraben“, sondern äußerte sich auch theoretisch zum Verfassen von Kurzgeschichten: In der ganzen Komposition sollte kein Wort geschrieben werden, dessen Tendenz, direkt oder indirekt, nicht zu dem einen vorgegebenen Entwurf gehört. Und auf diese Weise, mit solcher Sorgfalt und Geschicklichkeit, wird endlich ein Bild gemalt, das bei dem, der es mit einer verwandten Kunst betrachtet, ein Gefühl der vollsten Befriedigung hinterlässt. Die Idee der Erzählung ist makellos, weil ungestört, präsentiert worden; und dies ist ein für den Roman unerreichbares Ziel.

„Die Morde in der Rue Morgue“ gilt als die erste Detektivgeschichte überhaupt, und mit „Der Bericht des A. Gordon Pym“ brachte er auch einen Roman zu Papier.

Über Lyrik sagte Edgar Allan Poe: Nur in der Betrachtung des Schönen finden wir die Möglichkeit, jene wohltuende Erhebung oder Erregung der Seele zu erlangen, die wir als die Poetische Empfindung erkennen und die sich so eindeutig unterscheidet von der Wahrheit, als der Befriedigung der Vernunft oder von der Leidenschaft als der Erregung des Herzens […] ich mache also das Schöne zur Domäne des Gedichts, einfach weil es eine offenkundige Regel der Kunst ist, daß die Wirkungen so direkt wie möglich ihren Ursachen entsprechen sollten. […] Daraus folgt jedoch keineswegs, daß die Triebe der Leidenschaft oder die Gebote der Pflicht oder selbst die Lehren der Wahrheit nicht in ein Gedicht gelangen könnten – und zwar mit Gewinn - […] aber der wahre Künstler wird sich immer bemühen, sie jener Schönheit entsprechend dienstbar zu machen, die die Atmosphäre und den wahren Gehalt des Gedichts darstellt.

Irene Skonicky meinte in ihrem Nachwort zu Poes Essays: „Poe sah wissenschaftliche und technische Leistungen stets als erneute Herausforderungen an den menschlichen Geist an, als Gegenstand der Auseinandersetzung und Schulung für die geistigen Kräfte des Menschen. Und er strebte nach einem Ausgleich zwischen den auf Erkenntnis der Welt gerichteten rationalen und den sich für vornehmlich im künstlerischen Schaffen äußernden kreativen Fähigkeiten des menschlichen Geistes. […] Poes Weltsicht, insbesondere Poes Sicht des Verhältnisses Wirklichkeit – Wirklichkeitswahrnehmung – Wahrheit, war durch den Rationalismus deutlich geprägt. Für Poe war die Wahrheit ausschließlich durch das Denken zu erreichen.“

Edgar Allan Poes Todesumstände könnten einer seiner Gruselgeschichten entnommen sein: „Am 3. Oktober 1849 traf ein Drucker namens Joseph W. Walker Poe vor dem Lokal Ryan’s Tavern (auch bekannt als Gunner’s Hall) an. Poe machte einen heruntergekommenen und verwirrten Eindruck und schien betrunken und/oder schwer krank zu sein. Walker verständigte auf Poes Bitte hin einen Bekannten, Dr. Joseph E. Snodgrass. Da ein ebenfalls verständigter Verwandter Poes es ablehnte, sich um ihn zu kümmern, wurde Poe in das Washington Medical College in Baltimore eingeliefert. Dort kümmerte sich der Arzt Dr. John J. Moran um ihn. Poe starb am 7. Oktober 1849. Die Umstände des Todes sind unklar, die Todesursache ist unbekannt.“ (Wikipedia)

 

And my soul from out that shadow that lies floating on the floor

                 Shall be lifted – nevermore!

 

 

 

Jack London

* 12.1.1876 als John Griffith Chaney in San Francisco, † 22.11.1916 in Glen Ellen, Kalifornien, amerikanischer Schriftsteller

 

„Zwei Ereignisse lagen in der Kindheit des John Griffith Chaney, die für seine spätere Entwicklung als Schriftsteller Jack London von entscheidender Bedeutung sein sollten. Einerseits war es die Volksbücherei in Oakland, auf deren Regalen er die die ‚ganze große Welt’ der Literatur entdeckte und zu erschließen versuchte; andererseits war es das Meer, das ihn ständig anlockte und die ersten Abenteuer in der Bai von San Francisco bot“, berichtete der Literaturwissenschaftler Rolf Recknagel.

Im Dokumentarfilm „Ein amerikanisches Original“ lassen die Regisseure Michel Viotte und David Gasman Jack London bekennen: Lieber will ich ein prächtiger Meteor sein, in dem jedes Atom herrlich glüht, als ein langlebiger, verschlafener Planet. Die wahre Aufgabe eines Menschen ist es, zu leben, nicht nur zu existieren. Ich werde meine Tage nicht dazu verschwenden, sie zu verlängern. Ich werde meine Zeit nutzen.

„Einzelne Aspekte seiner vielschichtigen Persönlichkeit hatte London schon […] dargestellt, wenn auch immer in mehr oder weniger starker fiktiver Verkleidung: Leben und Abenteuer im eisigen Klima Alaskas (‚Alaskagold’; ‚Der Ruf der Wildnis’) konnten so nur von einem Manne beschrieben werden, der den Yukon selbst erlebt hatte; die eindrucksvolle Schilderung des Elendsdaseins im Londoner East End (‚Menschen der Tiefe’) war nur dem engagierten Augenzeugen möglich; eine genaue Kenntnis der See und des Lebens der Seeleute war nötig, um ein Buch wie ‚Der Seewolf’ schreiben zu können. […] Eine neue Sicht begegnet uns demgegenüber in „Martin Eden“: Hier versucht London zum erstenmal ein Bild seiner ganzen – wenn auch widersprüchlichen – Persönlichkeit zu vermitteln; mehr noch: Er versucht, sich und damit dem Leser über sich selbst Rechenschaft zu geben“, meinte der Amerikanist Heinz Wüstenhagen.

Und sein Kollege Horst Ihde schrieb über Jack London: „Obwohl der Erzähler schon zu Lebzeiten als einer der beliebtesten Künstler auf der ganzen Welt gefeiert wurde und er mit seinen Büchern erhebliche Summen verdiente, reichte das Geld nie, um die ständig wachsenden Ansprüche zu befriedigen. Allein der Bau eines pompösen burgähnlichen Gebäudes, das er sich 1913 auf seiner Farm in Kalifornien errichten ließ, verschlang über 70.000 Dollar. Das Haus brannte aber schon am Tage seiner Fertigstellung bis auf die Grundmauern nieder und bedeutete für den Autor einen Verlust, den er nie verwand. Trotz seiner zahlreichen Besucher und Freunde, die ihn ständig umgaben und seine großzügige Gastfreundschaft schamlos ausnutzten, fühlte sich der Publikumsliebling vereinsamt und versuchte, seine Depressionen und körperliche Beschwerden im Alkohol zu vergessen.“

Zu seinem Buch „John Barleycorn oder Der Alkohol“ sagte Jack London: Nicht von Alkoholikern oder für Alkoholiker schreibe ich, sondern für unsere Jugendlichen mit ihrem Hang zum Abenteuer, ihrer herrlichen Aufgeschlossenheit, ihrer Vertrauensseligkeit – drei Eigenschaften, die von unserer barbarischen, an allen Ecken Gift verabreichenden Zivilisation völlig verdorben werden.

Jack London starb im Alter von nur 40 Jahren vermutlich an einer Harnvergiftung infolge seiner Alkoholkrankheit, vielleicht nahm er sich aber auch das Leben, wer weiß.

 

 

 

Ludwig II.

* 25.8.1845 als Otto Friedrich Wilhelm von Wittelsbach auf Schloss Nymphenburg, † 13.6.1886 im Würmsee, König von Bayern

 

Vor Linderhof standen wir früh morgens an, vermochten so die märchenhaften Anlagen und Bauten zu bestaunen, bevor Scharen von Amis, Japanern und Chinesen alles wegfotografierten.

Auf Herrenchiemsee fuhren wir in der Kutsche vom Bootssteg zum Schloss und im prunkbunten Schlafzimmer des Kini schwante uns so manches.

Schwangau erreichten wir wegen Staus erst eines Abends und quartierten uns in einem Hotel mit Blick auf Neuschwanstein ein. Und als dann dort oben Mond und Sterne gegen die königliche Illumination verblassten, berauschten wir uns besser mit Weißbier.

 

 

 

Franz Kafka

* 3.7.1883 in Prag, † 3.6.1924 in Kierling, Klosterneuburg, deutschsprachiger Schriftsteller

 

Auf dem Weg zum Hradschin trifft unser Gastgeber wieder und wieder Freunde, die sich erinnern, wie das war hier damals, achtundsechzig, zehn Jahre zuvor… Und da am Wegesrand unzählige Gasthäuser mit bestem Bier locken, Prazdroj und Budvar und Staropramen, und das Gehörte so anders als alles uns daheim Erzählte klingt, brauchen wir letztendlich Tage, um die Höfe der Burg zu erreichen. Veitsdom und Königsgruft und Georgsbasilika. Und in einem der Häuschen des Goldenen Gässchens stoße ich trunken vor Eindrücken schließlich schmerzhaft mit der Stirn gegen den Türbalken. Verdammt, arbeitete nicht einst Kafka hier?

 

 

 

Ferdinand Freiherr von Rezniček

* 16.6.1868 in Sievering, † 11.5.1909 in München, österreichischer Zeichner

 

„Reznicek zeigt in seinen Zeichnungen fast ausschließlich jugendliche elegante Frauen in duftigen feinen Kleidern und mit vornehmen, häufig auch recht geziert wirkenden Gesten. Diesen zarten, verspielt und kokett aussehenden Frauengestalten stellt er meist ziemlich plump wirkende, ältere, offensichtlich jedoch wohlbetuchte Männer kontrastierend gegenüber, entweder die Liebhaber oder die betrogenen Ehemänner. In einem seltenen Fall übernimmt eine Frau die gewichtige ‚fordernde’ Rolle, was entschieden komischer dargestellt wird als die lächerliche Rolle, die die alten Männer spielen. ... Da gibt es Frauen in phantastischen duftigen Ballroben, tanzende Paare und den Faschingsflirt - Motive und Themen, die Reznicek mit unnachahmlicher Leichtigkeit umzusetzen verstand. ... Reznicek hat für den ‚Simplicissimus’ ganz selten Akte gezeichnet. Die unbekleidete Frau war zu diesem Zeitpunkt, was ganz charakteristisch ist, noch kein ‚Simpl’-Thema - jedoch zeigt er häufig Frauen, von deren Schultern das Gewand im nächsten Augenblick herabzugleiten droht. ... Der einheitliche Stil seiner Arbeiten und der einfach zugängliche, niemals fordernde oder gar schockierende Inhalt seiner Darstellungen ließen Reznicek in den vierzehn Jahren seiner Tätigkeit für den „Simplicissimus“ beim breiten Publikum zu einem der beliebtesten Mitarbeiter der Zeitschrift werden“, war 1977 im Katalog zu einer „Simplicissimus“-Ausstellung im Münchner Haus der Künste zu lesen.

Ludwig Thoma, schrieb in seinen Erinnerungen zum Tode Ferdinand von Rezničeks: „... ganz unvermutet kam das Ableben […] Rezniceks. Dieser war der typische Österreicher von guter Familie; taktvoll, liebenswürdig, heiter, in Manieren wie im Charakter vornehm. Ich habe ihn nie laut oder heftig gesehen, und ich glaube, er wäre gegen Brutalität völlig hilflos gewesen. Die Grazie, die seinen Zeichnungen auch denen, die herbere Kunst schätzen, wertvoll machte, lag in seinem Wesen. Von den Künstlern, die auch den ‚Simplicissimus‘ und die ‚Jugend‘ bekannt wurden, war er sogleich der populärste, und er ist es geblieben. Daß er, verhätschelt und umworben, von Eitelkeiten völlig frei blieb und ganz und gar nicht zügellos lebte, bewies seinen wirklichen Wert, den nur die anzweifelten, die ihn persönlich nicht kannten. Die Art und das Gegenständliche seiner Kunst veranlaßten manchen Sittenrichter, der sehr unangefochten leben konnte, in dem guten Ferdinand von Reznicek einen Wüstling zu vermuten, und zuweilen wurde ihm dies auch gedruckt unterbreitet. Derlei Vorwürfe verletzten die Ehre der Männer nicht, vielen erscheinen sie so schmeichelhaft, daß sie sie mit diskretem Lächeln entgegen nehmen. Reznicek aber blieb davon unberührt. Er war weder der „verfluchte Kerl‘, noch wollte er es zu sein scheinen. […] Reznicek, der sich in der Klinik operieren lassen wollte, schrieb mir zwei Tage vor seinem Tode, daß er der Sache mit der üblichen Fassung entgegensehe; als dann ein heftiger Blutsturz jede Hoffnung vereitelte, bat er den Arzt, daß er ihm nach dem Ableben das Herz mit einer Nadel durchstechen solle, und er bestellte Grüße an uns alle...“

 

 

George Vancouver

* 22.7.1757 in King’s Lynn, Norfolk, † 10.5.1798 in Petersham, Surrey, britischer Entdecker

 

Im Alter von 13 Jahren trat George Vancouver in die Royal Navy ein, segelte sogar mit James Cook. Und nachdem er einige Jahre in Jamaika stationiert war, erhielt er den Auftrag, die Pazifikregion Nordamerikas zu kartografieren und erforschte die Küste von Kalifornien über Oregon, Washington und British Columbia bis nach Alaska.

Robert Fisher, Vizepräsident des Mount Royal Colleges Clagary, schrieb: „Er brachte den Nordwesten auf die Landkarte.[…] Er zeichnete eine Karte der Nordwestküste, die derart detailliert war, dass sie noch im 20. Jahrhundert als Navigationshilfe verwendet wurde. Dies ist ungewöhnlich für eine Karte, die so früh entstanden ist.“

Allerdings unterliefen ihm auch Fehler, so entgingen im die beiden größten Flüsse an der Pazifikküste, der Fraser River und Columbia River. „Wie Vancouver es schaffte, diese Flüsse nicht zu entdecken, während er genauestens hunderte von vergleichsweise unbedeutenden Buchten, Inseln und Bächen kartografierte, ist schwer zu begreifen. Sicher ist, dass sein Versagen, den Columbia zu entdecken, weitreichende Auswirkungen auf die künftige politische Entwicklung des pazifischen Nordwestens hatte“, urteilte Stephen R. Bown in „Mercator’s World“.

Nach seiner Rückkehr nach Großbritannien wurde bekannt, dass es ob seines zunehmend arroganten Verhaltens gegenüber Untergebenen immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen kam, und er wurde sogar zum Duell gefordert.

Er verfasste einen Reisebericht unter dem Titel „Voyage Of Discovery To The North Pacific Ocean, And Round The World In The Years 1791–95. (Original geschrieben von Vancouver, vervollständigt durch seinen Bruder John und postum.) Dann erkrankte George Vancouver schwer an einer Schilddrüsenüberfunktion, wurde pensioniert und starb im Alter von nur 40 Jahren. Nach ihm benannt sind die Großstädte Vancouver im kanadischen British Columbia und Vancouver im US-Bundesstaat Washington sowie Vancouver Island.

 

 

 

 

Robert Blum

* 10.11.1807 in Köln, † 9.11.1848 in der Brigittenau bei Wien, deutscher Publizist

 

Es hätte nie ein Christentum und nie eine Reformation und keine Staatsrevolution und überhaupt nichts Gutes und Großes gegeben, wenn jeder stets gedacht hätte: ‚Du änderst doch nichts!‘ schrieb Robert Blum, der sich bis dahin als Publizist, Dichter und Verleger versucht hatte, 1844 in einem Brief an seine Schwester.

Im Jahr darauf wurde er durch seinen Auftritt in Folge des Leipziger Gemetzels im vorrevolutionären Deutschland bekannt. Während eines Besuchs des sächsischen Prinzen Johann war es zu Unruhen gekommen, königliches Militär eröffnete das Feuer und mehrere Demonstranten wurden getötet, Robert Blum befand sich zu dieser Zeit in Dresden und zog am Tag darauf mit einer aufgebrachten Menge auf den Marktplatz. Er forderte die ehrenvolle Bestattung der Toten und die Übergabe der Stadt an die Kommunalgarde. In den kommenden Tagen hielt Blum im Schützenhaus und bei der Trauerfeier für die Verstorbenen weitere Reden, die allerdings recht maßvoll gehalten waren und direkte Kritik an der Monarchie vermieden. Blum blieb unbehelligt.

Im Jahr darauf wurde er in Leipzig anlässlich der Kommunalwahlen als Wahlmann bestätigt, 1846 zum Organisator der norddeutschen Demokraten ernannt, im Oktober 1847 zum Leipziger Stadtrat gewählt, jedoch im Januar 1848 bereits wieder von diesem Amt, entsprechend einer Verfügung des sächsischen Innenministers, entbunden. Im Jahr 1847 hatte er jedoch auch am zweiten Konzil der Deutsch-Katholiken in Berlin teilgenommen und sein erfolgreiches Wirken in der deutsch-katholischen Kirche sollte zu einem der Grundpfeiler sei weiteren Aufstiegs werden.

Wikipedia weiß: „Als am 29. Februar 1848 die Nachricht von der Revolution in Frankreich in Leipzig eintraf, wurde für den nächsten Tag eine Sitzung des Stadtrats einberufen. In ihr forderte Blum den Sturz der sächsischen Regierung. Er konnte sich mit seinem Antrag jedoch nicht durchsetzen. Der Liberale Karl Biedermann fand dagegen mit seinem moderateren Vorschlag, einen Brief an den sächsischen König aufzusetzen, in dem Pressefreiheit und eine Volksvertretung am Bundestag in Frankfurt gefordert werden sollten, eine Mehrheit. Noch am selben Tag feierte Blum ein Fest im Schützenhaus. Er hielt vor etwa 1.000 Anwesenden eine Rede, in der er demokratische Grundrechte, wie das allgemeine Wahlrecht, veranschlagte. Nach der Ablehnung der Petitionen durch den König verlangte Blum in einer bejubelten Ansprache vom Balkon des Leipziger Rathauses herab erneut den Rücktritt der sächsischen Regierung. Dieselbe Forderung stellte er am 4. März im Stadtrat. Anstelle der alten Regierung sollte eine liberal gesinnte treten. Bald darauf trat Minister Johann Paul von Falkenstein zurück. Ebenso wurde die baldige Einberufung eines Landtags zugesichert. In den folgenden Tagen hielt Blum noch einige weitere Reden in Leipzig, darunter eine, in der er die Soldaten zu Staatsbürgern erklärte. […] Blum lehnte am 12. März seine Delegierung in das Frankfurter Vorparlament durch eine Volksmenge im Leipziger Schützenhaus ab, so dass sein Freund Carl Todt nominiert wurde. Man verabschiedete während der Versammlung ein politisches Programm. In der Folgezeit reiste Blum in Sachsen umher. Nach seiner Rede vor mehreren tausend Zuhörern auf dem Kornmarkt wurde er am 19. März als Vertreter Zwickaus doch noch für das Vorparlament akklamiert und zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Der Vorstand der jüdischen Gemeinde Leipzigs erteilte ihm die Vollmacht, die Gleichberechtigung der Religionen zu vertreten. Am 29. März reiste Blum nach Frankfurt. Während seiner Reise trat er auf zahlreichen Kundgebungen als Redner auf.“

In Frankfurt wählte man ihn zu einem der vier Vizepräsidenten des Vorparlaments, und als sich die Abgeordneten in verschiedene Lager aufspalteten, forderte er nunmehr als Führer der demokratischen Fraktion, die Schaffung einer deutschen Republik.

Anfang Mai wurde Robert Blum in Reuß und Leipzig in die Frankfurter Nationalversammlung und nach deren Eröffnung in den Verfassungsausschuss gewählt.

Bei der Wahl zum Präsidenten der Nationalversammlung unterlag er dem Liberalen Heinrich von Gagern deutlich und sagte alsbald:  „Wir haben nichts gewonnen, wenn wir stehen bleiben, man wird uns alles wieder entreißen, wenn wir nicht weitergehen! Die Liberalen, die zu dem früheren Regiment sagten: Macht Platz, damit wir uns setzen! – ja diese Liberalen in Gemeinschaft mit Menschen, welche die reichsten und dümmsten zugleich sind, werden unser Joch womöglich noch härter machen als die Fürsten.“

Als im September 1848 radikale Demokraten in Frankfurt auf die Barrikaden gingen, versuchte Robert Blum die Radikalen zu mäßigen, scheiterte jedoch nachdem der Frankfurter Senat preußische und österreichische Gruppen zu Hilfe gerufen hatte. Und dann kam es Anfang Oktober in Wien erneut zu Unruhen.

Wikipedia weiß weiter: „Blum wurde zum Leiter einer Delegation der demokratischen Fraktion der Nationalversammlung ernannt. Er reiste gemeinsam mit Julius Fröbel, Albert Trampusch und Moritz Hartmann am 13. Oktober 1848 nach Wien, um den dortigen Revolutionären eine Sympathieadresse zu überbringen. Über die Gründe für Blums Abreise wurde mehrfach spekuliert. Einerseits wurde sie als ein Zeichen der Resignation und Flucht vor den vielfältigen Verpflichtungen in Frankfurt, andererseits als ein Hinstreben zum Ort der Entscheidung betrachtet. […] Blum trat im Wiener Gemeinderat, dem er die Grußbotschaft am 17. Oktober überbrachte, im Reichstagsausschuss und im Studentenausschuss auf. Dort hielt er am 23. Oktober eine vielbeachtete Rede über die Bedeutung des revolutionären Kampfes in Wien. Durch seine radikale Wortwahl schockierte er das Wiener Bürgertum. In Frankfurt sonderte sich unterdessen ein rechter Flügel von der demokratischen Fraktion ab, welcher Blums Reise missbilligte. Am 25. Oktober trat Blum mit Fröbel in das Elitekorps ein und nahm als Kommandeur der ersten Kompanie an der militärischen Verteidigung des revolutionären Wien teil. Am 26. Oktober kämpfte er an der Sophienbrücke und wollte am darauf folgenden Tag sogar einen Ausfall unternehmen, war aber gezwungen, ihn mangels Nachschub zu unterlassen. Am 27. Oktober beteiligte sich Blum an den Auseinandersetzungen an der Nußdorfer Linie im Norden Wiens. Am 28. Oktober gab Fürst Windisch-Graetz, der Oberbehlshaber der kaiserlichen Truppen, den Befehl zum Sturm auf Wien. Am 31. Oktober wurde die Innenstadt beschossen, schließlich besetzten am 1. November die kaiserlichen Truppen die Stadt. Nach dem Fall Wiens bereiteten die Abgeordneten ihre Ausreise vor. Am 4. November wurden Blum und Fröbel im ‚Gasthof zur Stadt London’ auf Anweisung des Chefs der Centralkommission verhaftet. Daraufhin richtete der sächsische Minister Ludwig van der Pfordten ein Schreiben an den Botschafter in Wien, in dem er diesen anwies, Blum als sächsischen Staatsbürger zu unterstützen. In Frankfurt, wo man am 9. November von der Verhaftung erfuhr, sandte der Reichsjustizminister zwei Kommissare zum österreichischen Hof nach Olmütz, die die Abberufung Windisch-Graetz’ fordern sollten.“

Bereits am Abend des Vortages war Robert Blum jedoch in einem zweistündigen Prozess zum Tode „durch den Strang“ verurteilt wurden, da jedoch kein Henker zu finden war, änderte man das Urteil in „Erschießen mit Pulver und Blei“ und vollstreckte es am Morgen des 9. November.

Nach seiner Verurteilung schrieb Robert Blum einen letzten Brief: Mein teures, gutes, liebes Weib, lebe wohl, wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht sein wird. Erziehe unsere – jetzt nur Deine Kinder zu edlen Menschen, dann werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen. Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hilfe unserer Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles, was ich empfinde, rinnt in Tränen dahin, daher nochmals: leb wohl, teures Weib! Betrachte unsere Kinder als teures Vermächtnis, mit dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen treuen Gatten. Leb wohl, leb wohl! Tausend, tausend, die letzten Küsse von Deinem Robert. Wien d 9. Nov. 1848 Morgens 5 Uhr, um 6 Uhr habe ich vollendet. Die Ringe habe ich vergessen; ich drücke Dir den letzten Kuß auf den Trauring. Mein Siegelring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für Ida, die Kette für Alfred als Andenken. Alle sonstigen Andenken verteile Du nach Deinem Ermessen. Man kommt! Lebe wohl! Wohl!

 

 

 

Victor Jara

* 28.9.1932 als Victor Lidio Jara Martinez in Lonquén, † 16.9.1973 in Santiago de Chile, chilenischer Sänger

 

Flug von Madrid nach Santiago de Chile, Fluglektüre: Joan Jara „Victor“ und Isabell Allende „Porträt in Sepia“, darin eine Beschreibung unseres Flugziels wie es sich ausgangs des 19. Jahrhunderts darbot: „Santiago war eine schöne Stadt in einem fruchtbaren Tal, umgeben von hohen, im Sommer dunkelvioletten und im Winter schneebedeckten Bergen, es war eine ruhige, schläfrige Stadt, die nach blühenden Gärten und nach Pferdeäpfeln roch. Sie hatte etwas Französisches mit ihren alten Bäumen, ihren Plätzen, den maurischen Brunnen, den Portalen und Passagen, den eleganten Frauen, den erstklassigen Geschäften, in denen das Feinste aus Europa und dem Orient angeboten wurde, den Alleen und Promenaden, wo die Reichen ihre Kutschen und herrlichen Pferde vorführten. In den Straßen priesen Händler ihre bescheidenen Waren an, die sie in Körben mit sich trugen, liefen streunende Hunde herum, und auf den Dächern nisteten Tauben und Spatzen. Die Kirchenglocken schlugen die Stunden, außer während der Siesta, wenn die Straßen leer waren und die Menschen ruhten. Es war eine herrschaftliche Stadt…“

Gegen 8.00 Uhr Ortszeit nach fast 14-stündigem Flug Landung in Santiago de Chile. Über den Anden noch gleißendes Licht, am Boden jedoch Nebel. Schon als wir unser Hotel im Barrio Alto erreichen bricht glücklicherweise jedoch die Sonne durch. Schnell frisch machen, umziehen und auf zur Stadtbesichtigung.

Erstes Ziel: natürlich die Moneda. Perfekt wieder hergerichtet, der Präsidentenpalast, strahlend weiße Fassaden, seit Jahren wohl schon. Kleiner wirkt er, viel kleiner, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Und ich sehe auch sofort wieder die Fernsehbilder vom 11. September 1973, die Panzer hier, die Putschtruppen, die anfliegenden Bomber… Aber der Alptraum verwischt rasch, steht doch nun neben den Denkmalen bedeutender chilenischer Präsidenten auch eines für Allende. Hoffen wir, dass hier nie eines für Pinochet auftaucht. Carlos, unser Guide, erzählt, dass der weiterhin unter Hausarrest stünde und man wohl „die biologische Lösung“ des Problems erwarte, keinen Prozess gegen den einstigen Diktator anstrebe, um ein neuerliches Zerreißen der Nation zu vermeiden. Seit einiger Zeit sei im Übrigen auch erwiesen, dass Allende nicht ermordet wurde, sondern Selbstmord beging, mit der Kalaschnikow, die ihm Fidel Castro geschenkt hatte…

Wie selbstverständlich kann man die Innenhöfe der Moneda betreten. Carlos meint, es sei durchaus nicht ungewöhnlich, hier auf Minister oder sogar das Staatsoberhaupt zu treffen. Allerdings sei Frau Bachelet gerade auf Antrittsbesuch in Paraguay und Brasilien.

Santiago de Chile gefällt uns, eine offene Stadt, europäisch, viel Grün, viel Glas, freundliche Menschen, keine sichtbare Armut, keine Bettler, keine Anmache, alles wie frisch gewischt und geschniegelt. An Isabell Allendes Beschreibung erinnern gelegentlich noch die allgegenwärtigen zahmen, streunenden Hunde…

Und allein heute kommen zweimal Chilenen freundlich auf uns zu, als wir sichtlich Problemchen haben: Beim Eiskaufen erklärt uns ein junger Mann, dass wir an der Kasse zuerst einen Bon erwerben müssten, der dann an der Eistheke einzulösen sei, nicht umgekehrt, und fragt schmunzelnd: „Alemán?“ „Si, Senor.“ (Doch woher weiß er das?) Und dann hilft uns eine ältere Frau, als wir orientierungslos den Stadtplan hin und her drehen. (In Deutschland wären wir als Ausländer vermutlich heute noch nicht weiter…)

Bei allen noch zu lösenden Problemen und Konflikten gilt Chile dennoch als Wirtschaftswunderland Südamerikas, sinkende Arbeitslosenzahlen, steigendes Wirtschaftswachstum. Und irgendwie spürt man diese Prosperität, spürt man hoffnungsvolle Veränderung. Daher unsere Affinität zu dieser Stadt?

Weiter zur Plaza de Armas: Die Kathedrale, ungewöhnlich langes, niedriges Schiff, der steten Erdbebengefahr wegen wohl (s. Heinrich von Kleist „Das Erdbeben in Chili“), Denkmal Valdivias, des Gründers der Stadt, den die eingeborenen Mapuche der Legende nach schließlich Gold in den Rachen gegossen haben sollen, um seine unersättliche Gier zu stillen.

Im alten Mercado Central geschäftiges Gequirle, Fischmarkt mit riesigem Angebot, anschließend Fischrestaurants, wie praktisch. Schade, dass wir nur Zeit für die Besichtigung haben. Auffällig auf den Straßen, dass man kaum Kinderwagen sieht. Nicht mangels Kinder, nein, Kleinkinder werden zumeist getragen, im Bündel oder auf dem Rücken.

Auffahrt zum Hügel San Cristobal. Panorama der 5-Millionen-Stadt vor Andenkulisse. Leider ob Smogs alles etwas verschwommen. Auf Empfehlung unseres Guides trinken wir einen eisgekühlten Mote – Pfirsichsaft mit Pfirsichhälften und gequollenen Getreidekörnern – sehr interessant und obendrein ebenso erfrischend wie sättigend.

Dann zurück zum Hotel, Ende der offiziellen Tour. Wir ziehen weiter allein zu Fuß durch „unseren“ Stadtteil Providencia, etwas pflaster- und flugmüde schon, keine Frage. Aber als einziges Mittel gegen Jetleg hilft aus Erfahrung nur, die innere Uhr annähernd der hiesigen Zeit anzupassen. Kaffee also zur Kaffeezeit (obwohl schon reichlich bettreif), Abendessen zur Abendessenszeit – Empanadas, köstlich gefüllte Teigtaschen, und danach noch einen Pisco Sour, chilenisches Nationalgetränk, als Betthupferl.

Gestern vor der Moneda hatte Carlos auch gesagt, dass er nicht missverstanden werden wolle – er und seine Familie seien nach dem Putsch auch fast 20 Jahre im Exil gewesen, in Deutschland und Spanien vor allem -, er stamme jedoch aus der Mittelschicht und finde insofern Allende als großartigen Menschen, doch schlechten Politiker. Er habe seinerzeit zu vieles zu schnell gewollt, verstaatlicht, enteignet, insofern Widerstand auch provoziert. Ohne den Putsch – den er, Carlos, wie gesagt keinesfalls gutheiße! - wäre es damals sicherlich zum blutigen Bürgerkrieg gekommen… Zu sehr mit meinen eigenen Gefühlen beschäftigt, hatte ich das gestern als Provokation gehört, jedoch keinen Streit vom Zaun gebrochen, nicht hier, nicht sofort, hatte ich gedacht, es wird sich schon eine Gelegenheit finden, Carlos in Ruhe zumindest auf die bekannt miese Rolle der CIA anzusprechen. Einmal drüber geschlafen, scheint mir seine Haltung aber genau in Dorfmanns Einschätzung der heutigen chilenischen Gesellschaft zu passen: längst nicht aufgearbeitet die Vergangenheit, Geschehnisse unterschiedlichst be- und Verantwortliche kaum abgeurteilt, Veränderung durch straffen Blick nach vorn, durch nachrückende Generationen und neue Sichten.

Heute Vormittag bleibt Zeit für individuelle Erkundungen Santiagos. Wir fahren mit der U-Bahn (sehr modern und sauber -nirgendwo Grafitti-, sehr pünktlich und preiswert) ins Zentrum. Noch einmal La Moneda – heute erleben wir rein zufällig den Großen Wachwechsel, großes Tamtam, preußische Märsche, zwischen den schneidig Paradierenden stromern jedoch ungestört die Straßenhunde herum, so, als nähmen sie die Parade ab, und niemand hier scheint das zu stören, gut – dann die Avenida O’Higgins entlang bis zur Iglesia San Fransisco, einzig erhaltene Kirche aus der Gründerzeit der Stadt. Weiter in den anschließenden Franziskanerkonvent, heute teilweise Museum: Gemälde vor allem, jedoch auch unglaublich kitschige nackte Jesulein mit goldigem Bubiköpfchen und deutlichem Schniedel unter Glas, schneekugelähnlich, so was hatte ich weißgott noch nie gesehen. Angeblich soll hier auch ein Faksimile der Nobelpreisurkunde Gabriela Mistrals, die bis ans Lebensende Franziskaner-Laienschwester war, ausgestellt sein, nun gut.

Victor Jara hatte in seinem Lied „El Soldado“ gesungen, als habe gewusst, dass Allende und das Chile, für das er eintrat eines Tages weggeputscht würden: Soldat, schieß nicht, / schieß nicht, Soldat! / All diese Medaillen auf deiner Brust, von wem? / Und wie viel Leben haben sie gekostet? / Töte mich nicht, / ich bin dein Bruder, Soldat.

Am Tag nach dem Pinochet-Putsch wurde Victor Jara verhaftet und vier Tage später ermordet. Mindestens 44 Schusswunden soll sein Körper gehabt haben, 44…

In seinem „Manifesto“ sang er: Mein Lied ist Teil einer Leiter, die wir bauen, um die Sterne zu erreichen. / Meine Gitarre ist nicht für die Reichen, / nein, das ganz und gar nicht. / Denn ein Lied hat eine Bedeutung, / wenn es in den Adern eines Mannes pulsiert, / der singend sterben wird, - / während er unbeirrt sein Lied singt.

 

 

 

Menantes

* 29.9.1680 als Christian Friedrich Hunold in Wandersleben, † 16.8.1721 in Halle/Saale, deutscher Autor

 

„Menantes hat ein außerordentlich vielseitiges Werk hinterlassen. Sowohl Romane, Gedichte und Dramen, dier zwischen 1700 und 1706 in Hamburg entstanden sind, als auch die Poetiken, Lyriksammlungen, Rhetoriklehren und Briefsteller aus späteren Jahren in Wandersleben und Halle wecken die Neugier der Literaturwissenschaftler. Die Tatsche, dass Libretti des Dichters von Keiser, Fasch, Telemann und Bach vertont wurden, macht ihn für die Musikwissenschaft interessant und die Frage, was den galantesten der galanten Dichter dazu bewegt, der Lebens- und Liebeslust im pietistischen Halle zu entsagen, wo er sich als Universitätsdozent auch für Kasualpoetik nicht zu schade war, bewegt nicht nur die Theologen“, resümierte die Germanistin Cornelia Hobohm.

Arndt D. Schumann schrieb: „Bekannt wurde Menantes schon als 20-Jähriger mit dem Buch ‚Die Verliebte und Galante Welt“ (1700). Weitere Titel der sog. ‚Galanten Literatur’ sollten folgen. Die Titel lassen erahnen, warum Hunolds Bücher so erfolgreich waren: ‚Die Liebens-Würdige Amalie’ (1702), ‚Der Europäischen Höfe Liebes-Und-Helden-Geschichte’ (1705).“

Christian Friedrich Hunold alias Menantes sagte 1707 zu einer Fortsetzung seines „Satyrischer Roman der galanten Welt zur vergnügten Curiosite, ans Licht gestellt von Menantes“:  Und wie? soll ich die Leute tugendhaft abbilden, da es ein Satyr. Roman? Es wäre wieder die Natur dieser Schreib-Art; und wenn man die Laster recht hässlich vorstellen will, so muß man Heuchlern die Larve abnehmen, und wieder Vermuthen diejenige in ihrer Blöße anders abhamhlen, als sie die Leute vorhero in ihren schönen Kleidern geurtheilet.

Im Vorwort seines seines Gedichtbandes „Academische Nebenstunden“ bereute 1713 er jedoch, seine galanten Texte: Meine Feder hatte einige Worte in ihrem Vermögen: so meinte sie schon zu fliegen. Ich war jung; von Tugenden besaß ich nichts, und von Wissenschafften hatte ich wenig Kenntniss, und gleichwohl wolte ich hoch hinaus. Ich hatte von der Adler ihren Flug zur Sonnen gehöret; und gedachte mit blöden Augen meines verfinsterten Verstandes eine so jähe Bahn gleichfalls zu finden. Allein ich geriehte mit den Sinnen unter die Eulen, welche die Nacht lieben, und den Tag scheuen, oder vielmehr den Tag vor die Nacht halten.

Im Alter von 40 Jahren starb Menantes an Tuberkulose. Anlässlich seines 325. Geburtstages wurde in seinem Geburtsort Wandersleben eine Menantes-Gedenkstätte eingerichtet und seit 2006 wird hier aller zwei Jahre ein Menantes-Literaturpreis für erotische Dichtung verliehen.

 

Wenn Wandersleben pflegt vergnügt hinaus zu wandern /

Kommt von der Nachbarschafft ein wehrter Freund zum andern.

Die Gegend lacht so schön / an Wiesen / Berg und Holtz;

Und die Natur zeigt sich in ihrem Schmuck so stoltz /

Daß wenn die Augen sich daran gewünscht zu ergetzen /

Wir uns im Freuden-Tahl in viele Freude setzen.

 

 

 

Muhammad Ahmad

* 1844 als Muhammad Ahmad ibn as-Sayyid Abdallah, genannt: „Der Mahdi“, † 22.6.1885 in Omdurman, sudanesischer Scheich

 

Muhammad Ahmad führte den ersten erfolgreichen Aufstand gegen den Kolonialismus in Afrika, den Mahdi-Aufstand. Und Muhammad Ahmad wird nicht nur als „Der Mahdi“, als der von Allah gesandte Messias, der das Unrecht auf der Welt beseitigen wird, bezeichnet, sondern auch als Abu l’Istiklal, als „Vater der Unabhängigkeit“.

Er gründete in seinem Heimatland Omdurman als neue Hauptstadt, und das Kalifat von Omdurman, das die erste nationale Regierung des Sudan bildete, bestand immerhin 15 Jahre.

Erst 13 Jahre nach dem Tod von Muhammad Ahmad wurden die Mahdisten in der berüchtigten Schlacht von Omdurman durch ein britisch-ägyptisches Expeditionskorps unter Kitchener vernichtend geschlagen.

 

 

 

Wilhelm Belibaste

* um 1280 in Cubières-sur-Cinoble, † 1321 in Villerouge-Termès, Languedoc, Albigenser

 

Wilhelm Belibaste gilt als der letzte Wanderprediger der katharischen Albigenser, der die höchsten Weihe dieser Religionsgemeinschaft empfangen hatte, das Consulmentum, entsprechend des Glaubens dieser Sekte zur Vollkommenheit aufgestiegen war. Er empfing diese Weihe gut 100 Jahre, nachdem der Papst zum Kreuzzug gegen die Albigenser aufgerufen hatte, bei dem und in dessen Folge möglicherweise bis zu eine Million Gläubige ums Leben gekommen waren, durch den Perfectus Philipp von Alayracho in Rabastens.

Zbiegniew Herbert beschreib dieses Geistestaufe so: „Die feierliche Handlung fand in einem Privathaus statt. Die schmucklosen Wände weiß getüncht, ein paar schlichte Geräte, ein mit schneeweißem Tuch bedeckter Tisch. Das Evangelium und brennenden Kerzen. Der künftige ‚Vollkommene’ sagte sich vom katholischen Glauben los, verpflichtete sich, weder Fleisch noch andere Nahrungsmittel tierischer Herkunft zu essen, nicht zu töten, nicht zu schwören, auch entsagte er allen körperlichen Bindungen. Seinen Besitz übergab er der Kirche der Katharer. Von nun ab widmete er sich völlig der Missionsarbeit und den Werken der Barmherzigkeit, vorm allem der Hilfe für die Kranken.“

Vor anhaltenden Verfolgungen im Languedoc floh Wilhelm Belibaste nach Spanien, wurde aber von einem Spitzel der Inquisition in die südfranzösische Grafschaft Foix gelockt, verhaftet und schließlich auf dem Scheiterhaufen im Beisein des Erzbischofs von Narbonne öffentlich verbrannt.

Ohne Perfecti, ohne „Vollkommene“, die ihrerseits das Consulmentum spenden konnten, war die katharische Religion letztlich nicht überlebensfähig und starb so in den folgenden Jahrzehnten durch die unablässigen Verfolgungen der Inquisition vollständig aus.

 

 

 

Wallace Hume Carothers

* 27.4.1896 in Burlington, Iowa, † 29.4.1937 in Wilmington, Delaware, amerikanischer Chemiker

 

Now, you lousy old Nipponese! soll Wallace Hume Carothers ausgerufen haben, nachdem er eine erste Polyesterfaser synthetisiert hatte – und aus den Anfangsbuchstaben dieser fünf Wörter soll der Name dieser neuartigen, alsbald die fernöstliche Seiden-Produktion zurückdrängenden und die Modewelt revolutionierenden Kunstfaser entstanden sein: Nylon.

Da er jedoch seit seiner Jugend unter Depressionen litt und sich selbst für einen lausigen Chemiker hielt, nahm er sich zwei Tage nach seinem 41. Geburtstag mit Zyankali das Leben.

 

 

 

Nafissatou Niang Diallo

* 11.3.1941 in Dakar, † 1982, senegalesische Schriftstellerin

 

Nafissatou Niang Diallo war eine wolofsprachige Muslima, die sich ihren Lebensunterhalt als Hebamme und Krankenschwester verdiente und schrieb historische Romane sowie das Jugendbuch „Awa la petite marchande“, das von einem senegalesischen Mädchen handelt, das mit ihrem Vater nach Frankreich auswandert, doch ernüchtert in ihre Heimatland zurückkehrt.

Als ich 2002 mit meinem Freund Karamba in sein Heimtaland, den Senegal reiste, hatte ich mir selbstredend zuvor einige Höflichkeits- und Begrüßungsformeln in Wolof, das hier weitverbreitet ist, gelernt (Naka nga def? –Wie geht es Ihnen? / Maa ngi fi rekk. – Mir geht es gut.)

Interessante Begegnungen in Dakar und schon war ich wie die anderen Mitglieder unserer kleinen Delegation von unseren Betreuer Cissé eingeladen, Tabaski, das Opferfest, in seinem Haus mitzuerleben. Keine Frage, ein einzigartiges, ein großherziges Angebot, doch offenbar durchaus der hiesigen Gastfreundschaft entsprechend. (Selbstredend haben wir gesammelt und schenken, den hiesigen Gepflogenheiten entsprechend für die Familien, das Geld für den zu opfernden Hammel und bringen natürlich auch reichlich Geschenke mit.) Ich fahre mit der größeren Gruppe nach Rufisque, einem Vorort Dakars, zu Cissé.

Der Bus kommt gut eine Stunde zu spät, so haben wir jedoch Gelegenheit zu beobachten, wie auf einem Platz vorm Hotel ruckzuck drei Schafe geschächtet werden. Traditionell kommt dies immer dem jeweiligen Hausherrn zu. Als wir in Rufisque ankommen, hat Cissé diese Aufgabe längst erfüllt, seine Hammel sind schon zerlegt und die einzelnen Bestandteile säuberlich in Schüsseln auf dem Hof verteilt, hie die Keulen, da die Köpfe, dort die Därme etc.pp. Über offenen Feuern brutzelts in Töpfen und Pfannen. Die Frauen zerstampfen Zutaten in Mörsern. Teekessel brodeln.

Hier lebt eine Großfamilie, 35- bis 40 Menschen schätzungsweise, vier Generationen in einem Hof- und Hüttensystem gleich neben der Moschee. Für uns wurde das Wohnzimmer hergerichtet. Wir werden höflich hereingebeten und schon wird uns aufgetafelt: Olivenspießchen, Baobab- und Hibiskussaft, dann Hammelstückchen mit köstlich scharfer Zwiebel-Knoblauch-Mischung. Nach dem Mahl geht man von Haus zu Haus, schwatzt mit den Nachbarn, so auch wir. Allein von der Atmosphäre her fühle ich mich irgendwie an die Spergauer Lichtmeß erinnert. Allerdings ist man hier auch gänzlich ohne Alkohol lustig. Alles wirkt sehr natürlich, weder Scheu noch Anmache. Am Nachmittag schließlich ein kleiner Spaziergang zum nahen Strand. Hier nun sehen wir jedoch eine Kehrseite: die Überreste des Festes werden einfach abgekippt, Müllhalde statt Traumstrand.

Bei der Rückfahrt ins Hotel besteht Cissé darauf, den Monsieur Ecrivan, mich also, in seinem Auto mitzunehmen. Als hätte er mein Erschrecken über den heillos vermüllten Küstenstrich bemerkt, fährt er mich zu einigen wirklichen Traumstränden, die es in Dakar also auch gibt, sogar einige wenige Windsurfer sind hier zu sehen. Dann das noble, doch fast leere Hotel Le President, gebaut von den Saudis, und zu guter Letzt fährt er mich sogar noch zum Pointe des Almadies, dem wirklich allerwestlichen Zipfel des afrikanischen Kontinents. Hier läuft man über Berge von Muschelschalen, da an Kiosken frische Austern verkauft und geschlürft werden.

Dann Fahrt ins Landesinnere, nach Touba, dem islamischen Zentrum Westafrikas. Nach wie vor schwer bewölkter Himmel, kühl. Hinter Thiès lockert sich der Himmel jedoch etwas auf, die Sonne wird sichtbar und heiß. Auch die Landschaft wird eine andere: weite, staubbraune von einzelnen Akazien und Baobabs geprägte Flächen, Übergang zur Sahel-Zone. Die skurrilen Baobabs sollen der Sage nach von Gott aus Wut über die Menschen einst ausgerissen und mit den Wurzeln nach oben wieder in den Boden gesteckt worden sein. Wer versucht einen Baobab zu fällen, werde von bösen Geistern heimgesucht, wer sein Holz verbrennt, erblindet... Einst sollen in hohlen Baobab-Stämmen Griots begraben worden sein, die Geschichtenerzähler, Musiker, Schöpfer, Bewahrer und Vermittler traditioneller Literatur, die Berater der Herrschenden, die Träger und Hüter kollektiver Erinnerung, der früher hier nicht schriftlich fixierten Geschichte, von denen gesagt wird: „Wo ein Griot stirbt, brennt eine Bibliothek.“

Endlich Touba, wo striktes Alkohol- und Rauchverbot herrscht und unsere weiblichen Gruppenmitglieder ihre Schultern und Haare mit Tüchern zu bedecken haben: nach Vierteln voller Dreck und Unrat wächst vor uns plötzlich die größte Moschee Westafrikas empor, nach Mekka, Jerusalem und Medina eines der wichtigsten islamischen Heiligtümer (immerhin bekennen sich ca. 95% der Senegalesen zum Islam). Hier liegt der Begründer der Mouriden-Bruderschaft, Cheikh Amadou Bamba, begraben. (Grundlagen der Mouriden-Gemeinschaft: 1. die religiöse Praxis, 2. die Pflicht zu arbeiten, 3. die Unterwerfung unter den Befehl des Sektenchefs.) Aus rosaschimmernden portugiesischen und edlem Carrara-Marmor errichteten ihm seine Anhänger diese prächtige Moschee nebst Mausoleum, violette und grüne Kuppeln, fast 90 Meter hohes Minarett. Vor der Koranbibliothek werden wir freundlich empfangen und von zwei Herren in und durch die Moschee geführt. Natürlich dürfen wir fotografieren, wo und was wir wollen. Überhaupt scheint hier alles etwas lockerer, entspannter zu sein, als im Nahen Osten. Neben unseren beiden bestellten Führern begleitet uns in gebührlichem Abstand ein Talibeh, ein hiesiger Koranschüler, der ständig Blickkontakt zu mir sucht, lächelt und am Ende unseres Rundgangs unbedingt die Hand drücken will. Klar, weißer, vollbärtiger Mann, das ist was für ihn. Der Muezzin ruft, die Gläubigen kommen, wir haben uns zu verabschieden. Da den Marabous nachgesagt wird, sie führen alle Cadillacs äuge ich aufmerksam aus dem Busfenster, kann so einen Riesenschlitten aber nirgends entdecken. Doch schreiben mir unsere Führer schnell noch die Adresse der Touba-Homepage ins Notizbuch...

Kurz hinter Djourbel stoppen wir an einer kleinen, ganz aus Schilf errichteten Siedlung. Kein Problem, wir können besichtigen, obwohl wir nicht angemeldet sind. Und schnell stellt sich heraus, dass dies ein klosterähnlicher Ort einer muslimischen Sekte, der Baye Fall ist. Ein sehr schwarzhäutiger junger Mann mit Rastalocken zeigt uns die Schilfhäuser und sogar seine Klause. Ich staune nicht schlecht, als ich neben einem Bildnis ihres Cheiks auch eines von Che Guevara entdecke. Später lese ich in meinem Reiseführer erstaunt, dass die Baye Fall als Wachpersonal Toubas berüchtigt seien, rigide Methoden gegen Ungläubige anwendeten. Dafür ist absolut nichts zu spüren, im Gegenteil, sogar ihr Marabou empfängt uns spontan, gewährt uns eine Audienz, berichtet stolz, dass diese Schilfkonstruktionen vollständig ohne ausländische Hilfen erdacht und errichtet worden seien.

Weiter nach Kaolack, der zweit- oder drittgrößten Stadt des Landes (das weiß hier offenbar niemand ganz genau). Karamba legte in Kaolack sein Abitur ab, verständlich, dass er unseren Bus durch abenteuerliche Straßenzüge kurven lässt, damit wir seine alte Schule auch sehen können. Und dann Kurzbesuch bei der Familie seines Onkels, die sich damals nach dem frühen Tod seiner Eltern um ihn kümmerte. Anschauliches Beispiel für Selbstverständlichkeiten in afrikanischen Großfamilien. Der Onkel dürfte etwa Ende 70 sein, seine älteste Frau wohl 10 Jahre jünger und dann hat er noch eine etwa 50, eine 40 und eine 30jährige Frau. Aha, so funktioniert das also mit der Vielweiberei, man muss es sich leisten können (nach und nach)... Vor dem recht ordentlichen Haus das Chaos, Müll- und Modderberge auf der von Jauchepfützen und –rinnsalen durchzogenen Staubstraße, doch Kinder spielen hier ausgelassen Fußball (natürlich fast alle in Hemden ihrer Weltmeisterschaftshelden) und hin und wieder bahnt sich ein nagelneuer, blankgeputzter Mercedes (S-Klasse selbstredend) den Weg durch den Unrat.

Das Hotel in Kaolack dann aber eine große Überraschung. Ich hatte ja Schlimmes befürchtet, doch ist plötzlich ein Swimmingpool und eine Poolbar, und vom Zimmer kann man sogar nach Hause telefonieren. Jeanny lacht als sie hört, dass ich gerade vom Baden komme. In Leuna sind –10°C. Die Nacht wird dann aber nicht so angenehm, da endlos gegen hartnäckig angreifende Mücken anzukämpfen ist und der Wind von einem Lautsprecher aus der Nähe unablässig Korangedudel heranweht.

Die Schwüle der Nacht wich einer windigen Frische. Mit zwei kleinen, bunten Pirogen fahren wir von Ndangane zur Insel Saloum. Mangrovenbestandene Deltaarme des gleichnamigen Flusses, dann weiten sich die Wasserflächen, Wellen gehen hoch. Als wir nach gut zwei Stunden Bootsfahrt im Flecken Djinda ankommen sind wir alle klatschnass, doch ungebrochen guter Stimmung, wohl ob der uns durchaus bewussten Exotik dieses Ortes. Wir werden von der Leitung der hiesigen Fischerkooperative empfangen und als erstes vom Feinsten bewirtet: kleine, schwarze, an den Mangrovenwurzeln wachsende Muscheln in Erdnuss-Zwiebel-Soße, die Exotik wird exklusiv. Dabei sieht man auf den ersten Blick, wie ärmlich es hier in diesem so entlegenen Winkel zugeht: ein Schuppen beispielsweise ihr stolz präsentiertes Vereinshaus. Und stolz will uns der Präsident ihrer Kooperative auch lang und breit von ihren Erfolgen erzählen. Unsere Frauen wollen aber lieber Fragen an anwesende Frauen der Kooperative stellen, wollen keine weiteren Berichte, sondern direkte Erfahrungen machen, das System der Kleinkreditvergabe, dessen Nutznießer vor allem die hier mit anwesenden Frauen sein sollen, besser verstehen, das Leben hier schlechthin. Ein Palaver setzt ein, wer wem wann welche Fragen stellen solle und dürfe, wobei sich die Frauen der Kooperative nun aber einmal ermutigt auch resolut selbst zu Wort melden. Am Ende dennoch gegenseitig freundliche Schlussworte und wir überreichen die Gastgeschenke. Kleiner Rundgang durchs Dorf, um uns ständig Scharen von Kindern. Und zu guter Letzt scheint uns das ganze Dorf zum Landungssteg zu begleiten. Großes Winken. Immer und immer wieder diese große Herzlichkeit, beeindruckend.

Zwischenstopp auf einer anderen Insel, Zwischenmahlzeit, dann zu einem Dammprojekt, das Bauern mit Hilfe von Caritas realisierten. Nachdem ihre Reisfelder mehr und mehr versalzten, schien vor Jahren ihre Existenz vernichtet. Mit materieller und logistischer Unterstützung gelang es ihnen aber in Selbsthilfe einen Damm zu errichten, der das weitere Vordringen des Salzwassers verhindern und das kostbare Regenwasser auf den Feldern halten soll. Mitten im sandigen Niemandsland erwarten uns geduldig die Chiefs der umliegenden Weiler. Und als einer der Chiefs hört, dass bei den Deutschen ein Schriftsteller sei, der sich sogar für Senghor interessiert, kommt der stattliche Mann sofort auf mich zu und stellt sich als Mitglied der Familie Senghor vor, heftet mir wie einen Orden ein Plastikschildchen an, darauf das Staatswappen und ein Abbild Senghors. Ich lasse mir erklären, dass dies seine Zugangsberechtigung für die Kathedrale von Dakar anlässlich der Beisetzungsfeierlichkeiten Senghors vor zwei Jahren ist. Wie soll ich auf diese so außergewöhnliche Geste reagieren? Klar, Händedrücke, gemeinsames Foto, Umarmungen, Adressentausch und was ich in meinem Rucksack an Kleinigkeiten zusammenkramen kann (Feuerzeuge, Kulis, Schreibblöcke) schenke ich natürlich. Doch irgendwie fühle ich mich beschämt, verspreche über eine angemessene Hilfe nachzudenken. Care-Pakete vielleicht? Chief Yacuba scheint sich über meine spontane Reaktion aber auch sehr zu freuen, stellt mir sogar noch seinen Sohn vor, der etwas abseits am Eselkarren, der die beiden nach Hause bringen wird, auf den Vater wartete.

Mit unseren Pirogen fahren wir in einen goldenen Sonnenuntergang hinein, phantastisch dieses Gleißen über dem Saloum. Nach dem Nachtmahl liege ich in der Hängematte vor meinem Bungalow und genieße den im Zenit über mir stehenden Vollmond, der mir diesen außergewöhnlichen Tag rundet. Ich schreibe:

Djinda, Saloum-Delta

„Toubab“, flüstert das Sérèr-Mädchen und blickt mich mit großen Augen bittend an, „Toubab“ - Ja, klar: weißer Mann. Ich nicke freundlich. Und da streicht sie tiefschwarz behutsam wie Vogelflaum über die Behaarung meines Unterarms. Und sanft suchen ihre kleinen Finger meine Hand, als wolle sie mir Schutz bieten hier in diesem gottvergessenen Winkel unserer Welt. Toubab - ja, ich weiß. Das sollte eigentlich umgekehrt sein.

Am nächsten Tag zur Senghor-Gedenkstätte, zu dem Haus in Joal, in dem der große senegalesische Dichter und Staatsmann aufwuchs, lese ich zur Einstimmung für die Gruppe am Morgen im Bus ein Senghor-Gedicht:

 

Joal!

Ich denke zurück.

 

Ich denke zurück an die Mulattinnen im grünen Schatten der Veranden

An die Mulattinnen mit überwirklichen Augen wie Mondschein auf dem Strand.

 

Ich denke zurück an die Pracht des Sonnenuntergangs

Daraus sich Kumba Ndofen seinen Königsmantel schneiden lassen wollte.

 

Ich denke zurück an die Totenfeste die dampften vom Blut der geschlachteten Herden,

Vom Lärm der Kämpfe und den Gesängen der Zauberer.

 

Ich denke zurück wie die heidnischen Stimmen das Tantum Ergo pochten

Und an die Umzüge und an die Palmen und an die Triumphbögen.

 

Ich denke zurück an den Tanz der mannbaren Mädchen,

An die Kampfchöre – o an den Schlusstanz der Jünglinge, schlank

Den Oberkörper geneigt, und an den reinen Liebesschrei der Frauen:

„Kor Siga!“

 

Ich denke zurück, ich denke zurück...

Und es klopft in meinem Kopf

Seinen müden Marsch die Tage Europas entlang wo manchmal

Ein verwaister Jazz auftaucht und schluchzt und schluchzt und schluchzt...

 

Halt unterwegs an einem riesigen Baobab, den wir nicht zu umspannen vermögen (mehr als zwanzig Erwachsene können mit weit ausgestreckten Armen keinen Kreis um diesen altehrwürdigen Stamm schließen). Unter dem Baum lagern Schnitzer mit ihren Masken und Holztieren und einer starrt auf mein Senghor-Schild, kommt auf mich zu. Schnell ist geklärt warum ich es trage, und da erklärt er erfreut, dass er wie Senghor zur kleinen Volksgruppe der Sérèr gehöre und sich freue, dass ich die Kultur seines Volk zu schätzen wisse, und ehe ich mich versehe, hat er mir eine stattliche Holzmaske geschenkt, ja geschenkt, kein Verkaufstrick, er lehnt rigoros ab, Geld anzunehmen, so kaufe ich ihm ohne großes Feilschen schließlich noch zwei schön geschnitzte Nilpferde ab.

In Joal habe ich dann die Ehre, mich ins Gästebuch einzutragen, werde von Cissé natürlich zudem vor der Statue Senghors, des Poeta doctus Afrikas, fotografiert, da besteht er drauf. Nahe der malerisch-imposanten, etwa 500 m langen Holzbrücke zum Inselstadtteil Fadiout werde ich Ohrenzeuge wie Stephan einen jungen Mann befragt, wie der denn Tabaski gefeiert habe. Antwort: er komme aus einer armen Familie, man habe sich nur einen Hammel leisten können, da ihre Nachbarn aber Christen seien, haben die selbstverständlich als erstes vom Festessen bekommen. Erstaunliches Beispiel hier im Lande offenbar allenthalben gelebter Toleranz gegenüber Andersdenkenden.

Weiter gen Norden, Halt in Mbour, mittelgroße Stadt mit dem üblich chaotischen, staubigen Straßengewimmel. Da jeder aus der Gruppe seiner Wege geht, schließe ich mich für die Mittagspause Cissé an. An einer Kreuzung bleibt er vor einem Schrotthaufen stehen, der sich jedoch als eine Art Schnellimbiss entpuppt. Er zieht an einem der verrosteten, verschmierten Kästen eine Schublade auf und darin brutzeln Hammelstückchen! Und er sucht sich und mir ein Stück aus und lässt es vom Schrottherdbesitzer zerteilen und würzen und mit fettigen Fingern in ein aufgeschnittenes Baguette stopfen und reicht es mir. Na denn, todesmutig beiße ich zu, horche dann aber während der stundenlangen Fahrt nach St. Louis mit Zwischenstopp an der Moschee von Louga (die wir aber nicht mal fotografieren, geschweige denn besichtigen dürfen, da ist der bärbeißige Moscheewächter vor) argwöhnisch in mich hinein. Hoffentlich ging das gut.

Ich bin sehr gespannt auf St. Louis, die einstige Hauptstadt des französischen Westafrika, seit 2000 UNESCO-Weltkulturerbe, gelegen auf zwei langgestreckten, parallelen Inseln vor der Atlantikküste. Wir kommen aber kaum dazu, die schmucken Zeilen der Kolonialhäuser zu registrieren, da wir zwar vor einem Hotel in der Innenstadt halten, der Besitzer jedoch uns umgehend zu einer in der absoluten Pampa gelegenen Absteige dirigiert, janz janz weit draußen nahe der Südspitze der äußeren Insel. Nach den schlimmsten Elendsquartieren die wir bisher sahen (hausen hier die aus Mauretanien Vertriebenen?) und einem großen Friedhof, gibt’s hier auf einem schmalen Landstreifen nur noch Sanddünen. Und darin einige armselige Hüttchen. Das sollen unsere Quartiere sein. In dem mir mit meinem „ewigen Partner“ Wolf zugewiesenen Raum steht im Schmuddel nichts weiter als eine Holzpritsche. Zwar bringt man mir nach Protest eine Matratze, ein Laken, eine zweifelhafte Decke, doch sackt meine Stimmung (wie auch die Stimmung der meisten der Gruppe) auf den Nullpunkt. Wohl um zu retten, was noch zu retten ist, kutschiert man uns zum Abendessen wieder in die Stadt, wo fast alle von uns erst mal reichlich Bier und Rum bestellen. Dennoch ergibt eine Umfrage, dass die Mehrheit darauf besteht, hier nicht wie vorgesehen zwei, sondern nur eine Nacht zu verbringen. Lange sitze ich dann in der Nacht noch am feinsandigen Strand, starre in die wilde Dünung. Keine Frage, als Surftourist und am Tage könnte es hier sehr reizvoll sein...

Extrem kurzer Schlaf, was bei diesem miesen Quartier aber wohl das Klügste ist. Halb sieben, noch in tiefer Finsternis brechen wir auf nach Djoudj, dem Vogelnationalpark im Delta des Senegalflusses. Gut zwei Stunden Fahrt über holprige Pisten, Umsteigen in eine Piroge, und tatsächlich erleben wir dann in diesem großen, schilfbestandenenen Mündungssystem Scharen von Vögeln nicht wenige aus Europa (wie man uns erklärt) die zum Überwintern hierher flogen: Kormorane, Pelikane, Reiher, Ibisse, Pfeifer und und und. Schließlich sogar Krokodile, Warane und Warzenschweine. Beeindruckend, auch wenn ich noch immer gegen das Gemisch von Frust, Übermüdung und Kater in mir ankämpfen muss. So gönne ich mir denn, so gegen halb zwei zurück in St. Louis, nachdem uns zwei Stunden „Freilauf“ gewährt wurde, in einem malerischen Kolonialrestaurant einen Cuscus royale und ein kühles Bierchen Gazelle. Die Abfahrt verzögert sich um gut eine Stunde, da Axel noch Geld für die Gruppe tauschen will, in der Wechselstube seine tausend Euro auch angenommen werden und er dafür sogar eine Quittung erhält, dann aber statt der erforderlichen 650.000 CFA nur 30.000 CFA vorrätig sind, der Rest vom Patron erst noch beschafft werden muss...

Rückfahrt nach Dakar, Stopp zum schnellen Chawarma-Abendessen in Thiés, gegen 22.00 Uhr im Hotel, das mir am ersten Tag ja wie ’ne Russenkaserne vorkam, mir nun aber wie die Zivilisation schlechthin erscheint, fast schon wie ein Stück Heimat.

Doch wie gesagt: Naka nga def? –Wie geht es Ihnen? / Maa ngi fi rekk. – Mir geht es gut. Keine Frage.

 

 

 

Stepan „Stenka“ Timofejewitsch Rasin

* um 1630 in Simoweiskaja am Don, † 16.7.1671 in Moskau, Ataman der Donkosaken

 

"Wolga, Wolga, liebe Mutter, Wolga, du russischer Strom, du hast noch kein Geschenk gesehen von einem Donkosaken! Und damit keine Zwietracht herrsche unter freien Menschen, Wolga, Wolga, liebe Mutter, wegen eines schönen Mädchens - nimm du es!“ tönt es im russischen Volkslied „Stenka Rasin“. (The Seekers nutzten die Melodie für „The Carneval is over“.)

Als Beweis für die Männlichkeit und Führerkraft Stepan Rasins wird besungen, wie er auf einem seiner Schiffe eine persische Prinzessin beschläft und seine Kosaken an seiner Kampfentschlossenheit zu zweifeln beginnen, woraufhin er seine Geliebte kurzentschlossen in den Fluss wirft…

Aber auch bedeutende russische Komponisten widmeten dem aufständischen Kosakenführer Kompositionen: Alexander Glasunow, Nikolai Mjaskowski, Dmitri Schostakowitsch.

Zum Aufständischen wurde Rasin, nachdem Zar Alexei I. seinen Bruder als Deserteur gehängt hatte. Nach und nach schlossen sich zahlreiche, mit der Herrschaft Alexei I. Unzufriedene seinen Kosakenverbänden an: Bauern, geflohene Leibeigene, Altorthodoxe und Angehöriger religiöser und anderer Minderheiten - und aus anfänglichen Raubzügen wurde eine bedrohliche Revolte.

Nachdem Rasin jedoch versucht hatte, in die zaristische Thronfolge einzugreifen und ein Adelsheer in die Kämpfe eingriff, wurde er besiegt, verraten und schließlich gevierteilt.

 

 

 

 Urani Rumbo

* Dezember 1895 in Stegopul, † 1936, albanische Lehrerin

 

Ab 1916 arbeitete Urani Rumbo als Lehrerin. Neben Albanisch sprach sie Französisch, Griechisch und Italienisch. 1919 startete sie eine Initiative gegen den Alphabetismus von Frauen, im Jahr darauf gründete sie mit anderen Feministinnen eine der wichtigsten albanischen Organisationen zur Förderung der Frauenrechte: „Lidhja e Gruas“ und 1924 dann auch die Frauenvereinigung „Përmirësimi – Verbesserung“.

„In der Zeit der demokratischen Bewegung in Albanien von 1921 bis 1924 veröffentlichte Rumbo Artikel über Probleme – insbesondere über die Frage der Bildung –, mit denen albanische Frauen konfrontiert waren in den lokalen Zeitungen „Demokratia“ und „Drita“, weiß Wikipedia. „Zur gleichen Zeit entwickelte sie Ausbildungskurse für Frauen in Schneiderei, Sticken, Landwirtschaft, Musik und Gärtnern. Außerdem schrieb und inszenierte sie Theaterstücke und organisierte Schulaufführungen, um Mädchen zu ermutigen, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen.“

 

 

 

Shaka

* um 1787 nahe des Ortes Melmoth, Natal, † 22.9.1828 in KwaDukuza, König der Zulu

 

Der Zulu-Herrscher Shaka wurde zum Mythos, da er erfolgreich als Heerführer agierte, tradierte Kampftechniken modernisierte, als Begründer der Zulu-Nation gilt. Zweifellos ist er eine der bekanntesten Figuren der afrikanischen Geschichte, Jahr für Jahr begehen die Zulu an der Gedenkstätte nahe dem Todesort ihres Nationalhelden den König-Shaka-Tag. Dabei herrschte er offenbar grausam und wurde infolge eines Massakers an den eigenen Leuten am Ende von einem Halbbruder erstochen.

Der Mythos afrikanischer Stärke jedoch lebt, zahlreiche Autoren widmeten sich Shakas Wirken: Seydou Badian Kouyaté aus Mali, der Basoto Thomas Mofolo, Djibril Tamsir Niane aus Guinea, die Senegalesen Maruba Fall und Léopold Sédar Senghor, der Kongolese Tchicaya U Tam'si, der Togolese Agbota Zinsou, aber auch der Brite Henry Rider Haggard.

Ladysmith Black Mambazo besangen Shaka auf einem von Paul Simon produzierten Album. In Filmen und Fernsehserien spielt die Shaka-Figur eine Hauptrolle wie auch in Computer-Spielen. Und der südafrikanische Autohersteller Advanced Automotive Design kreierte der Roadster Shaka Nynya und das Sportcoupé Shaka Giotto.

Na denn, gute Fahrt!

 

 

 

Klaus Störtebecker

* um 1360 vielleicht in Wismar, † 20.10.1401 in Hamburg, deutscher Seeräuber

 

Kann sei, dass es Klaus Störtebecker nie gab, dass er die Figur einer Legende ist, die sich nach und nach um die Likedeeler, jene Seeräuber, rankten, die ihre Beute gerecht untereinander und sogar mit den Armen geteilt haben sollen. Der Name Klaus Störtebecker taucht erstmals mehr als 30 Jahre nach seiner angeblichen Hinrichtung in der „Chronica Novella“ des Lübecker Geschichtsschreibers Hermann Korner auf.

In Wismar soll 1380 ein nicolao stortebeker verprügelt worden sein, der Name Freibeuterkapitäns Störtebecker allerdings daher kommen, dass der einen 4-Liter-Humpen auf ex aussaufen konnte: Stürz den Becher!

Klaus Störtebecker wurde nach zahl- und erfolgreichen Kaperfahrten gegen die Hanse am 22. April 1401 vor Helgoland gestellt und nach erbittertem Kampf gefangengenommen. In Hamburg bot er an, die Stadt mit einer goldenen Kette zu umspannen, wenn man das gegen ihn verhängte Todesurteil aufhöbe. Am 21. Oktober jedoch wurde er mit 72 seiner Gefährten auf dem Grasböck vor Hamburgs Hafeneinfahrt hingerichtet. Der Hamburger Bürgermeister soll versprochen haben, dass alle Freibeuter, an denen ihr Kapitän ohne Kopf noch vorbeilaufen können, frei kämen – und 11 seiner Gefährten soll er geköpft noch passiert haben. Allerdings brach der Bürgermeister sein Versprechen und alle Likedeeler, alle „Gleichteiler“, wurden exekutiert. Zu gefährlich offenbar waren die darin entstandenen Ideen.

 

 

 

Johann Thal

* 1542 in Erfurt, † 18.7.1583 in Peseckendorf, deutscher Botaniker

 

Johann Thal gilt als Vater der Floristik. Im Alter von 35 Jahren verfasste er seineSylva Hercynia: sive catalogus plantarum sponte nascentium in montibus & locis plerisque Hercyniae Sylvae quae respicit Saxoniam“, ein Verzeichnis der Pflanzen des Harzes und einiger umliegender Gebiete., in der sich ein Autor sich erstmals nicht nur auf arzneilich wirksame Pflanzen beschränkte, sondern versuchte, alle vorkommenden Pflanzen zu erfassen und zu beschreiben, etliche Arten erstmals; so das Brillenschötchen, die Erd-Segge, der Alpen-Milchlattich, die Brocken-Kuhschelle oder die später nach ihm benannte Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana.

In dieser Zeit war er Leibarzt der Grafen zu Stolberg und wirkte im Harzstädtchen Stolberg auch als Stadtphysikus. Dieses Amt übte er ab 1581 dann in Nordhausen aus, und als er im Sommer 1583 unterwegs zu einem Patienten war, gingen plötzlich die Pferde seiner Kutsche durch. Der Vater der Floristik versuchte sich durch einen kühnen Sprung zu retten, erlitt dabei einen doppelten, offenen Unterschenkelbruch. Drei Wochen später starb Johann Thal 41-jährig im Schloss Peseckendorf, wohin er gebracht worden war, infolge seiner schweren Verletzungen.

 

 

 

Rigas Valestinlis

* 1757 in Velestino, † 24.6.1798 in Belgrad, griechischer Revolutionär

 

Rigas Valestinlis gilt als einer der Väter der griechischen Revolution von 1821, somit der griechischen Unabhängigkeit nach Jahrhunderte langer osmanischer Unterdrückung. Er strebte sogar eine Förderation aller südosteuropäischen Länder an. Inspiriert hatte ihn die Französische Revolution.

Rigas Valestinlis schrieb aufrührerische Lieder und verfasste die „Charta von Hellas“, eine Art Verfassungsentwurf eines freien Griechenlands.

Als er 1798 ins habsburgische Triest reiste, wurde er als Separatist verhaftet, von den österreichischen an die osmanischen Behörden nach Belgrad ausgeliefert und dort umgehend hingerichtet.

 

 

 

Ruben Zardarjan

* 1874 in Sewawerak, † 16.8.1915 bei Karacaören, armenischer Schriftsteller

 

Ruben Zardarjan wurde unweit Diyarbakırs geboren, besuchte in Charberd das Gymnasium und wurde dann Schüler des Schriftstellers Tlkatintsis. Mit achtzehn begann er selbst als Lehrer zu arbeiten, wurde jedoch 1903 aufgrund seines politischen Wirkens verhaftet und musste das Osmanische Reich verlassen. In Plovdiv gründete er die Zeitung „Razmik“ („Krieger“), in der er Armenier, die wie er fern der Heimat leben mussten aufforderte, um ein autonomes Armenien zu kämpfen. Nach der Jungtürkischen Revolution 1908 kehrte er mit zahlreichen anderen armenischen Intellektuellen nach Konstantinopel zurück, gründete  die Tageszeitung „Azatamart“ („Freiheitskampf“) und lehrte am Zentralkollegium.

Seit 1890 hatte sich Ruben Zardarjan auch literarisch betätigt, in verschiedenen armenischen Zeitungen in der Türkei publiziert. 1910 erschien sein Prosawerk „Zajgalujs“ („Tageslicht“), das 1912 auch ins Französische übersetzt wurde. Er schrieb Gedichte, Novellen, Märchen, Legenden und Essays sowie das sechsbändige Lehrwerk „Meghraget“ (Honig-Fachmann“), und er übersetzte Texte von Anatole France, Maxim Gorki, Victor Hugo, Wladimir Korolenko, Emil Verhaeren und Oscar Wilde ins Armenische.

Am 5. Mai 1915 wurde Ruben Zardarjan in Ayasch inhaftiert und schließlich von jungtürkischen Militärs verschleppt, angeblich, um in Diyarbakır vor einem Kriegsgericht zu erscheinen. Auf dem Weg dorthin ermordeten ihn jedoch zwei Oberleutnante.

 

Die Tränen des Tyrannen

 

Einer uralten Überlieferung nach besuchte Nebukadnezar nach der Eroberung Jerusalem den Tempel und wurde auch in die Gemächer der Priester geführt. Erschrocken blieb er stehen, denn unter seinen Füßen sah er Blut, das dunkelrot siedete und brodelte.

Der König fragte nach der Ursache dieser seltsamen Erscheinung. Die Priester suchten ihn zu täuschen, doch als sie erkannten, dass ihre Ausflüchte vergeblich waren und der König ihnen zornig drohte, gestanden sie, dass es das Blut eines ob seiner Prophezeihungen ermordeten Priesters namens Zacharias war. […]

Als Nebukadnezar dies hörte, befahl er, das Blut mit Blut zu besänftigen. Er ließ die Priester im brodelnden Blute des Propheten hinrichten und gab auch Befehl, Kinder und Jungfrauen zu töten, damit sich ihr Blut mit dem des Zacharias mische. Aber das Blut hörte nicht auf zu brodeln. […]

In einem seltenen Augenblick der Besinnung, als sich plötzlich sein Gewissen regte, schien der Tyrann erschrocken durch den Gedanken an die höchste Gerechtigkeit: „Wehe mir, wehe mir, so viele Menschen habe ich Pein und Tod gebracht, um des Blutes eines einzigen Menschen willen! Welches Schicksal steht mir bevor, der ich meine Hände mit dem Blut Abertausender menschlicher Geschöpfe besudelt habe!“

Und Nebukadnezar begann zu weinen. Tränen rannen aus seinen Augen, fielen auf den Fußboden und mischten sich mit dem Blute des Propheten.

Und – o Wunder! – das Blut hörte auf zu brodeln, hörte auf, um Rache zu schreien…

 

 

 

Brendan Francis Aidan Behan

* 9.2.1923 in Dublin, † 20.3.1964 ebd., Pseudonym: Emmett Street, irischer Schriftsteller

 

In seinem Roman „Borstal Boy“ lässt Brendan Behan einen britischen Polizisten, der den irischen Protagonisten verhört, nach der Bedeutung des Namens Behan fragen. Antwort: „Ein altirischer Name, Sir. Der Name einer Schriftstellerfamilie, die einst in South Leinster berühmt war. Die irische Form ‚O Beacháin’ von ‚beach’ a bee, also einer der Bienen hält, Angilcé, ‚Behan, Beggan, Beegan’. Er steht in Sloinnte Gael agus Gall. Das ist irisch, Sir.“

Der Klappentext der Kiepenheuer&Witsch-Ausgabe von „Borstal Boy“ preist: „In einem wahren Feuerwerk an irischem Humor, in beißender Satire, derbem Gefängnis-Slang und eingeflochtenen poetischen Passagen offenbart sich Behans Traum von Toleranz, Freiheit und Sinnenfreude. Mit diesem Roman erweist sich der Autor als würdiger Nachfahre so wortgewaltiger irischer Literaten wie Swift, Synge, Wilde, Yeats und O’Casey.“

Brendan Behan notierte über seine Dubliner Zeit: Wenn später mal die Geschichte dieser Epoche geschrieben wird, mein Gott, da wird manch einer eine große Überraschung erleben! Wenn es einem gelang, genug zu essen zu bekommnen, wurde das als Heldentat betrachtet – wenn es einem gelang, sich zu betrinken, war das ein Sieg.

Der Literaturwissenschaftler Bernhard Scheller urteilte: „Behan denkt politisch hellwach, mit sicherem Instinkt für soziale Widersprüche und Gebrechen; scharf analysiert er die Janusköpfigkeit des katholischen Glaubens und weiß die Institution Kirche oft im Gegensatz zur Moral des Tatchristentums. So differenziert er auch die weltliche Obrigkeit: Relativ verständnisvollen Polizisten stehen brutale Wächter gegenüber; und die Solidarität der Unteren, gleich welcher Nationalität oder Rasse […] wird Wertmaßstab individueller Behauptung und Bewährung.“

Neben Prosa verfasste Brendan Behan auch Theaterstücke wie „The Landlady“, „Der Spaßvogel oder Der Mann von morgen früh bekannt“, das auch erfolgreich verfilmt wurde, oder „An Giall - Die Geisel“.

In „Bekenntnisse eines irischen Rebellen“, der Fortsetzung von „Borstal Boy“, sagt Brendan Behan: Die Welt ist schon komisch, aber es ist die beste, die wir haben. Im Sommer 1958 erlitt er einen ersten schweren physischen Zusammenbruch infolge seiner Diabetes und eines Leberleidens, 1964 starb Brendan Behan im Alter von nur 41 Jahren. „Zu jung, um zu sterben, aber zu betrunken, um zu leben“, stand in einem Nachruf des irischen „Daily Express“.

 

 

 

Johan Nordahl Brun Grieg

* 1.11.1902 in Bergen, † 2.12.1943 in Kleinmachnow, norwegischer Schriftsteller

 

Nordahl Griegs Lehrstück über die Pariser Kommune inspirierte Bertolt Brecht 1949 zu „Die Tage der Kommune.

Debütiert hatte Nordahl Grieg 1923 mit einer Gedichtsammlung, im Jahr darauf folgte ein erster Roman. Weitere Gedichtbände, Prosa und dramatische Werke sollten folgen.

1937 wirkte er als antifaschistischer Reporter im Spanischen Bürgerkrieg, 1940 trat er in die norwegischen Streitkräfte ein, arbeitete dann für den englischen Geheimdienst und war als Kriegsberichterstatter bei Luftangriffen der Royal Air Force auf deutsche Städte dabei.

Am 2. Dezember 1943 kam er beim Abschuss eines Lancaster-Bombers in der Nähe von Berlin ums Leben.

Sein bekanntestes Gedicht „Til Ungdommen – An die Jugend“ wurde 1952 von Otto Mortensen vertont und nach den Terroranschlägen vom Juni 2011 in Oslo und Utøya bei zahlreichen Gedenkveranstaltungen gesungen – wohl nicht zum letzten Mal:

 

Krig er forakt für liv.

Fred er å skape.

Kast dine krefter inn:

døden skal tape!...

… Krieg ist Verachtung des Lebens.

Frieden ist, zu schaffen.

Wirf deine Kräfte ein:

der Tod muss verlieren!...

 

 

 

Sofja Wassiljewna Kowalewskaja

* 15.1.1850 in Moskau, † 10.2.1891 in Stockholm, russische Mathematikerin

 

Der Mathematiker schrieb für das „Journal für die reine und angewandte Mathematik den Nachruf auf seine Kollegin Sofja Wassiljewna Kowalewskaja: „Ich erfülle die traurige Pflicht, den Lesern dieses Journals von dem Hinscheiden der Frau Sophie von Kowalevsky, geb. Corvin-Krukowskoy, Kunde zu geben. Sie wurde am 15. Januar 1851 zu Moskau geboren, verheirathete sich im Jahre 1868, erhielt 1874 in Göttingen, nachdem sie ein Jahr (1869/70) in Heidelberg und dann vier Jahre mit kurzen Unterbrechungen hier in Berlin, vornehmlich unter Herrn Weierstrass’ Leitung, mathematischen Studien obgelegen hatte, auf Grund einer im 80. Bande dieses Journals abgedruckten Dissertation die Doctorwürde und im Jahre 1884 an der Universität Stockholm eine Professur. Die letzte Ferienzeit im December vorigen und Januar dieses Jahres brachte Frau von Kowalevsky bei Verwandten in der Nähe von Nizza zu, hielt sich dann auf der Rückkehr einige Tage in Paris und in Berlin auf und reiste am Montag den 2. Februar von hier nach Stockholm ab. Dort erkrankte sie bald nach ihrer Ankunft an einer Pleuropneumonitis und erlag derselben am Dienstag den 10. Februar Morgens 4 Uhr. So ward sie schon im Alter von 40 Jahren viel zu früh der von ihr mit ausgezeichnetem Erfolge gepflegten Wissenschaft und dem grossen, ihr in Liebe und Verehrung zugethanen Freundeskreise entrissen. Sophie von Kowalevsky (nach ihren letzten Visitenkarten ‚Sonja Kovalevsky‘), verband mit einem ausserordentlichen Talent sowohl für allgemeine mathematische Speculation als auch für die bei der Ausführung specieller Untersuchungen nothwendige Technik gewissenhaften, unermüdlichen Fleiss, hielt bei intensivster Fachthätigkeit stets ihren Sinn für andere geistige Interessen offen, bewahrte dabei immer ihre Weiblichkeit und erwarb und erhielt sich darum im Verkehr auch die Sympathie derjenigen, die ausserhalb ihres fachwissenschaftlichen Kreises standen. Die Geschichte der Mathematik wird von ihr als einer der merkwürdigsten Erscheinungen unter den überhaupt äusserst seltenen Forscherinnen zu berichten haben. Ihr Gedächtniss wird durch die zwar nicht zahlreichen aber werthvollen Arbeiten, welche sie veröffentlicht hat, in der ganzen mathematischen Welt fortdauern, die Erinnerung an ihre bedeutende und dabei anmuthvolle Persönlichkeit wird in den Herzen aller derer fortleben, welche das Glück hatten, sie zu kennen.“

In ihren Kindheitserinnerungen berichtet Sofja Kowalewskaja, dass ihr Interesse für die Mathematik geweckt worden sei, als bei der Renovierung des väterlichen Gutes, die Tapete nicht für ihr Kinderzimmer reichte, und die Wände kurz entschlossen mit auf dem Dachboden herumliegenden Papier beklebt wurde. Diese Seiten waren die Mitschrift einer Vorlesung über Differential- und Integralrechung, die ihr Vater als Student gehört hatte und in die sich die kleine Sofja nun vertiefte.

Studieren durften Frauen im Russland jener Zeit allerdings nicht, weder Mathematik noch sonst irgendwas. Und ins Ausland durften sie nur in Begleitung eines Mannes, ihres Vaters oder Gatten. So ging sie eine Scheinehe ein und begann in Wien zu studieren.

In Göttingen schloss sie ihr Studium mit summa cum laude ab, in Stockholm erhielt sie schließlich eine Privat-Dozentur.

August Strindberg mokierte sich darüber, er meinte, dass „eine Frau als Mathematikprofessor eine schädliche und unangenehme Erscheinung sei, ja, daß man sie sogar ein Scheusal nennen könnte. Die Einladung dieser Frau nach Schweden, das an und für sich männliche Professoren genug habe, die sie an Kenntnissen bei weitem überträfen, sei nur durch die Höflichkeit der Schweden dem weiblichen Geschlecht gegenüber zu erklären.“

Sofja Kowalewskaja schrieb daraufhin in einem Brief an einen Kollegen: „Als Weihnachtsgeschenk erhielt ich von Ihrer Schwester einen Artikel von Strindberg, in dem er so klar beweist, wie zweimal zwei vier ist, daß eine solche Ungeheuerlichkeit wie ein weiblicher Professor der Mathematik schädlich, unnütz und unangenehm ist. Ich finde, daß er im Grunde ganz recht hat, nur gegen eines protestiere ich, daß nämlich in Schweden eine große Anzahl Mathematiker leben soll, die mir weit überlegen seien und daß man mich nur aus Galanterie berufen habe.“

Sofja Kowalewskaja lernte dann sogar Alfred Nobel kennen, und noch immer hält sich hartnäckig das Gerücht, es gebe keinen Nobelpreis für Mathematik, weil sie keine Liaison mit ihm eingegangen sei.

Immerhin erhielt sie den angesehenen Bordin-Preis und es wurde ihr schließlich kurz vor ihrem Tode sogar eine Professur auf Lebenszeit zugestanden.

 

 

 

Abebe Bikila

* 7.8.1932 in Jato, † 25.10.1973 in Addis Abeba, äthiopischer Marathonläufer

 

Was für eine Sensation: der Olympiasieger im Marathonlauf des Jahres 1960 lief barfuss! Und er kam aus Afrika, aus Äthiopien: Abebe Bikila!

Und nach diesem Sieg in Rom gelang ihm vier Jahre später in Tokio eine weitere Sensation: er wiederholte seinen Sieg, wurde somit zum ersten Leichtathleten, dem das gelang!

1969 hatte Abebe Bikila jedoch einen schweren Autounfall, war seitdem querschnittsgelähmt und starb infolge dieses Unfalls 1973 an einer Gehirnblutung.

Ihm zu Ehren benannte man ein Stadion in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und in Ladispoli bei Rom eine Brücke. 2012 wurde Abebe Bikila er in die Hall of Fame des Internationalen Leichathletikverbandes aufgenommen.

 

 

 

Mata Hari

* 7.8.1876 als Margaretha Geertruida Zelle in Leeuwarden, † 15.10.1917 in Vincennes, Frankreich, niederländische Tänzerin

 

Der Résistancekämpfer und Autor Léon Schirmann urteilte: „Mata Hari war keine geborene Spionin. Man hat sie für die antideutsche Kriegskampagne benutzt. Sie war lediglich eine Frau, die das Leben genießen wollte und die nicht begriffen hatte, dass mit dem Krieg nichts sein würde wie zuvor.“

Friedrich Wencker-Wildberg sagte in seiner 1936 erschienenen Biografie: „Über Mata Hari hat sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre eine ziemlich umfangreiche Literatur angesammelt. Unterzieht man die einzelnen Schriften einer kritischen Untersuchung, so bleibt sehr viel Spreu und herzlich wenig Weizen übrig, ja man wundert sich geradezu, dass über eine Frau, die immerhin eine Zeitlang im hellen Rampenlicht der Öffentlichkeit gestanden und Behörden, Presse und Literatur beschäftigt hat, die widerspruchvollsten und unwahrscheinlichsten Geschichten verbreitet wurden …“

Entscheidend verbesserte sich das Aktenwissen selbst nicht, nachdem der britische Geheimdienst 1999 Dokumente über die Nackttänzerin und Spionin des französischen wie des deutschen Geheimdienstes freigab. Wikipedia weiß: „Mata Hari war nie die raffinierte Doppelagentin, wie in dem Urteil von 1917 und späteren Darstellungen stilisiert – eher ein willkommenes Bauernopfer des französischen Militärgerichts, weil die Kriegsbegeisterung merklich nachließ und ein Sündenbock für die Niederlagen und Verluste hilfreich schien. Mata Hari trat im Spätherbst 1915 in den Dienst des deutschen Geheimdienstes III b und wurde im Folgejahr zusätzlich durch den französischen Geheimdienst für Aktivitäten gegen das Deutsche Reich angeworben. Aus den zeitgenössischen Akten des britischen Geheimdienstes Security Service (MI 5) […] geht jedoch hervor, dass sie keine wesentlichen Geheimnisse, weder an die Deutschen noch die Franzosen, verraten hat – sie verfügte nicht über die Kontakte in neuralgische militärische oder kriegswichtige Bereiche. Aus der gegenwärtigen Quellenlage scheint es, als habe Mata Hari am Ende ihrer Tanzkarriere mit einer kläglich-naiven, bedeutungslosen Informationstätigkeit ihr drohendes Schicksal, als Künstlerin in Vergessenheit zu geraten und unter akuter Geldnot leidend abzuwenden versucht und dabei die Gefährlichkeit ihres Handelns nicht erkannt.“

Dabei gibt es mittlerweile mehr als 250 Bücher und zahlreiche Filme über das Leben der Margaretha Geertruida Zelle, die sich auch Marguerite Campbell und Lady Gretha Macleod nannte. Sicher ist, dass sie ihren ersten öffentlichen Auftritt 1898 auf Java als Königin in Kotzebues Stück „Die Kreuzfahrer“ hatte, 1903 in Paris Modell für mehrere Maler stand und danach ihren frivolen Schleiertanz samt zugehöriger Legende erfand, 1905 legte sie sich dazu den malaiischen Namen Mata Hari zu: „Auge des Tages“.

Der Journalist Marcel Lami berichtete: „Eine große dunkle Gestalt schwebt herein. Kräftig, braun, heißblütig. Ihr dunkler Teint, ihre vollen Lippen und glänzenden Augen zeugen von weit entfernten Landen, von sengender Sonne und tropischem Regen. Sie wiegt sich unter den Schleiern, die sie zugleich verhüllen und enthüllen. […] Das Schauspiel läßt sich mit nichts vergleichen, was wir je gesehen haben. Ihre Brüste heben sich schmachtend, die Augen glänzen feucht. Die Hände recken sich und sinken wieder herab, als seien sie erschlafft vor Sonne und Hitze. […] Ihr weltlicher Tanz ist ein Gebet; die Wollust wird zur Anbetung. Was sie erfleht, können wir nur ahnen […] Der schöne Leib fleht, windet sich und gibt sich hin: es ist gleichsam die Auflösung des Begehrens im Begehren.“

1906 trat sie in Wien auf und im „Neuen Wiener Journal“ war zu lesen:  „Isidora Duncan ist tot, es lebe Mata Hari! Die Barfußtänzerin ist vieux jeu, die Künstlerin up to date zeigt mehr […] Mata Haris Tänze seien ein Gebet … der Inder tanzt, wenn er die Götter ehrt. Mata Hari selbst tritt gemessenen Schrittes ein. Eine junonische Erscheinung. Große, feurige Augen verleihen ihrem edel geschnittenen Gesicht besonderen Ausdruck. Der dunkle Teint – offenbar Erbstück von Großpapa Regent – kleidet sie prächtig, eine exotische Schönheit ersten Ranges. Ein weißes faltiges Tuch hüllt sie ein, eine rote Rose schmückt das tiefschwarze Haar. Und Mata Hari tanzt […] Das heißt: sie tanzt nicht. Sie verrichtet ein Gebet vor dem Götzenbild, wie ein Priester den Gottesdienst. […] Unter dem Schleier trägt die schöne Tänzerin auf dem Oberkörper einen Brustschmuck und einen Goldgürtel … sonst nichts. Die Kühnheit des Kostüms bildet eine kleine Sensation. Doch nicht der leiseste Schein der Indezenz… Das, was die Künstlerin im Tanze verrät, ist reinste Kunst. Der Tanz schließt mit dem Sieg der Liebe über die Zurückhaltung […] der Schleier fällt. Mächtiger Beifall ertönt. Schon aber ist Mata Hari verschwunden.“

Sie tanzte auch in Madrid, Berlin und Rom, doch wurde manchen Orts kopiert und so fast vergessen. 1908 kündigte sie ihren Rücktritt von der Bühne an und beschwerte sich über Konkurrentinnen wie Colette: „Seither nehmen einige Damen den Titel einer orientalischen Tänzerin für sich in Anspruch. Ich würde mich vielleicht durch solche Beweise der Aufmerksamkeit geschmeichelt fühlen, wenn die Darbietungen dieser Damen einen gewissen wissenschaftlichen und ästhetischen Wert besäßen, aber das ist nicht der Fall.“

Ihre Karriere erfuhr jedoch noch eine Krönung durch ihren Auftritt in der Mailänder Scala im Dezember 1911 als „Die Prinzessin und die Zauberblume“ im fünften Akt von Christoph Willibald Glucks Oper  "Armide". Im Januar 1912 dann verkörperte sie noch die Venus in Antonio Marcenos Ballett „Bacchus und Gambrinus“ – wurde danach auch als „Schwarze Venus“ bezeichnet. Sie trat in den Folies Bergère auf und wollte ab September 1914 im Berliner Metropol-Theater tanzen. Zuvor brach jedoch der Erste Weltkrieg aus, und vor allem aus finanziellen Nöten ging sie eine Liaison mit dem deutschen Geheimdienst ein. Papiere belegen, „dass Mata Hari im Spätherbst 1915 in den Dienst des deutschen Geheimdienstes getreten war. III b-Chef Walter Nicolai ließ Mata Hari im Mai 1916 nach Köln bitten, wo er nach einem Gespräch mit ihr beschloss, sie als Agentin ausbilden zu lassen, und ihr Major Roepell als Führungsoffizier zuwies. Dieser habe ihr ‚auf langen Spaziergängen am Rande der Stadt das Agenten-Einmaleins’ beigebracht, während ein Geheimschriften-Experte mit ihr ‚chemisches Schreiben’ übte. Diese ‚Ausbildung’ habe 7 Tage in Anspruch genommen. Mata Haris Auftrag sei es gewesen, von Paris aus Aufklärung über die nächsten Offensivpläne des Gegners zu betreiben, Reisen durch militärisch interessante Gebiete Frankreichs zu unternehmen und mit der Kriegsnachrichtenstelle West in Düsseldorf (Leiter: Roepell) sowie der Agentenzentrale in der Deutschen Botschaft in Madrid (Leiter: Major Arnold Kalle) Verbindung zu halten. Sodann sei Mata Hari Hauptmann Hoffmann unterstellt worden, der ihr den Decknamen H 21 gegeben habe.“ (Wikipedia).

Alsbald wurde jedoch der britische wie auch der französische Geheimdienst, der sie sogar anwarb, auf sie aufmerksam: Am Morgen des 13. Februar 1917 nahm man Mata Hari fest und stellte sie am 24. Juli 1917 im Pariser Justizpalast vor ein Kriegsgericht. Der Untersuchungsrichter charakterisierte sie als zwielichtige Person; „deren Sprachkenntnisse, zahllose Verbindungen, beachtliche Intelligenz und angeborene oder erworbene Sittenlosigkeit nur dazu beitragen, sie verdächtig zu machen. Ohne Skrupel und daran gewöhnt, sich der Männer zu bedienen, ist sie der Typ einer Frau, die zur Spionin prädestiniert ist.“ Schon am Tag darauf wurde sie wegen Doppelspionage und Hochverrats zum Tode verurteilt und am 15. Oktober 1917, um 6:15 Uhr morgens, in den Befestigungsanlagen von Schloss Vincennes nahe Paris von einem zwölfköpfigen Exekutionskommando erschossen.

Eines der zahlreichen nach ihrem Tode kursierenden Gerüchte besagt, dass sie, als der Befehl zum Feuern ertönte, ihren Pelzmantel, den sie auf bloßer Haut trug, geöffnet habe, und alle Soldaten stracks vorbeigeschossen hätten… Ein anderes: An das Erschießungskommando seien nur Platzpatronen ausgegeben wurden und ein russischer Fürst sei nach dieser Scheinhinrichtung mit ihr auf einem Schimmel im Morgennebel verschwunden…

 

 

 

Hermann von Reichenau

* 18.7.1013 in Oberschwaben, † 24.9.1054 im Kloster Reichenau, deutscher Mönch, Autor und Komponist

 

Der Benediktiner Hermann von Reichenau war ein bedeutender Historiker, Mathematiker, Astronom Wissenschaftler, Komponist und Schriftsteller des Mittelalters und wurde sogar als „Wunder des Jahrhunderts“ bezeichnet.

Im Alter von sieben Jahren kam der wohl seit seiner Geburt sprachlich behinderte und spastisch gelähmte Hermann ins Kloster Reichenau, das er vermutlich zeit seines Lebens nicht wieder verließ.

Sein „Chronicon“ gilt als eine der Hauptquellen für die Geschichte des 11. Jahrhunderts. Nicht zuletzt begründete sich Hermanns Ruf jedoch auf sein Wirken als Kompilator, der Wissen neu, sinnvoll und übersichtlich gruppierte und so weiter verbreitete.

Auf zahlreichen Kirchengemälden wird „Hermann der Lahme“ als Lokalheiliger oder mit Krücken dargestellt, so in Beuron, St. Gallen, Ottobeuren und Reichenau-Mittelzell.

Im Sommer 2020 wurde das Theaterstück von Christoph Nix „Hermann der Krumme oder die Erde ist rund“ in Konstanz uraufgeführt, Nix stellt Hermann hierbei als „Stephen Hawking des ersten Jahrtausends“ dar und das Stück als solches sei eine „Metapher auf den krummen Zustand der Welt“.

 

 

 

Fernando Magellan

* 4.2.1480 in Sabrosa, † 27.4.1521 auf Mactan, Philippinen, portugiesischer Seefahrer

 

Stefan Zweig schrieb: „…von allen Gestalten und Fahrten lernte ich eine am meisten bewundern, die Tat des Mannes, der meinem Empfinden nach das Großartigste geleistet in der Geschichte der Entdeckungen, Ferdinand Magellan, er, der mit fünf winzigen Fischkuttern von Sevilla ausfuhr, um die ganze Erde zu umrunden – die herrlichste Odyssee in der Geschichte der Menschheit vielleicht, diese Ausfahrt von zweihundertfünfundsechzig entschlossenen Männern, von denen dann einzig achtzehn heimkehrten auf zermorschtem Schiffe aber die Flagge des größten Sieges gehisst auf dem Mast. […] ich hatte, indes ich diese andere Odysseusfahrt nach allen erreichbaren Dokumenten möglichst der Wirklichkeit getreu darstellte, ununterbrochen das merkwürdige Gefühl, etwas Erfundenes zu erzählen, einen der großen Wunschträume, eines der heiligen Märchen der Menschheit.“

10. August 1519: Fernando Magellan beginnt seine Reise in Sevilla mit fünf Schiffen, seinem Flaggschiff, der „Trinidad“, der „San Antonio“, der „Concepción“, „der „Victoria“ und der „Santiago“ den Guadalqivir hinab nach Sanlúcar de Barrameda, dem Hafen Sevillas.

20. September: Magellans Flotte segelt ins offene Meer, erreicht am 3. Oktober Teneriffa, am 26. Dezember Rio de Janeiro, am 10. Januar 1520 den Rio de la Plata, am 31. März Port San Julian in Patagonien.

2. April: Meuterei in Port San Julian, 7. April: Hinrichtung des Meuterers Gaspar de Quesada, Kapitän der „Concepción“, 22. Mai: Verlust des „Santiago“ bei einer Erkundungsfahrt.

24. August: die verbleibenden Schiffe segeln weiter, erreichen am 25. Oktober die Einfahrt in die Magellanstraße.

8. November 1520: die Mannschaft der „San Antonio“ desertiert.

28. November: die reduzierte Flotte erreicht den Pazifik, segelt am 24. Januar 1521 an der Insel San Pablo vorbei, erreicht am 6. März die Marianen, am 16. März Samar, die viertgrößte Insel der Philippinen, am 28. März Mindanao und am 7. April Cebu.

27. April: Magellan versucht ein Dorf auf der Nachbarinsel Mactan nach einem gescheiterten Missionierungsversuch militärisch zu unterwerfen. Dabei kommt Magellans ums Leben: ein vergifteter Pfeil durchbohrte seinen Oberkörper, zwei Lanzenstöße streckten ihn nieder.

1. Mai: bei einem Gefecht auf Cebu kommen weitere 35 Europäer ums Leben.

4. Mai: Versenkung der „Conception“, da die restlichen Seeleute nicht mehr drei Schiffe bemannen können, segeln weiter nach Brunei.

6. November: die „Trinidad“ und die „Victoria“ erreichen die Molukken.

18. Dezember: die „Trinidad“ schlägt leck.

21. Dezember: die „Victoria“ tritt mit einer Besatzung von 47 Europäern und 13 Ostindern die Heimreise an.

6. September 1522: die „Victoria“ (sic!) kommt mit 18 Mann in Sanlúcar de Barrameda und am 8. September nach knapp drei Jahren wieder in Sevilla an, erstmals war die Erde war komplett umsegelt.

Zu Ehren Fernando Magellans wurde die Magellanstraße benannt, ebenso die chilenische Provinz Magallanes, zwei Mond- und ein Marskrater, zudem eine Raumsonde sowie die beiden größten unmittelbaren Nachbargalaxien der Milchstraße, die Kleine und die Große Magellansche Wolke.

„Aber niemals bestimmt in der Geschichte die praktische Nützlichkeit den moralischen Wert einer Leistung. Nur jener bereichert dauerhaft die Menschheit, der ihr Wissen um sich selber vermehrt und ihr schöpferisches Bewusstsein steigert. In diesem Sinne übertrifft Magellans Tat alle Taten seiner Zeit, und besonderen Ruhm inmitten seines Ruhmes bedeutet es uns, dass er sich nicht wie die meisten Führer das Leben von Tausenden und Hunderttausenden für seine Idee auf geopfert, sondern nur das eigene.“ (Stefan Zweig)

 

 

 

Sabahattin Ali

* 25.2.1907 in Iğridere, † 2.4.1948 in Kırklareli, türkischer Schriftsteller

 

Die Orientalistin Erika Glassen schreibt: „Sabahattins Alis Kinder- und Jugendjahre waren geprägt von den turbulenten Ereignissen einer Umbruchzeit. Die Jungtürkische Revolution (1908), der Balkankrieg, der Erste Weltkrieg, der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, der Kampf um die nationale Unabhängigkeit, die Gründung der Republik (1923) und die erste hitzige Reformphase unter Gazi Mustafa Kemal (Atatürk) – das alles erlebte er nicht im geschützten Raum eines traditionellen Elternhauses, sondern als Sohn eines Offiziers, der in seiner aktiven Zeit ein unruhiges Leben führen musste und, als der den Dienst quittiert hatte, in verschiedenen Berufen seine Familie recht und schlecht durchzubringen versuchte. Sabahattin Ali ist nur einundvierzig Jahre alt geworden, doch seine Biografen haben bis heute Schwierigkeiten, seinen Lebenslauf zu rekonstruieren.“

Sicher scheint: Sabahattin Ali wurde mit sieben Jahren in die die Füyûzâtı Osmâniye-Schule in Doğancılar eingeschult und besuchte dann Grundschulen in Çanakkale und Edremit. Nach dem Schulabschluss kam er 1921 für ein Jahr zu einem Onkel nach Istanbul und begann dann eine Ausbildung als Lehrer in Balıkesir und im zweiten Ausbildungsjahr Gedichte und Geschichten zu schreiben. Sein Pädagogik-Diplom erhielt er 1927 in Istanbul und wurde Lehrer in Yozgat. Im Jahr darauf sandte ihn die Türkische Republik zur Fortbildung nach Deutschland, lebte in Berlin und Potsdam. 1930 kehrte in die Türkei zurück, legte eine Deutsch-Prüfung ab und unterrichtete Deutsch an einer Mittelschule in Bursa, dann in Konya.

Im September 1932 wurde er wegen eines Spottgedichts auf Atatürk verhaftet und zu vierzehn Monaten Haft verurteilt, im April 1933 wurde sein Diplom annulliert, woraufhin er im Januar 1934 ein Lobgedicht auf den Staatspräsidenten schrieb, aus dem Gefängnis entlassen und ins Nationale Bildungs- und Ausbildungszentrum berufen wurde. 1935 heiratete er und er unterrichtete Deutsch und Türkisch in Ankara.

1939 veröffentlichte Sabahattin Ali eines seiner wichtigsten Bücher, den Roman „Der Dämon in uns“, der zum Thema politischer Debatten wurde. Der nationalistisch-rassistische Schriftsteller Nihâl Atsız griff ihn mit einem 16-seitigen Pamphlet an. Nâzım Hikmet wie der sozialkritische Autor Suat Derviş kritisierten ihn vor allem aus formalen Gründen. Erika Glassen meint: „Man übersah damals die eigentliche avantgardistische Dimension dieses Werkes für die türkische Romanliteratur, nämlich den grenzenlosen Subjektivismus, die differenzierte Analyse der Innenwelt eines Individuums, das an der zeitbedingten Identitätskrise leider, die es nicht überwinden kann. Dieser komplexe Zeitroman barg also bei seinem Erscheinen beträchtlichen Zündstoff, und er ist aktuelle geblieben, weil die chaotische Phase der türkischen Geistesgeschichte, die Sabahattin Ali mitgeprägt und in seinem Werk lebendig gemacht hat, in ihren Auswirkungen bis heute spürbar geblieben ist.“

1944 wurde Sabahattin Ali erneut inhaftiert, geriet danach in finanzielle Schwierigkeiten und versuchte seinen Lebensunterhalt durch ein Transportunternehmen zu fristen. Um einer drohenden weiteren Verhaftung zu entgehen versuchte er 1948 ins Ausland zu fliehen, doch wurde von einem Schleuser, womöglich im Auftrag des türkischen Geheimdienstes, an der Grenze nach Bulgarien ermordet.

 

 

 

August Stramm

* 29.7.1874 in Münster, † 1.9.1915 bei Horodec, deutscher Dichter

 

Im Jahr 1910 promovierte August Stramm an der Universität Halle und avancierte zum Postinspektor, Thema seiner Dissertation war die Einführung eines Welteinheitsportos.

1912 begann August Stramm mit Sprache zu experimentieren, schrieb expressionistische Gedichte wie „Freudenhaus“:Lichte dirnen aus den Fenstern / die Seuche / spreitet an der Tür / und bietet Weiberstöhnen aus!

Im Ersten Weltkrieg reüssierte August Stramm zum Bataillonskommandeur, doch schrieb Texte wie „Patrouille“: Die Steine feinden

Fenster grinst Verrat

Aeste würgen

Berge Sträucher blättern raschlig

Gellen

Tod.

Am 1. September 1915 fiel August Stramm beim Angriff auf russische Stellungen am Dnepr-Bug-Kanal.

 

 

 

 

 

Johann Vierdanck

* 5.2.1605 (getauft) in Jesssen / Elster, † 1.4.1646 (beerdigt) in Stralsund, deutscher Musiker und Komponist

 

Im Alter von 20 Jahren wurde Johann Vierdanck „Großer Capellknabe“ an der Dresdner Hofkapelle, dann ab 1631 Instrumentalist an der Güstrower Hofkapelle. Und nach Studienreisen nach Lübeck, Hamburg und Kopenhagen wird er 1635 als „Musicant aus Stralsund“ erwähnt. Und von 1636 bis zu seinem Tod im Alter von 41 Jahren wirkte er als Organist an der Stralsunder Marienkirche.

Johann Vierdanck komponierte Instrumental- und Vokalwerke, so die Motette „Meine Harfe ist zur Klage geworden“.

  

 

 

Jean-François Champollion

* 23.12.1790 in Figeac, † 4.3.1832 in Paris, französischer Sprachwissenschaftler

 

1802 zeigte der Präfekt des Départments Isère, der soeben mit Napoleons Expeditionskorps aus Ägypten zurückgekehrt war, Jean-François Champollion Artefakte, die er am Nil gesammelt hatte. Und er erklärte dem Zwölfjährigen, dass niemand die darauf zu sehenden Hieroglyphen entziffern könne.

1803 begann Jean-François Champollion orientalische Sprachen zu erlernen, wenige Jahre später beherrschte er bereits acht alte Sprachen und hielt einen Vortrag über Ähnlichkeiten zwischen dem Koptischen und den Hieroglyphen.

Nach Schulabschluss präsentierte er „Aufsatz der geographischen Beschreibung Ägyptens vor den Eroberungen durch Kambyses“ und wurde dafür zum Mitglied der Akademie von Grenoble ernannt. Von 1807 bis 1809 studierte er in Paris und arbeitete zum ersten Male mit dem berühmten Stein von Rosette mit seiner dreisprachigen Inschrift, und leitete daraus ein Alphabet des Demotischen ab, das ihm wiederum half, altägyptische Papyri zu entschlüsseln.

1820 wurde der zwanzigjährige Jean-François Champollion in Grenoble zum Professor für alte Geschichte ernannt. Wieder in Paris, widmete er sich konzentriert auf Übersetzungen zwischen Demotisch, Hieratisch und den Hieroglyphen, und erkannte anhand seiner Symbolanalyse des Steins von Rosette, dass Hieroglyphen nicht nur für Worte stehen konnten, sondern einzelne Hieroglyphen für Buchstaben standen, andere für ganze Wörter, wieder andere sogar kontextbestimmend waren. Und im September 1822 gelang es ihm dann, ein vollständiges System zur Entzifferung der Hieroglyphen aufzustellen.

Auf der Suche nach weiteren ägyptischen Quellen bereiste Jean-François Champollion von 1824 bis 1826 Italien und von 1828 bis 1829 auf dem Nil bis zum Wadi Halfa.

1832 starb Jean-François Champollion, der zeitlebens gekränkelt hatte, an einem Schlaganfall.

 

 

 

Juan de la Cierva y Codorniu

* 21.9.1895 in Murcia, † 9.12.1936 bei London, spanischer Luftfahrtpionier

 

Im Alter von 16 Jahren begann Juan de la Cierva Flugzeuge zu berechnen und zu konstruieren, als Dreiundzwanzigjähriger präsentierte er die dreimotorige BDC El Cangrejo. Diese Flugzeug wurde im  Jahr darauf allerdings durch den Fehler eines Piloten zerstört, woraufhin er selbst eine Fluglizenz erwarb.

Im Alter von 25 Jahren dann hatte er die Idee für einen Autogiro, einen Tragschrauber, den Vorläufer des Hubschraubers. Drei Jahre später absolvierte sein Tragschrauber C.4 erfolgreich einen ersten Flug, 8 Jahre später überflog er mit dem C.8 den Ärmelkanal. Bald darauf wurden seine Fluggeräte in den USA in Serie gebaut und flogen nach Mexico und Kuba.

1932 gründete er die Cierva Autogiro GmbH in Berlin, und die Firma Focke-Wulf baute in Lizenz Tragschrauber des Typs C30, genannt „Heuschrecke“. Und alsbald flogen „Heuschrecken“ dann auch in Australien, Frankreich, Holland, Österreich, Schweden, der Schweiz und in Japan. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts kommen Tragschrauber wieder vermehrt zum Einsatz, als Ultraleichtflugzeug beispielsweise.

Juan de la Cierva kam im Alter von 41 Jahren beim Absturz einer Propeller-Linienmaschine der KLM kurz nach dem Start in vom Croydon Airport ums Leben.

 

 

 

Inge Müller

* 13.3.1925 als Ingeborg Meyer in Berlin, † 1.6.1966 ebd., deutscher Schriftstellerin

 

Der Herbst färbt die toten Blätter

Und legt den Finger auf den Mund –

Stirbt es sich leichter bunt?

Im Fluß die Fische werden fetter

Der Winter kommt, die Zeit ist wund.

 

Richard Pietraß schrieb im Nachwort zu der von ihm herausgegebenen Sammlung von Gedichten Inge Müllers „Wenn ich schon sterben muß“: „Wer wissen möchte, was Inge Müller ertrug, dem wird wie bei Paul Celan oder dem ihr wahlverwandten Wladimir Majakowski eine bündige, weitere Fragen abschneidende Antwort nicht zu geben sein. Unlebbare Liebe, verlorene Illusionen, die schweren Schatten des Krieges. […] Vertane Chancen, zerspellte Gefühle, bröckelnd Ideale. Das gepeinigte Gemüt ersehnte Ruhe. Befreiung aus dem auch im engeren Kreis aufschießenden Dickicht von Ellenbogen, denen sich die Karriereunwillige nicht gewachsen fühlte.“

 

Wenn ihr Hunde quälen wollt

Nichts andres; ohne mich.

Die Welt ist groß und früchterlich

Was wir schon wissen: billig

Wer ist willig

Ihr habt mich überrollt.

Ich liebe Helden nicht

Das weiß ich.

Viel zuviel hab ich gesehn.

Ohne Boden kann ich nicht stehn.

Nur singen.

Ober irgendwo ganz unten.

 

Zum Geleit sagte ihr dritter Ehemann Heiner Müller: „Ich habe die Gedichte, die in diesem Band abgedruckt sind, mehr als einmal gelesen; manche waren mir fremd, einige ärgerlich, verstanden habe ich viele erst nach dem freiwilligen Tod der Frau, die sie geschrieben hat in dreizehn Jahren neben mir. Brecht erzählt von dem nicht zu vergessenden Blick eines Arbeiters, veranlaßt durch seinen, Brechts, Einwand gegen einen Änderungsvorschlag: das würde die Form sprengen. Mit solchem Blick auf die Ästhetik sind die Gedichte von Inge Müller geschrieben. Literatur, wenn sie gezählt werden will, muß diesen Blick aushalten […]. Die Texte von Inge Müller, Dokumente eines tapferen Lebens, gegen das ihr Tod nichts beweist, haben diese Qualität.“

 

Ich weigere mich Masken zu tragen

Mich suche ich

Ich will nicht daß ihr mich nachäfft

Ich suche unser Gesicht

Nackt und veränderlich.

Nicht Tränen nicht alle Wetter

Waschen die Larven und ab

Kein Feuer kein Gott wir selber

Legen uns ins Grab.

 

Die Autorin Rosemarie Heise hielt Inge Müller für einen der Menschen, „die sich gleichsam immer im Gegenwind bewegen, wohin sie sich auch wenden.“

Inge Müller nahm sich im Alter von 41 Jahren das Leben:

 

Vielleicht werde ich plötzlich

     Verschwinden

Weil die Luft nicht mehr reicht

Und nicht aufzufinden

Ist die Leich.

 

 

 

Rahsaan Roland Kirk

* 7.8.1936 als Ronald T. Kirk in Columbus, Ohio, † 5.12.1977 in Bloomington, Indiana, amerikanischer Saxophonist

 

Das Musik-Magazin „Rolling Stone“ wählte Rahsaan Roland Kirks Album „Blacknuss“ 2013 in seiner Liste der „100 besten Jazz-Alben“ auf Platz 49.

Im Alter von zwei Jahren erblindet, gilt Rahsaan Roland Kirks Saxophontechnik als spektakulär: er hatte seine Zirkularatmung so vervollkommnet, dass er minutenlang Dauertöne hervorzubringen vermochte. Des Öfteren spielte er auf zwei Saxophonen gleichzeitig, manchmal sogar auf drei. Unglaublich beispielsweise sein intensives Solo bei Pam Saywers „Take me girl, I’m ready“ auf „Blacknuss“. Wow!

Er veröffentlichte mehr als 30 eigene Alben, spielte auch mit Gil Evans, Roy Haynes, Quincy Jones oder Charlie Mingus, ging sogar noch auf Tournee, nachdem er 1975 einen Schlaganfall erlitt und halbseitig gelähmt war.

Auf der Fahrt zum Flughafen von Indianapolis starb er jedoch im Alter von 41 Jahren an einem Herzinfarkt.

 

 

 

Hans Beimler

* 2.7.1895 als Johannes Baptist Beimler in München, † 1.12.1936 vor Madrid, deutscher Politiker

 

Philipp K. Dick lässt in seiner „Valis Trilogie“ den Protagonisten, der in einer Zeit, in der sich die Kommunistische Partei gemeinsam mit der Christlich-Islamischen Kirche die Macht teilt, memorieren, was ähnlich einst Ernst Busch sang:

Vor Madrid im Schützengraben,

In der Stunde der Gefahr,

Mit den eisernen Brigaden,

Sein Herz voll Hass geladen.

     Stand Hans, der Kommissar.

     Stand Hans, der Kommissar.

 

Seine Heimat musst er lassen,

Weil er Freiheitskämpfer war.

Auf Spaniens blut’gen Strassen,

Für das Recht der armen Klassen

     Starb Hand, der Kommissar.

     Starb Hans, der Kommissar.

Ogan

 

Eine Kugel kam geflogen

Aus der ‚Heimat“ für ihn her.

Der Schuss war gut erwogen,

Der Lauf war gut gezogen

     Ein deutsches Schießgewehr.

     Ein deutsches Schießgewehr.

 

Kann dir die Hand drauf geben,

Derweil ich eben lad’

Du bleibst in unserm Leben,

Dem Feind wird nichts vergeben,

     Hans Beimler, Kamerad

     Hans Beimler, Kamerad.

 

 

 

Kobe Bean Bryant

* 23.8.1978 in Philadelphia, Pennsylvania, † 26.1.2020 in Calabacas, Kalifornien, amerikanischer Basketballspieler

 

Kobe Bryant gilt als einer der besten Basketballspieler aller Zeiten, und er ist der erste Mensch, der eine Olympiamedaille und einen Oscar gewann.

Olympiasieger wurde er zweimal: 2008 in Peking, 2012 in London. Den Oskar erhielt er für sein Drehbuch zum Kurzfilm „Dear Basketball“ in der Kategorie „Bester Animationsfilm“. Zudem durfte er sich als erster Sportler  mit seinen Hand- und Fußabdrücken am Hollywood Boulevard verewigen. Sein Privatvermögen wurde auf gut 350 Millionen Dollar geschätzt.

Im Alter von 41 Jahren kam Kobe Bryant bei einem Hubschrauberabsturz zusammen mit seiner zweitältesten Tochter, sechs weiteren Insassen und dem Piloten ums Leben.

 

 

 

Jakob Michael Reinhold Lenz

* 23.1.1751 in Seßwegen, Livland, † 4.6.1792 in Moskau, deutscher Schriftsteller

 

Büchners Lenz-Novelle hatte die Anfänge meines Schreibens durchaus beeinflusst, die Art wie er erzählte, jedoch auch das Mitgefühl für das tragische Schicksal des großen Sturm-und-Drang-Dichters Lenz, von dem ich, Büchner lesend, wohl erstmals erfuhr:

„Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirge. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein. Grüne Flächen, Felsen und Tannen.

Es war naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht – und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so eisig, so plump.

Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf -, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehen konnte…“

Sigrid Damm sagte: „Elend und Verwüstung seines Heimatlandes, die erschreckenden Bilder seiner Kindheit, brechen aus dem Vierzehnjährigen heraus. Da schreibt er seine ersten Verse. Mit vierundzwanzig Jahren verstummt Jakob Michael Reinhold Lenz. Er, der wusste, wovon er wegwollte, und ahnte, wohin er wollte, beschrieb in ironisch-grotesken Versen die Enge und Muffigkeit seiner bürgerlichen Welt; verwandelte die Not seines gepeinigten Körpers, die Einsamkeit seiner Seele in kleine lyrische Gebilde von sehnsüchtiger Zartheit. Was uns nach zweihundert Jahren als Dichtung berührt, blieb für ihn schmerzlich erfülltes Leben.“

 

Ich beklage mich,

Brachtest du gleich mich ins Gedränge,

Über meines Schicksals Strenge,

Schöner Feind, nicht über dich,

Alle Schmerzen, die ich leide,

Sind nicht wert der Augenweide,

Atemlos vor dir zu stehn.

Will mein Stolz sich drüber kränken,

Gleich geb ich ihm zu bedenken:

Kann man Engel ohne Schmerzen sehn?

 

Christoph Martin Wieland urteilte: „So eine seltsame Komposition von Genie und Kindheit! So ein zartes Maulwurfsgefühl und so ein neblicher Blick! Und der ganze Mensch so harmlos, so unbefangen, so liebevoll.“

Gut bekannt war Lenz auch mit Herder, Lavater, Salzmann und Charlotte von Stein. Nach dem Bruch mit Goethe wurde er jedoch aus Sachsen-Weimar verwiesen, unvergesslich seine Zeilen im Gedicht „Abschied von Kochberg“: Ich aber werde dunkel sein /

Und gehe meinen Weg allein.

Nachdem Jakob Michael Reinhold Lenz immer deutlicher an einer katatonen Schizophrenie litt, lebte er letztlich, mittlerweile in Moskau, nur noch durch die Unterstützung russischer Gönner und wurde eines Morgens einundvierzigjährig in einer Moskauer Straße leblos aufgefunden.

 

 

 

Eggert Ólafsson

* 1.12.1726 auf Snæfelssnes, † 30.5.1768 im Breiðafjörður, isländischer Naturforscher

 

Zwischen 1752 und 1757 reiste Eggert Ólafsson mit seinem Freund Bjarni Pálsson durch Island, erforschte Land und Leute und schrieb darüber das Buch „Reise durch Island“. Er verfasste zudem das Poem „Zyklus vom Landleben“. Im Alter von 41 Jahren ertrank er bei einem Bootsunglück,

Jeanny und ich erkundeten Island im Jahr 2009: Landung in Keflavik gegen Mitternacht. 5° C (25 weniger als daheeme). Übernahme des Mietwagens, knapp 50 Kilometer über gut ausgebaute Straßen ins Zentrum der isländischen Hauptstadt. Und schließlich finden wir sogar unser Hotel. Halb drei. Koffer fallen lassen. Schlafen.

Frühstück (recht ordentlich, im Gegensatz zur nächtlichen Null-Diät bei der offenbar krisengebeutelten Icelandair, nicht mal ein Wasser gab’s kostenfrei!), und auf zur „Heiligen Stätte“ des Landes, dem Thingvellir. Hinter Mosfellsbaer kurzer Zwischenstopp an Laxness’ Haus. Referenz! Foto vor seinem alten Wagen (muss sein, als Vehikel zwischen unseren Orten, den Zeiten viel mehr…). Und dann also der grandiose Ort des isländischen Althings an der Mündung des Flüsschens Oxará in den See Thingvallavatn, wo die amerikanische und die europäische Erdplatte schaurig-schön aufeinander treffen. Ragnarök lässt grüßen. Thingvellir: Ende des 9. Jahrhunderts begann die Besiedlung der bis dahin so gut wie unbewohnten Insel vor allem durch Norweger, die Landnahme, die mit der ersten Einberufung des Althings nach Thingvellir im Jahre 930 als abgeschlossen gilt. Hier wurden Gesetze diskutiert und beschlossen und es wurde Recht gesprochen. Die 36 (später 39) weltlichen und geistlichen Amtmänner des Landes, die Goden, und deren Gefolgsleute nahmen jährlich, Ende Juni, Anfang Juli, am Althing teil. Auch wenn der isländische Freistaat später über Jahrhunderte unter Fremdherrschaft geriet, blieb das Althing als Gesetzt gebende Versammlung doch bestehen, wurde nur im 19. Jahrhundert nach Reykjavik verlegt und modernisiert. Somit ist das Althing das älteste ununterbrochen agierende Parlament der Erde!

Weiter mit Natur pur, will sagen: wie aus der Schöpfungsgeschichte (welcher auch immer). Zuerst der Geysir, der allen anderen heißen Springquellen der Welt den Namen gab, dann der wahrhaft wunderbare Kaskadenwasserfall Gulfoss, später ein weiterer Wasserfall, der Skógarfoss, mit Regenbogen und Goldschimmer, so dass die Legende, hier sei ein Schatz versteckt, ziemlich glaubhaft erscheint. Zu guter Letzt Kap Dyhorlaey, Lavafels-Formation, Meer umgischtet, und eigentlich sollte es hier von isländischen „Nationalvögeln“, von Papageientauchern, nur so wimmeln. Leider lässt sich nicht einer blicken, dennoch ist’s auch hier urwüchsig schön. Dazu wunderbares Wetter, Sonnenschein, auf Island für Ende August ungewöhnliche 19° C…

Und zwischen all der Natur auch reichlich Kultur: Der alte isländische Bischofssitz Skalholt, errichtet 1056, vom 11. bis zum 18. Jahrhundert Zentrum der isländischen Geisteskultur, nunmehr noch eine neue, einsame Kirche vor säuberlich frei gelegten alten Fundamenten. Gut, dass in meiner Vaterstadt Merseburg, die vor 1000 Jahren in Deutschland eine vergleichbare Bedeutung hatte, wenigstens noch ein bisschen mehr zu sehen ist aus jener Zeit, neuerdings sogar wieder die altehrwürdigen Zaubersprüche gebührend zu bewundern sind. Und erstaunliche Übereinstimmungen zwischen Edda- und Zauberspruchzeilen sind zu entdecken! So heißt’s in Odins Runenlied:

… wenn der Feind mir schlägt

In Bande die Bogen der Glieder,

So bald ich es singe   so bin ich ledig,

Von den Füßen fällt mir die Fessel,

Der Haft von den Händen.

 

Und im Grôgaldr:

… so Fesseln sich dir

Um die Gelenke legen,

Lösende Glut gießt dir   mein Lied um die Glieder,

Der Haft springt von der Hand,

Von den Füßen die Fessel.

 

Und im ersten Merseburger Zauberspruch:

Einst setzten sich Idisen,   setzten sich hier her.

Manche hefteten Haft,   manche hemmten das Heer,

einige klaubten   an den Kniefesseln:

Entspringe den Haftbanden,   entfliehe den Feinden!

 

Mit Hlidaraendi erreichen wir einen Ort, der in der wohl bekanntesten Saga, der Saga vom weisen Njal, immer wieder eine Rolle spielt. In Hlidaraendi hatte Gunnar, der beste Freund Njals, sein Gehöft, hier kam Gunnar schließlich um, da ihm seine Frau, die ihm eine Kränkung nie verziehen hatte, im entscheidenden Moment nicht half. Auch Njal wurde am Ende in seinem, unweit von hier gelegenem Hof, in Bergthórsvol, umgebracht, Mordbrand. Grausam mahnende Stories aus den Zeiten des Übergangs vom Heiden- zum Christentum. (Fußnote: Das Althing kannte anfangs die Todesstrafe nicht, sprach härtestenfalls mehrjährige Verbannungen aus, womöglich um Blutrache-Kreisläufe zu brechen…) Weltliteratur aus dem Mittelalter, einzigartig und mir sehr modern vorkommend. Lange Zeit glaubten die Isländer, dass die Sagas Chroniken seien, alles so geschehen war, wie es die Skalden, die Saga-Dichter, schrieben. Sie verwendeten jedoch eine hochinteressante (und mir sehr nahe stehende) Methode: nahmen reale Orte und Ereignisse, zogen gezielt Edda-Geschehen ein und ordneten alles geschickt, so, dass Sinn übermittelt werden konnte. Genialer Kunstgriff! Am Abend sitzen wir nach Lachsgenüssen im Hot Tub unseres heutigen Hotels: angenehm entspannendes, schweflig riechendes, warmes Untergrundwasser (fast wie im Geysir…).

Geradenwegs durch schier unendliche Lava-Felder, hier wird urgewaltige Zerstörungskraft deutlich, ja, überdeutlich – da hie und da Schilder in den heutigen Mondlandschaften längst verwüstete und eigentlich nicht mehr aufzufindende Stätten der Siedlungsgeschichte markieren: ein altes Benediktinerkloster – nur noch Parkplatz mit Erklärungstafel inmitten schwarzer Sandereinöde, eines der ersten nach der Landnahme aufgebauten Gehöfte – nur noch kleine, von Vorbeikommenden zum Glücksbringen errichtete Steinpyramiden… und den längst aufgelassenen Friedhof einer alten Siedlung betritt man durch den noch einsam stehenden Türpfosten der zugehörigen Kirche. Ein Rabe krächzt dabei über uns – würde mich nicht wundern, wenn’s Hugin oder Munin wäre, einer von Odins Raben. Wie klein (in mehrfacher Hinsicht) kommt man sich hier inmitten dieser weiten, lebensfeindlichen Einöden vor, im Hintergrund stets die drohenden Vulkane, dann die Gletscher…

Halt am größten Europas, dem Vatnajökull, wohl so groß wie Korsika, unglaublich. Von der Küste aus sind natürlich nur die bis in die Sanderebenen herunter reichenden Gletscherzungen zu erkennen, doch schon die erzeugen Ehrfurcht, erzeugen Demut. Allein dieser Eishauch bei strahlendem Sonnenschein, wenn man sich im Skaftafell-Nationalpark per pedes einer dieser Gletscherzungen nähert… Und dann erst die Gletscherlagune Jökulsárlon: hier kalben sogar Eisberge, ziehen gemächlich gen Meer. Wir nutzen das Angebot, mit einem Amphibienfahrzeug diesen Eisbergsee zu befahren, bestaunen die bizarren Formationen in Weiß, Blau, Schwarz, ja, manche Eisberge sind deutlich von Lava-Aschen gezeichnet. Und schließlich angelt die Bootsführerin sogar einen glasklaren Klumpen aus dem Wasser, zerteilt ihn und lässt uns kosten – etwa 1.500 Jahre altes Eis zerschmilzt in meinem Mund! Köstlich ist für diese Empfindung nicht das richtige Wort. Am nächsten käme wohl eine Umschreibung (selbst auf die Gefahr hin, blasphemisch zu sein) mit der Hostienaufnahme während der Kommunion…

Am späten Nachmittag erreichen wir Höfn, verschlafenes Nest mit malerischem Hafen. Unser Hotel steht weit außerhalb, inmitten von Feuchtwiesen, leider kein Hot Tub, und hat außer zwei Betten auch sonst nichts zu bieten, nun gut, immerhin die. Spürbare Naturgewalt macht genügsam, nein, gefügig, will sagen: Ich kippe zwei, drei Brandivin (Islands Nationalschnaps), bei Laxness immer mal wieder als „Schwarzer Tod“ vorkommend. Wohlsein!

Am nächsten Tag geruhsam entlang der Buchten und Fjorde der Ostküste. Die Ringstraße, vergleichbar einer um die Insel führenden (schmalen) Autobahn wird hier zuweilen zur Schotterpiste. Doch das Wetter scheint uns hold zu bleiben. Odin sei Dank!

Über eine Küstengebirgskette dann hinüber zum Lagarflót, lang gestreckter See in dem die Schwester Nessies leben soll, der Lagarflót-Wurm. Doch so sehr wir uns anstrengen… Dafür sehen wir hier so viele Bäume, wie noch nie auf Island. Das, was es an kärglichem Baumbestand vor der Landnahme gab, wurde rasch verbraucht, verbrannt oder für Häuser und Boote verbaut. Spätestens da war es dann auch vorbei mit der Wikinger-Herrlichkeit… Doch der Wald hier, der Hallormsstadarskógur, gilt als der älteste und größte Wald der Insel, wird nun in jedem Reiseführer als unbedingt sehenswert gepriesen. Nun gut, daheeme wär’s was völlig Normales und keiner Empfehlung wert.

Weiter nach Egilsstadir, Kaffeetrinken, und über einen weiteren Pass hinüber nach Seydisfjödur, wo die Fähren nach Dänemark und Norwegen anlegen (nach etwa 2 Tagen auf See – erstaunlich, die Wikinger sollen mit ihren schnellen Booten dafür auch nur gut 3 Tage gebraucht haben!) und wo wir heute übernachten.

Malerischer Hafen am Ende eines tief eingeschnittenen Fjords, blaue Holzkirche, pittoreskes Hotel, Zimmer mit Hafenblick. Und sogar Abendbrot gibt’s hier. Herz, was willst Du mehr.

Am nächsten Morgen Fahrt über karge Hochebenen, durch Wolken zuweilen, Flusstäler passierend, flankiert von Wasserfällen, lausige Kälte (2 – 5° C), Regen. So unwirtlich diese Gegend, dass selbst die sonst überall auf der Insel in Zweier-, Dreier-, Vierergruppen sommers freilaufende Schafe nicht mehr zu entdecken sind.

Im Myvatn-Gebiet kommen wir Urgewalten verdammt nahe. Oberhalb eines hochmodernen Geothermal-Kraftwerks erreichen wir die Krafla-Spalte, wo erst vor etwas 30 Jahren der Fels aufbrach und sich gewaltige Lavaströme ergossen. Überall qualmt’s giftig, riechts wie in Teufels Küche, Schlammtöpfe blubbern… Schwer zu entscheiden, ob das hier für den Ragnarök, für den Weltuntergang steht, oder als Hoddminirs Holz, wo laut Edda ja neues Leben beginnt, zu sehen ist. Wenige Kilometer weiter, im Solfatarenfeld Námaskard, dampft’s, zischt’s, brodelt’s, kocht’s noch imposanter aus der Erde. Unterweltfarben. Und die Gerüche versetzen mich schnurstracks ins alte Leuna-Werk unter all diese einst ewig leckenden Rohrbrücken…

Und in dieser Gegend um den größten See der Insel gibt’s noch reichlich Wundersames mehr: Lava-Labyrinthe, echte und Pseudo-Vulkane. Der immer heftiger und durch schneidenden Wind kälter werdende Regen ermuntert aber nicht gerade zu Spaziergängen (wie geplant). So flüchten wir ins wunderbar warme, weiche, lichtblaue Wasser eines neuen, großen Freiluft-Thermalbades. Vorteile des arktischen Wetters: das Bad wirkt nachgerade exotisch und wir sehen nicht eine Mücke - dabei sollen diese Insekten seit jeher die Sommerplage dieses Gebietes sein, soll Myvatn nicht von ungefähr Mückensee heißen…

Unser heutiges Hotel ist mal wieder Janz weit draußen, so entschließen wir uns vorm Abendessen noch einen Abstecher nach Húsavik zu machen. Eigentlich hatten wir das erst morgen früh vor, wollten zum Whale Watching (Erfolg in Húsavik garantiert – laut Werbeprospekten), doch bei diesem Sauwetter, dass sich bis morgen kaum ändern dürfte, wird’s natürlich nichts mit dem Wale Beobachten, 3 Stunden im offenen Boot…

Húsavik als nördlichster Punkt dieser Reise, nur etwa 30 Kilometer unterhalb des Polarkreises, muss aber sein. Und immerhin entdecken wir ein Wal-Museum. Und das erweist sich durchaus als sehenswert.

Dann Godafoss, hufeisenförmiger Wasserfall, ähnlich den Horseshoe-Fällen bei Niagara, allerdings nur 10–12 m hoch (bzw. tief…). Bedeutsamer jedoch: Im Jahre 1000, nach dem Übertritt zum Christentum durch Althing-Beschluss, stürzte der Gode dieses Gebietes seine germanischen Götterfiguren den Wasserfall hinunter. Und zum Staunen des Volkes – und siehe da – nichts geschah… Vielleicht sollten die Isländer heute mal ihre Bänker hier baden gehen lassen!

Schließlich heute Akureyri, größte Stadt des Nordens, etwa 15.000 Einwohner. Da mich interessiert, wie in Deutschland die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ausgegangen sind, halte ich Ausschau nach einer heimischen Zeitung. Die aktuellste, die ich entdecken kann, ist jedoch vom 20. Mai 2009, eine „Zeit“ (sic!). So weit „draußen“ sind wir also…

Weiter nach Örlygsstadir, das Feld, wo im August 1238 die größte Schlacht Islands stattfand. Die 39 Godentümer waren im Laufe der Jahrhunderte seit der Landnahme von drei Großfamilien vereinnahmt worden. Und selbstredend wollte nun möglichst einer der Clans die Gesamtherrschaft über die Insel. Etwa 1600 Krieger standen sich gegenüber, etwa 50 fielen, darunter die Anführer der Sturlungen, des Clans, der jener Zeit den Namen gab und zu dem auch Snorri Sturluson, der Edda-Skalde, gehörte. Nach dieser Schlacht waren die isländischen Verhältnisse derart zerrüttet, alle Clans so sehr geschwächt, dass es nach langem vergeblichem Bemühen dem norwegischen Königshaus nunmehr gelang, Island unter seine Kontrolle zu bringen. Und nachdem durch Erbfolge im 14. Jahrhundert Norwegen an Dänemark fiel, setzte eine endlos lange Unterdrückung und Verarmung der Isländer ein. Erst im 19. Jahrhundert gab es erste Wiederbelebungsversuche des isländischen Nationalbewusstseins und Freiheitswillens, durch einen Autor vor allem (sic!), durch Jón Sigurdsson. 1919 wurde Island Staat in Personalunion mit Dänemark und 1944 (unter Nutzung der Schwächung Dänemarks durch die deutsche Besatzung) endlich wieder unabhängig.

Dann Glaubaer, liebevoll restaurierter Hof mit Grassodenhäusern, die bis ins 19. Jahrhundert hinein typisch im ländlichen Island waren. Wenn einem das Holz ausgeht, wird man halt erfinderisch, schichtet Wände kunstvoll mit säuberlich ausgestochenen Grassoden auf, hüllt dann ebenso die Dächer. In diesen muffig, warmen Häuschen fühle ich mich in die Buden versetzt, die wir uns als Kinder bauten, im Garten, im Wald.

Und Bjarg: Von hier stammte der starke Grettir, Held einer der bekanntesten Sagas. Seltsamerweise weist jedoch kein Schild den Weg (überhaupt ist es schwer auf Island Orte zu finden, nirgendwo Vorwegweiser, urplötzlich taucht an einer Abzweigung ein klitzekleiner, selbst bei der isländischen Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h kaum zu entziffernder Wegweiser auf, rumms, schon bist du mal wieder vorbei…). Bjarg also. Gut, dass ich mich daheim anhand der Sagas genau orientiert, zu identifizierende Saga-Orte in meiner Karte markiert hatte! Auf Gut-Glück fahren wir eine Schotterpiste entlang bis auf einer Felsformation deutlich so etwas wie ein Denkmal auftaucht. Und kaum halte ich, stoppt schon ein Jeep neben mir. „Hae!“ Der Fahrer nickt mir zu, hilfswillig offenkundig. Und als ich erkläre, dass ich hier sei, da ich die Grettir-Saga sehr schätze, wird er sehr freundlich. Er sei heute der Bauer auf Bjarg, sei hier ebenso geboren wie vor mehr als 1000 Jahren Grettir, sei mit diesem jedoch nicht verwandt. Und er zeigt mir hinter seinem Haus den tonnenschweren Stein, den Grettir der Saga nach angehoben haben soll, was ihm niemand nachzumachen vermochte, weswegen es im Isländischen das geflügelte Wort „Grettirs Hub“ gibt, vergleichbar einer Sisyphus-Arbeit. Und ich entdecke inmitten seiner Hauswiese auch den Stein, unter dem Grettirs Kopf begraben sein soll… Übernachtung einmal mehr in einem völlig abgelegenen Gehöft mit Hotelbetrieb. Immerhin Grillbüffet, Lamm in allen Variationen.

Am nächsten Morgen passieren wir Bifröst (in der Edda die Himmelsbrücke) und besteigen einen Ringvulkan, Grábrok, einigermaßen beruhigend, dass der letztmals vor 3000 Jahren Feuer spie. Schließlich erreichen wir Reykholt, wo Snorri Sturluson, der große Dichter, lebte und 1241 von Schergen des norwegischen Königs, da er in politische Ränkespiele geraten war (s. Schlacht bei Örlygsstadir), ermordet wurde.

Reykholt erweist sich als das völlige Gegenteil von Bjarg. Modernes Museum (leider und trotz der Literaturspezifik viel zu textlastig), moderner Museumsshop, in dem seltsamerweise aber vor allem Schickimicki-Schmuck feilgeboten wird), moderne Kirche, modernes Hotel… Bis auf Snorris altes Freiluft-Badebecken, die Snorralaug, in dem er mit Getreuen gesessen haben soll (es gibt sogar eine zeitgenössische Zeichnung davon) - nichts mehr aus den „alten Tagen“. Alles wie geleckt. Keine Chance sich emotional zu nähern.

Zurück zur Natur: beeindruckend die beiden, ganz anders strukturiert als alle bisher gesehenen Wasserfälle: Hraunfossar und Barnafoss. In Borganes besuchen wir dann aber doch noch eine Ausstellung, das Reiseführer empfohlene Landnahmemuseum. Und diese Präsentation kann sich wirklich sehen lassen, ist geschickt und interessant audio-visuell aufbereitet. Borganes gilt auch als Saga-Ort: auf dem Hof Borg war der Held Egil zu Hause, im Städtchen findet man allenthalben gut beschilderte historische Handlungsplätze der Egil-Saga.

Und zu guter Letzt wieder Reykjavik (wo im Großraum der Hauptstadt etwa 2/3 der rund 300.000 Isländer leben!), unser Kreis schließt sich – Island, einmal ringsum – rund 2000 Kilometer sind wir gefahren. Mieses Wetter. Und Reykjavik zählt gewiss nicht zu den Städten dieser Welt, die bei Regen gewinnen. Dennoch: Laufen bis die Füße nass sind: Hallgrimskirkja mit Denkmal für Leif Eriksson, den wahren Entdecker Amerikas, zum Stadtsee Tjörnin mit Rathaus, das Parlamentsgebäude, vor dem am Jahresbeginn aufgebrachte Isländer, Frauen vor allem, auf Kochtöpfe schlugen (was hier wohl einer Revolution gleich kam), demonstrierten bis die Regierung stürzte, die die Wirtschaftkrise mit verschuldet hatte.

In der Nacht im Hotel habe ich allerdings nicht den Eindruck, als ob’s hier kriselt. Scharen von Jugendlichen entsteigen lautstark protzigen Autos und torkeln wie Lemminge durch den Eingang einer im Nachbarhaus befindlichen Diskothek. An der Hotelrezeption wusste man offenbar schon, warum man uns beim Einchecken mit einem Schulterzucken und einem mitleidigem Lächeln neben dem Zimmerschlüssel auch Ohrenstöpsel ausgehändigt hatte…

Doch so kann man solch eine Entdeckungsfahrt nicht beenden, nein, so nicht. Am Morgen regnet es nicht mehr, also schlendern wir hinunter zur Bucht, zur Rauchbucht (so heißt Reykjavik übersetzt). Ein letztes Foto: Das silbrige Denkmal eines Wikinger-Schiffes am schwarzen Lavastrand. Ja, so lässt sich’s mit gutem Gefühl nach Keflavik, zum Flughafen fahren - zumal der nach Leif Eriksson benannt ist.

 

 

 

Robert Uhrig

* 8.3.1903 in Leipzig, † 21.8.1944 in Brandenburg-Görden, deutscher Widerstandskämpfer

 

Nach der Matergreifung der Nazis gründetet der Werkzeugmacher Robert Uhrig, geanntn Robby, in den Berliner Osram-Werken eine illegale Betriebszelle, wurde 1934 zum ersten Mal von der Gestapo verhaftet und verbüßte eine zweijährige Haftstraße im Zuchthaus Luckau.

Ab 1938 baute er ein Netz verschiedener Widerstandsgruppen in Berlin auf, wurde 1942 erneut verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert. Zwei Jahre später verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode und Robert Uhrig wurde im Alter von 41 Jahren enthauptet.

 

 

 

 

 Clivia Vorrath

* 29.10.1947 als Clivia Hennig in Essen-Bredeny, † 1.4.1989 in Hamburg, deutsche Malerin

 

Clivia Vorrath studierte Kunsterziehung an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Seit ihrem 26. Lebensjahr engagierte sie sich für die Produzentengalerie Hamburg, stellte hier auch aus. Sie arbeitete als Kunsterzieherin am Gymnasium Hartzloh, erkrankte dann aber im Alter von 32 Jahren schwer und erlitt drei Jahre später einen Herzstillstand und fiel ins Koma. Sie starb im Alter von 41 Jahren in den Alsterdorfer Anstalten.

 

  

 

 

Jane Austen

* 16.12.1775 in Steventon, † 18.7.1817 in Winchester, britische Schriftstellerin

 

„Jane Austen […] begann schon ab dem Alter von zwölf Jahren romanhafte Geschichten und Erzählungen zu schreiben. […] Anders als Heranwachsende das normalerweise tun, schrieb sie in den folgenden Jahren nicht für sich, heimlich in ein Tagebuch, sondern fasste die Zweifel, Fragen, Unsicherheiten und Verwirrspiele der Liebe – all die chaotischen Geisteszustände der Pubertät – in ihre Bücher. Als sie Mitte Zwanzig wart, hatte sie ihr Werk fast abgeschlossen. Vieles ergänzte, überarbeitete und verfeinerte sie in späteren Jahren nur noch […], steht im Nachwort einer aktuellen Ausgabe ihres Romans „Persuasion – Überredung“ zu lesen: „Jane Austen war ein schreiberisches Naturtalent und lieferte nicht nur oberflächliche Liebensgeschichten. Ihre Stories haben eine tiefere Ebene. Unterhalb der Handlung, unterhalb der Liebesgeschichte, schwingen die kritischen Fragen einer jungen emanzipierten Frau an die Gesellschaft mit: Ist das alles richtig so? Muss mein Leben so eingerichtet sein? Leben wir nicht in furchtbaren Zwängen?“

Ihre Hauptwerke „Pride and Prejudice  - Stolz und Vorurteil“, „Mansfield Park“  und „Emma“ gehören zu den Klassikern der englischen Literatur.

Jane Austen starb im Alter von 41 Jahren an einer Nebenniereninsuffizienz.

Seit den 1990er Jahren erlebte die Popularität von Jane Austens Büchern erneut einen Höhepunkt, vor allem durch die in Großbritannien und weit darüber hinaus beliebten Fernsehadaptionen ihrer Romane sowie aufwändiger Kinoproduktionen. Und noch immer inspirieren ihre Texte Autoren zu Essays und neuen literarischen Werken, so Walter Scott, Rudyard Kipling, Virginia Woolf, Joan Aiken, P. D. James, Helen Fielding.

 

 

 

Camarón de la Isla

* 5.12.1950 als José Monje Cruz in San Fernando,, † 2.7.1992 in Badalona, spanischer Flamenco-Sänger

 

Den Künstlernamen Camarón (Sandgarnele) erhielt José Monje Cruz ob seiner schlanken Figur, der blonden Haare und hellen Haut von seinem Onkel. Und da er auf der Halbinsel „La Isla“ vor Cadiz geboren wurde, kam irgendwann da „de la Isla“ hinzu.

Eigentlich wollte der aus einer zehnköpfigen Gitano-Familie stammende Camarón Torero werden, entschied sich dann aber fürs Singen. Sein Vater war Schmied, sang aber auch gern Flamenco. Camarón erinnerte sich: „Wann immer Künstler in der Stadt waren, um in San Fernando aufzutreten, endete das Fest bei uns zu Hause. Die Schmiede wurde zum Treffpunkt und dort waren sie bis zum Morgengrauen beieinander. Ich hörte das alles und die Dinge blieben hängen.“

Als Elfjähriger gewann er den ersten Preis beim „Concurso Flamenco del Festival de Montilla“, ein Jahr später folgte ein Auftritt auf dem renommierten Frühlingsfest in Sevilla. Als Vierzehnjähriger tourte er mit dem „Ballet de Arte Español“, als Sechzehnjähriger erhielt er einen festen Vertrag mit dem „Torres Bermejas de la plaza del Callao“, einem bekannten Flamenco-Lokal Madrids. Seine ersten Studioaufnahmen machte er im Alter von 18 Jahren, und dann begegnete er dem Gitarristen Paco de Lucia und es entwickelte sich eine lebenslange Zusammenarbeit. Ihre erste gemeinsame Schallplatte erschien 1969. Acht weitere sollten folgen.

Als Neununddreißgjähriger spielte er mit dem Royal Philharmonic Orchestra „Soy gitano“ ein, das bis dato meistverkaufte Flamenco-Album. Im Alter von 41 Jahren starb der nikotin- und drogensüchtige Camarón jedoch an Lungenkrebs.

 

 

 

Richard Löwenherz

* 8.9.1157 in Oxford, † 6.4.1199 in Châlus, englischer König

 

Zehn Jahre lang war Richard Löwenherz König von England, hielt sich während dieser Zeit aber nur sechs Monate in England auf. Er nahm am Dritten Kreuzzug teil, wurde auf dem Rückweg vom österreichischen Herzog Leopold V. gefangen genommen, dessen Ehre er während des Kreuzzuges in Akkon beleidigt hatte, und Kaiser Heinrich VI. überliefert, der aus der Inhaftierung des englischen Königs politischen Nutzen ziehen wollte und ihn vor allem auf der Burg Trifels festsetzte. Frei kam Richard Löwenherz erst, nachdem ein immenses Lösegeld bezahlt war.

Beim Versuch, Gebiete, die der französische König während der Gefangenschaft Richards erobert hatte, zurückzugewinnen, erlitt er dann im Limousin bei der Belagerung der Burg Châlus-Chabrol eine tödliche Verletzung.

Sein Ruf als heldenhafter Ritter und tatkräftiger König wurde jedoch in Literatur, Musik und darstellender Kunst legendenhaft verklärt, nicht zuletzt, da man ab dem 16. Jahrhundert sein Leben mit dem Wirken Robin Hoods verwob. Sogar als „stupor mundi -Staunen der Welt“ wurde Richard Löwenherz bezeichnet

Seit dem 19. Jahrhundert wurden jedoch auch kritische Töne laut, William Stubbs, immerhin Bischof von Oxford, nannte Richard: „a bad son, a bad husband, a selfish ruler, and a vicious man - ein schlechter Sohn, ein schlechter Gatte, ein selbstsüchtiger Herrscher und ein lasterhafter Mann.“ Mein Gott.

 

 

 

Louis „David“ Riel

* 22.4.1844 in bei St. Bonifatius, Manitoba, † 16.11.1885 in Regina, kanadischer Politiker

 

Louis „David“ Riel gilt als eine der wichtigsten historischen Persönlichkeiten Kanadas, als „Vater Manitobas“.

Seine Großmutter mütterlicherseits war nachweislich die erste europäische Frau, die sich in Westkanada niedergelassen hatte, deine Großmutter väterlicherseits eine Métis.

Métis hieß eine Ethnie, die in der damaligen Red-River-Kolonie durch Vermischung von Frankokandiern, Engländern, und Schotten sowie indigenen Cree, Anishinabe und Saulteaux entstanden war.

Nachdem der kanadische Bundesstaat Riels Heimat, die Red-River-Kolonie von der Hudson’s-Bay-Company gekauft hatte, geriet dieses Gebiet zunehmend unter anglo-kanadischen Siedlungsdruck. Und um die Rechte wie die Kultur seines Volkes, der Métis, zu wahren, führte er zwei Aufstände gegen die Bundesregierung an, handelte dann den Manitoba Act aus, der zur Gründung der heutigen Provinz Manitoba führte.

Der Konflikt schwelte jedoch weiter und nach der Schlacht von Batoche wurde Louis „David“ Riel schließlich gefangengenommen, wegen Hochverrats angeklagt und hingerichtet. In frankophonen Regionen Kanadas sah man ihn als Volksheld, in englischsprachigen als Aufrührer.

118 Jahre nach seinem Tod sprachen sich nach einer inszenierten Darstellung seines Prozesses im kanadischen Fernsehen 87% der Zuschauer per Internetvotum für einen Freispruch Riels aus. 122 Jahre nach Riels Tod wurde in Manitoba ein neuer gesetzlicher Feiertag eingeführt: der Louis Riel Day.

 

 

 

Rudolf Agricola

* 17.2.1444 als Roelof Huysman in Baflo bei Groningen, † 27.10.1485 in Heidelberg, niederländischer Gelehrter

 

Rudolf Agricola hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Humanismus in Deutschland. Er wirkte vor allem in Heidelberg, lebte im Haus seines Gönners Bischof Johann XX. und genoss hohes Ansehen unter den Professoren und Studenten der Heidelberger Universität, „sein ganzes Auftreten und seine Art des Unterrichts wurden als neu und ungewöhnlich empfunden“, weiß Wikipedia, „Als einer der ersten Humanisten nördlich der Alpen verkörperte er das Ideal des Universalgelehrten mit umfassenden Interessen über die Literatur und Schriftkultur hinaus mit weitreichender Wirkung seiner Schriften viele Jahrzehnte über seinen Tod hinaus.“

Rudolf Agricola übersetzte aus dem Griechischen ins Lateinische, widmete sich der Musik, der Bildenden Kunst wie der Literatur. Erasmus von Rotterdam urteilte in einem Brief: „Rodolphus Agricola primus omnium aurulam quandam melioris litteraturae nobis invexit ex Italia -  Rudolphus Agricola, der erste, der uns bessere Literatur aus Italien nahebrachte.“ Und sein Biograf Johannes von Plieningen sagte: „An der Malerei fand er außerdem in erstaunlichem Maße Gefallen, und allein diese Tatsache ist schon genug Beweis, daß er ein Mensch von ganz vorzüglicher Begabung und Gedächtniskraft war.“ Sein Werk „De formando studio“ gilt als die erste pädagogische Abhandlung eines deutschen Humanisten überhaupt.

Und mit der Musik beschäftigte er sich nicht nur theoretisch, er spielte diverse Blas-, Streich- und Tasteninstrumente, vor allem die Orgel, und trat sogar als Sänger auf. Wahrlich, ein Universalbegabter!

 

 

 

Martin Opitz

* 23.12.1597 in Bunzlau, Schweidnitz-Jauer, 1628 nobilitiert zu Opitz von Boberfeld, † 20.8.1639 in Danzig, deutscher Dichter

 

Martin Opitz war der Begründer der Schlesischen Dichterschule. Als sein Hauptwerk gilt das „Buch von der Deutschen Poeterey“, in dem er Regeln für eine deutsche Dichtkunst begründet, die sich nicht an den überlieferten antiken Versmaßen ausrichten, sondern vielmehr eine eigene, der deutschen Sprache gemäße metrische Form finden solle:  

Nachmals ist auch ein jeder vers entweder ein jambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auf art der griechen und lateiner eine gewisse groesse der silben koennen in acht nemen; sondern das wir aus den accenten und dem thone erkennen / welche silbe hoch und welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Jambus ist dieser: 'Erhalt vns Herr bey deinem wort.' Der folgende ein Trocheus: 'Mitten wir im leben sind.' Dann in dem ersten verse die erste silbe niedrig / die andere hoch / die dritte niedrig / die vierte hoch / und so fortan / in dem anderen verse die erste silbe hoch / die andere niedrig / die dritte hoch / etc. außgesprochen werden. Wie wohl nun meines wissens noch niemand / ich auch vor der zeit selber nicht / dieses genawe in acht genommen / scheinet es doch so hoch von noethen zue sein / als hoch von noethen ist / das die Lateiner nach den quantitatibus oder groessen der sylben jhre verse richten vnd reguliren.

Kaiser Ferdinand II. krönte ihn eigenhändig zum „Poeta Laureatus“ und erhob ihn in den Adelsstand. Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen nahm ihn in die Fruchtbringende Gesellschaft, die älteste deutsche Sprachakademie, auf und verlieh ihm den Gesellschaftsnamen „der Gekrönte“, als Emblem wurde ihm ein Lorbeerbaum mit breiten Blättern (Laurus nobilis L.) zugedacht. Seine Anhänger nannten ihn „Vater und Wiederhersteller der Dichtkunst“.

Zu seinen Grundsätzen gehörte, daß die Poesie, indem sie ergötze, zugleich nützen und belehren müsse. Martin Opitz starb einundvierzigjährig an der Pest.

 

Deß schweren Krieges Last, den Teutschland jetzt empfindet,

Und daß Gott nicht umbsonst so hefftig angezündet

Den Eyffer seiner Macht, auch wo in solcher Pein

Trost herzuholen ist, sol mein Gedichte seyn.

Diß hab ich mir anjetzt zuschreiben vorgenommen:

Ich bitte, wollest mir geneigt zu Hülffe kommen,

Du höchster Trost der Welt, du Zuversicht in Noth,

Du Geist von Gott gesand, ja selber wahrer Gott.

Gib meiner Zungen doch mit deiner Glut zu brennen,

Regiere meine Faust, laß meine Jugend rennen

Durch diese wüste Bahn, durch dieses neue Feld,

Darauff noch keiner hat für mir den Fuß gestellt…

 

 

 

Karl Nathan Adolf Benedikt Friedlaender

* 18.7.1866 in Berlin, † 21.6.1908 ebd., deutscher Sexualwissenschaftler

 

Aus einer gut betuchten Familie stammend, unterstützte Benedict Friedlaender die anarchistische Zeitschrift „Kampf“ und zeichnete beträchtliche Fondsanteile an Magnus Hirschfelds Wissenschaftlich-humanitärem Komitee, das sich mühte, die Strafbarkeit von Homosexualität abzuschaffen und die Öffentlichkeit über das „Wesen der männlichen Liebe“ aufzuklären. Kurz vor seinem Tod spaltete er eine Gruppe von diesem Komitee ab, die sich später „Bund für männliche Kultur“ nennen sollte.

Mit seinem Bruder Immanuel, einem Vulkanologen, hatte er 1896 das Buch „Absolute oder relative Bewegung“ verfasst, das in der Vorgeschichte des sich aus der allgemeinen Relativitätstheorie ergebenden Lense-Thirring-Effekts, eine Rolle spielen sollte. Im Jahr 1904 kam dann aber Benedikt Friedlaenders aufsehenerregendes Buch „Die Renaissance des Eros Uranios. Die physiologische Freundschaft, ein normaler Grundtrieb des Menschen und eine Frage der männlichen Gesellungsfreiheit in naturwissenschaftlicher, naturrechtlicher, culturgeschichtlicher und sittenkritischer Beleuchtung“ heraus. Und im Jahr darauf folgte der „Entwurf zu einer reizphysiologischen Analyse der erotischen Anziehung unter Zugrundelegung vorwiegend homosexuellen Materials.“

Wenige Tage vor seinem 42. Geburtstag brachte sich Benedict Friedländer in einer Schöneberger Privatklinik selbst ums Leben. Die Grabrede hielt sein Freund Bruno Wille, der später Friedlaenders Witwe heiraten sollte.

Postum erschien der Band „Die Liebe Platons im Lichte der modernen Biologie. Gesammelte kleinere Schriften. Mit einer Vorrede und dem Bilde des Verfassers.“

 

 

 

Ilse Weber

* 11.1.1903 als Ilse Herlinger in Witkowitz, † 6.10.1944 im KZ Auschwitz-Birkenau, tschechische Autorin

 

Im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden mehr als eine Millionen Menschen von Nazis ermordet, unter ihnen zahllose Künstler, Intellektuelle, Autoren aus vielen Ländern Europas. Ilse Weber war eine von ihnen.

Zu ihrem Gedenken schrieb ich 2018 nach einer lange vorbereiteten Recherche-Reise diesen Text:

Hineinversetzen, wie es wirklich war damals – hier, dürfte Nachgeborenen unmöglich sein. Vielleicht kann man sich annähern, wenn man versuchen will, zu verstehen - Augenzeugenberichte, Archivmaterialien, Dokumentationen, Filme - nachdenken, nachfühlen… Annähern bestenfalls, ja, vielleicht.

So lange ich versuche die Welt zu erkunden, habe ich diese Reise stets gescheut, nicht aus Mangel an Empathie, an Respekt, nicht um verdrängen zu können, nein, im Gegenteil. So sehr ich manch andere Ziele ansteuerte, um vor Ort möglichst auf ein Ganzes zu kommen, mit allen Sinnen und mit Verstand, fürchtete ich, dass hier in mir nur im leisesten etwas Touristisches, etwas Voyeuristisches mitreisen würde. Nun aber wage ich es, die Zeiten sind danach.

Kazuo Ishiguro sagte in seiner Nobelpreisrede: „Im Oktober 1999 lud mich der Schriftsteller Christoph Heubner im Namen des Internationalen Auschwitz-Komitees zu einem mehrtägigen Besuch des ehemaligen KZ ein. (…) Ich hatte das Gefühl, dass ich, zumindest geografisch, dem Kern der dunklen Kraft nahegekommen war, in deren Schatten meine Generation aufgewachsen war. In Birkenau stand ich an einem nassen Nachmittag vor den Ruinen der Gaskammern – seltsam vernachlässigt und dem Verfall preisgegeben: mehr oder minder in dem Zustand, in dem die Deutschen sie nach der Sprengung und ihrer Flucht vor der Roten Armee zurückgelassen hatten. Ich sah feuchte, zerbrochene Steinplatten, die dem rauen polnischen Klima ausgesetzt sind und Jahr für Jahr mehr zerfallen. Meine Gastgeber schilderten mir ihr Dilemma: Sollten die Überreste geschützt werden? Soll man Plexiglaskuppeln darüber errichten, um sie für die nachfolgenden Generationen zu erhalten? Oder soll man sie dem natürlichen Verfall überlassen, bis nichts mehr übrig ist? Das scheint mir eine bezeichnende Metapher für ein größeres Dilemma: Wie soll man überhaupt mit solchen Erinnerungen umgehen? Machen Glaskuppeln aus Zeugen des Bösen und des Leidens zahme Ausstellungsstücke? Welche Erinnerungen sollen wir wach halten? Wann ist es besser, zu vergessen und weiterzuleben?“

Vor Monaten hatte ich Georg Stefan Troller bei einer Preisverleihung kennengelernt und hatte diesen Mann, der dem Tausendjährigen Reich mit Not entkommen war, sagen hören: es riecht hier wieder verdächtig wie damals…

Und angesichts jüngster (mitteldeutscher) Mob-Szenen, angewidert von Politikerreden, zog ich mir Victor Klemperers „LTI“ aus dem Buchregal und las, was er 1946 (!) schrieb: „Zur umfassenden Bezeichnung der notwendigsten Gegenwartsaufgabe hat man eine analog gebildete Wortform allgemein eingeführt: am Nazismus ist Deutschland fast zugrunde gegangen; das Bemühen, es von dieser tödlichen Krankheit zu heilen, nennt sich heute Entnazifizierung. Ich wünsche nicht und glaube auch nicht, daß das scheußliche Wort ein dauerndes Leben behält; es wird versinken und nur noch ein geschichtliches Dasein führen, sobald seine Gegenwartspflicht erfüllt ist.“

In was für einer Gegenwart sind wir nun, gut 70 Jahre danach, bloß gelandet…?

Ankunft nach gut sechsstündiger, problemloser Autofahrt (fast durchgängig Autobahn). Drei-Sterne-Hotel (solider Neubau, großes, helles Zimmer, freundliches Personal) gleich neben dem Auschwitz-Museum, dem einstigen Lager I, dem Stammlager also.

Kleiner Abendspaziergang. Merkwürdig zersiedelter Ort. Zum Abendessen Piroggen, dann Zubrowka.

Anita Lasker-Wallfisch, die „Cellistin von Auschwitz“ schreibt: „Wenn ich mich zu erinnern versuche, was meine ersten Eindrücke von Auschwitz waren, denke ich an die schwarzen Gestalten in Umhängen, bellende Hunde, an unaufhörliches Geschrei und Gestank. (…) Beim ersten Tageslicht wurden wir in einen anderen Block gebracht. Dort sollte die „Willkommens-Zeremonie“ stattfinden. Ich mußte mich ausziehen, mein Kopf wurde rasiert und die Nummer 69 388 wurde auf meinen linken Arm tätowiert. (…) Ich war wie gelähmt vor Angst und Vorahnungen. (…) In kürzester Zeit fand man sich jeder Faser menschlicher Würde beraubt. Wir waren plötzlich kaum noch voneinander zu unterscheiden.“

Irgendwie schäme ich zu sagen, dass ich gut geschlafen habe hier, sehr gut. Zum Frühstück: Eier, gebratene Krakauer, Schafskäse, Apfelplinsen.

Tickets gibt es nach Vorlage des Ausweises, säuberlich wird dein Name in einer Liste registriert. „Prosze!“- „Dziekuje!“ Strikte Einlasskontrolle, wir müssen uns zweimal in einer der langen Schlangen anstellen, da Jeannys Tasche um einige Zentimeter zu groß ist (Maximum 20 x 30!), wir die also erst in der Gepäckaufbewahrung abgeben müssen (four zloty, please). Dann der weltberüchtigte Lagereingang „Arbeit macht frei“.

Primo Levi erinnert sich in „Das Periodische System“: „Wir waren nicht normal, denn wir litten Hunger, Unser Hunger hatte nichts gemein mit dem wohlbekannten (und durchaus nicht unangenehmen Gefühl, das man hat, wenn man eine Mahlzeit überspringt und sich der nächsten sicher ist; es war ein Bedürfnis, ein Mangel, ein „yearning“, das uns (…) begleitete und tiefe, dauerhafte Wurzeln in uns geschlagen hatte, in allen unseren Zellen wohnte und unser Verhalten bestimmte. Essen, Essen beschaffen – das war der Antrieb Nummer eins, mit großem Abstand folgten ihm alle anderen Probleme des Überlebens, und mit noch größerem Abstand die Erinnerung an zu Hause und selbst die Angst vor dem Tode.“

In den einzelnen Ziegelhäusern des Lagers (das ursprünglich eine Kaserne war) recht unterschiedliche, doch stets eindrucksvoll gestaltete Ausstellungen – jeweils für die Häftlinge einer Nation, die deportierten, gequälten, ermordeten Juden vor allem und in Regie der jeweiligen Länder offenbar. Unmöglich, alle Ausstellungen zu betrachten, das alles zu verkraften. Wir verweilen im ungarischen, slowakischen, französischen, belgischen Haus, sehen die Ausstellung zum Völkermord an den Sinti und Roma und die für die ums Leben gebrachten sowjetischen Kriegsgefangenen.

Fania Fénelon berichtet in „Das Mädchenorchester in Auschwitz“: „Die Latrinenbaracke – wer ist bloß auf diese Idee gekommen? Ein gewaltiges Loch, einfach die Erde ausgehoben, ich schätze so zehn Meter tief (…) Diese riesige, trichterförmige Kloake ist mit Holzstangen umgeben. Bevor die Tür ganz offen ist, brechen die Mädchen schon aus dem Glied und drängen hinein. (…) Ich schaue und schaue, ich darf doch nichts vergessen von dieser stinkenden Scheußlichkeit: zu ungefähr fünfzig, eng nebeneinander an dieses Gestänge geklammert, gleichen sie alten, kranken, mageren, zitternden Hennen auf ihren mistigen Hühnerleitern. Diejenigen, die lange Beine haben, erreichen mit den Fußspitzen gerade noch den Boden, aber die anderen, die Kleinen, die mit baumelnden Beinen, zu denen ich gehöre, müssen sich mit beiden Händen an diesen runden, rutschigen Stangen festklammern. In diese Grube fallen bedeutet einen abscheulichen Tod.“

Schwer, in den einzelnen Häusern, die Fülle, all die Wucht der Ausstellungstücke aufzunehmen, zu begreifen. Es sind die Einzelschicksale, die nachvollziehen lassen, die tief berühren, so die Fotos eine bildhübschen ungarischen Jüdin, auf der einen Seite mit Mann und Tochter in einem Budapester Bad, auf der anderen nach ihrer Befreiung – ja, sie hatte diese Hölle überlebt – als völlig ausgemergelte Frau, nur noch Haut und Knochen, als „Muselmanin“.

Dann die Schwarze Wand, wo erschossen wurde, hinterm Stacheldraht die Höß’sche Villa, dann das Krematorium I, wo erstmals Zyklon B eingesetzt wurde, die Gaskammer, die Verbrennungsöfen, der Schlot…

Wieslaw Kielar schreibt in „Anus Mundi“: „…heute habe ich zum erstenmal in meinem Leben das Sterben gesehen. Ich habe mir niemals vorgestellt, daß man so lange sterben kann. Vielleicht war aber der Jude äußerst hart. Obwohl er nicht so aussah, jenes alte, abgemagerte und kurzsichtige Männlein. Er lag, gestützt an die Wand des Blocks, in der Hitze der Junisonne. Die Haut seines nackten Schädels war an einigen Stellen geplatzt. Ganze Schwaden von Fliegen klebten an dem mit Sand vermischten Blut. Tief eingefallene Augen in violett-schwarzen Rändern wurden von den schweren Lidern zugedeckt. Manchmal hob er sie, es war aber anscheinend eine viel zu große Anstrengung, weil er sie sofort erneut niederschlug. Schwarze, geplatzte Lippen, vor Durst versengt, bewegten sich krampfartig. „Wasser, Wasser“ röchelte er. Die Kapos umstellten ihn in einem engen Kreis. Als sie fortgingen, gab der alte Jude kein Lebenszeichen mehr von sich.“

Zum Lager II, nach Birkenau: Hinter einer Eisenbahnbrücke das Ortseingangsschild: Brzezinka. Danach gabelt sich die Straße, rechts geht’s zum Delikass-Zentrum, nach links gibt’s kein Hinweisschild, da jedoch etliche Reisebusse in diese Richtung fahren, laufen wir hinterdrein. Nach etwa 500 Metern ein Tafeln und Schild: „Judenrampe“ – hier kamen die Transporte an, bevor die Bahngeleise bis ins Lagergelände verlegt waren. Dann am Busparkplatz ein neues, modernes Funktionsgebäude, Book-Store, Bistro, Souvenirs. Am Wegesrand pflügt ein Bauer sein Feld. Dann unverkennbar das Eingangsgebäude, das Torhaus. Die Beklemmung wächst. Jeanny sagt, dass das Gras hier anders als nach dem endlosen Sommer daheim noch grün ist. Ich sage, ja, und die Bäume haben noch ihre Blätter…

Kielar berichtet auch: „Große Transporte ungarischer Juden waren angekommen. So viele wie jetzt hatte es noch nie gegeben. Ein Zug nach dem anderen fuhr auf die Rampe. Aus den Waggons stürzten Massen von Menschen heraus, Männer, Frauen, Greise, Jugendliche und Kinder. Sie brachten alles mit, was sie besaßen. Riesige Stöße von Hab und Gut wurden aus den Wagen geladen und zu großen Haufen geschichtet. (…) Hier, wo die Selektion stattfand, hing das Leben lediglich von einem Wink der Hand eines SS-Offiziers ab, der nach links oder rechts zeigte. Nur eine verschwindende Minderheit kam ins Lager, hauptsächlich junge Frauen und junge, gesund aussehende Männer. Der Rest ging in zwei Strömen mit seinem Handgepäck entweder die Rampe entlang in Richtung der im Wäldchen versteckten Krematorien II und III oder sie füllten die Zentralstraße, auf der sie das Männerlager und das Zigeunerlager umgingen und zum Wald mit den zwei weiteren Krematorien IV und V gelangten. Dort war das Ende der Wanderung. (…)

Das Lager atmete auf, weil die mit den Transporten beschäftigten betrunkenen SS-Männer nicht viel Interesse für die im Lager Lebenden zeigten. Sie suchten nach Gold und stopften sich damit die Taschen. Sie sicherten ihre Zukunft. Die Arbeiter und Häftlinge von „Kanada“ taten das gleiche. Sie brauchten diese Schmuckstücke, um sich das Leben im Lager zu erleichtern. Die Angehörigen des Sonderkommandos siebten auf Befehl der SS sogar die Asche der Verbrannten und suchten darin nach den nicht geschmolzenen Brillanten. Das aus den Zähnen gezogene Gold wurde zu Barren geschmolzen und in das Innere des Reichs geschickt, um die Kasse des im Zerfallen begriffenen Staates zu füllen. Die Reste wurden in die Felder und Teiche gestreut. Nur das menschliche Fett wurde vergeudet. In Auschwitz machte man keine Seife.“

Und dann das Lager selbst – unfassbar allein diese schiere Größe! Es gab Planungen, hier bis zu 200.000 Menschen unterzubringen – die Planer sprachen von 200.000 Einheiten… - die meisten der Baracken sind in den Nachkriegszeiten verschwunden, deren gemauerte Kamine aber kakeln noch wie Baumleichen bis zum Lagerhorizont. Stacheldraht allenthalben, die Wachtürme, dann die Lagerrampe, der Ort der Massenselektionen, links zur Arbeit, rechts ins Gas, dann die Todesbaracke, die Mengele-Baracke (aus der Ferne), und schließlich die Krematorien II und III – gesprengt ebenso wie die einst am anderen Lagerende stehenden Krematorien IV und V, Trümmner, Ruinen.

Robert Merle lässt in seinem Roman „Der Tod ist mein Beruf“ (u.a. basierend auf Dokumenten der Nürnberger Prozesse) den Auschwitz Kommandanten sich erinnern: „Der ekelerregende Geruch (…) verbreitete sich sogleich über das ganze Lager, und ich bemerkte, daß er sogar wahrnehmbar war, wenn der Wind von Westen wehte. Kam der Wind von Osten, verbreitete er sich noch weiter, bis zum Ort Auschwitz und darüber hinaus bis Bobitz. Ich ließ das Gerücht verbreiten, in unserm Bezirk wäre eine Gerberei  errichtet worden, und von ihr kämen diese Ausdünstungen her. Aber ich brauchte mich keiner Täuschung über die Wirksamkeit dieser Legende hinzugeben. Der Geruch in Verwesung übergehender Häute hatte wirklich nichts gemein mit dem Gestank brenzligen Fettes, verbrannten Fleisches und versengter Haare, der aus den Gräben aufstieg. Ich dachte mit Besorgnis daran, daß es noch schlimmer sein würde, wenn die Hochöfen meiner vier riesigen Krematorien alle vierundzwanzig Stunden lang ihren pestilenzialischen Qualm über die Gegend ausspeien würden.“

Mit dem Auto nach Auschwitz-Monowitz, dem einstigen Lager III. Das ist (bis auf eine Baracke) verschwunden.

In „Ist das ein Mensch?“ schreibt Primo Levi: „Der Karbidturm,

der sich in der Mitte von Buna erhebt und dessen Spitze im Neben kaum sichtbar ist, wurde von uns gebaut. Seine Backsteine heißen Ziegel, Briques, Tegula, Cegli, Kamenny, Mattoni, Téglak, und sie wurden mit Haß gemauert; mit Haß und Zwietracht, wie der Turm zu Babel, und so nannten wir ihn: Babeltum, Bobelturm; und in ihm hassen wir den wahnsinnigen Traum unserer Herren von Größe, ihre Verachtung für Gott und die Menschen (…). Die Buna-Fabrik, mit der sich die Deutschen vier Jahre lang beschäftigten und für die Unzählige von uns litten und starben, erzeugte niemals ein Pfund synthetischen Kautschuks.“

Das zugehörige Buna-Werk jedoch qualmt noch leise vor sich hin. Direktor dieses Werkes war Dr. Heinrich Bütefisch, der war zuvor auch Direktor in Leuna (und wohnte in der Villa Ufergasse 7). Das geht nahe.

Imre Kertész sagt in „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“: „Sie war an einer Krankheit gestorben, die sie aus Auschwitz mitgebracht hatte, durch die sie mal aufschwoll, mal abmagerte, mal an Koliken litt und Ausschläge bekam, die Wissenschaft war ihrer Krankheit gegenüber im Grunde machtlos, wie die Wissenschaft auch der auslösenden Ursache dieser Krankheit, Auschwitz gegenüber, machtlos ist: die Krankheit der Mutter meiner Frau nämlich war eigentlich Auschwitz, und von Auschwitz wird man nicht geheilt, von der Krankheit Auschwitz wird niemals jemand genesen.“

Positiv überrascht bin ich von der Menge der Besucher, junge Menschen zudem zumeist, oft in Gruppen und aus aller Herren Länder offensichtlich. Führungen in allen denkbaren Sprachen offenbar. Auschwitz ist mit knapp einer Million Besucher jährlich zu einem Ort des Massentourismus geworden, keine Frage. Möge es nützen, möge es zum Nachdenken bringen.

Dogan Akhanli schreibt in „Verhaftung in Granada“: „Und zur Jahrtausendwende besuchte ich schließlich den Ort, der, so empfand ich es, nicht zu dieser Welt gehören sollte: Auschwitz. … der einzige Weg, die Existenz von Auschwitz zu ertragen und sich zur Wehr zu setzen, besteht darin, trotz Auschwitz Gedichte zu schreiben.“

Alexander Kluge und Heiner Müller diskutierten am 2.7.1990 im „Garather Gespräch“:

Müller Das Problem unserer Zivilisation ist, eine Alternative zu Auschwitz zu entwickeln, und es gibt keine. Es gibt kein ‚Argument’ gegen Auschwitz. Also wenn du mal Auschwitz nimmst als die Metapher – ja, Metapher ist ein sehr barbarisches Wort -, aber als die Realität der Selektion. Und Selektion ist global das Prinzip der Politik. Es gibt keine Alternative zu Auschwitz. Man kann das nur variieren, mildern, differenzieren, was immer.

Kluge Man kann sich vornehmen, daß es niemals wieder geschehen werde. Es wird auf diese Weise genau an der unbeabsichtigten Stelle geschehen. Liegt da bei dir jetzt die Betonung? Wenn du den Begriff der Machbarkeit herausstellst, der ja der Gentechnologie, der Tschernobyl zugrunde liegt der der Apartheidpolitik in Südafrika zugrunde liegt, in den verborgenen Strömungen, die noch irgendetwas erfinden werden… meinst du dann der Schoß ist fruchtbar noch?

Müller     Ich meine einfach, daß alles, was denkbar ist, auch machbar ist. Und alles, was machbar ist, wird gemacht. Auf irgendeine Weise, irgendwann, von irgendwem.“

Mehr als eine Millionen Menschen sind in Auschwitz ermordet worden. R.I.P.

 

 

 

Božena Němcová

* 4.2.1820 in Wien, † 21.1.1862 in Prag, tschechische Schriftstellerin

 

Als eines der wichtigsten Werke der tschechischen Nationalliteratur gilt Božena Němcovás „Babicka“, mittlerweile mehr als 350 Mal aufgelegt und mehrfach übersetzt.

Und Kultstatus sogar erlangte ihr Märchen „Aschenbrödel“, 130 später verfilmt als „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, ohne dem kein deutsches Fernseh-Weihnachtsprogramm mehr vorstellbar scheint.

Božena Němcovás starb nach schwerer Krankheit im Alter von 41 Jahren, verarmt und vereinsamt.

 

 

 

Cesare Pavese

* 9.9.1908 in Santo Stefano Belbo, † 27.8.1950 in Turin, italienischer Schriftsteller

 

„Im Schaffen besonders des reifen Pavese bestimmt der Gegensatz zwischen Land und Stadt, zwischen Kindheit und Reifezeit, zwischen dem Einssein des Kindes mit der Natur und der Einsamkeit des Erwachsenen, zwischen staunender Inbesitznahmen der Umwelt und schmerzhafter Erkenntnis ihrer Widersprüchlichkeit, die poetische Aussage“, urteilte der Romanist Klaus Bochmann: „[…] Paveses Selbstmord muß schließlich als ein letzter Ausdruck seiner Kompromisslosigkeit gegenüber der spätbürgerlichen Gesellschaft angesehen werden, in der auch nach der Beseitigung des Faschismus die Voraussetzungen für gegenseitiges Verständnis und Harmonie nicht gegeben waren.“

Obwohl Cesare Pavese 1950 für seinen zehn Jahre zuvor geschriebenen Roman „La bella estate - Der schöne Sommer“  mit den Literaturpreis Premio Strega für geehrt wurde, nahm er sich alsbald darauf in einem Turiner Hotelzimmer mit Barbituraten das Leben.

In „Poesia e libertà“ hatte Cesare Pavese ein Jahr vor seinem Freitod geschrieben: „Ehe wir Dichter sind, sind wir Menschen, das heißt vernunftbegabte Wesen, die die Pflicht haben, sich in der Schule des gesellschaftlichen Erfahrung die höchstmögliche Bewußtheit anzueignen.“

Befördert durch eine unglückliche Liebe, sah er zuletzt offenbar keinen anderen Ausweg mehr, der Widersprüchlichkeit und der schmerzhaften Einsamkeit seiner Existenz zu entkommen.

 

 

 

Bernardo Sassetti

* 24.6.1970 als Bernardo de Costa Sassetti Pais in Lissabon, † 10.5.2012 in Cascais, portugiesischer Pianist und Komponist

 

Im Alter von neun Jahren begann Bernardo Sassetti eine Ausbildung als klassischer Pianist, wechselte mit Siebzehn aber zum Jazz. Er spielte mit Al Grey, Frank Lacy, Andy Sheppard und anderen Jazz-Größen. Im Alter von 24 Jahren veröffentlichte er sein erstes Album „Sassetti“, fast zwanzig Alben in wechselnder Besetzung folgten, davon 3 postum. Zudem komponierte er für den Film, wirkte beispielsweise am Soundtrack für „Der talentierte Mr. Ripley“ mit.

Im Alter von 41 Jahren kam Bernardo Sassetti bei einem Sturz von einer Felsklippe nah der Praia do Guincho ums Leben.

 

 

 

 

Paul Robert Schneider

* 29.8.1897 in Pferdsfeld, † 18.7.1939 im KZ Buchenwald, deutscher Pfarrer

 

Paul Schneider wird der „Prediger von Buchenwald“ genannt.

Am Tag als der Reichstag nach der Machtergreifung der Nazis erstmals zusammenkam, sollten in ganz Deutschland die Kirchenglocken läuten, so auch im hessischen Hochelheim, wo Paul Schneider Pfarrer war. Während einer Sitzung des Gemeindekirchenrates sagte er jedoch: „Nicht nur um des Übergriffs der NSDAP und der kommunalen Behörden in die Rechte der Kirche willen, sondern auch um der politischen Zurückhaltung willen seitens der Kirche und um deutlich zu machen, daß wir nicht Staatskirche sind, bittet der Vorsitzende, den Antrag abzulehnen, ohne damit dem nationalen Tag irgendwie zu nahe zu treten.“ Die Glocken läuteten an diesem Tag dann dennoch in Hochelheim.

Wikipedia weiß weiter: „Da bereits im Laufe des Jahres 1933 den Kirchen erste Einschränkungen auferlegt wurden – unter anderem sollten die Pfarrer dafür sorgen, dass keine „Nichtarier“ an den Gottesdiensten teilnahmen –, gründete sich im September 1933 der Pfarrernotbund, der auf der Barmer Bekenntnissynode im Mai 1934 zur Bekennenden Kirche wurde. Gemeinsam wollte man den Einfluss, den die Nationalsozialisten auf die Kirche ausübten, zurückdrängen. Paul Schneider fand sofort seinen Platz in dieser Bewegung. Dabei ist von Anfang an klar gewesen, dass bei ihm auch die Maßstäbe des politischen Handelns ausschließlich vom Evangelium her gesetzt waren. Da er wegen seines „schriftgemäßen Verstandes der Abendmahlsfeier und der ernst zu nehmenden Beichtfrage“ im Konflikt mit seinem Presbyterium stand und zudem wegen freimütiger Äußerungen über ihm anstößig erscheinende Zeitungsartikel von Joseph Goebbels und Ernst Röhm auch dem Druck staatlicher Stellen ausgesetzt war, konnte er schließlich nach Ansicht der Kirchenleitung nicht länger in Hochelheim bleiben.“

Paul Schneider, mittlerweile Mitglied der Bekennenden Kirche, wurde Pfarrer im Hunsrück, geriet hier mehrmals mit Nazis aneinander und wurde mehrfach kurzzeitig „in Schutzhaft genommen“. 1936, bei der nächsten Reichstagswahl gab Paul Schneider seinen Stimmzettel nicht ab. Daraufhin wurde das Pfarrhaus beschmiert: „Er hat nicht gewählt! Vaterland? Volk, was sagst du?!“ - im Frühjahr darauf nach weiteren Anfeindungen erneut inhaftiert, kurz freigelassen und dann im November 1937 in das erst Monate zuvor errichtete Konzentrationslager Buchenwald gebracht.

Hier weigerte er sich am 20. April 1938, an „Führers Geburtstag“ beim Fahnenappell die Mütze abzusetzen und sagte:  „Dieses Verbrechersymbol grüße ich nicht!“. Er wurde sofort mit Stockschlägen bestraft und dann in eine Einzelzelle des Arrestgebäudes gesperrt, er wurde immer wieder gefoltert und schließlich am 18. Juli 1939 vom Lagerarzt durch eine starke Überdosis des Herzmedikaments Strophnatin ermordet.

Zu seinen Peinigern soll Paul Schneider gesagt haben: „So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!‘

Neun Tage nach seiner Ermordung erschien ein Artikel in der britischen „Times“, in dem der anglikanische Bischof von Chichester, ein Mitglied der ökumenischen Bewegung, den „Prediger von Buchenwald“ einen „deutschen Märtyrer“ nennt.

 

 

 

Dorothea Tieck

* März 1799 in Berlin, † 21.2.1841 in Dresden, deutsche Übersetzerin

 

Ich glaube, das Übersetzen ist eigentlich mehr ein Geschäft für Frauen als für Männer, gerade weil es uns nicht gestattet ist, etwas eigenes hervorzubringen, meinte Dorothea Tieck 1831 in einem Brief.

Tatsächlich hinterließ die älteste Tochter Ludwig Tiecks ein beeindruckendes Übersetzungswerk. Von 1820 bis 1839 übertrug sie ins Deutsche: „Die wunderbare Sage von Pater Baco“ von Robert Greene, „Leben und Begebenheiten des Escudero Marcos Obrégon“ von Vicente Espinel, „Leiden des Persiles und der Sigismunda“ von Cervantes, „Leben und Briefe George Washingtons“ von Jared Sparks sowie „Sonette“,Viel Lärm um Nichts“,Der Widerspenstigen Zähmung“, „Coriolan“Die beiden Veroneser“, „Timon von Athen“, „Ein Wintermärchen““ Cymbeline“ und „Macbeth“ von William Shakespeare.

Nicht wenige dieser Übersetzungen wurden ihrem Vater zugeschrieben, der durch zahlreiche Krankheiten und gesellschaftliche Verpflichtungen am Ende nicht mehr in der Lage war, eingegangene Verpflichtungen einzuhalten. Wolf Heinrich Graf von Baudissin erinnerte sich: „Da faßten Tiecks älteste Tochter Dorothea und ich uns ein Herz und taten ihm den Vorschlag, viribus unitis die Arbeit zu übernehmen; […] Das Unternehmen hatte raschen Fortgang: im Verlauf von drittehalb Jahren wurden von meiner Mitarbeiterin Macbeth, Cymbeline, die Veroneser, Coriolanus, Timon von Athen und das Wintermärchen, von mir die noch übrigen dreizehn Stücke übersetzt. Tag für Tag von halb zwölf bis ein Uhr fanden wir uns in Tiecks Bibliothekszimmer ein: wer ein Stück fertig hatte, las es vor, die zwei andern Mitglieder unseres Collegiums verglichen den Vortrag mit dem Original, und approbierten, schlugen Änderungen vor, oder verwarfen.“ Dorotheas Name wurde in den gedruckten Büchern jedoch nie genannt.

Dorothea Tieck starb im Alter von 41 Jahren infolge einer Masernerkrankung.

 

 

 

Karl Blechen

* 29.7.1798 in Cottbus, † 23.7.1840 in Berlin, deutscher Maler

 

„Eine fesselnde, wenn auch beunruhigende Erscheinung ist der früh verstorbene Landschafter Karl Blechen. Er malt einen Blick auf Hausgärten und Dächer wie Menzel, doch vor ihm, eine Fabrik mit rauchendem Schlot, wie sie damals noch niemand malte, badende Nymphen und lungernde Faune mit Böcklinscher Poesie, er seiht in den kieferumstandenen Ufern der Havelseen die große Form, er findet Farben von ungewöhnlicher Stärke für die versengte italienische Sommerlandschaft und wagt im Palmenbaum auf der Pfaueninsel die feinsten Abstufungen von Grün und zarte blaue Schatten“, urteilte der Schweizer Kunsthistoriker Hugo von Tschudi.

Und Bettina von Arnim schrieb in einem Brief über Karl Blechen: „Wenn ich Ihnen den Namen Blechen nenne, so werden Sie sein Verdienst zu schätzen wissen… Die Bilder, die er in seiner letzten Zeit gemalt,… waren mit so gewaltiger Phantasie, die, im Zügel gehalten und der Natur treu sich anschmiegend, das Unmögliche auf die Leinwand zauberte. In jedem kleinen Gegenstand spiegelt sich die Aufregung des Gemüts, in dem die Natur wühlt, um ihm begreiflich zu werden… Noch erhitzt von den Steigerungen seines Innern bei so kühnen Visionen, prallte er von allen Seiten an das mauerfeste Gefängnis der Philisterwelt, die ihn umgab. Kaltes Missverstehen, blödsinniges Urteil, neidisches Verzerren seiner gigantischen Versuche machten ihn rasend… Entzweiung mit sich selber, Verwirrung seines Instinktes war die Folge! War es optischer Betrug, daß er die Welt so schaute, war er’s allein, dem die kühnen Massen, die er auf die Berge und Felsen pflanzte, so edel und groß erschienen? Und das Licht, das aus seinem Pinsel strömte, sollte das bloß Fiktion sein und keine Wahrheit?“

Karl Blechen, der zuweilen „märkischer Ossian“ genannt wurde, setzte sich als Maler immer wieder über ästhetische Tabus und Barrieren hinweg.

„Es ist gar nicht verwunderlich, daß seine Kühnheiten ihm vom zeitgenössischen Berliner Publikum übelgenommen wurde“, sagte der Kurator Hans Joachim Neidhardt, „Eine verständnislose Kritik verstieg sich bis zu der Behauptung, daß in seinen Bildern die Natur ‚auf den Kopf gestellt’ werde: ‚Das ist kein seelenvolles Antlitz der Natur…, seine Züge verhalten sich zu diesem wie die eines Hirnverbrannten zum gesunden Menschengesicht.’ Solche bornierten und kränkenden Anwürfe haben den sensiblen Künstler, der immer danach strebte, ‚eine möglichst allgemeine Zufriedenheit und Anerkennung zu erlangen’, tief verletzt. Obwohl äußere Ehrungen nicht ausblieben, wurde er mehr und mehr von selbstquälerischen Zweifeln am Wert seiner Bilder und der Richtigkeit seines Weges geplagt. Seit 1836 mehrten sich die Anzeichen geistiger Umnachtung… Hilfsaktionen konnten den rasch fortschreitenden Verfall nicht mehr aufhalten. Am 23. Juli 1840… starb Karl Blechen in Berlin.“

 

 

 

Nicolas Born

* 31.12.1937 als Klaus Jürgen Born in Duisburg, † 7.12.1979 in Breese in der Marsch, deutscher Schriftsteller

 

„Die Welt war leer, Farben und Formen waren nur noch Reflexe der Bibliotheken und Museen. Von denen und in denen lebten wir, ein Film- oder Konservenleben. So verschwand auch das Soziale und machte der Lehre vom Sozialen Platz; so peinigten uns nicht Krankheiten mehr, aber die Medizin, und so verloren wir schließlich unsere Körper an die Physiologie und die Psychiatrie; schließlich war Gott untergegangen, die Theologie auferstanden. Filmleben, das sich auch schon in verfilmbare Wirklichkeit verwandelte. Hohler kommen wir uns entgegen und kommen uns immer hohler noch entgegen, wenn wir nur noch Erinnerungen sind. Und das Gras wird verschwunden sein, wegerklärt mit den Wurzeln. Und es wird immer schwieriger, neue Täuschungen zu erfinden, an denen eine Wirklichkeit Halt finden kann“, lässt Nicolas seinen Ich-Erzähler in „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“ denken.

Bekannt geworden war Nicolas Born durch seine Lyrik, Texten wie „Selbstbildnis“

 

Oft für kompakt gehalten

für eine runde Sache

die geläufig zu leben versteht –

doch einsam frühstücke ich

nach Träumen

in denen nichts geschieht.

Ich mein Ärgernis

mit Haarausfall und wunden Füßen

einssechsundachtzig und Beamtensohn

bin mir unabkömmlich

unveräußerlich kenne ich

meinen Wert eine Spur zu genau

und mach Liebe wie Gedichte nebenbei.

Mein Gesicht verkommen

vorteilhaft im Schummerlicht

und bei ernsten Gesprächen.

Ich Zigarettenraucher halb schon Asche

Kaffeetrinker mit den älteren Damen

die mir halfen

wegen meiner sympathischen Fresse und

die Rücksichtslosigkeit mit der

ich höflich bin.

 

Der Ich-Erzähler in „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“ sagt: „Ich erinnere mich, daß mir ein Wirt einen ‚verhaltensgestörten’ Kanarienvogel gezeigt hat. Der Vogel saß im Käfig. Er hüpfte auf die Schaukel und stand darauf auf einem Bein, das andere angezogen wie ein Storch. Das ist ganz untypisch, hatte mir der Wirt erklärt, wollen Sie wissen, wie es passiert ist? Er hatte die Stimme des Kanarienvogels auf Band genommen und sie ihm vorgespielt. Da war der Vogel bis zum Kollaps durch das Zimmer geflogen und dabei immer wieder gegen Wände und Fenster geklatscht.“

Nicolas Born starb wenige Tage vor seinem 42. Geburtstag an Lungenkrebs.

Sein Gedicht „Lebensläufe“ endet mit:

 

Verwandeln wir uns langsam in ein Portemonnaie

    in einen Kosmos

   den wir selber erfunden haben?

Und haben wir uns genügend in Frage gestellt?

Werden wir eine weithin leuchtende Frage sein

   ein Ende?

Ist jeder eine Frage

   und ist jede Frage eine Frage nach Allem?

 

 

 

Jo Cox

* 22.6.1974 in Batley als Helen Joanne Leadbeater, † 16.6.2016 in Leeds, britische Politikerin

 

Jo Cox war die älteste Tochter von Gordon und Jean Leadbeater, ihr Vater arbeitete in einer Fabrik, die Haarspray und Zahnpasta produzierte, ihre Mutter als Schulsekretärin. Nach dem Schulabschluss studierte sie in Cambridge Soziologie und Politikwissenschaft. Über diese Zeit ihres Lebens sagte sie in einem Interview: „Ich bin wirklich nicht besonders politisiert oder Labour-nah aufgewachsen. Das kam erst in Cambridge, wo ich merkte, dass es von Bedeutung war, wo du geboren bist. Dass es von Bedeutung war, mit welchen Worten du dich ausdrücken konntest […] und welche Leute du kanntest. Ich konnte mich wirklich nicht gut ausdrücken, und ich kannte auch nicht die richtigen Leute. Ich verbrachte die Sommer damit, Zahnpasta abzupacken in einer Fabrik, in der mein Vater arbeitete, während alle anderen sich ein Gap Year nahmen! Um ehrlich zu sein, meine Erfahrung in Cambridge machte mich über fünf Jahre lang wirklich fertig.“

Nach ihrem Universitätsabschluss arbeite sie für zwei Labour-Abgeordnete, dann bei Oxfam, beim Freedom Fund of Slavery und der Bill & Melinda Gates Foundation. 2009 wurde sie vom Weltwirtschaftsforum als „Young Global Leader“ ausgezeichnet.

Jo Cox wurde Vorsitzendes des Frauennetzwerkes der Labour-Partei und Kandidatin für die Parlamentswahlen.

Im Vorfeld der Brexit-Abstimmung stach und schoss ein 52-jähriger Mann Jo Cox nach einer Bürgersprechstunde nieder. Zwei Tage nach ihrer Ermordung antwortete der Attentäter bei einer Anhörung im Westminster Magistrates’ Court auf die Frage nach seinem Namen „Mein Name ist Tod den Verrätern, Freiheit für Großbritannien“.

Zwei Jahre darauf wurde in Brüssel ein Platz Jo Cox zu Ehren benannt, der Place Jo Cox.

 

 

 

Ingo Flach

* 12.3.1966 in Jena, † 8.3.2008 in Berlin, deutscher Blues-Musiker

 

Ingo Flach lernte im Alter von 10 Jahren autodidaktisch Mundharmonika zu spielen. Nach einer Lehre als Uhrmacher, wurde er mit Achtzehn Berufsmusiker, spielte in Berlin bei der „Jonathan Blues Band“ und bei „Passat“. Seit den 1990er Jahren tourte er vor allem solistisch, so durch die USA, Frankreich und Russland, spielte sogar mit Louisiana Red oder den Yardbirds.

Ingo Flach veröffentlichte sechs Solo-Alben und starb wenige Tage vor seinem 42. Geburtstag infolge eines schweren Herzleidens.

 

 

 

 

 

Norman Jeffrey „Jeff“ Healey

* 25.3.1966 in Toronto, † 2.3.2008 ebd., kanadischer Gitarrist

 

Can you see the light?

Can you see the light of need shinin' in my eye?

 

Als Einjähriger erblindete Jeff Healey durch einen bösartigen Netzhauttumor. Als Dreijähriger bekam er seine erste Gitarre. Als Sechsjähriger trat er zum ersten Mal öffentlich auf: sitzend, die Gitarre flach auf den Oberschenkeln liegend als spiele er Zither oder Steel Guitar. Alsbald war er Mitglied verschiedener Bands und mit Alter von 14 Jahren hatte Jeff Healey eine eigene Radio-Show.

Als Neunzehnjähriger spielte er mit Albert Collins und Stevie Ray Vaughan, im Jahr darauf mit B. B. King, Robbie Robertson und Bob Dylan, und er gründete seine eigene Band, veröffentlichte fortan mehr als 20 erfolgreiche Blues-Alben

Zeit seines Lebens hatte Jeff Healey aber weiter an seiner Netzhauterkrankung gelitten und starb im Alter von 41 Jahren, nachdem der Tumor metastasiert hatte.

 

Can you see the light?

Can you see the light of need shinin' in my eye?

 

 

 

Shaftesbury

* 26.2.1671 als Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of Shaftesbury in London, † 15.2.1713 in Neapel, englischer Philosoph

 

Shaftesbury gilt als einer der bedeutendsten Wortführer der frühen Aufklärung. Sein Lehrer war John Locke. Seit seinem 24. Lebensjahr gehörte Shaftesbury dem englischen Unterhaus und ab dem 28. dem Oberhaus an. Im Alter von 40 Jahren veröffentlichte er sein Hauptwerk „Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times - Merkmale der Menschen, Sitten, Meinungen, Zeiten“, und schuf damit eine Gesamtdarstellung seines humanistischen Welt- und Menschenbildes. Freiheit, beispielsweise, hielt er für eine Voraussetzung zur Entstehung guter Kunst. Unfreiheit verhindere diese nicht nur, sondern befördere schlechte.

„Shaftesburys Lebensideal, sein optimistisches Menschenbild und sein Schönheitskult wurden in der Epoche der Aufklärung für eine breite Leserschaft wegweisend. Seine Ideen inspirierten zahlreiche Denker und Schriftsteller“, weiß Wikipedia. Oliver Goldsmith sagte, Shaftesbury habe in Großbritannien mehr Nachahmer als jeder andere Schriftsteller gefunden. Auch Alexander Pope schätzte ihn sehr.

Montesquieu nannte Shaftesbury als einen von vier überragenden Autoren der Weltliteratur und nutzte seine Ideen für seine „Lettres persanes“. Diderot meinte, Shaftesbury habe Werke voll erhabener Wahrheiten geschaffen, und sein Stil sei brillant. Voltaire würdigte ihn als kühnen Denker. In Deutschland, wo Shaftesburys Werk ebenso großen Anklang fand, waren es nicht zuletzt Leibniz, Gottsched, Gellert, Wieland, Herder und Moses Mendelssohn, die sich auf ihn bezogen.

Shaftesbury starb wenige Tage vor seinem 42. Geburtstag in Neapel, wo er sich Linderung seines langjährigen Lungeleidens erhofft hatte.

 

 

 

Alan Mathison Turing

* 23.6.1912 in London, † 7.6.1954 in Wilmslow, Cheshire, britischer Wissenschaftler

 

Im Alter von 23 Jahren bewies Alan Turing, dass eine abstrakt-formale Zeichenketten verarbeitende mathematische Maschine imstande ist, jedes vorstellbare mathematische Problem zu lösen, sofern dieses auch durch einen Algorithmus gelöst werden kann, und schuf damit einen großen Teil der Basis für die Informations- und Computertechnik mit. Nicht von ungefähr wurde diese Maschine dann Turing-Maschine genannt.

Während des Zweiten Weltkriegs war Turing einer der herausragenden Wissenschaftler bei den erfolgreichen Versuchen in Bletchley Park (B.P.), verschlüsselte deutsche Funksprüche zu entziffern. Er steuerte einige mathematische Modelle bei, um sowohl die Enigma (...)  als auch die Lorenz-Schlüsselmaschine zu brechen. Die Einblicke, die Turing bei der Kryptoanalyse der Fish-Verschlüsselungen gewann, halfen später bei der Entwicklung des ersten digitalen, programmierbaren elektronischen Röhrencomputers ENIAC“, weiß Wikipedia. „Ab 1948 lehrte Turing an der Universität Manchester und wurde im Jahr 1949 stellvertretender Direktor der Computerabteilung. Hier arbeitete er an der Software für einen der ersten echten Computer, den Manchester Mark I und gleichzeitig weiterhin verschiedenen theoretischen Arbeiten. In Computing machinery and intelligence (Mind, Oktober 1950) griff Turing die Problematik der künstlichen Intelligenz auf und schlug den Turing-Test als Kriterium vor, ob eine Maschine dem Menschen vergleichbar denkfähig ist. Da der Denkvorgang nicht formalisierbar ist, betrachtet der Test nur die Antworten einer Maschine im Dialog mit einem Menschen, d.h. das kommunikative Verhalten der Maschine. Wenn dieses von einem menschlichen Verhalten nicht unterscheidbar erscheint, soll von maschineller Intelligenz gesprochen werden. Er beeinflusste durch die Veröffentlichung die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz maßgeblich.“

Der große Denker Turing fiel jedoch üblem Zeitgeist zum Opfer. Ob seiner Homosexualität wurde er 1952 angezeigt und zur chemischen Kastration verurteilt. Infolge der Hormonbehandlung erkrankte Alan Turing an einer Depression und nahm sich zwei Jahre später, kurz vor seinem 42. Geburtstag, mit einem vergifteten Apfel das Leben.

Im Zuge Turings Rehabilitierung bekannte der britische Premierminister Gordon Brown 2009: „Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, dass ohne seinen herausragenden Beitrag die Geschichte des Zweiten Weltkriegs durchaus deutlich anders hätte verlaufen können. Er ist tatsächlich eine der wenigen hervorzuhebenden Personen, deren einzigartiger Beitrag half, den Kriegsverlauf zu wenden. Die tiefe Dankbarkeit, die wir ihm schulden, macht es daher umso grauenhafter, dass er derart inhuman behandelt wurde. Im Namen der britischen Regierung und all derer, die dank Alans Arbeiten in Freiheit leben, bin ich daher sehr stolz zu sagen: Es tut uns leid, Sie hatten so viel Besseres verdient.“

 

 

 

George Delmetia Beauchamp

* 18.3.1899 im Coleman County, Texas, † 30.3.1941 in Los Angeles, amerikanischer Erfinder

 

Meine erste Bassgitarre war eine „Musima“, Made in GDR. Mein Mundharmonika spielender Großvater hatte sie mir geschenkt, erstanden in Halle für 250 Ostmark wohl. Und als mir alsbald die Haare lang wuchsen und ich mit Bands zu touren begann, erwarb ich vom ersparten Honorar auf dem Schwarzmarkt eine „Hagström“, rot. Daraus wurde eine „Ibanez“, und zu guter Letzt erfüllte ich mir einen Traum, kaufte die Bassgitarre aller Bassgitarren: eine „Fender Precision“, klassisch Sunburst lackiert, blätterte dafür das Jahresgehalt eine Leuna-Pelzers hin, 4.800 Mark der DDR.

Irgendwann hatte ich dann jedoch die Tingelei satt, Disco-Musik grassierte. Ich begann zu schreiben und vom Verkauf meiner „Precision“ konnte ich mir immerhin ein erstes eigenes Auto zulegen, einen klapprigen „Moskwitsch“.

Wer weiß, ob ich ohne George Beauchamp jemals auf Bühnen gestanden hätte, George Beauchamp, der 1931 den ersten in Serie herstellbaren elektromagnetischen Tonabnehmer für Gitarren erfand, patentiert 1937, George Beauchamp, der nicht mehr hören konnte, zu welcher Musik-Revolution seine Erfindung führte, da er im Alter von 42 Jahren beim Hochseeangeln einen tödlichen Herzinfarkt erlitt.

Sollte ich irgendwann nochmals einen Chorus spielen, George Beauchamp, widme ich den dir.

 

 

 

Antoni Fiter i Rossell

* 1706 in Ordino, † 1748 in Barcelona, andorranischer Autor

 

Antoni Fiter i Rossell verfasste das Frühwerk der andorranischen Literatur „Manual Digest“, in dem er die Geschichte, die Sitten und Gebräuche seines kleinen Landes beschrieb.

Jeanny und ich kurvten im Mai 2010 durch Andorra:

Frisch ist’s im Bergzwergland (nach der Schwüle des Roussillon). Und auf den ersten Blick gibt’s vor allem Tankstellen, Fels und Hotels. Dann erfahre ich jedoch: nur hier noch auf der Welt gilt Gewohnheitsrecht. Und flugs bemühe ich mich, nett, verständig und großmütig zu sein.

 

 

 

Hans Süß von Kulmbach

* um 1480 wahrscheinlich in Kulmbach, † zwischen dem 29.11. und 3.12.1522 in Nürnberg, deutscher Maler

 

„Kulmbachs Hauptverdienst besteht in der klaren Färbung und einer oft großartigen Auffassung, in einer gewissen edeln, geschmackvollen Anmut, worin er manchmal selbst den Dürer übertrifft, wogegen dieser ihm, wie allen seinen Schülern, in jener unbeschreiblichen hohen, sittlichen Würdigkeit als unerreichbares Muster überlegen ist“, urteilte R. von Rettberg.

Der Kunstwissenschaftler Franz Izra Stadler meinte: „Die Hauptstärke Kulmbachs liegt eben in der koloristischen Durchführung, in der Pracht der Gewänder, dem Glanz von allerhand Geschmeide. Er zieht den milden Ausdruck dem deutliche kräftigeren vor.“

Und der Nürnberger Kunsthistoriker Peter Strieder schrieb: „Ansprechende Leistungen vollbrachte Kulmbach auch mit seinen Bildnissen; er verdankte Dürer die Grundlage und Reife seines Bildnisstiles. Aber im Gegensatz zu diesem größten deutschen Porträtisten vermochte Kulmbach nicht bis auf den Grund der Seele seines Modells zu sehen; vielmehr gab er den Dargestellten etwas von der liebenswürdigen Weichheit seines eigenen Charakters mit. Die Bildnisse gehören in ihrer kultivierten Farbigkeit nicht nur zu seinen wirkungsvollsten Werken, sondern zu den bedeutendsten Porträts überhaupt.“

 

 

 

Kyrill

* um 827 in Thessaloniki als Konstantin, † 14.2.869 in Rom, byzantinischer Gelehrter

 

Nachdem der hochgebildete Kyrill als Bibliothekar, Philosophieprofessor, Diplomat und Missionar gewirkt hatte, begann der polyglotte Byzantiner sich im Alter von 34 Jahren der Sprachforschung zu widmen.

Und als der mährische Rastislav den byzantinischen Kaiser bat, ihm einen „Bischof und Lehrer“, der seine Leute „in der Sprache des Volkes“ im christlichen Glauben unterweisen konnte, sandte Kaiser Michael III. Kyrill aus und soll dabei gesagt haben: „Hörst du, Philosoph, diese Worte? Es gibt keinen anderen außer dir, der dies erledigen kann, so, nimm viele Geschenke und deinen Bruder Method mit, und geh! Weil ihr Saloniker seid, und alle Saloniker sprechen reines Slawisch.“

In Mähren begründete Kyrill mit seinem Bruder die Mährische Akademie, in der slawische Priester und Verwaltungskräfte ausgebildet wurden, und führte nach und nach das Altslawische als Liturgiesprache ein.

Für seine mährische Mission entwickelte Kyrill das erste slawische Alphabet, die Glagolica, aus der sich dann die nach ihm benannte kyrillische Schrift entwickelte.

Gemeinsam mit seinem Bruder Method übersetzte Kyrill die Bibel ins Altkirchenslawische, beide gelten somit auch als Begründer der slawischen Literatur.

 

Als Jeanny und ich 2003 durch Kroatien reisten, schrieb ich:

Hum, Hum, Hum,

warum, warum, warum

fanden wir sie nicht,

die kleinste Stadt der Welt?

Hum, Hum, Hum?

Da Wegweiser fehlten im istrianischen Karst?

Oder Bewohner? Oder Interessen?

Warum, warum, warum?

Glagoliza,

da alles hier an Ursprünge,

an Kyrills uralte Kirchenschrift erinnert?

Hum, Hum, Hum.

Orthodox aber sind doch nur noch die finsteren Serben,

römisch-katholisch erleuchtet hingegen längst alle Kroaten.

Warum, warum, warum?

Ach, vielleicht war sie einfach nur zu klein,

die kleinste Stadt der Welt:

Hum?

 

 

 

Modest Petrowitsch Mussorgski

* 21.3.1839 in Karewo, † 28.3.1881 in Sankt Petersburg, russischer Komponist

 

Vor seinem Tod schrieb der schwer alkoholkranke Modest Mussorgski klarsichtig: „Mussorgski kann in keine bestehende Gruppe von Musikern eingeordnet werden, sei es nach dem Charakter seiner Kompositionen oder nach seinen musikalischen Ansichten. Die Formel seines künstlerischen ‚Glaubensbekenntnisses‘ kann durch seine Ansicht über die Funktion der Kunst erklärt werden: Kunst ist ein Mittel zur Kommunikation mit Menschen, nicht ein Ziel in sich selbst. Dieses Leitprinzip definiert seine gesamte kreative Tätigkeit. Aus der Überzeugung heraus, dass menschliche Rede von musikalischen Gesetzen strikt kontrolliert wird (Virchow, Gervinus), sieht er bei musikalischen Tönen die Funktion der Kunst nicht so sehr in der Erzeugung von Gefühlen, sondern an erster Stelle von menschlicher Rede. In Anerkennung der Tatsache, dass im Bereich der Kunst nur Künstler-Reformatoren wie Palestrina, Bach, Gluck, Beethoven, Berlioz und Liszt die Gesetze der Kunst geschaffen haben, sind seiner Meinung nach diese Gesetze nicht unveränderlich, sondern können sich ändern und entwickeln, wie alles Andere in der inneren Welt des Menschen.“

Seine „Bilder einer Ausstellung“ haben mir in der Rock-Fassung von Emerson, Lake & Palmer – „Pictures at an exhebition“ einst den Zugang zur Welt der klassischen Musik eröffnet. Modest – bolschoi spasibo!

 

 

 

Johannes Duns Scotus

* um 1266 in Duns, † 8.11.1308 in Köln, schottischer Philosoph

 

Als einer der ersten mittelalterlichen Denker sah Johannes Duns Scotus die Theologie und die Philosophie als verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen Aufgaben. Nach ihm wurde eine scholastische Denkrichtung Scotismus benannt, in der er feinsinnig die Lehren des Aristoteles, des Augustinus und der Franziskaner miteinander verwob. Er lehrte in Cambridge, Oxford, Paris und Köln und als wurde als „Doctor subtilis“ bezeichnet.

Seiner Ansicht nach können von der Philosophie angenommene Wahrheiten in der Theologie falsch sein. Philosophie hat Grenzen, die Gottes Offenabrung überschreitet. Gegenstand der Metaphysik könne deshalb nicht Gott, sondern nur das Seiende sein. Die Philosophie führe zu Neutralität und Skepsis und sei daher für das praktische Leben nicht geeignet. Die Theologie hingegen sei eine praktische Wissenschaft, die sich an Gottes Liebe und Willen orientiert und dem Menschen hilft, seinen Weg zu finden.

Johannes Duns Scotus betonte aber auch die Individualität und begründete den Wandel von der Ontologie, der Lehre vom Seienden,  zur Erkenntnistheorie als wichtigstem Thema der Philosophie. Insofern trug er nicht nur zur Vorbereitung der Renaissance bei, sondern wirkte weit darüber hinaus. Mit seiner Philosophie verwies er Glaubenswahrheiten wie die Trinität oder die Jungfrauengeburt in den Bereich der Theologie und entzog sie so der rationalen Diskussion in der Philosophie.

683 Jahre nach seinem Tod wurde Johannes Duns Scotus von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Wohl nicht von ungefähr.

 

 

 

Fayzulla Ubaydullayevich Xo’jayev

* 1896 in Buchara, † 13.3.1938 in Moskau, usbekischer Politiker

 

Fayzulla Ubaydullayevich Xoʻjayev war Anhänger des Dschaddismus, einer muslimisch-nationalistischen Reformbewegung, und gründete die Geheimorganisation der „Jungbucharer“, versuchte mit Bolschewiken den Emir von Buchara zu vertreiben. Nach der Oktoberrevolution wurde er zum Führer der Volksrepublik Buchara, einem bis 1924 selbstständigen Staates. Enver Pascha, einer der Verantwortlichen für den Völkermord an den Armeniern, der auch plante mit Basmatschen ein pantürkische Kalifat in Samarkand zu installieren, verübte ein Attentat auf Fayzulla Ubaydullayevich Xoʻjayev, dem er nur knapp entging.

1923 nahm Fayzulla Ubaydullayevich Xoʻjayev als Abgeordneter der Volksrepublik Buchara am XII. Parteitag der KPR in Moskau teil. Und nach der territorialen Reorganisation Zentralasiens wurde er Vorsitzender im Rat der Volkskommissare der Usebekischen SSR, schließlich sogar Vorsitzender des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR.

Dann wagte er es aber, Stalin zu widersprechen, der in Zentralasien Baumwoll-Monokulturen einführen wollte. Fayzulla Ubaydullayevich Xoʻjayev wurde am 17. Juni 1937 all seiner Posten enthoben, als „rechter Trotzkist“ vor Gericht gestellt  und am 13. März 1938 hingerichtet.

Und es brauchte fast drei Jahrzehnte, bis man ihn anlässlich seines 70. Geburtstages vollständig rehabilitierte.

 

 

 

Mirabeau

* 9.3.1749 als Honoré Gabriel Victor de Riqueti, comte de Mirabeau in Le Bignon, ab 1789: Marquis de Mirabeau, † 2.4.1791 in Paris, französischer Autor

 

Heinrich von Kleist bezieht sich in seinem genialen Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ auf Mirabeau: „Mir fällt jener ‚Donnerkeil’ des Mirabeau ein, mit welchem er den Zeremonienmeister abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen Sitzung des Königs am 23ten Juni, in welcher dieser den Ständen auseinanderzugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des Königs vernommen hätten? ‚Ja’, antwortete Mirabeau, ‚wir haben des Königs Befehl vernommen’ – ich bin gewiß, daß er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloß: ‚ja, mein Herr’, wiederholte er, ‚wir haben ihn vernommen’ – man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. ‚Doch was berechtigt Sie’ – fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf – ‚uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.’ – Das war es, was er brauchte! ‚Die Nation gibt Befehle und empfängt keine’ – um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. ‚Und damit ich mich ihnen ganz deutlich erkläre’ – und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: ‚So sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsere Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.’ – Worauf er sich, selbstzufrieden, auf einen Stuhl niedersetzte“

Dies soll so am 23. Juni 1789 geschehen sein. Und am 2. April 1791 starb der Jacobiner Mirabeau so plötzlich, dass man einen Giftmord vermutete.

Gesagt hatte der Aufklärer Mirabeau, der auch erotische Literatur verfasste, einmal: Gibt es keine natürlichen Rechte, die älter und heiliger sind als alle gesellschaftlichen Konventionen? Es könnte dem Menschengeschlecht nur zum Heil gereichen, wenn man den Unterschied zwischen Bürgern und Fremden endlich vergäße und in allen zuerst und vor allem den Menschen sähe.

 

 

 

Ofra Haza

* 19.11.1957 als Bat-Sheva Ofra Haza in Tel Aviv, † 23.2.2000 in Ramat Gan, israelische Sängerin

 

In seiner Grabrede für Ofra Haza sagte der israelische Ministerpräsident Ehud Barak: „Ofra kam aus dem Slum und erreichte die Spitze der israelischen Kultur. Sie stand für alles, was gut und nobel in der israelischen Gesellschaft ist. Wir haben ihr sehr viel zu verdanken.“

Ofra Haza war das neunte und jüngste Kind jemenitisch-jüdischer Einwanderer und wuchs in einem der ärmsten Viertel von Tel Aviv auf. 1979 spielte sie die Hauptrolle in dem israelischen Film „Der Weg nach oben“. 1983 vertrat sie Israel beim Eurovison Song Contest, errang Platz zwei. 1988 feierte sie mit ihrem Song „Im Nin'alu“ dann ihren größten Erfolg.

Den Text von „Im Nin'alu“ schrieb der Rabbi Shalom Shabazi bereits im 17. Jahrhundert. Das Gedicht beginnt mit den Worten: „Selbst wenn die Pforten der Reichen sich schließen werden, die Pforten des Himmels werden immer offen bleiben.“

Im Februar 1987 hatte Ofra Haza einen Flugzeugabsturz überlebt, 13 Jahre später starb sie an Organversagen als Folge einer HIV-Infektion.

 

 

 

Daniel „Dan“ Kaminsky

* 7.2.1979 in San Francisco, † 23.4.2021 ebd., amerikanischer Informatiker

 

Der Informatiker Dan Kaminsky galt als erfolgreicher Computer-Sicherheitsforscher und wurde als Hacker gefeiert.

Mehrfach erhielt er Angebote von großen IT-Firmen in Silicon-Valley, lehnte jedoch stets ab, um weiter der Basisforschung in Internetsicherheit nachgehen zu können.

„Im Juni 2010 wurde Dan Kaminsky zu einer der sieben Personen ernannt, die für die ICANN eine Smartcard zum Zugriff auf ein Backup des Root-DNSSEC-Schlüssels aufbewahren. Fallen die Hardware-Sicherheitsmodule mit dem Root-DNSSEC-Schlüssel aus, kann durch Einsatz von fünf der sieben Smartcards ein Backup entschlüsselt werden“, weiß Wikipedia.

Dan Kaminsky starb im alter von nur 42 Jahren infolge seiner schweren Diabetes-Erkrankung.

 

 

 

Franz von Sickingen

* 2.3.1481 auf Burg Ebernburg, † 7.5.1523 auf Burg Nanstein, deutscher Adliger

 

Franz von Sickingen gilt als „der letzte Ritter“. Nach diversen Feldzügen für verschiedene Kriegsherren wie in eigener Sache lernte er im Alter von 38 Jahren Ulrich von Hutten kennen, der ihm die Ideen der Reformation nahebrachte, nicht zuletzt eine radikale Beschneidung der weltlichen Rolle der Kirche und die Reduktion auf die reine Predigt des Evangeliums.

Drei Jahre später startete Franz von Sickingen als Führer der rheinisch-schwäbischen Ritterschaft den Versuch, das Kurfürstentum und Erzbistum Trier im Sinne der Reformation zu säkularisieren. Mit seinem Angriff auf Trier löste er den „Pfaffenkrieg“ aus, der auch als „Ritterkrieg“, „Pfälzischer Ritteraufstand“ oder „Trierer Fehde“ in die Literatur einging.

Dieses Unternehmen scheiterte jedoch und Franz von Sickingen musste sich Ende April 1523 auf seine westpfälzische Burg Nanstein bei Landstuhl zurückziehen. Dem massiven Beschuss durch die Belagerer, bei der er schwer verwundet wurde, hielt die Befestigung nicht stand, schon nach zwei Tagen musste er kapitulieren und erlag schließlich zweiundvierzigjährig seinen schweren Unterleibsverletzungen.

Seit 1995 führt Landstuhl offiziell den Namenszusatz „Sickingenstadt“.

 

 

 

Julius Paul Arter

* 19.6.1797 in Zürich, † 12.9.1839 in München, Schweizer Zeichner und Radierer

 

Paul Julius Arter wuchs in der Altstadt von Zürich auf und bildete diese unermüdlich ab, so erschienen 1829 das von ihm illustrierte Buch „Das alte Zürich“ von Friedrich Salomon Vögelin, ein fiktiver Rundgangs durch die Stadt im Jahre 1504, und 1835 seine „Sammlung zürcher’scher Alterthümer“. Als eine seine letzten Arbeiten gilt das „Panorama der Stadt Zürich“ auf sechs Aquarellen mit einer Gesamtbreite von 193 cm.

Im Alter von 42 Jahren wurde Paul Julius Arter mit dem ältesten seiner sieben Kinder „bey München todt aus dem Wasser gezogen“.

 

 

 

 

 

Werner Bräunig,

* 12.5.1934 in Chemnitz, † 14.8.1976 in Halle/Saale, deutscher Schriftsteller

 

Helmut Richter dichtete:

 

Zu Werner Bräunigs Tod

 

So zeitig hätte er nicht gehen dürfen,

Er hatte, was er sagen konnte, nicht gesagt.

Nach Wetterschlägen ist kein Kumpel unverzagt,

Und muss doch, wenn er Gold fand, weiterschürfen.

 

Der Berg hat gute und auch schlechte Stollen,

Pechblende ist ein Wort, das vieles meint.

Krankes ist krank, auch wenn es kregel scheint;

Hiergegen hilft nie das, was die Betroffnen wollen.

 

Wer aber warf denn nun den ersten Stein?

Im Glashaus Sitzenden fällt das bestimmt nicht ein!

Wer hat das Kainsgeschoss von außen werfen lassen?

 

Dies Ungewisse wars, was ihm den Atem nahm,

Und zu den Ängsten kam dann noch die Scham.

Wenn man die Liebe streicht, bleibt nur das Hassen!

 

Werner Bräunigs großer Roman „Rummelplatz“ konnte erst 41 Jahre nach Bräunigs Tod erscheinen, war seinerzeit harscher Kritik der SED-Spitze zum Opfer gefallen. „Ein Buch wie dieses hätte, wenn es nur erschienen wäre, Aufsehen erregt, es wäre in mancher Hinsicht als beispiellos empfunden worden. Noch einmal fühle ich nachträglich den Verlust, die Leerstelle, die dieses Nicht-Erscheinen gelassen hat“, sagte Christa Wolf dann im Vorwort. „Kann es heute noch wirken, nach vierzig Jahre? Nicht auf dieselbe Weise natürlich, wie es damals gewirkt hätte. Aber auch nicht nur als ein historisches Relikt, als ein Archiv-Fund. Dazu ist der Text zu lebendig und, wie ich glaube, auch zu spannend.“

Der Literaturkritiker Martin Lüdke meinte im Deutschlandfunk: „Bräunig und sein ‚Rummelplatz’ stehen in einer Reihe mit den Grossen seiner Zeit, mit Böll, Walser, Grass.“

Werner Bräunig war Arbeiterkind, kam mit sechzehn in ein Erziehungsheim, arbeite mit neunzehn in der IG Wismut beim Uran-Abbau, kam wegen Schwarzmarktreisen ins Gefängnis, wurde Heizer und FDJ-Instrukteur und begann zu schreiben. Für die 1. Bitterfelder Konferenz verfasste er mit Jan Koplowitz den Aufruf „Greif zur Feder, Kumpel“. Er studierte am Leipziger Literaturinstitut, wurde dann dort Assistent für das Fernstudium und Leiter des Prosa-Seminars. Nachdem Erich Honecker auf dem berüchtigten 11. Plenum jedoch Werner Bräunigs „Rummelplatz“ als ein Werk, das „mit unserem sozialistischen Lebensgefühl nichts gemein“ habe, gebrandmarkt hatte, war’s vorbei mit Bräunigs Karriere. Er versuchte ein Leben als freischaffender Autor, verfiel zusehends dem Alkohol und starb im Alter von 42 Jahren.

Immerhin waren zu seinen Lebzeiten noch der Essayband „Prosa schreiben“ und der Erzählungsband „Gewöhnliche Leute“ erschienen. Im Nachwort einer Neuausgabe von „Gewöhnliche Leute“ im Jahr 2008 schrieb die Lektorin Angela Drescher über die erste Drucklegung dieses Buches: „Immerhin hatten es die Erzählungen problemlos geschafft, obwohl man auch in ihnen hier eine Anspielung auf den Personenkults um Stalin, dort eine Schilderung der öden Gleichförmigkeit eines Neubauviertels oder von Umweltverschmutzung entdecken konnte und sogar bekenntnishafte Sätze über die Möglichkeiten des Einzelnen im Sozialismus wie: ‚Also geht es […] darum, für alle mehr Möglichkeiten zu schaffen. Mehr Möglichkeiten, vernünftig zu leben; […] vernünftig zu entscheiden. Und mehr Möglichkeiten, unvernünftige Entscheidungen zu korrigieren.’ Solche Stellen belegen, dass Bräunig keineswegs seine kritische Haltung verloren hatte, sie waren aber zu dosiert, um ihm nur die mindestes Schwierigkeit zu machen. Schwierigkeiten hätte er nicht mehr ausgehalten.“

 

Helmut Richter dichtete auch:

 

Werner Bräunigs Auferstehung

30 Jahre nach seinem allzu frühen Tod

 

So stand er plötzlich neben all den großen Namen,

Etwas verlegen, auf sympathisch krummen Beinen.

Das Sein gefiel ihm schon, nur nicht das Scheinen,

Er sprengte, fand er, den Verehrlichen den Rahmen.

 

Sein Buch war nun erneut in aller Munde:

Das „Rot und Schwarz“ des proletarischen Jahrhunderts.

Dass es die Söhne präsentierten, dachte er, wen wunderts?

So wurde seine Stunde doch noch ihre Stunde.

 

Doch fand er alle jene Sonntagsreden,

Die nur die Tragik seihen wollten, unerheblich:

Mit allem Mut Gesagtes ist doch nie vergeblich!

 

Er wollte zeigen, ohne sich zu überheben,

Die Arbeit ist das große Menschheits-Abenteuer!

Und das galt ehedem und galt auch heuer.

 

 

 

Johann Georg Elser

* 4.1.1903 in Hermaringen, † 9.4.1945 im KZ Dachau, deutscher Kunstschreiner

 

In einem Verhör nach seinem Attentat auf Hitler gab Georg Elser zu Protokoll: „Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die ‚Obersten‘, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser drei Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.“

Am 8. November 1939 waren zum Gedenken an den Hitlerputsch von 9. November 1923 bis zu 3.000 Zuhörer versammelt, darunter ein großer Teil der Nazi-Führung. Georg Elser hatte eine Bombe gebastelt und deponiert, deren Zeitzünder exakt zu der eingestellten Zeit die Explosion auslöste: um 21.20 Uhr. Hitler hatte den Bürgerbräukeller mit seiner Entourage jedoch früher als geplant, bereits um 21.07 Uhr verlassen, da sein Rückflug nach Berlin wegen Nebels abgesagt wurde und er in einen Sonderzug ausweichen musste. Zum Zeitpunkt der Explosion waren nur noch 150 Menschen im Saal anwesend, acht kamen ums Leben, 57 wurden verletzt.

Georg Elser versuchte in die Schweiz zu fliehen, wurde jedoch verhaftet, verhört, gefoltert und dann ab 1941 als „Sonderhäftling des Führers unter dem Decknamen „Eller“ ohne Gerichtsurteil in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten, wohl um ihm nach dem Endsieg“ einen großen Schauprozess machen zu können. Angesichts der Kriegslage befahl Gestapochef Müller aber am 9. April 1945 dem Dachauer KZ-Chef: „Bei einem der nächsten Terrorangriffe auf München bzw. auf die Umgebung von Dachau ist angeblich ‚Eller‘ tötlich verunglückt. Ich bitte, zu diesem Zweck ‚Eller‘ in absolut unauffälliger Weise nach Eintritt einer solchen Situation zu liquidieren. Ich bitte besorgt zu sein, dass darüber nur ganz wenige Personen, die ganz besonders zu verpflichten sind, Kenntnis erhalten. Die Vollzugsanzeige hierüber würde dann etwa an mich lauten: ‚Am … anlässlich des Terrorangriffs auf … wurde u.a. der Schutzhäftling ‚Eller‘ tötlich verletzt.’“ In Dachau wartete man aber den nächsten Fliegerangriff nicht ab, sondern ermordete Georg Elser noch am selben Tage durch Genickschuss.

Was der Menschheit vielleicht erspart geblieben wäre, hätte Georg Elser Erfolg gehabt, mag ein in einem Schreiben deutlich werden, dass die sowjetische Regierung drei Tage nach der Explosion im  Bürgerbräukeller dem deutschen Botschafter in Moskau zustellte, in dem sie „ihr Bedauern und ihre Entrüstung über den ruchlosen Anschlag von München, ihre Freude über die glückliche Errettung Adolf Hitlers aus der Lebensgefahr und ihr Beileid für die Opfer des Attentats“ zum Ausdruck brachte.

Seit 2001 wird alle zwei Jahre der Georg-Elser-Preis für Zivilcourage verliehen. 2014 drehte Oliver Hirschbiegel den Film „Elser - Er hätte die Welt verändert“.

 

 

 

Albrecht Haushofer

* 7.1.1903 in München, Pseudonyme: Jürgen Dax, Jörg Werdenfels, † 23.4.1945 Berlin, deutscher Autor

 

IN FESSELN

 

Für den, der nächtlich in ihr schlafen soll,

so kahl die Zelle schien, so reich an Leben

sind ihre Wände. Schuld und Schicksal weben

mit grauen Schleiern ihr Gewölbe voll.

 

Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt,

ist unter Mauerwerk und Eisengittern

ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern,

das andrer Seelen tiefe Not enthüllt.

 

Ich bin der erste nicht in diesem Raum,

in dessen Handgelenk die Fessel schneidet,

an dessen Gram sich fremder Wille weidet.

 

Der Schlaf wird Wachen wie das Wachen Traum.

Indem ich lausche, spür‘ ich durch die Wände

das Beben vieler brüderlicher Hände.

 

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Albrecht Haushofer, der zuvor des Öfteren im Auftrag Joachim von Ribbentropps unterwegs war, auch aus dem Ausland berichtete, zu einem Nazi-Hasser, der sich wie auf einem havarierten, schon brennenden und von Narren und Verbrechern weithin beherrschten und geführten Schiff fühlte.

„Anfang 1941 knüpfte Albrecht Haushofer gezielt Beziehungen zu Kreisen aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus […] und war ab dieser Zeit an verschwörerischen Aktivitäten beteiligt. Dabei gehörte er mit zu den Kräften, die auf einen baldigen Staatsstreich drängten. Deutschland solle nicht schwach in die Verhandlungen um einen Verständigungsfrieden gehen. Er gehörte zu den Wenigen, die bereit waren, auch mit der Sowjetunion zu verhandeln. Zu seinen Gesprächspartnern innerhalb der Widerstandkreise gehörten Peter Graf Yorck von Wartenburg und Helmuth James Graf von Moltke vom Kreisauer Kreis, Eduard Brücklmeier, Diplomat an der englischen Botschaft, sowie Mitglieder weiterer Berliner Widerstandsgruppen wie Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack, die an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät lehrten oder studierten“, weiß Wikipedia.

Albrecht Haushofer soll dann 1914 von Rudolf Heß sogar in die Vorbereitungen auf dessen England-Flug einbezogen gewesen sein, wusste offenbar im Sommer 1944 vom geplanten Attentat auf Hitler und versuchte danach in Bayern abzutauchen. Er wurde jedoch entdeckt und ins Gefängnis Berlin-Moabit gebracht, wo er seine „Moabiter Sonette“ verfasste, die im Juli 1945 von einer ehemaligen Mitarbeiterin gefunden und im Jahr darauf veröffentlicht wurden.

 

SILVESTERSEGEN

 

Des Jahres würdig war der letzte Schluß:

In unsren Zellen rattenhaft verwahrt,

erfahren wir in ganz besondrer Art

den Prall der Bomben wie den Flakbeschuß.

 

Kein großer Angriff. Ein Silvestersegen,

den Trümmerstätten von Berlin geweiht,

an eines Jahres Gabe nur gereiht

wie späte Glut an einen Flammenregen.

 

Was in Jahrhunderten gewachsen war,

vernichtet nun in Stunden jäh die Kraft

gewissenlos mißbrauchter Wissenschaft.

 

Das alte China kannte die Gefahr.

Es bannte schon das Pulver, weil darin

Versuchung lag, zu groß für Menschensinn.

 

Kurz vor der Befreiung Berlins wurde er zusammen mit fünfzehn weiteren Gefangenen, darunter Klaus Bonhoeffer und Rüdiger Schleicher unter Vorwand einer Verlegung auf ein nahegelegenes, von Bomben zerstörtes Gelände gebracht und hinterrücks erschossen.

 

WELLENRUFE

 

Ich weiß vielleicht schon mehr von diesen Dingen

als Taube von Musik. Vielleicht so viel,

wie einer hört von fernem Flötenspiel,

der Wachs im Ohr hat: ein gedämpftes Klingen.

 

Doch immerhin genug, um einen Wert

aus diesem oder jenem Ton zu hören,

genug, den Spieler nicht im Spiel zu stören,

genug, den Sinn zu wecken, der verehrt.

 

So lausch ich heute mit gebundnen Händen

auf manches, was an viele schon sich wendet,

auf manches, was an mich allein gesendet,

 

und rufe selber aus des Kerkers Wänden,

ob ungelenk und schwach, dem Nächsten zu:

Sei nicht in Sorge – leben wirst auch Du!

 

 

 

Regina Jonas

* 3.8.1902 als Regine Jonas in Berlin, † 12.10. (oder 12.12.) 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau, deutsche Rabbinerin

 

Regina Jonas war die erste Frau weltweit, die zur Rabbinerin ordiniert und in diesem Amt tätig wurde.

Sie studierte an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, ihre Abschlussschrift hatte den Titel „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ Sie wirkte als Religionslehrerin und wurde dann im Alter von 33 Jahren ordiniert. Ihr ehemaliger Lehrer Leo Baeck beglückwünschte sie mit der Anrede: „Liebes Fräulein Kollegin!“

Regina Jonas wirkte in verschiedenen Berliner Synagogen, hielt auch Vorträge für jüdische Frauenorganisationen. Über eine Rede bei der „Women’s International Zionist Organisation“ berichtete das Jüdische Gemeindeblatt: „Fräulein Rabbiner Regina Jonas […] hob die Pflicht der Frau hervor – gleichsam wie die Propheten, Hüterinnen und Wahrerinnen der Güte, des Rechts, der Liebe und Rücksichtnahme zu sein. ‚Wo Frauen hinkommen, müssen Haß und Feindschaft verstummen.’“

Als die die Nazis nach der Reichspogromnacht Rabbiner zur Ausreise gezwungen oder deportiert hatten, verwaisten zunehmend jüdischen Gemeinden und Regina Jonas leistete im Auftrag der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ in mehreren Orten Preußens Seelsorgearbeit. 1942 wurde sie zuerst zur Zwangsarbeit in einer Berliner Kartonagenfabrik verpflichtet und dann nach Theresienstadt deportiert. Selbst hier hielt sie Vorträge und predigte, bis sie im Alter von 42 Jahren nach Auschwitz gebracht und ermordet wurde.

 

  

 

 

Friedrich Wilhelm Murnau

* 28.12.1888 als Friedrich Wilhelm Plumpe in Bielefeldt, † 11.3.1931 in Santa Barbara, Kalifornien, deutscher Regisseur

 

Im Alter von 21 Jahren nannte sich Friedrich Wilhelm Plumpe in Friedrich Wilhelm Murnau um, da er den Bruch mit seinen wohlhabenden Eltern, die seine Schauspiel- und Regieambitionen ebenso wie seine Homosexualität nicht akzeptieren wollten, ein für alle mal festschreiben wollte. Und da er mit Künstlern der Vereinigung „Blauer Reiter“ befreundet war, und diese Gruppe sich zuweilen in Murnau am Staffelsee traf, wurde eben aus Plumpe Murnau. Punkt.

Im Ersten Weltkrieg war er Kampfflieger und landete nach einem Navigationsfehler eines Tage in der neutralen Schweiz, wurde interniert, gewann einen Inszenierungswettbewerb und arbeitete am Theater Luzern.

1919 zurück in Berlin, drehte er seinen ersten Spielfilm „Der Knabe in Blau“, der jedoch wie einige folgende Arbeiten als verschollen gilt. Drei Jahre darauf allerdings wurde er mit „Nosferatu, eine Sinfonie des Grauens“ berühmt.

Und durch weitere Filme wie „Der letzte Mann“ oder „Faust – eine deutsche Volkssage“ wurde man in Hollywood auf Friedrich Wilhelm Murnau aufmerksam. Prompt gewann sein Film „Sunrise“ 1929 bei der allerersten Oscarverleihung in drei Kategorien: „Beste künstlerische Produktion“, „Beste Kamera“ (Charles Rosher und Karl Struss) sowie „Beste Hauptdarstellerin (Janet Gaynor).

Um Eingriffen in seine Regiearbeit durch Produzenten zu entgehen, kaufte er sich dann eine Jacht und segelte nach Tahiti, um dort den Film „Tabu“ ganz nach eigenen Vorstellungen, vollständig selbst finanziert, zu realisieren.

Die Premiere von „Tabu“ am 18. März 1931 erlebte Friedrich Wilhelm Murnau aber nicht mehr. Eine Woche zuvor wurde er bei einem Verkehrsunfall auf einer kalifornischen Küstenstraße so schwer verletzt, dass er am Tag darauf verstarb, nur 42 Jahre alt.

 

 

 

José Martí

* 28.1.1853 als José Julián Martí y Pérez in Havanna, † 19.5.1895 in Dos Rios, Jiguani, kubanischer Poet

 

2011 schrieb ich zu Ehren des kubanischen Nationaldichters, des Verfassers von „Guantanamero“ José Martí:

 

„Ich bin ein aufrichtiger Mensch

von da, wo die Palme wächst,

und bevor ich sterbe, möchte ich

mir meine Verse von der Seele singen.

 

Guantanamera, Guarija Guantanamera -

Kuba geht’s nicht gut, Lebensmittel rationiert, Häuser alt und überfüllt, kaum Autos, miese Kommunikation, doch umweltweltverträgliche Entwicklung in der Verfassung festgeschrieben.

 

Mein Vers ist von hellem Grün

und von entflammtem Rot.

Mein Vers ist ein verwundeter Hirsch,

der im Gebirge Zuflucht sucht.

 

Guantanamera, Guarija Guantanamera -

Kuba geht’s nicht gut, reichlich Gegner, Angriffe, Flüchtlinge, doch kein Kind hungert, niemand zahlt für Bildung oder Gesundheit, und sogar zehntausende junge Tschernobyl-Opfer wurden kostenlos behandelt hier.

 

Ich ziehe eine weiße Rose heran,

im Juli wie im Januar,

für den ehrlichen Freund,

der mir seine offene Hand reicht.

 

Guantanamera, Guarija Guantanamera -

Kuba geht’s nicht gut, Krisen, Embargos und politische Gefangene, doch stellt das kleine Land mehr medizinisches Personal für weltweite Hilfsprogramme als die Weltgesundheitsorganisation.

 

Mit den Ärmsten der Erde

will ich mein Schicksal abwerfen.

Der Bach im Gebirge

erfreut mich mehr als das Meer.

 

Guantanamera, Guarija Guantanamera…“

 

 

 

Jeanne-Antoinette Poisson

* 29.12.1721 in Paris, „Madame de Pompadour“, † 15.4.1764 in Versailles, französische Adlige

 

Im Alter von neun Jahren war Jeanne-Antionette Poisson von einer Wahrsagerin prophezeit worden, dass sie eines Tages die Mätresse des Königs sein werde. Und tatsächlich gelang ihr, was noch keiner Bürgerlichen zuvor in Frankreich gelungen war: nach einem Maskenball machte sie Ludwig XV. im Jahre 1745 zu seiner offiziellen Mätresse und erhob sie alsbald sogar zur Marquise de Pompadour mit Landsitz und eigenem Wappen.

Und sie verstand es, ihren Einfluss bei Hofe mehr und mehr auszuweiten, nicht zuletzt, da sie im Gegensatz zu früheren Mätressen niemals die Königin brüskierte. Und sie war dem König nicht nur im Bett zu Diensten, sondern befriedigte ihn auch kulturell, sang für ihn, weckte sein Interesse fürs Theater und gründete die berühmte Porzellan-Manufaktur von Sèvres. Und sie nutzte ihre Position zur Förderung von Intellektuellen und Künstler, so Denis Diderot, Jean-Jacques Rousseau, Francoise Boucher, Jean-Marc Nattier und Francois-Hubert Drouais. Voltaire lobte sie in höchsten Tönen, sagte: sie „war gebildet, klug, liebenswürdig, voller Anmut, künstlerisch begabt und hatte von Geburt einen gesunden Menschenverstand und ein gutes Herz“.

Im Siebenjährigen Krieg riet sie Ludwig XV. zu einem Bündnis mit Österreich und England gegen Preußen. Und nach der verlorenen Schlacht von Rossbach soll sie ausgerufen haben: „Après nous le déluge - „Nach uns die Sintflut!“

Immerhin wurde dann nach ihr eine Handtasche benannt, wurden mehrere Filme über ihr Leben gedreht und eine Operette komponiert.

 

 

 

Anders Celsius

* 7.12.1701 in Uppsala, † 6.5.1744 ebd., schwedischer Astronom und Physiker

 

Anders Celsius war Mitglied der Leopoldina und der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Er dichtete gelegentlich und verfasste populärwissenschaftliche Schriften, nahm an einer Expedition zur Vermessung der Erde teil, wirkte als Rektor der Universität Uppsala, ließ das erste schwedische Observatorium erbauen, maß als Erster die Helligkeit von Sternen und fand heraus, dass Polarlichter das Magnetfeld der Erde stören.

Weltberühmt wurde er jedoch, da er vorgeschlagen hatte, die Temperaturmessung durch den Siede- und den Gefrierpunkt von Wasser bei genau definiertem Luftdruck zu fixieren. Allerdings hatte er den Siedepunkt mit 0° und den Gefrierpunkt mit 100° festgelegt. Erst Carl von Linné kehrte diese Skala um und verhalf ihr so zu universellem Gebrauch.

Wer weiß, wie Anders Celsius die Welt noch verändert hätte, wäre er nicht schon im Alter von 42 Jahren an Tuberkulose gestorben. Nach ihm wurden ein Mondkrater und ein Asteroid benannt.

 

 

 

Brian David Sicknick

* 30.7.1978 in New Brunswick, New Jersey, † 7.1.2021 in Washington D.C., amerikanischer Polizist

 

Brian David Sicknick, Officer der United States Capitol Police, hatte Dienst, als am 6. Januar 2021 ein aufgeputschter Trump-Mob versuchte, den US-Kongress zu stürmen, um die parlamentarische Anerkennung des Wahlsiegs Joe Bidens über Trump zu verhindern. Bei der Abwehr des Angriffs wurde er aus einer Horde heraus möglicherweise von einem Feuerlöscher im Gesicht getroffen, vielleicht auch mit Pfeffer- oder Bärenspray besprüht.

Brian David Sicknick gelangte zwar noch in sein Büro zurück, kollabierte jedoch, wurde ins Krankenhaus gebracht und verstarb dort infolge eines Schlaganfalls im Alter von 42 Jahren.

Am 2. Februar 2021 wurde Brian David Sicknick feierlich im Capitol aufgebahrt. An der Ehrenwache nahm auch der wenige Tage zuvor vereidigte Präsident Joe Biden teil.

 

 

 

Aki Sirkesalo

* 25.7.1962 als Aki Pekka Antero Sirkesalo in Toijala, Finnland, † 26.12.2004 in Khao Lak, Thailand, finnischer Musiker und Fernsehmoderator

 

Aki Sirkesalo muss am Zweiten Weihnachtstag des Jahres 2004Ähnliches erlebt haben wie Josef Haslinger: „die welle erreichte den strand und riss alles mit sich: liegen, sonnenschirme, stranddecken, hocker, das wasser kam ans ufer und floss am pool vorbei, erfasste die tische, stühle und sträucher vor dem speisepavillon und spülte sie ins restaurant hinein und auf der anderen seite wieder hinaus. Das meer war ein breiter fluss geworden, der auf das land herausfloss und dabei stetig anstieg, bis plötzlich absehbar war, dass er gleich die poolhöhe erreichen würde. Da begannen die menschen auch dort oben zu laufen, manche zu spät, sie wurden in den pool hineingespült, wo sich eine walze bildete, die sie festhielt, die anderen liefen die paar stufen zum fitnessraum hinauf oder versuchten, auf das dach zu klettern, der fluss sieg weiter an, und seine geschwindigkeit nahm zu…“

Im Gegensatz zu Josef Haslinger und seiner Familie überlebte Aki Sirkesalo mit seiner Familie den Tsunami jedoch nicht. Erst ein Vierteljahr später wurden ihre Leichen gefunden, identifiziert und schließlich in ihrer finnischen Heimat beigesetzt.

Die letzte Single, die der beliebte Musiker 2004 veröffentlichte hieß: „Mullonikäväsua – Wirbelwindmüdigkeit“.

 

 

 

Søren Aabye Kierkegaard

* 5.5.1813 in Kopenhagen, † 11.11.1855 ebd., dänischer Philosoph

 

Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, daß ich tun solle; es gilt eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will, notierte der zweiundzwanzigjährige Søren Kierkegaard in sein Tagebuch. Sein Biograf Hermann Schmid meinte, dass aus dieser Erkenntnis „der Schriftsteller Sören Kierkegaard hervorgehen sollte, der im ausschließlichen Interesse um dieses verfügbare Ich eine grandiose Produktion von Schriften hinterließ, in denen er sämtliche Um- und Abwege seines Lebens mit Texten vertiefte.“

Nicht selten kulminierten Kierkegaards Gedanken in Aphorismen: Das Genie ist wie das Donnerwetter: es schreitet gegen den Wind, erschreckt die Menschen und reinigt die Luft. Das Bestehende hat dagegen allerlei Blitzableiter erfunden.

Und Kierkegaard, der sich in der Nachfolge Christi sah, der sich aus religiösen Gründen von seiner Verlobten trennte, nie heiratete, allein mit einem Diener und einem Sekretär lebte sagte auch: Das Christentum ist bei den meisten keine Inbrunst mehr, sondern eine bequeme Gewohnheit.

Wie die meisten seiner Schriften, die er stets auf eigene Kosten drucken ließ, erschien auch sein Hauptwerk „Entweder – oder“ unter Pseudonym.

Bis auf eine Reise nach Berlin, um Vorlesungen Schellings zu hören, verbrachte Kierkegaard, der als Wegbereiter der Existenzphilosophie gilt, die Jahre seines intensives Schaffens in Kopenhagen in weitestgehender Isolation, unterbrochen nur von auegedehnten Spaziergängen, gelegentlichen Theater- und regelmäßigen Gottesdienstbesuchen.

Jeder Mensch, der bloß ästhetisch lebt, hat […] ein heimliches Grauen vor dem Verzweifeln. Denn er weiß recht wohl, daß ihn die Verzweiflung in das Allgemeine hineinbringen wird, während er sein Leben doch in der Differenz hat.

Im Gegensatz zum erfolgreichen „Entweder – Oder“ stießen seine weiteren Bücher weitestgehend auf Unverständnis, ja, in einer Satirezeitschrift wurde er sogar verspottet. Als Kind hatte er eine Wirbelsäulen-Verletzung erlitten, die schlecht verheilt war. Karikaturen betonten seinen Buckel nun derart, dass er auf offener Straße verhöhnt und so in seinem bereits pessimistischen Menschenbild bestärkt wurde. Zunehmend sah er sich in der Rolle eines Märtyrers, der allein gegen die Welt steht.

Die Menschen haben, wie es scheint, die Sprache nicht empfangen, um die Gedanken zu verbergen, sondern um zu verbergen, daß sie keine Gedanken haben.

Und folgerichtig griff er die Amtskirche an, die nach seiner Ansicht das Christum nicht vertrat, sondern effektiv verhindere, die Riten der Amtskirche seien eine Fälschung, eine Lüge, ein Komödienspiel. Als er bei einem Spaziergang einen Schlaganfall infolge seiner Rückenmarks-Tuberkulose erlitt, verweigerte er im Hospital am Ende die Kommunion und starb 9 Tage später im Alter von nur 42 Jahren.

Gib nie einen Menschen oder die Hoffnung auf ihn lieblos auf.

 

 

 

Klaus Mann

* 18.11.1906 als Klaus Heinrich Thomas Mann in München, † 21.5.1949 in Cannes, deutscher Schriftsteller

 

Klaus Mann, ältester Sohn Thomas Manns, gilt als einer wichtigsten Repräsentanten der deutschsprachigen Exilliteratur nach 1933.

Er selbst bezeichnete seine Abstammung als die bitterste Problematik meines Lebens. Sein Vater sagte jedoch nach dem frühen Tod seines Sohnes Klaus: „Wie viele Raschheiten und Leichtigkeiten seinem Werk abträglich sein mögen, ich glaube ernstlich, daß er zu den Begabtesten seiner Generation gehörte, vielleicht der Allerbegabteste war.“

Sein erstes Theaterstück „Anja und Esther“ wurde im Oktober 1925 uraufgeführt, Hauptdarsteller waren: Klaus und Erika Mann, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens. Im gleichen Jahr erschien auch sein erstere Prosaband „Vor dem Leben“ und er bekannte sich öffentlich zu seiner Homosexualität. Zwei Jahre darauf brach er mit seiner Schwester Erika zu einer mehrmonatigen Lesereise rund um die Welt auf.

Der Literaturwissenschaftler Friedrich Albrecht schrieb in seinem Nachwort zu einer Auswahl der Briefe Klaus Manns: „… seit seinem achtzehnten Lebensjahr hatte er zahlreiche Auslandsreisen durch vier Erdteile unternommen; die Reihe der Prominenten aus dem internationalen Kunst- und Geistesleben, denen er im Laufe seines Lebens begegnete, ist fast endlos, und schließlich: er war nicht nur ein begabter Schriftsteller, sondern auch, wie viele bezeugen, eine Persönlichkeit von großer Anziehungskraft.“

Nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, engagierte sich Klaus Mann er sich mit satirischen Programmen in dem von seiner Schwester gegründeten Kabarett „Die Pfeffermühle“ gegen die Nazis und floh alsbald, um seiner Verhaftung zu entgehen nach Paris. Als im Mai 1933 seine Bücher verbrannt wurden notierte er in sein Tagebuch: Gestern also sind auch meine Bücher in allen deutschen Städten öffentlich verbrannt worden; in München auf dem Königsplatz. Die Barbarei bis ins Infantile. Ehrt mich aber.

In den folgenden Jahren lebte er im Exil in Amsterdam, der Schweiz, der Tschechoslowakei, in Ungarn und den USA und schrieb dabei drei seiner bedeutendsten Werke, „Flucht in den Norden“, „Symphony Pathétique“ und „Mephisto“.

1938 berichtete er für die „Pariser Tageszeitung“ vom Spanischen Bürgerkrieg und exilierte schließlich in die USA, schrieb 1939 „Der Vulkan, Roman unter Exilanten“ und trat Ende 1941 in die amerikanische Armee ein. Nach Kriegsende wirkte er als Sonderberichterstatter von „Stars and Stripes“, interviewte in Nürnberg Hermann Göring und hielt sich nach seiner ehrenhaften Entlassung aus der Army in Rom, Amsterdam, New York und Kalifornien auf. In Deutschland konnte er jedoch nicht mehr heimisch werden. 1947 notierte er: Ja, ich fühlte mich wie ein Fremder in meinem Vaterland. Ein Abgrund trennte mich von meinen früheren Landsleuten. Wo auch immer ich in Deutschland war, begleitete mich das […] nostalgische Leitmotiv: ‚Es gibt keine Rückkehr!

Und einem Freund bekannte er, ihm falle das Schreiben schwerer als in den flotten Kindertagen. Damals hatte ich „eine“ Sprache, in der ich mich recht flink auszudrücken vermochte; jetzt stocke ich in zwei Zungen. Im Englischen werde ich wohl nie „ganz“ so zuhause sein, wie ich es im Deutschen „war“ – aber wohl nicht mehr „bin“.

Anfang 1949 schrieb er in sein Tagebuch: Ich werde diese Notizen nicht weiterführen. Ich wünsche nicht, dieses Jahr zu überleben. Dann reiste er nach Cannes und nahm sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.

Das Deutsche ist meine Sprache – meine „Muttersprache“, wie man wohl sagt. Das Vaterland kann man verlieren, aber die Muttersprache ist der unverlierbare Besitz, die Heimat der Heimatlosen. Sogar wenn uns der Vater verstößt, die Mutter wird uns stets die Treue halten. Ihr Segen ist mit uns, auch in der Fremde. Wenn man Glück hat, findet man ein zweites Vaterland. Aber findet man auch eine zweite Sprache? Läßt die Muttersprache sich je vergessen? Oder können wir zwei Sprachen haben – zwei Mütter?

 

 

 

Wladimir Semjonowitsch Wyssotzki

* 25.1.1938 in Moskau, † 25.7.1980 ebd., sowjetischer Sänger

 

Wladimir Wyssotzki sagte über sich: „Ich bin Schauspieler! Für mich ist es leichter, eine Maske aufzusetzen und von verschiedenen Menschen aus zu schreiben. Ich schlüpfe jedesmal in ihre Haut und versuche, ein fremdes Leben zu leben. Viele meinen, daß ich früher mal Chauffeur war, Matrose oder Flieger. Na, und daß ich gesessen habe, steht für sie felsenfest. […] Zu diesen abenteuerlich verklärten Vorstellungen von meiner Person kommt es offensichtlich, weil die Leute in meinen Helden und ihren Storys kein Herumreden verspüren. Ich habe immer Gedichte gemacht, und auf einmal hörte ich, wie Bulat Okudshawa singt. Plötzlich begriff ich, wie sehr sich die Wirkung eines Gedichtes erhöhen kann, wenn man ihm noch eine Dimension beigibt – eine musikalische Färbung und klaren Rhythmus. Ich entschied mich für die Gitarre. Sie schien mir am demokratischsten.“

 

Ich mag das Ende nicht mit Peinlichkeiten

Das Leben aber hab ich niemals satt

Ich mag auch keine von den Jahreszeiten

Wenn sie kein Lied und keinen Wodka hat

 

Ich hasse dieses zynisch kalte Grinsen

Verzückten Spinnern glaub ich keineswegs

Von hinten über meine Schultern linsen

Und meine Briefe lesen, geht mir auf den Keks…

 

„Die Lieder dieses ‚Taganka-Hamlet in blue jeans’  gingen von einem Tonband zum anderen und begründeten faktisch eine neues Genre: Tonbandliteratur. So funktionieren seine Songs als gesellschaftlich wirksamer Kommunikator mit phänomenaler Popularität“, schrien Oksana Bulgakowa.

 

 

 

Ivan Cankar

* 10.5.1876 in Vrhnika, †  11.12.1918 in Ljubljana, slowenischer Autor

 

Ivan Cankar gilt als der erste slowenische Berufsautor. Einen großen Teil seines Gesamtwerks verfasste er in Wien, wo er auch für deutsch- und slowenischsprachige Zeitungen und Zeitschriften arbeitete.

Sein erstes Buch erschien im Jahr 1898, der Gedichtband „Eroica“, von dem Laibacher Bischof alle greifbaren Exemplare aufkaufen  und verbrennen ließ. Sein Œuvre umfasst mehr als 30 Bände. Als sein bekanntestes Werk gilt die Erzählung „Der Knecht Jerney und sein Recht“, das in nahezu alle europäische Sprache sowie ins Chinesische und Hindi übersetzt wurde,

Nachdem er betrunken von einer Treppe gestürzt war, zog er sich eine Lungenentzündung zu, an der er im Alter von 42 Jahren verstarb.

 

  

 

 

Robert Francis „Bobby“ Kennedy

* 20.11.1925 in Brookline, Massachusetts, †  6.6.1968 in Los Angeles, amerikanischer Politiker

 

1959 agierte Robert „Bobby“ Kennedy als Wahlkampfmanager seines Bruders John F. Kennedy und nachdem der 1960 zum 35. Präsidenten der USA gewählt war, berief der seinen jüngeren Bruder als Justizminister in sein Kabinett.

Nach der Ermordung John F. Kennedys blieb Bobby noch eine zeitlang im Kabinett des vormaligen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson, als der ihn bei den nächsten Wahlen aber nicht als seinen Vizepräsidenten nominierte, verließ Bobby die Regierung.

Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen hatte er jedoch gute Chancen, als Kandidat der Demokraten ins Rennen zu gehen. Auf dem Weg zu einer Pressekonferenz wurde er jedoch in der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1968 in Los Angeles angeschossen und erlag am folgenden Tag im Good Samarian Hospital seinen schweren Verletzungen.

Robert „Bobby“ Kennedy hatte aufgrund seiner Beliebtheit beste Aussichten anstelle des alsbald über den Watergate-Skandal stolpernden Republikaner Richard Nixon 37. Präsident der USA zu werden.

 

 

 

Ernst Meyer

* 10.7.1887 in Prostken, Ostpreußen, † 2.2.1930 in Potsdam, deutscher Politiker

 

Ernst Meyer studierte in Königsberg und Berlin Philosophie und Nationalökonomie und promovierte im Alter von 23 Jahren. Drei Jahre später wurde er Redaktionsmitglied der SPD-Zeitung „Vorwärts“, jedoch alsbald wieder ausgeschlossen und gründete wiederum ein Jahr später den „Spartakusbund“ mit. Der Namensvorschlag stammte von ihm.

Nach dem Spartakusaufstand Anfang 1919 befand er sich zeitweise in Haft und gehörte dann bis 1923 dem Parteivorstand der KPD an. Er wirkte kurzzeitig als Chefredakteur der „Roten Fahne“, war 1922 sogar Parteivorsitzender und dann Abgeordneter der KPD im Preußischen Landtag.

Ernst Meyer erkrankte an Tuberkulose und starb im Alter von 42 Jahren im Lungensanatorium der Hofbauer-Stiftung in Potsdam-Hermannswerder.

Der Publizist Karl Retzlaw sagte über Ernst Meyer: „Er war ein hochintelligenter, gebildeter Mann, seine Referate zeugten von seinem ungewöhnlichen Wissen, doch sie waren ohne jede Wärme, und er hat weder in Volksversammlungen noch in größeren Versammlungen der eigenen Partei die Überzeugungskraft ausgestrahlt, ohne die nun einmal ein Führer einer revolutionären Partei nicht denkbar ist.“

 

  

 

 

Franz Oppenhoff

* 18.8.1902 in Aachen, † 25.3.1945 ebd., deutscher Jurist

 

Während der Nazi-Zeit verteidigte der Anwalt Franz Oppenhoff mehrfach angeklagte Priester und Ordensangehörige. Als im Herbst 1944 amerikanische Truppen Aachen einnahmen, wurde er als politisch unbelasteter Jurist als Oberbürgermeister eingesetzt. Er hatte sich jedoch zuvor die Zusicherung geben lassen, dass er nichts tun müsse, was seinen Mitbürgern, dem deutschen Volk und den Soldaten schaden würde. Im Amt forderte er dann seine Mitbürger auf, an einem „neuen, wahrhaftigen und gerechten Vaterland für alle“ mitzubauen.

Franz Oppenhoff war klar, dass die Nazis sich an ihm rächen würden. In einem Interview sagte er: „Sie haben geschworen, mich umzubringen, und ich fürchte, dass sie es auch tun werden. Es wird mir ergehen wie Rathenau und anderen. Vielleicht ist der Fallschirmspringer schon für mich bestimmt.“

Tatsächlich wurde Franz Oppenhoff am Palmsonntag 1945 auf direkten Befehl Heinrich Himmlers von deutschen SS-Fallschirmspringern, die mit einem erbeuteten amerikanischen Flugzeug hinter die Frontlinie gelangt waren, vor seinem Haus ermordet.

 

 

 

Elvis Aaron Presley

* 8.1.1935 in Tupelo, Mississippi, † 16.8.1977 in Memphis, Tennessee, amerikanischer Sänger

 

In Bronze gegossen lehnt der King of Rock N’ Roll, seit Anfang 2021 am Geländer einer Brücke über die Usa, einem durch Bad Nauheim fließenden Flüsschen. Endlich also kehrte der King also nach Deutschland zurück, dahin, wo er Ende der 1950er Jahre seinen Wehrdienst ableisten musste. In Bad Nauheim wohnte Elvis. Im nahen Friedberg, in den Ray Barracks, hatte er zu dienen und lief tagtäglich auf dem Weg zum Soldatsein and back home über diese Brücke über die Usa. (sic!)

Davon, wie er auf dieser Brücke lehnt (die nun nicht mehr einfach Usa-, sondern Elvis-Brücke heißt und eigens für 350.000 Euro restauriert wurde) gibt es eine Foto: Privat Presley in Uniform, verzückt in die Ferne blickend. Vielleicht imaginierte Elvis gerade einen seiner favorite songs: „I’m so lonesome I could cry“ oder auch „Green, green grass of home“ oder „Known only to him?” Vielleicht ahnte er aber auch, was ihm das Schicksal (obwohl von ihm so viele Tonträger wie von niemand anderem verkauft werden würden, mehr als eine Milliarde!) alles noch so antun würde, hörte “Don’t be cruel“. Wer weiß.

Präsident Carter sagte am Tag nach dem Herzversagen des Kings: „Elvis Presleys Tod nimmt unserem Land ein Stück von sich selbst. Er war einzigartig und unersetzlich. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass er in die Szene platzte mit einer Wirkung, die es bis dahin noch nie gegeben hatte und die es wohl auch nicht mehr geben wird. Seine Musik und seine Persönlichkeit, die Zusammenführung vom weißem Country und schwarzem Rhythm & Blues, veränderten für immer das Antlitz der amerikanischen Kultur. Er hatte eine riesige Anhängerschar, und er war für Menschen auf der ganzen Welt ein Symbol für die Vitalität, die Aufsässigkeit und die gute Laune seines Landes.“

 

 

 

Jean „Django“ Reinhardt

* 23.10.1910 in Liberchies, Belgien, † 26.5.1953 in Samois-sur-Seine, französischer Gitarrist

 

Django Reinhardt, der keine Noten lesen konnte, gilt als Begründer des europäischen Jazz. Schon als Zwölfjähriger spielte er professionell Gitarre. Nachdem er als Achtzehnjähriger schwere Brandverletzungen an seiner linken Hand erlitten hatte, entwickelte er eine ebenso neue wir virtuose Spieltechnik. Mit vierundzwanzig gründete er sein legendäres Quintette de Hot Club de France.

Das Neue und Besondere an der Musik Reinhardts war die Mischung aus drei verschiedenen Musikstilen: er schuf aus dem schon gängigen New-Orleans-Jazz der 1920er Jahre, den französischen Walzern (valses musettes) und der traditionellen Spielweise der Sinti (Zigeunermusik) einen neuen Musikstil, den Zigenuner- oder Gypsy-Swing, der neben der jazzgemäßen Rhythmik durch Akkordeffekte und Stimmungen gekennzeichnet ist, wie sie in der moderneren Klassik etwa für Claude Debussy oder Maurice Ravel typisch sind“, weiß Wikipedia.

Django Reinhardt spielte auch mit dem Duke Ellington Orchestra, den Glenn Miller Allstars oder Stéphane Grapelli. Zwei Jahre vor seinem Tod zog er sich jedoch zunehmend aus dem Musikgeschäft zurück, widmete sich nun größtenteils der Familie, Freunden, der Malerei, dem Angeln und dem Billardspielen. Im Alter von 42 Jahren starb Django Reinhardt an den Folgen eines Schlaganfalls.

Er wurde in diverse Ruhmeshallen aufgenommen, so die „International Academy of Jazz Hall of Fame“, die „Big Band an Jazz Hall of Fame“ und die „American Jazz Hall of Fame“. Und Django-Reinhardt-Festivals finden längst weltweit statt. in Belgien, Deutschland, Frankreich, Nordamerika.

 

 

 

Lydia Koidula

* 24.12.1843 als Lidia Emilie Florentine Jannsen in Vändra, † 11.8.1886 in Kronstadt, estnische Dichterin

 

Wie lieb war's dort am Dorfwegrand,

Wir Kinder kannten ihn,

Wo alles voller Taugras stand

Hinauf bis zu den Knien;

 

Wo in der Abendröte Brand

In blum'ger Rasenpracht

Ich spielte, bis Grossvaters Hand

Sein Kind zur Ruh gebracht. –

 

Wie gern zu gucken über'n Zaun

Wär' ich gleich ihm bereit, –

 Er aber sprach: "Kind, warte, traun –

Auch dir kommt noch die Zeit!"

 

Sie kam, ach – vieles ward mir klar,

Ich sah' manch' Meer und Land,

Nicht halb so lieb mir all' das war,

Als dort der Dorfwegrand.

 

Am Dorfwegrand war eines der ersten Gedichte, die Lydia Koidula schrieb, an ihrem Lebensende sollten es 300 sein. Stets war Heimatliebe eines ihrer zentralen Themen und nach einem estnischen Fluss nannte man sie nicht von ungefähr „Emajõe ööbik - Nachtigall vom Emajõgi. Nicht wenige ihrer Gedichte wurden vertont und immer wieder gern gesungen. In der Zeit, da Estland zur Sowjetunion gehörte, galt ihr Mu isamaa on minu arm - Mein Vaterland ist meine Liebe sogar als heimliche Nationahymne.

Im 38. Lebensjahr wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert, zweiundvierzigjährig starb Lydia Koidula.

Eines ihrer bekanntesten Gedichte heißt Sind surmani küll tahan:

 

Bis zum Tode will ich

dich in Ehren halten

mein blühender estnischer Pfad,

mein duftendes Vaterland!

Meine estnischen Felder, Flüsse

und meine Muttersprache

hoch will ich euch loben

noch in meiner Todesstunde!

 

 

 

Saadat Hasan Manto

* 11.5.1912 in Samrala, Punjab, † 18.1.1955 in Lahore, pakistanischer Autor

 

Sechsmal wurde Saadat Hasan Manto wegen Obszönität angeklagt, dreimal vor und dreimal nach der Teilung Britsch-Indiens. Er schrieb Romane, Kurzgeschichten, Drehbücher, Theaterstücke, Hörspiele, Gedichte, Essays, fiktionale Tagebücher und Reiseberichte.

Im Alter von 24 Jahren ging er nach Bombay und verdiente seinen Lebensunterhalt vor allem als Journalist, im Alter 36 Jahren floh er nach Ausschreitungen gegen Moslems aus Bombay und ließ sich in Lahore nieder. So handelt denn auch sein wohl bekanntestes Gedicht „Toba Tek Singh“ von Erfahrungen in den neugegründeten Staaten Indien und Pakistan.

Im Alter von 42 Jahren starb Saadat Hasan Manto an Leberzirrhose.

 

 

 

Brian Edmund Peter Keenan

* 28.1.1943 in New York City, † 5.10.1985 in Stamford, Connecticut, amerikanischer Rock-Schlagzeuger

 

Die afroamerikanischen Brüder George, Joe, Lester und Willie Chambers stellten ihren weißen, in England und Irland aufgewachsenen Schlagzeuger bei Konzerten gern als „Brian Chambers Keenan vor.  und schon ging die Post ab!

Titel der Chambers Brothers hatten die Bands, in denen ich als Jungrocker spielte, stets im Programm, „People get ready“ und vor allem „Time has come today“:

Wochenende für Wochenende gingen wir Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre auf Tournee: Freitagnachmittag los, Sonntagnacht zurück, und immer öfter nach Thüringen. Das war recht gut zu erreichen, gleichzeitig jedoch hinlänglich weit von daheim entfernt.

Nicht wenige Thüringer Jugendclubs verfügten über erstaunlich große Säle. Und irgendwie musste es sich herumgesprochen haben, dass wir Titel auf die Bühne brachten, die andere Bands offenbar nicht spielten. „Time“ beispielsweise, „Time“ von den Chambers Brothers, faszinierender Psychodelic Rock.

Möglicherweise waren es aber nicht allein solche Titel, die uns Anfragen über Anfragen, Engagement über Engagement einbrachten. Bereits damals boten wir unsere Musik nicht nur schlechterdings, hölzern, steif oder wie auch immer, sondern experimentierten längst und selbstverständlich mit ersten Show-Elementen. Da hatte uns ein Freund von irgendwoher gelbe und blaue Rundumleuchten „organisiert“, die gespenstisch über Kulissen zuckten, ein anderer Kinoscheinwerfer samt farbigem Glas. Bunte Hosen, Westen, Mützen waren eh angesagt, und ein Fan, der Chemie studierte, wusste uns stets mit Trockeneis zu versorgen, das zur rechten Zeit geheimnisvoll zu Nebeln wurde.

Unübertroffene Wirkung erzielte allerdings unsere Time-Glocke. Dieses eigens metronomartig aus Feinblech zusammengenietete Ding brauchte einer von uns nur in die Hand zu nehmen, und im Publikum brach rhythmisch Klatschen und Stampfen aus. Time has come today, young people go their way... Lauthalses Mitsingen. Ein Saal ein Herzschlag, ein Puls.

Was aber war von dem, was wir zum Besten gaben eigentlich zu hören? Nur noch schwer verständlich heute: unsere besten Verstärker hatten weniger Leistung als mittlerweile gängige Heimstereoanlagen, doch vor unserer Bühne drängten sich nicht selten mehr als tausend Leute...Zeitgeist, ja, es war wohl vor allem der Zeitgeist, der inspirierte: Time!

Erstaunlicher noch scheint, dass wir Woche für Woche überhaupt und meist sogar einigermaßen pünktlich dort ankamen, wo man uns erwartete. Keiner von uns hatte damals eine Fahrerlaubnis, geschweige denn ein Auto. Und mit irgendeinem Auto wäre uns eh nicht gedient gewesen. Es hätte schon eines Kleinbusses oder Lieferwagens bedurft, um uns und all die Instrumente, Requisiten und Technik ans Ziel zu bringen. Lieferwagen und Busse waren in der damaligen DDR für Privatpersonen schlichtweg tabu, durften nur volkseigenen Betrieben oder Genossenschaften, keinesfalls aber Rockgruppen gehören. Kein Wunder also, dass zu unserem Freundeskreis auffallend viele Berufskraftfahrer gehörten. Und wann immer eine Abfahrt anstand, rollte auch ein frisch aus einem Fuhrpark geschmuggelter Transporter vor unserem Probenkeller vor...

Nun folgten Stunden arger Bedrängnis: eingekeilt hockte man inmitten schwerer Boxen, Kisten und Kästen, meist noch die große Trommel oder ähnliches auf dem Schoß. Aber man wusste ja, bald würde man in einer ganz anderen Welt ankommen, seine Alltage weit hinter sich lassend, wie nach Metamorphosen ein langes Wochenende lang Ferne erleben, Abenteuer sogar. Frei sein, einfach frei. Mann, war das eine Zeit. Time!

Brian Edmund Peter Keenan starb im Alter von 42 Jahren durch einen Herzinfarkt.

 

 

 

Anton van Dyck

* 22.3.1599 in Antwerpen, † 9.12.1641 in Blackfriars, England, niederländischer Maler

 

Der österreichische Kunsthistoriker Gustav Glück wertete das Verhältnis van Dycks zu dessen Lehrer Rubens so: „Van Dyck ist nicht Erbe seines Vorgängers in dessen Reiche, sondern Schöpfer eines anderen, wenn auch kleineren Reiches.“

Wilhelm Bode urteilte: „Dagegen hat van Dyck, ohne die Eigenart oder Phantasie seines großen Meisters zu besitzen, gerade durch seine Anhängigkeit vom Modell als Bildnismaler die volle Erfassung und Respektierung der Individualität voraus, und indem er seinen Porträts den Stempel des eigenen lebhaften Sinnes, seines chevaleresken Wesens aufzudrücken verstand, hat er ihnen einen ganz eigenen Reiz verliehen. Als Porträtmaler steht van Dyck daher in den verschiedenen Epochen seiner Tätigkeit, in denen auch seine Bildnisse sehr verschiedenartig erscheinen, den größten Meistern der Bildniskunst nahe oder selbst völlig gleich.“

Weniger überzeugt von seiner Kunst zeigte sich die bayerische Prinzessin Sophie, die sich nach einem van-Dyck-Porträt ein Bild von der Gattin des englischen Königs Karl I. gemacht hatte, und nachdem sie Henrietta Maria persönlich begegnet war, sagte: „Die schönen Bildnisse van Dycks hatten mir eine glänzende Vorstellung von allen Damen Englands gegeben, so daß ich überrascht war, zu sehen, daß die Königin, die gemalt doch so schön erschien, so unbedeutend aussieht, lange dürre Arme, ungleiche Schultern hat und Zähne, die gleich Hauern aus dem Munde vorstehen.“

 

 

 

José Anastácio da Cunha

* 11.3.1744 in Lissabon, † 1.1.1787 ebd., portugiesischer Mathematiker und Lyriker

 

Im Alter von 29 Jahren wurde der Autodidakt José Anastácio da Cunha zum Professor für Geometrie an der Universität Coimbra berufen. Er verfasste die 21-bändige Enzyklopädie der Mathematik „Principios Mathemáticos“, und er schrieb Gedichte, die jedoch zumeist erst postum erschienen.

Mit vierunddreißig wurde José Anastácio da Cunha bei der Inquisition angeschwärzt und verhaftet. Im wurde der Prozess gemacht, da er Fleisch an fleischlosen Tagen gegessen und Bücher von Hobbes, Rousseau und Voltaire besessen habe und nicht zuletzt, da er Naturwissenschaftler war. Das Tribunal des Sancto Officio da Inquisicao de Lisboa verurteilte ihn zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe, nach deren Verbüßung seine Gesundheit derart gelitten hatte, dass José Anastácio da Cunha im Alter von 42 Jahren starb.

 

 

 

 

 

Friedrich Charles Glauser

* 4.2.1896 in Wien, † 8.12.1938 in Nervi bei Genua, Schweizer Schriftsteller

 

Als Friedrich Glauser mal wieder in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert worden war, urteilte der Anstaltsdirektor, der selbst als Dichter dilettierte: „Moralischer Defekt. Maßlose Überheblichkeit bei so geringer Intelligenz, daß sie gerade für eine schriftstellerische Tätigkeit seiner Gattung ausreicht.“

Immerhin brachte diese schriftstellerische Tätigkeit Erstaunliches hervor: den Wachtmeister Studer und Kriminalromane, die allerdings erst Jahre nach Friedrich Glausers Tod Berühmtheit erlangten.

Der Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher sagte über Friedrich Glauser: „Die Wohlanständigkeit hatte ihn kriminalisiert, er kriminalisierte die Wohlanständigkeit. Er, der zum Fall geworden war, machte aus der Gesellschaft einen Fall. Der Kriminalroman war nicht eine zufällige, sondern eine gegebene Literaturgattung. Demzufolge nimmt Glauser seinen Platz in der Schweizer Literatur ein mit Kriminalromanen.“

Friedrich Glauser gab in einem Brief an einen Journalisten 1937 Auskunft über sich selbst: Daten wollen Sie? Also: 1896 geboren in Wien von österreichischer Mutter und Schweizer Vater. Grossvater väterlicherseits Goldgräber in Kalifornien (sans blague), mütterlicherseits Hofrat (schöne Mischung, wie?). Volksschule, drei Klassen Gymanisium in Wien. Dann 3 Jahre Landerziehungsheim Glarisegg. Dann 3 Jahre Collége de Genève. Dort kurz vor der Matura hinausgeschmissen, weil ich einen literarischen Artikel über einen Gedichtband eines Lehrers am dortigen Collège verfasst hatte. Kantonale Matura in Zürich. 1 Semester hemie. Dann Dadaismus. Vater wollte mich internieren lassen und unter Vormundschaft stellen. Flucht nach Genf. […] Ein Jahr (1919) in Münsingen interniert. Flucht von dort. 1 Jahr Ascona. Verhaftung wegen Mo. Rücktransport. 3 Monate Burghölzli (Gegenexpertise, weil Genf mich für schizophren erklärt hatte). 1921–23 Fremdenlegion. Dann Paris Plongeur [Tellerwäscher]. Belgien Kohlengruben. Später in Charleroi Krankenwärter. Wieder Mo. Internierung in Belgien. Rücktransport in die Schweiz. 1 Jahr administrativ Witzwil. Nachher 1 Jahr Handlanger in einer Baumschule Analyse (1 Jahr), während ich in Münsingen weiter als Handlanger in einer Baumschule gearbeitet habe. Als Gärtner nach Basel, dann nach Winterthur. In dieser Zeit den Legionsroman geschrieben (1928/1929), 30/31 Jahreskurs Gartenbauschule Oeschberg. Juli 31 Nachanalyse. Jänner 32 bis Juli 32 Paris als ‹freier Schriftsteller› (wie man so schön sagt). Zum Besuch meines Vaters nach Mannheim. Dort wegen falschen Rezepten arretiert. Rücktransport in die Schweiz. Von Mai 32 – Mai 36 interniert. Et puis voilà. Ce n’est pas très beau, mais on fait ce qu'on peut. (Anm. JJ:Mo“ steht für Morphium.

Im Bayerischen Rundfunk war im Zuge einer Renaissance von Glausers Werk zu hören: „Friedrich Glauser mit seinem abenteuerlich umgetriebenen Leben und seiner Fähigkeit, es spontan in Sprache umzusetzen, mit seiner Unmittelbarkeit, seiner leidend und leidenschaftlich durchklebten Erfahrung ist tatsächlich eine Entdeckung.“

Und Friedrich Glauser war sich auch der Möglichkeiten, die der aufkommende Kriminalroman bot, durchaus bewusst, verfasste sogar einen „Offenen Brief über die Zehn Gebote für den Kriminalroman“: Wenn es uns gelingt, Sympathien und Antipathien im Leser zu wecken für unsere Geschöpfe, für die Häuser, in denen sie wohnen, für die Spiele, die sie spielen, für das Schicksal, das über ihnen schwebt und sie bedroht oder ihnen lächelt? Das alles tat früher der „Roman“ schlechthin, das Kunstwerk. Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe für uns, ihm wieder Leser zuzuführen durch seinen verachteten Bruder, den Kriminalroman? […] Mein Ehrgeiz strebt nicht danach, von Literaturbonzen ernst genommen zu werden. Ich möchte die Leute erwischen, die Courths-Mahler lesen oder John Kling.

Sein Leben war jedoch von seiner Sucht bestimmt, er gestand: Im Grunde gibt es nichts Uninteressanteres als das Leben eines Morphinisten. Es beschränkt sich auf Perioden, in denen er das Gift nimmt, und auf Perioden, in denen die Gesellschaft ihn zwingt, sich das Zeug wieder abzugewöhnen. Alle Gründe, die man erfindet, um die Sucht zu entschuldigen, können sich literarisch und poetisch sehr gut machen; konkret ist es eine Schweinerei, denn man ruiniert sich sein Leben damit.

Friedrich Glauser brach am Vorabend der Hochzeit mit seiner ehemaligen Pflegerin bewusstlos zusammen und starb zwei Tage darauf im Alter von 42 Jahren.

Der Verleger Friedrich Witz schrieb nach Glausers plötzlichen Tod: „Müssig ist es, sich auszumalen, was wir alles noch von Friedrich Glauser hätten erwarten dürfen, wäre ihm ein längeres Leben beschieden gewesen. Einen grossen Schweizer Roman wollte er schreiben, keinen Kriminalroman, eine Leistung wollte er vollbringen als Beweisstück dafür, dass er ein Meister war. Sein Wunsch blieb unerfüllt; wir aber sind bereit, gestützt auf all das, was er uns hinterlassen hat, ihm die Meisterschaft zuzuerkennen.“

Manchmal, in meinen ganz ehrlichen Stunden, komme ich mir vor wie einer jener Hunde, denen im Laboratorium jener Gehirnteil entfernt worden ist, welcher Sitz des Orientierungsvermögens sein soll: Der Hund kann seinen Weg nicht mehr finden: Will er auf einen Knochen losgehen, so schlägt er einen spiraligen oder zackigen Weg ein – und gelangt schließlich doch nicht zu seinem Knochen.

 

 

 

Nikolai Wassiljewitsch Gogol

* 1.4.1809 in Welyki Sorotschnyzi, Ukraine, † 4.3.1852 in Moskau, russischer Schriftsteller

 

Der russische Literaturkritiker Wissarion Grigorjewitsch Belinski sagte bereits 1835 über Gogol: „Die Originalität besteht bei Gogol in der Belebung der Komik, die stets von einem Gefühl tiefer Trauer besiegt wird. Wirklich, was für ein Gefühl bleibt Ihnen, wenn Sie alle diese Bildes des Lebens, eines leeren, nichtsnutzigen Lebens in seiner ganzen Nacktheit, in seiner ganzen scheußlichen Hässlichkeit vorüberziehen lassen, nachdem Sie sich satt gelacht und satt geschimpft haben? Nehmen Sie die ‚Aufzeichnungen eines Verrückten’, diese hässliche Groteske, diese seltsame, launenhafte Phantasie des Künstlers, diese Karikatur, die so unendlich viel Poesie, so unendlich viel Philosophie enthält, diese psychische Krankheitsgeschichte in poetischer Form, erstaunlich in ihrer Wahrhaftigkeit und Tiefgründigkeit, des Pinsels eines Shakespeares würdig: Sie lachen noch über den einfältigen Menschen, doch Ihr Lachen ist schon mit Traurigkeit durchsetzt.“

Dietrich Lokys urteilte: „Gogol stand in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mit Puschkin und Lermontow in einer Linie als Begründer der russischen Literaturprosa. Er gestaltete in den „Toten Seelen“ den ersten umfassenden Zeitroman der Literatur und wurde damit faktisch zum Begründer und Schöpfer des kritischen Realismus in Russland.“

Und Juliane Bambula-Diaz schrieb in ihrem Nachwort einen Gogol-Ausgabe im Reclam-Verlag: „Gogol war ein sehr frommer Mann, fühlte sich an ‚Mönch’, der sein inneres ‚Kloster’ mit sich herumtrug und es überall aufschlug, wo er sich auf seiner ‚Erdenwanderung’ niederließ: in St. Petersburg, in Moskau, in Paris, wohin sich die Vertreter der russischen Aristokratie gewöhnlich begaben, wenn sie ‚nicht ganz moralische’ Vergnügungen suchten, in Rom und schließlich in Jerusalem. Vor Antritt dieser großen Pilgerfahrt zur heiligen Stätte jedoch sagte er sich noch endgültig von seinen bisher veröffentlichten Werken und vom Teufel los, verbrannte den bereits fertiggestellten zweiten Teil der Toten Seelen und streute sich Asche aufs Haupt: ‚Mein absterbender Leib stöhnt bei dem Gedanken an die gigantischen Saaten und Früchte, deren Samen wir in unserem Leben säten, ohne zu ahnen und ohne zu fühlen, was für Ungetüme aus ihnen hervorgehen werden.“

Gogol, der geniale Autor von „Abende auf dem Weiler bei Dikanka!“, „Mirgorod“, „Arabesken“, „Die Nase“, „Der Revisor“, „Der Mantel“ sowie nicht zuletzt der „Toten Seelen“  fastete sich im Alter von 42 Jahren zu Tode.

Nikolai Alexejewitsch Nekrassow hatte gedichtet:

„Wann endlich kommt die Zeit, / wann? (Komme, du erwünschte, komm!) / Da unser Volk nicht Blücher mehr / und nicht den albernen Mylord, / da Gogol und Belinski es / vom Jahrmarkt heimwärts trägt?“

 

 

 

Andreas Hofer

* 22.11.1767 in St. Leonhard in Passeier, † 20.2.1810 in Mantua, südtiroler Volksheld

 

2004: Nach köstlicher Marende und etlichen Gläschen Vernatscht erstehe ich im Gasthaus, das einst der Hofer, Andi führte, eine der blauen Schürzen, wie sie Südtiroler feierabends tragen, bestickt allerdings mit dem schwarzbärtigen Konterfei des Rebellen und dem kühn geschwungenen Schriftzug: Sandwirt – Passeier. Die hängt nun schlapp an unserer Garderobe und ich fürchte, dass es keinen Anlass geben wird, mir dieses Mitbringsel gebührlich überzustreifen.

 

2007: Ist gar nicht so lange her, da trank ich im Sandhof mit Typen, die dem vormaligen Wirt, dem Hofer, Andi also, gefolgt sein könnten (wohl bis in den Tod), noch den einen und anderen Roten. Wohlsein! Nun nippen hier Cabrio-Fuzzies, kleinen Finger abgespreizt, gelangweilt Espresso. Allerweltsgesäusel, Handygewäsch. Und für die Bedienung scheint unsereins Luft. (Obwohl ich dem Hofer Andi doch fast wie ein Zwillingsbruder gliche – oder weil?) Tja, so geht sich das wohl stets aus mit den Revolten.

 

 

 

Richard Manuel

* 3.4.1943 in Stratford, Ontario, † 4.3.1986 in Winter Park, Florida, kanadischer Musiker

 

I was madly in love with Richard … When he sang in that high falsetto the hair on my neck would stand on end. Not many people can do that“, sagte Eric Clapton über Richard Manuel.

Unvergessen, wie er zusammen mit Bob Dylan beim Abschiedskonzert von „The Band“ „I shall be released“ sang:

They say everythin can be replaced

They say every distance is not near

So I remember every Face

Of every man who put me here

I see my light come shining

From the west down to the east

Any day now, any day how,

I shall be released…

Zehn Jahre später erhängte sich der Multiinstrumentalist, der alkohol- und drogenabhängig und oft depressiv war, während einer Comeback-Tournee in seinem Motelzimmer.

They say every man needs protection

They say that every man must fall

Yet I swear I see my reflection

Somewhere so high above this wall

I see my light come shining

From the west down to the east

Any day now, any day how,

I shall be released…

 

 

 

Guy de Maupassant

* 5.8.1850 als Henry René Albert Guy de Maupassant auf Schloß Mirosmenil in Tourville-sur-Arques, † 6.7.1893 in Passy, französischer Schriftsteller

 

Guy de Maupassant gilt neben Balsac, Flaubert, Stendhal und Zola als einer der größten französischen Erzähler des 19. Jahrhunderts und nicht von ungefähr auch als einer der am häufigsten verfilmten Autoren. Weltberühmt sein Roman „Bel Ami“ oder Novellen wie „Boule de suif - Fettklößchen“, „Clair de Lune – Mondschein“, „Mademoiselle Fifi“, „Pierrot“, „Masdemoiselle Cocotte“, „Un Duel – Ein Duell“, „La Parure – Der Schmuck“, „L’âne – Der Esel“ oder „Ma Femme – Meine Frau“. Insgesamt verfasste er 6 Romane und etwa 300 Novellen, dazu Reisebücher, ein Theaterstück und einen Lyrikband.

Die Übersetzerin Christel Gersch sagte: „Die Legende, dass Maupassant mit „Fettklösschen“ gleich als vollendeter Meister, wie ein Meteor in der Literatur aufgetaucht sei, wird durch einige frühe Texte weniger angefochten denn als solche bestätigt.“

Mit wechselnden Geliebten hatte Maupassant drei Kinder, baute ein Haus in Étretat, unternahm drei längere Reisen nach Nordafrika, lebte zeitweilig in Cannes und Antibes und unternahm von dort aus Reisen auf seiner Yacht „Bel-Ami.“

Als Maupassant noch Beamter im Pariser Marine- und Bildungsministerium war, verbrachte er seine Freizeit oft Ruderboot fahrend auf der Seine, genoss dabei Liebesabenteuer, infizierte sich siebenundzwanzigjährig dabei jedoch mit Syphilis. In seinen letzten Lebensjahren war ihm die Wahrscheinlich eines frühen Todes aufgrund dieser Erkrankung offenbar bewusst, was sich in seinen düster werdenden Texten widerspiegelt. Anfang 1892 unternahm er einen Selbstmordversuch, wurde in eine psychiatrische Klinik eingeliefert und starb dort geistig umnachtet anderthalb Jahre darauf.

Der Herausgeber Ernst Kemmer schrieb: „Der Mensch ist nach Maupassant kein moralisch handelndes sondern ein biologisch unzulängliches, triebhaft fixiertes Wesen animalischen Zuschnitts, kurz –– ein unfertiger Entwurf“. […] Die die Menschen verbindenden Gefühle wie Freundschaft und Liebe sind brüchig und wenig dauerhaft, […] der Mensch ist isoliert und auf sich selbst zurückgeworfen. Die Gesellschaft bildet nach Maupassants Worten das Bild einer ‚ewigen, allumfassenden, unzerstörbaren und allmächtigen Dummheit’“.

 

 

 

Francisco José Tenreiro de Vasques

* 20.1.1921 auf São Tomé, † 31.12.1963 in Lissabon, são-tomésischer Autor

 

Negro! Levanta os olhos pro sol rijo e ama tua mulher na terra húmida e quente! - Schwarzer Mann! Schaue empor zur kräftigen Sonne und liebe deine Frau auf der feuchten und warmen Erde! – dichtete Francisco José Tenreiro, versuchte mit seinen Texten seine são-tomésischer Landsleuten, alle Afrikanern, ja, alle Schwarzen weltweit zu ermutigen, sich gegen Kolonialismus, Unterdrückung und Ausbeutung zu engagieren. Mit seiner Lyrik wollte er ein „Novo Africa“, ein neues Afrika der Kultur und Literatur begründen. Er gab auch eine „Poesia negra de expressão portuguesa“, eine Anthologie schwarzer Dichter portugiesischer Sprache heraus.

Zwölf Jahre bevor sein Heimatland unabhängig von Portugal unabhängig werden konnte, starb Francisco José Tenreiro wenige Wochen vor seinem 43. Geburtstag in Lissabon. Da sein Satz Negro! Levanta os olhos pro sol rijo e ama tua mulher na terra húmida e quente! Geldscheine der Demokratischen Republik São Tomé e Príncipe ziert, blieb Francisco José Tenreiro allgegenwärtig.

 

 

 

Berta Cáceres

* 4.3.1973 als Berta Isabel Cáceres Flores in La Esperanza, Honduras, † 3.3.2016 ebd., honduranische Aktivistin

 

Die honduranische Menschenrechts- und Umweltaktivisten Berta Cáceres sagte 2013 in einem Interview mit Al-Jazeera: Die Armee hat eine Todesliste, auf der die Namen von achtzehn Menschenrechtsaktivisten stehen – mein Name steht an der Spitze. Ich möchte leben und möchte noch eine ganze Menge Dinge in dieser Welt tun, aber ich habe nicht ein einziges Mal überlegt, den Kampf für unser Gebiet, für ein Leben in Würde aufzugeben, denn wir führen einen legitimen Kampf. Ich treffe viele Vorsichtsmaßnahmen, aber am Ende bin ich in diesem Land mit völliger Straffreiheit/Gesetzlosigkeit verletzlich… Wenn sie mich töten wollen, dann werden sie es tun.

Wikipedia weiß: „Cáceres war eine der Mitbegründer/innen des 1993 ins Leben gerufenen Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras (Council of Popular and Indigenous Organization of Honduras) (COPINH), einer Organisation, die sich für die Rechte indigener Völker und den Erhalt ihrer natürlichen Umwelt in Honduras einsetzte, insbesondere der Lenca, einer Volksgruppe, der sie selbst entstammte. 2012 erhielt sie den Shalom-Preis. 2015 wurde sie für ihren Einsatz mit dem Goldman Environmental Prize geehrt. Berta Càceres wurde zudem vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen postum als Champion of Earth 2016 ausgezeichnet.“

Drei Jahre nach ihrem Al-Jazeera-Interview wurde Berta Cáceres von mehreren Bewaffneten in ihrem Haus ermordet.

 

 

 

Peter Tosh

* 19.10.1944 als Winston Hubert McIntosh in Church Lincoln, Jamaika, † 11.9.1987 in Kingston, jamaikanischer Sänger

 

Peter Tosh war nicht nur einer der ersten Reggae-Sänger, sondern mit Leib und Seele auch Botschafter der Rastafari-Bewegung:

Den Rastafaris erkannten in Haile Selassie, geboren als Ras Tafari Makonnen, Siegreicher Löwe von Juda ihren Messias. Ja, wie dieser äthiopische Kaiser siegelte, wollen sie aussehen (dank dreadlocks). Und mit all uns baldheads (da wir in Babylon leben) nicht mal die Sprache mehr gemein haben, nein. Iaryc spricht der richtige Rastaman (inselübliches Patois bereichert mit wortwörtlich gegenteiligem Andersseinwollen) – du verstehst? Das heißt dann allerdings nicht understand, sondern overstand. Und aus televison wird tell-lie-vison, aus cigarette (sprich: see-garette) blindgarette und aus Unterdrücker (oppressor) downpressor… Gut. Was aber meinte dann die Reggae-Hymne Get Up, Stand Up – kann’s sein, dass ich die falsch verstand?

 

 

 

Hugo Wolf

* 13.3.1860 in Windischgrätz, † 22.2.1903 in Wein, österreichischer Komponist

 

„Wolf hatte zeitlebens unter extremer Armut zu leiden, was für ihn aufgrund seiner schwachen Gesundheit und seines stolzen, sensiblen und nervösen Charakters schwer erträglich war. Im Wege stand seinem beruflichen Erfolg insbesondere sein empfindliches und schwieriges Temperament. Sein Einkommen verdankte er fast nur den ausdauernden Bemühungen einer kleinen Gruppe von Freunden, Musikkritikern und Sängern, seine Lieder bekannt zu machen“, weiß Wikipedia.

Dabei schuf Hugo Wolf in seinem kurzen Leben zahlreiche Kompositionen: Bühnenwerke, Chor-, Kammer- und Orchestermusik, und Lieder vor allem: nach Texten von Byron, Eichendorff, Goethe, Hebbel, Heine, Fallersleben, Ibsen, Kerner, Lenau, Mörike, Reinick, Rückert, Scheffel, Shakespeare…

„Unter denjenigen Komponisten der Spätromantik, die den Standpunkt vertraten, dass die überkommenen Regeln der Schönheit und Form aufgegeben werden müssen, wenn sie einer genaueren oder lebendigeren Verwirklichung eines dramatischen oder emotionalen Ausdrucks entgegenstehen, nimmt Wolf einen besonderen Platz nicht wegen der besonders gewagten Originalität seiner Methoden und der bemerkenswerten Eigentümlichkeiten seines persönlichen Stils ein, sondern weil diese die direkte Konsequenz einer äußerst tiefen poetischen Einsicht und Vorstellungskraft sind.“

Mit Achtzehn hatte sich Hugo Wolf eine Syphilis zugezogen, die seine letzten Lebensjahre zur Qual machen sollten. Im September 1897 ernannte er sich selbst zum Direktor der Wiener Hofoper und wollte dem Intendanten der Hofoper seine Aufwartung machen. Die dafür angemietet Kutsche brachte ihn jedoch direkt in die „Privatheilanstalt für Gemüthskranke auf dem Erdberge“. Monate später entlassen, versuchte er sich am Traunsee das Leben zu nehmen, wurde in die Irrenanstalt Wien-Alsergrund eingewiesen und verstarb dort vier Jahre später wenige Tage vor seinem 43. Geburtstag.

 

 

Salomon August Andrée

* 18.10.1854 in Gränna, † Oktober 1897 auf Kvitøya, Spitzbergen, schwedischer Polarforscher

 

Andrées Schädel fehlte, als man seine Leiche endlich im Polareis Kvitøyas fand, verschleppt wahrscheinlich von einem Eisbär.

Walter Bauer sollte über August Salomon Andrées Versuch, den Nordpol mit einem Ballon zu überfliegen, schreiben: „Es war keine Narrheit. Mit seinem Plan eines Ballonfluges von Spitzbergen über das arktische Eis stand er in der großen Nachfolge aller Unternehmungen, die den Sieg über den Pol erreichen wollten und das menschliche Wissen immer weiter nach Norden geschoben hatten. Mit Pytheas von Massilia hatte die Reihe angefangen. Am vorläufigen Ende, vom Ruhm umflammt, Nansen. Wie immer Andrées Wagnis ausgehen sollte – sein Name würde neben den Namen von Cabot, Hudson, Barents, John Ross, Franklin, de Long stehen – den Namen aller, die als Sieger oder Besiegte versucht hatten, Buchstaben um des Wortes ‚Unerforscht’ im Norden der Welt auszulöschen. Mit seinem Wagnis begann, er ahnte es, eine neue Epoche der Polarforschung. Schiffe und Schlitten würden bald überflüssig sein. Die Arktis wurde fortan ohne Opfer aus der Luft überwunden. Er war der erste.“

So gesehen könnte man, dem Großen Bären am nördlichen Nachthimmel folgend, im Polarstern vielleicht Andrées Antlitz entdecken.

 

 

 

Louis Braille

* 4.1.1809 in Coupvray, † 6.1.1852 in Paris, französischer Erfinder

 

Als Dreijähriger hatte sich Louis Braille mit einer Ahle aus der Sattlerwerkstatt seines Vaters an einem Auge verletzt. Das Auge entzündete sich und das andere erkrankte dann auch, so der fünfjährige Louis vollständig erblindete.

Der kleine Louis konnte sich jedoch nicht damit abfinden, Geschichten fortan nur noch vorgelesen zu bekommen und begann über eine Schrift für Blinde nachzugrübeln.

Als Zehnjähriger besuchte er eine Blindenschule und lernte einen einfache, für eine blinde Pianistin erfundene Verständigungsmöglichkeit mittels eines Setzkastens kennen, als Elfjähriger die von einem Artillerieoffizier erfundene „Nachtschrift“. Als Sechzehnjähriger hatte Louis Braille seine Punktschrift vollständig entwickelt.

Die Anerkennung und Nutzung dieser genialen Erfindung brauchte jedoch Zeit. Als Siebenundzwanzigjähriger übertrug Louis Braille Texte des blinden Dichters John Milton und versuchte diese Umsetzungen öffentlich vorzutragen. Man glaubte aber, er habe die Milton-Gedichte samt und sonders auswendig gelernt, las nicht von Blatt. Zudem verbot der neue Direktor der Pariser Blindenschule die Anwendung Brailles Schrift, da er meinte, Blinde würden sich durch eine Schrift, die Sehenden unbekannt sei, isolieren.

Erst als Louis Braille 41 Jahre alt war, erfuhr die von ihm erfundene Schrift die offizielle Anerkennung in Frankreich. Die internationale Anwendung der Brailleschrift erlebte er allerdings nicht mehr. Louis Braille starb zwei Tage nach seinem 43. Geburtstag an Tuberkulose.

 

 

 

Jonathan Briley

* 1958, † 11.9.2001 in New York, amerikanischer Toningenieur

 

2977 Menschen kamen infolge der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center ums Leben. Wer am 11. September 2001 den Fernseher eingeschaltet hatte, wird die live Bilder dieser Terrorattacken sein Leben lang nicht mehr vergessen können.

Und wohl auch nicht ein Foto, dass ein Reporter an diesem Tag, der die Welt verändern sollte, um 9:41:15 aufnahm: 18 Minuten bevor der Südturm in sich zusammensackte, stürzte sich ein Mann – dem 200 folgen sollten – aus einem Fenster der durch das Flammeninferno abgeschnittenen oberen Stockwerke – und fiel und fiel…

Sehr wahrscheinlich war dieser Mann Jonathan Briley. Der Toningenieur Jonathan Briley, dessen Bruder Alex Gründungsmitglied der legendären „Village People“ war, hatte an diesem Vormittag in einem Restaurant im 106./107. Stock des World-Trade-Centers gearbeitet.

Und verzweifelt wusste Jonathan Briley schließlich keinen anderen Ausweg mehr, als zu springen, 400 Meter in die Tiefe…

 

 

 

Bruegel, Pieter (der Ältere)

* 1526 in Bree, Flandern, † 9.9.1569 in Brüssel, niederländischer Maler

 

Stimmiger als Walter Bauer in seinem Gedicht „Bruegel: Die Blinden“ dürfte das niederländische Malergenie wohl kaum ins Bild zu setzen sein:

 

Der Zug sechs blinder Bettler quer durchs Bild

Nach unten fallend; Fall ist nicht zu ändern,

Der Blinde, Blindem folgend, stürzt unweigerlich.

Ein schöner Tag; doch was man sieht, ist Fall.

Soweit das Bild. Ein Testament. So letzte Worte werden

Am Ende, nicht am Anfang, aufgezeichnet und signiert.

Bald danach stirbt er. 1569. Genosse in der Zeit

Von Rabelais, Montaigne, Shakespeare: Sehenden. So er.

Die Zeit knirscht zwischen Alt und Neu unübersichtlich

Und will, in Furcht und Hunger, Unbekanntes. –

Doch vor dem Bettlerbild ist anderes:

Der ganze Bruegel und sein Inventar in Flandern:

In der Welt.

 

Ikarus ist gestürzt, und keiner hat’s gesehn,

Der helle Tag wird nicht von einem Fleck getrübt.

Der Turm von Babel wächst, wie Bäume in den

Himmel wachsen: doch ist dafür gesorgt, daß sie’s nicht tun.

Die Kreuzigung sieht wie ein Volksfest aus, nicht irgendwo:

In Flandern; doch wer stirbt, wird kaum bemerkt.

So auch der Kindermord, die Zählung zu Augustus’ Zeit,

Alles auf satter, voller Erde: Bruegels Grund: in Flandern,

Auch wenn da Hügel oder Berge sind, der Maler

Hat sie versetzt und spielt den Schöpfer à la mode.

Die Jahreszeiten gehen durch die Zeit des Jahres hier,

Frucht wird geborgen, goldne Haut des Korns geschnitten,

Zu Mittag strecken sich die Mäher unterm Baume aus.

November sieht die Trift der Kühe heim: Jäger und Hunde

Freun sich auf Wärme: Kindern wird Wintertag

 

Zu eisigem Frühling, Fluß zu knirschend kalter Bahn.

Die Bauern tanzen dröhnend, Bänke biegen sich, das

Füllt sich, schmatzt, stößt auf, schnallt sich den Gürtel los.

Das ist die Welt. Gut, daß sie ist und so ist. Heut’ger Tag

Liegt zwischen gestern und dem Kommenden, auch wenn

Der Himmel schwarz und spanisch ist und Köpfe rollen

(Egmont, Horn). Alles ist Narrheit, alles eitel, weil

Alles Leben ist, Spiel wie von Kindern, ernsthaft, ohne Lachen,

Sprichwörter, denen jeder folgt, obgleich er sie durchschaut; Durchschauen hilft nicht, mitgefangen, mitgehangen.

Die Vollgefreßnen liegen faul im Überfluß: Schlaraffenland.

Die „tolle Grete“ und ihr Fraunvolk zögern nicht,

Die Hölle selbst zu plündern; arme Teufel, durchgewalkt; Besessene Gier kennt nur das Unmaß. Dann kommt Tod, Scharen von Toten, Abfall, Aas, Verwesung, schwarzer Triumph,

Der alles gleichmacht. Nenn das Ernte. –

Dies alles Bruegels Inventar in Flandern in der Welt.

 

Und dann, an einem schönen Tag im schönen Flandern,

Der Himmel ganz leicht blau von sanftem Licht, die Erde ruht,

So still, der Aufschlag einer Frucht, die fällt, würde gehört,

Da kommen sie, sechs Bettler, blind, ein Augenloser führt sie.

So jeden Tag; so diesen. Ihm vertraun sie blindlings;

So auch vertrauen sie einander, und die Hand,

Die sie auf Vordermannes ungesehne Schulter legen,

Gefühlt, doch nie erblickt, bindet zu Sicherheit und Wärme.

Sie vertraun dem ersten. Seine Dunkelheit kennt noch           Entfernung,

Wärme ist: Dorf. Wind heißt: das Freie. Regen ist:

 

Schutzlosigkeit, Schnee: alles kalt und still. Doch ihm

     vertraun sie,

Als sähe er, was er nicht sieht. Er sieht nicht. Plötzlich

     stürzt er.

Nähe heißt: Bach; doch fällt er tiefer. Hier beginnt es.

Der Sog beginnt. Der zweite hat den Halt am Stock verloren, Stürzt über ihn und zieht an seinem Stab den dritten nach,

Der weiß noch nicht, er strengt sich an zu wissen:

Da ist was – was? – wie leicht es Sehende haben! …

Der ihm die Hand auf nur gefühlte Schulter legt, verhält,

Zögert und denkt: da ist Bewegung, die zieht mich – O er

möchte sich

Die leeren Augen aus dem Kopfe sehen – könnte er!

Dann wäre alles gut. So ist’s noch für die letzten, fünft- und

sechsten,

In guter Hut noch, unbesorgt (beinah), die Botschaft hat sie Noch nicht erreicht: auch ihnen ist Fallen zugedacht.

Vom ersten bis zum letzten fließt die Woge aus,

Vom letzten bis zum ersten wächst sie in der Finsternis.

Alles in großer Stille und an einem schönen Tag, die Erde ruht,

Und wer im Licht geht und das Licht sieht, hat es gut

(Jedoch man möchte wissen, ob die Sehenden mehr sehn).

So still; der Aufschlag einer Frucht, die fällt, würde gehört,

Doch hat der Fall der blinden Bettler nichts am Tag verstört.

Die Erde hört und seiht nicht. Oder doch? Dann sieht sie

     ungerührt,

Wie Blinde fallen müssen, die ein Blinder führt.

Geduld: sie werden von dem Sturz, den sie getan, schon

      wieder aufstehn,

Sich sammeln, Staub abstreifen und im Dunkeln weitergehn.

 

 

 

Jan Hus

* 1.7.1372 in Husinec u Netolic, † 6.7.1415 in Konstanz, böhmischer Reformator

 

Éric Vuillard schreibt. „Jan Hus […] wettert, die Buße gründe weder auf dem Geld des Ablasses, noch auf der Gewalt der Kreuzzüge, noch auf der Macht der Fürsten. […] Es herrscht Aufruhr. Das Volk erhebt sich. Prag lodert. Die Aufrührer werden verfolgt. Die Studenten verkokeln die päpstlichen Bullen, sie selbst werden mit der Axt zerstückelt. Und dann spitzt sich alles zu. Ein Konzil wird einberufen. […] Die besten Kanonisten arbeiten sich an dieser Angelegenheit ab: Ist Hus ein Ketzer? Schauen wir uns mal seine Leber, seine Galle, seine Vorhaut an! J. Er ist einer. Mit Sicherheit. Er hat gesagt, dass sich die Hostie nicht in Fleisch verwandle. Unverzüglich bestellt man ihn nach Konstanz, und dann sperrt man ihn ein und verurteilt und verbrennt ihn. Mit einer Mitra aus Pappe auf dem Kopf fesselt man ihn an den Pfosten. Und dann brennt Jan Hus, erbrennt wie Holz, wie Stroh! Er brennt wie das Herz!“

Jan Hus schrieb in seinem Abschiedsbrief: Das aber erfüllt mich mit Freude, daß sie meine Bücher doch haben lesen müssen, worin ihre Bosheit geoffenbart wird. Ich weiß auch, daß sie meine Schriften fleißiger gelesen haben als die Heilige Schrift, weil sie in ihnen Irrlehren zu finden wünschten.

Jan Hus war beim berüchtigten Konstanzer Konzil als Häretiker verurteilt und hingerichtet worden, obwohl ihm der Kaiser freies Geleit zugesichert hatte. Seine Hinrichtung führte 1419 zum ersten Prager Fenstersturz und löste die Hussitenkriege aus, die 15 Jahre andauern und nicht nur Böhmen und Mähren, sondern auch Nachbarländer verwüsten sollten. Fünf Kreuzzüge wurden gegen seine Anhänger, die Taboriten, entsandt, die schließlich in der Schlacht von Křeč dem böhmischen Landeshauptmann endgültig unterlagen.

Anlässlich des 500. Todestages von Jan Hus wurde auf dem Altstädter Ring in Prag ein monumentales Denkmal eingeweiht, anlässlich seines 600. Geburtstages unter dem Motto „Jan Hus – Weg zur Versöhnung“ Statuen Husinec u Řeže, Kozí Hrádek bei Tabor, Lidice und Konstanz.

 

 

 

Grete Meisel-Heß

* 18.4.1879 in Prag, verheiratet: Gellert, † 18.4.1922 in Berlin, österreichische Schriftstellerin

 

Im Alter von 21 Jahren begann Grete Meisel-Heß, die dem „Bund für Mutterschutz“ nahestand, zu publizieren, beschäftigte sich mit der Emanzipation der Frau, kritisierte die herrschende Sexualmoral als Doppelmoral und bezeichnete Prostitution als Auswirkung der sozialen Unfreiheit.

Im Alter von 29 Jahren ging sie nach Berlin und glaubte gegen Ende ihres Lebens, sie könne das Haus nicht mehr verlassen, da „Geister darauf lauerten, sie umzubringen“. Grete Meisel-Heß wurde in die Charité eingeliefert und starb an ihrem 43. Geburtstag.

 

 

 

 

Ignáz Mihályi

* 1843 in Kalocza, † 1886 ebd., ungarischer Komponist

 

Ignáz Mihályi hinterließ vor allem ein Werk: „A Balaton háborgása“, op.4 – „Sturm auf dem Plattensee, das allerdings so nachhaltig, dass sich sogar eine Anekdote darum rankt:

„Gräfin Anastasia war eine leidenschaftliche Pianistin, die ihr Können gerne in Gesellschaften zeigte. Während eines Festes geriet sie jedoch in eine peinliche Situation, weil sie – aufgrund übermäßigen Verzehrs gastreibender Nahrungsmittel – den Wind nicht zurückhalten konnte. Damit das Geräusch des Druckablasses übertönt werden könnte, setzte sie sich kurzerhand ans Klavier und gab das Stück Sturm auf dem Plattensee von Ignáz Mihályi zum Besten. An der lautesten Stelle ließ sie einen fahren, niemand hörte etwas. Das Konzert war ein großer Erfolg, Beifall und Klatschen, doch wunderten sich die Anwesenden über den bestialischen Geruch, der danach im Raume hing.

Nachdem man die Fenster geöffnet hatte, konnte die Feier fortgesetzt werden. Dummerweise stellten sich bei Gräfin Anastasia nach einer halben Stunde dieselben Symptome ein, so dass sie sich wieder ans Klavier setzte und das rauschende Werk erneut spielte – für diejenigen, die beim ersten Mal verspätet waren und nicht hatten zuhören können. Wieder ging alles glatt, niemand schien etwas bemerkt zu haben, nur der unangenehme Geruch lag wieder in der Luft.

Als dann nach einer weiteren halben Stunde die Gräfin Anstalten machte, sich abermals ans Klavier zu setzen, ergriff Graf Gyula Andrássy, ein enger Vertrauter der Kaiserin Sissi, das Wort: ‚Gräfin Anastasia, Sie haben uns diesen Abend schon zweimal mit ihrem wunderbaren Klavierspiel eine große Freude bereitet. Spielen Sie doch das Stück ‚Sturm auf dem Plattensee‘ noch einmal. Aber diese laute Stelle in der Komposition, wo der Blitz in die Latrine schlägt, lassen Sie bitte diesmal aus.’“ (Wikipedia)

 

 

 

Christian Otto Josef Wolfgang Morgenstern

* 6.5.1871 in München, † 31.3.1914 in Untermais, Südtirol, deutscher Dichter

 

„Morgenstern Leben war kurz. Frühes Kranksein, langwierige Liegekuren verstärkten zwar seine grüblerische Sensibilität, schärften zugleich aber Blick und Sinn, selbst im alltäglichen Gleichmaß steriler Umgebung das phantastisch-groteske Dahinter zu entdecken. Im vieldimensionalen Spielraum seiner poetischen Welt verdichteten sich Zeitgeist und Ungeist, militanter Machtwahn und Kleinbürgerrausch, Lebensangst und Philistertum, oft zwischentönig spottend und immer mit hoher Wortkunst und Musikalität, zu bildkräftiger Symbolik. Morgenstern zielte kaum direkt, erspielte – und traf, Wahrscheinlichkeit des Zufalls voraussetzend: ins Schwarze, Doppelbödige, Untergründige, den Schatten der Dinge“, urteilte der Schriftsteller Johannes „Jo“ Schulz.

 

Das Perfekt und das Imperfekt

     tranken Sekt.

Sie stießen aufs Futurum an

(was man wohl gelten lassen kann).

Plusquamper und Exaktfutur

     blinzten nur.

 

 

 

Eike von Repgow

* zwischen 1180 und 1190 in Regow, † nach 1233, deutscher Autor

 

Irritiert war ich in der Nachwendezeit als ich hörte, die Volkshochschule einer großen sächsischen Stadt biete den Kurs an: Wie verlerne ich mein Sächsisch? Klar, das meinte den Dialekt, zielte aber selbstredend aufs Ganze.

So begann ich als Stadtschreiber in der Merseburger Volkshochschule Stadtführer auszubilden. Ja, Besucher (möglichst aus der ganzen Welt), doch auch Einheimische und nicht zuletzt Lehrer und Schüler sollten hören, worauf wir hier stolz sein können, was uns Kraft, was uns Identität gibt: die große Geschichte, die Literatur, die Sprache…

Und im ganzen Land (und darüber hinaus) begann ich Schreibworkshops (vor allem) für Schüler zu leiten, forderte zur eigenen, zur selbstständigen Auseinandersetzung mit Chancen eröffnenden Erbe auf, bot dabei als Basis für Eigenes, für Neues, für Veränderndes neben den Merseburger Zaubersprüchen auch Eike von Repgows „Sachsenspiegel“ an: „spigel der saxen Sal diz buch sin genannt, wenn der saxenrecht ist hir an bekant. Als an einem spiegele de vrouwen ire antlitz schouewen…“

Das älteste Rechtsbuch des deutschen Mittelalters, kunstvoll verfasst in (Mittelnieder)Deutsch und nicht in Latein (wie bis dahin bei derartigen Büchern üblich) – frühes Anzeichen der Entstehung eines Nationalbewusstsein.

Spuren Eike von Repgows lassen sich in Mitteldeutschland allenthalben finden: in seinem Geburtsort Reppichau bei Bitterfeld, im Harz, wo er auf der Burg Falkenstein weilte und schrieb, in Dessau oder in Magdeburg, wo Eike-von-Repgow-Denkmale stehen, doch eigentlich überall hierzulande, wo seine Idee, dem Unrecht verständlich entgegenzuwirken, ankam und wirkte.

Gute Chancen also, auf Spurensuche zu gehen und Zeitgenossen wie sich selbst einen Spiegel vorzuhalten – auf Sächsisch schreibend vielleicht sogar.

 

 

 

Rölpe Dorje

* 1340 in Kongpo, † 1383, tibetanischer Karmapa

 

Im Alter von drei Jahren erklärte sich Rölpe Dorje zum Gyalwa Karnapa, zum höchsten Lama der Karma-Kagyü-Schule des tibetanischen Buddhismus.

Er wurde in den speziellen Traditionen unterwiesen und erhielt als Jugendlicher die notwendigen spirituellen Übertragungen. Mit Neunzehn wurde er von Kaiser Toghan Timur nach China eingeladen, wo er drei Jahre lang unterrichtetet und Tempel und Klöster aufbaute.

Rölpe Dorje galt auch als Verehrer der indischen Poesie, verfasste selbst zahlreiche „Dohas – Gesänge der Verwirklichung“ und regte die Schaffung eines riesigen Thangka, eines Rollbild zu Ehren Buddhas, an.

Rölpe Dorje war der 4. Karnapa, seit den 1980er Jahren wirken Orgyen Thrinle Dorje und Trinley Thaye Dorje als 17. Karnapa.

 

 

 

Martin Schongauer

* wohl 1448 in Colmar, geannt: Hipsch Martin, † 2.2.1491 in Breisach, deutscher Maler und Kupferstecher

 

Martin Schongauer gilt als einer der bedeutendsten Grafiker vor Albrecht Dürer. Als erster Kupferstecher signierter er seine Werke, von den 116 erhalten sind. Nur wenige seiner Gemälde überdauerten jedoch die Zeitläufte. Als sein malerisches Hauptwerk wird die „Madonna im Rosenhag“ angesehen.

Der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin urteilte: „Wenn aber von Bildklarheit gesprochen werden soll, so ist meiner Meinung nach Martin Schongauer der einzige in diesem Zeitalter, der konsequent daran gearbeitet hat. […] Was man an ihm bewunderte, muß zunächst die Mannigfaltigkeit und die Kraft individuellen Lebens gewesen sein: das reiche Geschehen und der reiche Anblick seiner eng zusammengeschobenen Figuren. Blätter wie der Marientod und die große Kreuztragung sind auch da nachgeahmt worden, wo man für seine Idealität wenig Verständnis hatte.“

Und der Kunsthistoriker Alfred Stange schrieb über Martin Schongauer: „Er gab dem Kupferstich einen neuen Sinn, indem er ihn dem Tafelbild ebenbürtig machte; ebenso groß war seine Leistung als Maler. Sein Weg war weit gespannt, und nur allmählich hat er ihn sich erarbeitet. In den Breisacher Wandbildern aber hat er die Freiheit, die Dürer der deutschen Kunst in Erfindung wie Gestaltung geschenkt hat, entscheidend vorbereitet.“

Und über Schongauers „Madonna im Rosenhag“ sagte der Museumsdirektor Max Geisberg: „Der große Ernst der Darstellung, der durch den lieblichen Reichtum der Vegetation gemildert wird, zeigt bei der Mutter wie dem Kinde eine nach rechts und links sich verteilende, dem gedachten, vor dem Bilde in der Kirche knieenden Betern sich zuwendende Aufmerksamkeit. Das Gemälde ist die deutsche Sixtinische Madonna.“

 

 

 

 

Ahmet Kaya

* 28.10.1957 in Malatya, Türkei, † 16.11.2000 in Paris, kurdischer Sänger

 

Ahmet Kaya veröffentlichte zeitlebens 17 Alben, vier erschienen postum. Er war als Sänger sehr erfolgreich und beliebt, doch dann sollte er 1999 als „Staatskünstler“ der Türkei ausgezeichnet werden. Und während der Auszeichnungsgala sagte er, dass er Kurde sei, auf seinem nächsten Album ein kurdisches Lied singen und den Preis auch im Namen der „Samstagsmütter“ entgegennehmen werde, die seit 1995 bei Demonstrationen immer wieder nach dem Verbleib von in Polizeihaft verschwundenen Personen nachfragten.

Daraufhin wurde er von anwesenden türkischen Prominenten angefeindet, eine Journalistin beschimpfte ihn sogar als „Sünnetsiz pezevenk – unbeschnittener Zuhälter“.

Ahmet Kaya versuchte sich zu verteidigen: Ich gab überall und immer kund, dass ich daran glaube, dass Türken und Kurden tausend Jahre friedlich zusammenlebten, und dass dies auch Tausende Jahre so fortfahren wird. Aber ich gab auch schon sehr lange kund: „Wir werden dieses Land niemals trennen“.

Nun bewarf ihn eine türkische Sängerin mit Messer und Gabel und ein türkischer Sänger intonierte: „In dieser Epoche gibt es weder Sultan noch Padischah. Die Türkei ist auf dem Weg Atatürks! Dieses Vaterland gehört uns, nicht anderen!“

Um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, floh Ahmet Kaya nach Paris, wo er im Jahr darauf infolge eines Herzinfarkts starb.

 

 

 

Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg

* 5.2.1688 in Merseburg, † 21.4.1731 ebd., sächsischer Herzog

 

Kann sein, Moritz Wilhelm, der Geigenherzog, strebte schon von klein an nach Großem. Mit sechs Jahren Herr eines Landes, durfte er jedoch längst nicht regieren, stand unter Kuratel des Kurfürsten August des Starken sowie seines Oheims August zu Sachsen in Zörbig. Die eigentliche Regentin des Herzogtums Sachsen-Merseburg war in der Kindheit und Jugend des Geigenherzogs aber offenkundig die Mutter Moritz Wilhelms, war die Herzogin Erdmuthe Dorothea. Da blieb dem kleinen Herrn wohl bestenfalls zu bestimmen, ob er lieber Gambe oder Bratsche spielen lernen wollte.

Und zu seinem achtzehnten Geburtstag wurde Moritz Wilhelm längst nicht aus der Vormundschaft entlassen, nein, selbst mit einundzwanzig galt er noch als unmündig. Zwar gab es Pläne, Bittsteller zum Kurfürsten August zu entsenden, der offenbar auch in Merseburg starker Mann bleiben wollte, doch konnte man sich am Merseburger Hofe nicht einigen, wer nach Dresden oder womöglich gar nach Warschau fahren sollte und wie viel Taler eine solche Reise kosten dürfe. Sollte darüber etwa Moritz Wilhelm entscheiden? Wie denn!

Mit dreiundzwanzig schien Moritz Wilhelm dann aber des ewigen Gambeübens überdrüssig. Auch die kleinen Konzerte mit seiner Hofkapelle vermochten ihn wohl nicht mehr so recht zu befriedigen. Kurz entschlossen heiratete er Henriette Charlotte von Nassau-Idstedt und trat mit seiner achtzehnjährigen Gemahlin umgehend eine Hochzeitsreise an, die aber eher einer Flucht aus seinem Herzogtum gleichkam. Erst im Jahr darauf, erst als August der Starke den wirklichen Regierungsantritt Moritz Wilhelms nicht länger verhinderte, kehrte er nach Merseburg zurück. Nun aber setzten langwierige Verhandlungen mit den Merseburger Domherren ein, die seit alters her den Administrator über das Hochstift zu bestätigen hatten…

Wahrlich, Moritz Wilhelm hatte allen Grund, Größe zu beweisen. Und wie gelänge das besser, als dass man sich eine Bassgeigensammlung zulegte? – Bassgeige, größtes aller Streichinstrumente… Ja, wie erreichte doch das herzogliche Gambenspiel durch die Begleitung zahlreicher Bässe völlig neue Dimensionen! Alsbald nannte der Geigenherzog siebzig Kontrabässe sein eigen. Barock.

Selbst solch eine Sammlung musste aber noch nicht der Gipfel des Erreichbaren sein. Warum sollte das größte Streichinstrument nicht noch größer ausgeführt werden können? Natürlich eine Riesen-Bassgeige musste her!

Während einer Reise durch die herzoglichen Erblande an Oder und Spree entdeckte Moritz Wilhelm in Guben tatsächlich ein derartiges Instrument, acht Gubensche Ellen groß! Vorgeblich die größte Bassgeige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation… Die Verhandlungen mit den Gubener Ratsherren erwiesen sich jedoch als sehr zäh. Mal gab es diesen, mal jenen Einwand gegen die Veräußerung. So ließ denn der Baron der Domäne Lübbenau, wohl um dem Geigenherzog untertänigst zu Gefallen sein zu können, in Markneukirchen eine fünfzehn Ellen große Riesen-Bassgeige eigens anfertigen.

Und im Jahre 1721 war es dann soweit: das vom Stachel bis zur Wirbelschnecke gut viereinhalb Meter messende Instrument traf in Merseburg ein. Was für eine Sensation! Den Domherren und den Stiftsbeamten, überhaupt allen etwaigen Zweiflern an der Größe Moritz Wilhelms, dürften die Ohren geklungen haben.

Gespielt werden konnte dieses gigantische Instrument jedoch nur vom Sohn des Erbauers. Kein Problem an und für sich, selbstverständlich stellte der Geigenherzog den jungen Mann bei Hofe an. Allerdings wurde der Riesen-Bassgeigenspezialist in Kursachsen wegen Fahnenflucht gesucht, und nachdem man ihn dann tatsächlich aufgespürt und verhaftet hatte, schien es jäh vorbei mit der Merseburger Riesen-Bassgeigenherrlichkeit. Nun aber setzte sich Moritz Wilhelm konsequent gegen August den Starken durch, verhinderte die Auslieferung seines Wunderbassisten, erwirkte letztlich sogar dessen Begnadigung.

Im Jahr darauf gaben schließlich sogar die Gubener ihre Riesen-Bassgeige samt zugehöriger Spieltreppe und Bassisten frei. Was für Konzerte müssen danach in Merseburg zu Gehör gebracht worden sein!

Und offenbar wurde eine weitere Schrulle Moritz Wilhelms über die Grenzen seines kleinen Herzogtums hinaus bekannt: Sonntag für Sonntag nahm er seine Gambe mit in den Dom. Gefiel ihm eine Predigt-Passage ausnehmend gut, ertönte aus der Fürstenloge ein Schrumm-Schrumm. Für jedes Schrumm-Schrumm verzeichnete ein Lakai einen Strich in einer eigens hierfür vorbereiteten Kladde. Schrumm. Am Ende des Gottesdienstes standen dem Hofprediger dann stets so viele Flaschen Merseburger Weines zu, wie sich Striche auf der Kladde befanden. Wohl bekomm’s – schrumm-schrumm, schrumm-schrumm

Ohne Zweifel beförderte die Leidenschaft des Geigenherzogs jedoch das musische Klima in Merseburg. In seiner Regierungszeit wurde die Domorgel beträchtlich erweitert und Johann Friedrich Kauffmann Domorganist. Johann Christian Friedrich Förster, den immerhin Johann Sebastian Bach so sehr schätzte, dass er eine Förster’sche Ouvertüre eigenhändig kopierte, ernannte Moritz Wilhelm zum Hofmusicus und –komponisten. Johann Joachim Quantz, der spätere Hofflötist Friedrich des Großen, erhielt derzeit seine Ausbildung in Merseburg. Johann Gottlieb Graun, den Lehrer Wilhelm Friedemann Bachs, berief Moritz Wilhelm zum Hofkapellmeister. Und auch für die Entwicklung des Theaters dürfte der Geigenherzog einiges getan haben. Durch seinen Hofbaumeister Johann Michael Hoppenhaupt ließ er die Spielstätte Schlossgartensalon errichten, in der dann möglicherweise sogar die Neuberin gastierte. Unter dem Geigenherzog erlebte Merseburg eine kulturelle Blüte.

Dabei hatte Moritz Wilhelm stets sparsam gewirtschaftet. Nach seinem Tode fand man die herzoglichen Kassen, die Getreidespeicher sowie die Weinkeller wohlgefüllt. Nachkommen jedoch hinterließ der Geigenherzog nicht.

 

 

 

Max Reger

* 19.3.1873 als  Johann Baptist Joseph Maximilian Reger in Brand, Oberpfalz, † 11.5.1916 in Leipzig, deutscher Komponist

 

Max Reger schrieb in einem Brief an einen Freund: Meine Orgelsachen sind schwer, es gehört ein über die Technik souverän herrschender geistvoller Spieler dazu […] Man macht mir oft den Vorwurf, dass ich absichtlich so schwer schreibe; gegen diesen Vorwurf habe ich nur eine Antwort, dass keine Note zuviel darin steht.

Max Reger verfasste von seinen frühen Schaffensjahren, die er seine „Sturm- und Trankzeit“ bezeichnete, bis zu seiner späten Schaffensperiode im „freien Jenaischen Stil“, zahlreiche Kompositionen für Orgel, Harmonium, Klavier, Violine, Orchester, Soloinstrumente mit Orchester, Kammermusik und Vokalwerke. Die Ausgabe seiner sämtlichen Werke umfasst immerhin 38 Bände.

Max Reger wirkte in Leipzig als Universitätsmusikprofessor, in Meiningen als Hofkapellmeister und lebte zuletzt in Jena. Nach einem abendlichen Gaststättenbesuch mit Freunden starb er im Leipziger Hotel „Hentschel“ an Herzversagen.

Der Komponist Paul Hindemith sagte später in einem Gespräch „Max Reger war der letzte Riese in der Musik. Ich bin ohne ihn gar nicht zu denken.“

1990 wurde ein Asteroid nach Max Regere benannt.

 

 

 

Tupac Amaru II.

* 19.3.1738 als José Gabriel Condorcanqui Noguera in Tinta, † 18.5.1781 in Cusco, peruanischer Freiheitskämpfer

 

Als die Repressalien der spanischen Kolonialherren gegen die indigene Bevölkerung Perus zunahmen, erklärte sich der einheimische Großgrundbesitzer José Gabriel Condorcanqui Noguera zum Erben des Inkareiches, nannte sich in Erinnerung an den letzten Inkaherrscher Tupac Amaru, von dem er vorgeblich abstammte, Tupac Amaru II., und rief zum Kampf gegen die Spanier auf.

Den ersten ernsthaften Widerstand Indigener seit mehr 200 Jahren schlugen die Kolonialtruppen jedoch rasch nieder. Tupac Amaru II. wurde verraten, vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und schließlich auf der Plaza de Armas in Cusco, wo seinerzeit der letzte Inkaherrscher Amaru geköpft worden war, gevierteilt.

 

 

 

Jan Vermeer

* (getauft) 31.10.1632 als Joannis van der Meer in Delft, † (begraben) 15.12.1675 ebd., holländischer Maler

 

„Trotz der Rolle, die Vermeer als Künstler, aber auch als Kunsthändler, Bürger und eben als Vorsitzender der Lukas-Gilde zu Lebzeiten in Delft gespielt hat, ist über seine Biographie ausgesprochen wenig bekannt. Genauso rätselhaft sind zwei Eigenschaften seines alles überragenden Werks: Ersten, dass es insgesamt nur 37 Gemälde umfasst (wovon bei zweien umstritten ist, ob sie von ihm sind), zweitens, dass es keinerlei Zeichnungen, Skizzen, Entwürfe, Übermalungen gibt, was extrem ungewöhnlich ist“, schreib Harald Welzer. „Das Bild hinter dem Bild. Ich glaube, darum ging es Vermeer, und so etwas kann man in einigen Werken erreichen, aber sicher nicht in 150 oder 200. Und gewiss erfüllen Skizzen und Zeichnungen nicht diesen Anspruch. Deshalb wird der Künstler mit dem Erreichen einer Meisterschaft, die seinen eigenen Ansprüchen genügte oder eine Näherung an diese Ansprüche darstellte, aufgehört haben, weiter zu malen. Er wird überdies Vorarbeiten seines Werkes vernichtet haben, und vermutlich auch Spuren und Dokumente seines Lebens, anders kann man nicht erklären, dass man über seine schon zu Lebzeiten so bedeutende Person so gut wie nichts weiß. Das Motiv dafür könnte sein, dass er der Auffassung war, dass die Zufälligkeiten und Bedingungen des Lebens des Malers mit dem absoluten Bild nichts zu tun haben und von ihm nur ablenken. Es gibt in diesem Sinn bei Vermeer das Bild hinter dem Bild, aber kein Bild vor dem Bild. […] Und ist es nicht eine großartige Absicht, ein letztes Bild zu malen, ein letztes Stück zu komponieren, ein letztes Buch zu schreiben […]. Aufhören sichert das Erreichte, Weitermachen banalisiert es.“

Sicher ist: Jan Vermeer kam in Delft als Sohn eines Gastwirts auf die Welt. Im Jahre 1653 heiratete er Catharina Bolnes und wurde er Freimeister der Lukas-Gilde, einer zunftartigen Bruderschaft von Malern, Bildschnitzern und Buchdruckern. Mit seiner Ehefrau hatte er 15 Kinder, von denen allerdings vier früh verstarben. 1662, 1663, 1670 und 1671 wirkte er als Dekan der Lukas-Gilde. Infolge des 1672 ausgebrochenen niederländisch-französischen Krieges konnte Jan Vermeer offenbar keine Bilder mehr verkaufen und er musste Kredite aufnehmen, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Ende 1675 erkrankte Jan Vermeer schwer und starb innerhalb weniger Tage. Zur Abtragung seiner Schulden musste seine Frau auf ihr Erbrecht verzichten und es den Gläubigern übertragen.

Zu seinen bekanntesten Gemälden zählen: „Bei der Kupplerin“, „Briefleserin am offenen Fenster“, „Herr und Dame beim Wein“, „Dienstmagd mit Milchkrug“, „Ansicht von Delft“, „Lautenspielerin am Fenster“, „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“, „Die Spitzenklöpplerin“ und nicht zuletzt „Die Malkunst“.

Der Kunsthistoriker Norbert Schneider meinte 2008: „Wir wissen heute, dass Vermeer bei den meisten seiner Bilder Gebrauch von der Camera obscura gemacht hat, und zwar in einer Weise, die die Konditionen dieses Mediums nicht verhehlt, sondern geradezu sichtbar macht, wie an den Randunschärfen und Lichtpunkten, dem berühmten ‚Pointillé‘ zu erkennen ist. Die Bilder erhalten bei ihm auf diese Weise eine ‚abstrakte‘ Qualität, da sie nicht vorgeben, die Wirklichkeit so, wie sie ist, wiederzugeben, sondern so, wie man sie sieht, […] Man kann sagen, dass die ‚Camera obscura zu einer Quelle des Stils‘ wird.“

Und Vincent van Gogh schrieb in einem Brief: „Es stimmt, dass man in den paar Gemälden, die er gemalt hat, die ganze Farbtonleiter finden kann.“

 

 

 

Anton Ažbe

* 30.5.1862 in Gorenja vas-Poljane, Oberkrain, † 6.8.1905 in München, slowenischer Maler

 

Wassily Kandinsky sagte: „Anton Azbe war ein ganz kleiner Mann mit großem, in die Höhe gekämmtem Schnurrbart, mit großem Hut und langer Virginia im Mund, die oft ausging und mit der er manchmal die Zeichnungen korrigierte. Äußerlich war er sehr klein, innerlich sehr groß begabt, klug, streng und über alle Grenzen gütig.“ Kandinsky war wie Alexej Jawlensky Schüler Ažbes Münchner Malschule. Insbesondere in Russland genoss diese 1901 gegründete Schule hohes Ansehen. Und Igor Emmanuilowitsch Grabar, ein weiterer russischer Ažbe-Schüler, meinte: „Auch war Azbe selbst der beste von allen als Pädagoge und Mensch, und angeblich zeichnete in München niemand besser als er.“ Und diese Anstalt besuchten auch Maler aus Deutschland, Frankreich, Polen, Österreich-Ungarn, Rumänien, der Schweiz und aus den USA.

Doch dann erkrankte Anton Ažbe an Kehlkopfkrebs, begann zu trinken und verfiel zusehends. Kandinsky notierte: „Wie er ausschaut! Die Nase bläulich rot angeschwollen, mit gelben Pickeln; unter den Augen hängen dunkelblaue Säcke, und die schläfrigen Augen schauen noch trauriger als früher. Die Gerüchte um den Niedergang seiner Schule nahmen zu [...] Wie schade um ihn.“

Anton Ažbes starb im Alter von 43 Jahren schwer erschöpft nach einer Kehlkopf-Operation.

Im Jahr 2004 wurde im Münchner Leopoldpark ein Denkmal für Anton Ažbe eingeweiht.

 

 

 

Faisal Arefin Dipan

* 12.7.1972 in Dhaka, †31.10.2015 ebd., bangladeschischer Herausgeber

 

Acht Islamisten brachten den Herausgeber Faisal Arefin Dipan in den Räumen seines Verlages „Jagriti Prokashoni“ grausam ums Leben, sie zerhackten ihn mit Macheten. Vor allem zwischen 2013 und 2016 kam es in Bangladesh immer wieder zu dschihadistischen Exzessen, dem auch der Autor Avijit Roy, dessen Bücher Faisal Arefin Dipan veröffentlicht hatte, zum Opfer fiel.

Der Staatsanwalt im Prozess gegen die Mörder Dipans, die alle zum Tode verurteilt wurden, sagte: „Ihr Ziel war es, die Stimmen der Menschen mundtot zu machen, indem sie Blogger, Schriftsteller und Verleger ermorden. Sie wollten die öffentliche Sicherheit stören, indem sie Panik unter den Menschen erzeugen.“

Der Verleger Ahmed Rahim Tutal, der am gleichen Tage wie Dipan angriffen wurde, doch glücklich überlebte, schrieb an die Teilnehmer an der Jahreskonferenz der International Publisher Association: „Wenn Faisal Arefin Dipan heute noch am Leben wäre, würde er eine wichtige Rolle bei dieser Konferenz spielen. Aber weil er freigeistige Bücher veröffentlicht hat, haben ihn islamistische Fundamentalisten getötet. Ich fordere alle meine Verlegerfreunde auf, weiterhin die Werke von Freidenkern zu veröffentlichen. Ich glaube, das ist die beste Antwort an die Fundamentalisten.“

 

 

 

Alexander Nikolajewitsch Skrjabin

* 6.1.1872 in Moskau, † 27.4.1915 ebd., russischer Pianist und Komponist

 

Alexander Skrjabin ordnete den Tönen Farben zu: C – Rot, G- Orange, D – Gelb, A – Grün, E – Hellblau, H – Mittelblau, F# - Blau… und so im Quintenzirkel und Farbkreis weiter. Fantastisch, wie die entsprechend eingefärbten Tasten eines Klaviers aussähen, fantastisch.

Tatsächlich sieht die Partitur seines letzten vollendeten Orchesterwerkes „Prométhée. Le Poème du feu“ eine separate Stimme für ein noch zu konstruierendes spezielles Farbenklavier vor. Das war allerdings zu seinen Lebzeiten bestenfalls unvollständig realisierbar, immerhin hatte sich ein Moskauer Chemiker an einem Lichtklavier versucht, das bei privaten Aufführungen vielleicht sogar zum Einsatz kam. Erst mit heutiger, mit moderner Lichttechnik sind adäquate „Prométhée“-Aufführungen möglich.

Alexander Skrabin starb weinige Tage nach der New Yorker Uraufführung von „Prométhée. Le Poème du feu“ – immerhin mit Lichteffekten – an einer Blutvergiftung.

Dabei wollte er sogar noch weiter, viel weiter: Alexander Skrjabin beschäftigte sich mit einer alle Sinne ansprechenden Symphonie, eines „Mysteriums“ aus Ton, Wort, Farbe, Duft, Berührung, Tanz und bewegter Architektur. Dieses Gesamtkunstwerk wollte er in Indien unter einer eigens zu bauenden Halbkugel für 2.000 Mitwirkende so lange aufführen, bis die gesamte Menschheit dieses „Mysterium“ erlebt hätte, so in kollektive Ekstase versetzt und auf eine höhere Bewusstseinsebene gehoben worden wäre…

 

 

 

Hans von Dohnanyi

* 1.1.1902 in Wien, † 9.4.1945 im KZ Sachsenhausen, deutscher Widerstandskämpfer

 

Hans von Dohnanyi studierte in Berlin Rechtswissenschaften und promovierte 1925 zum Dr. jur. mit dem Thema „Der internationale Pachtvertrag und der Anspruch der Tschechoslowakei auf das Pachtgebiet im Hamburger Hafen“. 1929 begann er im Reichsjustizministerium als persönlicher Referent mehrerer Justizminister zu arbeiten. Wegen seiner zunehmend kritischen Haltung gegenüber der NS-Rassenpolitik wurde er 1938 an das Reichsgericht im brandenburgischen Sacrow versetzt und drei Jahre später entlassen.

1942 verhalf er Berliner Juden zur Flucht in die Schweiz, 1943 beteiligte er sich am Attentatsversuch Henning von Tresckows gegen Hitler und wurde bald darauf festgenommen. 1944 lieferte man Hans von Dohnanyi ins KZ Sachsenhausen ein, wo man ihn im Alter von 43 Jahren ermordete.

 

 

 

 

 

Gerhard Rüdiger „Gundi“ Gundermann

* 21.2.1955 Weimar, † 21.6.1998 in Spreetal, deutscher Liedermacher

 

Ich mache meinen frieden mit dir du grosser gott

Ich nehm' was du mir bieten kannst, leben oder tod

Ich will mich nicht mehr drängeln und will mich nicht verpissen

Und wer mich angeschissen hat will ich auch nicht mehr wissen

So fülle meinen becher ich trink ihn bis zur neige

Nun gib mir schon mein kreuz oder eine geige…

 

Bevor 2018 der Film „Gundermann“ in die Kinos kam, war Gundi Gundermann im Westen Deutschland so gut wie unbekannt, galt im Ostern jedoch vielen als Kult-Figur. Gundi Gundermann, der singende Baggerfahrer.

Politoffizier hatte er werden wollen, weigerte sich dann aber ein Loblied auf den Verteidigungsminister zu singen, kam in die „Braunkohle“, wurde Stasi-Mitarbeiter, da er glaubte , so die Welt verändern zu können, wurde Mitglied der SED, wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ aber alsbald ausgeschlossen, legte sich an, legte sich quer, begann Lieder zu schreiben und zu singen, blieb Baggerfahrer, doch tourte, spielte Platten ein, kandidierte bei den letzten Volkskammerwahlen für die Linke, doch errang kein Mandat, engagierte sich mehr und mehr für den Umweltschutz und äußerte sich kritisch über die sozialen Entwicklungen im Osten.

Gundi Gundermann rauchte nicht und trank nicht. Im Alter von 43 Jahren starb er infolge eines Schlaganfalls.

 

Halte durch wenn's irgendwie geht

Bist doch 'ne kluge Frau

Bist doch ein erfahrner Planet

Wir machen dich zur Sau

 

Adam hat nach dem Apfel geblickt

Du hast ihn freundlich rausgerückt

Wir ham uns auf dir breit gemacht

Am Anfang hast du noch gelacht

 

Wir ham von unsern hohen Rossen

Die Wildbahn zum Highway freigeschossen

Flora ist schon fast K.O.

Fauna stirbt in irgendeinem Zoo…

 

Du mußt uns so lange schlagen

Bis wir lernen bitte zu sagen

Bis wir stolz und glücklich sind

Mit 'nem Appel und 'nem Ei und 'nem warmen Wind

 

Halte durch…

 

 

 

René-Robert Cavelier, Sieur de La Salle

* 22.11.1643 als René Robert Cavelier in Rouen, † 19.3.1687 im heutigen Texas, französischer Entdecker

 

Walter Bauer schrieb das Buch „Folge dem Pfeil – Leben, Traum und Tode des Sieur de La Salle“, vier Jahre nachdem er nach Kanada ausgewandert war; ein Versuch hier heimisch zu werden wohl.

Im Klappentext heißt es: „Abenteuerlust, Pioniersinn, Tatendrang und reiche Phantasie bewogen La Salle, im Jahre 1666 nach Kanada auszuwandern. Oberhalb von Montreal, der vorgeschobenen französischen Siedlung, die das Mündungsgebiet des Ottawa River am St. Lawrence Strom beherrscht, ließ er sich an den Stromschnellen nieder. Drei Jahre später brach er nach Westen auf, stromabwärts fahrend in die Gebiete der Irokesen, die Wildnis der Wälder und Seen. Zwei Jahre lebte er am Ohio unter den Indianern, lernte ihre Sprache und Sitten kennen. Er kehrte zurück, um neue Expeditionen auszurüsten, denn sein Traum war der Vorstoß in das Quellgebiet des Mississippi, um dann diesem mächtigen Flusslauf bis hinab zur Mündung zu folgen. Immer kühner trieb er seine vorgeschobenen Lager in die Wälder vor. Während Ludwig XIV. seine Pläne förderte, fielen ihm die persönlichen Rivalen in der kanadischen Kolonie in den Rücken; aber der tapfere Tonty war sein treuer Gefährte. 1682 erreichte La Salle den Oberlauf des Flusses und folgte ihm bis hinab zum Golf von Mexiko, wo er Louisiana gründete. Auf der nächsten Expedition, die ihn mit mehreren Schiffen in dieses Mündungsgebiet führen sollte, fand er einen gewaltsamen Tod.“

Gut möglich, dass auch diese Zeilen von Walter Bauer stammen, aus dem Exposé für den Desch Verlag vielleicht. Zweifellos schrieb der Exilant Walter Bauer am Ende dieses Buches über La Salle: Er hatte sich der Wildnis gegeben, und die Wildnis hatte ihn aufgenommen.“

 

 

 

Valeriu Marcu

* 8.3.1899 in Bukarest, Pseudonym: Gracchus, † 4.7.1942 in New York City, staatenloser Autor

 

Als Jugendlicher besuchte Valeriu Marcu Lenin in Zürich und bot ihm seine Mitarbeit an. Im Alter von einundzwanzig Jahren zog er nach Berlin. Seine Einbürgerungsanträge wurden von den preußischen Behörden jedoch stets abgelehnt. Mit Sechsundzwanzig löste er sich vom Kommunismus und wandte sich der Konservativen Rechten zu. Ernst Jünger war von Marcus Scharnhorst-Biografie begeistert. Er schrieb auch für Zeitschriften wie die „Literarische Welt“ oder die „Weltbühne“.

Vor den Nazis flüchtete Valeriu Marcu in die Schweiz und nach Frankreich und gelangte schließlich in die USA. In einem Brief hatte er 1938 geschrieben: Ich habe mich für die Judenfrage nie interessiert, weil sie mich nicht interessiert hat. Ich war stets der Meinung, wie ein Dichter [Heinrich Heine] es einmal schrieb, daß Judentum keine Religion, sondern ein Unglück ist. Die konsequente religiöse Fortsetzung des Judentums ist für mich der Katholizismus.

 

 

 

 

 

Christopher Nolan

* 6.9.1965 in Dublin, † 20.2.2009 ebd., irischer Autor

 

Seine Geburt überlebte Christopher Nolan nur knapp, war fortan spastisch gelähmt und stumm und schrieb mit Hilfe eines „Einhorns“, einen an der Stirn befestigten Stachel, mit dem er die Tasten seiner Schreibmaschine anschlug.

Bewunderungswürdig also, wie Christopher Nolan seine Werke verfasste, außergewöhnlich auch seine Sprache. Den Geburtsort der Protagonistin seines 1999 erschienenen Romas „Fünf Felder grün“, beschreibt er beispielsweise so: „Drumhollow, den Kopf im Sand, den Buckel den ganzen Tag in der Sonne, doch drüben auf Humphreys Seite schmiegten sich die alten Häuser aneinander und schielten gierig nach jeder Unze Licht, die der Himmel hergab. Das Dorf bestand aus einer einzigen Straße, einem großen, stämmigen Nichts von einer Straße, auf der die Welt entlangzog, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Für seine Bewohner aber war ihr Weiler eine Weltstadt. Tagein, tagaus atmete er, schmiedete schweigsam seine Pläne und atmete und keuchte vor sich hin als hielte ein Draht die Häuser absichtsvoll zusammen und verschnürte sie zu einem Bündel von Bangen und Begehren, fünfzehn Häuser insgesamt gab es dort auf der Sonnenseite, fünfzehn, und mittendrin der Kleiderladen.“

Mit fünfzehn veröffentlichte Christopher Nolan den Lyrikband „Dam-Burst of Dreams“, der von der Kritik gelobt und mit dem Werk seiner irischen Landsleute William Butler Yeats und James Joyce verglichen wurde. Mit zweiundzwanzig gewann er mit seiner Autobiograhie „Under the Eye of the Clock“ den renommierten Whitnread Award - Seamus Heaney, später mit dem Literaturnobelpreis geehrt, erhielt den Whitbread Award im selben Jahr in der Lyrik-Kategorie.

Die Mitglieder von U2, die mit Christopher Nolan in Dublin zur Schule gegangen waren, widmeten ihm 2004, als er achtunddreißig war, den Song „Miracle Drug“: „I want a trip inside your head / Spend the day there / To hear the things you haven’t said…“

Mit dreiundvierzig starb Christopher Bolan, nachdem ihm beim Essen Nahrung in die Atemwege geraten war.

Die Sterbeszene seiner Fünf-Felder-grün-Protagonistin Minnie leitet er so ein: „Wenn sie mich hätte sehen können, so kurz vorm Tod, sie hätte sich kaputt gelacht. ‚Heilige Muttergottes, Jesses, Maria und Josef, nun sieh sich das einer an’, hätte sie zum Beispiel sagen können. ‚Die ganze Zeit, wo ich alleine hier der Star gewesen bin, haben sie keinen Furz Zeit für mich gehabt, aber jetzt, wo es so weit ist, dass ich keinen Furz mehr hören kann, selbst wenn sie furzen würden, da sind sie plötzlich alle beide da. Und mir geht’s auch viel besser als dem armen Peter, wie der den Löffel hat abgeben müssen, schau doch nur, Heilige Muttergottes…“

 

 

 

Bessie Smith

* 15.4.1894 in Chattanooga, Tennessee, † 26.9.1937 in Clarksdale, Missisippi, amerikanische Blues-Sängerin

 

Bessie Smith, die „Kaiserin des Blues“, die mehr als 150 Schallplatten einsang, die mit Louis Armstrong, Fletcher Henderson, Jack Teagarden und anderen Jazz-Größen spielte, starb durch einen Autounfall.

Über diesen Unfall und ihren Tod gibt es mehrere Versionen. Gesichert scheint: Bessie Smith streifte mit ihrem Wagen in Mississippi einen Lastwagen und ihr Auto überschlug sich. Ihr rechter Arm und ihre Rippen wurden schwer verletzt.

Dann gibt es jedoch unterschiedliche Aussagen: a) Bessie Smith wurde in ein Krankenhaus für Schwarze aufgenommen, ihr rechter Arm wurde amputiert, sie starb einen Tag nach der Operation ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, b) sie wurde am Unfallort von den weißen Chirurg, der sie als Erster am Unfallort war, nicht verarztet und verblutete dort, c) sie starb auf dem Weg ins Krankenhaus, d) mehrere Krankenhäuser für Weiße hatten sie nicht aufgenommen und sie starb auf den Stufen einer dieser Kliniken…

Der letzte, von Bessie Smith aufgenommnen Song, der ein Chart-Erfolg war, hieß: „Nobody Knows You When You're Down and Out“.

Janis Joplin ließ wenige Monate vor ihrem Tod einen Grabstein für Bessie Smith, die anonym beerdigt worden war, setzen: „The Greatest Blues Singer In The World Will Never Stop Singing – Bessie Smith – 1894–1937“.

1980 wurde Bessie Smith in die „Blues Hall of Fame und 1984 in die „National Women's Hall of Fame“ aufgenommen, 1989 erhielt sie posthum den „Lifetime Achievment Award“.

 

 

 

Thietmar von Merseburg

* 25.7.975 in Walbeck, † 1.12.1018 in Merseburg, deutscher Bischof und Chronist

 

Thietmar schrieb über Thietmar:

Mein Wille ist wohl zuweilen gut, aber weil ich nicht bemüht bin, ihn mit der nötigen Kraft zu verstehen, so nützt er allzu wenig. Immer hadere ich mit mir, aber ich tue meine Buße nicht nach Gebühr; und daher bin ich in allen Stücken tadelnswert, weil ich mich nicht zu dem bekehre, der da ist über alles lobenswert. Besieh dir, lieber Leser, jetzt den feinen Herrn, da wirst du ein kleines Männchen finden, ungestaltet an der linken Kinnlade und Seite, weil mir hier einst eine immer schwellende Fistel ausgebrochen ist. Ein Bruch des Nasenknorpels, den ich in der Kindheit erlitten, gibt mir ein lächerliches Aussehen. Und über das alles würde ich gar nicht klagen, wenn ich über mein Inneres etwas Gutes könnte sagen. Nun bin ich ein Elender, sehr jähzornig und unlenksam zum Guten, von neidischem Charakter, ich verhöhnen andere, wo ich selbst Spott verdiene, und schone niemand, wie es recht wäre, ich bin ein Schlemmer und Heuchler, ein Geizhals und Verleumder und, - um diese schmachvolle Bezeichnung, die ich mir mit Recht beilege, zu schließen, - schlechter, als sich sagen oder irgendwie denken lässt. Ein jeder ist befugt, nicht etwa leise davon zu murmeln, sondern es laut heraus zu sagen, dass ich ein Sünder bin, und ich muß meine Brüder kniefällig bitten, mich zurechtzuweisen…

Thietmar schien Thietmar nicht recht zu mögen. Zeitgeist? Obendrein quälten Thietmar Traumgesichte. Im Oktober des Jahres 1008 hörte er eine Stimme, die ihm ankündigte, dass er, Thietmar, sowie der Magdeburger Dekan Meinrich und der Bischof Hilderich von Havelberg in diesem Jahre Gottes Willen erfüllen müssten. Wenige Tage später verstarb Bischof Hilderich und Thietmar glaubte nun zu wissen, was Gottes Wille sei. Thietmar verkroch sich auf sein Gut Rottmersleben und bereite sich auf den Tod vor. Daraufhin erschien ihm in der Nacht vor St. Martin der Magdeburger Dompropst Walthard im Traum und fragte, ob Thietmar die Zukunft wissen wolle. Thietmar bejahte und sah nun, wie Walthard ein Lotblei in ein Buch hineinließ – „Fünf“, raunte der Dompropst dabei, „Fünf“, und gleichzeitig meinte Thietmar diese Zahl deutlich lesen zu können. Erklärungen blieb Walthard Thietmar jedoch schuldig. So wusste der folglich nicht, ob er noch fünf Tage, Wochen, Monate oder Jahre zu leben hatte…

Solche Zerrissenheit peinigt, lähmt, zerstört. Es sei denn, da erwächst eine Gegenkraft, eine Kraft, die einen über alle Gesichte und sich selbst, ja, vor allem über sich selbst erhebt!

Als er fünf Wochen nach jenem letzten Traum noch immer lebte, fuhr Thietmar voller Zweifel nach Magdeburg zurück und erfuhr, dass ihn der Erzbischof Tagino beim König als Nachfolger des todkranken Merseburger Bischofs Wigbert ins Gespräch gebracht hatte. Thietmar erwiderter darauf, es könne gut möglich sein, dass Bischof Wigbert ihn, Thietmar, noch überlebe. Es war jedoch letztlich Wigbert und nicht Thietmar, der vor Ablauf des fünften Monats starb. Thietmar erfuhr davon in Rottmersleben, wo er seinerseits einmal mehr den Tod erwartete. Und nur zögerlich, sehr zögerlich vermochte er nun der Aufforderung Erzbischofs Taginos, sich am Samstag vor Ostern nach Augsburg zum König zu begeben, Folge zu leisten. Erst am Palmsonntag, da der ominöse fünfte Monat zu Ende ging, brach Thietmar von Magdeburg auf, und erst am Dienstag nach Ostern traf er bei Hofe ein. Heinrich II. hielt jedoch an Thietmar fest, und so wurde er denn am 24. April des Jahres 1009 in Neuburg zum neuen Bischof von Merseburg gewählt, geweiht, gesalbt.

Das Bischofsamt allein, Bekehrung der Heiden, Sicherung und Erweiterung des Bistums, Messdienste, Belehrungen, Beurkundungen, nicht zuletzt die Telnahme an einem Kriegszug gegen die Slawen, vermochte Thietmars Zwiespälte aber nicht zu überbrücken. Doch hatte er im Traum nicht auch gesehen, wie ein Lotblei auf ein Buch zielte? Ja, das musste Thietmars Vorbestimmung sein, das war seine Möglichkeit über sich selbst hinauszuwachsen: ausloten, was geschah, um einen herum, mit einem selbst, in seiner Zeit, ausloten, was einst geschah, da wo man nun ist, begreifen vielleicht, welchen Platz man eigentlich einnimmt hier und überhaupt, erkennen, wo man steht in der Geschichte, festhalten und verdichten also, all die flüchtigen Gedanken, schreiben, ein Buch, eine Chronik!

Im Jahr 1012, ein Jahr vor Ablauf des fünften Jahres seit Walthards Traumprophezeiung, begann Thietmar an seiner Lebensbeschreibung und Chronik zu arbeiten. Unermüdlich diktierte er, was er alles über die Geschicke Merseburgs in Erfahrung zu bringen wusste und verstand es, das Zeitgeschehen einzuordnen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Thietmar nicht von ungefähr der Regierungszeit des ihm durch zahlreiche Merseburgbesuche gut bekannten Heinrich II, des Königs, der ihn zum Bischof gemacht hatte.

Im Frühjahr des Jahres 1018 war Thietmar dann nach Durchsichten, Ergänzungen und Korrekturen so weit, dass er an seine Chronik nur noch die jeweils aktuellen Ereignisse anzufügen brauchte. Eine große innere Anspannung schien von ihm abzufallen.

Im Sommer dieses Jahres wurde Thietmar krank, verfiel offenkundig wieder in Depressionen. Nicht auszuschließen, dass ihm die zum Alltag gewordene Chronikarbeit schmerzlich fehlte. Am 1. Dezember 1018 starb Thietmar dann, dreiundvierzigjährig, fast genau zweimal fünf Jahre nach jener, sein Leben so sehr bestimmenden Traumnacht…

Merseburg hat Thietmar aber noch mehr als seine erste Chronik zu verdanken. War das Lotblei nicht eigentlich ein unverzichtbares Maurergerät? 1015, in der wohl glücklichsten, da kreativsten Phase seines Lebens, legte Bischof Thietmar selbstbewusst auch den Grundstein für den Merseburger Dom.

Wer sich andern brauchbar zu machen bestrebt, hat immer die Absicht, nicht nur gegenwärtig, sondern auch in der Zukunft zu nützen, die ihm anbefohlenen Verrichtungen mit aller nur möglichen Treue und Geschicklichkeit auch der Nachwelt bekannt werden zu lassen, und bei den Lebendigen aller Zeit sich im Andenken zu erhalten… -

Thietmar, sich selbst überwindend.

 

 

 

Henning Hermann Robert Karl von Tresckow

* 10.1.1901 in Magdeburg, † 21.7.1944 bei Ostrów Mazowiecka, deutscher General

 

Henning von Tresckow gilt als die zentrale Figur des militärischen Widerstands gegen Hitler. Spätestens durch die Kristallnacht wurde er zum Gegner der Nazis, als Generalstabsoffizier knüpfte er dann im Laufe des Krieges Kontakte zu zivilen Widerstandsgruppen, stand in engem Kontakt zu den Kreisen um Ludwig Beck, Carl Friedrich Goerdeler, Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf York von Wartenburg, und war mehrfach in Attentatspläne involviert.

Im Juni 1944 schrieb Henning von Tresckow an Claus von Stauffenberg: Das Attentat muß erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.

Als klar wurde, dass Hitler auch das Attentat vom 20. Juli 1944 wie so viele zuvor überlebt hatte, täuschte Henning von Tresckow in einem Wald an der Ostfront, wo er als Chef des Stabes der 2. Armee diente, einen Partisanenangriff vor und nahm sich das Leben. Kurz zuvor hatte er notiert:  Jetzt wird die ganze Welt über uns herfallen und uns beschimpfen. Aber ich bin nach wie vor der felsenfesten Überzeugung, dass wir recht gehandelt haben. Ich halte Hitler nicht nur für den Erzfeind Deutschlands, sondern den Erzfeind der Welt.

 

 

 

Lenore Tamara Danz

* 14.12.1952 in Winne, Thüringen, † 22.7.1996 in Berlin, deutsche Rock-Sängerin

 

Ein Lied für die Menschen, für dich und für mich

Ein Lied für die vielen, die glauben an sich

Ein Lied für die, die nach uns kommen sollen

Ein Lied für alle, die leben wollen

Leben nur einfach leben

Wer leben will, steh uns bei

Leben, in Frieden leben

Für alle Träume, für alle Träume weit und breit…

sang Tamara Danz.

 

Tamara Danz war Tochter einer Kindergärtnerin und eines Maschinenbauers, machte Abitur, begann ein Dolmetscherstudium, erfuhr die Ablehnung einer Musikhochschule, sang dennoch in Bands, kam 1978 zu „Silly“, wurde 1981, 1983, 1985 und 1986 von Kritikern der DDR-Musikszene zur „Besten Rocksängerin des Jahres“ gewählt, gründete 1994 das „Danzmusik Studio“ veröffentliche mit „Silly“ von 1981 bis 1996 sieben erfolgreiche Alben.

 

Ein Lied für die Aufruhr, dass sie nicht ruht

Ein Lied für das viele, vergoßene Blut

Ein Lied für die neue, friedvolle Welt

Ein Lied für die Arbeit, die uns erhält

Ein Lied für die Sehnsucht, die in uns schläft

Ein Lied für die Erde, dass sie uns erträgt…

 

1995 diagnostizierte man bei ihr Brustkrebs, im Jahr darauf starb Tamara Danz

 

PS

 

Vergiß nicht, Vater,

Wenn du frierst:

Ich bin wie du geworden.

Ich laß mich nicht

Und laß mich nie

Mit lauten Lügen morden.

 

Vergiß nicht, Mutter,

Wenn du weinst:

Du hast mich gut erzogen,

Und niemand kriegt

Und keiner kriegt

Mich einfach krummgebogen.

 

Vergeßt nur nie

Unter der Last

Eurer langen Leben:

Ich bin zu jung,

Um schwach zu sein;

Zu blind um aufzugeben.

 

 

 

Johann Peter Hasenclever

* 18.5.1810 in Remscheid, † 16.12.1853 in Düsseldorf, deutscher Maler

 

„Es sind vor allem Hasenclevers malerische Qualitäten, seine frische Beobachtungsgabe und sein den Beschauer unmittelbar ansprechender Humor, der ihm einen bedeutenden Rang unter den deutschen Genremalern sichern. Seine Kompositionen wollen genau betrachtet werden; sie stecken voll feinsinniger Andeutungen, haben jedoch nie – wie die niederländischen Genrebilder des 17. Jahrhunderts – einen allegorischen Nebensinn. […] Seine Kleinbürger und Philister werden nicht in verzerrender Karikatur, sondern nur leicht übertreibend als typische Vertreter ihres Standes, ihrer Zeit wiedergegeben“, urteilte die Kunstkritikerin Ute Ricke-Immel.

Und Wolfgang Hütt schrieb: „Die freundschaftliche Beziehung des Malers zu antiakademischen Künstlern Düsseldorfs, die bis zur Revolution von 1848/49 zunehmend in das demokratische Lager einschwenkten, sowie die auf diese Künstler wirkenden sozialistischen Ideen führten schließlich zur Bekanntschaft und Freundschaft Hasenclevers mit dem Dichter Ferdinand Freiligrath […]. Hasenclever wurde im August 1848 zum Mitbegründer der die künstlerische Oppositionsbewegung zusammenfassenden Vereinigung ‚Malkasten’, arbeitet außerdem an den 1847 gegründeten ‚Düsseldorfer Monatsheften’ mit, die sich zu einem künstlerisch-satirischen Organ der Revolution entwickelten. Unter dem Eindruck revolutionärer Ereignisse, unmittelbar inspiriert durch eine Demonstration erwerbsloser Arbeiter am 9. Oktober 1848 in Düsseldorf, die vor das Rathaus zogen und eine Abordnung mit ihrer Petition vor den in Permanenz tagenden Stadtrat sandten, entstand sein Hauptwerk. Es ist das zunächst in einer wie impressionistisch wirkenden und farblich sehr delikaten Ölskizze vorbereitet und danach in mehreren Fassungen ausgeführte Gemälde ‚Ein Magistrat aus dem Jahre 1848’.“

Walter Hasenclever starb fünf Jahre darauf an Typhus.

 

 

 

Léon Bollée

* 1.4.1870 in Le Mans, † 16.12.1913 in Neuilly-sur-Seine, französischer Erfinder

 

Im Alter von 19 Jahren gewann Léon Bollée eine Goldmedaille auf der Pariser Weltausstellung für die Erfindung einer direktmultiplizierenden Rechenmaschine. Mit Fünfundzwanzig gründete er in Le Mans das Unternehmen „Automobiles Léon Bollée“ und konstruierte zunächst ein Dreirad, die „Voiturette“ und dann ein vierrädriges Auto. Und als im Jahr 1908 Wilbur Wright nach Frankreich kam, stellte er ihm seine Werke für den Zusammenbau seines Motorfliegers zur Verfügung. Von den Flügen des „Flyers A“, zu denen dann neben Tausenden Franzosen sogar Königin Margharita von Italien, König Alonso XIII. von Spanien und König Edward VII. von England anreisten, fertigte Léon Bollée mehr als 100 Duotone-Fotos.

Léon Bollée wurde nur 43 Jahre alt. Sieben Jahre nach seinem Tod wurde in Le Mans ein Denkmal für den mittlerweile auch verstorbenen Wilbur Wright errichtet.

 

  

 

 

Romy Schneider

* 23.9.1938 als Rosemarie Magdalena Albach in Wien, † 29.5.1982 in Paris, deutsche Schauspielerin

 

Wenn der weiße Flieder wieder blüht an der Seite der Spaziergängerin von Sans-Souci halb elf in einer Sommernacht bei Feuerwerk in ein Gruppenbild mit Dame gelangen, dann in einem Swimmingpool mit Sissi baden wobei nur die Sonne Zeuge war, tausend Leider ohne Ton genießen und zu guter Letzt dank einer Halbzarten, einem Engel auf Erden, einer schönen Lügnerin mit einem wilden Schaf, das alte Gewehr in der Hand, angesichts einer Frau am Fenster eine einfache Geschichte erzählen und die Dinge des Lebens begreifen…

Ach, Romy.

 

 

 

Miguel Ángel Bustos

* 31.8.1932 als Miguel Ángel Ramón Bustos von Joecker in Buenos Aires, † nach 30.5.1976, argentinischer Autor

 

Im Alter von 26 Jahren veröffentlichte Miguel Ángel Bustos sein erste Buch: „Corazon de piel afuera“, dem bis zu seiner Ermordung vier weitere folgen sollten. Postum erschien 2007 ein Sammelband seiner Prosa.

Darin verarbeitete er nicht zuletzt Erfahrungen, die er auf seinen Reisen durch sein Heimatland, durch Bolivien, Brasilien und Peru gesammelt hatte.

Miguel Ángel Bustos war Mitglied der Partido Revolucionario de los Trabajadores und schrieb auch für die Tageszeitungen „El Cronista Comercial“ und „La Opinión“ sowie die Zeitschriften Panorame“ und „Siete Días“.

Nachdem sich in Argentinien 1976 eine Militärjunta an die Macht geputscht hatte, war Miguel Ángel Bustos einer der Ersten, der verhaftet wurde und dann spurlos verschwand.

 

 

 

Robert Falcon Scott

* 6.6.1868 in Plymouth, † 29.3.1912 im Ross-Schelfeis, Antarktika, britischer Polarforscher

 

65 Jahre nachdem Robert Scott beim Versuch als erster Mensch den Südpol zu erreichen ums Leben gekommen war, sang Reinhard Fißler mit „Stern Meißen“ einen Text von Kurt Demmler:

„Es ging in's zwanzigste Jahrhundert. Jedes Land, jedes war entdeckt. / Nur der kalte Pol im Süden auf der Karte noch weißgefleckt. / Da begann der große Wettlauf... Ihre Schiffe machten flott. / Zwei Kapitäne, Namenlose, später: "Amundsen und Scott". / Die Antarktis war bald erreicht, doch dann kam das schwerste Stück. / Auf Schlitten die Fahrt ins Eis begann und kein Weg vom Ziel zurück. / Und Hunger und Kälte, Einsamkeit länger noch als ein Jahr. / Und die Frage immerzu: Wie weit schon der andere, der andere war? / Nur der Erste, nur der Erste hätte wirklich erreicht sein Ziel. / Nur der Zweite, nur der Zweite in den Augen der Menschen ist nicht viel. / Und sie hetzten ihre Hunde und sich selber gnadenlos, / Denn der eine würde scheitern und der andre wär' bald groß. / Doch als Scott an den Südpol kam, da stand schon Amundsens Fahne frei. / Da brach der Frost von draußen her, ihm tief in das Herz hinein. / Kein Petroleum half mehr und kein Denken an Frau und Kind. / Und erfroren neben ihm sind vier Mann im ewigen Eis und Wind.“

Als Robert Scott am 18. Januar 1912 den Südpol erreichte und entdeckte, dass Amundsen fünf Wochen vor ihm das Ziel erreicht hatte, notierte er in seine Tagebuch: Das Schlimmste ist eingetreten […] Alle Träume sind dahin […] Großer Gott, dies ist ein schrecklicher Ort…

Bevor er im Eis starb schrieb Robert Scott noch einige Abschiedsbriefe und eine „Nachricht an die Öffentlichkeit“: Wir haben Risiken auf uns genommen, wir wussten, dass wir sie auf uns nahmen; die Dinge haben sich gegen uns gewendet, und deshalb gibt es keinen Grund zur Klage für uns, stattdessen sich dem Schicksal zu fügen und die Pflicht zu erfüllen, bis zum Ende das Beste zu tun. […] Hätten wir überlebt, hätte ich eine Geschichte zu erzählen über Kühnheit, Ausdauer und Mut meiner Kameraden, die das Herz eines jeden Engländers rühren würde. Diese wenigen Zeilen und unsere toten Körper müssen die Geschichte erzählen, doch sicher, sicher wird unser großes und reiches Vaterland darauf achten, dass die auf uns Angewiesenen in ausreichendem Maß versorgt sind.

„Was bleibt nach dem Tode, wenn der Name nicht bleibt? / Und wie bleibt der Name, wenn Geschichte er schreibt? / Was bleibt nach dem Tode, wenn nicht bleibt, wenn nicht bleibt der Ruhm? / Was bleibt nach dem Tode? Große Tat, großes Menschentum! / Was bleibt nach dem Tode, wenn nicht bleibt, wenn nicht bleibt der Ruhm? / Was bleibt nach dem Tode? Große Tat, großes Menschentum!“

  

 

 

Johan Vaaler

* 15.3.1866 in Aurskog, † 14.3.1910 in Kristiania, norwegischer Erfinder

 

Johann Vaaler erfand die Büroklammer (Patent im Jahre 1899), ja, dieses schier unentbehrliche Büromaterial ist eine norwegische Erfindung!

Und während des Zweiten Weltkrieges, während der deutschen Besetzung ihres Landes war die Büroklammer sogar Ausdruck eines trotzigen Nationalismus, war offenes Bekenntnis der Norweger zu ihrem exilierten König. In jener Zeit trug man demonstrativ eine Büroklammer am Revers – und konnte dafür hart bestraft werden.

Zu seinem Gedenken steht in Oslo ein 7 m hohes Denkmal in Form einer Büroklammer.

 

 


Zitate aus:

(soweit nicht direkt in den jeweiligen Texten ausgewiesen)

 

Albrecht, Friedrich „Klaus Mann der Mittler“

Andresen, Geertje „Oda Schottmüller 1905-1943…“

Apollinaire, Guillaume „Der gemordete Dichter“

Bauer, Walter „Folge dem Pfeil“

Bauer, Walter „Polflug – Bericht von Andrée und dem ‚Adler’“

Beevor, Antony „Der Spanische Bürgerkrieg“

Behan, Brendan „Borstal Boy“

Berg, Dieter „Richard Löwenherz“

Blok, Alexander „Lyrik und Prosa2

Bonhoeffer, Dietrich „Werke“

Boyle, T.C. „Das wilde Kind“

Brandes, Georg „Sören Kierkegaard…“

Bräunig, Werner „Gewöhnliche Leute“

Cassius Dio „Römische Geschichte“

Chaussy, Ulrich „Rudi Dutschke“

Dallaire, Roméo „Handschlag mit dem Teufel“

Damm, Sigrid „Vögel, die verkünden Land…“

des Forges, Alison „Leave none to tell the story“

Dhlomo, Rolfes R. R. „UShaka“

Dick, Philipp K. „Valis Trilogie“

Djaout, Tahar „Die Suche nach den Gebeinen“

Dwars, Jens-Fietje „Leben und Werk des vormals berühmten Christian Friedrich Hunold alias Menantes“

Eckardt, Götz „Anton van Dyck“

Ehrenburg, Ilja, „Menschen, Jahre, Leben“

Emeniscu, Mihai „Poezii – Gedichte“

Friederici, Hans Jürgen „Ferdinand Lassalle“

Gerste, Ronald G. „Amelia Earhart“

Göhre, Frank „Zeitgenosse Glauser“

Grimme, Ernst Günther „Jan Vermeer van Delft“

Guevara, Ernesto „Bolivianisches Tagebuch“

Haasis, Hellmut G. „Georg Elser…“

Haerdle, Stephanie „Keine Angst haben…“

Hafftiz, Peter „Microchronicum Marchicum“

Haslinger, Josef „Phi Phi Island“

Herbert, Zbigniew „Opfer der Könige“

Heym, Stefan „Lassalle“

Hilmar, Ernst „Hugo-Wolf-Enzyklopädie“

Hobohm, Cornelia (Hg.) „Menantes…“

Hochhuth, Rolf „Alan Turing“

Hütt, Wolfgang „Johann Peter Hasenclever“

Ingham, Mary B. „Duns Scotus“

Jankofsky, Jürgen u.a.  (Hg.) „Eine Handvoll Asche…“

Jankofsky, Jürgen u.a. (Hg.) „Sonnentanz…“

Jankofsky, Jürgen (Hg.) „Von Veldeke zu Face- und E-Book“

Jankofsky, Jürgen u.a. „Zaubersprüche & Sachsenspiegel“

Jara, Joan „Victor“

Jordan, Lothar (Hg.) „August Stramm…“

Jostman, Christian „Magellan…“

Kahn, Ashley “A Love Supreme…”

Keil, Rolf-Dietrich „Nikolai W. Gogol“

Kemmer, Ernst „Guy de Maupassant…“

Kershaw, Alex „Robert Capa“

Kowalewski, Sonja „Erinnerungen an meine Kindheit“

Krausnick, Michael „Jack London“

Kühlmann, Wilhelm „Rudolf Agricola“

Kühlmann, Wilhelm „Martin Opitz“

Kupfermann, Fred „Mata Hari…“

Lanz, Peter „Falco“

Lazenby, Roland „Kobe Bryant…“

Lenzen, Verena „Cesare Pavese…“

Leopardi, Giacomo „Gesänge und Fragmente“

Lindner, Fabian Leonhard „Der Mahdi-Aufstand…“

London, Jack „Die Fahrt der Snark”

London, Jack „Die Perlen des alten Parlay“

Longhi, Roberto „Caravaggio“

García Lorca, Federico „Gedichte“

Maas Christel-Maria „Margaret Fullers transnationales Projekt“

Majonica, Rudolf „Das Geheimnis der Hieroglyphen…“

Malcolm X & Alex Haley „Malcolm X. Die Autobiographie”

Martí, José „Mit Feder und Machete“

Martynkewicz, Wolfgang „Jane Austen“

Maupassant, Guy de „Novellen“

Neidhardt, Hans Joachim „Karl Blechen“

Opel, Anna „Recherche Haushofer…“

Osang, Alexander „Tamara Danz. Legenden“

Panzer, Marita A. „Lola Montez. Ein Leben als Bühne“

Pavese, Cesare „Die Nacht von San Rocco“

Pietraß, Richard (Hg.) „Wenn ich schon sterben muß“

Platen, August von „Gedichte“

Poe, Edgar Allan „Ausgewählte Werke in drei Bänden“

Presler, Gerd „Martin Luther King“

Raith, Werner „Spartacus“

Richter, Helmut „Was soll nur werden, wenn ich nicht mehr bin?“

Scheurig, Bodo „Henning von Tresckow…“

Schibli, Sigfried „Alexander Skrjabin…“

Schmid, Hermann „Sören Kierkegaard…“

Schmidt-Biggemann, Wilhelm „Blaise Pascal“

Schneider, Margarete „Paul Schneider…“

Schneider, Norbert „Vermeer sämtliche Gemälde“

Schröder, Werner „Wolfram von Eschenbach…“

Schuller, Wolfgang „Kleopatra. Königin in drei Kulturen“

Schulz-Köhn „Django Reinhardt…“

Schütt, Hans-Dieter „Tankstelle für Verlierer…“

Schwinger, Wolfram „Er komponierte Amerika. George Gershwin“

Siedel, Elisabeth „Sabahattin Ali…“

Simon, George T. „Glenn Miller…“

Sternberger, Martina „Irène Némirovsky…“

Thomas, Dylan „Arbeit am Wortwerk“

Tscharenz, Jeghishe „Mein Armenien“

Tauber, Christine „Ludwig II…“

Urmuz „Das gesamte Werk“

Vian, Boris „Ich möchte nicht krepieren“

Völker, Klaus „Boris Vian“

Vuillard, Éric „Der Krieg der Armen“

Walther, Sigrid “Hans Süß von Kulmbach”

Weisbrod, Andrea „Madame de Pompadur…“

Welzer, Harald „Nachruf auf mich selbst“

Westphal, Wilfried „Die Erwählte des Palastes…“

Wikipedia

Wirth, Helmut „Max Reger…“

Worbs, Hans Christoph „Modest P. Mussorgski…”

Wright, John Hardy „Zauberei in Salem”

Wunderich, Volker “Sandino”

Wydra, Thilo „Romy Schneider“

Wyssotzki, Wladimir „Zerreißt mir nicht meine silbernen Saiten”

Zamoyski, Adam „Chopin. Der Poet am Piano“

Zerback, Ralf „Robert Blum“

Zinner, Ernst „Leben und Wirken des Joh. Müller aus Königsberg, genannt Regiomontanus“

 

 

Inhaltsverzeichnis alphabetisch:

 

Chatschatur Abowjan

Alberto Adriano

Rudolf Agricola

Badi’al-Zaman al-Hammadani

Muhammad Ahmad

Alarich I.

Anacoana

Salomon August Andrée

Guillaume Apollinaire

Arminius

Julius Paul Arter

Aššurbānipal

Jane Austen

Victor von Aveyron

James Ayscough

Anton Ažbe

Axel Bakunts

Neagoe Basarab

Brendan Francis Aidan Behan

Hans Beimler

Wilhelm Belibaste

George Delmetia Beauchamp

Abebe Bikila

Maurice Rupert Bishop

Karl Blechen

Alexander Alexandrowitsch Blok

Robert Blum

Alan Dower Blumlein

Léon Bollée

Dietrich Bonhoeffer

Nicolas Born

Louis Braille

Werner Bräunig

Josef Chaim Brenner

Jonathan Briley

Pieter Bruegel (der Ältere)

Miguel Ángel Bustos

Kobe Bean Bryant

Berta Cáceres

Musa Mostafa ulı Cälil

Camarón de la Isla

Ivan Cancar

René-Robert Cavalier, Sieur de La Salle

Jean-François Champollion

Robert Capa

Caravaggio

Wallace Hume Carothers

Michael Caßler

Alfredo Catalani

Frédérik Chopin

Fletcher Christian

Juan de la Cierva y Codorníu

Jacobus Clemens non Papa

Anarchasis Cloots

John William „Trane“ Coltrane

Philippe Cousteau

Jo Cox

José Anastácio da Cunha 

Roque Dalton

Leonore Tamara Danz

Emily Wilding Davison

Nafissatou Niang Diallo

Faisal Arefin Dipan

Tahar Djaout

Hans von Dohnanyi

Joachim du Bellay

Alfred Willi Rudi Dutschke

Guru Dutt

Amelia Mary Earhart

Jüri Ehlvest

Eike von Repgow

Johann Georg Elser

Mihai Eminescu

Wolfram von Eschenbach

Falco

Felix Fechenbach

Daniel Damasio Ascencio Filipe

Antoni Fiter i Rossell

Ingo Flach

Paul Fleming

Johann Georg Adam Forster

Marielle Franco

Joseph von Fraunhofer

Augustin Jean Fresnel 

Bedřich Fritta

Sarah Margaret Fuller

Takahashi Fumi

George Gershwin

Domenico Ghirlandaio

Friedrich Charles Glauser

Nikolai Wassiljewitsch Gogol

Jules Alfred Huot de Goncourt

Sarah Good

Johan Nordahl Brun Grieg

Florence Griffith-Joyner

Ernesto „Che“ Guevara

Gerhard Rüdiger „Gundi“ Gundermann

Ferhat Hached

Volker Handloik

Tim Hardin

Mata Hari

Jaroslav Hašek

Johann Peter Hasenclever

Albrecht Haushofer

Ofra Haza

Norman Jeffrey „Jeff“ Healey

Hone Heke

Hermann von Reichenau

Andreas Hofer

Hrotsvit von Gandersheim

Friedrich Huch

Jan Hus

Ibn Sahl

August Jäger

Victor Jara

Mercédés Adrienne Ramona Manuela Jellinek

Regina Jonas

Franz Kafka

Israel „Iz“ Ka’ano’i Kamakawiwo’ole

Daniel „Dan“ Kaminsky

Ahmed Kaya

Brian Edmund Peter Keenan

Robert Francis „Bobby“ Kennedy

Søren Aabye Kierkegarrd

Martin Luther King

Omar Kingsley

Rahsaan Roland Kirk

Kleopatra VII. Philopator

Petar Kočić

Hans Kohlhase

Lydia Koidula

Sofja Wassiljewna Kowalewskaja

Hans Süß von Kulmbach

Kyrill

Ferdinand Lassalle

Laza K. Lazarević

John Winston Lennon

Jakob Michael Reinhold Lenz

Giacomo Leopardi

Elfriede Lohse-Wächtler

Jack London

Federico García Lorca

Ludwig II.

Fernando Magellan

Mumtaz Mahal

Malcolm X

Pál Maléter

Klaus Mann

Saadat Hassan Manto

Richard Manuel

Valeriu Marcu

Francis bin Fathallah bin Nasralla Marrash

José Martí

Guy de Maupassant

Grete Meisel-Heß

Menantes

Jakob Ludwig Felix Mendelssohn Bartholdy

Ernst Meyer

Ignác Mihályi

Mirabeau

Moritz Wilhelm vom Sachsen-Merseburg

Alton Glenn Miller

Muborakscho Mirsoschojew

Lola Montez

Christian Otto Josef Wolfgang Morgenstern

Inge Müller

Friedrich Wilhelm Murnau

Modest Petrowitsch Mussorgski

Vaqif Mustafazadə

Božena Němcová

Irène Némirovsky

Carl Otto Ehrenfried Nicolai

Christopher Nolan

Eggert Ólafsson

Joe „King“ Oliver

Martin Opitz

Franz Oppenhoff

Hans Paasche

Blaise Pascal

Cesare Pavese

Jewgeni Petrow

August von Platen

Edgar Allan Poe

Jeanne-Antoinette Poisson

Jeff Porcaro

Elvis Aaron Presley

Qurrat al-‘Ain

Ludwig Rubiner

Stepan „Stenka“ Timofejewitsch Rasin

László Rajk

Max Reger

Regiomontanus

Brigitte Reimann

David Reimer

Jean „Django“ Reinhardt

Johann Philipp Reis

Ferdinand Freiherr von Rezniček

Richard Löwenherz

Louis „David“ Riel

Rölpe Dorje

Urani Rumbo

Ali Sabahattin

Sabas

Augusto César Sandino

Bernardo Sassetti

Kurt Scheele

Paul Robert Schneider

Romy Schneider

Martin Schongauer

Oda Schottmüller

Karl Schwarzschild

Robert Falcon Scott

Johannes Duns Scotus

Werner Seelenbinder

Shaka

Shaftesbury

Franz von Sickingen

Brian David Sicknick

Jóhann Sigurjónsson

Enver Şimşek

Aki Sirkesalo

Alexander Nikolajewitsch Skrjabin

Bessie Smith

Spartacus

Klaus Störtebecker

August Stramm

Takeuchi Yūko

Johann Thal

Dorothea Tieck

Thietmar von Merseburg

Dylan Thomas

Evangelista Torricelli

Peter Tosh

François-Dominique Toussaint Louverture

Henning Herrmann Robert Karl von Tresckow

Jeghische Tscharenz

Tupac Amaru II.

Alan Mathison Turing

Robert Uhrig

Urmuz

Agathe Uwilingiyimana

Anton van Dyck

Johannes van Esschen

George Vancouver

Heinrich von Veldeke

Jan Vermeer

Boris Vian

Johann Vierdanck

Clivia Vorrath

Carl Maria von Weber

Ilse Weber

Dennis Carl Wilson

Hugo Wolf

Wols

Wladimir Semjonowitsch Wyssotzki

Wolfram von Eschenbach

Fayzulla Ubaydullayevich Xo’jayev

Yagan

Yue Fei

Emiliano Zapata Salazar

Ruben Zadarjan